KFS zum bundesweiten Warntag am 08.12.2022

Katastrophenforschungsstelle (KFS)

© Furtwängler, A.; Reichhold, K.; Huber, A.:
Griechische Vasenmalerei, Odysseus und die Sirenen, ca. 475-450 v. Chr.

1984 beschreiben Lars Clausen und Wolf R. Dombrowsky, die Wegbereiter einer deutschen Katastrophensoziologie und Gründer der Katastrophenforschungsstelle (KFS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, das Wesen der Warnung:

„Negativ bestimmt sich so das Warnwesen als eine technische Einrichtung, die dann auch trotz besten Funktionierens und möglicher Rechtzeitigkeit sinnlos ist, weil es ein ,nacktes Warnen‘, ein Warnen ohne Bezug auf die als gefährlich definierten Umwelterscheinungen und die ihm folgenden angemessenen Reaktionen der Gewarnten, nicht geben kann. Es vereinfachte sich zu einer ,Prognose‘ herkömmlichen naturwissenschaftlichen Musters – weil ,Warnungen‘ mehr sein müssen, nämlich konkret erlauben sollen, sozial handelnd das Vorhergesagte, die Gefahr, nicht eintreten zu lassen. Nur dort, wo die Korrespondenz aller Bezüge über das gesamte Spektrum von Gefahrenantizipation, -definition, technischer Umsetzung und Reaktionstraining abgedeckt ist, ließe sich von einem gesellschaftlich funktionstüchtigen Warnwesen sprechen“ (Hervorh. im Original).

Während öffentliche Debatten – wie auch in den letzten Tagen wieder zu beobachten – über die Bedingungen erfolgreicher Warnung häufig auf den Möglichkeiten und Grenzen der zum Einsatz kommenden Technik fokussieren, lenkt die KFS seit fast 40 Jahren ihre Aufmerksamkeit auf die sozialen Voraussetzungen von Kommunikation. Grundlegende Annahme ist, dass Warnung nicht als ein linearer Transfer von Informationen begriffen werden sollte, für dessen Erfolg in erster Linie die technische Übermittlung von einem Sender an die Empfänger gelingen müsse. Stattdessen gilt es, Kommunikation als komplexen sozialen Prozess zu begreifen, der auf verschiedenen Ebenen höchst voraussetzungsvoll ist. Die konkrete Ansprache, die als Warnung in akuten Lagen erfolgt, schließt an vorherige (Risiko-)Kommunikation sowie Erfahrungen, Erwartungen, Deutungsmuster usw. einer heterogenen sich fortlaufend verändernden Bevölkerung an und wird vor diesem Hintergrund auf entsprechend vielfältige Weise rezipiert und interpretiert. Um die Voraussetzungen erfolgreicher Warnung zu verstehen, müssen diese sozialen Faktoren in den Blick genommen werden.

Wir beschäftigen uns in unterschiedlichen Projekten an der KFS und der Akademie der Katastrophenforschungsstelle (AKFS), mit verschiedenen disziplinären, inter- und transdisziplinären Zugängen mit dem Themenfeld von Kommunikation im Allgemeinen und Warnungen im Speziellen. Dabei leitet uns stets die Annahme, dass Warnung nicht ohne eine Betrachtung des soziokulturellen, ökonomischen, historischen, politischen – also letztlich gesamtgesellschaftlichen – Kontextes optimal erfolgen kann.

Allgemeine Aspekte zu Warnungen und Warnkommunikationen  

Wer nimmt Warnungen wie wahr?   

Die KFS entwickelt im Projekt WEXICOM u. a. Kriterien für die Wahrnehmung, Bewertung und Nutzung von Wetterwarnungen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen, Bedarfe und Nutzungsgewohnheiten innerhalb der heterogenen Bevölkerung. Darauf aufbauend werden Handlungsempfehlungen zur nutzer(gruppen)spezifischen Kommunikation von Wetterwarnungen erstellt. Erste Ergebnisse der KFS zur Kommunikation von Wetterwarnungen aus dem Vorläuferprojekt WEXICOM II wurden in der Schriftenreihe Sicherheit veröffentlicht.

