Zirkuskunst in Helsinki

Ich habe mein Praktikum bei einem Informationszentrum der Künste in Finnland machen dürfen. Dieses besteht aus einem Team von vier ArbeiterInnen, und hat ein kleines Büro im Herzen von Helsinki. Die Organisation ist eines der insgesamt acht Informationszentren der Künste in Finnland, die Förderung vom Ministerium für Bildung und Kultur bekommen und eine wichtige kulturpolitische Rolle in der Gesellschaft haben. Bei der non-profit Organisation arbeiten neben der Geschäftsführerin eine Leiterin der internationalen Verbindungen und eine der inländischen und ein Leiter der Kommunikation. Die wichtigsten Aufgaben der Organisation sind die Position der Zirkuskunst im Feld der darstellenden Künste zu verstärken, die Arbeitsverhältnisse der KünstlerInnen zu verbessern und finnische Zirkuskunst international bekannt zu machen. Die Einrichtung bringt alle professionellen ZirkuskünstlerInnen und ProduzentInnen zusammen – online und offline. Die Organisation veranstaltet verschiedene Events, von kleineren lokalen Netzwerkveranstaltungen bis hin zu groß aufgezogenen internationalen Marketing-Events. Die Webseite der Organisation funktioniert wie ein schwarzes Brett für alle, die im Bereich des Zirkus arbeiten: sie finden dort Stellenanzeigen, Veranstaltungskalender, Förderungsanzeigen und andere relevante Nachrichten für die Zirkusgemeinschaft. Sie sammelt auch Statistiken und veröffentlicht jährlich einen umfassenden Bericht über das Theater-, Tanz- und Zirkusfeld in Finnland.

Meine Tätigkeiten während des Praktikums waren vielfältig und abwechslungsreich. Ich habe verschiedene kürzere und längere Berichte geschrieben, internationale und finnische KuratorInnen und KünstlerInnen kennengelernt und empfangen und viele Veranstaltungen mitorganisiert. Ich habe bei der Archivierung und der Zirkusbibliothek assistiert und mehrere Forschungen, Statistiken und Strategien über Zirkus und andere darstellenden Künste gelesen und zusammengefasst. Ich habe vieles während meines Praktikums gelernt. Vor allem war es sehr wertvoll für mich zu erfahren, was es für verschiedene Karrieremöglichkeiten im Feld der darstellenden Künste gibt und wie die alltägliche Arbeit in der Branche aussieht.

Hauptteil
Zunächst hatte ich keine speziellen Erwartungen an mein Praktikum und eher unklare Vorstellungen über die Tätigkeiten eines Kulturinformationszentrums. Ich war positiv überrascht, dass fast alle, die bei der Praktikumseinrichtung arbeiten auch Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert haben. So war ich mir sicher, dass ich mir eine relevante Praktikumsstelle ausgesucht habe, obwohl ich anfangs nicht genau wusste, was die konkrete Aufgaben der Organisation sind.

