Global-mediale Verantwortung und Aufarbeitung rassistischer Darstellungen in Disney-Klassikern

Tilde Funk (SoSe 2023)

1. Einleitung

Als Kind bin ich mit einigen Disneyklassikern aufgewachsen, besonders gerne haben meine Geschwister und ich Das Dschungelbuch (Wolfgang Reitherman, USA 1967) und Aristocats (Wolfgang Reitherman, USA 1970) gesehen – so häufig, bis wir alle Lieder auswendig mitsingen konnten. Mittlerweile studiere ich im 7. Semester Filmwissenschaft an der FU und habe mich im Rahmen meines Studiums mit weiteren Disneyklassikern auseinandergesetzt, die ich in meiner Kindheit nicht gesehen habe.

Das im letzten Sommersemester angebotene ABV-Modul zu „Gender und Diversity: Decolonize! Intersektionale Perspektiven auf lokale und globale Machtverhältnisse“ hat mich einerseits stärker bezüglich kolonialer Geschichte und Kontinuität sensibilisiert, als auch Selbstreflektion angeregt. Von meinem jetzigen Standpunkt aus ergibt sich eine reflektiertere Sichtweise auf die filmischen Darstellungen in Disneyklassikern, die es im Folgenden zu analysieren gilt. Nachdem ich die global-mediale Verantwortung des Konzerns Disney umrahme, wird es um eine Auseinandersetzung mit stereotypen Darstellungsformen rassistischer Art anhand von ausgewählten Beispielen gehen, welche auf den filmischen Umgang mit Kolonialismus überleiten. Vor einem abschließenden Ausblick ist es für ein umfassendes Fazit wichtig, sich mit Strategien zur Aufarbeitung rund um das Thema auseinanderzusetzen und zu klären, inwiefern Disney seine eigenen Filme selbstreflektiv in einen problembewussten Kontext stellt.

Vor Beginn meiner Analyse möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen, da ich mehrere rassistische und sexistische Inhalte, die in den Filmen Disney’s verankert sind, benennen werde.

2. Global-mediale Verantwortung des Konzerns Disney

»When you take on a Disney animated feature, you know you’re going to be affecting entire generations of human minds.«[1]

Dieses Zitat der Drehbuchautorin Linda Woolverton, welche für The Walt Disney Company arbeitete, verdeutliche die gesellschaftliche Verantwortung und einflussreiche Position des Unternehmens auf globaler Ebene[2], dessen Einnahmen 2022 über 80 Milliarden US-Dollar betrug[3]. Hervorzuheben ist der seit 2019 angebotene Streaming-Dienst Disney+, der über 100 Millionen User:innen verzeichnen kann und in den nächsten Jahren wohl zum größten globalen Streaming-Anbieter heranwachsen mag[4]. Durch eine solche Position auf dem Weltmarkt ergibt sich meiner Auffassung nach eine gewisse mediale Verantwortung, beispielsweise bezogen darauf, welche Inhalte welchem Zielpublikum gezeigt werden. Mir ist es wichtig zu betonen, dass ein Unternehmen dieser Art sich stets selbst reflektieren und darüber hinaus eigenes Fehlverhalten aufarbeiten sollte. Als einige Faktoren für die global-mediale Verantwortung Disneys fasse ich inhaltliche Sorgfalt in Bezug auf gesellschaftliche Strukturen, Selbstreflektion und Aufarbeitung zusammen. 

3. Stereotype Darstellungsformen rassistischer Art

Im Seminar haben wir zum antiasiatischen Rassismus in Deutschland einen Artikel von Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer und Christoph Nguyen besprochen und diskutiert, der in der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde. Insbesondere wurde betont, dass jene Form von Rassismus kaum historisch aufgearbeitet ist[5]. Bei der Sichtung einiger Disney-Klassiker sind mir mehrfach antiasiatisch-rassistische Darstellungen aufgefallen, die in ihrer filmischen Umsetzung von stereotypen Diskriminierungsmustern geprägt sind. Bei Susi & Strolch (Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1955) zeichnen sich zwei Siamkatzen durch ihr hinterhältiges und manipulatives Verhalten aus. Diese negative Konnotation wird auf sprachlicher Ebene durch ein von ihnen gesungenes Lied verstärkt und mit ihrer kulturellen Identität in Verbindung gebracht, um ein rassistisches Bild zu kreieren: „Wir sind Siamesen und zwar echte, wir behandeln andere wie Knechte.“. Diese Formulierung lässt sich nur in der deutschen Synchronfassung, nicht in der US-amerikanischen Originalversion finden, jedoch zieht sich in letzterer eine lispelnde Betonung in Kombination mit Grammatikfehlern als rassistisches Stereotyp durch die Performance. Zu diesem Stereotyp lässt sich das identische Aussehen der Katzen, sowie die geschlitzte Form der Augen, große Schneidezähne und gelbes Fell hinzufügen[6]. Auf mich wirken die Katzen in ihren synchronen Bewegungen und Blicken unheimlich, sowohl beim ersten Sehen des Filmes in meiner Kindheit, als auch bei einer erneuten, aktuellen Sichtung. Auch in Aristocats  lässt sich eine ähnliche antiasiatisch-rassistische Darstellung finden. Die audiovisuelle Portraitierung der Figur wirkt wie eine Karikatur; sie gibt, mit stark geschlitzten Augen, Hasenzähnen und einer heraushängenden Zunge versehen, unverständliche und zusammenhangslose Laute von sich, während die anderen Figuren um sie herum im Kollektiv ein Lied singen. Dazu spielt sie mit Essstäbchen auf einer Klaviatur. Die dem Aussehen einer Siamkatze entsprechende Figur wird als Chinese Cat vorgestellt; nebenbei ist zu erwähnen, dass die Siamkatze ihren Ursprung ursprünglich im heutigen Thailand hat. In Aristocats handelt es sich bei der einzigen als asiatisch portraitierten Figur um eine rassistische, vermutlich zu humoristischen Zwecken, ins Lächerliche gezogene Darstellung.

Neben diesen genannten antiasiatisch-rassistischen filmischen Darstellungen lassen sich in den Disneyklassikern zahlreiche andere Formen rassistischer Kennzeichnungen finden. Auch Jahrzehnte später, in den 1990er-Jahren, vermittelt beispielsweise Aladdin (John Musker, Ron Clements, USA 1992) insbesondere durch zahlreiche brutale Figuren eine unsensible und unauthentische Darstellung der arabischen Kultur, die rassistische Vorurteile festige[7]. Wie ich zu Beginn erläuterte, war Das Dschungelbuch früher einer meiner Lieblingsfilme. Dass er von rassistischen Strukturen durchzogen ist, habe ich erst nach der aktuellen Sichtung für dieses Essay erkannt, nachdem ich ergänzend recherchiert habe. Im politischen Kontext des Entstehungszeitraumes Ende der 1960er-Jahre in den USA kann die Darstellung der Affenfiguren im Film als eine ins Lächerliche gezogene Karikatur der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung aufgefasst werden[8]. Speziell das Oberhaupt der Affenbande, King Louie, welcher das Lied „Ich wäre so gern wie du“ singst, wird hervorgehoben. Inhaltlich sind die Versionen der Liedtexte im Englischen und Deutschen fast identisch. King Louie wird gegenüber Mogli, dem menschlichen Protagonisten, herabgestuft und scheint sich gleichzeitig zu wünschen, jenem ebenbürtig zu sein. Im Englischen hat seine Synchronstimme einen afroamerikanischen Akzent – an dieser Stelle der Hinweis, dass der Synchronsprecher Louis Prima nicht afroamerikanischer Herkunft war. Disney lässt auf diese Art und Weise der audiovisuellen Darbietung, die durch Gesten primitiv erscheinenden Affen mit afroamerikanischen Menschen assoziieren. King Louie betont im sich schnell in einen Ohrwurm entwickelnden Lied mehrfach den Wunsch, zivilisierter zu sein und bestärkt somit das rassistische Stereotyp einmal mehr, unzivilisiertes Verhalten und fehlende Kompetenz mit schwarzen Menschen zu verknüpfen. In Dumbo (Ben Sharpsteen, USA 1941) hingegen singen schwarze Arbeiter „Wenn andere ins Bett gehen, schuften wir uns ab, bis wir sterben“, jedoch nicht etwa sich über die Umstände beschwerend, sondern in einem fröhlichen Tonfall mit heiterer Melodie, was als eindeutige Verharmlosung von Sklavenarbeit verstanden werden kann und auf koloniale Strukturen verweist. Interessant ist an dieser Stelle, dass die deutsche Synchronisation inhaltlich dramatischer erscheint; im Englischen heißt es hingegen: „When we get our pay, we throw our money all away.“ – hier wird den arbeitenden schwarzen Menschen ein kompetenter Umgang mit Geld abgesprochen. 

4. Umgang mit Kolonialismus

Ebenfalls zeigt sich ein filmisches Aufgreifen von Kolonialismus zum Beispiel in Pocahontas (Mike Gabriel, Eric Goldberg, USA 1995) und Peter Pan (Hamilton Luske, Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, USA 1953). Während in Pocahontas die Synchronstimmen von Native Americans im Original gesprochen wurden, wurde hingegen der Inhalt der Erzählung in historischer Sicht faktisch falsch wiedergegeben und idealisiert, was für Kritik sorgte und zum Vorwurf der Geschichtsverfälschung führte[9]. Die Konfliktparteien, kolonialistisches Gedankengut durchzusetzen versuchende Engländer und amerikanische Ureinwohner, werden deutlich gegenübergestellt und bekämpfen sich innerhalb der Handlung gegenseitig, sodass das Konzept des Kolonialismus negativ konnotiert wird. Meiner Auffassung nach tritt jedoch die idealisierte Liebeserzählung von Pocahontas und John Smith zu sehr in den Vordergrund, sodass die koloniale Geschichte Amerikas heruntergebrochen wird. Ein stereotypes rassistisches Klischee der Ureinwohner wird visuell aufgegriffen, indem ihre Haut rötlich animiert ist. Auffällig und ebenfalls problematisch ist, dass die Protagonistin Pocahontas in etwas hellerer Haut dargestellt wird und wie viele weibliche Disney-Figuren sexualisiert wird. In Peter Pan werden in der Handlung ebenfalls Indigene durch eine rote Hautfarbe und die Bezeichnung als „Rothäute“ rassifiziert. Ein weiteres Beispiel für die koloniale Darstellung einer Figur lässt sich in Tarzan (Kevin Lima, Chris Buck, USA 1999) finden. Der Kolonialismus findet sich in der Inszenierung der menschlichen Figur Tarzans insofern wieder, als dass jener am Ende der Erzählung Anführer der Affengruppe wird, die ihn großgezogen hat. Er hat von ihnen profitiert und sie dennoch in Gefahr gebracht, da er den Forscher Mr. Porter, seine Tochter, spätere Geliebte Tarzans, Jane und den Jäger Clayton zu den Affen geführt hat, wobei bei letzterem das kolonialistische Gedankengut am deutlichsten wird und in einem Kampf mit den Affen mündet. Offensichtlich durch die Tatsache, dass es sich um britische Figuren handelt, und wenn wir die Affen ähnlich wie schon im Dschungelbuch als „colonized natives“[10] verstehen, ergibt sich der koloniale Kontext. Dadurch, dass Jane, ihr Vater und Tarzan bei den Affen bleiben und insbesondere letzterer zum Anführer der Gruppe wird, ergibt sich eine koloniale Kontinuität im vermeintlichen Happy End, da der inszenierte Bösewicht Clayton gestorben ist. Jene Kontinuität ergibt sich im Ausblick auch dadurch, dass mögliche Kinder von Tarzan und Jane die Führungsposition innerhalb der Affengruppe mit größter Wahrscheinlichkeit einnehmen würden. Dadurch, dass die Erzählung lokal-geographisch und temporal nicht genau umrahmt wird[11], sich jedoch eindeutig aus einer westlichen Perspektive heraus entwickelt – und im bekannten Stil Disneys zum wiederholten Male mit Tierfiguren statt menschlichen, verschiedenen Kulturen zugehörigen, Figuren gearbeitet wird, mag der Vorwurf dieser kolonialen Darstellung entkräftigt werden, obgleich er so offensichtlich scheint.

5. Aufarbeitung

Nach einer analytischen Umrahmung der verschiedenen rassistischen Darstellungsformen von Figuren, die Stereotype bekräftigen und dahingehend zur Verfestigung von rassistischen Vorurteilen führen können, stellt sich die Frage, inwiefern jene zutiefst falsche und diskriminierende Formen vom Konzern Disney aufarbeitet werden. Wenn Menschen mit rassistischem filmischem Material aufgewachsen sind, sollten sie darüber informiert werden, denn als Kinder werden wir von den uns emotional affizierenden Filmen auf eine gewisse Art und Weise geprägt und können Informationen über beispielsweise Weltanschauungen diesen Formaten entnehmen, was insbesondere dann gefährlich ist, wenn unbewusst rassistische Bilder verinnerlicht werden und somit theoretisch weiter projiziert werden können.

Seit 2019 wird auf der Streaming-Plattform Disney+ vor bestimmten Filmen, wie unter anderem Aristocats, Das Dschungelbuch, Dumbo und Peter Pan, ein warnender Hinweis vor Beginn des Vorspanns eingeblendet, der auf rassistische Darstellungen verweist und jene als falsch einstuft. Im Englischen lautet dieser:

„This programme includes negative depictions and/or mistreatment of people or cultures. These stereotypes were wrong then and are wrong now. Rather than remove this content, we want to acknowledge its harmful impact, learn from it and spark conversation to create a more inclusive future together. Disney is committed to creating stories with inspirational and aspirational themes that reflect the rich diversity of the human experience around the globe. To learn more about how stories have impacted society visit: www.Disney.com/StoriesMatter”.

