Rückgabe an die Jüdische Gemeinde zu Berlin

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin freut sich über eine weitere Rückgabe eines Buches an die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Seit dem 31. Juli 2023 befindet sich das Buch in den Bibliotheksräumen in der Fasanenstraße.

Titelblatt des 1908 vom Bureau für die Statistik der Juden publizierten Büchleins. © Freie Universität Berlin

Das Buch gelangte über Israel in den Besitz des Instituts für Judaistik an der Freien Universität Berlin. Die Einarbeitung in den Bibliotheksbestand erfolgte am 25. Juni 1977. Anhand der Provenienzhinweise, die in dem Band zur Geschichte der Juden in Österreich identifiziert werden konnten, kann der Weg des Buches fast vollständig rekonstruiert werden. Da das Vorsatzblatt aus unbekannten Gründen entfernt wurde, könnten weitere Spuren zum Vorbesitz getilgt worden sein.

Sicher ist, dass der Band durch die Jewisch Cultural Reconstruction, Inc. nach Israel transferiert wurde. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass das Buch als herrenloses Kulturgut im Offenbach Archival Depot (OAD) lagerte. An welche Bibliothek es in Israel weiterverteilt wurde, ist nicht bekannt. Durch den Stempel des Handelshaus der Bibliothek „Zohar“ wissen wir, dass das Buch im Antiquariatshandel landete. Dort wurde es 1977 von der FU Berlin erworben.

Anhand der nachgewiesenen Provenienzen bewertet die Arbeitsstelle Provenienzforschung das Buch als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut: Die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wurde 1939 von den Nationalsozialisten liquidiert und die Bestände beschlagnahmt. Nach mehr als 80 Jahren befindet sich der Band damit wieder im Besitz der JGzB.

Das Buch in LCA: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/257857

Rückgabe eines Buches an die Familie Kallner

2023 konnte von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ein Buch der Familie Kallner zurückgegeben werden.

Durch ein Exlibris und eine im Buch eingelegte Glückwunschkarte konnte eindeutig David Kallner als vormaliger Eigentümer identifiziert werden. Bei dem Buch handelt es sich um einen Parschanim, einen rabbinischen Kommentar, in dem es u.a. um Verbote des Verzehrs unkoscherer Lebensmittel und dem Verhalten gegenüber Nichtjuden geht. In Bezug steht es zum Buch der Sprüche Salomos Kapitel 13-15 und 19. Der Titel nimmt direkten Bezug auf Sprüche 15:23.

David Kallner wurde ca. 1838 in Pajūris, Russland geboren. Er war verheiratet mit der 1847 ebenfalls dort geborenen Babette Kahn. Das Paar hatte fünf Kinder und lebte bis mindestens 1881 im heutigen Litauen. 1886 zog die Familie nach Merchingen, wo David Kallner stark in der Jüdischen Gemeinde aktiv war, u.a. als Kantor. Seine Tätigkeit sowie die lokale Verortung in Merchingen führten schließlich zur eindeutigen Zuordnung der Provenienzhinweise. Merchingen liegt wie Braunsbach in Baden-Württemberg, dem Wirkungsort des auf der ebenfalls im Buch gefundenen Karte glückwunschenden Rabbiners Dr. Jakob Berlinger. Jakob Berlinger wurde am 1866 in Braunsbach geboren. Er war von 1900 bis zur Verlegung des Rabbinats nach Schwäbisch Hall 1913 Rabbiner in Braunsbach. Berlinger und seine Frau Rifka Herz (*1880) konnten 1939 aus Deutschland fliehen und emigrierten nach Palästina. Jakob Berlinger starb dort 1945, Rifka folgte ihm ein Jahr später.

Die im Exlibris von David Kallner enthaltene Bezeichnung מהר׳ר (Mehorar = unser Lehrer, Herr und Meister) weist auf einen traditionsfrommen Gelehrten hin. David Kallner starb am 26. Februar 1909 in Merchingen. Eine Todesanzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ bezeichnet ihn als Lehrer, Vorsänger und großen Talmudisten.  Babette Kahn war bereits 1888 verstorben. David Kallner heiratete ein Jahr später ein zweites Mal, die 1851 in Järkendorf, Unterfranken, geborene Bertha Niedermann. Mit dieser hatte er einen weiteren Sohn, Philipp.

Es ist anzunehmen, dass das Buch von einem der Kinder von David Kallner geerbt wurde.

  • Abraham Kallner wurde am 23. April 1868 geboren. Er war verheiratet mit Lena Lark. Abraham Kallner wanderte vor 1929 in die USA aus, er starb am 31. Mai 1929 in Gary, Indiana. Er kommt als Letzteigentümer des Buches nicht infrage.
  • Jacob Kallner wurde am 12. Oktober 1870 geboren. Er war verheiratet mit Bertha Strauß. Jacob Kallner war Arzt. Jacob und Bertha Kallner konnten 1939/40 über die Schweiz in die USA emigrieren und überlebten so den Holocaust. Beide starben 1946 in Chicago. Es ist gut möglich, dass Jacob Kallner, seine Frau oder seine Kinder das Buch vor dessen Entzug besessen haben.
  • Adolf Leser Kallner wurde am 13. August 1873 geboren. Er war verheiratet mit Sara Beith, Nachfahren sind nicht bekannt. Adolf Leser Kallner starb bereits am 13. Januar 1922 in Bad Soden. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass er der Letzteigentümer des Buches war.
  • Bettie Sara Kallner wurde am 1. Oktober 1877 geboren. Sie wanderte bereits 1891 in die USA aus und ließ sich in Chicago nieder. Sie starb dort 1944. Bettie Sara Kallner kommt als Letzteigentümerin des Buches vor dessen Entzug nicht infrage.
  • Joseph Kallner wurde am 6. Januar 1881 geboren. Er war verheiratet mit Gertrud Katzenstein. Joseph Kallner war ebenfalls Arzt und lebte in Berlin, wo er am 20. August 1938 starb. Es ist gut möglich, dass Joseph Kallner, seine Frau oder seine Kinder das Buch vor dessen Entzug besessen haben.
  • Philipp Kallner wurde am 22. Juli 1892 geboren. Er fiel im Alter von nur 23 Jahren im I. Weltkrieg in Galizien, sein Todesdatum ist der 28. Juli 1915. Er kommt als Letzteigentümer des Buches nicht infrage.

