Thies Johannsen im Interview: „Wissen wird nicht weniger, wenn es geteilt wird, sondern es wird mehr und es wird besser.“

Ein Gastbeitrag des Open-Access-Teams der TU Berlin

Bereits seit 2017 nutzt das Open-Access-Team der Technischen Universität Berlin die internationale Open Access Week dafür, um mit Angehörigen der TU Berlin ins Gespräch zu kommen und Einblicke in die Perspektive von Forschenden auf Open-Access-Praktiken zu erhalten. Die so gewachsene Interviewreihe ist bislang im Blog „Publizieren an der TU Berlin“ erschienen.

Auch in diesem Jahr haben wir vom Open-Access-Team wieder Wissenschaftler*innen der TU Berlin gefragt: „Wie halten sie es mit Open Access?“ Und wir freuen uns, die drei Gespräche hier im Open Research Blog Berlin veröffentlichen zu können.

Den Auftakt macht in diesem Jahr Dr. Thies Johannsen vom Fachgebiet Konstruktion von Maschinensystemen der TU Berlin und Open Science Ambassador der Berlin University Alliance. Seiner Ansicht nach trägt Open Access dazu bei, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur breiter zugänglich, sondern auch besser und sozial robuster werden. Er plädiert dafür, dass Open Access zur wissenschaftlichen Praxis gehören sollte, wie auch gute wissenschaftliche Standards.

Team Open Access der TU Berlin: Open Access ist ein strategisches Ziel der TU Berlin und der BUA. Wie sieht das in Ihrem Forschungsalltag aus? In welchen Kontexten nehmen Sie Diskussionen zu Open Access wahr? 

Thies Johannsen: Dass die Berlin University Alliance bereits 2023 ein gemeinsames Leitbild für offene Wissenschaft verabschiedet hat, ist ein wichtiger, richtiger und notwendiger Schritt. Dieses Leitbild wird auf zwei Ebenen gelebt: Nach außen wirkt die Allianz mit einer umfassenden Wissenschaftskommunikationskampagne in die Metropolregion Berlin hinein und öffnet sich gezielt für gesellschaftliche Akteur*innen. Nach innen wirkt sie durch Initiativen wie das Open Science Ambassador-Programm, an dem ich mitwirken darf. Als Multiplikator*innen setzen wir uns dafür ein, Open Science an unseren Institutionen sichtbarer und wirksamer zu machen.

Dabei konkurrieren wir allerdings mit einer Vielzahl anderer, teils ebenfalls forschungsnaher Initiativen um die knappe Ressource Aufmerksamkeit der Forschenden. In gewisser Weise ist die Berlin University Alliance damit auch Opfer ihres eigenen Erfolgs, weil die hohe Dichte an Aktivitäten zu einer gewissen Sättigung führen kann. Wissenschaftler*innen können Open Science im Alltag als zusätzliche Aufgabe wahrnehmen – neben hoher Lehrverpflichtung, dem Anspruch, exzellente Forschung zu betreiben, und einer zunehmend angespannten finanziellen und damit unsicheren Lage. Dies gilt umso mehr, wenn Wissen über das Thema fehlt und diese Unsicherheit verschärft.

Diesen Vorbehalt kenne ich auch aus meiner Arbeit im Wissens- und Technologietransfer sowie in transdisziplinären Forschungskontexten. Dabei lassen sich bereits mit minimalem Aufwand, etwa durch Sichtbarmachung existierender, aber bislang nicht benannter Praktiken, große Wirkungen erzielen. Ein Beispiel: Am Institut für Konstruktion von Maschinensystemen arbeiten wir häufig an individuell konstruierten Versuchsanlagen. Die Bereitstellung von Daten nach den FAIR-Prinzip – das Akronym steht für Findable, Accessible, Interoperable und Reusable – ist hier komplex und erfordert zusätzliche Anstrengungen. Das lässt sich nicht immer unmittelbar vermitteln. Hier sind strukturelle Anreize erforderlich.

