Open-Access-Transformation zwischen „Durchbruch“ und „moving target“

Bericht vom Open4DE-Stakeholder-Workshop mit den Wissenschaftsorganisationen

Das Projekt Open4DE: Stand und Perspektiven einer Open-Access-Strategie für Deutschland erhebt auf der Grundlage einer qualitativen Auswertung von Policy-Dokumenten den Umsetzungsstand von Open Access in Deutschland. Im zweiten Schritt entwickelt Open4DE im Dialog mit den wichtigsten Stakeholdern von Open Access in Deutschland Empfehlungen für eine bundesweite Open Access-Strategie. Dazu hatte das Projekt Workshops mit dem Scholarled-Network, Vertreter*innen von Fachgesellschaften sowie mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Bundesländern organisiert.

Die Online-Veranstaltung am 7. September war der vierte und letzte Stakeholder-Workshop des Projektes Open4DE. Eingeladen waren Vertreter*innen der wichtigsten Wissenschaftsorganisationen in Deutschland: die zentralen Forschungsorganisationen – Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und das Forum 13+ sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD). Außerdem waren Vertreter*innen des BMBF, der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) und des Wissenschaftsrates anwesend.

Die großen Forschungsorganisationen waren von Anfang an zentrale Akteure und Treiber der Open-Access-Bewegung in Deutschland. Es war die Max-Planck-Gesellschaft, die 2003 die Berliner Konferenz organisierte, auf der die Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen verabschiedet wurde; die deutschen Wissenschaftsorganisationen zählten zu den Erstunterzeichnenden.

Alle großen Wissenschaftsorganisationen haben bereits früh eigene Ziele für den organisationsinternen Umgang mit Open Access verabschiedet (vgl. Fraunhofer-Gesellschaft 2015, Helmholtz-Gemeinschaft 2016 mit Erweiterung zur Open Science Policy 2020, Leibniz-Gemeinschaft 2020, Max-Planck-Gesellschaft o.J.) Darüber hinaus sind sie wissenschaftspolitisch zentrale Akteure der Open-Access-Transformation in Deutschland: Seit 2008 bearbeiten sie in der Schwerpunktinitiative Digitale Information der Allianz der Wissenschaftsorganisationen Fragen rund um die Digitalisierung von Wissenschaft, Open Access und Open Science. Aus dieser Zusammenarbeit gingen auch die strategischen Initiativen Nationaler Open Access-Kontaktpunkt 2020 (bis 2021) und das Projekt DEAL hervor, in dessen Rahmen deutschlandweit geltende Transformationsverträge mit den führenden Wissenschaftsverlagen Springer, Wiley und Elsevier verhandelt werden.

Was ist das Ziel der Open-Access-Transformation und reichen die aktuell ergriffenen Maßnahmen aus, um dieses Ziel zu erreichen? Dies wurde im Workshop mit den Wissenschaftsorganisationen diskutiert.

Vielfalt an Strategien – wenig Koordination

Zum Auftakt des Workshops skizzierte Wolfram Horstmann, Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, in seinem Grußwort die Ausgangslage der Diskussion: In Deutschland gäbe es eher ein Zuviel verschiedener strategischer Ansätze statt eines Mangels an Strategien. So bestünden bereits zahlreiche Foren der Zusammenarbeit, wie z.B. im Projekt DEAL, sowie die etablierten Kanäle der Bund-Länder-Abstimmung.

Andere Aspekte von Open Access, wie Diamond oder Green Open Access, blieben dabei jedoch strategisch wenig bearbeitet und es bestehe, so Horstmann weiter, ein deutliches Delta zwischen den Entwicklungen im Bereich Gold Open Access und anderen Open-Access-Formaten.

Die Anfang 2022 vom Wissenschaftsrat vorgelegten Empfehlungen seien bislang nicht in weitergehende strategische Maßnahmen überführt worden. Dasselbe gelte für die Open-Access-Strategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (2018). Insofern fehle es bislang an Abstimmung zwischen den Allianzorganisationen, dem Bundesministerium sowie weiteren Stakeholdern. Diese unterschiedlichen Initiativen sollten in der gemeinsamen Diskussion aufgenommen und zusammengeführt werden.

Das Projekt Open4DE stellte im Anschluss ausgehend von den Forschungsergebnissen im Projekt zentrale Handlungsfelder für Open Access in Deutschland vor. Im Rekurs auf die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern wurden dabei die Vorteile eines koordinierten Vorgehens im Rahmen einer nationalen Open-Access- bzw. Open-Science-Strategie aufgezeigt. Könnte die Wissenschaft in Deutschland von einem ähnlich koordinierten Vorgehen profitieren?

Zentrale Handlungsfelder leiten sich aus den Leitlinien der Allianzinitiative (2017), den Empfehlungen des Wissenschaftsrats (2022) und der DFG-Stellungnahme zur Reform der Wissenschaftsbewertung (2022) ab: neben der Finanzierung von Open Access und der damit verbundenen Empfehlung zur Einrichtung institutioneller Informationsbudgets sind diese der Auf- und Ausbau offener Infrastrukturen, die weitere Öffnung der Wissenschaft hin zu Open Science und die Reform der wissenschaftlichen Evaluation.

DEAL und Transformationsverträge

In der weiteren Diskussion zeichnete sich schnell ab, dass für viele der vertretenen Wissenschaftsorganisationen die DEAL-Verhandlungen der zentrale strategische Ansatz sind, der auch einen Großteil der vorhandenen Kapazitäten bindet. Außerhalb von DEAL werden im Rahmen des Forum 13+ Transformationsverträge mit mittelständischen Verlagen verhandelt und abgeschlossen.

