Diskriminierung und Selbsthass durch rassistisch geprägte Schönheitsideale

Die Körperpolitik des Colorismus

Kim-Margaux Déniel (WiSe 2023/24)

1. Einleitung

Seit Beginn meiner Pubertät haben mich Themen wie das Schminken, Stylen, und die allgemeine eigene Schönheit fast täglich beschäftigt. Sei es früh morgens vor der Schule, nachmittags, bevor ich meine Freund*innen traf, oder auch abends vor Konzerten gewesen – ein „perfektes” Aussehen war in fast allen Bereichen meines Lebens ein sehr wichtiger Aspekt. Ein Thema, welches mich allerdings nie betroffen hat und mir daher größtenteils unbewusst war, beinhaltet die starke Präsenz von diskriminierenden Schönheitstrends, die von rassistischen Werten geprägt sind. Tatsächlich ist mir der Begriff „Colorism” erst seit einigen Jahren bekannt und ist mir auch seitdem erst als ein fortbestehendes, soziokulturelles Problem aufgefallen.

Im Rahmen meines Studiums und nach der Teilnahme am ABV-Modul „Gender, Diversity, Gender Mainstreaming” habe ich mich unter Anderem tiefer mit Rassismus und rassistischer Diskriminierung auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen auseinandergesetzt. Des Weiteren wurde ich für verschiedene Themenbereiche der Diskriminierung stärker sensibilisiert, was dazu führte, dass ich das Phänomen Colorismus kritisch betrachtet und näher analysiert habe. In dieser Analyse werde ich zunächst auf die Begriffsbedeutung und den historischen Kontext von Colorismus eingehen, bevor moderne Beispiele aus mehreren Berichten Colorismus als ein beständiges, allgegenwärtiges und vielschichtiges Problem verdeutlichen. Mit Hilfe von wissenschaftlicher Literatur, welche die Themen Schönheit und Colorismus aus diversen soziologischen Perspektiven behandelt, wird diese Analyse ermitteln, inwiefern Colorismus als ein komplexes, diskriminierendes und höchst schädigendes System fungiert. In diesem Text werde ich hauptsächlich den eingedeutschten Begriff „Colorismus” (vom Englischen „Colorism”) verwenden, welcher sich klar von dem Farbkonzept „Kolorismus” aus der Malerei abgrenzt.

2. Was ist Colorismus?: Begriffsklärung und historischer Ursprung

Der Begriff wurde 1982 von der afroamerikanischen Schriftstellerin Alice Walker geprägt und bezeichnet die „voreingenommene oder bevorzugte Behandlung von Menschen derselben [rassifizierten Gruppe] basierend allein auf ihrer Hautfarbe” (Igwe, 2023). Die Definition des Merriam-Webster Dictionary betont darüber hinaus, dass Menschen mit hellerer Haut gegenüber denen mit dunklerer Haut bevorzugt werden. Hierbei geht hervor, dass Colorismus sich von Rassismus unterscheidet, da er innerhalb von ethnischen und rassifizierten Gruppen stattfindet und somit nur ein bestimmter Teil dieser Gruppen diskriminiert wird. Hinzu kommt, dass Colorismus von allen ethnischen und rassifizierten Gruppen praktiziert wird und dies insofern problematisch ist, dass dadurch Spaltungen innerhalb von verschiedenen Communities, z.B. der Schwarzen Community, entstehen können (Wolf, 2021).

In einem Artikel des Studierendenmagazin der Hochschule der Medien schreibt Samira Igwe über das Stereotyp „Angry Black Woman”, also „das Narrativ der wütenden Schwarzen Frau” (Igwe, 2023), welches Betroffenen das Recht auf Wut abspricht. Samira berichtet von ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Stereotyp und nimmt Bezug auf Colorismus, wobei sie anmerkt, dass sie selbst als „lightskinned-Schwarze Frau”[1] weniger ausgegrenzt und diskriminiert wird, als die „darkskinned-Schwarze” Perla Londole, Gründerin der Black Community Foundation in Deutschland, welche oftmals als „Angry Black Woman” abgestempelt wird. Dieses Beispiel verdeutlicht: Je heller die Hautfarbe Schwarzer Personen, desto mehr Privilegien haben sie in einer weißen Mehrheitsgesellschaft, während Schwarze Personen mit dunkler Haut schlechter behandelt werden (Igwe).

Seinen Ursprung hat der Colorismus im Kolonialismus. Im US-amerikanischen Kontext basiert er auf der Versklavung von Schwarzen Menschen. Da versklavte Menschen mit hellerem Teint oftmals Familienmitglieder[2] der Sklavenhalter*innen waren, wurden sie meist bevorzugt. Dies zeigte sich vor allem in den verschiedenen Aufgabenbereichen: während Sklav*innen mit hellerer Hautfarbe oft im Haushalt arbeiteten, mussten andere versklavte Menschen mit dunklerer Hautfarbe schwere Arbeiten auf den Feldern verrichten. Folglich wurde eine helle Hautfarbe unter versklavten Menschen als Vermögenswert angesehen (Nittle, 2021). Daraus lässt sich schließen, dass Colorismus einen klaren rassistischen Ursprung hat und in einer Beziehung zu einer Hierarchie der Klassengesellschaft steht, wobei eine dunkle Hautfarbe immer unterhalb der helleren eingestuft wird.                                             

Die historische Beziehung zum Klassismus wird noch deutlicher hinsichtlich des Colorismus in asiatischen Ländern, wo er bereits vor dem Kontakt mit Europäern und eher aus den Unterschieden zwischen der herrschenden und der Bauernklasse entstand. Die gebräunte Haut von Menschen der Bauernklasse wurde zu einem klaren Merkmal eines unterprivilegierten Status, während ein heller Teint mit der Elite assoziiert wurde (Nittle, 2021). Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass der heutige Colorismus im asiatischen Raum auf dieser Vorgeschichte basiert und weiterhin von kulturellen westlichen Einflüssen verstärkt wird.