Die Arbeitstage meines Praktikums sahen sehr unterschiedlich aus. Ich habe viel bei verschiedenen Events assistiert und oft den ganzen Tag außerhalb des Büros gearbeitet. Die meisten meiner Aufgaben fand ich sehr interessant und motivierend, wenn auch nicht besonders anspruchsvoll. Die Praktikumseinrichtung organisiert regelmässig Seminare, Podiumsdiskussionen und andere Treffen, die inhaltlich für mich sehr relevant waren und woraus ich wichtige Aspekte auch für mein Studium gelernt habe, aber meine Tätigkeiten bei den Events waren nicht allzu herausfordernd. Meistens habe ich vor der Veranstaltung den Raum vorbereitet und das Publikum und die Gäste sowie auch das Catering koordiniert, während der Veranstaltung Notizen und Fotos gemacht und danach einen Bericht oder ein Post für soziale Medien geschrieben. Die Veranstaltungen, an denen ich teilgenommen habe, waren unter anderem eine Podiumsdiskussion über Zugänglichkeit in den darstellenden Künsten, eine über Umweltschutz bei der Organisation von Kunstfestivals und eine über Preisgestaltung der künstlerischen Arbeit, sowie eine Vorlesung über Zirkus während des zweiten Weltkriegs und mehrere Führungen in verschiedenen Veranstaltungsorten und Theaterhäusern in Helsinki. Ich habe auch bei einigen längeren Projekten, die die Einrichtung produziert hat, als Host und Mitveranstalterin gearbeitet. Diese waren eine Zusammenarbeit mit ZirkuskünstlerInnen aus Quebec sowie eine Veranstaltung in Helsinki, die auf jeden Fall der Höhepunkt meines Praktikums war.
Ich hatte allerdings auch regelmäßige Bürotage, an denen ich um 9 Uhr meinen Tag angefangen und um 16 Uhr meinen Arbeitsplatz verlassen habe. Im Büro haben wir jeden morgen zuerst gemeinsam Kaffee getrunken und über den Tagesplan gesprochen. Ich habe häufig vormittags an einem Text oder an der Zirkusbibliothek gearbeitet und nachmittags gab es oft Treffen, Konferenzen oder andere Sitzungen bei uns im Büro. Ich war sehr neugierig, zu erfahren, was alles im Feld der darstellenden Künste in Finnland gerade passiert, und zu lernen, was für verschiedene Aufgaben und Verantwortlichkeiten die Organisation hat. Deswegen habe ich oft bei den Sitzungen zugehört, auch wenn das Thema nicht sehr aktuell für mich war, wie zum Beispiel bei Aufsichtsratssitzungen oder beim Planen der Finanzstrategie der Organisation. Abgesehen davon sind viele junge KünstlerInnen sowie auch ältere LeiterInnen verschiedener Kunstorganisationen vorbeigekommen, um Fragen zu stellen, in unserer Zirkusbibliothek zu stöbern oder einfach um sich zu vernetzen. Abends habe ich viele Veranstaltungen besucht oder Aufführungen angeschaut.
Meine Chefin spielt eine wichtige Rolle für die darstellenden Künste in Helsinki und in ganz Finnland und wird deswegen bei jeder Eröffnung, Einweihung und Premiere eingeladen. Sie hat aber wegen ihrer Familie oft keine Zeit für derartige Veranstaltungen, und hat deswegen oft ihre Einladungen an mich weitergeleitet. Ich war froh, dass ich die Möglichkeit hatte, so viele interessante Aufführungen und andere Veranstaltungen erleben zu dürfen.

Ich hatte auch genug Aufgaben, für die mein Studium in Theaterwissenschaft und mein Kenntnis über die darstellenden Künste relevant waren. Auch war öfters ein Vorteil, dass ich in Deutschland und Dänemark gelebt und studiert habe und dadurch einen breiteren Überblick über die europäische Kunstszene habe. Zum Beispiel musste ich die Zirkusbibliothek, die sich im Büro befindet, nach Fachrichtungen sortieren. Dafür musste ich viele spezifische Kunstdisziplinen erkennen können und Fachwörter sowohl auf finnisch als auch auf englisch kennen. Auch bei der Archivierung verschiedenen Artikel, Festivalhefte oder Programme musste ich ein gutes Verständnis über die verschiedenen darstellende Künste haben sowie einen guten Überblick über finnische KünstlerInnen und Künstlergruppen. Ich hatte auch viele Situationen, in denen ich mit internationalen Gästen über unterschiedlichen Kunstproduktionen reden musste, habe mich aber wegen meiner guten Kenntnisse über Kunst immer sehr wohl und sicher gefühlt.

Mein Platz im Büro war im gleichen Zimmer wie der meiner Chefin und der Leiterin der internationalen Verbindungen. Ich war sehr zufrieden mit dem Platz und froh dass ich alles hören könnte, was die beiden miteinander gesprochen haben. Sie haben nämlich viele inoffizielle Neuigkeiten vom Feld miteinander geteilt, was mir einen eher persönlichen Blick auf die Zirkusgemeinschaft gegeben hat.
Ich war auch sehr zufrieden mit der generellen Atmosphäre im Büro. Es war schön, zu merken, wie hierarchiefrei das Team funktioniert und wie alle auch mir gegenüber sehr respektvoll waren.
Weil meine Aufgaben so unterschiedlich waren, wurde ich jedes Mal betreut. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich gut eingearbeitet wurde und falls ich etwas nicht verstanden habe, konnte ich jeder Zeit Fragen stellen. Ich habe auch immer sofort Rückmeldung auf meine Tätigkeiten bekommen, was ich meistens sehr wichtig und hilfreich gefunden habe. Ich hatte einige kleine Schwierigkeiten mit meinen Aufgaben, besonders am Anfang. Diese lagen meist daran, dass ich mich noch nicht mit der finnischen Zirkusszene auskannte. Im Team war die Stimmung aufgeschlossen und unterstützend, sodass ich nie gezögert habe, zu sagen, dass ich etwas nicht verstanden habe oder dass etwas mir zu schwierig war. Es kamen auch viele Fachwörter und Abkürzungen vor, die ich nicht auf finnisch kannte. Ich fand es spannend herauszufinden was die Wörter bedeuten, und wenn ich überhaupt nicht verstanden habe, wovon die Rede war, konnte ich wieder sofort fragen. Ich habe viele Wörter aus dem Bereich des Zirkus aber auch der Büroarbeit gelernt.