Joseph und Jacob Kallner hatten beide jeweils vier Kinder, von denen insgesamt sieben den Holocaust überlebten – Joseph Kallners 1913 geborene Tochter Eva starb bereits im Alter von ca. 3 Jahren. Insgesamt konnten in der genealogischen Recherche zur Familie Kallner über 30 direkte Nachkommen von Joseph und Jacob Kallner recherchiert werden.

Der Zugangsweg des Buches in den Bestand der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ist unklar. Es wurde in unbearbeiteten Depotbeständen gefunden und enthält keinerlei Einarbeitungsspuren. Anhand der durch die enthaltenen Provenienzmerkmale recherchierten Familiengeschichte der Kallners ist es wahrscheinlich, dass das Buch Teil des Ankaufs der Bücher der deportierten Berliner Jüdinnen und Juden durch die Berliner Stadtbibliothek 1943 war. Praktisch auszuschließen ist ein gezielter Ankauf, z.B. über den Antiquariatshandel, dafür fehlen nicht nur jegliche Hinweise, das Werk ist auch viel zu speziell für den Bestand der Berliner Stadtbibliothek.

Für ihre Unterstützung bei der Recherche, Übersetzung und Transliteration bedankt sich die ZLB herzlich bei Dr. Nick Block, Dr. Michael Brocke, Dr. Anke Geißler-Grünberg, Uwe Hofschläger, Stephan Kummer und Gudrun O’Daniel-Elmen.


Quellen:

  • Schwoch, Rebecca (Hrsg.): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus : Ein Gedenkbuch. Berlin: Hentrich & Hentrich, 2009. S. 423 ff.
  • Doetz, Susanne und Kopke, Christoph: „und dürfen das Krankenhaus nicht mehr betreten“ : der Ausschluss jüdischer und politisch unerwünschter Ärzte und Ärztinnen aus dem Berliner städtischen Gesundheitswesen 1933-1945. Berlin: Hentrich & Hentrich, 2018. S. 233.
  • Strauss, Herbert A./Röder, Werner (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Émigrés 1933-1945, hrsg. Vom Institut für Zeitgeschichte München. Volume II, Part 1: A-K. the Arts, Science and Literature. München [u.a.] 1999, S. 588.
  • https://www.alemannia-judaica.de/merchingen_synagoge.htm (Abschnitt: Zum Tod von Lehrer D. Callner)

Die Heimkehr des Buches an das YIVO Institute for Jewish Research

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin hat ein Buch des legänderen YIVO Institute for Jewish Research als NS-Raubgut identifiziert und an das YIVO Institute in New York zurückgegeben. Dieses Buch wurde während des Zweiten Weltkriegs aus der „Bibliothek des Jiddisch Wissenschaftlichen Instituts“ „בּיבּליאׇטעק פון דעם יידישן וויסנשאַפטלעכן אינסטיטוט“ infolge der deutschen Besatzung in Vilnius, Litauen beschlagnahmt. Nach einer 81-jährigen Odyssee kehrt dieses Buch endlich in den New Yorker Hauptsitz zurück. Wir sind dankbar, dieses verlorene Stück Geschichte zurück in die Hände des YIVO-Instituts überbringen zu können.

Provenienz: בּיבּליאׇטעק פון דעם יידישן וויסנשאַפטלעכן
אינסטיטוט‘
Übersetzung: Bibliothek des Jiddisch Wissenschaftlichen Instituts

Das YIVO Institute war eine renomierte Institution mit akademischem Fokus auf ostjüdischer und jiddischer Kultur und Wirtschaft. Es wurde 1925 in Berlin gegründet, um das Studium und die Erhaltung der jiddischen Sprache und Kultur zu fördern. Der Hauptsitz des Instituts wurde in das damals polnische Vilnius verlegt, das als Kulturhauptstadt der jiddischsprachigen Juden galt. Im Jahr 1935 zog das YIVO Institute in die Wiwulski Strasse 10 und hatte damit ein festes Zuhause, um weiterhin an der Dokumentation und Erhaltung der jiddischen Sprache und Kultur zu arbeiten. [1]

Auch die Bibliothek des YIVO Institutes galt vor dem Zweiten Weltkrieg als eine der bedeutendsten jüdischen Bibliotheken Europas. Im Jahre 1939 beinhaltete die Bibliothek ca. 85.000 Bände. Die Existenz des YIVO Instituts in Vilnius wurde jedoch schlagartig und gewaltsam beendet, als Litauen von der Sowjetunion annektiert und von den deutschen Truppen im Sommer 1941 besetzt wurde. Nach der Invasion der deutschen Wehrmacht von Vilnius errichteten die Nationalsozialisten im März 1942 ein Sortierzentrum für jüdisches Kultureigentum im Gebäude von YIVO und brachten die Arbeit des Instituts zum Erliegen.