© Daniel F. Lorenz

In einem Projekt, welches im Auftrag der StädteRegion Aachen an der AKFS durchgeführt wird, werden zielgruppenspezifische Kommunikationskonzepte für ein angemessenes Warnsystem entwickelt, die in der StädteRegion etabliert werden sollen. Motivation für das Projekt ist der in der StädteRegion bereits sehr weit fortgeschrittene Sirenenaufbau, der sozialwissenschaftlich begleitet werden soll. Es zeigt sich bisher, dass das Konzept eines Warnmixes von “einfachen” Sirenenwarnungen über Lautsprecherdurchsagen, persönliche Ansprachen bis hin zu Warnung über Apps notwendig ist, um eine Vielzahl an Menschen zu erreichen. Erste Ergebnisse konnten bereits der Öffentlichkeit präsentiert werden. Für eine erfolgreiche Warnkette ist außerdem wichtig, dass die Gewarnten wissen, welche Schritte auf eine Warnung folgen sollten und an welche Stellen sie sich ggf. für die weitere Information wenden können. Die Erarbeitung von Konzepten zu dezentralen Katastrophenschutzleuchttürmen wird daher ebenso betrachtet wie die Frage, wie ehrenamtliches Engagement stärker gefördert werden kann und auch, wie die Selbsthilfefähigkeiten der Bevölkerung unterstützt werden könnte. Die proaktive Kommunikation von Grenzen und Fähigkeiten auch der zuständigen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben nimmt hier zunehmend eine wichtige Rolle ein. Weitere Informationen zu dem Projekt können hier nachgelesen werden.   

Welche Vorstellungen haben ExpertInnen davon, wie Warnungen bei der Bevölkerung ankommen und welche Folgen hat das für den Warnprozess?  

Katastrophenmythen und Vorurteile der zuständigen Behörden gegenüber der Bevölkerung behindern oft, dass Warnungen so ankommen, wie sie dies eigentlich müssten. Dass Menschen die “Wahrheit nicht vertragen” oder dass sie bei der Kenntnis von Gefahren in Panik ausbrechen würden, ist ein sehr dominantes und zentrales Narrativ, welches die Entscheidungen von verantwortlichen Akteuren auch bezüglich der Warnung, ihrer Inhalte und möglichen Verhaltensanweisungen wesentlich beeinflussen und Ressourcen binden. Überlegungen dazu hat die KFS u.a. hier veröffentlicht.

In einer Quick-Response-Forschung in Reaktion auf den Orkan „Sabine“ im Februar 2020 untersuchte die KFS, wie die Bevölkerung die Warnungen wahrgenommen und darauf reagiert hat. Eine Zusammenfassung findet sich im Bevölkerungsschutz-Magazin des BBK zum Thema „Warnung der Bevölkerung“.  Die ausführlichen Erkenntnisse und Ergebnisse der Untersuchung finden sich im KFS Working Paper Nr. 24.    

Wie kann die Bevölkerung nicht nur gewarnt, sondern zugleich auch beteiligt werden zu helfen?   

Das Projekt ENSURE beschäftigte sich mit dieser Frage im Zusammenhang der Entwicklung der App “Katretter”, die in den gängigen App-Stores zum Download bereitsteht. Zur erfolgreichen Einbindung von Helfenden erstellte die KFS u. a. praxisnahe Empfehlungen, ein Manual und einen bspw. für Schulungszwecke einsetzbaren Werkzeugkasten für Mitarbeitende der BOS.  

Im Projekt ATLAS-ENGAGE werden derzeit in einer Metaanalyse Studien und Praxisansätze zu Engagement in Krisen gebündelt. Ein Zwischenfazit kann bereits gezogen werden: Die Bevölkerung möchte nicht nur “Warn-Empfängerin” sein, sondern packt auch mit an und kommuniziert mit. Entsprechend wachsen die Anforderungen an verifizierte Informationen, multi-direktionale Kommunikation und Partizipation.  multi-direktionale Kommunikation und Partizipation.

Wie steht es um das Vertrauen in die Akteure, die für Warnungen zuständig sind wie Behörden oder Organisationen?  

