Ergebnisbericht zum Strategieworkshop „Open-Access-Publizieren durch wissenschaftliche Einrichtungen: Maßnahmen für die Open-Research-Strategie Berlin”

am 4. Juli 2023 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen des Partizipationsprozesses für die Open-Research-Strategie Berlin 2030

Übersicht

Einführung
Vorträge Ergebnisse der Kleingruppenarbeit Zusammenfassung
Ausblick Beteiligte Einrichtungen

 

Ein Beitrag von Georg Fischer, Maxi Kindling und Maike Neufend (Open-Access-Büro Berlin)

Zitiervorschlag:

Fischer, G., Kindling, M. und Neufend, M. (2023). Ergebnisbericht zum Strategieworkshop „Open-Access-Publizieren durch wissenschaftliche Einrichtungen: Maßnahmen für die Open-Research-Strategie Berlin”, Open Access Blog Berlin. https://doi.org/10.59350/ch7v8-3gx85

Einführung

An allen Berliner wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen bestehen bereits diverse Initiativen und Projekte offener Wissenschaft. Die Open-Research-Strategie Berlin 2030 ist Teil der Landesinitiative Open Research Berlin. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der die Entwicklung der offenen Wissenschaft an Berliner Wissenschafts- und Kulturerbeeinrichtungen begleitet. Die Einrichtung dieser Landesinitiative wurde bereits im Jahr 2020 durch die AG Open-Access-Strategie Berlin befürwortet und im Rahmen einer „Empfehlung für eine Landesinitiative Open Research Berlin” ausformuliert (vgl. hier).

Die Arbeitsgruppe Open-Access-Strategie Berlin ist an der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege angesiedelt (bis April 2023: Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege und Gleichstellung; bis 2021: Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung). Sie begleitet den Prozess der Umsetzung der Berliner Open-Access-Strategie. In dieser AG sind die Wissenschafts- und Kulturerbeeinrichtungen in Verantwortung des Landes Berlin sowie außeruniversitäre Forschungsorganisationen vertreten.

Die Open-Research-Strategie Berlin 2030 soll als Referenz für die Aktivitäten der Berliner Wissenschafts- und Kulturerbeeinrichtungen bis zum Jahr 2030 gelten. Die Open-Research-Strategie löst die Open-Access-Strategie Berlin aus dem Jahr 2015 ab. Damit ist der Prozess der Landesinitiative Open Research Berlin aber nicht abgeschlossen, sondern die daraus resultierenden Erfolge und Herausforderungen werden vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung der globalen Rahmenbedingungen für offene Wissenschaft evaluiert und transparent dokumentiert. Somit werden kontinuierlich Anknüpfungspunkte für Maßnahmen seitens des Landes Berlin sowie der Einrichtungen geschaffen. Sie bilden zugleich die Grundlage für ggf. weitere Anpassungen der Strategie im Jahr 2030.

Um die Open-Research-Strategie Berlin 2030 möglichst nahe an den Anforderungen und Bedarfen der Berliner Wissenschafts- und Kulturerbeeinrichtungen zu entwickeln, führte das Open-Access-Büro Berlin zusammen mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) am 4. Juli 2023 diesen Workshop durch. Unter den Teilnehmer*innen waren Vertreter*innen von Universitäten, Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), Kulturerbeeinrichtungen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Schwerpunkt dieses Workshops war das Handlungsfeld „wissenschaftliche Publikation” durch wissenschaftliche Einrichtungen, d.h. wissenschaftsgeleitetes Open Access.

Teilnehmer*innen am Strategieworkshop „Open-Access-Publizieren durch wissenschaftliche Einrichtungen” am 4.7.2023 an der BBAW (Foto: Maike Neufend unter CC BY-4.0).

Nach einer kurzen Einführung durch das Open-Access-Büro Berlin starteten die Teilnehmer*innen direkt mit der Arbeit in drei Kleingruppen. Gemeinsam entwickelten sie in einer 90-minütigen Gruppenarbeit positive Szenarien/Visionen für das wissenschaftsgeleitete Open-Access-Publizieren und formulierten dazugehörige Ziele und Maßnahmen. Der Vormittag endete mit zwei Vorträgen zu institutionellen Lösungen. Am Nachmittag folgten ein weiterer Vortrag zu einer landesweiten Lösung und im Abschluss die Diskussion der in Gruppenarbeit dokumentierten Ergebnisse. Im Folgenden werden Vorträge und Ergebnisse der Gruppenarbeit in zwei Teilen zusammengefasst.

