„Ja, das stimmt auch.“

Ein Beitrag von Eric S.

Die beschriebene Situation ereignete sich im projektorientierten Unterricht einer jahrgangsgemischten Klasse bestehend aus Schüler*innen der siebten bis zehnten Klassenstufe.  Anwesend waren zwei Lehrkräfte, die an diesem Tag mit den Schüler*innen anfingen, eigenständig Turnbeutel aus alten T-Shirts zu nähen. Die Klasse ist aufgrund ihrer Größe und Heterogenität unruhig und es sind viele Eingriffe seitens der Lehrkräfte nötig, damit der Unterricht wie geplant stattfinden kann. Beide Lehrkräfte wirkten in dieser dritten Woche nach den Ferien bereits sichtlich übermüdet. Gleich zu Beginn der Stunde wurden mehrere, besonders unruhige Schüler*innen aus dem Raum verwiesen und die Lehrkräfte wirkten zunehmend genervt.

In der Klasse gab es zudem eine besonders unruhige Gruppe in der hintersten Reihe. Mir fiel gleich bei meiner ersten Unterrichtbeobachtung auf, dass ein Schüler dieser Gruppe die anderen besonders intensiv anstachelte. Wenn er nicht da war, war in der Regel die gesamte Gruppe deutlich ruhiger und arbeitsbereiter. Der besagte Schüler wurde zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Mal des Raumes verwiesen worden. In den freien praktischen Arbeitsphasen lief er im Raum umher und sprach scheinbar wahllos andere Schüler*innen an, die sich durch sein Verhalten bedrängt fühlten und somit die Lehrkräfte und mich wiederholt um Hilfe baten. In einer Phase des Frontalunterrichtes beschwerte sich der Schüler lautstark über den Unterrichtinhalt und wurde daraufhin von einer Lehrkraft ermahnt. Er rief anschließend witzelnd in die Klasse, dass die Lehrkräfte ihn überhaupt nicht leiden können. Die Lehrperson nickte daraufhin und sagte: „Ja, das stimmt auch.“

Ich beobachtete dabei, dass der Schüler für wenige Minuten ungewöhnlich still wurde. In der anschließenden Arbeitsphase steigerte sich sein Störverhalten. Hatte er sich vorher zumindest teilweise an der praktischen Arbeit beteiligt, so lief er jetzt nur noch im Raum herum und verhielt sich merklich aggressiver als vorher. Das ging so weit, dass er Schüler*innen fast drohte und ihnen Arbeitsmaterialien, die er haben wollte, aus den Händen riss. Die Lehrkräfte verwiesen ihn daraufhin für den Rest des Unterrichts aus dem Raum.

Meine Einsichten

Ich kann den Frust der Lehrkräfte in der gegebenen Situation durchaus nachvollziehen. Zusätzlich zu den wiederholten Störungen des Schülers in dieser Stunde und ganz allgemein waren die Lehrkräfte schon nach drei Wochen ihres Arbeitspensums sichtlich erschöpft. Für mich handelte es sich bei diesem Schüler um einen der wenigen, vielleicht sogar um den einzigen der Schüler*innen, zu dem es mir extrem schwerfiel, eine Beziehung aufzubauen.

Dennoch entspricht das Verhalten der Lehrkraft in dieser Situation absolut nicht dem, was mir in meinem bisherigen Studium vermittelt wurde und was ich an dieser Stelle intuitiv erwartet hätte. Dass das Verhalten des Schülers nach dem Kommentar der Lehrkraft extremer wurde, ist für mich ein deutliches Zeichen, dass er nach Anerkennung und Aufmerksamkeit gesucht hat. Wie bei allen störenden Schüler*innen, die ich in der Zeit des Praktikums erlebt habe, hatte ich nicht den Eindruck, er handelte aus purer Böswilligkeit. Oft scheinen gerade Schüler*innen aus schwierigen familiären Verhältnissen unbewusst nach einem schnellen Weg zu suchen, möglichst viel Aufmerksamkeit von Autoritätspersonen zu erhalten.

Persönlich glaube ich, dieser Schüler hatte Angst davor, dass die Lehrkräfte ihn wirklich nicht mögen. Dadurch, dass die Lehrkraft seine Befürchtung bestätigte, verlor er jegliche Hemmungen. Wenn die Lehrpersonen ihn sowieso hassen, gibt es wohl keinen Grund mehr, sein Verhalten in irgendeiner Form zu regulieren. Vermutlich hatte er in dieser Situation auch das Bedürfnis, dem entstanden Frust nach der Aussage des Lehrers Luft zu machen.

Meine Folgerungen

Im Rahmen der Tätigkeit als Lehrkraft wird man auch auf Schüler*innen stoßen, mit denen man sich auf persönliche Ebene nicht gut versteht. Wie im allgemeinen sozialen Leben kann man nicht immer alle mögen. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass man als Lehrkraft eine Verantwortung gegenüber den Schüler*innen hat. Man muss andere Wege finden, Raum für Frustration zuzulassen, als diesen Frust an Schüler*innen in unpassender Weise abzubauen. Mit zwei Lehrkräften im Raum ist es durchaus auch möglich, für zwei Minuten aus dem Raum zu gehen und sich zu beruhigen ohne etwas Unüberlegtes zu sagen. Denn solche Aussagen prägen die Schüler*innen und können nicht mehr zurückgenommen werden. Selbst wenn diesem Schüler in Zukunft die richtige Unterstützung angeboten wird, wird es ihm wohl schwerfallen, diese Hilfe anzunehmen. Möglicherweise hat er jetzt den Eindruck, dass die für ihn verantwortlichen Personen gänzlich desinteressiert an ihm sind.

Meine Anschlussfragen

  • Wie gehe ich mit Schüler*innen um, mit denen ich mich auf persönlicher Eben nicht verstehe, die aber meine Hilfe benötigen?
  • Welche Möglichkeiten habe ich im Schulalltag mich zurückzunehmen, wenn ich merke, dass ich im Moment nicht rational handeln kann?
  • Welche möglichen Ansprechpartner*innen habe ich, wenn ich mit dem Verhalten von Schüler*innen überfordert bin?
  • Wie schaffe ich es, meine professionellen Aufgaben von den Dingen zu trennen, die ich gerne auf persönlicher Ebene für meine Schüler*innen leisten möchte?

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