Transformationsverträge sind aber strategisches Mittel und kein Selbstzweck. Damit das Instrument Transformationsvertrag hält, was es verspricht, muss sichergestellt werden, dass die Wissenschaftsverlage ihre Zeitschriften im Rahmen dieser Verträge auf Open Access umstellen. Wenn dieses Ziel nicht erreicht wird, muss die Effizienz des Mittels überdacht werden. Dies gilt auch für die DEAL-Verträge. Rainer Lange vom Wissenschaftsrat wies in diesem Zusammenhang drauf hin, dass das Ziel sein müsse, dass die Transformationsverträge zum Flipping des gesamten Systems beitragen. Wenn dieses Ziel nicht erreicht würde, müsse man auch die Strategie überprüfen.

Jenseits der Transformationsverträge: Was ist das gemeinsame Ziel der Open-Access-Transformation?

In der Diskussion wurde aber auch darauf hingewiesen, Open Access nicht auf das Verhandeln von Transformationsverträgen zu verengen. Denn nach wie vor gäbe es eine große Lücke zwischen den Anforderungen unterschiedlicher Publikationsformate und Disziplinen und den bislang für Wissenschaftler*innen in Deutschland bestehenden Möglichkeiten, im Open Access zu veröffentlichen. Wenn es weiterhin darum gehe, dass sich Open Access möglichst flächendeckend durchsetzt ­– Zielmarke: 100% Open Access – dann sei es erforderlich, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Dies gelte sowohl für den Bereich der Monographien wie auch für diejenigen Zeitschriften, die jenseits des APC-Modells im Open Access erscheinen.

Um überhaupt die aufgewendeten Ressourcen für Open Access einzuschätzen und mittelfristig planen zu können, fordert der Wissenschaftsrat Hochschulen und Forschungseinrichtungen dazu auf, Informationsbudgets einzurichten. Für die großen Forschungseinrichtungen – MPG, und Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft – ist dies unterschiedlich schwer oder leicht zu bewerkstelligen, je nachdem ob das die institutionelle Finanzierung von Open-Access-Publikationen wie beispielsweise bei der Fraunhofer-Gesellschaft zentral organisiert ist oder, wie in der Leibniz-Gemeinschaft, dezentral von 97 sehr heterogenen Instituten und unter unterschiedlichen Voraussetzungen durchgeführt wird.

Sowohl für Zeitschriften als auch für Monographien sind Fragen des Dienstleistungsumfangs, der Finanzierung und des Publikationsortes voneinander zu trennen. Zu klären wären so insbesondere für Open-Access-Monographien Qualitätsstandards, die garantieren, dass das Potential des digitalen Publizierens ausgeschöpft werden kann.

Als Alternative zu APC/BPC-basiertem Open Access ermöglichen konsortiale Modelle auch Finanzierungen in Kooperation mit kleinen und mittelständischen Verlagen (vgl. Benz und Schulz 2022). Wissenschaftsgeführte Zeitschriften erscheinen teilweise auch ohne Verlag auf institutionellen Servern. Hier wäre eine Professionalisierung und Bündelung des bestehenden Angebots denkbar.

Open Access weiter denken

Deutlich wurde, dass die Aushandlung und Umsetzung der Open Access-Finanzierung wenig Raum lässt, Open Access jenseits der Finanzierungsfragen strategisch weiterzudenken. Dies betrifft sowohl die Einbettung von Open Access in Open Science als auch die Gestaltung und Bereitstellung offener und wissenschaftsgeleiteter Infrastrukturen oder die weitere Entwicklung der Forschungsevaluation. Diese unterschiedlichen Zukunftsfragen werden in vielen europäischen Ländern im Rahmen einer gemeinsamen Open-Access- bzw. Open-Science-Strategie verfolgt. Für ein ähnliches Unterfangen bedürfte es auch in Deutschland zunächst einer Verständigung auf ein gemeinsames Ziel. In einem dynamischen internationalen Wissenschaftssystem ist dieses Ziel jedoch selbst stets in Bewegung und gleicht daher einem „moving target“.

Open Access ist unbestritten Teil eines grundlegenden und internationalen Wandels in der Wissenschaft. Es kann deshalb langfristig nicht nur darum gehen, das bestehende Publikationssystem lediglich zu digitalisieren und die Finanzierung dem anzupassen. Vielmehr stellen sich grundlegende Fragen zur (Dis-)funktionalität dieses Publikationssystems, die sich im Zusammenhang der Digitalisierung zu verschärfen scheinen (bspw. Datentracking, vgl. Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme 2021) und neue Anforderungen an die infrastrukturelle Ausgestaltung der Wissenschaft. Dies folgt auch aus der 2021 verabschiedeten UNESCO Recommendation on Open Science. Internationale Initiativen wie die Coalition for Advancing Research Assessment (COARA) stellen die deutschen Wissenschaftsorganisationen vor die Frage, ob und in welchem Umfang sie sich diesen gemeinsamen Initiativen anschließen (siehe dazu auch die Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zur Initiative der Europäischen Kommission vom 2. Mai 2022).

Für die Zukunft wird man sich weiter über Inhalt und Ziel der Open-Access-Transformation verständigen müssen, denn die Defizite dieser Verständigung hatte der Workshop anschaulich verdeutlicht: Für den großen “Durchbruch” reichen die bislang ergriffenen Maßnahmen noch nicht aus. Um hier weiterzukommen, sollte außerdem sichergestellt werden, dass alle Stakeholder im Wissenschaftssystem gleichermaßen an der Verständigung über Ziel, Inhalt und Zwischenschritte beteiligt werden. Das langfristige Ziel einer vollständigen Transformation sollte Antrieb und Motivator dafür sein, Open Access weder strategisch noch in Hinblick auf die in den Blick genommenen Akteure und Bedarfe zu verengen.

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