Open Access zur Norm machen? Ein kontroverser Austausch in den Technik- und Ingenieurwissenschaften

Von Carsten Elsner, Matthias Fuchs, Linda Martin, Eric Retzlaff, Sebastian Schaarschmidt, Katja Wermbter

Am 3. Mai luden die Fachinformationsdienste Move und BAUdigital, das Fraunhofer IRB und open-access.network gemeinsam Forschende und OA-Professionals aus den Technik- und Ingenieurwissenschaften ein, um über den Stand von Open Access in ihren Fachdisziplinen  ins Gespräch zu kommen. Der Online-Workshop bot Wissenschaftler*innen und Infrastrukturanbietenden Raum, sich über Chancen und Herausforderungen des Publizierens in Open Access auszutauschen.

Was verknüpfen Sie mit Open Access? – Die Diskutant*innen Dr. Antje Witting (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung), Prof. Dr. Constantinos Antoniou (TU München) und Dipl.-Ing. Martin Scheidt (TU Braunschweig) traten am Vormittag in eine Diskussion über Erfahrungen, Reputationsmechanismen, Qualitätskriterien und die eigene Rolle innerhalb des Systems der wissenschaftlichen Kommunikation. Indem sie auf einem virtuellen Stuhl Platz nahmen, konnten sich die Teilnehmenden mit Impulsen als Diskutant*innen selbst aktiv in die Gespräche einbringen.

Top down oder bottom up? – Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates und die Anforderung der Europäischen Union zur sofortigen Open-Access-Stellung von Publikationen im Rahmen des Förderprogramms Horizon Europe stießen auf geteilte Meinungen. Wo Open Access gefordert werde, müsse eine Ausstattung mit finanziellen Mitteln gegeben sein, so eine Stimme. Jedoch wurden Richtlinien und Handlungsempfehlungen, die auf mehr Open-Access-Publikationen zielen, seitens wissenschaftlicher Organisationen und Forschungsfördernden prinzipiell begrüßt. Martin Scheidt führte die Diskussion auf die Rolle jedes*r einzelnen Autor*in zurück: „Die Frage ist für mich eher, ob sich die Partizipation am „Wissen“ verändern wird. […] Ich versuche meine Echokammer mit guter wissenschaftlicher Praxis aufzubrechen.“ (Anm. d. Red.: Eine hervorgehobene Stellung nimmt Open Access mit Blick auf die Leitlinie 13 des Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ ein.)

Open Access, Wissenschaft und Reputation – Wo der Weg in eine Karriere stetig über Einbindung des Impact Factors führe, „bietet die San Francisco Declaration on Research Assessment die Möglichkeit Zwänge des Reputationssystems aufzubrechen“, so Constantinos Antoniou und weiter: „[…] wichtig sei, die unterschiedlichen Wege des Publizierens der verschiedenen Karrierestufen sowie der einzelnen Disziplinen zu berücksichtigen.“
Einigkeit herrschte darüber, dass der Weg der Qualitätssicherung über Review-Verfahren führe. Darüber hinaus betonte Antje Witting: „Forschung ist einsam und der Austausch, der darin eigentlich angelegt ist, findet zu wenig statt und geht im jetzigen Review-Prozess verloren.“ Open Peer Review, als ein Verfahren der Qualitätssicherung bei Open-Access-Angeboten, könne hierbei eine Lösung darstellen.

Open Access ist wichtig für die eigene Forschung – der freie Zugang zu wissenschaftlicher Information komme den Wissenschaftler*innen bei ihrer eigenen Forschung zugute. Aber auch die Industriepartner*innen können davon profitieren und begännen zunehmend in den Diskurs um Open Access und Open Data einzusteigen –  ein Open-Innovation-Prozesse könne hier förderlich sein, um Informationslücken zu schließen. 

Anschließend an die Diskussion luden Gruppenarbeitsräume die Teilnehmenden ein, sich über Publikationsformate für die Community, das zielgruppengerechte Publizieren und die Ideen hinter konventionellen Publikationsformaten auszutauschen.
Wichtige Take-Aways der Sessions waren:

  • Review-Verfahren stellen eine Form der Qualitätssicherung und eine Zusatzaufgabe, die von Wissenschaftler*innen erbracht wird, dar. Diese haben, neben klassischen Gutachter*innen-Verfahren, hohe Relevanz für die eigene Forschung. Bibliotheken können eine vermittelnde Funktion einnehmen und Reviewer*in und Wissenschaftler*in zusammenbringen. Eine Umleitung der Geldströme von einer Finanzierung von APC-Kosten hin zum Ausbau interner Strukturen kann hierbei einen möglichen Weg darstellen.
  • Community-basierte Anpassungen des Publikationswesen stellen nachhaltige Veränderungen dar: Neue Publikationsformate müssen in der Hand der Wissenschaftler*innen liegen. Diese erkennen die Herausforderungen, die verschiedene Formate (Text, Code, Data usw.) innerhalb der eigenen Disziplin mit sich bringen. In der Community gibt es eine grundsätzliche Offenheit, sich selbst an neuen Publikationsformaten zu beteiligen.
  • Open Access ist immer eine gute Option um die Sichtbarkeit der eigenen Forschung zu erhöhen. Sollten Kosten des Publizierens einen sofortigen freien Zugang erschweren, ist eine Zweitveröffentlichung der Texte auf einem institutionellen oder disziplinspezifischen Repositorium lohnenswert, da die Auffindbarkeit der eigenen Forschungsergebnisse dort langfristig gesichert ist. Die Auswahl eines Publikationsortes stützt sich zumeist auf die Empfehlung von Kolleg*innen.
  • Die häufig antagonistisch dargestellte Stellung zwischen Top-Down-Ansatz und Wissenschaftsfreiheit kann durch einen aktiven Diskurs und die Einbindung von Fachgesellschaften, Prüfungskommissionen, Fördernden u.a. aufgebrochen werden. Um eine Diskussion anzuregen, werden Good-Practice-Beispiele und Incentivierungen (bspw. in Form von Lektoraten) als notwendig angesehen.

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