Bleibt Genderinklusion im digitalen Raum ein Traum?

Halbblind? Online Plattformen „sehen“ überall nur Teilnehmer, Gastgeber, Benutzer, Kandidaten …

Die Pandemie hat eine Reihe von Entwicklungen ausgelöst; wenn wir auch vorher schon regelmäßig mit Online Plattformen wie Blackboard, FU-Wikis, FU-Blogs und FU-Box gearbeitet haben, so finden Sitzungen zwischenzeitlich fast nur noch per Webex statt; mit der Frage „Sollen wir mal kurz webexen?“ hätte Anfang 2020 wohl kaum jemand was anfangen können, heute stört sich wohl kaum eine*r daran, dass „webexen“ als Wort im Duden nicht existiert (skypen hingegen schon).

Eigentlich könnte ich mir vorstellen, dass es Jahrzehnte nach dem Inkrafttreten des Landesgleichstellungsgesetzes selbstverständlich wäre, genderinklusive Bezeichnungen zu wählen. Statt dessen bin ich es – traurigerweise – gewohnt, bei Webex und Blackboard als Benutzer, Teilnehmer, Gastgeber etc. bezeichnet zu werden – gut finde ich es nicht.

Ehrlich gesagt, finde ich es sogar höchst ärgerlich und respektlos, und ich merke, dass mich das zunehmend nervt, weil allmählich doch wirklich genug Zeit ins Land gegangen ist für Updates; offenbar genug Zeit, um (aus meiner Sicht) total unnötige Hasen und Schildkröten und die Option, unsere persönlichen Bitmojis hochzuladen, zu integrieren, aber nicht genug, um genderinklusive Begriffe zu verwenden?! Interessant fand ich, dass der anfängliche Übersetzungsfehler von „me“ in „mich“ bei der Kennzeichnung der eigenen Person durchaus innerhalb von 6 Monaten zugunsten von „ich“ verschwunden ist (wobei ich mich weiterhin frage, warum es als erforderlich angesehen wird, Nutzer*innen hinter ihrem eigenen Namen darauf hinzuweisen, dass sie gemeint sind …).  Warum werden Begriffe, die mindestens die Hälfte der Teilnehmenden ignorieren, nicht genauso ersetzt?

Ich kann nicht nachvollziehen, wie es sein kann, dass Gendervielfalt in angeblich so „hippen“ Plattformen weiterhin nicht berücksichtigt wird; die Schlussfolgerung, dass das mit Absicht (nicht) geschieht, liegt nahe.

Wie heißt das zweite übergeordnete Gleichstellungsziel des aktuellen Gleichstellungskonzepts der FU noch?
„Eine geschlechtergerechte, respektvolle Organisationskultur, die von Gender-Sensibilität und -Kompetenz geprägt ist“

Vielleicht sollten wir uns weigern, mit Plattformen wie Webex oder Blackboard zu arbeiten, und statt dessen Optionen nutzen, deren Macher*innen die anderen Geschlechter mitdenken! Und wir sollten die Möglichkeit, Feedback zu geben, ausgiebig nutzen!

FrauenFörderPlan – wofür?

Am 16. Dezember 2021 hat unser Fachbereichsrat den Frauenförderplan 2022/23 beschlossen. Eigentlich sollte er dann in der letzten Sitzung des Akademischen Senates am 16. Februar gemeinsam mit den anderen Frauenförderplänen der FU beschlossen werden; das wurde dann auf den 2. März und nun erneut auf Ende April verschoben … Naja, scheint nicht als so dringend eingeschätzt zu werden, so dass sich die Frage aufdrängt: Brauchen wir das eigentlich (oder kann das weg …)?

In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 19./20 Februar 2022 forderte Nele Pollatschek in einem überaus lesenswerten Artikel: „Schafft die Frauen ab“, eine Forderung, die auf der Erkenntnis basiert, dass die Kategorie „Frau“ gar nicht so leicht, wenn nicht sogar unmöglich zu definieren ist. Da hat Pollatschek natürlich recht. Und – frei nach Pollatschek -:

eine gesellschaft,
in der jobs und anderes unabhängig vom geschlecht vergeben werden,
in der schuhe nach schuhgröße und stil und nicht nach geschlecht sortiert werden,
in der schwimmwettbewerbe sortiert nach körpergröße und nicht nach geschlecht ausgetragen werden,
so eine gesellschaft braucht keine frauenförderung

Für eine solche Gesellschaft setzen wir uns ein; aber um tatsächlich sicherzugehen, dass z.B. Stellen unabhängig vom Geschlecht vergeben werden, dafür wollen wir schon noch Zahlen sehen. Und deswegen ist ein Frauenförderplan zwar nicht perfekt, aber immer noch besser als gar keine Zahlen!

Kommen wir daher abschließend auf eine Erkenntnis zu sprechen, die eben nur deswegen möglich ist, weil seit Jahren bestimmte Zahlen regelhaft bereitgestellt werden. Was wir im gesamten Fachbereich sehen, ist etwa, dass der Frauenanteil unter den Studierenden nicht nur anhaltend hoch ist, sondern auch, dass ihr Anteil an den Studienabschlüssen durchgängig höher ist als die Studentinnenquote. Auch der Anteil an den Promotionen war in den letzten Jahren gestiegen. Dennoch – also obwohl Frauen offenbar zu einem höheren Anteil ihr Studium abschließen und in ausreichendem Ausmaß promovieren – stagniert ihr Anteil im wissenschaftlichen Mittelbau auf einem erstaunlich niedrigen Niveau.