3. Colorismus in der heutigen Zeit: ein vielschichtiges „Subsystem”

Mit dem Wissen, dass Colorismus stark mit Rassismus und Klassismus zusammenhängt, ist es nicht verwunderlich, dass dieser sich ebenfalls in vielen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen als präsent und wirkungsvoll erweist. Von medialer Repräsentation, über Einstellungen im Beruf, bis hin zu alltäglichen Dingen wie Seifenspendern und Snapchat Filtern, die dunkle Haut nicht als menschlich identifizieren. Diese Allgegenwärtigkeit deutet auf ein systematisches Machtgefüge hin, dessen Funktionsweise Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma darin sieht, “hierarchisch zu positionieren, zu marginalisieren und auszuschließen” (Auma, 2020).                                                                                                           

Des Weiteren bezeichnet die Professorin Colorismus als ein Subsystem bzw. eine bedeutende Technik der rassistischen Ordnung, welche dazu dient, Rassismus durch Unterschiede der Hautpigmentierung zu begründen. Folglich liegt es für weiße Privilegierte somit in der Natur, und nicht am Menschen, dass Schwarze Menschen rassifiziert werden. Negative Eigenschaften wie  Kriminalität, Faulheit und Emotionalität wurden in weißen Mehrheitsgesellschaften historisch mit Schwarzen Menschen assoziiert, wobei die Hautfarbe „zu einer folgenreichen Unterscheidungskategorie aufgeladen” wurde (Auma, 2020).        

Das bereits erwähnte Stereotyp „Angry Black Woman” ist ein klares Beispiel dafür, wie sich bestimmte Assoziationen mit dunkler Hautfarbe in medialer Repräsentation sowie in zwischenmenschlichen Interaktionen offenbaren und widerspiegeln. Ein wiederkehrendes Motiv in Serien und Filmen ist die lightskinned Frau, welche oftmals als sehr hübsch, freundlich, und wohlerzogen dargestellt wird, wohingegen ihre darkskinned Freundin entgegengesetzte Eigenschaften präsentiert, sprich Boshaftigkeit, Unerzogenheit und Verbitterung.   

In der US-amerikanischen Netflix Serie Dear White People (2017-2021) wird das Stereotyp der „Angry Black Woman” zum Teil von der Figur Joelle Brooks verkörpert, dessen beste Freundin und Hauptfigur Samantha White ein „lightskin privilege” besitzt. Auch durch Coco Conners, eine weitere Freundin von Samantha, wird Colorismus in der Serie deutlich und kritisch behandelt. Während die Aktivistin Samantha versucht, ihr eigenes lightskin und „white privilege”[3] zu überkompensieren (Willer, 2021), indem sie sich besonders stark für die Schwarze Community und das Black Movement an ihrer Universität engagiert, hält Coco sich diesbezüglich zurück. Da sie aus armen Familienverhältnissen kommt und als darkskinned Frau sehr viel unterprivilegierter ist als lightskinned Frauen*, musste sie lernen, sich der weißen Gesellschaft anzupassen. Ein Merkmal, welches dies veranschaulicht, sind Coco’s glatte, unnatürliche Haare, die im Gegensatz zu den natürlichen Haaren von Samantha stehen.

Das Thema Haare wird unter anderem in der Serie thematisiert, als die beiden Freundinnen sich über ihre unterschiedlichen sozialen Privilegien streiten. Diese dargestellte Selbstreflexion führt dazu, dass Samantha ihr lightskin Privileg als solches erkennt und sich bei Coco für ihre frühere Ignoranz entschuldigt.

Es wird demnach deutlich, dass der Colorismus oft über Hautfarbe hinausgeht, und Haarstruktur ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Das vorherrschende rassistische und klassistische europäische Schönheitsideal ist im Colorismus zentral. In den folgenden Sektionen werde ich anhand von persönlichen Berichten und einem viralen Modetrend näher auf die Beziehung zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen von Schönheit und Colorismus eingehen.              

3.1. Je weißer, desto schöner”: Colorismus als Schönheitsmaßstab

In ihrem TEDx Talk „Confessions of a D Girl: Colorism and Global Standards of Beauty” (dt.: „Geständnisse eines D Girls: Colorismus und globale Schönheitsstandards”) aus dem Jahr 2016, spricht Chika Okoro über die schädigenden Auswirkungen von Colorismus auf Selbstliebe und das Selbstwertgefühl von schwarzen Frauen* mit dunklem Hautton. Zunächst berichtet sie von ihrer Entdeckung der überaus problematischen Maßstäbe für bestimmte Rollen in dem Film Straight Outta Compton (2015). Die Kategorien im Casting-Aufruf verdeutlichen ihr, dass sie unter die letzte Kategorie der „D girls” fällt, welche sich auf arme schwarze Frauen bezieht, die in „keiner guten Form” sind und einen dunkleren Hautton besitzen müssen. Konträr dazu setzen die vorherigen Kategorien (A-C) hellere Hauttöne sowie natürliches langes Haar voraus, wobei die Kategorie der “A girls” sich auf die “heißesten Models” bezieht.                                                                        

Chika Okoro beschreibt ein Gefühl des Verrats, welches sie durch die Realisierung überkommt, dass es ihr selbst innerhalb einer rassifizierten Gruppe, die ohnehin schon selten auf der großen Leinwand repräsentiert wird, verwehrt wird, sich schön zu fühlen. Doch dieses Gefühl wird zu einer zwangsläufigen Akzeptanz, da subtiler Colorismus ihr in nahezu allen Lebensbereichen deutlich wird. Weniger subtil sind hingegen Testmethoden wie der Papiertüten-Test, um Hauttöne zu prüfen, der Stifttest, welcher Haarstrukturen prüft, und der Schattentest, um Gesichtsmerkmale abzugrenzen. Diese Methoden werden unter anderem von Elite-Gruppen (bspw. US Schwesternschaften) genutzt, um Personen und vor allem Frauen*, welche zu weit von den äußerlichen europäischen Körpermerkmalen abweichen (d.h. dunklere Hautfarbe, krauses Haar, ‘nicht weiße’ Gesichtszüge), auszugrenzen.

Auch hiermit wird erneut klar, dass Colorismus neben der Hautfarbe alle äußerlichen Merkmale mit einbezieht, welche ein gewisses Schönheitsideal widerspiegeln. Durch die historischen Auswirkungen des Kolonialismus sind Haar-Differenzierungen bis heute bei schwarzen Frauen, wie Schönheitsideale und Weiblichkeit verbunden. Dies reflektiert die Aufrechterhaltung rassistischer Gegensätze, wobei die ‘gerade Haar-Regel’ als Bestandteil kolonialer und rassistischer Ideologien dient (Ellis & Destine, 2023, S.8).