Die Wahrnehmung von Warnungen wird nicht nur durch den Warninhalt oder den jeweiligen Kommunikationskontext, sondern maßgeblich auch durch das Ver- bzw. Misstrauen in die Informationsquelle beeinflusst. Im Rahmen eines Forschungsprojektes der AKFS zur Pandemiekommunikation, das bereits Mitte 2020 gestartet wurde, entstand der Bericht „Risiko- und Krisenkommunikation: Ein Überblick“. Der Bericht stellt die zentrale Bedeutung von Vertrauen (sowohl als Voraussetzung erfolgreicher Krisenkommunikation als auch als deren Ergebnis) heraus und identifiziert auf Basis des Forschungsstandes wesentliche Qualitätskriterien für Risiko- und Krisenkommunikation, so insbesondere Transparenz, Verständlichkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen, Konsistenz und Koordination, Dialogorientierung, Proaktivität, Zielgruppenorientierung und Konsistenz.Die Wahrnehmung von Warnungen wird nicht nur durch den Warninhalt, sondern auch das Vertrauen in die Informationsquelle beeinflusst.

Welchen Akteuren am meisten Vertrauen geschenkt wird, lässt sich in weiteren KFS-Studien zur COVID-19-Pandemie, zur Katastrophenvorsorge in Jena und Berlin oder während des Hochwasser 2013 nachlesen. Den Akteuren, den am meisten vertraut sind, wird auch im Extremfall am Ehesten geglaubt, wenn diese eine Warnung aussprechen. Dafür sind nicht nur soziale Netzwerke und Wissen über lokale Katastrophenschutzstrukturen relevant, sondern auch, dass das Grundwissen über den Bevölkerungsschutz, über beteiligte Akteure sowie über weitere verlässliche Informationsquellen wie übergeordnete Behörden oder Organisationen gestärkt wird. 

© Daniel F. Lorenz

Vor der Warnung die Antizipation und Definition 

Bevor gewarnt wird, müssen bestimmte – im besten Fall im Vorfeld festgelegte Schwellenwerte erreicht sein. Dies bedeutet eine differenzierte Vorbereitung und Risiken- und Gefahrenanalyse, die abzugleichen ist mit den vorhandenen Kapazitäten, Vulnerabilitäten und Schutzzielen. Erst dann ist es möglich, angemessen vor einem Ereignis zu warnen und diese Warnung auch mit entsprechenden Handlungsanweisungen zu hinterlegen. Je nach Szenario können diese Schwellenwerte oder “tipping-points” auf sehr unterschiedlichen Abstraktions-Ebenen angelegt sein. Ist dies z.B. bei einem mittlerweile relativ bekannten Hochwasserszenario noch relativ überschaubar, da mittlerweile eine Vielzahl an metereologischen, hydrologischen etc. Daten vorliegen und so auch Prognosen berechnet werden können, die wiederum Aussagen über Wahrscheinlichkeiten von Wasserständen zulassen, ist dies für andere Szenarien, wie z.B. sog. Slow-disaster wie eine Pandemie oder eine Flüchtlingslage oft weniger leicht (und oft deutlich politisierter). Die KFS hat in den zwei Forschungsprojekten BEPAL und WAKE in den vergangenen Jahren analysiert, wie man in untypischen Lagen, in denen die Grenzen zwischen Antizipation und konkreter Warnung verschwimmen und trotzdem Handlungsnotwendigkeiten zum Schutz der Bevölkerung entstehen, im Feld des Zivil- und Katastrophenschutzes mit dieser unklaren Lage umgegangen ist.

Warnungen als zentraler Teil eines integrierten Katastrophenrisikomanagements (IKRM) 