Seit Januar 2021 haben Kinderprofile, für alle User:innen unter 12 Jahren, keinen Zugriff mehr auf all die Filme, die mit einer solchen Warnung ausgestattet sind. Es lässt sich diskutieren, ob die Filme komplett aus dem Sortiment genommen werden oder nur mit warnenden Hinweisen versehen werden sollten. Meiner Auffassung nach war die Entscheidung, jene Filme für Kinderprofile zu sperren, vernünftig und notwendig. Kinder werden so davor geschützt, rassistische Darstellungen und diskriminierende Werte unbewusst aufzunehmen und anschließend selbst zu reproduzieren. Zusätzlich werden sie davor geschützt, selbst Diskriminierungserfahrungen beim Sichten der Filme zu durchleben. Die Filme mit Warnungen zu versehen und für Jugendliche und Erwachsene weiterhin zur Verfügung zu stellen empfinde ich als richtig und äußerst wichtig, um die historische Aufarbeitung weiter in Gang zu setzen, Fehler klar zu benennen und den Zuschauer:innen eine Selbstreflektion im Sehprozess zu ermöglichen. Außerdem ist es wichtig, eine Art der Triggerwarnung zu geben, damit von Diskriminierungsmustern betroffene Personen selbst entscheiden können, ob sie das Material sichten wollen oder sich bewusst vor einer Konfrontation schützen wollen.

Meinem Eindruck nach bemüht sich Disney, rassistische Darstellungen als falsch zu benennen und genau zu erklären, beispielsweise wird auf der verlinkten Internetseite genaueres zu Peter Pan verfasst:

­„The film portrays Native people in a stereotypical manner that reflects neither the diversity of Native peoples nor their authentic cultural traditions. It shows them speaking in an unintelligible language and repeatedly refers to them as „redskins,“ an offensive term. Peter and the Lost Boys engage in dancing, wearing headdresses and other exaggerated tropes, a form of mockery and appropriation of Native peoples‘ culture and imagery”.

Das Unternehmen Disney sensibilisiert für sein eigenes Fehlverhalten, indem es selbstreflektierend seine Diskriminierungsmechanismen aufarbeitet und inhaltlich transparent in den neuen Produktionen darauf achtet, diversen Repräsentationen von Minderheiten Raum zu geben, die strukturell nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft entsprechen und ein Identifikationspotenzial mit sich tragen. Zwei recht aktuelle Animationsfilmbeispiele, die ich positiv hervorheben möchte sind Vaiana (Ron Clements, John Musker, USA 2016), welcher 2017 für den Oscar als bester Animationsfilm nominiert wurde, und Raya und der letzte Drache (Don Hall, Carlos López Estrada, USA 2021). In beiden Filmen steht eine weibliche, Protagonistin of Colour im Vordergrund, die selbstbewusst Abendteuer erlebt, ohne auf männliche Nebenfiguren angewiesen zu sein. Das großer Wert auf Diversität gelegt wird, zeigt sich nicht nur in den animierten Figuren, sondern auch in der Besetzung der Sprechrollen. So spricht beispielsweise die gebürtige Hawaiianerin Auliʻi Cravalho die Figur der Vaiana. Der nach ihrer Figur benannte Film wurde auch auf Tahitianisch, einer polynesischen Sprache, synchronisiert, da der filmische Handlungsort auf einer polynesischen Insel lokalisiert ist. Die Regisseure haben in der Vorproduktion kulturell, historisch und mythologisch direkt vor Ort intensiv recherchiert, um einen authentischen Film zu produzieren[12]; im Gegensatz zu ihrer Arbeit für Aladdin, haben sie ihren Horizont umfassend erweitert.

6. Fazit und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Unternehmen Disney seit seiner Entstehung zahlreiche Filme veröffentlicht hat, die rassistische Stereotype audiovisuell darstellen. Viele aus dem vergangenen Jahrhundert stammende Klassiker beinhalten solche Formen der Diskriminierung bestimmter Gruppen, genauer gesagt, Minderheiten in einer weiß-positionierten Mehrheitsgesellschaft. Die technischen Möglichkeiten der Animationen bieten einerseits Chancen als auch Probleme: aktuelle Projekte zeigen die detaillierte Repräsentation von Minderheiten mit Identifikationspotenzial für das Publikum, andererseits wurden in der Vergangenheit vorwiegend Tierfiguren zu rassistischen Zwecken instrumentalisiert, um beispielsweise bestimmte Bevölkerungsgruppen, bestimmte Kulturen, deutlich voneinander abzugrenzen und kolonialen Strukturen Raum zu geben. Früher habe ich nie verstanden, warum in Das Dschungelbuch Mogli am Ende nicht mit seinen tierischen  Freunden aus dem Dschungel sein Leben verbringen kann, sondern ins Menschendorf zieht. Heute verstehe ich, dass aufgrund der sich durch den gesamten Film so deutlich durchziehenden rassistischen Strukturen von den Produzierenden des Konzerns genau das gewollt zu sein scheint – nämlich klare Grenzen zwischen aufgrund ihrer kulturellen Identität als verschieden angesehenen Individuen zu ziehen. Derartige Darstellungen zu vermitteln ist für eine Gesellschaft mit allen ihren Mitglieder:innen äußerst gefährlich und im Nachhinein schockiert es mich, dass ich durch das Singen von Liedern aus diesem Film unbewusst rassistische Inhalte reproduziert habe. Meinen eigenen Kindern werde ich diese Filme mit rassistischem Inhalt nicht zeigen, für eine historische Einordnung sind sie jedoch für Erwachsene wichtig.

Ich wünsche mir, dass Disney noch umfassender kontinuierlich an der Aufarbeitung derartiger Inhalte arbeitet und weiterhin neue Erzählungen produziert, die viel Wert auf Diversität legen – gerade weil die Filme global einen solchen Erfolg verzeichnen, ist es wichtig, sich als mediales Unternehmen bewusst zu sein und immer wieder daran zu erinnern, in welcher Verantwortung man selbst steht.

7. Literaturverzeichnis

Anon (2001). The Return of the Empire: Representations of Race, Ethnicity and Culture in Disney’s Tarzan and The Jungle Book, and in the Burroughs and Kipling.

Byrne, Eleanor & McQuillan, Martin (1999). Deconstructing Disney. London: Pluto Press.

Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION.

Giroux, Henry & Pollock, Grace (2010). The mouse that roared. Disney and the end of  innocence. Lanham: Rowman & Littlefield.

Kilpatrick, Jacquelyn (1999). Celluloid Indians. Native Americans and film. Lincoln: University of Nebraska Press.

Internetquellen

https://www.statista.com/topics/1824/disney/#topicOverview. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer   rassismus-in-deutschland/. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

https://storiesmatter.thewaltdisneycompany.com. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).

https://www.deutschlandfunkkultur.de/disney-animationsfilm-vaiana-die-prinzessin-die-diewelt-100.html. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).

Filmographie

Aladdin (John Musker, Ron Clements, USA 1992).

Aristocats (Wolfgang Reitherman, USA 1970).

Das Dschungelbuch (Wolfgang Reitherman, USA 1967).

Dumbo (Ben Sharpsteen, USA 1941).

Peter Pan (Hamilton Luske, Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, USA 1953).

Pocahontas (Mike Gabriel, Eric Goldberg, USA 1995).

Raya und der letzte Drache (Don Hall, Carlos López Estrada, USA 2021).

Susi & Strolch (Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1955).

Tarzan (Kevin Lima, Chris Buck, USA 1999).

Vaiana (Ron Clements, John Musker, USA 2016).


[1] Kilpatrick, Jacquelyn (1999). Celluloid Indians. Native Americans and film. Lincoln: University of Nebraska Press. S. 154.

[2] Vgl.: Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION. S.31.

[3] Vgl.: https://www.statista.com/topics/1824/disney/#topicOverview. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

[4] Vgl.: ebd.

[5] Vgl.: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland/. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

[6] Vgl.: Byrne, Eleanor & McQuillan, Martin (1999). Deconstructing Disney. London: Pluto Press.

[7] Vgl.: Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION. S.32.

[8] Vgl.: ebd.

[9] Vgl.: ebd. / Vgl.: Giroux, Henry & Pollock, Grace (2010). The mouse that roared. Disney and the end of innocence. Lanham: Rowman & Littlefield.

[10] Anon (2001). The Return of the Empire: Representations of Race, Ethnicity and Culture in Disney’s Tarzan and The Jungle Book, and in the Burroughs and Kipling, S, 7.

[11] Vgl.: ebd., S.12.

[12] Vgl.: https://www.deutschlandfunkkultur.de/disney-animationsfilm-vaiana-die-prinzessin-die-die-welt-100.html. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).


Quelle: Tilde Funk, Global-mediale Verantwortung und Aufarbeitung rassistischer Darstellungen in Disney-Klassikern, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 23.01.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=434

Das kollektive Fremdeln

Wie Rassismus die Demokratie zersetzt

Melanie Appel (SoSe 2023)

1. Einleitung

Bis heute ist nicht geklärt, ob Angela Merkel in der Sommerpressekonferenz am 31. August 2015 in dem Bewusstsein vor das Mikrofon trat, dass ein Satz ihre Amtszeit – und vermutlich sogar sie selbst – überdauern wird. „Wir schaffen das.“ – lautete die Affirmation in die Gesellschaft und das Mantra der Bundesregierung. Jenes „Wir schaffen das“ bezog sich auf die Geflüchteten, die bis zu Angela Merkels Aufnahmezusage unter menschenunwürdigsten Bedingungen auf der sogenannten „Balkanroute“ zurückgehalten wurden und ausharren mussten. Dass Angela Merkel mit ihrem „Wir“ die deutsche Gesellschaft in ihre Selbstvergewisserung miteinschloss, deutet zweierlei an: erstens die Gewissheit darüber, dass das politische Gelingen von gesellschaftlicher Überzeugung abhängig ist. Zweitens die Sicherheit, dass die Politik fähig ist, funktionale Lösungen hervorzubringen. Schon früh deutete sich an, dass beide Annahmen auf ein weitreichendes „kollektives Fremdeln“ in der deutschen Gesellschaft trafen, das sowohl tiefsitzende Ressentiments und Ablehnung gegen die als „fremd“ empfundenen „Anderen“ reaktivierte als auch eine Zurückweisung von demokratischen Grundsätzen als Grundlage des politischen Handelns förderte. Diese gesellschaftlichen Reflexe sind jedoch keineswegs neu und auch nicht erst im Kontext der Fluchtbewegungen 2015 sichtbar geworden. Im Gegenteil: Rassistische Einstellungen sind schon immer fester Bestandteil einer kulturellen Identität, die sich über die Ausgrenzung bestimmter Menschengruppen in der Logik „zugehörig – nicht zugehörig“ definiert. Der Kolonialismus stand wie keine andere politische Idee für diese Ausnutzung von Macht, indem sich weiße Menschen durch die Herstellung von Unterdrückungsverhältnissen über ethnische Gruppen erhoben. Mitnichten hat sich bereits eine vollständige Dekolonialisierung eingestellt, nein: die kolonialen Kontinuitäten wirken fort. Für ein auf demokratischen Werten aufgebautes Gemeinwesen stellen Diskriminierungen basierend auf rassistischen Konzepten in vielerlei Hinsicht eine Bedrohung dar. Denn klar ist: sobald der gesellschaftliche Konsens über ein gleichberechtigtes, freiheitliches und solidarisches Miteinander erodiert, zerfällt gleichzeitig die Bereitschaft, allen Menschen die gleichen bürgerlichen und politischen sowie wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zuzugestehen. Eine Gesellschaft, die dazu übergeht, Menschen bestimmte Wertigkeiten zuzuschreiben, ist nicht länger in der Lage, eine friedvolle, gerechte und würdevolle Gemeinschaft zu organisieren – sie zerfällt in Einzelteile. Die Ebene, auf der sich diese Zersetzungsprozesse am ehesten nachweisen lassen, ist die politische. Durch ihre politischen Präferenzen, Einstellungen und Werte bringen Menschen ihre Vorstellungen über die Gesellschaft und die Politik zum Ausdruck. Sie sind deshalb ein verlässlicher Gradmesser für den gesellschaftlichen Zustand insgesamt. In diesem Abschlussessay werde ich die Erkenntnisse zu rassistischen Einstellungen in Deutschland mit ihren Auswirkungen auf die Demokratie zusammentragen und diskutieren.  