In dem Buch Projekt Körper: Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt (2009) spricht Waltraud Posch von der Entstehung von Körperklassen im Neoliberalismus, welche bestimmte Körperideale bevorzugen und andere durch Selektionsmechanismen ausgrenzen. Das dadurch gebildete System der Attraktivität beeinflusst die soziale Hierarchie, in welcher Schönheit sich als eigene Klasse etabliert hat (Posch, 2009, S.64-65). Daraus lässt sich schließen, dass vorherrschende Schönheitsideale direkt mit einer Einstufung in gesellschaftliche Klassen einhergehen, wobei unerwünschte Körper abgewertet und ausgeschlossen werden. Des Weiteren sorgen möglichst unerreichbare Normen dafür, dass diejenigen, die sie erreichen, als „besonders gut, toll, fit, [und] erfolgreich” gelten (Posch, S.65). Je weniger Menschen sich also dem Idealkörper nähern können, desto erfolgreicher sind die körperlich Erfolgreichen.      

In den Fällen von Chika Okoro und dem fiktiven Charakter Coco Conners wird diese Einstufung, wie sich zeigt, neben dem Rassismus sehr stark vom Colorismus bestimmt. Beide Beispiele werfen ein Licht darauf, wie tief coloristische Wertvorstellungen in der Gesellschaft verankert sind und dass diese sich vehement auf das Selbstwertgefühl von jenen auswirken, die aus der ‘Schönheitsnorm’ fallen. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist, dass Körperlichkeit, im Sinne von Mode oder grundlegender Körperdimensionen, eine entscheidende Rolle bei der Schaffung und Darstellung von Identität spielt. Sei es die Wahl der Kleidung, die Nähe zu Schönheitsstandards, oder die Inszenierung der Persönlichkeit durch Mode und Körperlichkeit – all das trägt zur Identitätsbildung bei (Posch, 2009, S.37). Daher ist es nicht verwunderlich, wenn auch problematisch, dass viele Menschen mithilfe von kostspieligen und/oder sogar gesundheitsschädlichen Mitteln versuchen, dem idealen Aussehen so nahe wie möglich zu kommen.

3.2. Obsession Weiß-sein”: Auswirkungen auf persönliches Handeln

Wie bereits erwähnt, ist Colorismus ein globales Phänomen, welches People of Color aus unterschiedlichen Regionen und Kulturen betrifft. Neben Chika Okoro’s US-bezogenen TEDx Talk gibt es noch viele weitere Berichte über Colorismus von Menschen und Frauen* unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Beispielsweise berichtet Bianca Punzalan von Colorismus in den Philippinen, und Waseka Nahar spricht über ihre Erfahrungen als “brown girl” in Südasien. Beide Sprecherinnen thematisieren die großflächige Vermarktung und Begünstigung von weißer Haut durch hautaufhellende Cremes und Mittel. Auch die exzessive Verwendung von Sonnencreme soll in den Philippinen nicht bloß gesundheitsbedingt sein, sondern hängt laut Punzalan sehr stark mit dem Schönheitsideal heller oder weißer Haut zusammen.                                                                                                          

In Punzalan’s Bericht (2021) wird deutlich, wie sehr sich das Verinnerlichen und Bewerben dieses Ideals von der eigenen Familie auf junge Menschen auswirken kann. Da braune Haut in den Philippinen als “dreckig, hässlich, und arm” betrachtet wird und oft Sprüche fallen wie „Du bist hübsch, für eine dunkle Person”, hat Punzalan zwangsläufig versucht, sich dem Schönheitsideal trotz schmerzhafter Methoden immer weiter zu nähern. Auch die beiden Schweizerinnen Dhiviyaa Satkunanathan und Claire Bengue erzählen in der Reportage „Hau(p)tsache hell – Das Geschäft mit dunkler Haut” (2021) von ihren zwanghaften, familiär geförderten Versuchen, einen helleren Hautton durch Bleichcremes und Seifen zu erreichen. Dies verursachte bei Bengue einmal eine Hautverbrennung. Ein permanentes negatives Feedback zur „zu dunklen” Hautfarbe führt demnach häufig dazu, dass Betroffene trotz eigener Gesundheitsgefährdung mit Hilfe von entsprechenden (und weit verbreiteten) Produkten und Methoden alles versuchen, um ihre Haut aufzuhellen.

Daraus lässt sich also folgern, dass rassifizierte Schönheit eine Kommodifizierung heller Haut mit sich bringt, was die Hautaufhellungsindustrie zu einem Millionen-Dollar-Geschäft macht. Zudem fördern coloristische Ideale und deren Vermarktung die Selbstabwertung betroffener Menschen sowie das weiße Überlegenheitsdenken als Begleiter des europäischen Kolonialismus (Ellis & Destine, 2023, S.7). Im asiatischen Raum steht helle Haut für Modernität und soziale Mobilität, weshalb weißes Bleipulver von asiatischen Frauen* der Oberschicht historisch oft verwendet wurde (Ellis & Destine, S.9). Demzufolge kann Colorismus als ein Subsystem des Rassismus betrachtet werden, welches sich auf die komplexen Strukturen des Klassismus, Sexismus, und Kapitalismus stützt, und somit durch mehrere zusammenhängende Faktoren weitergeführt wird.

Waltraud Posch betont, dass Körpermanipulationen als Mittel zweier gegensätzlicher Verhaltensweisen dienen: zum einen der Unterwerfung und zum anderen der Selbstbestimmung. Somit können sie gleichzeitig für Unterdrückung sowie für Freiheit stehen (Posch, 2009, S.166). Des Weiteren muss klargestellt werden, dass Schönheitshandeln kein privates Handeln ist, denn es „verlangt nach dem Blick der anderen und ist ein Akt der Kommunikation” (Posch, S. 166). Ebenso wenig stellt Schönheitshandeln reinen Spaß, reine ‘Frauensache’, oder bloß ein Oberflächenphänomen dar; denn tatsächlich ist es ein identitätsstiftender Akt (Posch, S. 166).