Provenienz: Sichergestellt durch Einsatzstab RR, Wilna

In dieser Zeit reiste Johannes Pohl als Mitglied des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR) und Chefbibliothekar von Alfred Rosenberg durch die besetzten Ostgebiete, um für das Institut zur Erforschung der Judenfrage brauchbare Schriften in Bibliotheken auszusondern, was in Wirklichkeit ein Raubzug des jüdischen Kulturguts für den NS-Staat war. Er war seit 1941 Bibliothekar an der „Jüdischen Bücherei“ des Instituts zur Erforschung der Judenfrage, einer besonderen Abteilung der Hohen Schule der NSDAP beschäftigt. Der ERR beschlagnahmte kulturelles Eigentum, insbesondere Bücher und Kunstwerke von jüdischen Familien, Organisationen und Bibliotheken im von den Nazis besetzten Europa. Dieses Buch konnte aufgrund der vorgefundenen Provenienzhinweise eindeutig als NS-Raubgut identifiziert werden, da es vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) konfisziert wurde.

Anfang des Jahres 1942 traf Pohl in Vilnius ein. Unter seiner Anweisung wurden zwischen September 1941 und September 1943 40 jüdische Intellektuelle aus dem Ghetto von Vilnius gezwungen, die Sammlungen des YIVO-Instituts für eine Beschlagnahme systematisch zu überprüfen, zu sortieren oder diese auch zu zerstören. Die Gruppe dieser Intellektuellen, die als „Papierbrigade“ bekannt wurde, bestand aus bekannten Persönlichkeiten wie Herman Kruk, Dina Abramowicz, Zelig Kalmanowicz und dem Dichter Abraham Sutzkever. Trotz der Lebensgefahr gelang es ihnen jedoch, einen Teil der wertvollsten Zeugnisse jüdischer Kultur in Europa zu retten.

Wi bajm baschitsn an eifl –
ich lojf mitn jidishn wort,
nishter in itlechn hejfl,
der gajst zol nit wern dermordt.

Wie einen zarten Säugling
beschütz ich das jiddische Wort,
schnuppre in jeden Berg Papier,
rette den Geist vor Mord.

Abraham Sutzkever: Weizenkörner, März 1943
Aus: Geh über Wörter wie über ein Minenfeld.
Frankfurt/New York: Campus Verlag 2009

Die Verluste, den das Institut erlitt, traf das YIVO schwer. Nicht nur ein beträchtlicher Teil des Wissens und der Geschichte, die das YIVO im Laufe der Jahre gesammelt hatte, ging unwiederbringlich verloren, sondern es waren auch persönliche Verluste zu beklagen. Unter denjenigen, die im Wilnaer Ghetto ihr Leben ließen, befanden sich auch Herman Kruk und Zelig Kalmanowicz, deren tragischer Tod eine schmerzliche Lücke in der Institution und im Herzen ihrer MitstreiterInnen hinterließ. Nur Dina Abramowicz und Abraham Sutzkever sind dem Tod entkommen, indem sie sich den jüdischen Partisanen anschlossen.[2]

Im Oktober und November 1942 sowie im Februar 1943 wurden durch den ERR bedeutende Teile der Bibliothek und Archive der YIVO u. a. in das Institut zur Erforschung der Judenfrage nach Frankfurt am Main, Bockenheimer Landstraße 68-70 verbracht. Dieses Institut diente den Nazis als zentrales Lager für sämtliche jüdische Kulturschätze, die sie aus Forschungseinrichtungen und Privatsammlungen in ganz Europa enteignet hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieges wurden die geborgenen Bestände der geplünderten YIVO Bibliothek und der Archive im Offenbach Archival Depot (OAD) sichergestellt und später zum Hauptsitz des YIVO Institutes nach New York gebracht.

Provenienz Nachweis aus dem Offenbach Archival Depot: Bibliothek des Jiddisch Wissenschaftlichen Instituts
YIVO OAD 18, Page 22
https://www.fold3.com/image/232163389?terms=yivo

Dort bestand seit 1925 bereits eine Niederlassung, und einige der führenden MitarbeiterInnen kamen aus Europa in die USA, um dort ihre Arbeit fortzusetzen. Das YIVO-Institute beherbergt mittlerweile die weltweit größte Sammlung von jiddischen Schriften und Materialien zur Geschichte und Kultur osteuropäischer Juden mit über 380.000 Büchern und Zeitschriften sowie mehr als 24 Millionen Dokumenten, Fotos, Postern, Filmen und anderen Archivalien.

Über das Buch

Das gefundene Buch in der FU Berlin stammte aus der Bibliothek für Sozialwissenschaften und Osteuropastudien und gelangte 1978 in den Bestand der FU. Ursprünglich gehörte es zum Bestand des Instituts für Balkanologie, das in den 70er Jahren aufgelöst wurde. Bedauerlicherweise sind keine Zugangsbücher aus dieser Zeit erhalten geblieben, wodurch der Lieferant nicht mehr festgestellt werden kann.

Provenienz: Abteilung Balkanstudie des Osteuropa-Instituts
Inv-Nr. 893/78/10674

Dieses Buch enthält mehrere Provenienzhinweise, die wichtige Informationen über die Herkunft und den Verbleib des Buches während der NS-Zeit lieferten und zur eindeutigen Identifizierung als NS-Raubgut beigetragen haben.