2. Bestandsaufnahme: Der gesellschaftliche Zustand

Als eine „Gesellschaft in der Dauerkrise“ ließe sich die Situation in Deutschland in wenigen Worten wohl am besten beschreiben. Es erschließt sich von selbst, dass multiple Krisenauswirkungen belastend auf die Gesellschaft wirken. Sozioökonomisch benachteiligte Gruppen leiden unter diesem Zustand ganz besonders und fühlen sich mehr denn je abgehängt und vernachlässigt. Aber auch die „gesellschaftliche Mitte“ ist von Sorgen und Unsicherheiten geprägt. In einem solchen Klima der Ängste und des Misstrauens gedeihen Vertrauensverlust und Rückzugstendenzen ins Private – es findet also eine Entfremdung sowohl von politischen als auch von gesellschaftlichen Prozessen statt. Im Ergebnis entsteht das gesteigerte Bedürfnis, verbliebene Privilegien einem limitierten Zugriff zu unterwerfen, um die Gruppe derer, die sich Ressourcen teilt, nicht weiter zu vergrößern. In historischer Betrachtung bedienen sich Menschen zur Erreichung dieses Ziels schon immer der Logik des gruppenbezogenen Ein- und Ausschlusses, über den festgelegt wird, wer Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Rechten hat und wem dies verwehrt bleibt. Die Einteilung von Menschen in bestimmte Gruppen kann entlang von unterschiedlichen Merkmalen erfolgen, wobei für dieses Essay das Distinktionsmerkmal der ethnischen Herkunft im Mittelpunkt stehen soll. Bezogen auf dieses Attribut entscheidet sich die Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit von Menschen anhand der Bewertung „[…] ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur, Herkunft oder Religion […]“[1]. Dass Rassismus Teil der deutschen Gesellschaft ist, belegen unterschiedliche Studien. So zeigt die „Mitte-Studie 2023“ der Friedrich-Ebert-Stiftung beispielsweise, dass 40 Prozent der Befragten der Aussage „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“ zustimmen.[2] Noch deutlicher drückt sich die Überhöhung der eigenen Nation gegenüber anderen Nationen in der Aussage „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ aus, welcher über 25 Prozent der Befragten zustimmen.[3] Die längsschnittliche Betrachtung erhärtet den Befund, dass rechtsextreme Einstellungen im Vergleich zu den Vorjahren weiter angestiegen sind. Die Fremdenfeindlichkeit erreichte in den Jahren 2022/2023 mit 16,2 % ihren Höchstwert und übertrifft den zweithöchsten Wert aus den Jahren 2018/2019 (8,7 %) damit fast um das Doppelte.[4] Ein manifestes rechtsextremes Weltbild lässt sich 2022/2023 bei 8,3 % der Befragten feststellen. Auch dieser Wert übertrifft alle Vorjahreswerte, die zwischen 2-3 % lagen.[5]                    
Zusammenfassend lässt sich also ein gesellschaftliches Auseinanderfallen konstatieren, das auf rassistischen Vorstellungen von Nation und Nationalität beruht. Die Konstruktion eines spezifischen „Deutschseins“ rechtfertigt die Abwertung von Menschen, die als „nichtdeutsch“ beurteilt werden. Sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene sind die Gefahren einer solchen Entwicklung offensichtlich. Für Individuen, die von Rassismus betroffen sind, resultieren daraus politische, soziale und ökonomische Nachteile sowie psychische und physische Gefährdungen. Zum Beispiel haben sie unter strukturellen Benachteiligungen im schulischen Kontext zu leiden, die sich negativ auf ihre Bildungschancen auswirken.[6] Des Weiteren sind sie Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt ausgesetzt. „Der Wohnungsmarkt ist einer der Lebensbereiche in dem Menschen mit (familiärer) Einwanderungsgeschichte am häufigsten aufgrund ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft oder Religionszugehörigkeit diskriminiert werden.“[7] Zuletzt ist auch ein Anstieg der gruppenbezogenen Hasskriminalität beobachtbar. Die Straftaten in diesem Bereich haben im Jahr 2022 gegenüber dem Jahr 2021 um 9,7 % zugenommen.[8] „2021 gab es demnach 10.501 solcher Straftaten, 2022 bereits 11.520.“[9]        
All diese Zahlen demonstrieren, dass Rassismus das Fundament der Gesellschaft angreift. Es entstehen Spaltungsdynamiken, die Hass, Hetze und Gewalt mit sich bringen. Sie machen außerdem deutlich, dass Demokratie längst keine Selbstverständlichkeit ist – aber dazu im nächsten Kapitel mehr.  

3. Folgenabschätzung: Die politischen Auswirkungen   

Politische Präferenzen, Einstellungen und Werte entwickeln sich nicht losgelöst vom sozialen Umfeld und den gesellschaftlichen Bedingungen. Deshalb besteht ein Wechselverhältnis zwischen dem im vorherigen Kapitel skizzierten Gesellschaftszustand und den politischen Verhältnissen. Spiegelbildlich ist auch auf der Ebene der Politik erkennbar, was für die Gesellschaft gilt: Das „kollektive Fremdeln“ auf der Grundlage rassistischer Motive gewinnt an Prägekraft und beeinflusst so auch die politische Situation. Eine „Normalisierung rechtsextremer Einstellungen in der Bevölkerung“[10] schlägt sich in der wachsenden Zustimmung für die rechtsextreme AfD nieder. Gleichzeitig deutet dieser Befund aber auch auf eine tiefgehende Skepsis gegenüber dem politischen System der Bundesrepublik selbst hin. Denn eine Identifikation mit rechtsextremen Standpunkten führt zumindest zu einer Tolerierung von antidemokratischen Ideen. Das ist vor allem deshalb der Fall, weil rassistische Argumente an die zunehmende Unzufriedenheit mit der Politik ankoppeln und zu Abgrenzungen über die „Deservingness“-Überlegung führen. Das heißt: aus Sicht vieler Menschen muss sich der Anspruch auf bestimmte Rechte und Privilegien ausdrücklich verdient werden. Diese Anspruchsberechtigung wird wiederum vor allem Menschen nichtdeutscher Herkunft abgesprochen, die als „anders“ und damit „minderwertig“ markiert werden. Rechtsextreme Parteien machen sich damit gleich mehrere gesellschaftliche Problemlagen zunutze: den tief verwurzelten Rassismus, die allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik und die Überzeugung von Menschen deutscher Herkunft, sich für die Gesellschaft verdienter gemacht zu haben und damit Vorrechte genießen zu müssen. Es ist ersichtlich, dass diese Tendenzen – so sie politisch nicht ausreichend wahrgenommen und von demokratischen Parteien adressiert werden – auf fruchtbaren Boden fallen und eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Gerade in diesen Zeiten scheinen diese Befürchtungen berechtigt: Im ARD-DeutschlandTREND für November 2023 liegt die AfD in der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl bei 22 Prozent.[11] Insgesamt 76 % der Befragten sind weniger bzw. gar nicht zufrieden mit der Bundesregierung.[12] Der ARD-Deutschlandtrend für Oktober 2023 bekräftigt das Bild des fortschreitenden politischen Überdrusses: 35 Prozent der Befragten sind weniger zufrieden, 20 Prozent gar nicht zufrieden mit der Demokratie.[13] Eine ähnlich hoch ausgeprägte Demokratieunzufriedenheit wurde zuletzt im Oktober 2008 ermittelt.[14] Auffällig ist, dass mit dem Anstieg der Enttäuschung über die Politik und der Entfremdung von dieser die migrationspolitischen Einstellungen restriktiver werden. So vertreten 64 % der Befragten im ARD-DeutschlandTREND Oktober 2023 die Meinung, dass Zuwanderung eher Nachteile für Deutschland hat. Dies bedeutet eine Steigerung von 10 Prozentpunkten gegenüber dem ARD DeutschlandTREND für Mai 2023.[15] Ebenfalls 64 % finden, dass Deutschland weniger Flüchtlinge aufnehmen sollte – ein Plus von 12 Prozentpunkten gegenüber Mai 2023.[16] Zuletzt halten 71 % der Befragten die Einführung von Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen für richtig, das sind 8 Prozentpunkte mehr als im März 2016.[17]        
Angesichts dieser Erkenntnisse bestätigt sich, dass Rassismus nicht nur ein Machtinstrument darstellt, durch das strukturelle Positionierungen in der Gesellschaft hervorgebracht werden. Rassismus beeinflusst darüber hinaus politisches Verhalten, indem Reflexe der eigenen Privilegiensicherung zum Nachteil rassifizierter Menschen ausgetragen werden. Menschenwürde, Mitmenschlichkeit und Zusammenhalt als Kitt der Gesellschaft werden übetrumpft von dem massiven Gefühl, dass sich Menschen deutscher Herkunft Exklusivrechte verdient hätten.

4. Fazit

Angesichts der vorgenannten Erkenntnisse bestätigt sich, dass Rassismus eine gesellschaftsstrukturierende und damit eine auf Machtverhältnissen basierende Ideologie ist, durch die gruppenbezogene Dynamiken des Ein- und Ausschlusses gerechtfertigt werden. Rassismus ist aber mehr als das: Er ist die Fortsetzung kolonialer Ausbeutungslogiken, die sich als Kontinuitäten in den rassistischen Realitäten der Gesellschaft wiederfinden. Die Ausführungen zur gesellschaftlichen Zustandsbeschreibung haben dies sehr deutlich gezeigt: Es geht eben nicht nur um den Zugang zu gesellschaftlichen Gruppen, es geht vor allem auch um den Zugang zu Ressourcen – finanzieller, materieller, rechtlicher Art. Den Zugriff an die ethnische Herkunft zu koppeln, garantiert eigene Privilegien und sichert die Verfügbarkeit. In einer krisengebeutelten Gesellschaft, die nachweislich auch unter ökonomischen Unsicherheiten zu leiden hat, erhöht sich der Hang dazu, bestimmte Gruppen von spezifischen Rechten ausschließen zu wollen. Wie sich bestätigt, geht diese Gemengelage mit Gefahren für die Demokratie einher. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich vor allem rechtsextreme Parteien den Dreiklang aus rassistischen Einstellungen, allgemeiner Unzufriedenheit und ökonomischer Unsicherheit zunutze macht. Sie verachten den Grundkonsens einer demokratischen Gesellschaft und treiben die Spaltung auf dem Rücken benachteiligter ethnischer Gruppen weiter voran. Wie sich zeigt, sind Menschen bereit, diesen Weg mitzugehen, solange er ihnen eine Verbesserung der individuellen Situation verspricht. Diese auf rassistischen Vorurteilen und antidemokratischen Elementen basierende Strategie entfaltet vor allem in einer Phase der umfassenden politischen Verbitterung ihre Wirkung.        
Nachdem ich mit Angela Merkel in dieses Abschlussessay eingestiegen bin, halte ich es für konsequent, sie auch für den letzten Satz des Fazits zu zitieren. „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“[18] – so ihr Aufruf an die Bevölkerung während der Corona-Pandemie. „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst“ möchte ich mir auch für mein Plädoyer an die Gesellschaft zu eigen machen, welches den Schlussteil dieses Essays bildet.  
   

5. Zum Abschluss: Ein persönliches Plädoyer an die Gesellschaft

Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, wie mühsam es ist, auf „bessere Zeiten“ zu hoffen. Ökonomische Unsicherheiten, soziale Benachteiligungen, strukturelle Ungleichheiten verursachen reales Leid. Das Gefühl zu haben, in seinem Schmerz gerade von den Menschen nicht wahrgenommen zu werden, deren Aufgabe es ist, politische Lösungen zu finden, ist nur schwer erträglich. Pessimismus und Zukunftsängste gehören für viele Menschen in Deutschland zum Alltag – sie erahnen, dass ihre Anstrengung für die Gesellschaft nicht in dem Maße belohnt wird, wie sie es verdient hätten. Es ist nicht verwunderlich, dass das Motiv dieser „Deservingness“ deshalb auch als Bewertungsgrundlage in Richtung der Mitmenschen wirkt. Wer hat was beigetragen? Wer verdient aus diesem Beitrag heraus was? Zu schnell führt Menschen diese Denklogik dazu, anhand der ethnischen Herkunft zu unterscheiden: als „richtiger“ Deutscher ergibt sich die „Deservingness“ qua Geburt. Menschen anderer Herkunft müssten sich dieser Systematik nach mit weniger zufriedengeben oder zumindest mehr für das Gleiche leisten. Das Gefährliche für unsere Demokratie dabei ist, dass sich die Gesellschaft zunehmend auch emotional verschließt. Im Ergebnis ist sie nicht mehr nur dagegen, materielle Rechte zu teilen. Nein, der Rückzug nimmt grundsätzlichere Ausmaße an: die Gesellschaft scheint nicht mehr empfänglich und gesprächsbereit. Sie trägt eine ausgeprägte Kompromisslosigkeit vor sich her, die sie davor schützt, in zwischenmenschliche Verbindung zu treten. Die Geschichte der anderen überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn, diesen Geschichten eine gleichberechtigte Bedeutung beizumessen, wird durch diese Strategie verunmöglicht. Was aber würde passieren, wenn wir uns bewusst mit den Geschichten „der anderen“ auseinandersetzten, wenn wir einander zuhörten, wenn wir hinsähen? „Hör zu und schau dich um!“ war der Aufruf am Ende des dekolonialen Hörspaziergangs zurück << erzählt. „Hör zu und schau dich um!“ ist mein Plädoyer an die Gesellschaft. Versuchen wir, uns gegenseitig wahrzunehmen. „Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst.“ ist meine Mahnung an die Gesellschaft. In diesem Sinne: Versuchen wir, den Kontakt wieder aufzunehmen. Versuchen wir, uns menschlich wieder nahe zu sein.

6. Literaturverzeichnis

Amadeu Antonio Stiftung. Was ist Rassismus? URL: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rassismus/was-ist-rassismus/ (abgerufen am 25.11.2023).  

Die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. 2023. Lagebericht Rassismus in Deutschland. Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen. Berlin.

infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND Oktober 2023. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-126.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND November 2023. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-128.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

Merkel, Dr. Angela. 2020. Fernsehansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel. URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/fernsehansprache-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-1732134 (abgerufen am 25.11.2023).

tagesschau.de. 2023. Sorge über wachsende Hasskriminalität. Stand: 11.09.2023 14:04 Uhr. URL: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/hasskriminalitaet-deutschland-bundesbeauftragte-100.html (abgerufen am 25.11.2023)

Zick, Andreas, Küpper Beate und Nico Mokros (Hrsg.) für die Friedrich-Ebert-Stiftung. 2023. Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn: J. H. W. Dietz Nachf. GmbH.


[1] Amadeu Antonio Stiftung. Was ist Rassismus? URL: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rassismus/was-ist-rassismus/ (abgerufen am 25.11.2023)

[2] Vgl. Zick, Andreas, Küpper Beate und Nico Mokros (Hrsg.) für die Friedrich-Ebert-Stiftung. 2023. Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn: J. H. W. Dietz Nachf. GmbH, S. 66.

[3] Vgl. Zick et al. 2023, S. 66.

[4] Vgl. Ebd., S. 69.