Die vorgestellten Fälle dienen dafür als klare Beispiele. Colorismus ist zwar häufig ein geschlechtsspezifisches Phänomen, welches Frauen* überproportional betrifft (Ellis & Destine, 2023, S.2), jedoch kann er ebenso von Menschen aller Geschlechtszugehörigkeiten erfahren werden. Der Zusammenhang von sozialem Geschlecht und dunkler Hautfarbe kann hier, wie auch in einigen Formen des Rassismus, auf gesellschaftliche Vorstellungen von Schönheit und Weiblichkeit zurückgeführt werden. In diesem Kontext können Methoden der Hautaufhellung eine Unterdrückung im Sinne der Konformität (Weiß-sein = „schön” sein) widerspiegeln, was jedoch für einige gewisse Freiheiten mit sich bringt. Wenn hellere Haut soziale Inklusion und bessere Behandlung bedeutet, wird sie als ein Kapital gesehen, welches eindeutig mehr Chancen und Privilegien bietet als dunklere Haut. Ob dies echte Freiheit darstellt, gilt definitiv zu hinterfragen. Vielmehr mögen die positiven Effekte derartiger Körpermanipulationen eine Freiheit vortäuschen, die auf höchst problematischen sozialen Dynamiken und Werten basiert, und das auf Kosten des Selbstwertgefühls und der körperlichen Akzeptanz.

4. Fazit: Social-Media Einfluss: Was ist vor allem heute wichtig?

Das heutige Zeitalter der „Social Media Generation” bietet eine riesige Fläche für die regelmäßige Verbreitung bestimmter Bilder und Einflüsse, weshalb das Internet als relevantes und integrales Kulturobjekt gilt. Von User*innen und prominenten Personen, die gewisse Körper, Standards, und Ästhetiken präsentieren, bis hin zu Fotobearbeitungstools, durch welche Selfies schnell und einfach „verschönert” oder gar verfremdet werden können – ein Entkommen der modernen Schönheitsideale ist nahezu unmöglich. Auch im Kontext des Colorismus stellen scheinbar harmlose, hautaufhellende Gesichtsfilter, oder Trends wie der „Clean Girl Look”[4] eine gefährliche Kontinuität der bereits bestehenden (selbst)abwertenden Ansichten und Praktiken dar. Umso wichtiger ist es, öffentliche Inhalte und Plattformen einerseits kritisch zu betrachten und andererseits als Tool für mehr Aufklärung, Sichtbarkeit, und Diversity-Förderung wahrzunehmen.

Literaturverzeichnis / Referenzen

Auma, M.-M. (2020, July 27). Maisha-Maureen Auma: “Rassismus Hat übrigens nichts mit der Hautfarbe zu tun.” ZEIT Campus. https://www.zeit.de/campus/2020-07/maureenmaisha-auma-erziehungswissenschaftlerin-colorism-schwarze-community-rassismus. 

Ellis, N. P., & Destine, S. (2023). Color capital: Examining the racialized nature of beauty via colorism and skin bleaching. Sociology Compass, 17(8), e13049.

Igwe, S. (2023, December 7). Wer hat Angst vor der Schwarzen Frau?. edit. Magazin. https://www.edit-magazin.de/wer-hat-angst-vor-der-schwarzen-frau.html.

Nahar, W. (2019, May 1). Finding Self Love in a World of Colorism | Waseka Nahar | TEDxEMWS. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=iNFX26_5NIY.

Nittle, N. K. (2021, February 28). The Roots of Colorism, or Skin Tone Discrimination. ThoughtCo. https://www.thoughtco.com/what-is-colorism-2834952

Okoro, C. (2016, May 23). Confessions of a D girl: Colorism and Global Standards of Beauty | Chika Okoro | tedxstanford. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=fvoWoMIwr-g&t=192s.

Posch, W. (2009). Projekt Körper: Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt. Campus. 

Punzalan, B. (2021, June 2). Colorism in the Philippines | Bianca Punzalan | TEDxMoreauCatholicHS. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=dbK4yyUTie0&t=73s.

Urbančik, J. (2024, April 5). Gründe, warum du den Clean Girl Look nicht nachstylen solltest. wmn. https://www.wmn.de/beauty/fashion/clean-girl-look-problematisch-a-did421334

Willer, M. (2020, June 17). The Women in “Dear White People.” FemCinema. https://femcinema.home.blog/2020/06/17/the-women-in-dear-white-people/

Wolf, F. (2021, February 19). Colorism: Ein Gefährliches Überbleibsel des Kolonialismus. wmn. https://www.wmn.de/buzz/colorism-bedeutung-id34489

Yogarasa, S. (2021, May 25). Hau(p)tsache Hell – Das Geschäft mit dunkler haut. colorism. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=DY8HyjJpwr8&t=1s.


[1] „lightskinned” beschreibt eine Schwarze Person mit vergleichsweise hellem Hautton, während „darkskinned” sich auf Schwarze Personen mit dunklerem Hautton bezieht. Die Begriffe werden auch im deutschen Diskurs verwendet, u.a. von der Erziehungs- und Genderwissenschaftlerin Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma. Sie betont, dass solange die deutsche Sprache noch nicht genug für die anerkennende Beziehung zwischen Schwarzen Menschen und ihren Körpern hergibt, englische Begriffe benutzt werden müssen (zeit).

[2] Kinder von versklavten Menschen und Sklavenhalter*innen waren meist das Ergebnis von sexuellen Übergriffen, bei dem die versklavten Menschen zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden.

[3] Samantha White ist die Tochter einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters, und somit “biracial”.

[4]„Clean Girl Look”: eine Stil-Ästhetik, die minimales und ‘sauberes’ Make-Up sowie Kleidungs- und Lebensstil darstellen soll. Er wurde mehrfach dafür kritisiert, dass er ausgrenzend, und ausschließlich auf ‘hübsche’, dünne, und weiße Frauen* ausgerichtet sei. Vor allem das schlichte Make-Up wurde von Schwarzen Creator*innen als spezifisch für weiße Menschen bezeichnet (Urbancik, 2024).