Frauenanteile im Fachbereich: Studierende, Absolvent*innen, Promovend*innen, wissenschaftliche Mitarbeitende

Daher: Sobald Frauen unabhängig von ihrem Geschlecht als Wissenschaftlerinnen anerkannt und eingestellt werden, können wir die Kategorie gern abschaffen und nach geeigneteren suchen. Vorher nicht.

Quellen

Pollatschek, Nele (19./20.02.2022). Schafft die Frauen ab. Süddeutsche Zeitung, 41, 15.

Gender-Forschungspreis

Im April 2021 beschloss der Fachbereichsrat, seinen Forschungspreis umzubenennen: Aus dem Marie-Schlei-Preis wurde der Gender-Forschungspreis. Warum?

Frauenförderung an der Universität heißt immer auch Forschung von Frauen und über Frauen sichtbar zu machen. Im Mai 2000 fasste der Fachbereichsrat daher den Beschluss, den Marie-Schlei-Preis auszuloben und damit hervorragende Masterabschlussarbeiten und Dissertationen von Frauen oder zur Genderthematik auszuzeichnen. Dabei wurde auf die Vorbildfunktion von Marie Schlei gesetzt – doch wer war Marie Schlei?

Marie Schlei (*1919) floh nach dem 2. Weltkrieg nach Berlin. Sie setzte gerichtlich durch, auch ohne Abitur eine Ausbildung zur Lehrerin auf dem 2. Bildungsweg machen zu dürfen, und schuf damit einen Präzedenzfall. In der Folge wurde sie dann u.a. Schulleitung im Wedding sowie Schulrätin in Reinickendorf, wo sie sich offenbar nachhaltig für die Schulausbildung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien und dort v.a. auch die Ausbildung von Mädchen eingesetzt hat.

Weiterhin war sie 1976-1978 die erste Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und in dieser Funktion hat sie offenbar Frauenpolitik betrieben und u.a. einen Maßnahmenkatalog für die Förderung der Frauen in den damals sog. Entwicklungsländern durch spezielle Programme in einem Grundsatzpapier in den Blick genommen, in der die zentrale Rolle von Frauen in diesen Entwicklungsprozessen betont wurde. – So weit einerseits die – nachvollziehbare – Begründung der Namensgebung.

Das Andererseits lautet, dass ihr auch eindeutig rassistische Äußerungen zugeschrieben werden (https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40916933.html). Diese Äußerungen werden in einem vorwärts-Artikel als „tatsächlich peinliche verbale Ausrutscher“ bezeichnet (https://www.vorwaerts.de/artikel/marie-schlei-100-geburtstag-unterschaetzte-entwicklungshilfeministerin); von der aktuellen Preisvergabe-Kommission wurden sie jedoch unabhängig von den Verdiensten von Marie Schlei einhellig als völlig inakzeptabel beurteilt – daher der Vorschlag, den Preis umzubenennen.

Die Kommission nutzte die Gelegenheit, auch einen Vorschlag zur Anpassung der Förderkriterien hinzuzufügen. Der Gender-Forschungspreis wird weiterhin in zwei Kategorien vergeben, nämlich
(a) in der Kategorie genderbezogene Gleichstellung, um wissenschaftliche Arbeiten von FINTA* am FB zu fördern, sichtbar zu machen und auszuzeichnen, und
(b) in der Kategorie genderbezogene Forschung, um genderbezogene Forschung am FB zu fördern, sichtbar zu machen und auszuzeichnen.

FINTA* steht für „Frauen, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Menschen“; diese Bezeichnung wurde gewählt, um auch Personen einzubeziehen, denen der binäre Geschlechtsbegriff nicht gerecht wird.

Bis zum 31. Mai 2021 können sich alle Master-Absolvent*innen und Promovend*innen des FB für den diesjährigen Preis bewerben, deren Fachgutachten bis zum 31.12.2020 eingegangen ist! Näheres finden Sie hier.

Code of Conduct (CoC) für die digitale Lehre – nettes Add-on oder doch unverzichtbar?

Der Umstand, dass Studierende aktuell fast ausschließlich online am Unigeschehen teilnehmen, lässt den Blick nicht nur auf gelingende Lehre richten, sondern auch auf Begleitumstände und Folgen. So berichten 86% der befragten Studierenden einer umfassenden Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dass in Zeiten der digitalen Semester der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte zu Mitstudierenden schwieriger geworden sind (Marzuk et al., 2021). Ähnlich wurden fehlende Kontakte im Stimmungsbild 6/2020 unseres Fachbereichs nach dem ersten digitalen Semester in allen Statusgruppen beklagt. Vieles spricht dennoch dafür, dass die Möglichkeiten zum digitalen Austausch nicht nur zum Lernen und Diskutieren genutzt werden, sondern – infolge mangelnder Alternativen – auch zum Kennenlernen unter den Studierenden, v.a. bei den „Erstis“. Und das ist auch gut so. Aber müssen wir nochmal aufschreiben, wie wir uns „benehmen“?