Vorträge

Markus Schnöpf (BBAW): Infrastrukturen für digitale Publikationen

Markus Schnöpf, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Initiative Forschungsdatenmanagement und dem Projekt „TELOTA – The electronic life of the academy” an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stellte in seinem Vortrag die Handlungsfelder der BBAW im Bereich elektronisches Publizieren vor. Die BBAW hat einen dezidiert geisteswissenschaftlichen Fokus und beschäftigt sich mit dem elektronischen Publizieren in unterschiedlichen Formaten: Editionen, Wörterbücher, Prosopografien, Sammlungen, Dokumentationen, Forschungsberichte zu aktuellen Themen, Monografien, Sammelbände und auch ein Jahresmagazin. Die Publikationen der interdisziplinären Arbeitsgruppen werden inzwischen bei Verlagen im primär Gold Open Access veröffentlicht: Verlagsverträge werden mit der Institution BBAW geschlossen, die wiederum exklusive Nutzungsrechte bekommt, indem Wissenschaftler*innen diese beim Unterschreiben ihrer Arbeitsverträge an die BBAW übertragen. Die BBAW gibt dann nur einfache Nutzungsrechte an Verlage ab und Herausgeber*innenverträge schließt die BBAW dann mit den Autor*innen ab. Insbesondere bei Bildmaterialien stellen sich jedoch immer wieder rechtliche Fragen und Herausforderungen.

Alles, was an Dokumenten statisch vorliegt – in vielen Fällen als PDF – kann über das institutionelle Repositorium der BBAW, den edoc-Server, publiziert werden. Seit kurzem können dort auch Forschungsdaten publiziert werden. Unabhängig davon, auf welchen Repositorien diese publiziert werden, verfolgt die BBAW das Ziel, eine zentrale Registrierung der Forschungsdaten zu erreichen. 

Eine besondere Herausforderung sind die digitalen Editionen, die als „enhanced publications” bezeichnet werden können. Der Unterschied zu anderen digitalen Publikationen liegt darin, dass traditionelle Formate mit zusätzlicher Information angereichert werden, bspw. Forschungsdaten, Bild- oder Videomaterial: „An enhanced publication relies on the linking possibilities of the web” (Hogenaar 2018). Diese Form des elektronischen Publizierens muss jedoch nachhaltig gestaltet werden, denn Publikationen müssen nicht nur 5, sondern 500 Jahre verfügbar sein, betonte Markus Schnöpf. Beim Open-Access-Publizieren von „enhanced publications” sind kooperative Modelle sinnvoll, um Ressourcen schonen zu können und um verschiedene Handlungsfelder sinnvoll zu verbinden, bspw. Open-Access-Publizieren und Offene Forschungsdaten. 

In der Diskussion wurde angemerkt, dass wissenschaftsgeleitete Open-Access-Publikationsprojekte die Bandbreite der innovativen digitalen Möglichkeiten ausnutzen wollen; hier benötigt es auch für die Bibliotheken bzw. weitere Betreibende von entsprechenden Infrastrukturangeboten mehr Unterstützung in technischen Fragen, d.h. neben einem Legal Helpdesk zur Klärung mannigfaltiger und komplexer rechtlicher Fragen gibt es auch großen Bedarf für einen Technical Helpdesk. Auch im Aufbau und der Wartung von innovativen Publikationsplattformen, die bspw. „enhanced publications” unterstützen, ist eine nachhaltige Planung unabdingbar. Projektbasierte Strategien für innovative digitale Publikationspraktiken sind häufig zum Scheitern verurteilt. 

Ein Beispiel für die nicht nachhaltige Entwicklung ist die Edition Topoi, ein kooperatives Open-Access-Publikationsorgan mit Fokus auf den Altertumswissenschaften. Edition Topoi entstand 2013 aus dem Exzellenzcluster 264 Topoi – The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations, einem Forschungsverbund von Freier Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit der BBAW, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Seit 2019 wird die Edition Topoi vom Berliner Antike-Kolleg weitergeführt, bis die letzten Verträge mit Autor*innen erfüllt sind.