Quelle: Kim-Margaux Déniel, Diskriminierung und Selbsthass durch rassistisch geprägte Schönheitsideale: Die Körperpolitik des Colorismus in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 08.07.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=459

Femmephobia in der Gesellschaft und in queeren Communities

Victoria Reichenbacher (WiSe 2023/24)

Vorbemerkung: Analog zu Begriffen wie Queerphobie, Transphobie oder Homophobie wäre die Wortbildung mit „-phobie” im Deutschen irreführend, da es sich bei all diesen Beispielen nicht um klassische Ängste im Sinne einer Phobie handelt, sondern um ablehnende Einstellungen und Haltungen. Daher werde ich im Folgenden ausschließlich den englischen Begriff Femmephobia verwenden.

Femme als Identifikation und Femmephobia

Bevor wir definieren können, was Femmephobia ist und wie ihre Manifestationen in queeren Communities aussehen können, ist es notwendig zu definieren, was „femme“ ist und wo die Unterschiede z.B. zu Feminität liegen. Rhea Hoskin definiert „femme“ als eine Identität, die sowohl Feminität unabhängig von einem als weiblich gelesenen oder definierten Körper umfasst, als auch Feminität, die gesellschaftlich sanktionslos dargestellt werden kann (Blair & Hoskin, 2015, S.232).
Unsanktionierte Feminität soll hier als patriarchale Feminität bezeichnet werden, was bedeutet, dass nur jene Feminität gesellschaftlich akzeptiert ist, die von weißen, able-bodied, heterosexuell verfügbaren cis-Frauen im biologisch-deterministischen Verständnis performativ hergestellt wird (Blair & Hoskin, 2015, S.232). Femme umfasst also nicht nur diese Definition von patriarchaler bzw. essentieller Feminität, sondern auch Abweichungen oder Ablehnungen ebendieser, z.B. durch die Performanz von Feminität durch andere Geschlechtsidentitäten, also z.B. von Trans*-Personen, nicht-binäre oder sich als männlich identifizierende Personen. Ausführliche Definitionen, Abgrenzungen und Diskussionen zu Femme finden sich u.a. in Hoskin (2013) und werden hier aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt.

Femmephobia ist demnach die Ablehnung von gesellschaftlich als weiblich oder feminin konnotierten Eigenschaften, Verhaltensweisen, Gesten, Sprachelementen, modischen Vorlieben etc. insbesondere, aber nicht ausschließlich, wenn diese außerhalb der essentiellen Feminität liegen. Es handelt sich also um eine systematische Abwertung und gleichzeitige Regulierung von Femininität (Hoskin et al., 2023, S.193).
Dabei ist es wichtig, Femmephobia von anderen Formen der Unterdrückung wie Misogynie oder Sexismus abzugrenzen, auch wenn sich diese Unterdrückungsmechanismen oft überlagern und gleichzeitig stattfinden. Während sich Misogynie und im Wesentlichen auch Sexismus gegen Personen richten, die als weiblich gelesen werden (unabhängig davon, ob diese Feminität performen), richtet sich Femmephobia gegen performante Feminität, unabhängig von der eigenen oder zugeschriebenen Geschlechtsidentität (Hoskin et al., 2023, S.193).

Ausprägungen von Femmephobia

Rhea Hoskin, die in den letzten Jahren die Femme-Theorie und das Phänomen der Femmephobia maßgeblich erforscht und wissenschaftlich-theoretisch weiterentwickelt hat, definiert verschiedene Erscheinungsformen der Femmephobia: die strukturelle oder verdeckte Femmephobia, die offene Femmephobia, die Femme Mystification und die moralische Femmephobia {Anm. d. Verf.: freie Übersetzung von “pious femmephobia”} (Hoskin, 2013).

Strukturelle oder verdeckte Femmephobia sind Alltagspraktiken in Form von Sprache, Ideologie oder Gendering, z.B. “Du siehst nicht aus wie eine Lesbe”. Offene Femmephobia hingegen ist die explizite Ablehnung von Feminität, z.B. die Formulierung “no fems” auf Grindr-Profilen von MSM (Männer, die Sex mit Männern haben), die klar die Ablehnung von Feminität bei potentiellen Dates zum Ausdruck bringt (Blair & Hoskin, 2015, S.232).
Unter Femme Mystification versteht Hoskin die Herabsetzung oder Objektifizierung von Personen, die femme Charakteristika aufweisen, z.B. wird freizügigere Kleidung damit assoziiert, dass die Person käuflich oder leicht zu haben sei (Blair & Hoskin, 2015, S.232). Moralische Femmephobia schließlich umfasst Ausprägungen wie Slut-Shaming, Victim-Blaming oder Gender Policing, die darauf abzielen, eine “anständige Weiblichkeit” bzw. eine essentielle / patriarchale Feminität durchzusetzen (Blair & Hoskin, 2015, S.232).

In einer weiteren umfassenden Studie konnte Hoskin (2019) neben dem übergeordneten Frame, dass die Performanz von Feminität das Ziel von Femmephobia ist, verschiedene Subframes identifizieren. Femmephobia äußert sich zudem in Form der Regulierung sexueller Identitäten, der Morphologie und des biologischen Determinismus, „masculine right of access“ (auf eine Übersetzung wird verzichtet), feminine joke und Femininität und Passing (Hoskin, 2019, S.691).


Die Regulierung sexueller Identitäten umfasst wiederum Maßnahmen wie Slut-Shaming, Virgin-Shaming oder Victim-Blaming sowie grundsätzlich die Regulierung der heterosexuellen Matrix durch Femmephobia, meist in sprachlicher Form. Ziel ist die Aufrechterhaltung der männlichen Überlegenheit in der Geschlechterhegemonie und die Aufrechterhaltung patriarchaler Feminität.