Die älteste Provenienz in diesem Buch ist ein Ausfuhrzeichen aus dem 1. Weltkrieg, auf dem ein stilisiertes Völkerschlachtdenkmal in Leipzig abgebildet ist (s. Mitte unten). Da mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges die formale Pressefreiheit aufgehoben wurde, ging die Kontrolle über die Medien an Zensurstellen beim Militär über. Im Jahr 1916 wurde in der Deutschen Bücherei in Leipzig eine Militärzensurstelle namens Buchprüfungsstelle Ober Ost eingerichtet, um den Import von Büchern zu kontrollieren, die in das Besatzungsgebiet der deutschen Streitkräfte an der Ostfront (kurz Ober Ost) gebracht werden sollten. Dieses Gebiet umfasste vom November 1915 bis Juli 1918 große Teile von Kurland, Litauen, Lettland und Weißrussland.[3]

Provenienz:
Ausfuhrzeichen Völkerschlachtdenkmal Leipzig

Die Verwendung von Zensur-Stempeln auf Büchern war auch Teil eines breiten Versuchs der deutschen Regierung, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen und die öffentliche Meinung zu mobilisieren. Bücher, die den Idealen des Denkmals entsprachen und als patriotisch angesehen wurden, sollten die Moral der Bevölkerung stärken. Die von der Zensurstelle als unbedenklich eingestuften Bücher erhielten ein Ausfuhrzeichen als Genehmigung für den Export. Die Zensur für die Region Leipzig wurde vom 19. Armeekorps übernommen, welches das Völkerschlachtdenkmal auf den Stempeln verwendete. Daher durften nur Bücher mit diesem Ausfuhrzeichen von den lokalen Buchhändlern ins verbündete und neutrale Ausland sowie in die besetzten Gebiete – in diesem Fall nach Vilnius – exportiert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass das Buch im Zeitraum von 1916-1918 von Leipzig nach Vilnius verbracht wurde.

Eine weitere Provenienz ist auf Hebräisch דר יעקב שאצקי von Dr. Jacob Shatzky.

Provenienz: Stempel: Dr. Yankev Shatzky

Der Name ist in der Provenienz entsprechend mit seinem Doktortitel angegeben: Dr. Yankev Shatzky. Ob Shatzky dieses Buch aber bereits vor seiner Disseration, und zwar während seines Aufenthalts in Vilnius im Jahre 1918 erworben hat, ist unbekannt. Eine hypothetische Anschaffung des Buches könnte aber erst nach dem Import aus Deutschland nach Litauen in den Jahren 1918 bis 1922 stattgefunden haben, da Schatzky im Dezember 1922 nach New York ging.[6] Anschließend wurde das Buch vermutlich von der YIVO-Bibliothek übernommen.

Foto: Yankev Shatzky (zweiter von rechts in Militäruniform mit seinen Brüdern, Warschau
Quelle:
https://yivoencyclopedia.org/article.aspx/Shatzky_Yankev

Dr. Yankev (Jacob) Shatzky (1893-1956) war ein anerkannter polnisch-jüdischer Historiker und Autor vieler Bücher, der in Warschau geboren wurde. Shatzky war ein bekannter Experte für jüdische Geschichte und Kultur in Polen und Ostmitteleuropa. Während des Ersten Weltkriegs diente er unter Marschall Józef Piłsudski in der polnischen Legion. Er erhielt drei Auszeichnungen für seinen Einsatz und stieg zum Leutnant auf. Nach dem Krieg arbeitete er kurzzeitig für die neue polnische Regierung. So wurde Shatzky 1918 vom polnischen Außenministerium nach Vilnius geschickt, um Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung zu untersuchen, die in der Stadt stattgefunden haben. Shatzky schrieb später einen Bericht über den Vorfall, der in der polnischen Presse veröffentlicht wurde. Als das Ministerium nicht auf seinen Bericht reagierte, trat er von seinem Posten zurück und unterrichtete Geschichte an jüdischen Gymnasien in Warschau.[4] Nach Abschluss seines Doktorats in 1922 wanderte er unmittelbar danach in die USA aus und wurde ab 1929 Bibliothekar des New York State Psychiatric Institute.[5] Er war Präsident des Yiddish PEN Clubs und engagierte sich in vielen Organisationen wie z. B. YIVO und der Jewish Historical Society of Israel (HSI). Einen Teil seiner umfangreichen Bibliothek vermachte er der Hebräischen Universität Jerusalem und der Jewish Historical Society of Israel.

Weiterführende Quellen und Links:

Das Buch in der LCA Datenbank:
https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/263439

Internet-Seite des YIVO in New York

[1] https://www.jewishvirtuallibrary.org/yivo

[2] https://www.piqd.de/zeitgeschichte/papier-brigade-die-shoah-und-die-bucher-von-vilnius

[3] https://www.wikiwand.com/de/Ober_Ost

[4] https://archives.cjh.org//repositories/7/resources/3509#a2

[5] New York Times, 14. Juni 1956

[6] Vgl. Ancestry, Einbürgerungsregister, Jacob Shatzky

Restitution an die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main K. d. ö. R.

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin freut sich über die Rückgabe eines Buches an die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main (JG FFM). In dem Buch, was am 3. Mai 2023 restituiert werden konnte, befindet sich der Bibliotheksstempel des „Israelitischen Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main„.