Robert Wiese (TU Berlin) & Michael Kleineberg (FU Berlin): Berlin Universities Publishing: Ein kooperativer und wissenschaftsgeführter Open-Access-Verlag

Screenshot aus der Präsentation von Michael Kleineberg und Robert Wiese

Den zweiten Input gaben Robert Wiese von der Technischen Universität Berlin und Michael Kleineberg von der Freien Universität Berlin (vollständige Präsentation hier). Beide arbeiten im kooperativen Universitätsverlag „Berlin Universities Publishing” (BerlinUP). BerlinUP ist ein reiner Open-Access-Verlag und ein nicht-kommerzielles, wissenschaftsgeleitetes Angebot. Für Berlin ist BerlinUP ein wichtiges Vorreiter-Projekt. Anfangs gefördert von der Berlin University Alliance (BUA) wird der Verlag nun gemeinschaftlich von den Bibliotheken der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin getragen. Neben dem Publizieren von Zeitschriften über Open Journal Systems (OJS) und dem Publizieren von Schriftenreihen, Sammelbänden und Monografien bietet BerlinUP auch eine allgemeine, verlagsunabhängige Publikationsberatung an. Die drei Sparten – Zeitschriften, Bücher und Beratung – werden durch ein Board of Directors, einen wissenschaftlichen Beirat und eine operative Koordination organisiert.

Eine Besonderheit ist die kooperative Leitung des Verlags von vier öffentlichen Einrichtungen, so dass bei Rechtsfragen je nach Sparte die einzelnen Universitäten und die Charité – Universitätsmedizin Berlin zuständig sind. Als wissenschaftsgeleiteter Open-Access-Verlag bekennt sich BerlinUP zum nicht-kommerziellen Publizieren, zur Diversität von Fachkulturen und deren Bedarfen und damit zu einer Beförderung der Open-Access-Transformation in der Breite. Durch weitere Kooperationen mit Publikationsdienstleistern und Publikationsinfrastrukturen an öffentlichen Einrichtungen soll das Netzwerk zukünftig gestärkt werden.

Für BerlinUP ergeben sich derzeit einige Herausforderungen. Einerseits durch die Koordination des Verlags, die bisher rotiert und nicht dauerhaft besetzt ist. Dies hat Vorzüge, aber auch Nachteile. Zudem stellen sich diverse rechtliche und administrative Fragen, bspw. schließen auch hier Autor*innen bzw. Herausgeber*innen Verträge mit der Einrichtung, die die Buchsparte bzw. die Zeitschriftensparte verantwortet und nicht mit dem Verlag als solchem. 

BerlinUP versteht sich weniger als Konkurrenz zu kommerziellen Verlagen, sondern als Alternative, um ein faires Open-Access-Publizieren für Angehörige der vier Einrichtungen zu ermöglichen. Wissenschaftler*innen stellen ähnliche Ansprüche in Sachen verlegerischer Dienstleistungen, wie sie sie von kommerziellen Verlagen gewohnt sind, so die Beobachtung von Wiese und Kleineberg. Um Dienstleistungen wie Begutachtungsverfahren, Satz und Layout, Lektorat und Korrektorat auch inhäusig anbieten zu können, wären jedoch weitere Ressourcen notwendig. BerlinUP fördert als Universitätsverlag den Wettbewerb und die Vielfalt unter Publikationsdienstleistern und sorgt mit dem Angebot für einen offenen und nachhaltigen Zugang zu Open-Access-Publikationsmöglichkeiten für Angehörige der vier beteiligten Einrichtungen. Um öffentliche Einrichtungen in ihrer Rolle als Dienstleister für das Open-Access-Publizieren zu stärken, braucht es rechtliche Sicherheit: Wissenschaftliche Einrichtungen treten in einen Wettbewerb mit anderen Publikationsdienstleistern und dies führt zu rechtlichen Unsicherheiten. Um die rechtlichen Voraussetzungen für Verlagsaktivitäten durch Hochschulen zu schaffen, braucht es Unterstützung durch das Land Berlin und den Bund (vgl. auch dbv 2018, 18).