Besonders deutlich wird dies in der Sprache: Feminität soll (sexuelle) Avancen akzeptieren, aber nicht eigenständig handeln. Wehrt sich eine Femme-Person gegen solche Avancen oder lehnt sie ab, wird sie z.B. als “bitch” oder prüde betitelt. Geht sie hingegen darauf ein oder ergreift sogar die Initiative, um ihre eigenen Interessen oder Wünsche zu verwirklichen, wird sie z.B. als “slut” oder “billig” bezeichnet (Hoskin, 2019, S.691/692). Es wird also deutlich, dass es einen sehr kleinen Bereich gibt, nämlich die essentielle Feminität, der für Femme-Personen als gesellschaftlich akzeptabel angesehen wird. Deviationen in irgendeine Richtung von diesem Bereich werden durch Femmephobia in dieser Ausprägung effektiv stigmatisiert. Wichtig ist hier die zentrale Komponente von Femininität unabhängig von der Geschlechtsidentität: Abstinenz wie Promiskuität sind für maskuline Identitäten nicht stigmatisiert (Hoskin, 2019, S.692) bzw. werden gesellschaftlich sogar als aufwertend wahrgenommen. Noch deutlicher wird diese Ausprägung im Victim Blaming, bei dem z.B. die Kleidungswahl einer femininen Person für sexuelle Übergriffe verantwortlich gemacht wird oder feminine schwule Männer aufgrund ihrer „unmaskulinen” Außendarstellung für Homofeindlichkeit verantwortlich gemacht werden (Hoskin, 2019, S.692).

Der Bereich Morphologie und des biologistischen Determinismus umfasst Assoziationen, die Feminität mit (cis-)weiblicher Geschlechtsidentität und Maskulinität mit (cis-)männlicher Geschlechtsidentität und dem damit verbundenen stereotypen Erscheinungsbild gleichsetzen. Ein stereotyp kräftiger männlicher Körper soll bzw. muss demnach auch Maskulinität ausstrahlen, während ein stereotyp zarter weiblicher Körper Feminität verkörpern soll. Wird von dieser Kombination aus Morphologie und Performanz abgewichen, erfolgt der Sanktionsmechanismus in Form von Femmephobia (Hoskin, 2019, S.693).

Unter dem Frame „masculine rights of access“ lässt sich im Wesentlichen die Annahme zusammenfassen, dass Feminität (gleich welchen Genders) ausschließlich dazu dient, heterosexuellen Männern bzw. dem männlichen Blick (male gaze) zu gefallen und zu entsprechen (Hoskin, 2019, S.694-696). Dies kann verschiedene Formen annehmen, zum Beispiel, dass lesbische Personen als Lustphantasie für Männer dienen (und dafür ganz selbstverständlich zur Verfügung stehen), dass die sexuelle Orientierung aufgrund des Femme-Seins in Frage gestellt wird, dass eine weibliche Femme-Person als „zu schade“ für gleichgeschlechtliche Beziehungen angesehen wird oder dass die eigene Maskulinität durch die Anwesenheit einer Femme-Person in Frage gestellt wird (Hoskin, 2019, S. 695-696).

Feminine Joke (Hoskin, 2019, S.696/697) fasst Formen von Femmephobia zusammen, die Witze oder “humorvolle” Kommentare verwenden und oft als harmlos dargestellt werden und nicht zuletzt immer die Möglichkeit bieten, die Aussage als nicht ernst gemeint zu revidieren oder herunterzuspielen. Verbreitete Themen sind “butch in the streets, femme in the sheets” oder “Mann in Frauenkleidern”, die beide auf die Unterlegenheit von Feminität abzielen und Ansatzpunkte für Lächerlichkeit bieten. Eng damit verbunden sind auch Aspekte von Femininität am Arbeitsplatz oder in der Wissenschaft. Beides sind Bereiche, in denen die offene Darstellung von Femininität nach wie vor häufig mit geringerer Intelligenz, Kompetenz oder Qualifikation assoziiert wird (Hoskin, 2019, S.697).

Der letzte Frame schließlich bezieht sich auf Feminität und Passing. Dies ist besonders häufig in intersektionalen Kontexten anzutreffen, z.B. bei trans*weiblichen Personen, von denen oft eine Hyperfeminität erwartet wird, um als Frau akzeptiert zu werden. Während diese Performanz von Feminität einerseits validierend sein kann (in Form von Akzeptanz), stellt sie gleichzeitig eine starke Einschränkung der eigenen Repräsentation und Identität dar: „zu wenig“ ist nicht  „trans* genug“, „zu viel“ wird als Lächerlichmachen von Trans*-Identitäten wahrgenommen (Hoskin, 2019, S.698). Ähnliches gilt z.B. für cis-lesbische Femmes in queeren Räumen, denen aufgrund ihres femme Erscheinungsbildes abgesprochen wird, queer zu sein. Dies führt zu Ausgrenzungsphänomenen, da sich die Person weder heteronormativen noch queeren Räumen zugehörig fühlt (Hoskin, 2019, S.698/699).

Reaktionen von Betroffenen auf Femmephobia

Wie reagieren nun Betroffene auf diese Formen der Femmephobia? Hoskin et al. (2023) haben dies untersucht und festgestellt, dass die Mehrheit der Betroffenen mit einer zumindest partiellen Unterdrückung der Feminität reagiert, oft selektiv je nach Situation, z.B. am Arbeitsplatz (Hoskin et al., 2023, S.196-199). Eine immer noch relativ großer Anteil reagierte mit Nicht-Änderung. Eine wichtige Erkenntnis dieser Untersuchung war, dass die Nicht-Änderung bewusst und als Agency erfolgt. Es handelt sich also keineswegs um eine mangelnde Wahrnehmung oder von Femmephobia, sondern um die bewusste Entscheidung, sich und die eigene Performanz nicht aufgrund äußerer Einflüsse und Rückmeldungen einschränken zu lassen oder verändern zu wollen (Hoskin et al., 2023, S.199/200). Nur ein verschwindend geringer Teil der Betroffenen reagierte auf die Femmephobia mit verstärkter femininer Performanz. Diese Personen identifizierten sich alle als queer (Hoskin et al., 2023, S.199).

Nachdem wir nun gesehen haben, was Femmephobia ist und wie gesamtgesellschaftlich wirkmächtig sie ist, um patriarchale Feminität zu stützen und davon abweichende Formen zu unterdrücken, wollen wir nun konkreter darauf eingehen, ob und wie Femmephobia in lesbischen und schwulen Communities existiert, sich äußert und wahrgenommen wird.