Wie das Einmaleins des respektvollen Umgangs miteinander (auch) zum Werkzeug gegen Diskriminierung und Belästigung wird

Seit Juli 2020 haben wir es schriftlich: Der Code of Conduct der FU benennt nicht nur, dass alle Beteiligten in der digitalen Lehre respektvoll miteinander umgehen. Er konkretisiert das auch mit scheinbaren Banalitäten wie „Wir hören einander aufmerksam zu“ oder „Wir stellen das Mikrofon auf stumm, wenn wir einer Veranstaltung beitreten“ oder mit dem Hinweis, dass keinerlei Äußerungen/Verhaltensweisen geduldet werden, die unangemessene Inhalte verbreiten oder andere diskriminieren. Ja, klar, aber warum Selbstverständliches aufschreiben?

Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb!

Im aktuellen Welt-Mädchenbericht 2020 von Plan International (#FreeToBeOnline) wird v.a. eins deutlich: So doll lieb dann wohl doch nicht. 14.000 Mädchen und junge Frauen wurden in 22 Ländern weltweit zu ihren Erfahrungen in den sozialen Medien befragt; ihre Antworten sind ernüchternd. Jede zweite wurde bereits online belästigt, beschimpft oder bedroht; die Angaben zum Erstalter fangen bei acht Jahren an (Pehlke, 2020).

Auch wenn diese Ergebnisse selbstverständlich nicht 1:1 auf den universitären Alltag übertragen werden können oder sollen, müssen wir damit rechnen, dass auch an der Universität diskriminiert, beleidigt und belästigt wird. Grobes Fehlverhalten ist dabei relativ einfach einzuordnen. Schwieriger ist es, wenn die Grenze zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten nicht so deutlich ist. Sicherlich würde man zu Unrecht von (Cyber-)Stalking sprechen, wenn jemand nach einem unbeantworteten Kontaktversuch nochmal nachfragt (z.B. per Mail oder mittels eines Instant-Messaging-Dienstes). Wenn hingegen eine Beziehung wiederholt eingefordert wird, obwohl die Zielperson deutlich gemacht hat, dass sie den Kontakt nicht wünscht, könnte die Grenze erreicht sein. Zentral ist, dass die Lebensführung der Zielperson schwerwiegend beeinträchtigt wird, wenn sie sich also bedroht und belästigt fühlt. Und um genau so etwas nicht hinzunehmen, um Belästigte verteidigen und schützen zu können, brauchen wir den Code of Conduct!

CoC ist kein Knigge 3.0 – Verstöße können rechtliche Folgen haben!

Der Code of Conduct ist nämlich kein Knigge 3.0, dessen Benimmregeln man nach Lust und Laune befolgen kann (oder auch nicht …). Er ist verbindlich an der FU und wird von der FU-Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt ergänzt. Geklärt ist dabei, was passiert, wenn Personen sich nicht an diese Festlegungen halten. Bei gemeldeten Regelverstößen erfolgt zunächst eine Anhörung aller Betroffenen und es wird versucht, die Situation zu klären. Im nächsten Schritt können dann (in Abhängigkeit von Art und Ausmaß des Vorfalls/der Vorfälle) Konsequenzen gezogen werden, von schriftlicher Aufklärung/Absichtserklärung über Ausschluss von Lehrveranstaltungen und/oder Abmahnung bis hin zur Kündigung/Exmatrikulation und/oder Strafverfolgung.

Was ist zu tun?

Wenn Sie selbst betroffen sind:

  • Überlegen Sie, mit wem Sie darüber sprechen möchten, und kontaktieren Sie diese Person oder Institution. Dieser Kontakt kann auch dann (sehr) sinnvoll sein, wenn Sie sich nicht so ganz sicher sind, was Sie von der Situation halten sollen.
  • In jedem Fall können Sie z.B. die Dozierenden, das Dekanat oder die dezentrale Frauenbeauftragte kontaktieren. Weitere Anlaufstellen an der FU finden Sie hier. Externe Beratungsoptionen finden Sie zudem ganz am Schluss des Beitrags.
  • Die Art der Kontaktaufnahme ist ebenfalls Ihnen überlassen: online, telefonisch oder ggf. per Videokonferenz; dabei kann online- und telefonische Beratung auf Wunsch auch anonym geschehen.
  • Vertraulichkeit und Schweigepflicht sind für Berater:innen selbstverständlich!

Wenn Sie Zeug:in solcher Regelverstöße geworden sind:

  • Schauen Sie hin und werden Sie aktiv!
  • Machen Sie deutlich, dass Sie das inadäquate Verhalten nicht tolerieren.
  • Bieten Sie der betroffenen Person Ihre Unterstützung an.
  • Überlegen Sie (falls sinnvoll), wie Sie sich mit ihr solidarisieren können (unter Berücksichtigung der Wünsche der betroffenen Person).
  • In manchen Fällen – wenn die betroffene Person z.B. gar nicht weiß, dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt werden – kann es auch notwendig sein, den Vorfall zu melden.

Bevor Sie eine private Chat-Gruppe zu Studienzwecken bilden (mit welchem Dienst auch immer):
Prüfen Sie, ob es nicht genauso ein User-Wiki oder ein User-Blog der FU tut, also eine der sog. „inoffiziellen“ Plattformen der FU, die auch von Studierenden genutzt werden können. Dann nämlich kann die FU als Institution bei Bedarf (Regelverletzungen) auch juristisch aktiv werden!