Renate Voget (hbz): OJS als zentrale Dienstleistung der Landesinitiative openaccess.nrw

Screenshot aus der Präsentation von Renate Voget (vollständige Datei bei Zenodo)

Den dritten Input lieferte Renate Voget vom Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen (hbz). Das hbz ist ein Projektpartner der Landesinitiative openaccess.nrw. Renate Voget berichtete von einem landesweiten Lösungsansatz, um Open-Access-Publizieren in wissenschaftlichen Einrichtungen zu unterstützen. Die Landesinitiative openaccess.nrw ist ähnlich wie das Open-Access-Büro Berlin eine Koordinierungsstelle für die Aktivitäten auf Landesebene. Basierend auf Bedarfserhebungen im Rahmen eines Vorprojekts setzt sich die über die Digitale Hochschule NRW (DH.NRW) bis Ende 2025 durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW (MKW) geförderte Landesinititative aus drei Programmbereichen zusammen: 1) Informationsangebote, (Rechts-)Beratung und Vernetzung von Hochschulakteur*innen, 2) Zentrale Infrastrukturdienste: Aufbau einer landesweiten Publikationsplattform für Open-Access-Zeitschriften und -Monografien sowie 3) Landesweites Monitoring von Publikationsaufkommen und Kosten für Open-Access. 

Im Programmbereich 2 wird eine zentrale Infrastruktur zur Publikation von Open-Access-Materialien für alle Hochschulen in Nordrhein-Westfalen aufgebaut, nachdem 60% der Befragten in der Bedarfserhebung die Einrichtung einer landesweiten Open-Access-Publikationsplattform für Zeitschriften und 50% eine Plattform für Monografien als vorteilhaft befürwortet hatten (vgl. Ilg et al. 2022, 83). Da die Software Open Journal Systems (OJS) über die nötigen Kernfunktionalitäten verfügt und einige Hochschulen bereits gute Erfahrungen mit der Software gemacht hatten, entschied sich das Konsortium für den Einsatz der vom Public Knowledge Project (PKP) entwickelten Open Source Software. 

Der große Vorteil einer zentralen Lösung besteht darin, dass alle Wissenschaftler*innen über den Kontakt zu ihrer Hochschulbibliothek in NRW die Möglichkeit erhalten, wissenschaftsgeleitetes Open-Access-Publizieren niedrigschwellig zu praktizieren. Die Hochschulbibliothek kann dabei von zentralen technischen wie personellen Ressourcen am hbz profitieren. Der Nachteil von zentral administrierten Instanzen wiederum ist, dass Standards kaum individuell konfiguriert werden können, da dies einen zu hohen Aufwand in der Wartung z.B. bei einem Versionssprung bedeuten würde. Zudem können Wissenschaftler*innen ohne Affiliation mit einer Hochschule diesen Service nicht nutzen, da die Mittel des MKW unmittelbar den staatlich geförderten Hochschulen zu Gute kommen. Nichtsdestotrotz zeigen die ersten Erfahrungen, dass das Zusammenspiel zentralisierter technischer Ressourcen mit dezentralen Expertisen an den Hochschulbibliotheken vor Ort insgesamt einen deutlichen Mehrwert für die Wissenschaftler*innen an den Hochschulen des Landes NRW ergibt.

Ergebnisse der Kleingruppenarbeit

In den Kleingruppen wurden die Teilnehmenden dazu aufgefordert, positive Szenarien und Visionen zu entwickeln und diese mit Zielstellungen und Maßnahmen zu verbinden.

Jede Gruppe, bestehend aus jeweils drei bis sechs Teilnehmenden, legte dabei ihren Fokus auf unterschiedliche Schwerpunkte, die eine Open-Research-Strategie 2030 für das Land Berlin beinhalten sollte. Im Folgenden werden die Schwerpunkte zusammenfassend dargestellt.