Femmephobia in lesbischen Communities

Lange Zeit existierte in lesbischen Communities, aber auch in weiten Teilen der feministischen Literatur und Wissenschaft, die Annahme, dass Femme-Identitäten mit internalisierter Homofeindlichkeit, der Reproduktion patriarchaler Feminität (und damit der Unterordnung von Feminität unter Maskulinität) und mangelnder Bereitschaft, sich zu outen, verbunden sind (Gunn et al., 2021, S.2). Zudem wurde femme oft nicht als eigenständige Ausdrucksform akzeptiert, sondern nur als Gegenform zu butch (Gunn et al., 2021, S.2). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Femme-Identifikation sowohl in Teilen der queeren Community als auch in der Gesellschaft im Allgemeinen als unauthentisch wahrgenommen wurde und teilweise wird, wodurch die Betroffenen und ihre Lebensrealitäten ignoriert oder unsichtbar gemacht werden (Gunn et al., 2021, S.2).

Gunn et al. (2021) untersuchen, inwiefern insbesondere die Annahmen der internalisierten Homofeindlichkeit und des geringeren Outings mit der eigenen Performanz von Feminität zusammenhängen, indem sie sich als queer identifizierende Personen, die sich als butch, androgyn oder femme identifizieren, diesbezüglich in SCT-Diagrammen (Sexual Configuration Theory, vgl. van Anders, 2015) einordnen ließen. Es konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Performanz von Feminität und internalisierter Homofeindlichkeit und Outing-Tendenz festgestellt werden (Gunn et al., 2021, S.5-9). Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass sich queere Identitäten heute stärker individuell ausdifferenzieren und nicht mehr gängigen Stereotypen entsprechen, und dass diese Ausprägungen eher mit der individuellen Performanz von Feminität zusammenhängen als mit der Zuordnung zu einer bestimmten sexuellen Identität oder Präferenz (Gunn et al., 2021, S.9-11).

Dennoch ist dieser Wandel ein langsamer Prozess und Femmephobia ist in queeren Communities nach wie vor weit verbreitet. Blair & Hoskin (2015) haben in einer umfassenden Studie (Blair & Hoskin, 2015, S.233/234) die verschiedenen Typen von Femmephobia in queeren Communities untersucht.
Viele Personen beschrieben den Prozess des Coming-out als Femme als belastend und identitätsentwertend. Unsichtbarkeit, die Privilegierung maskuliner oder butch-Identitäten, das Fehlen einer sichtbaren Repräsentation von Femmes und der Druck, vermeintlichen Stereotypen entsprechen zu müssen, sind die häufigsten Manifestationen (Blair & Hoskin, 2015, S.235/236). Nach Blair & Hoskin führt dies häufig zu einem Prozess, den sie als “feminine-butch-femme”-Prozess bezeichnen: Personen zeigen ursprünglich eine starke (oft patriarchale) Performanz von Femininität, versuchen aufgrund der oben genannten Faktoren eine Butch-Identität zu performen, stellen fest, dass diese für sie unauthentisch ist und entwickeln in der Folge eine bewusste Femme-Identität und Performanz (Blair & Hoskin, 2015, S.236/237).

Unsichtbarkeit, strukturelle Femmephobia und die Infragestellung der eigenen Queerness bzw. Authentizität durch Teile der queeren Community, Beziehungspartner und die Gesellschaft im Allgemeinen wurden von den meisten Befragten wahrgenommen (Blair & Hoskin, 2015, S.237-239). Moralische Femmephobia wurde ebenfalls stark wahrgenommen, z.B. in der Zuschreibung von Schwäche, geringerer Kompetenz oder Unterordnung mit Femme-Performanz (Blair & Hoskin, 2015, S.239).

Offene Femmephobia ist, wenn auch rückläufig, immer noch weit verbreitet. Dies kann sich z.B. darin äußern, dass Femme-Personen in queeren Räumen nur in Begleitung von Butch-Personen geduldet werden oder dass sie explizit als Outsider etikettiert und behandelt werden, bzw. als Personen, mit denen man nicht gesehen werden möchte (Blair & Hoskin, 2015, S.239/240). Der Typus der Femme Mystification wurde vergleichsweise wenig wahrgenommen und äußerte sich im Wesentlichen in einer Objektifizierung und einem Tokenism der Femme-Identität, wobei die Betroffenen berichteten, sich als “Häkchen auf einer Liste” von (sexuellen) Eroberungen zu fühlen (Blair & Hoskin, 2015, S.240).

Wir sehen also, dass Femmephobia in lesbischen Communities zwar sehr spezifische Ausprägungen hat, aber in allen Subtypen genauso präsent ist wie in der Gesamtgesellschaft und gleichermaßen darauf abzielt, die Identität und die Performanz von Feminität zu regulieren.

Femmephobia in trans*Communities

Femmephobia hat auch einen starken Einfluss auf trans*männliche Personen, indem Maskulinität als Maßstab und Norm für diese Personen stilisiert wird und das Zeigen von Feminität mit Inauthentizität oder Trendhaftigkeit assoziiert wird (Bellamy-Walker, 2019, S.2/3).


Die Infragestellung der männlichen Identität durch die Gleichsetzung von Maskulinität mit männlicher Identität (trans*männliche Personen müssen sehr maskulin sein, um als “echte” Männer akzeptiert zu werden) ist sehr verbreitet (Bellamy-Walker, 2019, S.5/6). Dies ist laut Bellamy auch im medizinischen Bereich ein wesentlicher Faktor, da trans*männliche Personen gegenüber Fachpersonal und Institutionen konstant zeigen und beweisen müssen, dass sie “wirklich” trans* sind und dieser Nachweis oft in Form von Maskulinität eingefordert wird (Bellamy-Walker, 2019, S.6-8).


Vergleichbares Verhalten ist auch innerhalb der Trans*Community zu beobachten, wo häufig eine Wertung durch andere in der Community stattfindet, ob die Person trans* (und in diesem Fall maskulin) genug ist, um akzeptiert zu werden (Bellamy-Walker, 2019, S.8-10).

