Kooperative Publikationsinfrastrukturen – wünschenswert, umsetzbar, händelbar?!

Ein Bericht von Linda Martin, Maike Neufend und Renate Voget.

Anlässlich der 26. DINI-Jahrestagung veranstalteten das Open Research Office Berlin, das Vorprojekt NiedersachsenPUBLISHING und der Infrastrukturbereich der Landesinitiative openaccess.nrw am 9. September 2025 den Workshop “Kooperative Publikationsinfrastrukturen – wünschenswert, umsetzbar, händelbar?!”

Zu den Zielen des ergebnisoffenen Workshops zählten, das Bewusstsein für Chancen und Herausforderungen von kooperativ gestalteten Diamond-Open-Access (Diamond OA)-Infrastrukturen zu steigern und mögliche Umsetzungsszenarien zu diskutieren.

 Zum Auftakt stellten die Veranstalterinnen die unterschiedlichen Rahmenbedingungen ihrer Initiativen und Projekte auf Landesebene vor. In Nordrhein-Westfalen wird seit 2022 am Hochschulbibliothekszentrum (hbz) eine zentrale, landesweite Infrastruktur für Diamond OA-Publikationen betrieben, die auf einer Kooperation des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft sowie den Hochschulen des Landes beruht. Das Mitte 2025 in Niedersachsen gestartete Vorprojekt NiedersachsenPUBLISHING erarbeitet u.a. Empfehlungen für die künftig bereitzustellenden Angebote für Forschende einer dezentral organisierten und durch das Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung geförderten Diamond-OA-Publikationsinfrastruktur. Das Land Berlin hat bereits in der Open-Access-Strategie von 2015 zusammen mit den Wissenschafts- und Kulturerbe-Einrichtungen den

Offene und kooperative Publikationsinfrastrukturen – Rahmenbedingungen

Um sich dem Angebot einer kooperativ gestalteten Infrastruktur anzunähern nahmen die Teilnehmer*innen ein Mapping von übergeordneten Zielen, landesweit anzubietenden Services und kooperativ einzubindenden Stakeholdern vor.

Die Anwesenden hoben das gemeinsame Ziel des schonenden Umgangs von Ressourcen hervor. Durch die Teilung von Arbeitsleistung oder Expertise könne die Professionalisierung des eigenen Angebots erhöht werden. Ein weiteres übergeordnetes Ziel sei die Bedarfsorientierung einer landesweiten Publikationsinfrastruktur: Die Leistungen einer kooperativ organisierten Diamond-OA-Infrastruktur sollten sich stets an den Bedürfnissen der Zielgruppen orientieren.

Wer genau die Zielgruppe ist, wurde intensiver diskutiert, denn nahe liegt, dass wissenschaftlich Tätige aus Instituten und Einrichtungen eines Landes dazu gehören. Auch Fachgesellschaften wurden als Teil der Zielgruppe identifiziert, da für diese ein Mehrwert in der Erhöhung der Sichtbarkeit eigener Forschungsergebnisse liegen könne. Aber auch die Wirtschaft als Profiteur einer solchen Infrastruktur wurde als Stakeholder betont. Eine transparente Kommunikation gegenüber einzelnen Zielgruppen und gute Feedbackmechanismen für alle Stakeholder – darunter Personen aus Ministerien und der Wissenschaftspolitik, Bibliotheken (inkl. Rechenzentren) und den Leitungsebenen der Hochschulen eines Landes – seien unerlässlich.

In Bezug auf landesweite Services waren sich Teilnehmer*innen darin einig, dass eine rechtliche Beratung sowie die Vermittlung von Kenntnissen zu Open Access sehr wichtig seien. In dem Punkt, ob eine kooperativ organisierte Diamond-OA-Infrastruktur zentral oder dezentral bereitgestellt werden solle, herrschte jedoch Uneinigkeit unter den Diskutant*innen.

Zur Organisation: Best & Worst Case

Verschiedene Länder – verschiedene Voraussetzungen: Wie können Einrichtungen auf vorliegende Rahmenbedingungen reagieren? Die Teilnehmer*innen diskutierten in zwei Gruppen über eine fiktive, prekäre Situation (Worst Case) und eine scheinbar ideale Ausgangslage (Best Case). Bei dem Best Case bestand die Aufgabe darin zu erörtern, ob und wie ein solches Szenario umsetzbar wäre. Zum Worst Case sollten Lösungen für die skizzierten Herausforderungen angedacht werden. Beide Szenarien zusammen erlauben, durch Reflektion und Feedback der Teilnehmer*innen eine ausgewogene Perspektive zu entwickeln.