[5] Vgl. Zick et al. 2023, S. 71.

[6] Vgl. z.B. Die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. 2023. Lagebericht Rassismus in Deutschland. Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen. Berlin, S. 50.

[7] Ebd., S. 68.

[8] tagesschau.de. 2023. Sorge über wachsende Hasskriminalität. Stand: 11.09.2023 14:04 Uhr. URL: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/hasskriminalitaet-deutschland-bundesbeauftragte-100.html (abgerufen am 25.11.2023)

[9] Ebd.

[10] Zick et al. 2023, S. 85.

[11] infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND November 2023, S.3. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-128.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

[12] Vgl. Ebd., S. 5.

[13] Vgl. infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND Oktober 2023, S. 9. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-126.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

[14] infratest dimap Oktober 2023, S. 9.

[15] Vgl. ebd., S. 15.

[16] Vgl. ebd., S. 17.

[17] Vgl. ebd., S. 22.

[18] Merkel, Dr. Angela. 2020. Fernsehansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel. URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/fernsehansprache-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-1732134 (abgerufen am 25.11.2023).


Quelle: Melanie Appel, Das kollektive Fremdeln – Wie Rassismus die Demokratie zersetzt, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.12.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=421

 Where Are You From?

Inwieweit hinter dieser Frage Rassismus steckt

JeongA Hwang (WiSe 2022/23)

1. „Where are you from?”

Wie sind meine Erfahrungen mit dieser Frage?

In den 4 Jahren, die ich in Deutschland lebe, bin ich dieser Frage unzählige Male begegnet. In meiner Erinnerung waren die Menschen, die nach meiner Herkunft gefragt haben, meist Weiß. Sie stellten mir unerwartet auf der Straße, in einem Restaurant, in einem Wartezimmer, irgendwo, solche Fragen, ohne dass wir davor ein Gespräch führten. Wenn jemand Deutsch spricht, fragte diese Person mich nicht auf Deutsch „Woher kommst du?“, sondern erstmal immer auf Englisch: „Where are you from?“. 

Einige Male habe ich diese Situation so empfunden, als wolle diese Person mit mir Smalltalk führen. Als dies allerdings immer wieder passierte, fühlte ich mich sehr unwohl. Daher möchte ich in diesem Essay erstens meine Reflexion mit dieser Frage beschreiben und folglich darauf eingehen, warum „Where are you from?“-Frage eine rassistische Frage ist, wie meine ethnische Identität als asiatisch bestimmt wird und welche Konsequenzen racial microaggression im Zusammenhang mit der Fremdzuschreibung mit sich bringen kann.

Reflexion

Ich wurde zuletzt vor zwei Wochen (Mitte April 2023) gefragt, wo ich herkomme. Ich hatte mich in einer Bar mit meinen Freundinnen getroffen. Wir alle kommen aus Südkorea, leben seit einigen Jahren in Deutschland und können Deutsch sprechen. Während wir uns in unsere Sprache unterhielten, kam eine Gruppe von etwa 8-9 gut gekleideten weißen Menschen und nahmen den Platz neben uns ein. Sie schienen unter Kolleginnen und Kollegen zu sein. Ich bemerkte, dass sie sich auf Deutsch unterhielten.

Als eine von uns zum Rauchen kurz weg war, nahm eine Person von ihnen plötzlich einen unserer Stühle weg, obwohl noch viele übrige danebenstanden. Daraufhin sprach eine meiner Freundinnen diese Person an: „Der Stuhl ist besetzt. Sie können daneben einen anderen nehmen.“ Diese reagierte daraufhin lästig und antwortete auf Englisch „I know, I know. I will give it back to her soon.“

Wir fühlten uns gekränkt, taten aber so, als würde es uns nicht stören, weil wir unser gutes Treffen nicht zerstören wollten. In der darauffolgenden Stunde starrte jedoch eine andere Person von ihnen uns an, während wir uns unterhielten, und kam schließlich mit einem entschlossenen Gesicht zu uns und fragte:

„Hey, Where are you from?“

Eine von uns hatte auf Deutsch darauf geantwortet, weil sie schon wusste, dass jene Person Deutsch sprechen kann:

„Aus Berlin.“

Daraufhin dachte diese einen Moment nach:

„Ah, Ihr könnt Deutsch. Ich meinte, wo eure Sprache herkommt.“

Ich fragte mich, warum diese Person uns so was fragte. Aber wir versuchten nett zu bleiben:

„Es ist Koreanisch.“

Nachdem sie unsere Antwort hörte, hat sie mit einem fröhlichen Gesicht zu uns gesagt:

„Achso, Ich habe ähnliche Sprache gehört, als ich in Singapur war!“

Nach der Unterhaltung mit dieser Person hatte ich unerklärlich schlechte Laune bekommen und unser angenehmer Abend war ruiniert. Ich kann nicht anders als zu wiederholen, warum sie uns gefragt hat, woher wir kommen, warum wir ihr das sagen müssen, und was für ein Zusammenhang zwischen Korea und Singapur für diese Person besteht, dass sie uns das ohne Überlegung fragen kann. Nach kurzem Nachdenken kam ich zum Ergebnis, dass solche Haltung gegenüber uns eindeutig rassistisch ist und dass diese Person uns aufgrund unseres Aussehens als asiatisch betrachtet hat. Jedoch meinte eine von uns, dass wir nicht beleidigt sein sollten und dass diese Person uns nicht mit schlechten Absichten gefragt hat. Daher musste ich mich nochmal fragen, ob mein schlechtes Gefühl richtig war.  

2. Was stört mich an dieser Frage?

Racial Microaggression

Rassismus ist eine Form von Diskriminierung. Rassismus richtet sich vorwiegend gegen BIPoC (Der Begriff bezieht sich auf Schwarze, Indigene und People of Color.) um diese aufgrund ihrer Herkunft, Farbe, Haare, Namen, Sprache, usw. zu entwerten, abzugrenzen und zu diskriminieren, ohne die individuellen Eigenschaften von betroffenen Menschen zu berücksichtigen.[1] Rassistische Handlungen können nicht nur Körperverletzung, verbale Herabsetzung und feindselige Darstellungen, sondern auch Komplimente und Gefälligkeiten sein.

Den Begriff Mikroaggressionen verwendete Harvard Professor Dr. Chester M. Pierce zum ersten Mal im Jahr 1970, um die Angriffe auf die Würde schwarzer Menschen bei Begegnungen zwischen weißen und schwarzen Menschen im US-Kontext zu bezeichnen und darzustellen. Laut Pierce sind Mikroaggression Äußerungen in der alltäglichen Kommunikation, die als übergriffig wahrgenommen werden und die der andere Person bewusst oder unbewusst abwertende Botschaften übermitteln, welche sich auf deren Gruppenzugehörigkeit beziehen.[2] In seinem Artikel An Experiment In Racism TV Commercials (1977) beschrieb er,“the chief vehicle for proracist behaviors is microaggression” (1977: 65).

Über die Jahre wurde dieser Begriff und diese Form von Rassismus weiter erforscht. Nach Solorzano, Ceja und Yosso wurde rassistische Mikroaggression wie folgt definiert: “subtle insults (verbal, non-verbal, and/or visual) directed toward people of color, often automatically or unconsciously” (2000: 60). Derald W. Sue teilt mit seinen Kolleginnen und Kollegen interpersonelle rassistische Mikroaggression in drei Ebenen ein: Erstens bezeichnen Mikroangriffe (microassaults) vorsätzliche diskriminierende Angriffe, die den Angegriffenen verbal oder nonverbal herabsetzen oder verletzen. Dies gleicht dem klassischen und offenen Rassismus, weshalb sie in der Forschung zur Mikroaggression selten erwähnt werden. Zweitens sind Mikrobeleidigungen (microinsults) unhöfliche oder unsensible, instinktlose Äußerungen, die die Herkunft oder Identität des Angegriffenen betreffen. Sie sind unterschwellig und deuten an, dass die Angegriffenen weniger wert sind. Schließlich beziehen sich Mikroentwertungen (microinvalidations) auf Aussagen, die die rassistischen Erfahrungen von BIPoC ignorieren oder entkräften. Wenn die Angegriffenen dies verwerfen, können die Angreifer diese unter dem Deckmantel des „Kompliments“ (z.B. Du kannst gut Deutsch!), des „gut gemeinte“ Widerstandes (z.B. Ich sehe keine Farben) oder der Zurechtweisung (z.B. sei nicht so sensibel!) zurückschlagen. Die Frage „Woher kommst du?“/ „Where are you from?“ gehört dazu.[3]

Rassistische Mikroaggressionen treten in den einzelnen Interaktionen zwischen den Täter:innen und den Opfern auf, weshalb sie als ‚mikro“ bezeichnet werden. Darüber hinaus kann es passieren, dass weder die Täter:innen noch die Opfer sie als eine Form von Aggressionen bemerken, da die Täter:innen sich scheinbar unabsichtlich rassistisch äußern. Williams demonstrierte jedoch, dass rassistische Mikroaggression tatsächlich beleidigend und aggressiv genug sei, weil die Opfer vorher bereits Mikroaggression erlebt hätten, unabhängig davon, ob die Täter:innen absichtlich oder unabsichtlich agieren. In der psychologischen Forschung wurde festgestellt, dass Mikroaggressionen auch einen ebenso großen psychologischen Einfluss auf die Opfer haben, wie andere Formen von Aggressionen. Neben den Auswirkungen auf die Opfer spielen rassistische Mikroaggressionen unter Interaktionen zwischen Weißen und BIPoC eine große Rolle, da die weiße Vorherrschaft unbewusst gestützt und bestärkt wird. Die Täter:innen demütigen oft unbeabsichtigt, weshalb die Opfer in einem Dilemma stecken und sich fragen, ob ihnen wirklich Rassismus widerfahren ist. Ein wichtiger Punkt zum Erkennen der rassistischen Mikroaggression ist es, dass sie aus der Perspektive des Opfers betrachtet werden muss.[4] Dementsprechend sind rassistische Mikroaggressionen Aussagen von Täter:innen, die absichtlich oder unabsichtlich erfolgen, wobei sie die Opfer abwerten und deren Identitäten, Erfahrungen und Wissen unsichtbar machen.

3. Was heißt eigentlich, Asiat:innen zu sein?

Asiatische Identität

Seitdem ich in Deutschland lebe, habe ich durch solche oben erwähnten Erfahrungen bemerkt, dass ich hier sowohl als Fremde, Ausländerin oder auch als Asiatin angesehen werde. Ich muss mich immer wieder fragen, warum ich nicht als eine Koreanerin, sondern als eine Asiatin wahrgenommen werde und was eigentlich asiatisch bedeutet.

Asiatische Identität ist eine ethnische Identität, die aufgrund verschiedener Aspekte wie z.B. Herkunft, Kultur, Geschichte und Religion als asiatisch selbst bezeichnet wird, oder vor allem aufgrund des Aussehens von anderem Individuum und andere ethnischen Gruppe als asiatisch zugeschrieben und abgegrenzt wird. Eine asiatisch gelesene Person kann deshalb von anderen als Mitglied einer asiatischen Gruppe behandelt werden, ohne mit dieser wirklich verbunden zu sein oder sich selbst dieser verbunden zu fühlen.

Jedoch ist Asien der größte Kontinent unserer Erde. Er vereint verschiedenen Nationen, Kulturen, Geschichten und Religionen und kann deshalb nicht einfach einheitlich angesehen werden. Nun kommt die nächste Frage: Welche Personen sind gemeint, wenn über „Asiatinnen und Asiaten“ gesprochen wird?

In Deutschland werden Menschen aus Westasien in großem Zusammenhang mit der Religion eher als muslimisch wahrgenommen, obwohl der Islam nicht bei allen westasiatischen Ländern als offizielle Religion gilt. Außerdem werden Menschen aus Zentralasien eher mit der ehemaligen Sowjetunion verbunden wahrgenommen. Welche menschliche Gruppe mit dem Asiatischen verknüpft sind, wurde von einer Befragung erforscht. Zusammengefasst resultiertet daraus, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung vor allem Menschen aus China, Japan, Südkorea, Thailand, Indien und Vietnam mit Asien verknüpft.[5]

Asiant:innen sind Forever Foreigners

An dieser Stelle möchte ich mich damit befassen, wie asiatisch wahrgenommene Menschen in der weißen Dominanzgesellschaft stereotypisiert und dargestellt werden, welche Bedeutung dahintersteckt und welche Konsequenz dies mit sich bringt, beispielsweise für die Corona-Pandemie.

Asiatisch gelesene Menschen in Deutschland oder in anderen weißen Dominanzgesellschaften werden in widersprüchlichen Dimensionen sowohl positiv als auch negativ wahrgenommen. Einerseits werden sie als „Vorzeigemigrant*innen“ beschrieben und mit anderen (post-)migrantischen Gruppen verglichen, egal ob sie das wollen oder nicht. Andererseits werden sie als „G**** Gefahr“[6] dargestellt, einer homogene Masse, welche die weiße Bevölkerungen gesundheitlich, ökonomisch, usw. gefährden.[7] Geschlechtsspezifisch werden asiatisch weiblich gelesene Menschen hypersexualisiert und ihnen Eigenschaften wie „gehorsam“ und „unterwürfig“ zugeordnet, während asiatische männlich gelesene Menschen, je nach Narrativ, eher als de-sexualisiert dargestellt werden.