Femmephobia in schwulen Communities

Ähnliche Ausprägungen von Femmephobia finden sich auch in cis-schwulen Communities oder popkulturären Repräsentationen von schwulen cis-Männern. Davies (2023) untersuchte ausführlich die Darstellung und Konnotation von Feminität und die daraus resultierende Femmephobia im Spielfilm “Love, Simon”, dessen Hauptfigur eine “maskulin”-schwule Person ist und die einem femme-schwulen Charakter gegenübergestellt wird.
Obwohl die Femme-Figur Ethan bewusst und mit eigener Agency handelt und ihre Femme-Identität performativ auslebt, wird sie dennoch als Abweichung von der „Norm“ charakterisiert und im Vergleich zu Simon als „too much“ datgestellt, wobei die offene Performanz gleichzeitig als Entschuldigung dafür dient, Ethans persönliche Lebensrealität und seine Probleme unsichtbar zu machen (z.B. Davies, 2023, S.8). Die Analyse zeigt, dass selbst explizit progressive Produktionen (die die Hauptfiguren als eindeutig homosexuell ausweisen) häufig Femmephobia und entsprechende Stereotype reproduzieren (Davies, 2023, S.11-13).

Die Intersektionalität von Femmephobia mit anderen Diskriminierungen wird von Patrón & Harper (2024) in ihrer Studie über Femmephobia unter schwulen Latinos hervorgehoben. Sie zeigen u.a. die Verwobenheit von Maskulinität mit Machismo und Heterosexismus in Latino-Communities und die damit verbundenen Manifestationen von Femmephobia (Patrón & Harper, 2024, S.3/4).


Es konnte gezeigt werden, dass die Bagatellisierung oder Unterdrückung von Feminität weit verbreitet ist. Dies kann unter anderem aus Gründen der Zugehörigkeit oder der Sicherheit geschehen (Patrón & Harper, 2024, S.10). Dies wird auch mit Ethnizität oder Race in Zusammenhang gesetzt, indem deutlich wird, dass viele Gay-Spaces von und für Weiße gemacht sind und dass unter Latinos ein Druck besteht, durch Hypermaskulinität Akzeptanz und Zugehörigkeit in diesen weißen Spaces zu schaffen (Patrón & Harper, 2024, S.10/11).


Ähnlich wie in den vorangegangenen Beispielen wird auch in Gay Communities Feminität häufig mit Schwäche und Vulnerabilität für (sexuelle) Gewalt gleichgesetzt (Patrón & Harper, 2024, S.12). Deutlich wird auch die Privilegierung und Bevorzugung maskuliner Identitäten in der Gay-Community (Patrón & Harper, 2024, S.13/14), nicht zuletzt in dem Spannungsfeld, dass Maskulinität einerseits eine bessere Unsichtbarkeit innerhalb der heterosexuellen Matrix schafft und andererseits betont, dass “man als schwuler Mensch wirklich auf andere (richtige) Männer steht” (interpretiert nach Patrón & Harper, 2024, S.14/15).


Einige Teilnehmende vermuteten, dass hinter der verbreiteten Femmephobia in Gay-Communities oft Misogynie stecke, die sich aber mangels Frauen* in diesen Communities an den anwesenden Femmes ausdrücke (Patrón & Harper, 2024, S.15/16). Schließlich konnte noch festgestellt werden, dass Femmephobia oft hinter persönlichen Präferenzen für Interesse oder Desinteresse an feminin performenden Personen zu verstecken versucht wird (Patrón & Harper, 2024, S.16/17).

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass Femmephobia ein weit verbreitetes Problem in der Gesamtgesellschaft, aber insbesondere auch in queeren Räumen ist. Dennoch wird es in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen bisher vergleichsweise wenig thematisiert oder fälschlicherweise anderen Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Misogynie zugeordnet, obwohl Femmephobia im Gegensatz zu diesen unabhängig von der Geschlechtsidentität auftritt und keinesfalls auf cis-weibliche Identitäten beschränkt ist. Femme als Identität und Femmephobia als spezifische Form der Unterdrückung wahrzunehmen, ist daher ein zentraler Baustein, um Diskriminierung und Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts bzw. der Performanz von Geschlechtsidentität zu untersuchen und zu beseitigen.

Quellenverzeichnis:

Bellamy-Walker, T. (2019). Not Manly Enough: Femmephobia’s Stinging Impact on the Transmasculine Community. CUNY Academic Works. https://academicworks.cuny.edu/gj_etds/411

Blair, K. L., & Hoskin, R. A. (2015). Experiences of femme identity: coming out, invisibility and femmephobia. Psychology and Sexuality, 6(3), 229–244. https://doi.org/10.1080/19419899.2014.921860

Davies, A. W. (2023). Love, Simon and failure: Challenging normative discourses and femmephobia in gay youth representations. Sexualities, 0(0), 1-15. https://doi.org/10.1177/13634607231199409

Gunn, A., Hoskin, R. A., & Blair, K. L. (2021). The new lesbian aesthetic? Exploring gender style among femme, butch and androgynous sexual minority women. Women’s Studies International Forum, 88, Article 102504. https://doi.org/10.1016/j.wsif.2021.102504

Hoskin, R. A. (2013). Femme theory: Femininity’s challenge to western feminist pedagogies (Master’s thesis). QSpace at Queen’s University, Kingston, Ontario, Canada. http://hdl.handle.net/1974/8271

Hoskin, R. A. (2019). Femmephobia: The Role of Anti-Femininity and Gender Policing in LGBTQ+ People’s Experiences of Discrimination. Sex Roles, 81(11–12), 686–703. https://doi.org/10.1007/s11199-019-01021-3

Hoskin, R. A., Serafini, T., & Gillespie, J. G. (2023). Femmephobia versus gender norms: Examining women’s responses to competing and contradictory gender messages. The Canadian Journal of Human Sexuality, 32(2), 191–207. https://doi.org/10.3138/cjhs.2023-0017

Patrón, O. E., & Harper, S. R. (2024). Understanding Femmephobia Within Queer Communities: Insights From Gay Latino College Men. The Journal of Higher Education, 1–24. https://doi.org/10.1080/00221546.2024.2329227

van Anders, S. M. (2015). Beyond Sexual Orientation: Integrating Gender/Sex and Diverse Sexualities via Sexual Configurations Theory. Archives of Sexual Behavior, 44(5), 1177–1213. https://doi.org/10.1007/s10508-015-0490-8


Quelle: Viktoria Reichenberger, Femmephobia in der Gesellschaft und in queeren Communities, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 08.07.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=454