Nederlands

Beobachtungen zur niederländischen Sprache

Angela Merkel schpreekt Nederlands

Corona hat europaweit, weltweit in der Kulturbranche große Verluste hinterlassen: abgesagte Konzerte, leere Theatersäle, keine Auftritte für unabhängige Kulturschaffende. Aus den Niederlanden schaut man aufmerksam nach Deutschland, wie der Sektor unterstützt wird. Sicher ist auch hierzulande nicht alles Gold was glänzt, aber eines ist bekannt: Die niederländische Regierung hat wenig Sinn für Dinge, die zwar dem menschlichen Geist nützen, aber weniger dem Portemonnaie. Das gilt im Bereich von Bildung und Forschung ebenso wie in der Kultur.

Also tun sich bekannte Persönlichkeiten zusammen, um auf das Problem aufmerksam zu machen, etwa in der Initiative #cultuurinactie. Die zuständige Ministerin Ingrid van Engelshoven musste sich – offensichtlich wenig amüsiert – vor laufender Kamera anschauen, wie ihr eine Angela Merkel als besseres Vorbild vorgeführt wurde. Hinter der Topffrisur und dem Blazer steckt die Kabarettistin Sanne Wallis de Vries, die eine fast perfekt niederländischsprachige Kanzlerin spielt.

Fast perfekt – denn diese Angela Merkel spricht zwar fließend und in der Grammatik äußerst fehlerfrei, beinahe unglaubwürdig idiomatisch für eine deutsche Muttersprachlerin. (Vielleicht ein Lernvorsprung, falls sie aus der Kindheit noch etwas Uckermärkisches Platt mitbekommen hat?) Aber im Wortschatz passieren hier und da ein paar perfekt ausgewählte, typische Schnitzer und man hört natürlich einen deutschen Akzent, der an einigen Stellen erstaunlich gut getroffen ist.

Passend verrutscht ist etwa der ui-Diphthong [œy], der bei ihr zum [oj] wird – für deutschsprachige Zungen in der Tat eine ernste Herausforderung. Überall dort, wo Deutsch und Niederländisch sehr nah beisammen liegen, platziert sie geschickt ‚versehentlich‘ die deutsche Variante, sei es Kultur statt cultuur oder eigentlich statt eigenlijk. Ihr rutscht zuerst ein kop heraus, den sie flugs zu hoofd ‚korrigiert‘. Alles kleine Unsicherheiten, die beim spontanen Sprechen schnell passieren, und zwar in beiden Richtungen zwischen den Sprachen.

Dass man oft das Gooise R hört, muss an sich auch nicht unauthentisch sein, denn viele Lernende mit Deutsch als Erstsprache übernehmen das mit Selbstverständlichkeit. Ob Angela Merkel, hätte sie Niederländisch gelernt, tatsächlich eine Tendenz zum Poldernederlands hätte?

Nicht ganz glaubwürdig ist der Anlaut mit [ʃt] und [ʃp], wo Niederländisch [st] und [sp] hat, beispielsweise wenn steun zu stöhn wird. Das bereitet beim Spracherwerb im Grunde selten Probleme. Wenn bei fantastisch oder misschien die Schreibweise mit <sch> vielleicht doch einmal Verwirrung stiftet und ein [ʃ] dabei herauskommt, kann man sich das wiederum zumindest vorstellen.

Sehr konsequent hält die polyglotte Frau Merkel an den Endungen auf –en fest, die ja aus niederländischer Sicht für das Deutsche geradezu emblematisch sind (und wiederum im Deutschen mit niederländischem Akzent manchmal unter die Räder komme.) So gesehen ist die Aussage ik heb me ingelezen mit vollem –en und natürlich auch mit [g] nicht nur gut parodiert, sondern möglicherweise auch für die Vorbereitung auf den Auftritt als Angela Merkel durchaus zutreffend.
Ob die Ministerin ein Einsehen hat und nach der Vorstellung etwas mehr Leidenschaft zumindest für die sprachaffinen Künste und Wissenschaften aufbringt, muss sich erst noch zeigen.

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Der Beitrag wurde am Mittwoch, den 10. Juni 2020 um 10:22 Uhr von Philipp Krämer veröffentlicht und wurde unter Aussprache, Niederlande, Sprachvergleich abgelegt. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare und Pings sind derzeit nicht erlaubt.

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