Im Rahmen des INCREASE-Projekts wurde an der KFS relevante Literatur zum Integrierten Katastrophenrisikomanagement (IKRM) auf internationaler sowie nationaler Ebene analysiert. Es wurden Indikatoren und konzeptionelle Elemente zur Förderung eines IKRM im nationalen und internationalen Kontext herausgearbeitet und untersucht, inwieweit ein Integriertes Katastrophenrisikomanagement systemischer werden kann: Wie kann es gelingen, Gefahren ganzheitlicher zu bewältigen und dafür alle vorhandenen gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren, anstatt nur entlang der jeweils gegebenen arbeitsteiligen Verhältnisse und “versäulten” Zuständigkeitsbereichen? Dafür ist die Geschichte des internationalen IKRM sowie des Katastrophenschutzes in Deutschland als Grundlage heranzuziehen. Darauf aufbauend können aktuelle Herausforderungen bei der Umsetzung eines IKRM erörter und Wege für weitere Forschungen und Herangehensweisen im Bevölkerungsschutz vorgeschlagen werden. Einige bisherige Ergebnisse weisen auf das Fehlen eines übergreifenden IKRM-Ansatzes hin. IKRM ist meist nur ein Sammelbegriff für zahlreiche ganz unterschiedlich gelagerte Ideen und Methoden, aber weit weg von einer Operationalisierbarkeit. Dies macht den Bedarf einer umfassenderen Theorie und Methodik zur weiteren Förderung des IKRM deutlich.

Eine ebenen- und institutionsübergreifende bundesweite Übung, wie der Warntag, ist ein Element der Katastrophenvorsorge und -vorbereitung. Neben der Überprüfbarkeit der Funktionsfähigkeit der technischen Warnmittel, eröffnet ein Warntag die Möglichkeit, Lücken zu reflektieren und zu schließen. Darüber hinaus fördert er die Zusammenarbeit der Akteure und sensibilisiert die Bevölkerung für mögliche Katastrophen und motiviert möglicherweise die Auseinandersetzung mit Verhaltens- sowie Handlungsoptionen. Frühwarnsysteme sind jedoch nur dann wirksam, wenn ihre technischen und sozialen Elemente multidimensional integriert sind. Konkrete ‚Lessons to learn‘ zu Kommunikation und Warnung sind daran anschließend im Bericht Zustand und Zukunft des Bevölkerungsschutzes in Deutschland formuliert.

Warnungen und Warnkommunikation in speziellen Kontexten oder Lagen 

Wie schützten sich die Menschen in Berlin und Brandenburg in der Vergangenheit vor wasserbedingten Gefahren? 

Im Projekt Climate and Water under Change (CliWaC) untersucht die KFS seit Anfang 2022 die Geschichte wasserbezogener Risiken in Berlin/Brandenburg, ihre Rezeption und den Umgang mit ihnen. Wie nahmen die Menschen Gefahren wie anhaltende Trockenheit und Hitze, Wassermangel und verunreinigtes Wasser in der Vergangenheit wahr? Wie gingen sie mit Dürren, über das Wasser verbreitete Krankheitserreger und Überschwemmungen nach Starkregenereignissen um? Welche Warnmechanismen kamen zum Schutz der Menschen, ihrer landwirtschaftlich genutzten Flächen und Häuser zum Einsatz und welche Maßnahmen erwiesen sich als effektiv? Diesen Fragen widmet sich die KFS aus historischer Perspektive mit dem Ziel besser zu verstehen, wie sich die soziopolitischen Kommunikationsbedingungen entwickelt haben, die heute die Grundlage unseres Kommunikationsverhaltens bilden.

Wie kann das indonesische Tsunami-Warnsystem durch Zusammenarbeit von Wissenschafts- und Praxisakteuren verbessert werden? 