Weiße Menschen glauben, dass asiatisch gelesene Menschen sich in ihre Gesellschaft integrieren wollen. Aufgrund des existierenden Rufes der asiatisch gelesenen Menschen sind weiße Menschen nicht dagegen, sie in ihre Gruppen aufzunehmen. Dadurch scheinen asiatisch gelesene Menschen leichter der weißen Dominantgesellschaft anzugehören als andere BIPoC. Tatsächlich werden sie in dieser Gesellschaft jedoch als „forever foreigners“ angesehen und erfahren verschiedene Formen von Marginalisierung und Ausgrenzung.[8]

Die stereotypisierten Darstellungen, die Asien aus westlichem Blick zugeschrieben werden, stehen im Zusammenhang mit dem Konzept des „Orientalismus“ von Said. Ihm zufolge definiert der Westen sich selbst als überlegene Zivilisation, den Osten dagegen als „exotische“ und „minderwertige, unterlegende“ Zivilisation und den Osten als „Andere“, die „Uns“ ständig bedrohen. Mit diesen in westlichen Gesellschaften tief verwurzelten orientalistischen Ideen sind die asiatisch gelesenen Menschen den Weißen unterlegene und dauerhaft bedrohliche Ausländer:innen, unabhängig davon, wie lange sie in Deutschland leben, ob sie in Deutschland geboren sind, oder wie gut sie Deutsch können und wie gut sie in die deutsche Gesellschaft integriert sind.

Einige Wissenschaftler:innen behaupten, dass die positive Zuschreibung (asiatisch gelesene Menschen als „Vorzeigemigrant:innen“) auch wie ein „camouflaged Orientalism“ wirkt. Dies liegt daran, dass Druck auf asiatisch gelesene Menschen ausgeübt wird, sich „vorbildlich“ zu verhalten und sich an die weiße Dominantgesellschaft anzupassen. „G**** Gefahr“ hingegen ist ein negativerer und deutlich rassistischerer Ausdruck und spiegelt sehr direkt den Orientalismus wider. Hierbei werden asiatisch gelesene Menschen erniedrigt, da sie kulturell und politisch den Weißen unterlegen und dabei bedrohlich für Weiße seien.[9] Diese beiden Narrative markieren asiatisch gelesenen Menschen als permanente „Ausländer:innen“ oder „Andere“, die sich nie in Weiße dominierende Gesellschaft integrieren. Dieser Blick auf Asiatinnen und Asiaten kommt im Alltag in Form von rassistischer Mikroaggression zum Ausdruck, in einer nationalen Krise tritt er jedoch in einer kollektiveren und gewalttätigeren Form auf.

Ein Beispiel hierfür ist die Covid-19-Pandemie. Während der Pandemie verbreiteten sich in den deutschen Medien negative Verschwörungstheorien über China, was zu einem Anstieg der Antichina- und Antiasien-Stimmung führte. Infolgedessen sind nicht nur Chinesinnen und Chinesen, sondern auch alle asiatische wahrgenommenen Menschen von Gewalt und Diskriminierung betroffen, weil sie „wie Chinesinnen und Chinesen aussehen“ oder weil die falsche Vorstellung besteht, dass alle Asiatinnen und Asiaten aus China kommen.

Antiasiatischer Rassismus geschieht aus solchen falschen Darstellungen in sehr umfangreichen Formen, z.B. verbalen Mikroaggressionen, struktureller Diskriminierung und körperlichen Angriffen, oder im schlimmsten Fall sogar Mord. In diesem Kontext fand eine Rassifizierung und Kulturalisierung eines biologischen Phänomens statt. Der Virus wurde asiatisch gelesenen Körpern zugeschrieben und asiatisch gelesenen Menschen wurde die Schuld für die vermeintliche Verbreitung des Virus zugewiesen. Asiatinnen und Asiaten erleben in Krisenzeiten „Othering“ von anderen ethnischen Gruppen. Durch „Othering“ werden sie für ihre Lebensweise und ihre kulturellen Merkmale verurteilt, stigmatisiert und für das Verursachen und Verbreiten der Krise verantwortlich gemacht. Dies impliziert, dass Asiatinnen und Asiaten nicht als Mitglieder:innen der deutschen Gesellschaft anerkannt werden, sondern Andere sind, die jederzeit ausgeschlossen werden können, wenn die Dominanzgesellschaft sie nicht mehr will.[10] Covid-19 deutet in verschiedenen Formen von Othering und Rassismus an, dass Asiatinnen und Asiaten in Deutschland immer noch als permanente Ausländer:innen gelten und dabei ihre eigene Erfahrungen ignoriert wird.

4. Ausblick

Rassistische Mikroaggressiontritt normalerweise in interpersoneller Kommunikation auf. Dabei wird sie möglicherweise nicht als rassistische Haltung wahrgenommen und ihre Auswirkung auf die Betroffenen wird unterschätzt. Allerdings kann sich daraus eine kollektive, gewalttätige und strukturelle Form von Rassismus ergeben.

Das Problem mit rassistischer Mikroaggression und antiasiatischem Rassismus besteht darin, dass sie weniger im Vergleich zu Rassismus gegen andere BIPoC erforscht und erkannt wird. Aufgrund des Blicks, dass Asiatinnen und Asiaten vorbildlich sein sollen, wird ihr Leben in der deutschen Gesellschaft unsichtbar. Dadurch bleibt die antiasiatische Diskriminierung, sowie ausgrenzende Situationen gegenüber Asiatinnen und Asiaten, unsichtbar. Das lässt sich unter anderem auf den Mangel an inhaltlicher und personeller Diversität in verschiedenen Bereichen zurückführen. Insbesondere werden Asiatinnen und Asiaten in Deutschland in der Wissenschaft, in Bildungsinstitutionen, in den Medien und in der Kultur immer noch zu wenig repräsentiert. Sie sind z.B. in den meisten Medien abwesend oder erscheinen in einer Art, in der bestimmte Stereotypen verstärkt werden, wie beispielsweise als „token asian“. Es ist sehr wichtig zu repräsentieren und darzustellen, dass Asiatinnen und Asiaten an vielfältigen und vielseitigen Orten auf verschiedene Weise existieren. Dadurch können ihre Existenz und ihr Leben in der Gesellschaft sichtbar werden und die Öffentlichkeit wird gegenüber antiasiatischem Rassismus sensibilisiert.

Seit dem Beginn der Pandemie hat antiasiatischer Rassismus in Deutschland bewirkt, dass sich bundesweit Aktivistinnen und Aktivisten aus der Asiatisch-Deutschen Community vernetzen und sich gemeinsam gegen Rassismus engagieren.[11] Die Selbstbezeichnung „Asiatische Deutsche“ wird verwendet, damit viele asiatisch wahrgenommenen Menschen sich politisch gemeinsam positionieren und solidarisieren, um gegen Rassismus zu kämpfen.[12] Sich  als Asiatinnen und Asiaten zu identifizieren kann einerseits dazu führen, sich durch ethno-national-kultureller Kategorisierung von anderen Gruppen abzugrenzen, anderseits mit dieser gemeinsamen Bezeichnung ein Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl hervorbringen.[13] Dahingehend können Asiatinnen und Asiaten sich zusammenfinden und gegenseitig unterstützen, indem sie gemeinsam öffentlich ihre Erfahrungen teilen und andere Erfahrungen hören. Dadurch können sie stolz darauf bleiben, dass sie Asiatinnen und Asiaten sind.

Literaturverzeichnis

Administrator: ASIATISCHE DEUTSCHE – Migrationsgeschichten, in: Migrationsgeschichten, 15.08.2022, [online] https://migrations-geschichten.de/asiatische-deutsche/.

Bildung, Bundeszentrale Für Politische: Rassismus, in: bpb.de, 30.11.2022, [online] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-in-einfacher-sprache/322448/rassismus/.

Ha, Kien Nghi: Asiatische Deutsche: Vietnamesische Diaspora and Beyond, 15.01.2021. S. 212-215

Li, Yao/Harvey L. Nicholson: When “model minorities” become “yellow peril”—Othering and the racialization of Asian Americans in the COVID‐19 pandemic, in: Sociology Compass, Wiley-Blackwell, Bd. 15, Nr. 2, 01.02.2021, [online] doi:10.1111/soc4.12849, S. 1-13

Nguyen, Kimiko Suda |  Sabrina J. Mayer |, Christoph: Antiasiatischer Rassismus in Deutschland, in: bpb.de, 07.12.2021, [online] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland/.

Pierce, Chester M./Jean V. Carew/Diane Pierce-Gonzalez/Deborah Wills: An Experiment in Racism, in: Education and Urban Society, SAGE Publishing, Bd. 10, Nr. 1, 01.11.1977, [online] doi:10.1177/001312457701000105, S. 61–87.

Spanierman, Lisa B./D Anthony Clark: Racial Microaggressions: Empirical Research that Documents Targets’ Experiences, in: Gesellschaft der Unterschiede, Transcript Verlag, 06.02.2023, [online] doi:10.14361/9783839461501-008, S. 231–250.

Sue, Stanley/Christina M. Capodilupo/Gina C. Torino/Jennifer Bucceri/Aisha M. B. Holder/Kevin L. Nadal/Marta Esquilin: Racial microaggressions in everyday life: Implications for clinical practice., in: American Psychologist, American Psychological Association, Bd. 62, Nr. 4, 01.05.2007, [online] doi:10.1037/0003-066x.62.4.271, S. 271–286.


[1] Vgl. Bildung, 2022.

[2] Vgl. Spanierman/Clark, 2023. S. 231

[3] Vgl. Sue et al., 2007. S. 274f

[4] Vgl. Spanierman/Clark, 2023. S. 232f

[5] vgl. Nguyen, 2021.

[6] Der Begriff „G**** Gefahr“ ist ein Pejorativum aus der Kolonialzeit gegen (süd-)ostasiatische Völker und eine diskriminierende Bezeichnung für die Betroffenen, deshalb möchte ich in diesem Essay nicht direkt verwenden.

[7] vgl. Nguyen, 2021.

[8] Vgl. Li/Nicholson, 2021. S. 2

[9] vgl. Li/Nicholson, 2021. S. 3f

[10] vgl. Li/Nicholson, 2021. 4ff

[11] vgl. Nguyen, 2021.

[12] Vgl. Administrator, 2022.

[13] vgl. Ha, 2021. S. 213


Quelle: JeongA Hwang, Where Are You From? Inwieweit hinter dieser Frage Rassismus steckt, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 20.07.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=380

Who matters? (Fehlende) Diversität in der deutschen Klimabewegung

Kim Winter (WiSe 2022/23)

Wie ich zum Klimaschutz gekommen bin? Na, in der Grundschule habe ich schon bei Umweltschutzaktionen in der bayrischen Kleinstadt mitgewirkt, in der ich aufgewachsen bin. Meine Mutter hat mich begleitet als ich mit 8 Jahren unbedingt zu Greenpeace wollte – auch wenn die mir nur eine Broschüre in die Hand gedrückt haben. Als ich in der Schule war, gab es Fridays for Future nicht, aber ich bin mir sicher ich hätte an den Demos teilgenommen, denn meine Noten ließen es zu, mal einen Tag zu fehlen und die Lehrer*innen meinten es meistens gut mit mir. Wie ich aufgewachsen bin? Na, in einem Reihenhaus mit meiner Mutter, (meinem Vater), meiner Schwester und einer Katze. Klar, war ich auf dem Gymnasium. Absolute deutsche, weiße Mittelschicht. In den späten 2010er Jahren entsprach ich dem absoluten Cliché: Ich esse vegetarisch und kleide mich hippie-esk. Grade mit dem Abi fertig, möchte ich durch die Welt reisen, am liebsten nach Indien oder Südafrika und mich dort sozial engagieren. Rassistisch? Bin ich nicht – ich bin doch kein Nazi!

Vielleicht ist schon klar, worauf ich hinauswill. Nämlich, dass mir der Zugang zu politischer Bildung und klimaschützendem Engagement nicht schwer gemacht wurde. Dennoch wurde in meiner Sozialisation so vieles ausgeblendet. Über (Neo-)Kolonialismus wusste ich nichts, außer dass es mal so eine Konferenz gab auf der ein paar alte, weiße Männer aus Europa den ganzen Kontinent Afrika wie einen Kuchen unter sich aufteilten (habe ich in einer Karikatur gesehen). Die kolonialen Kontinuitäten, die anhaltende Ungerechtigkeit, die katastrophalen Auswirkungen des ausbeuterischen Systems Kapitalismus im Globalen Süden wurden nicht erwähnt. Damals hätte man außerdem noch guten Gewissens „Dritte-Welt Länder“ gesagt. Auch das Thema (Anti-)Rassismus wurde nur unzureichend behandelt. Rassismus wurde mit Neo-Nazis gleichgesetzt. Genauso wenig wurde in der Schule oder dem dominierenden öffentlichen Diskurs über die Widerstandsbewegungen marginalisierter Menschen aus dem globalen Süden und/oder BIPoC-Aktivist*innen gesprochen. Dass diese langjährigen, mutigen Bewegungen auch etwas mit meinem persönlichen Herzensthema Umweltschutz zu tun haben könnten, kam mir dabei nie in den Sinn.

Dabei basiert die heutige Klima(gerechtigkeits)bewegung auf der Arbeit so vieler Schwarzer Menschen und Menschen of Color, deren Engagement und Einsatz von der (deutschen,) weißen Dominanzgesellschaft aktiv ausgeblendet und unsichtbar gemacht wird. Wie drastisch diese Tatsache ersichtlich wird, möchte ich im späteren Verlauf an einem Beispiel aufzeigen. Während Menschen des Globalen Norden historisch gesehen für den größten Anteil des menschengemachten Klimawandels verantwortlich sind und von der Ausbeutung des Globalen Südens und der Zerstörung von Ökosystemen enorm wirtschaftlich profitiert haben, sind es Länder und Menschen des Globalen Südens, die am stärksten unter den Folgen der Klimakrise leiden (Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.9). Sehr anschaulich ist diese ungerechte Verteilung von Ressourcen und historischer Verantwortung an der Klimakrise in der Carbon Map dargestellt, die alle Länder der Erde nach Background (Hintergrund), Responsibility (Verantwortung) und Vulnerability (Verwundbarkeit) aufteilt und dabei die Länder je nach Anteil flächenmäßig vergrößert oder verkleinert (Kiln, Carbon Map).