Ich habe bemerkt, wie schade es eigentlich ist, dass ich in meinem Studium in Theaterwissenschaft nichts über Zirkus gelernt habe. Man schätzt Gegenwartszirkus in Finnland sehr als Kunstform – anders als in Deutschland. In Deutschland hat man etwas negativere Konnotationen mit Zirkus und er wird eher als Entertainment wahrgenommen als Kunst. Während in Finnland der Gegenwartszirkus als Teil der Hochkultur anerkannt wird, habe ich bemerkt, dass man in Deutschland das Wort Zirkus noch sehr stark mit dem traditionellen reisenden Zirkus mit Tieren verbindet. Gegenwartszirkus in Deutschland ist noch eine sehr kleine, unbekannte und marginalisierte Kunstform.

Ich fand es sehr interessant, zu erfahren, wie bei der Praktikumseinrichtung alle verschiedenen Berufe der darstellenden Künste zusammenkommen. Ich habe sowohl viele KünstlerInnen als auch ProduzentInnen, KuratorInnen, PR-ManagerInnen und künstlerische LeiterInnen, LehrerInnen und ProfessorInnen kennengelernt. Ich habe auch bemerkt, dass es im Feld der Zirkuskunst sehr wenig Geld und Förderung gibt, und dass die finanzielle Unsicherheit die Gemeinschaft sehr prägt. Man merkt, dass alle ihre Arbeit lieben, einander unterstützen und motiviert sind, auch Projekte zu realisieren die finanziell nicht sehr profitabel sind. Ich habe die optimistische Stimmung sehr genossen und bin jetzt noch sicherer als früher, dass Geld und finanzielle Sicherheit mir nicht das Wichtigste in meinem Berufsleben ist, sondern als Teil eines kreativen und inspirierenden Team arbeiten zu dürfen. Die zwei Monate, die ich in der Zirkusindustrie gearbeitet habe und die KünstlerInnen kennengelernt habe, haben in mir schon eine starke emotionale Bindung zur Zirkusgemeinschaft geweckt. Ich möchte gerne in der Zukunft dafür arbeiten, dass KünstlerInnen bessere Arbeitsverhältnisse haben, und dass Kunst noch eine stärkere Position in der Gesellschaft bekommt.

Die Veranstaltung, die ich oben schon erwähnt habe, war der Höhepunkt meines Praktikums. Es war eine Veranstaltung, die die Praktikumseinrichtung zusammen mit einer anderen Organisation organisiert hat, eine festivalartige Marketingveranstaltung für finnische darstellende Künste und internationale KuratorInnen. Das Festival dauerte ein Wochenende und fand in einigen großen Theaterhäusern in Helsinki statt. Etwa 70 KuratorInnen und ProduzentInnen aus aller Welt waren in Helsinki eingeladen um ein Wochenende lang finnisches Theater, Tanz und Zirkus anzuschauen und sich mit den KünstlerInnen zu treffen. Die finnischen KünstlerInnen haben ihre Stücke präsentiert, in Form von Pitching, Demos oder vollständigen Aufführungen. Dazu gaben es viele Möglichkeiten für persönliche Gespräche und Kennenlernen, wie Kaffeepausen, Mittagessen, Abendessen, Drinks oder Partys.
Meine Aufgaben während der Veranstaltung waren wieder abwechslungsreich. Vor der Veranstaltung habe ich viel bei organisatorischen Aufgaben geholfen. Ich habe viele Excel-Tabelle und Listen von den Gästen und Aufführungen gemacht um zu klären, welcher Gast an welchen Veranstaltungen teilnimmt und dann die Listen an die KünstlerInnen geschickt. So wussten sie schon im Voraus, welche KuratorInnen ihre Aufführungen anschauen werden. Am Tag vor dem Festival bin ich viel durch die Stadt gefahren und habe mich um verschiedene praktische Sachen gekümmert wie Fahrkarten, Taxigutscheine, Aufführungskarten und Ähnliches. Obwohl ich die Excel-Tabellen und Listen nicht besonders gemocht habe, war ich später froh, dass ich sie gemacht hatte. Während der Veranstaltung, als die internationalen Gäste sich mir vorgestellt haben, wusste ich schon, wo sie herkommen und welches Theaterhaus oder Festival sie repräsentieren.
Während des Festivals habe ich sehr vieles gelernt. Ich hatte selber nicht zu viele oder verantwortungsvolle Aufgaben, sodass ich die Möglichkeit hatte, mir viele Aufführungen anzuschauen und viel mit den internationalen Gästen zu sprechen. Ich habe Neues über verschiede Berufe der darstellenden Künste, über zahlreiche internationale Festivals und Theaterhäuser erfahren und vor allem einen guten Überblick bekommen, was es für verschiedene Künstlergruppen und Produktionen aktuell in Finnland gibt. Ich habe auch gelernt, wie das Kaufen und Verkaufen von Aufführungen funktioniert, wie sowohl KünstlerInnen als auch Festivals sich finanzieren und was man berücksichtigen muss, wenn man einen Vertrag zwischen einer Aufführung und einem Festival macht.