Das indonesische Tsunami-Warnsystem wurde 2008 offiziell eingeweiht. 2018 ereigneten sich zwei Tsunamis mit verheerenden Folgen, die von dem bestehenden Warnsystem nicht erfasst wurden, so dass keine Warnungen ausgesprochen wurden. Der Grund war, dass diese durch den Flankenkollaps eines Vulkans und durch einen Erdrutsch ausgelöst wurden – das Warnsystem war jedoch allein auf Erdbeben ausgerichtet, nicht auf Erdrutsche oder andere mögliche Tsunamiauslöser. Da bei der Entwicklung des 2008er Warnsystems der konkreten Übermittlung der Warnung an die zu Warnenden nur wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, könnte man dieses weniger als ein Tsunami-Warnsystem bezeichnen, sondern lediglich als ein technisches System, das Behörden über mögliche Tsunamis in Folge von Erdbeben informierte.  Deutsche und indonesische GeowissenschaftlerInnen forschen deshalb  im Projekt Tsunami Risk im Bereich Seismologie, Vulkanologie, Geologie, Ozeanografie und Geoingenieurwesen zu dem Thema nicht-seismisch induzierter Tsunamis. Ziel der KFS ist es, den Prozess kritisch zu beobachten und zu begleiten sowie insbesondere den Austausch zwischen den Fachdisziplinen und Praxisakteuren vor Ort zu unterstützen und stärker zu integrieren. Eine erste wichtige Erkenntnis ist, dass weniger das Versagen technischer Systeme oder Elemente eine Rolle spielte, sondern vielmehr soziale Aspekte wie z. B. Kommunikationsprozesse oder die Nichteinbeziehung lokaler Sichtweisen von “Risiko” und “Gefahr”. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass ein Warnsystem nicht (nur) als Technologie, sondern als sozialer Prozess zu betrachten ist.

© Tsunami Risk

Warnung, Koordination und Kooperation – Wie können KRITIS-Betriebe und Unternehmen gewarnt werden? 

Nicht nur die Bevölkerung ist abhängig von Warnungen, sondern auch Unternehmen und Betreiber kritischer Infrastrukturen. Ohne Kenntnis einer drohenden Gefahr ist es ihnen nicht möglich, Selbstschutzmaßnahmen zu treffen und ihre eigene Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Insbesondere im Falle von kritischen Betrieben, wie bspw. Krankenhäusern, kann dies fatale Folgen haben.

Die Krisenkommunikation und Informationsweitergabe zwischen Warnorganisationen, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und KRITIS-Betreibenden ist dabei oft ausbaufähig. Meist werden verfügbare Informationen und Warnungen organisationsintern gesammelt, ausgewertet und nur im eigenen Wirkungs- und Prioritätenkontext interpretiert, die gewonnen Erkenntnisse aber nicht miteinander geteilt. Hierdurch entstehen voneinander entnetzte Lagebilder, welche eine gemeinsame Lagebewältigung im Zweifel deutlich erschweren können.

Die KFS bearbeitet die Thematik unter anderem im Forschungsprojekt RESIK, in dem v.a. Krankenhausnotfallmanagement und -evakuierung in Hochwassersituationen beforscht werden. Beispielhafte Problematiken zur Warnung von und Kommunikation zwischen kommunalen Sicherheitsbehörden und Krankenhäusern finden sich etwa in einer publizierten Fallstudie zur Evakuierung eines Krankenhauses während der Hochwasserkatastrophe von 2021, die die gesamte Evakuierung als sozialen, von Kommunikation abhängigen Prozess begreift.

Warnungen vor und während der Starkregen- und Hochwasserereignisse im Juli 2021 

Bereits die frühen Evaluationen und Lessons Learned-Papiere, die in schneller Abfolge nach den Starkregen- und Hochwasserereignissen im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz veröffentlicht wurden (z.B. Beinlich 2021) deuteten sehr deutlich darauf hin, dass eine Ursache für die für deutsche Kontexte sehr hohe Anzahl an Todesopfern war, dass Warnungen nicht erfolgten bzw. nicht weitergegeben wurden, dass das potenzielle Ausmaß der möglichen Schäden nicht deutlich genug kommuniziert wurde und dass viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn die Warnketten und -botschaften verlässlich gewesen wären. Aus meteorologischer Sicht waren die Anzeichen für ein außergewöhnliches Ereignis sehr deutlich, viele der stark betroffenen Ortschaften hätten mit einigem Zeitvorlauf evakuiert werden können. Differenzierter betrachtet zeigt sich jedoch in Fallstudien im Kontext des Projekts HoWas21, dass es durchaus eine Vielzahl an Warnungen über unterschiedliche Warnmittel (Warn-Apps, sozialen Medien, Sirenen, Lautsprecherfahrzeuge, persönliche Ansprache durch die lokale Gefahrenabwehr und persönliche Warnung) gab, die nur sehr unterschiedlich wahrgenommen und mit Handlungen versehen wurden. In kleinen sozial eng vernetzten Ortschaften wie z.B. in Mayschoß oder Schuld, konnten viele Menschen durch persönliche Ansprache durch die örtlichen Feuerwehren gewarnt werden, so dass nur wenige Todesopfer zu beklagen waren.   