Szenario 1 (Best Case):

Es besteht ein voll ausgebautes Angebotsportfolio einer gemeinsam genutzten Infrastruktur: Bibliotheken von Universitäten und Hochschulen, Akademien und Landesbibliotheken sowie Kulturerbeeinrichtungen bieten ein breites Portfolio an Services an. Wissenschaftler*innen und Publizierende des Bundeslandes können an allen o. g. öffentlichen Einrichtungen landesweit Zeitschriften, Bücher, Konferenzbände, Sammelbände, Dissertation etc. im Diamond Open Access publizieren. Darüber hinaus werden nicht-konventionelle Formen des Publizierens (Living Documents, maschinenlesbare Formate, Multimedialität oder Multilingualität) sowie individuelle Sonderwünsche (Layout, Einbindung von normierten Vokabularen, Indexierung in Fachdatenbanken etc.) ermöglicht. Dabei gehen die Einrichtungen arbeitsteilig vor: An jeder Einrichtung gibt es eine Basisberatung zu (Diamond) Open Access und die Möglichkeit, jeden Wunsch zu realisieren. Eine Finanzierung durch öffentliche Mittel ist dauerhaft gesichert.

Szenario 2 (Worst Case):

Es besteht keine Kooperation zwischen den Wissenschafts- und Kultureinrichtungen eines Landes. Das Angebotsportfolio einzelner Einrichtungen ist auf das Open-Access-Publizieren von Texten auf Repositorien begrenzt. Die Beratungsleistungen bzgl. Publikation von Forschungsergebnissen in den lokalen Bibliotheken müssen aufgrund von Personalmangel oftmals entfallen. Es gibt keine landesseitige Finanzierung für Publikationsinfrastrukturen.

In beiden Fällen wurde die Aushandlung von Bedarfen zwischen den beteiligten Stakeholdern als zentraler Aspekt einer gelingenden Kooperation wahrgenommen. Allerdings liegt hier auch eine Spannung begründet, denn die Schonung von Ressourcen durch Kooperation steht im operativen Geschäft oft mit Bedürfnissen einzelner Einrichtungen in direktem Konflikt: Warum genau sollen kleinere Einrichtungen sich mit ihren geringen Ressourcen einbringen, ohne direkt einen Vorteil dadurch zu gewinnen?

Am Anfang der Überlegungen stand grundsätzlich die Frage, wer sich auf welcher Ebene, EU-weit, bundesweit, regional oder disziplinär (Wissenschaft und Kultur), einbringen kann und sollte. Dabei sind Stakeholder zu unterscheiden, die ein strategisches Interesse haben (z.B. Leitungsebene, Ministerien) und Stakeholder, die eher operativ agieren (z.B. Rechenzentren). Erst danach ließe sich ein gemeinsames Zielbild formulieren, das neben kooperativen auch individuelle Voraussetzungen berücksichtige. Neben transparenten und differenzierten Entscheidungsprozessen müsse für den Betrieb einer kooperativen Diamond-OA-Infrastruktur eine klare Arbeitsteilung gefunden werden.

Bei der Definition des Leistungsportfolios herrschte in den beiden Gruppen Konsens. Neben Angeboten technischer Umgebungen (z.B. OMP, OJS) wurden Unterstützungsangebote gefordert (z.B. rechtliche und bibliothekarische Beratung, Qualitätssicherung). Eine Einbindung von KI-Tools sollte dabei stets mitgedacht werden. In der Diskussion über das Best-Case-Szenario wurde jedoch deutlich, dass selbst bei fehlenden finanziellen Restriktionen die wissenschaftlich Tätigen entscheidend dafür verantwortlich sind, kooperative Diamond-OA-Infrastrukturen tatsächlich zu nutzen. Es ist daher wichtig, ausreichende Anreize zu schaffen, die Teil des Leistungsportfolios werden sollten. Dazu zählen insbesondere auch Branding und Marketing für Diamond Open Access.

Die Gruppe mit dem Best-Case-Szenario diskutierte im Rahmen der Frage nach der Finanzierung, warum es bei einer vollständigen Finanzierung durch die öffentliche Hand bleiben solle, wenn doch viele von den Diamond-OA-Infrastrukturen profitieren. Die Finanzierung kann demnach auch als Fehlanreiz interpretiert werden. Hingegen wurde eine Kooperation zwischen öffentlicher Hand und privatwirtschaftlichen Akteur*innen zur Erbringung öffentlicher Leistungen (Public Private Partnerships) und die Verpflichtung zur Mitfinanzierung durch die Einrichtungen ins Gespräch gebracht.

Eine Bedingung sei zwar, dass die Infrastruktur den Bedarfen der Wissenschaft entsprechen müsse bzw. diese die Diamond-OA-Infrastruktur auch nutzen. Wenn jedoch nur wenig Gelder zur Bereitstellung der Infrastruktur zur Verfügung stünden, wie im Worst Case, müsse der Einkauf von Dienstleistungen in verschiedenem Maße in Betracht gezogen werden, um die anfallenden Aufgaben wie Korrektorat, Lektorat, Übersetzung, Typesetting und Layout händeln zu können.