Fazit
Nach dem Praktikum ist meine Vorstellung von meinen zukünftigen Berufsmöglichkeiten viel breiter und klarer. Es war für mich sehr wichtig, einen konkreten Blick in den Alltag des Kunstfeldes zu bekommen und auch meine eigenen Fähigkeiten, Eigenschaften und Interessen im Berufsleben testen zu können. Ich bin jetzt noch sicherer, dass ich mir genau das richtige Studium ausgesucht habe und dass ich Theaterwissenschaft weiter studieren will. Ich bin froh, dass ich bei der Einrichtung mein Praktikum machen durfte. Die Organisation ist in viele sehr interessante und wichtige Projekte involviert und hat eine machtvolle Position in kulturpolitischen Entscheidungen der finnischen Regierung. Ich habe sehr wertvolle Kontakte durch mein Praktikum machen können, die sicher in meiner
späteren Karriere noch wichtig werden. Ich würde die Einrichtung in jedem Fall für andere Studierende als Praktikumsstelle empfehlen. Bei der Organisation arbeiten alle bewusst und aktiv für Gleichheit und gesunde Arbeitsverhältnisse und behandeln PraktikantInnen mit Respekt als gleichwertigen Teil des Teams. Ich würde mich freuen, wenn ich in der Zukunft mit den Leuten arbeiten könnte, die ich während meines Praktikums kennengelernt habe. Ich habe besonders gut eine Mitarbeiterin kennengelernt, die eine Zusammenarbeit mit finnischen und russischen TanzkünstlerInnen produziert und koordiniert und viel im feministischen Aktivismus in Russland involviert ist. Ihre Arbeit hat mich sehr fasziniert und sie hat mir gezeigt, was für eine enorme gesellschaftliche Änderung man mit Kunst schaffen kann, wenn man mutig ist.

Tipps für andere Praktikanten
Vorbereitung
Rechtzeitig anfangen! Es gibt überraschend viele Kleinigkeiten, um die man sich kümmern muss. Am liebsten To-Do-Listen schreiben, sonst verliert man schnell den Überblick über alle Dokumente und Formulare die man ausfüllen muss und andere praktische Sachen die man sowohl an der Uni als auch im Gastland erledigen muss.

Praktikumssuche
Kreativ denken! Ich dachte zuerst, dass ich mein Praktikum in einem Theater machen muss, weil ich Theaterwissenschaft studiere. Es gibt aber sehr viele verschiede Organisationen die interessante Projekte im Bereich darstellende Künste machen.

Wohnungssuche
In Helsinki findet man Wohnungen und Zimmern am besten auf Facebook. Häufig denkt man, dass man die Wohnungssuche früh anfangen muss, aber eigentlich posten Leute in Helsinki ihre Wohnungsanzeigen eher in letzter Minute.

Versicherung
Man soll sich über die verschiedenen Versicherungen schlau machen und eventuell nach einem persönlichen Angebot fragen. Ich habe einen inoffiziellen Studentenpreis bekommen als ich meinen Versicherungsunternehmer angerufen habe.

Formalitäten vor Ort
Telefon-/Internetanschluss
Es gibt eine sehr gute Wi-Fi-Verbindung überall in der Stadt. Prepaid SIM-Karten sind nicht teuer und ganz einfach zu kaufen.

Bank/Kontoeröffnung
Ich komme aus Helsinki und hatte deswegen schon ein finnisches Konto. In Helsinki kann man auch gut mit ausländischen EC-Karten zahlen.

Ausgehmöglichkeiten
Am besten Leute vor Ort kennenlernen und sie nach Tipps fragen!

Bildquelle: Privat

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