Das Problem war – soweit der gegenwärtige Aufarbeitungsstand  – zum Einen, dass man vor den Starkregenereignissen (und z.T. auch daraus resultierenden möglichen Hochwasserereignissen) warnte, nicht jedoch in der Höhe bzw. der Stärke, in der notwendigen Dringlichkeit und v.a. nicht in Form von Flutwellen. Die Frage, ob und wie konkret man die Auswirkungen, also den Impact, des Regens hätte vorhersagen können, ist bis heute Teil intensiver Diskussionen der verschiedenen Warn-Akteure Deutscher Wetterdienst (DWD), der Landesumweltämter bis hin zu den Landkreisen. Es erscheint hierbei von entscheidender Bedeutung, wie der Kommunikationsrahmen gestaltet ist, indem ein potentiell schadbringendes Ereignis wahrgenommen und gedeutet wird. Entscheidend ist dann nicht die Information über ein extremes meteorologisches Ereignis an sich, sondern vielmehr, ob die Akteure auf allen Ebenen ihre Wahrnehmung so weit öffnen, dass sie auch das bislang nie Erlebte, gänzlich Unerwartete in Betracht ziehen. So zeigen empirische Studien, dass Warnungen, wenn sie die potenziell Betroffenen überhaupt erreichte, zum Teil sowohl von der Bevölkerung als auch von Verantwortlichen des Katastrophenschutzes nicht ernst genug genommen wurden. Eine Rolle mag dabei auch gespielt haben, dass es zuvor schon mehrere ähnliche Warnungen gab oder auch, dass die Bevölkerung die Warnungen zwar wahrnahm, aber nicht wusste, welche Handlungen daraus folgen sollten (z.B. Thieken et al. 2022). Problemverschärfend wird sich ausgewirkt haben, dass zwischen Landkreis und Kommune abgestimmte, kohärente Warn- und Informationskonzepte – obwohl in den jeweiligen Landeskatastrophenschutzgesetzen als genuine Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung definiert – nur selten vorlagen.

© Katastrophenforschungsstelle (KFS)

Medienbeiträge 

Die KFS erforscht nicht nur die wissenschaftlichen Grundlagen zur Warnung, sondern versucht auch, die Erkenntnisse aktiv in die öffentlich-mediale Diskussion zu tragen. Eine Auswahl an für den Warntag 2022 relevanten Beiträgen im Folgenden, mehr dazu auch hier.  

vorwärts, 06.12.2022: Haben wir verlernt, mit Katastrophen umzugehen, Professor Voss? 
https://www.vorwaerts.de/artikel/haben-verlernt-katastrophen-umzugehen-professor-voss 

Stadt Aachen, Pressemitteilung, 06.12.2022: Zum bundesweiten Warntag: Stadt stellt Leuchtturm-Konzept vor 
https://www.aachen.de/DE/stadt_buerger/politik_verwaltung/pressemitteilungen/leuchtturm.html 

Tagesspiegel, 05.12.2022: Bald ist bundesweiter Warntag: Ist der Katastrophenschutz jetzt gut aufgestellt?  
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/bald-ist-bundesweiter-warntag-ist-der-katastrophenschutz-jetzt-gut-aufgestellt-8975749.html 

Tagesschau, 25.10.2022: Notfallpläne in Kommunen: “Bei komplexen Krisen ziemlich hilflos” 
https://www.tagesschau.de/inland/kommunen-notfallplaene-101.html 

Ruhrbaron, 16.10.2022: Katastrophenschutz: Kritik an Ländern und Kommunen 
https://www.ruhrbarone.de/katastrophenschutz-kritik-an-laendern-und-kommunen/213805/ 

taz, 11.04.2022: Katastrophenschutz in Deutschland: Wenn es ganz dicke kommt 
https://taz.de/Katastrophenschutz-in-Deutschland/!5844687/ 