Bibliotheksstempel des Israelitischen Krankenhauses FFM. © Freie Universität Berlin

Das erste Gemeindekrankenhaus der JG FFM eröffnete 1875. Da das Gebäude schon bald nicht mehr genügend Platz für die Patientinnen und Patienten bot, entschied sich die jüdische Gemeinde 1904 für einen zeitgemäßen Neubau. Der Bau des neuen Gebäudes an der Gagernstraße begann 1909. Die feierliche Eröffnung erfolgte im Jahr 1914.

Von den Folgen der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 war der Krankenhausbetrieb zunächst nicht direkt betroffen. Im Rahmen der „Arisierung“ musste die IG FFM am 1. April 1939 das Gelände, die Gebäude und die Einrichtung zum Preis von 900.000,- RM an die Stadt Frankfurt am Main zwangsverkaufen. Dazu gehörte auch die Bibliothek. Der Gemeinde wurde gestattet, gegen Miete weitere drei Jahre im Gebäude zu bleiben. Immer mehr Altersheime, Kinderheime und Krankenhäuser wurden nun geschlossen und deren Bewohnerinnen und Bewohner in das Krankenhaus verlegt. Die koschere Küche musste 1940 schließen. Bis Oktober 1942 wurde das Krankenhaus zwangsgeräumt. Die Patientinnen und Patienten und viele der Schwestern wurden nach Theresienstadt und in die Vernichtungslager im Osten deportiert. Durch einen Luftangriff am 4. Oktober 1943 wurde der Gebäudekomplex schwer beschädigt. Nach Kriegsende kamen die Liegenschaften wieder in den Besitz der Jüdischen Gemeinde FFM. Heute existiert auf dem Gelände das jüdische Altenheim. Die Gemeinde entschied sich Mitte der 70er-Jahre dazu, das Krankenhausgebäude abzureissen.

Der Weg des Buches in den Bestand der UB der Freien Universität lässt sich nicht lückenlos klären. Erschwert wird die Recherche dadurch, dass das Buch 1962 neu gebunden wurde. Mögliche Anhaltspunkte zum Vorbesitz können damit verloren gegangen sein. Außerdem existieren für diesen Bestand keine Zugangsbücher. So kann nur mithilfe der Zugangsnummer nachgewiesen werden, dass der Band 1954 durch die FU Berlin akquiriert wurde. Überdies hat eine uns nicht bekannte Person sich darum bemüht, alle Stempel bis auf einen des Israelitischen Krankenhauses FFM zu übermalen. Dass noch ein vollständiger Stempel im Buch zu finden war, muss als glücklicher Zufall gewertet werden.

Vermutlich wurde hier der rote Bibliotheksstempel des Krankenhauses der IG FFM durchgestrichen. © Freie Universität Berlin

Aufgrund der begrenzten Informationen zum Erwerb kann das Buch nur anhand der enthaltenen Merkmale bewertet werden. Der Titel weist das Buch als eindeutigen Besitz der historischen IG FFM aus, die 1939 liquidiert wurde. Es handelt sich demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Deshalb entschied sich die Arbeitsstelle Provenienzforschung dazu, das Buch an die Rechtsnachfolgerin, die JG FFM, zu restituieren.

Das Buch in LCA:

https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/282672

Spuren in Tausenden Büchern – Podcast Provenienzforschung

Unser dritter Podcast ist da!

In der dritten Folge Geraubte Kultur geht es darum, woher die Bücher für die Bibliothek des Instituts für Judaistik kamen.

Diese Folge widmet sich den Büchern des Instituts für Judaistik, welches 1963 an der Freien Universität Berlin gegründet wurde. Obwohl es sich hierbei um eine Nachkriegsgründung handelt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auf verschiedenen Wegen NS-Raubgut in den Bibliothekskorpus gelangte. Provenienzforscher Stephan Kummer erzählt von den Anfängen des Fachbereichs, dem Aufbau der Institutsbibliothek und den Besonderheiten bei der Bestandsuntersuchung. Da es sich bei dem Provenienzforschungsprojekt um eine durch Drittmittel finanzierte und befristete Forschungsarbeit handelt, wird das Interview mit Dr. Uwe Hartmann ergänzt. Als Leiter des Fachbereichs Kulturgutverluste im 20. Jahrhundert in Europa beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste berichtet Dr. Hartmann von den Anfängen der zentralen Koordinierung von Provenienzforschung, den wesentlichen Aufgabenbereichen der Stiftung und den umfangreichen Fördermöglichkeiten. Am Ende dieser Folge erfahren wir von einer Restitution nach Polen und lernen, wie Provenienzforschung durch internationales Netzwerken Brücken bauen kann.

Neugierig geworden? Hier geht es zur Folge 3: Geraubte Kultur

https://www.fu-berlin.de/sites/ub/ueber-uns/provenienzforschung/10-jahre/podcast/podcast-folge3/index.html

Zwei Bücher befinden sich wieder im Besitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Die Arbeitsstelle für Provenienzforschung war es gelungen, am 17. März 2023 zwei Bücher als Schenkung an die Jüdische Gemeinde zu Berlin (JGzB) zu übergeben. Nach den Novemberpogromen 1938 wurden die Gemeindebibliothek und ihre Außenstellen geschlossen. Die Bibliotheksbestände beschlagnahmten die Nationalsozialisten im Frühjahr 1939. Ein wesentlicher Teil des Bibliothekskorpus ging im Zuge des Krieges verloren. Somit kehren zwei Bücher 84 Jahre nach ihrer Beschlagnahmung zurück in den Besitz der JGzB.