Hilfe und Beratung gibt es hier (eine Auswahl):

  • Bundesweites Hilfetelefon für Frauen, die Gewalt erlebt haben: 0 8000 116 016
  • Externe Chatberatung: https://www.hilfetelefon.de/  (u.a. Beratung in 17 Sprachen und Gebärdensprache)
    (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben)
  • Die Beratungsstelle Stop-Stalking berät (a) Betroffene von Stalking, (b) Menschen, die stalken, sowie (c) Dritte, die beruflich oder als Angehörige mit Stalking zu tun haben: https://www.stop-stalking-berlin.de/de/home/

Quellen

Marczuk, Anna, Multrus, Frank, & Lörz, Markus (2021). Die Studiensituation in der Corona-Pandemie. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lern- und Kontaktsituation von Studierenden. (DZHW Brief 01|2021). Hannover: DZHW. https://doi.org/10.34878/2021.01.dzhw_brief

Pehlke, Viktoria (2020). Jedes zweite Mädchen wird im Internet belästigt. Katapult. [https://katapult-magazin.de/de/artikel/jedes-zweite-maedchen-wird-im-internet-belaestigt]

Plan international (2020). Free to be online? [https://www.plan.de/freedom-online.html]

Gender Planning an der FU?

Was verbindet Schneeräumdienst und Gender Planning? Und was hat das nun mit Gleichstellung an der FU zu tun?

Fangen wir beim Schneeräumdienst an. Er ist eines der ersten Beispiele im Buch von Caroline Criado Perez über den Gender Data Gap, anhand dessen sie verdeutlicht, dass viele Regelungen des öffentlichen Lebens de facto für die Hälfte der Menschen diskriminierend sind. Das lässt sich auch sehr leicht an Berliner Verhältnissen illustrieren: Viele waren im Februar 2021 eher froh, angesichts des gefallenen Schnees im Home-Office zu sein und sich nicht an die Uni begeben zu müssen. Wer es dennoch tat, stellte fest, dass (a) die Straßen für die Autos säuberlich geräumt waren, und zwar als erstes, dass (b) die Gehwege in sehr unterschiedlichem Zustand waren und dass (c) Radwege teilweise gar nicht geräumt wurden, mit der Folge, dass Radfahrende in doppelter Hinsicht gefährdet waren, da sie einerseits „ihre Wege“ nicht sicher benutzen konnten und andererseits von Autofahrenden z.T. gefährlich überholt wurden. Die gesamte Situation war sicherlich keine Absicht, aber auch kein Zufall, denn die BSR verfolgt hier eine Priorisierungsstrategie, die in Deutschland sicherlich nicht einzigartig ist.1

Da nun Männer aber mehr Wege mit dem Auto zurücklegen als Frauen, während Frauen ihre Wege in höherem Maße zu Fuß oder per Rad zurücklegen, z.B. weil sie häufiger die Kinder im Kiez zur Schule oder in die Kita bringen bzw. mit zu Pflegenden spazieren gehen, werden Frauen durch eben diese Prioritätensetzung diskriminiert. Zufußgehende haben darüber hinaus bei Eis und Schnee faktisch ein erhöhtes Unfallrisiko.
Das unterschiedliche Wegenutzungsverhalten von Männern und Frauen wurde bislang möglicherweise auch deswegen nicht berücksichtigt, weil dazu kaum Zahlen vorliegen, trotz regelmäßiger Erhebungen zu diesem Thema (Studie Mobilität in Deutschland); ob das Bundesverkehrsministerium wohl bald „aufwacht“, um hier Abhilfe zu schaffen? Vermutlich sollten wir es als Wähler:innen in diesem Jahr vorsichtshalber mal wecken 🙂.

Die Idee, die Bedürfnisse der Nutzer:innen bei Planungen zu berücksichtigen, führt mich nun zum Gender Planning in der Umgebungsgestaltung an der FU.
Nicht immer hat es Eltern-Kind-Zimmer an der FU gegeben. Diese „Nachbesserung“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass Nutzer:innen sich einen Raum in gewisser Hinsicht aneignen und die Gestaltung zumindest nach ihren Bedürfnissen erfolgt. Dies war allerdings keineswegs selbstverständlich, sondern wurde vielfach von den Frauenbeauftragten initiiert und teilweise sogar mit Frauenfördergeldern finanziert, obschon dem entgegengehalten werden könnte, dass das ja nicht nur Frauen betrifft und eigentlich Frauenklischees bestätigt und bedient. – Stimmt. Und gleichzeitig ist es auch ein Fakt, dass Frauen wesentlich (!) mehr Care-Arbeit übernehmen. Deswegen wissen sie auch (mehrheitlich) besser, was diesbezüglich gebraucht wird, und sollten gefragt werden, wenn es an der FU um Um- und Neugestaltung von Gebäuden und Umgebung geht. Es sollte bei der Nutzungsanalyse und bei der letztendlichen Gestaltung explizit darauf geachtet werden, was Frauen brauchen (die Bedürfnisse der Männer – das zeigt sich immer wieder – werden sowieso berücksichtigt und sind eh Bestandteil der 0815-Lösungen).

Gender Planning in COVID-Zeiten, in denen wir überwiegend im Home-Office sind? Wer sich in letzter Zeit mal ins Büro an der FU begeben hat, fand vermutlich überwiegend leere Gänge vor; Serviceleistungen und Laborabläufe finden unter Berücksichtigung von Hygienekonzepten statt, die v.a. die Abstandsregeln sicherstellen sollen, oft, indem Mitarbeitende alleine arbeiten – durchaus nachvollziehbar. Nicht allen ist allerdings wohl dabei (und raten Sie mal, ob es eher Frauen oder Männer sind …). Und damit sind wir auch hier wieder bei der Gleichstellung angelangt. Denn auch dieser Realität sollten wir uns bei der Beurteilung von Hygienekonzepten stellen und berücksichtigen, dass das Bedürfnis, sich sicher zu fühlen, nicht nur heißen darf, eine Covid-Erkrankung zu verhindern.