Gruppe 1: „Kooperationen stärken, Nachhaltigkeit und Fairness sichern”

„Um das Rad nicht immer neu zu erfinden”, also singulär von vorne zu beginnen, bedarf es der ersten Gruppe zufolge der Stärkung von Kooperationen zwischen den Einrichtungen und der nachhaltigen Grundfinanzierung von Stellen. Eines der größten Hindernisse in der Open-Access-Transformation der letzten Jahre sah die Gruppe in der Projektförmigkeit von wissenschaftlicher und wissenschaftsnaher Arbeit. Insbesondere der an vielen Stellen geforderte Auf- und Ausbau von Publikationsdienstleistungen an wissenschaftlichen Einrichtungen braucht nachhaltige Finanzierungskonzepte innerhalb der Einrichtungen. Hier sei weniger eine Finanzierung durch das Land Berlin ausschlaggebend, sondern ein Umdenken innerhalb der Einrichtungen, kooperativ und nachhaltig zu agieren.

Die nächste große Herausforderung sei die Forschungsbewertung, wobei sich mit Initiativen wie DORA (Declaration on Research Assessment) und COARA (Coalition for Advancing Research Assessment) erste positive Entwicklungen zeigen. Wichtig sei, auf diesen Initiativen aufbauend weitere konkrete Schritte für den Berliner Forschungsraum erfolgen zu lassen, um die qualitative Forschungsbewertung zu stärken und rein quantitative Faktoren (wie den Journal Impact Factor) geringer zu gewichten. Eine Rolle können dabei Praktiken offener Wissenschaft spielen, etwa offene Begutachtungsverfahren (Open Peer Review). 

Die Gruppe nahm zudem die globale Wissensgerechtigkeit und faire Open-Access-Praktiken in den Blick, auch und gerade für eine Berliner Strategie: Es könne eben nicht um das Ziel gehen, 100% Open Access um jeden Preis zu erreichen. Vielmehr gehe es um den Weg dorthin. Zu diesem Weg gehören bspw. alternative Finanzierungsmöglichkeiten, Zugang für alle sowohl zur Rezeption als auch zum Publizieren, sowie Strategien, um Forschenden das Publizieren im Open Access zu ermöglichen (Wahrung der Urheberrechte).

Als Akteure wurden die Bibliotheken selbst in ihrer Rolle adressiert, über Finanzierung und Geldflüsse im Bereich Publikationen und Veröffentlichungsservices mitzuentscheiden. In welche Formen von Open Access (Diamond, Green, Gold, etc.) das vorhandene Geld in Zukunft investiert wird, ist eine Frage, die jede Einrichtung selbst beantworten kann und sollte. In dem Zusammenhang wurde die Relevanz von technisch gut vernetzten Repositorien zur Realisierung von Veröffentlichungsservices betont, etwa auch von multimodalen „enhanced publications”. Auch hier sei es notwendig, Kooperationen unter Berliner Einrichtungen stärker zu forcieren.

Zuletzt wies die Gruppe noch auf die Bedeutung von Open-Access-Empfehlungen und -Policies hin. In diesen kann sowohl die Herausgabe eigener Open-Access-Journale oder -Bücher mit Infrastrukturangeboten und/oder Beratung durch die Einrichtungen gestärkt werden als auch das Engagement von Wissenschaftler*innen bei anerkannten Open-Access-Publikationsorganen forciert und perspektivisch honoriert werden.

Gruppe 2: „100% Open Access ist der Anspruch, nicht zwingend das Ziel”

Die zweite Gruppe formulierte eine Reihe von Gedanken in der Diskussion. Ein wichtiger Aspekt war auch hier das faire Open-Access-Publizieren. Dazu gehört die Option, immer auch wissenschaftsgeleitete Open-Access-Publikationsangebote für Forschende zur Verfügung zu stellen. Open Access sei sozusagen eine Mindestanforderung und zugleich sollte Open Access die erste Wahl sein. Dieser Anspruch sollte u.a. auch in den Promotionsordnungen der Fachdisziplinen verankert werden. So können Dissertationsschriften und andere Qualifikationsarbeiten – bei entsprechender Qualität und sofern keine rechtlichen und ethischen Probleme dagegen sprechen – standardmäßig Open Access auf dem Repositorium publiziert werden. Diese Aufwertung der Publikationsinfrastrukturen, die durch Wissenschaftseinrichtungen selbst betrieben werden, trägt auch zu einem Kulturwandel hin zu offener Wissenschaft bei.