Historischer Bibliotheksstempel der „Bibliothek der jüdischen Gemeinde Berlin“. © Freie Universität Berlin

Die beiden Bücher wurden antiquarisch von der Freien Universität Berlin (FU) erworben. Auf dem inneren Buchdeckel eines der beiden Bücher befindet sich das Exlibris der Jewish Cultural Reconstruction, Inc. (JCR). Die zentrale Aufgabe der JCR bestand zwischen 1947 und 1952 darin, in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands sog. herrenloses Kulturgut aus jüdischem Besitz zu sammeln und weiterzuverteilen. Aus uns unbekannten Gründen gelangte dieser Band auf dem antiquarischen Markt, wurde 1982 von der FU Berlin erworben und in den Geschützten Bestand des Instituts für Judaistik aufgenommen.

Buch: Kayserling, Meyer: Moses Mendelssohn – sein Leben und seine Werke. Verlag: Hermann Mendelssohn, Leipzig. (1862)

Exlibris der Jewish Reconstruction, Inc. © Freie Universität Berlin

Auch der zweite Band hat verschiedene Wege genommen, ehe dieser 1980 ebenfalls antiquarisch erworben und in den Bestand aufgenommen wurde. Auf dem Titelblatt befindet sich der Stempel der JGzB, der wiederum ein oder zweimal überstempelt wurde. Es war zunächst nicht klar, ob dieser Provenienzhinweis mit dem Besitzmerkmal der Bibliothek des Berliner Deutsch-Israelitischen-Gemeindebundes (DIGB) überstempelt wurde. Die Vermutung liegt nahe, dass sich das Buch bis zur Auflösung des DIGB im Jahr 1933 dort befand und im Anschluss in die Gemeindebibliothek eingearbeitet wurde. Ein dritter Stempel wurde genutzt, um diese beiden Stempel erneut zu überstempeln. Anhand dieses dritten Provenienzmerkmal wird deutlich, dass der Band im Antiquariat „ZOHAR“ in Tel Aviv gelandet ist. Dort hat es auch die FU Berlin erworben. Der vierte Stempel, der zu identifizieren war, zeigt, dass sich das Buch bis zu seinem Verkauf an und durch das Antiquariat „ZOHAR“ im Besitz des Kibbutz Oranim befand und Teil des Lehrbetriebs war.

Buch: Formstecher, Salomon: Die Religion des Geistes – Eine wissenschaftliche Darstellung des Judenthums nach seinem Charakter, Entwicklungsgange und Berufe in der Menschheit. Verlag: Hermann, Frankfurt am Main. (1841)

Der rechteckige Stempel gehörte zum DIGB, darüber befindet sich der Stempel der JGzB und des ANtiquariats „Zohar“. © Freie Universität Berlin

Aufgrund der Recherchen sind die beiden Bücher als eindeutiges NS-Raubgut zu bewerten. Deshalb entschied sich die Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Freien Universität Berlin dazu, die beiden Exemplare als Schenkung zurückzugeben.

Rechercheergebnis: NS-Raubgut

Weitere Informationen finden Sie unter:

Buch 1 in LCA: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/281330

Buch 2 in LCA: https://db.lootedculturalassets.de/index.php/Detail/objects/281516

Adolf Sultan (1861 – 1941)

privat: Portraitzeichnung Adolf Sultan, ca. 1935

Adolf Sultan wurde als Abraham Sultan am 2. Februar 1861 in Thorn/Westpreußen (heute Toruń/Polen) als zweites Kind von Wolff (1832 – 1897) und Johanna (1834 – 1898, geborene Barnass) Sultan geboren. Ihm folgten weitere fünf Geschwister – Laura, Louis, Georg, Gertrud und Curt. Seine älteste Schwester hieß Elise. Sein Vater gründete 1858 die W. Sultan Spirituosenfabrik, später Sultan & Co GmbH Destillation, in Mocker, ab 1869 expandierte die Sultan Spritfabrikation auch nach Thorn. Adolf Sultan wuchs in einer wohlsituierten jüdischen Familie auf.

1879 erlangte er die Hochschulreife und änderte zu diesem Zeitpunkt seinen Vornamen in Adolf . Er trat in die väterliche Firma ein und absolviert eine kaufmännische Lehre. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er den Betrieb.

1889 heiratete Adolf Sultan Margarethe Mirjam Victorius (1868 Graudenz/Westpreußen (heute Grudziądz/Polen) – 1902 Berlin), Tochter des Eisenfabrikanten Carl Victorius (1832 – 1906) und seiner Frau Anna, geborene Kadisch (gest. 1880).

Adolf und Margarethe mit Tochter Anna Frieda Sultan
Quelle: Moritz von Bredow, mit freundlicher Genehmigung

Das Paar hatte drei Kinder: Anna Frieda, genannt Ännchen (1889 Thorn – 1899 Berlin) Clara Paula genannt Claire (1891 Thorn – 1943 KZ Auschwitz) und Herbert Siegfried Sultan (1894 Thorn – 1954 Heidelberg). 1901 zog die Familie von Thorn nach Berlin und die Belange der Firma wurden von dort aus geregelt. Margarethe, die gesundheitlich angeschlagen war, starb 1902 im Alter von nur 34 Jahren.