Über den Interviewpartner: Thies Johannsen lehrt und forscht an der Schnittstelle zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften sowie den MINT-Disziplinen. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Kompetenzen für innovationsorientiertes Transferhandeln, für die Zukunftsfähigkeit von Absolvent*innen und eine ganzheitliche Ingenieur*innenausbildung. Er berät Hochschulen, Unternehmen und Organisationen zu entsprechenden Transformations- und Qualifizierungsprozessen.

Gleichzeitig liegt genau darin ein enormes Potenzial: Daten öffentlich zugänglich zu machen, sie als Preprints zur Diskussion zu stellen, als Open Data anschlussfähig zur Verfügung zu stellen, kann die eigene Forschung sichtbarer machen und damit auch den individuellen Impact und die Karrierechancen deutlich erhöhen.

An unserer Fakultät verfolgen wir erste Ansätze, dieses Thema frühzeitig in die Lehre zu integrieren, und zwar nicht durch aufwändige Neukonzeptionen der Curricula, sondern durch gezielte Aktivierung vorhandener Potenziale. So führen wir Studierende und angehende Wissenschaftler*innen behutsam an das Thema heran. Open Access und Open Science sind dabei keine bloßen Add-ons, sondern werden als integrale Bestandteile guter wissenschaftlicher Praxis vermittelt. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass sie in das disziplinäre Selbstverständnis übergehen und entsprechend gelebt werden.

Open Access hat den offenen Zugang zu wissenschaftlicher Information zum Ziel. Was haben Sie in der Vergangenheit dafür getan, damit Ihre Forschungsergebnisse frei zugänglich sind? Wollen Sie das in Zukunft weiter ausbauen? Und was brauchen Sie dafür?

Die Zugänglichkeit wissenschaftlicher Ergebnisse ist für mich nicht nur eine Frage der öffentlichen Finanzierung, obwohl auch diese einen wichtigen Rahmen setzt. Ich selbst bin in einem Drittmittelprojekt tätig, das zunächst vom BMBF und inzwischen vom BMFTR gefördert wird. Daraus ergibt sich für mich eine klare ethische und legitimatorische Verantwortung, meine Forschungsergebnisse zugänglich zu machen.

Auch persönlich profitiere ich davon. Durch Open Access erreiche ich meine Zielgruppe leichter und kann mit meiner Arbeit eine stärkere Wirkung entfalten. Deshalb habe ich im Rahmen meines Projekts unter einer CC BY 4.0-Lizenz publiziert und diese Möglichkeit auch für mein Team geschaffen.

Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Rolle der Universitätsbibliothek, die mit einem eigenen Fonds für Open-Access-Publikationen sehr konkret unterstützt. Das ist ein deutliches Signal für die institutionelle Verankerung von Open Access an der TU Berlin.

Darüber hinaus gibt es niedrigschwellige, aber sehr wirksame Infrastrukturen wie Zenodo. Dabei handelt es sich um ein Repositorium, das von der EU, OpenAIRE und CERN betrieben wird. Es ermöglicht die Veröffentlichung unter Creative-Commons-Lizenz und stellt dabei einen DOI zur Verfügung. Das ist gerade deshalb relevant, weil so auch nicht-klassische Publikationsformate wie Poster, Templates, Lehrmaterialien oder audiovisuelle Beiträge zitierfähig werden und damit auf die für wissenschaftliche Karrieren nach wie vor zentrale Währung „Publikationen“ einzahlen. Auch forschungsnahe Lehrinhalte lassen sich auf diese Weise veröffentlichen.

Um eine Open-Access-Kultur nachhaltig zu stärken, braucht es meines Erachtens vor allem den Rückhalt durch die unmittelbaren Führungskräfte. Open Access darf kein optionales Extra sein, das auf Nachfrage ermöglicht wird, sondern sollte ebenso selbstverständlich zur wissenschaftlichen Praxis gehören wie gute wissenschaftliche Standards insgesamt. Das setzt eine klare Positionierung auf Fachgebietsebene voraus.