Ähnlich wie die erste Gruppe wurde das derzeitige Anreizsystem in Form der Forschungsförderlogiken und der projektbasierten Personalpolitik kritisiert: Dies führe zu „wenig eigen informierten Entscheidungen durch Wissenschaftler*innen” beim Publizieren. Die nur wenigen Angebote fördern diesen Zustand. Insofern einigte sich die Gruppe auf die Zielstellung, dass Basis-Bildungsangebote in Bezug auf Open Access an Einrichtungen zum Standard gehören sollten. Auch die Einbindung von Open Access in die Lehre kann hier eine sinnvolle Maßnahme darstellen. Denn dieser Kulturwandel hin zu offener Wissenschaft kann von Bibliotheken angestoßen und unterstützt werden – er sollte aber mittelfristig von den wissenschaftlichen Einrichtungen selbst übernommen werden. 

Das Open-Access-Büro-Berlin wurde als Ansprechpartner für Wissenschaftler*innen adressiert, die bereits in der Open-Access-Beratung arbeiten und sich perspektivisch besser vernetzen und austauschen wollen. Wichtig war der Gruppe der Hinweis, dass es personell nicht nur Ansprechpersonen braucht, die in den Bibliotheken und der Leitung tätig sind, sondern auch in den Fachkulturen und Fachdisziplinen selbst zuhause sind. Beispiele dafür wären Rollen wie „Ambassador for Openness”, „Open Research Ambassadors” oder „Open Science Officer”.

Stark gewünscht wurde zudem ein Legal Helpdesk, evtl. verbunden mit anwaltlicher Rechtsberatung in kniffligen Fällen, um juristische Fragen zu klären. Diese beziehen sich beispielsweise auf Bildrechte oder unternehmenssensible Themen in Qualifikationsarbeiten. Auch die Frage der urheberrechtlichen Haftung von Repositorien sowie des Geltungsbereichs des Zitatrechts ist nicht gänzlich geklärt. Ein solcher Helpdesk hat die Aufgabe, aufzuklären, zu informieren, zu beraten und somit mittelbar in den Einrichtungen Wissen aufzubauen. 

Eine weitere Zielstellung, um Open Access zum Standard zu machen, liegt Gruppe 2 zufolge darin, etwaige Lücken zu schließen. Dafür müssen allerdings die Bedarfe der Institutionen detaillierter erhoben werden. Dazu braucht es also weitere Erhebungen, die durch das Open-Access-Büro durchgeführt werden können. Eine Untersuchungsfrage wäre: Warum haben wir aktuell noch keine 100% Open Access erreicht? Eine weitere Frage bezieht sich auf die Evaluierung von Open-Access- und Open-Research-Aktivitäten, d.h. ein Instrument, mit dem sich das Erreichen der Ziele prüfen lässt. 

Schließlich wurde auch in dieser Gruppe das Bedürfnis geäußert, die quantitativen Bewertungsmaßstäbe in der Wissenschaft zu hinterfragen und den Wandel in der Bewertungspraxis voranzutreiben. Dazu wurde angeregt, empirische Erhebungen zu disziplinären Bewertungspraktiken durchzuführen. Dies sei auch mit Fokus auf die Berliner Landschaft ein sinnvoller Beitrag. Im Hinblick auf einen Kulturwandel hin zu offener Wissenschaft sei aber auch die Frage zu beantworten, mit welchen Maßnahmen Forschende an der Landesinitiative selbst teilhaben können. Ein wichtiges Zeichen sei dahingehend, dass die Politik den Wandel der wissenschaftlichen Bewertungspraxis öffentlich unterstützt. 

Gruppe 3: „Inklusion + Diversität: unterschiedliche Bedarfe berücksichtigen”

Die dritte Gruppe machte die Relevanz von stabilen und nachhaltigen Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen geltend. Auch hier wurde die zu ausgeprägte Projektförmigkeit in der Wissenschaft als Hinderungsgrund genannt. Einrichtungsübergreifende Finanzierungen hingegen seien zu begrüßen und perspektivisch weiter auszubauen. Dazu kommt die Notwendigkeit, Inklusion und Diversität möglichst breit zu denken und insbesondere kleinere Institutionen zu berücksichtigen. Ähnlich wie Gruppe 1 formulierte diese Gruppe, dass 100% Open Access nicht zwingend das Ziel sein sollte. Stattdessen sollte die Frage gestellt werden, welche Art von Open Access wir zukünftig wollen. Faires Open Access wurde von den Teilnehmenden als Schlagwort genannt. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass auch kleinere Verlage eine wichtige Rolle im Open-Access-Ökosystem einnehmen.