Literatur

Criado Perez, Caroline (2020). Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. München: btb.


1 https://www.bsr.de/winter-21924.php: „Oberste Priorität beim BSR-Winterdienst haben Stadtautobahnen, Hauptverkehrsstraßen und Straßen mit öffentlichem Personennahverkehr. Erst wenn diese Straßen abgearbeitet sind, kommen Nebenstraßen an die Reihe. Auch Fußgängerüberwege werden vorrangig bearbeitet.“


Weiterführende Literatur

Kern, Leslie (2021). Feminist city: Wie Frauen die Stadt erleben. Münster: Unrast.

Gender-Vielfalt

Emily Ratajkowski erwartet ein Baby; sie teilte mit, dass sie und ihr Partner auf die Frage nach dem Geschlecht ihres Kindes antworten „that we won’t know the gender until our child is 18 and that they’ll let us know then“ [1]. Diese Nachricht hat es diese Woche in viele Zeitungen geschafft und meinen Morgen jedenfalls erheitert; macht sie doch deutlich, dass es einerseits vielleicht Wichtigeres an einem Menschen gibt und dass es andererseits – nehmen wir die Frage ernst – gar nicht so einfach ist, sie über eine Person sinnvoll zu beantworten, selbst wenn wir die Person gut kennen.

Diese Nachricht hat mich aber auch an ein Projekt von mir erinnert, das ich mit Corona irgendwie erstmal zur Seite gelegt habe. Zu Unrecht, wie ich inzwischen finde. Ich will es nur anders angehen. Angefangen hat es mit der Suche nach einem passenden Bild für dieses Blog zur Gleichstellung.

Aufruf zur Beteiligung an einer „Diversitäts-Galerie“ des Fachbereichs!

Gefunden hatte ich dieses Bild links, das mir persönlich einfach gefällt, das gleichzeitig allerdings eine recht geschlechtsstereotype Darstellung ist und das ich deswegen gerne ergänzen möchte, und zwar mit ähnlich konstruierten Bildern anderer „Paare“ von Angehörigen unseres Fachbereichs. Also z.B. Kollagen aus Bildern von zwei Personen, deren Oberkörper in einer ähnlichen Pose abgebildet wird, und die jeweils hälftig zu einem Bild zusammengesetzt werden. Das ist jedenfalls meine Ausgangsidee.

Es geht mir dabei eben nicht darum, dass ein Geschlecht erkennbar wäre, sondern darum, die Vielfalt an Menschen in unserem Fachbereich zu dokumentieren. Da ich aktuell aus evidenten Gründen nicht herumlaufen kann, um Leute zu fotografieren (so hatte ich das eigentlich vor), möchte ich jetzt vorschlagen, dass Sie sich selbst und/oder weitere Fachbereichsmitglieder ablichten und selber solche „Paare“ zusammenstellen; ich denke, das ist auch in Coronazeiten möglich und könnte sogar Spaß machen. Die Bilder können gern eine Art Remake des Ausgangsbildes sein, natürlich abgesehen von der Kleidung, aber vielleicht finden Sie eine andere Pose viel sinnvoller oder passender (oder genauso gut). Zentral ist, dass Sie (und natürlich die andere Person) sich in dem zugeschickten Bild persönlich wiederfinden.

Bitte schicken Sie Ihre Bilder an uns als dezentrale Frauenbeauftragte.
Geben Sie dabei bitte auch an, ob wir Ihr Bild hier im Blog und/oder auf unserer Webseite als „Diversitäts-Galerie“ veröffentlichen dürfen. Danke 🙂 .

[1]: https://www.vogue.com/article/emily-ratajkowski-pregnant-announcement-digital-cover

Wann ist das Thema Rassismus endlich beendet?

Gibt es Rassismus in Deutschland denn überhaupt noch so wirklich?

Eine Stellungnahme von Leonie Adu-Gyamfi

In den letzten Wochen und Monaten ist die Debatte um Rassismus durch verschiedene Ereignisse, insbesondere auch durch den Tod von George Floyd verstärkt in den Blick der deutschen und internationalen Gesellschaft gerückt, so der Eindruck zumindest, wenn man sich die mediale Berichterstattung der letzten Zeit ansieht.

Der Ist-Zustand der Gesellschaft, in der wir hierzulande tagtäglich unserer Leben gestalten, der Ist-Zustand unserer institutionellen Systeme, der diese Gestaltung maßgeblich beeinflusst, wird von vielen scheinbar „erst jetzt“ oder auch „jetzt mal wieder“, nicht selten auch explizit abwertend „jetzt schon wieder“ als diskriminierend und insbesondere rassistischentlarvt“.

Es ist absolut richtig und wichtig, dass das Thema Rassismus angesprochen wird. Dabei ist es meiner Meinung nach jedoch besonders wichtig, konkret darüber zu sprechen, dass Rassismus hier bei uns im System steckt! Nicht woanders. Nicht nur in den USA, nicht nur bei der Polizei. Rassistische Sozialisierung ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft und lenkt bewusst und unbewusst unser Denken, unsere Sprache und unser Handeln.