Dabei können Vorbilder ebenso wie externe Erwartungen eine wichtige Rolle spielen und dazu beitragen, dass nicht nur individuelle Laufbahnen gestärkt, sondern auch die gesellschaftliche Relevanz und Verantwortung von Wissenschaft insgesamt sichtbarer wird.

Gab es bereits konkrete Situationen in Ihrem Forschungsalltag, in denen Open Access hilfreich war?

Ein besonders anschauliches Beispiel betrifft die systematische Literaturrecherche. Hier stoßen wir nach wie vor häufig auf Paywalls, und dass trotz zunehmender Open‑Access‑Anteile. Gerade bei einer strukturierten Literaturanalyse fehlt oft der freie Zugriff auf entscheidende Quellen. Erfreulicherweise nimmt der freie Zugang in den letzten Jahren deutlich zu.

Ein zweites Beispiel sind die Daten, die das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) erhoben hat und mit denen wir aktuell arbeiten. In der 21. Sozialerhebung wurden knapp 55.000 Studierendenbefragungen ausgewertet, in der 22. Sozialerhebung sogar rund 188.000 Studierende an 250 Hochschulen befragt. Ein solcher Datensatz ist in den meisten Einzelprojekten nicht darstellbar, ermöglichte aber durch die sekundäre Auswertung enormen Erkenntnisgewinn.

Schließlich möchte ich auf eine Erhebung hinweisen, die wir in einem unserer eigenen Projekte durchgeführt haben. Darin haben wir über 1.000 Wissenschaftler*innen zum Thema Transfer befragt und diese Daten im Anschluss aufbereitet und frei zugänglich gemacht. Das schafft nicht nur Transparenz, sondern befähigt andere Forschungsteams, auf diesen Ergebnissen aufzubauen und Impulse im Diskurs zu setzen. Für uns selbst gewinnen die Ergebnisse dadurch zusätzlich an Gewicht, weil sie nicht als singulärer Beitrag, sondern als Grundlage einer eigenständigen Debatte in der Community dienen können.

Damit eine flächendeckende Umstellung zu Open Access gelingen kann, sind Änderungen in ganz verschiedenen Bereichen erforderlich – u.a. Finanzierungsstrukturen, Kriterien der Forschungsbewertung und Berufungsverfahren, Ausbau von alternativen Publikationsangeboten, Governance von Publikationsorganen… Welche Aspekte sollte die TU Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren priorisieren?

Um Open Access tatsächlich in der Breite zu leben, braucht es an einer großen, komplexen Universität wie der TU Berlin nicht weniger als einen echten Kulturwandel. Das bedeutet, kein einzelner Aspekt kann für sich allein wirken, weder Führung, Anreizsetzung, Beteiligung oder Kommunikation. Erst im Zusammenspiel entfalten diese Faktoren ihre transformative Kraft. Gefragt ist also eine übergreifende, strategisch geplante und partizipativ sowie iterativ umgesetzte Organisationsentwicklung.

Was es dafür braucht, ist zunächst eine klare Vision. Vorbild könnte die Transferstrategie sein, die wir gemeinsam an der TU Berlin entwickelt und verabschiedet haben. Auch dort ging es darum, ein Querschnittsthema in Forschung und Lehre zu integrieren und strukturell mitzudenken. Eine solche Vision muss auf Leitungsebene verankert und glaubwürdig vertreten sein. Es braucht eine authentische Ressortzugehörigkeit im Präsidium, also eine Person, die Open Access mit Überzeugung lebt, kommuniziert und vorantreibt.

Gleichzeitig braucht es universitätsgemäße Beteiligungsformate für die Fakultäten, die zentralen und dezentralen Gremien und letztlich auch für die Fachgebiete selbst. Nur so entsteht echte Mitverantwortung. Dieser Wandel muss zudem strategisch abgesichert werden. Das kann zum Beispiel durch die Integration von Open-Access-Kriterien in Leistungsindikatoren, Forschungsberichten und Berufungsverhandlungen geschehen.