Abb.1: Fläche der Länder nach historischer Verantwortung an freigesetztem CO2 von 1850 bis 2011.

Abb. 2: Fläche der Länder nach Armutsrisiko.

Im Folgenden werde ich die deutsche Klimabewegung anhand verschiedener Diskriminierungsebenen genauer betrachten. Eingehen werde ich hierbei auf die Merkmale Klasse/soziale Herkunft, Gender und race/ethnicity. Auch weitere Diversitätsdimensionen wie Ability spielen eine Rolle für die Diversität in der deutschen Klimabewegung sowie für das Ausmaß der Betroffenheit von Klimafolgen. Leider bietet dieses Essay nicht den Rahmen, auf alle Dimensionen einzugehen, weswegen ich nur die zuvor genannten hier beleuchten werde. Abschließend erörtere ich verschiedene Lösungsvorschläge und Verbesserungsmöglichkeiten, wie die deutsche Klimabewegung inklusiver und gerechter werden könnte.

Zum Begriff Klimagerechtigkeit und Rassismus in der deutschen Klimabewegung

„Rassismus und die Klimakrise haben dieselben Wurzeln. Wir können keines dieser Probleme ignorieren, wenn wir das andere bekämpfen wollen. Eine rassistische Klimabewegung kann niemals eine gerechte Zukunft schaffen.“ (Nowshin, 2020)

Die Klimakrise ist keine Gefahr, die in ferner Zukunft liegt. Für viele Menschen sind die Auswirkungen der Erderhitzung schon seit Jahrzehnten deutlich spürbar. Extremwetterereignisse, Naturkatastrophen, Dürreperioden und der Anstieg des Meeresspiegels nehmen Menschen im Globalen Süden nach und nach die Existenzgrundlagen. Diese Folgen werden für die deutsche Dominanzgesellschaft aber erst relevant, wenn sie hier vor Ort spürbar werden, wie die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 gezeigt hat. Über dieses Ereignis berichten deutsche Medien immer noch vereinzelt. Die wesentlich verheerendere, monatelang anhaltende Flutkatastrophe in Pakistan im darauffolgenden Jahr, in der Millionen Menschen ihr Zuhause verloren (bpb, 2022), war den deutschen Medien hingegen nur ein paar Tage der Berichterstattung wert.

Klimagerechtigkeit ist also ein Ansatz, in dem Verantwortung an der Klimakrise und deren Folgen sowie die von dieser Betroffenen mitgedacht werden und globale Gerechtigkeit eine wichtige Rolle spielt. Die Anfänge der Klimagerechtigkeitsbewegung, damals Umweltgerechtigkeitsbewegung, sind vermutlich in den 1980er Jahren der USA zu finden als die mehrheitlich Schwarze Bevölkerung in Warren County, North Carolina, anfing sich zu organisieren, nachdem die Regierung beschlossen hatte, Giftmüll in der Region zu deponieren. Die Bewohner*innen veranstalteten Protestmärsche und übten zivilen Ungehorsam aus, wobei insgesamt über 500 Menschen festgenommen wurden. Die Protestierenden stellten sich nicht nur gegen Umweltverschmutzung, sondern gegen soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Hierarchien. Viele der nachfolgenden Umweltgerechtigkeitsbewegungen entstanden aus dem Engagement von BIPoC-Communities (Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.47f.).

Klimaschutz muss intersektional gedacht werden und umfasst mehr als den Schutz und Erhalt der Ökosysteme. Globale Machtdynamiken und bestehende strukturelle Ungerechtigkeiten müssen beachtet werden. Es reicht nicht aus, auf technische Innovation zu hoffen, um die Erderhitzung einzudämmen. Die Klimakrise ist eine globale Verteilungskrise, die nur aus einer sozialen Perspektive gelöst werden kann. Diversitätskomponenten wie Gender, soziale Herkunft/Klasse, race/Ethnicity, Nationalität sowie Ability spielen eine Rolle in der Klimakrise. Das Konzept Klimagerechtigkeit fordert demnach die gerechte Verteilung der Verantwortung an der Lösung der Klimakrise. Gesellschaftliche Aspekte müssen ebenso mitgedacht werden wie ökologische. Daher spreche ich auch nicht von Umwelt- oder Klimaschutz, sondern vorrangig von Klimagerechtigkeit. Bezugnehmend auf die deutsche Klimabewegung werde ich den Begriff Gerechtigkeit sparsamer miteinbinden, da es sich in einzelnen Organisationen nach Definition teilweise noch nicht um einen Kampf für Klimagerechtigkeit handelt.

Black, Indigenous und People of Color (BIPoC) sind in der deutschen Klimabewegung noch immer unterrepräsentiert und ihr Einsatz wird bewusst unsichtbar gemacht. So z. B. Anfang 2020, als Vanessa Nakate, eine Schwarze Klimaaktivistin aus Uganda, von einer Nachrichtenagentur aus einem Pressefoto vom Weltwirtschaftswirtschaftsforum in Davos mit vier weiteren, weißen Klimaaktivist*innen ausgeschnitten wurde (Weissenburger, 2020). Eine ähnliche Situation ereignete sich später im selben Jahr in Deutschland, als die Klimaaktivistin Tonny Nowshin an einer Protestaktion gegen ein Kohlekraftwerk, das in Bangladesch entstehen sollte, teilnahm. Auf den offiziellen Pressefotos wurden im Nachhinein nur weiße Klimaktivist*innen abgegbildet, Nowshin war als einzige Person of Color nicht abgebildet (Bechert, Dodo, Kartal, 2021S.42). Dies sind offensichtlich rassistische Handlungen, die so vermutlich nicht beabsichtigt waren, aber dennoch deutlich zeigen, wie rassistische Strukturen und internalisierter Rassismus die deutsche Gesellschaft prägen. Aktivist*innen of Color werden unsichtbar gemacht, werden nicht gehört oder gesehen und die Klimabewegung wird weiß gelesen. Weiße Aktivist*innen prägen den Diskurs und ihre Forderungen beziehen sich häufig auf den Globalen Norden. So werden Forderungen aus dem Globalen Süden weniger Aufmerksamkeit zuteil und die Menschen werden schlichtweg nicht beachtet (ebd., S.45f.) Nowshin schreibt selbst zu dem Vorfall und ihrer Position in der deutschen Klimabewegung: „Ich werde in der Klima-Szene geduldet, solange ich sie mir nicht so zu eigen mache wie die weißen Aktivist:innen. Als BIPoC – also Schwarze, Indigene und People of Color – sind wir nur willkommen, wenn wir die Vorzeige-Betroffenen spielen“ (Nowshin, 2020).

Klassismus in der deutschen Klimabewegung

Die taz titelte 2019 „Zu jung, zu weiß, zu akademisch“ und traf den Nagel auf den Kopf. Neben Rassismus ist eine weitere auffallende Komponente der Zusammensetzung von Klimabewegungen in Deutschland die Exklusivität der Bewegung, wie beispielsweise bei Fridays For Future. Am 15. März 2019 fand ein globaler Klimaprostest statt und Forscher*innen nutzten die Gelegenheit, um Teilnehmende in neun europäischen Ländern zu ihrer Person zu befragen. In Deutschland sprachen die Forscher*innen in Bremen und Berlin mit insgesamt 343 Menschen ab 14 Jahren und führten eine Onlineumfrage mit weiteren 339 Teilnehmenden durch. Das Ergebnis war, dass die meisten Personen Schüler*innen zwischen 14 und 19 Jahre alt waren, dicht gefolgt von Studierenden (20-25 Jahre). Außerdem stellten sie fest:

„Mehr als die Hälfte der Befragten wollten das Abitur oder die Fachhochschulreife machen, 30 Prozent hatten einen Uni-Abschluss oder studierten noch, nur knapp 5 Prozent der Aktivisten gaben einen Mittleren Schulabschluss an. 43 Prozent der Befragten fühlten sich der oberen Mittelschicht zugehörig, ein knappes Drittel der unteren, lediglich 4,5 Prozent zählten sich selbst zur Arbeiterschicht.“ (Langrock-Kögel, 2020)

Das zeigt: Die Klimaproteste decken nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen ab. Sie vertreten nicht „die Mitte der Bevölkerung“, sondern setzen sich tendenziell eher aus privilegierteren Schichten zusammen. Klima-Aktivismus und politisches Engagement sind ein Privileg, dass sich nicht alle leisten können. Die wenigsten jungen Menschen können es sich leisten, regelmäßig freitags in der Schule/Uni zu fehlen, denn von der Abschlussnote hängen zu häufig auch die Job- und Ausbildungsperspektiven ab. Außerdem setzt die klimasensible Bubble nicht selten einen bestimmten Lebensstil und Habitus voraus – wer Fleisch oder tierische Produkte isst, ein Flugzeug besteigt oder der akademischen Sprache mit all ihren Fachbegriffen nicht folgen kann, braucht gar nicht erst versuchen, Teil der Gruppe zu werden. So ist zumindest eine weit verbreitete Vorstellung von der Klima-Bubble, die auch Vorurteilen und falscher Repräsentation geschuldet ist, die ich in Teilen aber auch bestätigen kann. Hier greifen auch intersektionale Diskriminierungen: Beispielsweise machen nicht alle Personen, die ein Flugzeug besteigen, einen All-Inclusive-Urlaub auf Bali, sondern viele Menschen möchten ihre Familie in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten sehen. Doch das wird in der Debatte oft außeracht gelassen.

Dass die Klimabewegung immer noch eine zu kleine, exklusive Gruppe von meist weißen, privilegierten, jungen Menschen anspricht, ist unter anderem dem neoliberalen Narrativ des „ökologischen Fußabdrucks“ geschuldet. Natürlich kann und sollte jede*r Einzelne das eigene Konsumverhalten kritisch reflektieren, aber die Klimakrise ist nicht dadurch gelöst, dass wir alle Second Hand Kleidung tragen und Hafermilch kaufen. Es braucht eine Veränderung im Fokus von individuellem Konsumverhalten hin zu der Notwendigkeit einer politisch initiierten gesamtgesellschaftlichen Transformation und der Veränderung unseres Wirtschaftssystems.  Diese Veränderung lässt sich langsam aufgrund von politischer Aufklärungsarbeit von vorrangig BIPoC in Form von Podcasts, Videos, Büchern und Artikeln zu dem Thema, finden (so z. B. im Online-Talkformat Karakaya Talk, dem Podcast Kanackische Welle oder bei BBQ – Der Black Brown Queere Podcast #29). Diese rütteln an den bestehenden eurozentristischen Strukturen und Normen, kritisieren vorherrschende Machtdynamiken und bieten Lösungsvorschläge an, auf die ich später auch noch eingehen möchte.

„In unserer Gesellschaft sei ziviles politisches Engagement ein Privileg, das man sich leisten können müsse. ‚Viele haben erst einmal ganz andere Probleme: Armut, Care-Arbeit oder auch Rassismus und andere Formen von Diskriminierung.‘“ (Langrock-Kögel, 2020, Cordula Weimann zitierend)

Gender in der deutschen Klimabewegung

Die angesprochene Problematik des Privilegs der Klimabewegung manifestiert sich auch in der Diversitätsdimension Gender. Wie im obigen Zitat erwähnt, spielen neben Klasse und race auch Dinge wie Care-Arbeit eine Rolle beim Grad der Betroffenheit von der Klimakrise und dem Kampf für Klimagerechtigkeit. Care-Arbeit bezeichnet in diesem Kontext jegliche unbezahlte Sorgearbeit. Darunter fallen z. B. Kinderbetreuung und Haushaltsaufgaben. Diese Arbeit wird überwiegend von FLINTA* (Female, Lesbian, Inter, Non-Binary, Trans und Agender Personen*) übernommen. Somit haben FLINTA* weniger Zugang zu Macht- und Entscheidungspositionen und erhalten weniger Einkommen als cis-männliche Personen. In der Folge sind sie in Bezug auf Klimafolgen verletzlicher (für eine ausführlichere Erklärung siehe Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.10-12). Auch hier greifen verschiedene Diskriminierungsebenen ineinander: Queere oder trans* BIPoC machen sich angreifbarer, wenn sie sich klimapolitisch engagieren und setzen sich einer anderen Gefahr aus als weiße, cis-Männer, die sich in der Öffentlichkeit politisch äußern. Die deutsche Klimabewegung ist ungewöhnlich stark von FLINTA* dominiert. Das ist eine positive Beobachtung, dennoch muss man sich fragen, woran das liegt. Wie zuvor kurz ausgeführt, sind FLINTA* von den Folgen der Klimakrise stärker betroffen und handeln somit aus einer Position der Unterdrückung heraus, aus der sie sich durch politisches Engagement selbst ermächtigen können.

„Du merkst: Es ist insbesondere für Menschen, die direkt von den Klimafolgen betroffen sind, nicht möglich, Klimakrise und Umweltzerstörung von sozialer Ungleichheit und global wirksamen Macht- und Unterdrückungsstrukturen zu trennen.“ (Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.10-12)

Lösungsansätze für eine diversere Klimabewegung

Durch die herausgearbeiteten Diversitätsdimensionen wird ersichtlich: Die Klimabewegung weist deutlichen Bedarf an Anpassungen und Verbesserungen auf. Hierfür haben Klima-Aktivisti schon einige Vorschläge gemacht. So argumentiert Tonny Nowshinb, dass es für mehr Diversität in der Klimabewegung die Notwendigkeit gibt, dieses Problem zunächst anzuerkennen: „Weltweit gibt es Diversität in der Klimabewegung, sie wird von Medien jedoch unsichtbar gemacht […] Die Klimaproteste in Bangladesch gibt es seit 2011. Seit 2016 sind sie richtig groß. Wenige in Deutschland wissen das.“ (Nowshin, zitiert nach Opitz, 2019) Denn nur wer die globalen Kämpfe für Klimagerechtigkeit kennt, kann sich damit solidarisieren. Um erfolgreich zu sein, muss der Kampf für Klimagerechtigkeit aus vielen verschiedenen Perspektiven solidarisch angegangen werden.