Zwei Jahre später heiratet Adolf Sultan die Witwe seines Schwagers Leo Victorius (1864 – 1902), Ida Rosa „Coba“ Victorius, geborene Lewino (1872 Worms – 1958 USA). Sie brachte drei Kinder mit in die Ehe: Jacob Curt Victorius (1895 Gaudenz – 1972 Greensboro/USA), Anna Victorius, genannt Anni (1897 Gaudenz – 1993 Alameda/USA) und Käte Victorius (1901 – 1986).

Die Familie erhielt in den Jahren 1905 und 1906 weiteren Zuwachs: Wolfgang Carl Sultan (1905 Berlin – 1936 Berlin) und Johanna Margarete, kurz Grete Sultan (1906 Berlin – 2005 New York).

Dank des beruflichen Erfolgs von Adolf Sultan lebt die Familie in wohlhabenden großbürgerlichen Verhältnissen. 1906 zieht die Großfamilie aus der Rankestraße 33, in die, von Adolf Sultan bei dem Architekten Richard Riemerschmid 1905 in Auftrag gegebene Villa in der Delbrückstraße 6 am Hubertussee in Berlin-Grunewald (die Villa wurde 1965 abgerissen).

privat: Villa in der Delbrückstraße 6a ca. 1913 mit Familienangehörigen und Personal – Postkarte
Käte, Grete und Wolfgang, ca. 1915
Quelle: Moritz von Bredow, mit freundlicher Genehmigung

Beide Eltern waren musikalisch begabt und haben die Begabung an ihre Kinder weitergegeben. Adolf Sultan erlernte bereits als Kind das Geigenspiel und spielt später auch Bratsche. Seine Frau Coba war vor allem literaturinteressiert und spielt Klavier. Die Kinder wuchsen in einem sehr musikalischen, intellektuell anregenden und aufgeschlossenen Elternhaus auf, in dem viele Künstler und Musiker der Zeit verkehrten.

Herbert, Curt, Käte, Clara und Anni, ca. 1904
Quelle: Moritz von Bredow, mit freundlicher Genehmigung

1908 gibt Adolf Sultan die Geschäftsführung des Unternehmens an seinen Cousin Eugen Barnass ab. Dieser leitete die Firma Sultan bis zum endgültigen Verkauf im Jahre 1919. Der Familiensitz im Berliner Grunewald wurde 1922 verkauft und Adolf und Coba Sultan zogen in das rund 100 Kilometer von Berlin entfernte Kümmernitz/Havelberg. 1927 kehrten sie in ein kleineres Anwesen, in der Ernst-Ring-Straße 2-4 am Nikolassee, nach Berlin zurück. Der Name Adolf Sultan wird 1939 aus dem Grundbuch getilgt.

privat: Adolf und Coba Sultan in Kümmernitz beim Schachspielen, Mitte der 20er Jahre

Mit der Machergreifung der Nationalsozialisten wurde das Leben der Familie Sultan zunehmend schwieriger. Die beiden Pianistinnen Anni und Grete wurden 1935 aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen – dies kam einem Berufsverbot gleich.

privat: Adolf und Coba Sultan (Kind unbekannt) vermutlich im Garten Ernst-Ring-Straße 2-4

Anni verlies im Februar 1936 Deutschland und ging nach Japan. In Nishinomiya unterrichtete sie ab April 1937 am Kobe College.

Im November 1936 erschoss sich der gemeinsame Sohn von Adolf und Coba Sultan, Wolfgang Carl, nachdem er wegen „Rassenschande“ denunziert worden war. Er hatte sich mit der „arischen“ Krankenschwester Marianne Grosser verlobt, die ebenfalls Selbstmord beging.

Die Familie bemühte sich intensiv darum Deutschland verlassen zu können. Käte floh über die Schweiz nach Venezuela. Sohn Jacob Curt (Kurt) kam im April 1938 in New York an und fand eine Anstellung als Professor für Ökonomie and Business Administration am Guilford College in Greensboro/ North Carolina. Sohn Herbert Sultan emigrierte 1939 nach England, er kam als Einziger der Sultankinder 1947 nach Deutschland zurück und lehrte als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler an der Universität Heidelberg. Der jüngsten Tochter, Grete, gelang im Mai 1941 die Ausreise über Lissabon in die USA. Die meisten der Sultan Kinder und Enkel hatten zu diesem Zeitpunkt bereits das Land verlassen.

privat: Adolf und Coba Sultan vermutlich im Garten Ernst-Ring-Straße 2-4

Adolf und Coba erhielten ebenfalls 1941 ein Visum für die Schweiz, doch das Schicksal entschied anders für Adolf Sultan. Bereits gesundheitlich angeschlagene, verstarb er am 16. August 1941 in der Konstanzer Straße 59, der letzten Berliner Adresse des Ehepaars Sultan. Laut der Sterbeurkunde erlagt er einem Lungeninfarkt. Mit Hilfe von Freunden, gelang es seiner Frau Coba Sultan in die Schweiz auszureisen. 1946 ging sie von dort zu Grete und Jacob Curt in die USA. Im Mai im 1963 übersiedelte Anni von Japan nach Kalifornien.

Tochter Clara Paula (geschiedene Guttsmann) wurde am 28.09.1943, mit dem 43 Osttransport in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht und mit nur 52 Jahren ermordet. Ihre letzte Adresse in Berlin war die Barbarossastr. 35 in Berlin-Wilmersdorf. Ihr Vermögen ging durch „Einziehung“ auf das Deutsche Reich über. Ihrem geschiedenen Mann und den Söhnen Franz Peter (1915 – 1998) und Ulrich, später Allen (1918 – 1996) gelang die Flucht nach Großbritannien und später in die USA.

