Ein Beitrag von Desiree B.
In der Deutschstunde einer 4. Klasse der Grundschule XY kommt es bei der Besprechung und Wiederholung, der in der Stunde zuvor erarbeiteten Grammatikregeln, zu folgender Situation. Ein Mädchen (Sandrine, Name geändert) meldet sich um der Lehrerin mitzuteilen, dass sie einen Teil der Grammatikregeln noch nicht in ihrem Hefter hat, weil sie in der letzten Stunde krank – also nicht da – war. Die Lehrerin Frau Z. reagiert zunächst verärgert und fragt die Sandrine, ob sie denn nicht wisse, was sie im Falle einer Abwesenheit zu tun hätte. Sandrine ist zunächst verunsichert, gibt aber schließlich zögerlich wider, dass sie ihre “Anrufpartnerin” Pia (Name geändert), wie vorgesehen, angerufen habe.
In dieser Schule gibt es in jeder Klasse eine “Anrufpartner”-Liste. Auf dieser Liste stehen für jede/n SuS jeweils zwei andere SuS, die angerufen werden sollen, wenn die Teilnahme am Unterricht nicht möglich war. So sollen sich die SuS selbst austauschen und dafür sorgen, dass alle Informationen weitergegeben werden.
Frau Z. wendet sich nun Pia zu und fragt diese, was sie denn Sandrine am Telefon gesagt hätte. Pia beschreibt, dass sie versucht hat, Sandrine die Inhalte des Unterrichts zu erklären, dass es aber keine Hausaufgaben gegeben hat und sie deshalb nicht viel zu berichten hatte. Die Lehrerin scheint über die Weitergabe der Information nicht glücklich und wundert sich, weshalb Pia nicht exakt wiedergegeben hat, was in der Stunde gemacht wurde. Pia erwidert, dass der Hefter im Klassenzimmer war und sie deshalb nicht genau wusste, was sie Sandrine hätte mitteilen sollen. Hier merkt die Lehrerin, dass es scheinbar noch Klärungsbedarf für die Vorgehensweise bei Krankheitsfällen gibt. Sie erklärt noch einmal die Anruferliste und ermutigt alle SuS darauf zu achten, ob jemand nicht da ist und dann selbstständig dafür zu sorgen, dass man wirklich alle Informationen weitergeben kann. Die SuS seien selbst dafür verantwortlich den Hefter in diesem Fall mit nach Hause zu nehmen. Zusätzlich erklärt Frau Z., dass, wenn die SuS ein Handy haben (welches generell immer ausgeschaltet im Ranzen verstaut sein sollte), sie dieses in diesem Falle ausnahmsweise herausnehmen und ein Foto machen dürfen.
Meine Einsichten
Die Lehrerin hat die Situation meiner Meinung nach gut gelöst. Als sie merkte, dass man hier keine Schülerin wirklich für die fehlenden Informationen verantwortlich machen kann, erklärte sie noch einmal klar und verständlich die genaue Vorgehensweise nach einer verpassten Unterrichtsstunde für alle. Sie bietet zwei verschiedene Lösungswege an (entweder den Hefter mit nach Hause nehmen und alle Informationen am Telefon vorlesen oder ein Foto mit dem Handy machen und abschicken) und appelliert an die Selbstverantwortlichkeit der SuS, aber auch an die Verantwortung, die die SuS gegenüber ihren KlassenkameradInnen haben.
Meine Folgerungen
Ich finde es wichtig den Kindern auch schon in der Grundschule etwas zuzutrauen. Die SuS merken bei Frau Z., dass jede Unterrichtsstunde wichtig ist und dass die Lehrerin großen Wert auf die Inhalte ihrer Unterrichtsstunden legt. Dadurch, dass die Lehrerin jede Stunde und jeden erarbeiteten Inhalt ernst nimmt, überträgt sich diese Einstellung auch auf die SuS. Generell herrscht in dieser Klasse ein gutes und ruhiges Arbeitsklima. Wenn alle Kinder immer gut vorbereitet in den Unterricht kommen, bleibt in jeder Stunde mehr Zeit für neuen Wissenserwerb. Das Handlungsprogramm wird nicht durch unnötige Wiederholungszeiten gestört. Teilweise reagiert die Lehrerin meiner Meinung nach ein wenig zu ernst bzw. zu streng in manchen Situationen und ich frage mich, ob das Arbeitsbündnis dadurch etwas unpersönlich wird. Vielleicht haben zurückhaltendere SuS bei dieser Lehrerin manchmal Bedenken, Fragen zu stellen.
Meine Anschlussfragen
- Wie kann man als LehrerIn ein gutes und lockeres Verhältnis zu den SuS haben, aber dennoch als Autoritätsperson ernst genommen werden?
- Wie kann man als LehrerIn vermeiden, die SuS durch Strenge zu sehr einzuschüchtern?
- Wie erklärt man GrundschülerInnen nachvollziehbar, dass man nicht von ihnen als Person enttäuscht ist, sondern über ihr Verhalten oder ihre Leistungen nicht erfreut ist?