Doch auch hier bleibt die Frage: Wer wird gehört und gesehen? Aufgrund der ungerechten Machtgefälle ist es wichtig, dass von weißen Personen dominierte Klimabewegungen nicht-weißen Menschen zuhören und diesen den Rücken stärken. Hier ist aber auch der Kontext wichtig. Wie zuvor beschrieben, sind BIPoC-Aktivist*innen durch ein rassistisches System höheren Gefahren ausgesetzt als weiße Aktivist*innen und erfahren stärkere Repression. Aktivist*in Winta P. von „BIPoC for Future“ erklärt in Bezug darauf: „Es macht etwa keinen Sinn, BIPoC als Kontaktpersonen zur Polizei zu benennen.“ (Malkiowski, 2022) Es braucht also einen sensiblen Umgang mit marginalisierten Personengruppen sowie anti-rassistische Praktiken. Dazu gehören auch Critical-Whiteness- oder Diversity-Trainings, die in sozialen Bewegungen standardisiert werden sollten. Außerdem, so Winta weiter, braucht es mehr BIPoC- und MAPA-Aktivist*innen (Most Affected People and Areas) in leitenden Positionen, um die Sichtbarkeit zu erhöhen (ebd.).

In Bezug auf Klassismus in der Klimabewegung braucht es ein niedrigschwelliges Angebot für junge Menschen, welches deren eigene Lebenswelt widerspiegelt. Bekannte Personen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, z. B. Sportler*innen, Rapper*innen oder Influencer*innen, können eine Vorbildfunktion erfüllen und Jugendlichen zeigen, dass Klimagerechtigkeit ein Thema ist, das für alle relevant ist und nicht nur einer bestimmten Bubble von privilegierten Personen zugänglich ist (Langrock-Kögel, 2020). Außerdem ist es wichtig, dass die Klimabewegung mit Gewerkschaften und Arbeiter*innen zusammenarbeitet. Wenn Aktivist*innen beispielsweise Straßen blockieren und Menschen daran gehindert werden, ihrer notwendigen Lohnarbeit nachzukommen, von der ihre Existenz abhängt, kann das problematisch sein und abschrecken. Wichtiger wäre es, diese Menschen auf eine gemeinsame Seite zu bringen und zu verdeutlichen, dass die Industrie und große Konzerne den Großteil der Treibhausgas-Emissionen verursachen. Insgesamt müssen für eine diversere Beteiligung am Kampf für Klimagerechtigkeit Selbstwirksamkeitserfahrungen gestärkt werden, sodass Menschen sich ermächtigen können, sich unterstützt und sicher fühlen, egal welchen Hintergrund sie haben. Für deutsche Non-Profit-Organisationen, die an der Schnittstelle von Klimaschutz und Gerechtigkeit arbeiten, gilt: Sie müssen auch die Personen beschäftigen, die sie als Zielgruppen benennen, um betroffenen Gruppen Raum und Gestaltungsmöglichkeiten zu lassen, sowie die vorhandene Expertise nutzen zu können (Cardoso, Groneweg, 2021). Beispielsweise müssen Stellenausschreibungen auch in den passenden Netzwerken gestreut werden und „ausdrücklich die Bewerbung von Menschen fördern, die sich mit marginalisierten Gruppen identifizieren, wie Migrant:innen, BIPoC, Queers und Menschen mit Behinderungen.“ (ebd.)

Gerne würde ich auf die einzelnen Ebenen genauer eingehen und weitere Diversitätsdimensionen miteinbeziehen, die hier leider keinen Platz gefunden haben. Jedoch hoffe ich, dass dieses Essay einen kurzen Überblick über die Vielschichtigkeit der Klimagerechtigkeitsbewegung gibt und einen Anstoß für weitere Überlegungen in diesem Feld bieten kann.

Literatur

Bechert, L./ Dodo, Kartal, S. (Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., 2021). Kolonialismus und Klimakrise. Über 500 Jahre Widerstand. https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Kolonialismus_und_Klimakrise-ueber_500_Jahre_Widerstand.pdf

Bundeszentrale für politische Bildung (20.10.2022). Flutkatastrophe in Pakistan. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/514557/flutkatastrophe-in-pakistan/

Groneweg, M./Cardoso, I. (Klimareporter, 13.09.2021) Wie Klima-NGOs inklusiv werden können: Diversität kommt nicht von allein. https://www.klimareporter.de/protest/diversitaet-kommt-nicht-von-allein

Langrock-Kögel, C. (11.02.2020) Nicht wirklich bunt. Wie elitär sind die Klimaproteste? https://goodimpact.eu/recherche/fokusthema/wie-elitar-sind-die-klimaproteste

Malkiowski, J. (taz, 23.09.2022) Kli­ma­ak­ti­vis­t*in über Diversität. „Fridays for Future ist weiß“ https://taz.de/Klimaaktivistin-ueber-Diversitaet/!5879828/

Nowshin, T. (klimareporter, 17.06.2020) Die Klimabewegung hat ein Rassismus-Problem. https://www.klimareporter.de/protest/die-klimabewegung-hat-ein-rassismusproblem

Opitz, N. (taz, 13.12.2019) Diversität beim Klimaprotest. Zu jung, zu weiß, zu akademisch. https://taz.de/Diversitaet-beim-Klimaprotest/!5645995/

Weissenburger, P. (taz, 27.10.2020). Vanessa Nakate und das Foto der AP. Davos, eurozentriert. https://taz.de/Vanessa-Nakate-und-das-Foto-der-AP/!5656696/

Abbildungsverzeichnis

Kiln Enterprises Ltd. The Carbon Map. https://www.carbonmap.org/


Quelle: Kim Winters, Who matters? (Fehlende) Diversität in der deutschen Klimabewegung, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 16.05.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=347

Die Rolle der Sprache im Alltagsrassismus

Lena Hackauf (SoSe 2022)

1. Einleitung

Im November 2020 sowie im Januar 2021 strahle der WDR eine Folge der Talkshow Die letzte Instanz aus.[1] Diskursthema der Show war es unter anderem, sich darüber auszutauschen, ob die Z-Soße[2] einen anderen Namen erhalten sollte. Hintergrund dafür war die jahrelange Beschwerde der Sinti und Roma, dass eben jene Bezeichnung eine Diskriminierung darstelle. Schlussendlich drang dies zu einem Hersteller durch, der die Soße schließlich in Paprikasauce ungarische Art umbenannte. Der WDR-Moderator Steffan Hallaschka und das Team der Show luden vier prominente weiße – und damit vier nicht betroffene – Menschen ein, um über die Frage zu debattieren. Die vier Gäste waren sich einig, dass es nicht diskriminierend sei, das Z-Wort oder auch das N-Wort zu verwenden.

Insbesondere nach der erneuten Ausstrahlung der Sendung im Januar 2021 war die Kritik an dem Thema, der inhaltlichen Debatte sowie an den Gästen groß (vgl. Dell 2021, Sterz & Haruna-Oelker 2021). Die Debatte in der Show macht deutlich, wie tief verwurzelt Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist. Dabei wird ein bestimmter Bereich des Rassismus bedient, der sogenannte Alltagsrassismus. Diese Hausarbeit möchte sich im Bereich des Alltagsrassismus mit diskriminierender Sprache in Deutschland beschäftigen. Dafür soll zunächst einmal geklärt werden, was unter Rassismus sowie Alltagsrassismus verstanden werden kann. Anschließend soll spezifisch auf den Aspekt der rassistischen Sprache in Deutschland eingegangen werden.

2. Rassismus   

 Unter einer rassistischen Tat versteht die Mehrheit der Menschen einen gewalttätigen, mutwilligen und offensiven Akt der Diskriminierung. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um seltene Ausnahmen handeln würde, nur eine rechte Minderheit würde beziehungsweise könne rassistisch handeln (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 279). Diese Auffassung von Rassismus stimmt jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Die offensive Form von Rassismus spiegelt nicht die ganze Bandbreite der Diskriminierung von Menschen etwa aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder Hautfarbe dar. Rassismus ist eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Menschheit in verschieden „Rassen“ unterteilt werden könne (Koller 2015). Dadurch sei es möglich, anhand von willkürlichen Eigenschaften, wie zum Beispiel körperlichen Merkmalen, Menschen nicht nur zu unterscheiden, sondern auch den Gruppen Privilegien zu- oder abzuschreiben. Es geht also darum, sich selbst von anderen, von Fremden, abzugrenzen und gleichzeitig Machtverhältnisse herzustellen (vgl. Hergesell 1992, S. 748).  
Rassismus ist ein System, dessen Wurzeln bis in die Antike zu verfolgen sind (vgl. Rommelspacher 2009, S. 28). Auch das Gesellschaftssystem der Kasten in Indien sind ein Erzeugnis rassistischer Motive (vgl. Rommelspacher 2009, S. 28). Besonders zentral für das heutige Verständnis von Rassismus ist jedoch die Rassentheorie des 18. Jahrhunderts in Europa (vgl. Koller 2015). Diese Theorie soll(te) dazu dienen, Menschen zu kategorisieren und hierarchisch zu sortieren. Auf diese Weise rechtfertigten die Könige europäischer Länder wie beispielsweise Großbritannien, der Niederlande oder Deutschlands die Kolonialisierung auf dem afrikanischen, amerikanischen oder auch süd-ost-asiatischen Kontinent (vgl. Koller 2015).

Auch im 21. Jahrhundert haben die rassistischen Strukturen der Gesellschaft Auswirkungen auf „soziale, politische und wirtschaftliche Handlungen“ (Rommelspacher 2009, S. 25). Zum modernen Rassismus können Formen wie der Antisemitismus, Antiislamismus sowie der Antiziganismus gezählt werden (vgl. Rommelspacher 2009).

2.1 Die Alltäglichkeit von Rassismus

Rassismus zeigt sich vielseitig. Neben der offensiven Form von Rassismus, die sich beispielsweise durch offenkundige Beleidigungen oder physische Angriffe äußert, gibt es eine weitere Form, den sogenannten Alltagsrassismus. Dieser beginnt bei abfälligen Blicken, geht über Fragen nach der ‚wirklichen‘ Heimat und endet schlussendlich in strukturellen Benachteiligungen von BIPoC[3], zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Suche nach einer Wohnung.

Ein wesentlicher Punkt rassistischen Gedankenguts ist es, Menschen mit der Hilfe von Stigmatisierung und Verallgemeinerungen zu gruppieren. Auch mit vermeintlich wohlwollenden Aussagen sollen Menschen eingeordnet werden (Nguyen 2014). Eine solche, aufgrund von Herkunft, Name, Sprache, Religion und vielem weiteren basierten, Verallgemeinerungen wäre zum Beispiel eine Aussage wie ‚Alle Asiaten sind gut in Mathe.‘ Dabei ist es nicht wichtig, ob die Auffassung positiv oder negativ gemeint war. Mit solchen Verallgemeinerungen spricht man den Menschen ihre Individualität, ihr Können und ihre Fähigkeiten ab. Denn es wird gleichzeitig impliziert, dass jeder Mensch, der wie in dem angeführten Beispiel als Asiate gelesen wird, ohnehin gut mit Zahlen umgehen könne und es somit nichts Besonderes sei.

In der Regel werden solche Bemerkungen und Behandlungen von Nicht-Betroffenen nicht als rassistisch eingeordnet (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 280). Das hängt zum Teil damit zusammen, dass das Thema Rassismus in unserer Gesellschaft tabuisiert ist und sich die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland nur ungern damit beschäftigt – ein Privileg. Denn wie bereits erwähnt, wird davon ausgegangen, dass Rassismus kaum vorkäme. Ein Hauptbestandteil des Alltagsrassismus ist damit die Banalität (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 281).

Doch auch BIPoC, also von Rassismus betroffene Menschen, können alltagsrassistische Handlungen und Bemerkungen übersehen (vgl. Nguyen 2014). Das liegt daran, dass auch BIPoC mit den Vorurteilen der hiesigen Gesellschaft aufwachsen und sozialisiert werden. Unter racial bias kann man die Stereotype zusammenfassen, die unterbewusst einen Einfluss auf unsere Handlungsweisen haben (vgl. Valla et al. 2018, S. 195-196). In der Studie von Valla et al. (2015) wird deutlich, dass es sowohl weißen als auch schwarzen Menschen leichter fällt, positive Eigenschaften weiß aussehenden Menschen zuzuordnen. Hingegen fällt es ebenfalls beiden Testgruppen leichter, schwarz gelesenen Menschen negative Attribute zuzuschreiben (vgl. Valla et al. 2015). Die Ergebnisse legen nahe, dass Alltagsrassismus einen Effekt darauf hat, wie BIPoC ihre Umwelt wahrnehmen und sie ebenfalls die rassistischen Stereotype, das „rassistische Wissen”, der Gesellschaft verinnerlichen (Nguyen 2014).