Die wissenschaftlichen Einrichtungen wurden als Akteure adressiert, die sich selbst Standards geben sollten, um eine möglichst hohe Kontrolle über die eigenen Strukturen und Anreizsysteme zu erhalten. Es gehe darum, sich diese nicht von außen diktieren zu lassen, etwa von kommerziellen Verlagen. Eine sinnvolle Maßnahme ist es, die Anreizsysteme zur Förderung des Open-Access-Publizierens vor allem qualitativ und weniger quantitativ auszurichten, auch in Bezug auf die eigenen Veröffentlichungsservices.

Offenheit in all ihren Facetten sollte bereits im Studium gelehrt und diskutiert werden. Durch besseres Marketing an der eigenen Hochschule kann hier Unterstützung geleistet werden. Zudem sei für juristische Fragen das Angebot eines Legal Helpdesks absolut wertvoll. Hierzu und zu anderen Themen könnten sich die Beratungsangebote unter den Einrichtungen stärker vernetzen, um Doppelstrukturen zu vermeiden und Ressourcen zu schonen. 

Zuletzt wurde das Land Berlin adressiert: Denn perspektivisch sei ein wissenschaftsfreundlicher Rechtsrahmen, etwa im Hinblick Urheberrecht, Datenschutz und Arbeitsrecht von hoher Bedeutung und durch das Land Berlin voranzutreiben.

Zusammenfassung

Einig sind sich Teilnehmenden darüber, dass Open Access als Standard (open access as default) implementiert werden muss – dann sind Ausnahmen immer möglich nach dem Grundsatz: So offen wie möglich, so geschlossen wie nötig. 

Voraussetzung dafür muss sein, dass keine Nachteile für die Offenheit und für die Forschung entstehen, deshalb ist auch ein sicherer und wissenschaftsfreundlicher Rechtsrahmen wichtig. Insbesondere zwei Visionen lassen sich aus dem Workshop zur Open-Research-Strategie Berlin ableiten. 

Die erste Vision setzt sich zum Ziel, dass der Weg zu 100% Open Access nachhaltig und fair gestaltet sein muss. Dazu bedarf es aber auch einer gemeinsamen Definition dessen, was Nachhaltigkeit und Fairness im Open-Access-Publizieren bedeutet. Auf eine gemeinsame Zielsetzung, die auch gemeinsam vertretene Werte beinhaltet, gilt es sich zu einigen. Um diese Vision umzusetzen, braucht es vor allem eine andere Finanzierungslogik, die nachhaltig, fair und auf Kooperation aufbauend funktioniert. Dazu sollen Finanzierungen von Open Access zu fairen Publikationsoptionen umgelenkt werden und insbesondere die technisch gut vernetzten Repositorien weiter auf- und ausgebaut werden, um Veröffentlichungsservices an den Einrichtungen zu stärken. Zudem soll Nachhaltigkeit auch auf die eigene Personalpolitik bezogen werden, d.h. nachhaltige Infrastrukturen können nur durch eine nachhaltige Personalpolitik erreicht werden. Mithilfe wissenschaftspolitischer Steuerung (wie Policies) können wissenschaftliche Einrichtungen Ziele formulieren und die Forschenden darin bestärken, faire Publikationspraktiken zu entwickeln. 

Eine weitere Maßnahme, faires Open Access zu etablieren, kann darin bestehen, die Angebote der eigenen Einrichtung stärker auf qualitativ hochwertige Publikationen auszurichten und weniger die Anzahl von Open-Access-Veröffentlichungen in den Fokus zu rücken. Zur Umsetzung braucht es offene Infrastrukturen, die nach Prinzipien und Standards operieren, die eine Kontrolle und Unabhängigkeit öffentlich finanzierter Infrastruktur ermöglichen und absichern. 