RBB, 11.05.2022: Zivilschutz in Brandenburg: Schlecht vorbereitet für den Ernstfall 
https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/05/brandenburg-schutzraeume-zivilschutz-kriegsfall-bunker.html 

Forum (das Magazin des Medizinischen Dienstes), Ausgabe 2/2022: Müssen wir uns besser auf Katastrophen vorbereiten? 
https://md-bund.de/fileadmin/dokumente/forum_das_Magazin_des_Medizinischen_Dienstes/Leseproben/Ausgabe_2_2022/forum_2-2022_-_Muessen_wir_uns_besser_auf_Katastrophen_vorbereiten.pdf 

Zum Warntag 2020 

Deutschlandfunk, 10.09.2021: Ein Jahr nach dem bundesweiten Test: Aus Mängeln und Defiziten des Warntags lernen 
https://www.deutschlandfunk.de/ein-jahr-nach-dem-bundesweiten-test-aus-maengeln-und-100.html 

Süddeutsche Zeitung, 10.09.2020: Warntag: “Die Pandemie hat viele Elemente einer Katastrophe” 
https://www.sueddeutsche.de/panorama/warntag-katastrophe-probealarm-sirene-1.5026256 

Süddeutsche Zeitung, 10.09.2020: Katastrophenübung: Warum um elf die Sirenen heulen 
https://www.sueddeutsche.de/panorama/warntag-2020-deutschland-1.5025134 

Literatur/weiterführende Veröffentlichungen zum Thema   

Bayerisches Zentrum für besondere Einsatzlagen gGmbH (2021): Konzeptionsanalyse BayZBE. Lesson Learnt des Ahrtal Hochwassers Juli 2021. Online verfügbar unter https://www.dkkv.org/fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Publikationen/Konzeptionsanalyse_BayZBE_Lesson_Learnt_des_Ahrtal_Hochwassers_Juli_2021.pdf

BBK (2020): Warnung der Bevölkerung. Magazin Bevölkerungsschutz 03/2020. Online Verfügbar unter https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Mediathek/Publikationen/BSMAG/bsmag_20_3.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Büser, Till (2019): Kommunikation und Warnungen. In: Kox, T. & Gerhold, L. (Hrsg.): Wetterwarnungen: Von der Extremereignisformation zu Kommunikation und Handlung. Beiträge aus dem Forschungsprojekt WEXICOM. Forschungsforum Öffentliche Sicherheit, Berlin. Online verfügbar unter https://www.sicherheit-forschung.de/forschungsforum/schriftenreihe_neu/sr_v_v/SchriftenreiheSicherheit_25.pdf

Clausen, Lars; Dombrowsky, Wolf R. (1984): Warnpraxis und Warnlogik. In: Zeitschrift für Soziologie. Jg. 13, Heft 4, S. 293-307. Enke Verlag Stuttgart. Online verfügbar unter https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-1984-0402/pdf

Landtag Nordrhein-Westfalen (2022): Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses V („Hochwasserkatastrophe“). Drucksache 17/16930. Online verfügbar unter https://opal.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-16930.pdf

Mayer, Aljoscha; Voss, Martin (2021): Risiko- und Krisenkommunikation. Ein Überblick. AKFS Report Nr. 4. Berlin: AKFS. Online verfügbar unter https://a-kfs.de/wp-content/uploads/2022/11/4_Risko-und-Krisenkommunikation_AKFS_2021.pdf

Reiter, Jessica; Wenzel, Bettina; Dittmer, Cordula; Lorenz, Daniel F.; Voss, Martin (2017): Das Hochwasser 2013 im Elbe-Havel-Land aus Sicht der Bevölkerung. Forschungsbericht zur quantitativen Datenerhebung. KFS Working Paper 04. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/21893/KFS_Working_Paper_Nr_04_Reiterx_Wenzelx_Dittmerx_Lorenzx_Voss.pdf

Reiter, Jessica; Dittmer, Cordula; Lorenz, Daniel F.; Voss, Martin (2018): Katastrophen und Katastrophenvorsorge in Jena aus Sicht der Bevölkerung. KFS Working Paper Nr. 12. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/23536/181204_Katvorsorge_Jena_finale_Version.pdf