Diese Sozialisierung führt dazu, dass Konstrukte über Herkunft und Nationalität, über Zugehörigkeit und Anderssein existieren und immer und immer wieder reproduziert werden. Die daraus resultierenden rassistischen und diskriminierenden Zuschreibungen erschweren und gefährden tagtäglich das Leben vieler Menschen bis auf den Tod.

Sie betreffen konkret das Leben von Menschen, die dem Bild der Dominanzgesellschaft nicht entsprechen. Dieses Bild ist jedoch so stark, dass sich kleine, deutsche Schwarze Mädchen (ja, es gibt sie haufenweise!) wünschen, wie Claudia Schiffer aus der Fernsehwerbung auszusehen, damit ihr Leben leichter wird. Dieses Bild ist so stark, dass Schwarze deutsche Väter ihren Kindern beibringen, wie sie sich bei einer Polizeikontrolle zu verhalten haben, ihnen eintrichtern, dass sie immer mehr geben und immer besser sein müssen als ihre weißen Freund*innen, um die gleiche Anerkennung und die gleichen Bildungschancen zu erlangen. Dieses Bild ist so stark, dass Menschen auf Grund ihrer äußeren Erscheinung bespuckt, beschimpft, geschlagen und getötet werden. Das sind keine Einzelfälle, das sind keine persönlichen Probleme, das ist bittere, alltägliche Realität in Deutschland, das ist ein Zeugnis von tief verwurzeltem Rassismus.

Deshalb ist die Frage, ob Rassismus in Deutschland überhaupt (noch) eine Rolle spielt, in meinen Augen ein Zeugnis der Unwissenheit oder Ignoranz, in jedem Falle jedoch ein Zeugnis der Privilegien der Fragenden. Denn warum und von wem wird diese Frage so laut und oft gestellt, wenn die Antwort darauf doch von so vielen schon so oft mit einem eindeutigen und schmerzhaften JA, verdammte Scheiße beantwortet wurde? Warum dreht sich die Debatte immer noch vorrangig darum, ob und wie genau Rassismus vorliegt, wenn seit Jahren strukturelle Daten und empirische Erkenntnisse über die Situation in Deutschland und zahlreiche Berichte von Betroffenen vorliegen? Warum liegt der Fokus darauf, wie wir diese Debatte führen, und nicht darauf, wie wir diese Debatte lösen? Die viel wichtigere Frage sollte inzwischen doch sein:

Wie können wir Rassismus bekämpfen?

Ich denke, dazu brauchen wir strukturelle, tiefgreifende Veränderungen auf verschiedensten Ebenen, und zwar am besten jetzt. Denn es kann nicht sein, dass Kinder im Zoo Berlin durch die Scheibe ins Affengehege gedrückt werden, weile weiße Erwachsene der Meinung sind, sie gehören dahin. Es kann nicht sein, dass ich mich jedes Mal für meine Herkunft rechtfertigen muss, wenn ich gefragt werde, woher ich komme. Es kann nicht sein, dass man von mir verlangt, mich mit anderem Namen vorzustellen, nur weil mein eigener zu schwierig ist. Das Problem ist nicht der Name, die Herkunft, das Aussehen. Das Problem ist ein anderes und das muss klar erkannt, benannt und bekämpft werden, und zwar vor allem von denen, die eben nicht direkt Betroffen sind, denn wer mit offensichtlichem „Migrationshintergrund“ in Deutschland aufwächst und lebt, weiß schon lange, dass Rassismus in Deutschland existiert und wie er sich anfühlt und wird daran auch regelmäßig erinnert. Die Ob-Frage ist demnach überflüssig und mehr noch: Sie behindert eine progressive Auseinandersetzung mit möglichen Lösungen.

Doch was bedeutet das jetzt? Wie finden wir Lösungen?

Für mich persönlich bedeutet das, dass ich trotz all der Wut, all der Enttäuschung und Fassungslosigkeit, all den Stimmen sowohl in meinem eigenen Kopf als auch in meinem Umfeld, die an der zarten Hoffnung auf systemische Veränderung laut und kritisch zweifeln, mich aktiv zu positionieren, politisch aktiv zu werden und dafür meine zugeschriebenen Positionen zu nutzen.

Da die Welt eben nicht nur schwarz und weiß ist, habe ich in diesem System trotz Schwarzer Haut auch Privilegien, wie z.B. den deutschen Pass oder den Zugang zu einer bedeutenden Hochschule und einem akademischen Umfeld, welche ich im Kampf für eine gerechtere Welt einsetzen kann.

Es reicht nicht, nur zu sagen „ich bin nicht rassistisch“ oder „ich bin für eine gerechtere Welt“. Denn letztendlich bestimmt nicht das, was ich über mich sage, sondern mein Tun und Handeln mein Sein.