Die zweite Vision setzt sich zum Ziel, dass es einen groß angelegten Kulturwandel hin zu offener Wissenschaft geben muss. Die wichtigste Maßnahme dafür ist die Umsetzung von bestehenden Policies zur Reform der Forschungsbewertung. Allerdings muss diese Reform bereits im Studium und in der wissenschaftlichen Ausbildung ansetzen, so dass hier verschiedene Maßnahmen denkbar wären. Zum einen kann die Aufnahme von Open-Access-Publikationsregeln in Promotionsordnungen faires Open Access in den einzelnen Fachdisziplinen verankern und damit wissenschaftsgeleitete und faire Publikationsinfrastrukturen aufwerten. Aber auch Bildungsangebote zu Open Access und Open Research müssen an allen Berliner Einrichtungen auf- und ausgebaut werden. Hier können die Bibliotheken in Kooperation ein breites Angebot bereitstellen und dies tun sie zum Teil bereits. Allerdings braucht es für einen Kulturwandel hin zu offener Wissenschaft fachspezifische Basis-Bildungsangebote in den Disziplinen selbst. Dazu müssen aber neue Rollen geschaffen werden, wie etwa die der „Open Research Ambassadors”. Diese können in und aus ihren Disziplinen heraus wirksam werden.

Die Umsetzung von Open Access scheitert aktuell häufig an einem für die Wissenschaft untauglichen Rechtsrahmen sowie rechtlichen Hürden in Bezug auf Urheberrecht, Datenschutz und Arbeitsrecht. Hier braucht es eine Rechtsberatung, die für alle an Berliner Einrichtungen Forschenden zugänglich ist, um Unsicherheiten zu minimieren und faires Open Access zu fördern. Da dieser Kulturwandel eine Umformung wissenschaftlicher Praktiken auf unterschiedlichen Ebenen beinhaltet, muss dieser auch durch wissenschaftspolitische Prozesse mitgestaltet werden. Dazu gehört bspw. die Teilhabe von Forschenden an der Landesinitiative Open Research Berlin, auch um Bewusstsein für diesen Kulturwandel zu schaffen. Unterstützung für diesen Kulturwandel braucht es aber auch durch die Berliner Wissenschaftspolitik.

Ausblick

Dieser Workshop fand im Rahmen des Prozesses zur Entwicklung einer Open-Research-Strategie für das Land Berlin statt. Am 10. Juli fand ein weiterer Workshop zu „Open Research Data: Infrastrukturangebote an Berliner Einrichtungen. Maßnahmen für die Open-Research-Strategie Berlin” statt, zu dem ebenfalls ein Bericht angefertigt wurde. Auf Basis der Erkenntnisse aus den Workshops, weiterer Erhebungen im Zuge der Landesinitiative Open Research Berlin sowie der Besuche des Open-Access-Büros an den Einrichtungen (seit November 2022, noch nicht abgeschlossen) wird ein Status-quo-Bericht Open Access/Open Research an Berliner Einrichtungen erstellt. Dieser Bericht wird im Herbst 2023 in einem Entwurf zur öffentlichen Kommentierung bereitgestellt, auf Basis der Rückmeldungen überarbeitet und schließlich veröffentlicht. Der Bericht fokussiert auf den Stand der Entwicklungen an den Einrichtungen und zeigt sowohl die Erfolge seit der Open-Access-Strategie 2015, aber auch die Lücken auf und kontextualisiert diese mit Blick auf nationale und internationale Entwicklungen. Auf dieser Grundlage erarbeitet das Open-Access-Büro eine Entwurfsfassung einer Open-Research-Strategie Berlin 2030. Sie wird der AG Open-Access-Strategie Berlin zur Diskussion vorgelegt. Mit der AG wird schließlich auch das weitere Vorgehen abgestimmt. 

Beteiligte Einrichtungen

  • Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft
  • Berliner Hochschule für Technik
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
  • Charite – Universitätsmedizin Berlin
  • Freie Universität Berlin
  • Humboldt-Universität zu Berlin
  • Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
  • Museum für Naturkunde
  • Open-Access-Büro Berlin
  • Senatsverwaltung Wissenschaft Berlin
  • Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
  • Technische Universität Berlin
  • Universität der Künste
  • Weizenbaum-Institut e.V.

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