Diese Überlegung zur Finanzierung führt im Zirkelschluss zurück zu der Frage, welche Stakeholder in die Kooperation einbezogen werden sollten. Auffällig ist, dass sowohl bei geringer als auch bei ausreichender Finanzierung durch öffentliche Gelder eine Verteilung der Lasten auf mehrere Schultern angestrebt wird. Allerdings verändern sich die Anforderungen an Kooperationspartnerschaften in diesen unterschiedlichen Finanzierungsszenarien.

Die Festlegung, welche Stakeholder am Auf- und Ausbau einer kooperativen Publikationsinfrastruktur beteiligt werden, wiegt für die Teilnehmer*innen schwer. Zugleich scheint der Aufbau kooperativer Diamond-OA-Infrastrukturen nur zusammen mit dem Aufbau verschiedener Anreizsysteme sinnvoll. Der Umfang der Beteiligung oder die Ausgestaltung des Portfolios orientiert sich nicht nur, aber in großem Umfang an der Entscheidung der eingebundenen Akteur*innen. Dieses Ergebnis ist besonders interessant, da es auf die erforderlichen gemeinsamen Ziele und Werte hinweist, an denen sich verschiedene Stakeholder – sowohl strategisch als auch operativ – bei kooperativen Partnerschaften zu Diamond-OA-Infrastrukturen orientieren können.

Unterstützung auf Landesebene

Wie der Workshop gezeigt hat, nehmen Initiativen und Vernetzungsstellen wie das Open Research Office Berlin, openaccess.nrw und das Vorprojekt NiedersachsenPUBLISHING eine wichtige Rolle ein, indem sie Diskussionen anregen, Chancen und Bedarfe identifizieren und Synergieeffekte heben, aber auch Uneinigkeiten aufdecken und moderieren. Darüber hinaus können Landesinitiativen und -vernetzungsstellen sowie Verbundprojekte eine Lücke schließen, indem sie auf Landesebene zentrale Aufgaben übernehmen. Egal, ob es um die Verbesserung der aktuellen Situation oder um die Chancen und Herausforderungen einer idealen Ausgangslage geht, der Aufbau kooperativer Partnerschaften erfordert umfassende Vorbereitung und kontinuierliche Begleitung.

Landesinitiativen und -vernetzungsstellen können die wissenschaftlichen Einrichtungen bei der Schaffung von Rahmenbedingungen für den Ausbau einer kooperativen Infrastruktur unterstützen. Es gibt verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten, deren Vorteile auf der Hand liegen. Zu den Aufgaben der Landesinitiative können die Koordination, die Beratung und (Mit-)Entwicklung von Governancemodellen und Qualitätsstandards, die Beratung zu strategischen Fragen oder die Bewerbung und Bekanntmachung der Angebote einer (de)zentral organisierten Publikationsinfrastruktur zählen. Auch die Vernetzung auf überregionaler und europäischer Ebene kann über die Landesebene sinnvoll aufgebaut werden.

Werden Angebote dezentral organisiert, kann durch die Verteilung der Verantwortlichkeiten und technischen Systeme eine gesteigerte Resilienz des Angebots und eine hohe Identifikation aller Stakeholder mit dem Service erreicht werden. Sollten durch Mittel Stellen geschaffen werden können, treten zusätzlich Entlastungseffekte der Anbieter*innen ein.
Besteht die Infrastruktur hingegen aus einer zentralen technischen Bereitstellung bei dezentraler Nutzung, führt dies per se zu einer Entlastung des technischen Personals an den einzelnen Standorten. Synergieeffekte zwischen den nutzenden Institutionen können durch die Koordination und Moderation von Anwender*innentreffen herbeigeführt werden. Eine in diesem Setting unabdingbare technische Standardisierung der Infrastruktur verringert zwar deren Grad an Individualisierbarkeit, erhöht aber zugleich ihren Grad an Skalierbarkeit.

Bund und Länder sehen den Bedarf eines gemeinsamen und dauerhaften Engagements staatlicher Akteur*innen, um die Open-Access-Transformation in den nächsten Jahren abzuschließen. Der Aufbau von kooperativen Diamond-OA-Publikationsinfrastrukturen auf Landesebene ist ein Weg, Nachhaltigkeit und Vielfalt zu unterstützen und die vom Land aufgewendeten Steuermittel für die Wissenschaft zum größtmöglichen Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. Länder nutzen bereits verschiedene Instrumente der Hochschulsteuerung wie Landeshochschulgesetze, Zielvereinbarungen oder Strategien, sodass die Unterstützung auf Landesebene durch spezifische Initiativen und Projekte ein wichtiger Motor in der Open-Access-Bewegung ist.

Zitiervorschlag: 
Martin, Linda, Neufend, Maike und Renate Voget. 2025. „Kooperative Publikationsinfrastrukturen – wünschenswert, umsetzbar, händelbar?!“ Open Research Blog Berlin, November 20. https://doi.org/10.59350/dy24f-9vm17.

 

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