Ein weiterer entscheidender Punkt sind finanzielle Rahmenbedingungen. Publikationskosten dürfen kein Hindernis sein. Das gilt in gleichem Maße für bürokratische Hürden. Hier braucht es schlanke Prozesse, damit Wissenschaftler*innen Zeit für Lehre und Forschung haben. Die Universität beziehungsweise die Berlin University Allianz muss dort gezielt unterstützen.

Nicht zuletzt braucht es Sichtbarkeit. Erfolge müssen nach innen wie nach außen deutlich gemacht werden. Das kann durch Formate wie den Neujahrsempfang der TU oder durch Beiträge in hochschulübergreifenden Publikationsorganen wie dem Magazin der Berlin University Alliance Wir/Vier erfolgen. Auch die Open Science Ambassador-Initiative ist in diesem Kontext ein starkes Signal. Sie schafft Sichtbarkeit für das Thema, vernetzt Akteur*innen, und setzt konkrete Impulse, wie eine gelebte Open-Access-Kultur Realität werden kann.

Kurz und knapp in einem Satz: Was finden Sie gut an Open Access?

Wissen wird nicht weniger, wenn es geteilt wird, sondern es wird mehr und es wird besser, weil Open Access dazu beiträgt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur breiter zugänglich, sondern auch qualitativ besser und sozial robuster werden.

Geben Sie uns zum Abschluss einen Einblick in Ihr Forschungsfeld für Disziplinfremde. Mit welchen Fragen und Erkenntnissen beschäftigen Sie sich?

Ich arbeite am Fachgebiet Konstruktion von Maschinensystemen, also an einem klassischen Maschinenbau-Fachgebiet. Hier geht es um Themen wie Bremsenforschung, Konstruktionsmethodik oder zeitgemäße, intelligente Landtechnik. In diesem Umfeld beschäftige ich mich mit einer vielleicht unerwarteten Frage, nämlich wie Ingenieur*innen so ausgebildet werden können, dass sie nicht nur fachlich gut aufgestellt sind, sondern ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und Technik im Sinne des Gemeinwohls gestalten können.

Mich interessiert dabei besonders, welche Kompetenzen es braucht, um in interdisziplinären und transdisziplinären Kontexten wirksam zu werden oder, mit anderen Worten, was müssen unsere Studierenden und Wissenschaftler*innen können, um gemeinsam mit Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und anderen Wissenschaftsbereichen an Lösungen zu arbeiten. Denn viele Herausforderungen in Bereichen wie Energie, Mobilität oder Landwirtschaft, vor denen wir heute stehen, sind zu komplex, um sie allein aus der Perspektive einer einzelnen Disziplin zu lösen.

Darum untersuche ich in Forschungsprojekten, welche Kompetenzen Studierende, insbesondere im Ingenieurwesen, entwickeln müssen, um in solchen Konstellationen verantwortungsvoll und wirkungsorientiert handeln zu können. Das reicht von kommunikativen und kooperativen Fähigkeiten bis hin zu strategischer Reflexion und ethischer Urteilsfähigkeit. Dabei arbeite ich eng mit Partnerinnen wie dem Fraunhofer IAO und der Hochschule München zusammen und bringe die Ergebnisse in unsere Lehre und unsere Weiterbildungsangebote ein, um diese Transferkompetenz zu fördern. Damit möchte ich einen Beitrag leisten, dass Hochschulen wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur erzeugen, sondern damit in der Gesellschaft einen konkreten Mehrwert entfalten können. Ich bin überzeugt, dass es diesen Schulterschluss dringender denn je braucht.

Zitiervorschlag:
Open-Access-Team der TU Berlin (2025, Oktober 20). Thies Johannsen im Interview: "Wissen wird nicht weniger, wenn es geteilt wird, sondern es wird mehr und es wird besser.". Open research office berlin. https://doi.org/10.59350/hfnw3-06322

Zum Weiterlesen:

Vom 20. bis 26. Oktober: Open Access Week 2025 „Who owns our knowledge?“ – Veranstaltungen in Berlin und Brandenburg

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