Es lässt sich nicht leugnen, wir leben (noch) in einer Gesellschaftsform, die Menschen mit unterschiedlichem Aussehen unterschiedliche Chancen gewährt. Dieses System wird sich nicht von selbst ändern, sondern nur, wenn sich die Menschen, die darin leben, ändern und Veränderungen fordern. Wir müssen subjektiv an das Thema herangehen und von innen heraus die Ketten des Rassismus sprengen. Wenn jede*r, aber insbesondere die, die dem Bild der Dominanzgesellschaft entsprechen, seine*ihre Position inklusive der zugehörigen Privilegien in diesem System nicht nur erkennt, sondern auch nutzt, um sich für rassismuskritisches Sprechen, Denken und Handeln stark zu machen, und laut Gerechtigkeit fordert, dann werden sich zwangsläufig auch die diskriminierenden Strukturen ändern. Und auch wenn nicht alle Menschen in Deutschland persönlich Opfer von Rassismus werden, so betrifft es eben doch alle, die hier leben und sich als Demokrat*innen verstehen, denn Minderheitenrechte sind grundlegend in unserer Demokratie verankert.

Es ist also an der Zeit weiterzudenken und daraus Konsequenzen für das alltägliches Handeln zu ziehen:
A better world is possible!

05.07.2020
Leonie Adu-Gyamfi

Gender Diversität vs. Frauenförderung?

Widerspricht das Ziel der Gender Diversität nicht dem Anliegen der Frauenförderung? Lange Zeit haben wir dafür gekämpft, Frauen in Sprache und Bild sichtbar zu machen. Inzwischen stellt sich vor dem Hintergrund der Vielzahl von Geschlechtsidentitäten die Frage, ob es nicht eher darum gehen sollte, das Geschlecht nicht zu erwähnen, also quasi unsichtbar zu machen, um Gleichstellung umzusetzen. Nicht allen reicht der „Umweg“ über ein drittes Geschlecht. Wie können wir dann Frauen fördern? Ist das überhaupt noch ein zeitgemäßes Ziel?

Zunächst lässt sich festhalten, dass wir als Gesellschaft trotz entsprechender Bemühungen – seit Jahrzehnten! – der Gleichstellung der Frauen schon etwas näher gekommen sind, das Ziel aber nach wie vor noch lange nicht erreicht haben; Frauen werden weiterhin in vielen Bereich benachteiligt. Frauenförderung bleibt demzufolge weiterhin ein wichtiges Ziel – bis wir die Gleichstellung von Frauen erreicht haben. Dies ist ein weiterhin wichtiges Teilziel der Gleichstellung aller Geschlechter. Beibt die Frage nach der gendergerechten und -sensiblen Sprache.

Zunächst mal lässt sich zeigen, dass sich die gewählte Art des Sichtbarmachens von Geschlechtern sehr wohl darauf auswirkt, was Lesende und Hörende sich vorstellen (hierzu etwa Heise, 2000; Stahlberg & Sczesny, 2001):

  • Die Studenten/Studierende. Generische Maskulina  und neutrale Begriffe  werden mehrheitlich mit Männern assoziiert.
  • Studentinnen und Studenten. Beim Splitten werden Frauen und Männer etwa zu je 50% assoziiert. Menschen, die sich beiden Gruppen nicht zugehörig fühlen, werden ignoriert.
  • StudentInnen. Beim großen I werden Frauen zu mehr als 50% mitgedacht.
  • Student_innen/Student*innen. Hier wird an Frauen, Diverse und Männer gedacht.

Dann ist doch alles klar, könnten wir denken. Dem ist aber wohl nicht so. Weder die als Gendergap bezeichnete Schreibweise mit Unterstrich noch das sog. Gendersternchen sind unumstritten. Und obwohl der Rat für deutsche Rechtschreibung das Anliegen einer geschlechtergerechten Sprache ausdrücklich anerkennt, mochte er sich noch keiner Schreibweise anschließen, sondern will abwarten, welche Schreibweise sich letztendlich durchsetzt (PM 2018). Dies hat konkrete Konsequenzen für Texte, die etwa die Freie Universität veröffentlicht. In Studien- und Prüfungsordnungen der FU werden neutrale Begriffe wie Studierende verwendet, aber da, wo das schwierig ist, wird auf das Splitting zurückgegriffen (z.B. Absolventinnen und Absolventen), was einen Teil der Studierendenschaft nicht berücksichtigt und damit eine Diskriminierung durch Ignorieren darstellt (auch wenn das nicht die Absicht ist).

Aktuell wird die überarbeitete Studien- und Prüfungsordnung des neuen polyvalenten Bachelorstudiengangs in der Psychologie diskutiert (wegen des neuen Gesetzes zur Ausbildung in psychologischer Psychotherapie). Ob es hier gelingt, sich insgesamt auf geschlechterneutrale Formulierungen zu einigen und damit Vorbildfunktion zu übernehmen, wissen wir am 16. Juli 2020.

Literatur

Heise, Elke (2000). Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. Sprache und Kognition — Zeitschrift für Sprach- und Kognitionspsychologie und ihre Grenzgebiete, 19(1/2), 3 – 13.

Stahlberg, Dagmar & Sczesny, Sabine (2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. Psychologische Rundschau, 52(3), 131 – 140.

„Ist alles so schön bunt hier!“?*

*Aus dem Nina Hagen Song „TV-Glotzer“

Der Begriff „Diversity“, deutsch Diversität, ist den Naturwissenschaften entlehnt und bezeichnet dort biologische Artenvielfalt. Auf Gesellschaft bezogen findet der Begriff seit einiger Zeit vor allem in Verbindung mit einem positiven Verständnis von gesellschaftlicher Vielfalt Verwendung. Mit dem Begriff Diversity rückt Vielfalt in ein positives Licht. Doch allein der ressourcenorientierte Blick auf Vielfalt genügt nicht, um Diskriminierung und Ungleichheit zu beenden.