Reiter, Jessica; Nunes Muniz, Janaina; Dittmer, Cordula; Lorenz, Daniel F.; Voss, Martin (2019): Katastrophen und Katastrophenvorsorge in Berlin-Neukölln aus Sicht der Bevölkerung. Ergebnisse einer quantitativen Bevölkerungsbefragung. KFS Working Paper Nr. 13. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/25096/13_Working_Paper_KFS_Reiter__Nunes_Katastrophenvorsorge_in_Berlin_Neuk%c3%b6lln.pdf

Schulze, Katja; Lorenz, Daniel F.; Wenzel, Bettina; Voss, Martin (2015): Disaster Myths and their Relevance for Warning Systems. Online verfügbar unter https://www.researchgate.net/publication/330116501_Disaster_Myths_and_their_Relevance_for_Warning_Systems

Schulze, Katja; Voss, Martin; (2016): Manual zur Zusammenarbeit mit Mithelfenden bei der Katastrophenbewältigung. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/21932/KFA_Arbeitsmaterial_1_Schulze_Voss_2016_Manual_zur_Zusammenarbeit_mit_Mithelfenden.pdf

Schulze, Katja; Voss, Martin (2016): Handlungsleitfaden zur Zusammenarbeit mit Mithelfenden bei der Katastrophenbewältigung. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/21839/KFS_Arbeitsmaterial_2_Schulze_Voss_2016_Handlungsleitfaden_zur_Zusammenarbeit_mit_Mithelfenden_Layout.pdf

Schulze, Katja (2016): Werkzeugkasten zur Zusammenarbeit mit Mithelfenden 
bei der Katastrophenbewältigung. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/21878/KFS_Arbeitsmaterialien_3_Schulze_2016_Werkzeugkasten_zur_Zusammenarbeit_mit_Mithelfenden.pdf

Schulze, Katja; Merkes, Sara T.; Kleinebrahn, Anja; Flörchinger, Verena; Voss, Martin (2020): Veränderte Wahrnehmungen der COVID-19-Lage von März bis April 2020: Ergebnisse einer deutschlandweiten Panelbefragung. KFS Working Paper Nr. 17. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/27622/17_WP_KFS_Schulze_et_al_2020_Veraenderte_Wahrnehmung_der_COVID-19-Lage.pdf

Schulze, Katja; Voss, Martin (2020): Sturm „Sabine“ – Wahrnehmung der Warnungen und Reaktionen. Ergebnisse einer deutschlandweiten Bevölkerungsbefragung. KFS Working Paper Nr. 18. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/29058/Schulze_Voss_2020_Sturm_Sabine_Wahrnehmung_der_Warnung_und_Reaktion1.pdf

Schulze, Katja & Voss, Martin (2022). Weather Forecast and Weather Warning Preferences in Germany. Results of a national representative study. KFS Working Paper Nr. 24. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/34940/Schulze_Voss_2022_Weather_Forecast_and_Weather_Warning_Preferences_in_Germany_digitalversion.pdf

Thieken, A. H.; Bubeck, P.; Heidenreich, A.; von Keyserlingk, J.; Dillenardt, L.; Otto, A. (2022): Performance of the flood warning system in Germany in July 2021 – insights from affected residents, EGUsphere. Online als Preprint verfügbar unter https://egusphere.copernicus.org/preprints/2022/egusphere-2022-244/ 

Voss, Martin (2022): Zustand und Zukunft des Bevölkerungsschutzes in Deutschland – Lessons to learn. KFS Working Paper Nr. 20 (Version 4). Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://www.polsoz.fu-berlin.de/ethnologie/forschung/arbeitsstellen/katastrophenforschung/publikationen/Lessons_to_learn_2022.pdf,

Voss, Martin; Rüger, Anja; Bock, Nicolas; Dittmer, Cordula; Merkes, Sara T. (2022): Die Evakuierung des St. Antonius-Hospitals Eschweiler während der Flutereignisse im Juli 2021. Katastrophenforschungsstelle Berlin. KFS Working Paper Nr. 25. Berlin: KFS. Online verfügbar unter https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/35555/Evakuierung_Krankenhaus_Eschweiler_2021.pdf