Auch einige Kinder von Adolf Sultans Schwestern war das Schicksal nicht gnädig, sie wurden im Holocaust in Riga ermordet – Frieda Berwin (1882 – 1941) Tochter von Adolf Sultans ältester Schwester Elise, Clara (1885 – 1941) und Gertrud Silbermann (1887 – 1941), Töchter seiner Schwester Laura.

Der materiellen Besitzes der Familie wurde für eine spätere Ausreise bzw. Weiterreise in hölzerne Kisten (Lifts) verpackt und nach Hamburg (Hafen) geschickt. Ob die umfangreiche Bibliothek von Adolf Sultan Teil dieser Ausreisekisten war, ist nicht mehr zu klären. Klar ist jedoch, die Lifts haben Hamburg nie verlassen. Der Besitz und etwaiges Vermögen der geflohenen Familienmitglieder, ging an das Deutschen Reich über.

Adolf Sultan war vermutlich ein warmherziger Mensch, der Kinder liebte. Eine Patchworkfamilie dieses Ausmaßes, war sicher auch für seine Zeit etwas Besonderes. Überliefert ist seine Liebe zur Musik und die vielen musikalischen Abende im Hause Sultan. Wie er den NS-Terror und die Angst um seine Familie erlebte oder was seine Vorstellung zu einem Leben außerhalb Deutschlands gewesen sind, kann nur vermutet werden.

Für die meisten überlebenden Familienmitglieder war Deutschland aufgrund der Erfahrungen des NS-Terrors ein Trauma, über das nicht oder kaum geredet wurde. Umso dankbarer sind wir, dass uns eine Erbin aus der Generation der Ur-Enkel über unsere Datenbank Looted Cultural Assets (LCA) kontaktiert hat. Dank ihr, konnten wir im März 2023 ein Buch an die Familie in den USA restituieren.

Spuren in Tausenden Büchern – Podcast Provenienzforschung

Unser zweiter Podcast ist da!

In dieser Folge „Wiederaufbau“ geht es darum, woher die Bücher für die Bibliothek des Botanischen Gartens kamen.

Ausgangspunkt dieser Folge ist die Zerstörung der Bibliothek des Botanischen Gartens Berlin bei einem Luftangriff am 1. März 1943. Nachdem ein Großteil der Sammlungen verbrannt war, begann der Wiederaufbau der Bibliothek noch während des Zweiten Weltkriegs. Provenienzforscherin Lisa Trzaska erläutert im Interview, wie durch solche Wiederaufbauprogramme in der NS-Zeit Raub- und Beutegut in Bibliotheken gelangte. Ergänzt wird sie von Bibliotheksleiter Dr. Norbert Kilian, der auf die Besonderheiten der Bibliothek des Botanischen Gartens hinweist. Historische Briefe veranschaulichen, woher ab 1943 die Bücher für den Wiederaufbau kamen: Aus dem besetzten Paris und aus geplünderten Bibliotheken Osteuropas. Zum Schluss kommen noch Peter Prölß vom Deutschen Technikmuseum und Coralie vom Hofe von der französischen Kommission für die Entschädigung der Opfer von Enteignung (CIVS) zu Wort. Sie erzählen über eine besondere Restitution zweier Bücher nach Frankreich.

Neugierig geworden? Hier geht es zur Folge 2: Wiederaufbau

https://www.fu-berlin.de/sites/ub/ueber-uns/provenienzforschung/10-jahre/podcast/index.html

Spuren in Tausenden Büchern – Podcast Provenienzforschung

Unser erster Podcast ist da! 🎙️ Zum Auftakt des 10-jährigen Jubiläums der Arbeitsstelle Provenienzforschung der Universitätsbibliothek an der FU Berlin starten wir unsere Podcast-Reihe: Spuren in Tausenden Büchern. In der ersten Folge „Anfänge“ geht es darum, wie die Suche nach den geraubten Büchern begann und wie die Spuren aus den Büchern ins Internet kamen.

Von historischen Erinnerungen an die Suche nach geraubten Büchern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg führt diese erste Folge im Zickzack bis zum 10-jährigen Jubiläum der Arbeitsstelle Provenienzforschung im Jahr 2023. Auf dem Weg liegen unter anderem die Gründung der Freien Universität Berlin 1948, die Anfänge systematischer NS-Raubgutforschung in den 1990er Jahren und jede Menge Spuren in Büchern – die heute in einer modernen Datenbank
(Looted Cultural Assets) verzeichnet werden.

Ringo Narewski, Leiter der Arbeitsstelle Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der FU, erzählt im Interview mit Lizaveta Wunderwald von Erfahrungen und Schwierigkeiten bei der Suche nach NS-Raubgut in Bibliotheken. Bei diesem Thema ergänzen ihn Dr. Andreas Brandtner, Leitender Direktor der Universitätsbibliothek der FU, sowie die Provenienzforscher Sebastian Finsterwalder und Peter Prölß von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und dem Deutschen Technikmuseum.    

Neugierig geworden? Hier geht es zur Folge 1: Anfänge

Folge 1: Anfänge

10 Jahre Jubiläum Arbeitsstelle Provenienzforschung

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung wird 10!🎉

Zahlreiche Events bieten das ganze Jahr 2023 einen Blick auf die junge Geschichte der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der FU Berlin. Infos zum Auftakt unseres Jubiläums finden Sie in Kürze auf unserer Webseite und auf Twitter. https://twitter.com/raubgut_books