„Mir fiel jedoch auf, dass er auf dem Dach der Lokomotive verharrte.“

Ein Beitrag von Nadine L.

Die Situation ereignete sich im Sportunterricht einer JüL-Klasse 1 bis 3. Da es seit Längerem an der Schule keine Sporthalle mehr gibt, finden die Sportstunden in nahegelegenen Parks oder auf Spielplätzen statt. So fand auch diese Sportstunde auf einem Spielplatz statt. Die meisten Schüler:innen kletterten auf den Spielgeräten herum, wobei das Herumklettern auf einem Holz-Zug am beliebtesten war. Die Schüler:innen liebten es, das Dach der Holz-Lokomotive herauf und herunter zu klettern. Auch Ben (11 Jahre alt, Name geändert), ein Junge der Klasse, der als Kind mit besonderem Förderbedarf gilt und übergewichtig ist, kletterte auf die Lokomotive hoch. Mir fiel jedoch auf, dass er auf dem Dach der Lokomotive verharrte.

Ich beobachtete ihn eine Weile. Schließlich versuchte er mehrfach herunterzusteigen, er brach seine Versuche aber immer wieder ab. Ein Mitschüler wollte ihm behilflich sein und versuchte, als Ben bäuchlings auf dem Dach der Lokomotive lag, ihm an den Beinen Hilfestellung beim Absteigen zu geben. Dabei geriet Ben aber regelrecht in Panik und schrie. Die Lehrerin hörte dies und kam zum Holz-Zug. Sie beobachte kurz die Situation und fragte dann die anderen Kinder am Zug, wie sie heruntersteigen und ob es eine(r) vormachen wollte. Zwei Kinder zeigten ihre Varianten, herunterzusteigen. Die Lehrerin forderte Ben auf, einmal zu schauen, wie es die anderen machen. Ben probierte die zwei unterschiedlichen Wege, die die Mitschüler:innen ihm gezeigt hatten, immer wieder aus. Es fehlten ihm aber immer ein paar letzte Zentimeter, damit er mit seinem Fuß einen Vorsprung auf dem Zug erreichen konnte. Obwohl es ihm trotz mehrmaliger Versuche nie gelang, gab Ben nicht auf und probierte die zwei Wege immer wieder aus. Er wurde währenddessen immer wieder von den anderen Schüler:innen dazu ermutigt, weiterzumachen, da ihm ja nur noch wenige Zentimeter fehlten. Die Lehrerin ließ ihn geduldig gewähren und nach guten 10 Minuten gelang es Ben endlich, den Mut aufzubringen, die Fußspitze noch ein wenig weiter hinunter zu lassen, um den „rettenden“ Vorsprung zu erreichen.

Meine Einsichten

Manchmal ist es gut, die Möglichkeiten nicht selbst als Lehrkraft zu unterbreiten, sondern die Ideen durch die Schüler:innen vermitteln zu lassen. Zudem hatte der Schüler durch das geduldige Abwarten der Lehrerin genügend Zeit, sich selbst auszuprobieren und den für ihn passenden Weg zu finden. Es war bemerkenswert, wie großartig sich die Kinder untereinander geholfen haben und auch den Mitschüler angespornt haben, es weiter zu versuchen.

Meine Folgerungen

In meiner Lehrtätigkeit wünsche ich mir stets die Geduld und Muße, die Schüler:innen zu ihren eigenen Lösungswegen kommen zu lassen, und nicht vorschnell, aus falsch verstandener Hilfeleistung, mit Lösungsvorschlägen einzugreifen. Zudem trägt ein gutes und wertschätzendes Klassenklima dazu bei, sich untereinander zu unterstützen. Dies aufzubauen, liegt auch in meiner späteren Verantwortung als Lehrerin.

Meine Anschlussfragen

  • Wie wäre man damit umgegangen, wenn er nicht aufgrund des relativ guten Klassenklimas so viel Zuspruch durch die Klassenkamerad:innen bekommen hätte?
  • Was wäre gewesen, wenn keines der Kinder hätte helfen wollen?
  • Gibt es Lernsituationen in denen das Vormachen kein adäquater Lösungsweg ist?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, ein gutes und wertschätzendes Klassenklima zu fördern?

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