Als „Travelling Concept“ (Walgenbach 2016) hat der Begriff im Laufe der Zeit je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen angenommen. Die Entstehung des gesellschaftswissenschaftlichen Diversity-Konzepts wird historisch auf die Proteste US-amerikanischer Bürgerrechtsbewegungen gegen Rassismus und Diskriminierung zurückgeführt, welche schließlich dazu führten, dass die Gleichstellung bislang diskriminierter gesellschaftlicher Gruppen in Unternehmen gesetzlich verankert wurde. In Verbindung mit drohendem lokalen Fachkräftemangel und der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft und Arbeitswelt erkannten Unternehmen jedoch schnell in der staatlich verordneten Diversity-Orientierung auch eine wirtschaftliche Ressource. Diversity-Management hat seitdem Konjunktur. Die Charta der Vielfalt, eine von deutschen Arbeitgeber*innen initiierte Selbstverpflichtung, wurde von mehreren tausend Unternehmen unterzeichnet.

Diversity im Sinne einer ressourcenorientierten Sichtweise auf Vielfalt hat sich zum normativen Leitbegriff entwickelt. Wenngleich der Blickwechsel in Richtung Ressourcenorientierung zunächst begrüßenswert scheinen mag, ist die Fokussierung auf humankapitalistische Verwertbarkeit in der Wirtschaft aus emanzipatorischer Sicht zugleich kritisch zu sehen. Parallel zu Entwicklungen in der Wirtschaft haben diverse transnationale, europäische und nationale Gesetze zu einer rechtlichen Verankerung des Abbaus von Diskriminierungen geführt. Ziel etwa des 2006 verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AAG) ist es, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ (AGG § 1).

Aus machtkritischer Perspektive ist die Benennung von derartigen Kategorien jedoch nicht unproblematisch, da dadurch eine quasi naturgegebene, zumindest aber statische Gegebenheit von Merkmalen suggeriert wird. Dabei, so die Kritik, wird verkannt, dass derartige Kategorien gesellschaftlich konstruiert und Diskriminierungen nicht auf Grund natürlich gegebener Merkmale einer Person oder Gruppe, sondern vielmehr erst durch die Konstruktion bestimmter Kategorien und damit verbundener Praktiken zustande kommen. Am Beispiel des im AGG und auch im Grundgesetz genannten Begriffs „Rasse“ lässt sich dies anschaulich verdeutlichen.  Rassismus – im engeren Sinne – wird erst durch das Konstrukt der „Rasse“ möglich. Aus emanzipatorischer Sicht gilt es daher vielmehr darum, zu fragen, inwieweit derartige Zuschreibungen und Essentialisierungen ungeachtet der Intention zu Strukturen und Praktiken der Diskriminierung beitragen.

Dem auch in pädagogischen Ansätzen verbreiteten Diversity-Credo „alle sind anders“ – wobei die Wertschätzung der jeweiligen Andersartigkeit als Lösung des Problems gesehen wird –  halten Kritiker*innen schließlich entgegen, dass damit eine Gleichheit suggeriert wird und dabei bestehende Ungleichheiten verschleiert werden, die weiterhin wirksam sind. Denn Anerkennung der Andersartigkeit ist nicht gleichzusetzen mit Chancengleichheit und dem Abbau von Barrieren. Vielmehr steigt durch die zugeschriebene oder reale Mehrfachzugehörigkeit zu gewissen gesellschaftlichen Gruppen die Gefahr der Benachteiligung und Diskriminierung exponentiell. Auf unser Feld bezogen: Auch wenn die Zuordnung zum weiblichen Geschlecht allgemein mit Diskriminierungen einhergehen mag, sind nicht alle, die als Frauen bezeichnet werden, in gleichem Maße benachteiligt. (In Abgrenzung zu affirmativen Diversity-Ansätzen wird übrigens für kritischere Perspektiven häufig die deutsche Übersetzung des Begriffs verwendet: „Diversität“.)

Auch die Freie Universität verpflichtet sich in ihrem Mission Statement Diversity dem Ziel, „einer barriere- und diskriminierungsfreien Lehr-, Lern- und Arbeitsumgebung sowie einer wertschätzenden Zusammenarbeit aller Statusgruppen […] um selbstkritisch Ausgrenzungsmechanismen zu erkennen, abzubauen und Integrationsmöglichkeiten zu schaffen.“[1]

In diesem Sinne sind auch im neuen Frauenförderplan des Fachbereichs entsprechend Gender- und Diversitätssensibilität in Sprache, Lehre und der Organisationskultur im Allgemeinen als Ziele verankert.

In Zeiten von Corona fragen wir uns konkret, wie sich die damit verbundenen Maßnahmen und Umstände auf Studierende und Mitarbeiter*innen am Fachbereich auswirken und – im Sinne von Diversität – welche Gruppen in besonderem Maße betroffen sind und welche Formen der Unterstützung hilfreich sind, um Benachteiligungen entgegenzuwirken. Hierzu laden wir Sie / Euch ein, eure Gedanken in unserem Blog zu teilen, zum Beispiel hierunter als Kommentare!

 

Walgenbach, K. (2017): Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft. 2., durchges. Aufl. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich, S. 92.

Zum Weiterlesen

https://www.genderdiversitylehre.fu-berlin.de/toolbox/Ressourcen/literatur/index.html

[1] https://www.fu-berlin.de/universitaet/profil/gesellschaft/diversity/index.html