2.2 Diskriminierende Worte

Worte spielen eine elementare Rolle im Alltagsrassismus. Dabei können zwei Arten von Rassismuserfahrungen unterschieden werden (vgl. Çiçek et al. 2014, S. 311): Neben der primären Rassismuserfahrung, durch zum Beispiel offensive Hetze gegen Menschengruppen aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder ähnlichem, gibt es auch sekundäre Rassismuserfahrungen. Letztere sind dem Alltagsrassismus zuzuordnen. Dazu zählen neben Kommentaren, den vermeintlichen Komplimenten, Zuschreibungen und vielem mehr ein Pool rassistischer Beleidigungen, auf englisch racial slurs. Die racial slurs sind geschichtlich bis in die Kolonialzeiten zurückzuführen – teilweise auch noch weiter zurück. Sie entstanden und wurden genutzt, um die damit zu bezeichnenden Menschen herabzusetzen. Zu den racial slurs zählen zum Beispiel das N- und M-Wort für schwarze Menschen sowie das Z-Wort für Sinti und Roma.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma (2015) schreibt dazu: Das Z-Wort „ist eine von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft, die von den meisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend abgelehnt wird.“ Denn egal ob man racial slurs mit oder ohne schlechte Intention verwendet, sie transportiert und reproduzieren die rassistische Vergangenheit, durch die sie geprägt sind (vgl. Çiçek et al. 2014, S. 313). Racial slurs wie das Z-Wort sind mit realen Gewaltakten direkt und unwiderruflich verbunden. Das Z-Wort ist beispielsweise bis in das 16. Jahrhundert in Deutschland zurückzuführen. In seiner etymologischen Entstehung steht es in einer engen Verbindung zu den Stereotypen über die Sinti und Roma (vgl. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma 2014). Gewalttaten sowie die systematische Vernichtung der Sinti und Roma im Dritten Reich wurden mit eben jenen Stereotypen begründet und gerechtfertigt.

Die mit Schmerz und Leid verbundenen racial slurs sind noch immer im Alltag aufzufinden und transportieren und verkörpern eben jene Erfahrungen – seien es Straßennamen, Speisen und Süßigkeiten oder ältere Literatur, zu der auch Kinderbücher wie zum Beispiel Pippi Langstrumpf oder Die kleine Hexe zählen. Durch die alltäglich wiederholende Diskriminierung der racial slurs werden die rassistischen Prinzipien und Machtstrukturen gefestigt. Kourabas (2019, S. 20) fasst zusammen:

„Durch sprachliche Bezeichnungen, die an rassistische Bilder der Unterordnung und vermeintlicher Minderwertigkeit und Geschichtslosigkeit anknüpfen, werden Personen und Personengruppen herabgewürdigt, entmenschlicht, beschimpft, homogenisiert, exotisiert, infantilisiert und als Fremde und Andere in einem geschichtslosen Vakuum exkludiert.“

3. Sprache schafft Wirklichkeit

Sprache hat einen direkten Einfluss darauf, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Das belegt zum Beispiel die Studie des Linguisten Levinson (1997). In dieser Beschreibt Levinson, dass es der indigenen Sprache Guugu Yimithirr der Aborigines in Australien keine Begriffe für links, recht, vorne oder hinten gibt. Um zu beschreiben, dass hinter einer Person ein Unwetter aufzieht, nutzen die Menschen stattdessen die Himmelsrichtungen. Also zum Beispiel ‚Nördlich von dir zieht ein Unwetter heran.‘ Da die Menschen sich täglich orientieren müssen, um richtig kommunizieren zu können, haben sie einen ausgeprägten Orientierungssinn. Sogar in einem dunkeln Raum ohne Fenster können sie die Himmelsrichtigen korrekt bestimmen (vgl. Levinson 1997, S. 125).

Mit Sprache formen wir also unser Denken, unsere Realität und schließlich auch, wie wir handeln. Denn wer spricht, der handelt (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Menschen können sich nur aktiv dazu entscheiden, zu sprechen. Der Sprechakt oder die Sprechhandlung ist also immer absichtlich. Hinzu kommt, dass Sprache eine performative Eigenschaft innehat (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Das bedeutet, Menschen bezeichnen Dinge und Umstände. Neben der Beschreibung ihrer Umwelt reproduzieren sie die dazugehörigen Vorstellungen und geben diese an die Gesprächspartner*innen weiter (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Menschen, die innerhalb einer Gesellschaft aufwachsen, lernen durch ihre Sozialisation die Bedeutungen, die hinter den Wörtern stehen. Dadurch ist es möglich, sich zu unterhalten. Gleichzeitig ist es nicht möglich, Wörter auszusprechen, ohne ihre durch die Gesellschaft bestimmten Bedeutungen zu transportieren.

Sprache ist also ein machtvolles Instrument. Mit der Hilfe der richtigen Wörter drücken Menschen nicht nur aus, was sie mit ihren Augen wahrnehmen oder mit ihrem Herzen fühlen, sondern vermitteln auch Machtstrukturen und Beziehungen (vgl. Kourabas 2019, S. 20). Deutlich wird das zum Beispiel auch beim Duzen und Siezen. Je nachdem, ob zwei Menschen untereinander ‚du‘ oder ‚sie‘ beziehungsweise nur einer von beiden duzt und die andere Person siezt, erkennt man, wie eng die Beziehung zwischen ihnen ist.

Auf der Grundlage dessen, dass Sprache ein performativer Akt ist und einen unwiderruflichen Einfluss darauf hat, wie Menschen ihre Umgebung wahrnehmen, sowie der Tatsache, dass die racial slurs noch immer im alltäglichen Sprachgebrauch ihren Platz haben, soll im Folgenden darauf eingegangen werden, welchen Einfluss rassistische Sprache auf Menschen haben kann.

4. Rassismus macht krank

Wenn Sprache handeln ist, dann können Worte zu Waffen werden. Rassistisch konnotierte Bezeichnungen und Bemerkungen sind somit ein Akt der Gewalt (vgl. Kourabas 2019, S. 21).

Anders als bei körperlicher Gewalt sind die Schäden weniger leicht zu greifen. Immerhin zeichnen sich keine blauen Flecken ab, wenn Personen durch Worte verletzt werden.

Neben der gesellschaftlichen Prägung des rassistischen Wissens hat ein alltägliches Differenzieren zwischen ‚wir ‘und ‚ihr‘, auch Othering genannt, durch Kommentare, Blicke und strukturelle Benachteiligungen einen Effekt auf Betroffene, der nicht zu unterschätzen ist (vgl. Nguyen 2014).

Rassismus hat Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden der Betroffenen, sowie auf die Psyche (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 282). Insbesondere das Beobachten oder Erleben von Alltagsrassismus kann auf so eine Weise belastend sein, dass die Menschen Traumata entwickeln (vgl. Yeboah 2017, S. 147-148). Die Folgen davon können unter anderem Stress, Depressionen, Selbstverletzung oder Suizid sein (vgl. Yeboah 2017, S. 148, 150). In Deutschland geborene oder aufgewachsene BIPoC beschreiben zudem, dass sie, durch die alltäglichen Erfahrungen von Rassismus, nicht das Gefühl haben, zu der hiesigen Gesellschaft dazuzugehören (vgl. Schramkowski &Ihring 2018, S. 282). Gleichzeitig bekämen sie das Gefühl, ‚zu deutsch‘ für ihre zum Beispiel türkische oder vietnamesische Familienseite zu sein. Alltagsrassismus, inklusive der racial slurs, kann somit eine Unsicherheit bezüglich der eigenen Identität auslösen. Hinzu kommt, dass Menschen, die rassistisch diskriminierende Worte erleiden, die kommunizierten Werte verinnerlichen und sich schlussendlich „selbst als ‚Andere‘ [beginnen] wahrzunehmen“ (Kourabas 2019, S. 21).

5. Fazit

Zusammenfassend zeigt die Debatte aus der WDR-Show Die letzte Instanz eindrücklich und beispielhaft, wie tief verwurzelt die rassistische Ideologie noch immer in der heutigen Gesellschaft ist. Bereits die Diskussionsfrage, ob die genannte rassistische Beleidigung diskriminierend sei, belegt dies. Die jeweilig betroffenen BIPoC äußerten sich bereits (mehrfach) dazu. Wie im Beispiel der Sinti und Roma sind racial slurs eindeutig diskriminierend und sollten nicht verwendet werden (vgl. Zentralrat Sinti und Roma 2015). Es gliedert sich in die rassistische Ideologie der ‚weißen Vorherrschaft‘ ein, dass weiße Menschen als die letzte und damit endgültig Instanz es besser wissen würden, um die Diskussionsfrage zu beantworten – ungeachtet dessen, dass keiner der Gäste Rassismus erfahren haben kann.

Rassismus besteht nicht nur aus offensiven Gewalttaten, sondern versteckt sich auch in alltäglichen Handlungen. Versteckt, weil es nicht immer leicht ist, die rassistische Äußerung zu erkennen, sowohl für Betroffene als auch für BIPoC. Alltagsrassismus äußert sich in Bemerkungen, ‚Witzen‘, vermeintlichen Komplimenten, (Fremd)Bezeichnungen sowie auch auf struktureller Ebene. Das bedeutet, aufgrund des alltäglichen Rassismus haben BIPoC schlechtere Chancen auf beispielweise dem Arbeitsplatz, im Gegensatz zu weißen Menschen.

Die rassistische Ideologie basiert zum größten Teil auf einem Konzept aus dem 18. Jahrhundert. Um die Menschen nicht nur physisch zu erniedrigen, sondern auch auf mentaler Ebene, wurden damals verschiedene racial slurs wie das Z- oder N-Wort eingeführt. Somit verkörpern auch die racial slurs das rassistische Gedankengut. Dieses wird bei der Verwendung der Wörter reproduziert. Damit sind racial slurs als Gewalttat zu betrachten. Wie auch bei anderen Formen der (sprachlichen) Gewalt, hinterlassen die Wörter Spuren und können psychisch krank machen.

Sprache ändert sich stetig – und das schon immer. Wir sprechen nicht mehr so wie vor 10, 50 oder 100 Jahren. Ohne den Wandel und das stetige neue Verständnis der Wörter gäbe es die deutsche Sprache, wie wir sie heute kennen, nicht. Tatsächlich kann die deutsche Sprache sogar anhand eines Sprachwandels definiert werden, nämlich der zweiten deutschen Lautverschiebung (vgl. Mohamed 2019). Dadurch wird recht deutlich, dass ein Wandel der Sprache nicht nur nicht vermeidbar ist, sondern, wenn man einen Schritt weitergeht, sogar unabdingbar. Und dennoch weigern sich viele Menschen dagegen, verschiedene Wörter nicht mehr zu benutzen, wie zu sehen und zu hören in Die letzte Instanz. Es fallen Sätze wie ‚Das haben wir schon immer gesagt‘, ‚Das ist doch gar nicht böse gemeint‘ oder ‚Stell dich mal nicht so an‘.

Dabei scheint die Lösung doch so simpel: Von Rassismus betroffene Menschen reden lassen und zuhören. Wie möchte mein Gegenüber bezeichnet werden und wie nicht? Mehr Bildung und Aufklärung ist nötig und vor allem müssen sich auch weiße Menschen mit Rassismus beschäftigen. Nicht nur weil es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, sondern auch, weil weiße Menschen rassistische Denk- und Handlungsmuster ablegen müssen, um eine Veränderung zu erreichen.

Literaturverzeichnis

Çiçek, A., Heinemann, A., & Mecheril, P. (2014). Warum Rede, die direkt oder indirekt rassistische Unterscheidungen aufruft, verletzen kann. Sprache–Macht–Rassismus, 309-326.

Dell, M. (2021, 1. Februar). Ungenial daneben. Die Zeit. Abgerufen am 25. Juli 2022 von https://www.zeit.de/kultur/film/2021-01/wdr-sendung-letzte-instanz-thomas-gottschalk-rassismus-janine-kunze

Hergesell, B. (1992). Sie sind „faul “,„schwul” und „dumm “. Zum Alltagsrassismus im Betrieb. Gewerkschaftliche Monatshefte, 12, 745-754.

Kourabas, V. (2019). Sprache-Macht-Rassismus: Eine Einführung. Denkanstöße für eine rassismuskritische Perspektive auf kommunale Integrationsarbeit in den Kommunalen Integrationszentren–Ein Querschnittsthema.

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Ausschnitt Die letzten Instanz:

Ulirhein (2021, 1. Februar). „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ aus „Die letzte Instanz – …“, WDR [Video] Abgerufen am 13. August 2022 von https://www.youtube.com/watch?v=v32zQTd7JwA&t=707s


[1] In der WDR-Mediathek ist die Folge nicht mehr zu finden. Auf YouTube ist der Beitrag noch anzuschauen, jedoch nicht auf dem offiziellen YouTube-Kanal der WDR oder der Letzten Instanz. 

[2] Der Buchstabe „Z“ steht an dieser Stelle stellvertretend für eine diskriminierende Bezeichnung für Sinti und Roma, die in dieser Hausarbeit nicht reproduziert werden soll.

[3] BIPoC = Black, Indigenous, and People of Color (vgl. Migrationsrat 2020)


Quelle: Lena Hackauf, Die Rolle der Sprache im Alltagsrassismus, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 01.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=285

Stereotype Threat

Beeinflussung der akademischen Identität durch Stereotype und ihre Auswirkungen

Alina Wusits (SoSe 2022)

Einleitung

Bevor ich auf das eigentliche Hausarbeitsthema zu sprechen komme, möchte ich ein paar Worte zu dem Gebrauch von meiner Schrift und Sprache verlieren. Ich habe mich bewusst dafür entschieden den englischen Ausdruck People of Color (Abkürzung: PoC) zu verwenden, da es sich hierbei um eine internationale Selbstbezeichnung von Menschen handelt, welche Rassismus erfahren. Der Begriff ist emanzipatorisch, solidarisch und verdeutlicht eine politisch gesellschaftliche Position. Außerdem stellt sich die Bezeichnung gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft (Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, (o. D.)). Darüber hinaus verwende ich genderneutrale Sprache, da es mir sehr wichtig ist, dass sich alle Menschen, die diesen Text lesen, angesprchen fühlen.

Ich habe mich für das Thema Stereotype Threat entschieden, weil ich die Einteilung von Menschen in Kategorien und die Konsequenzen davon im Allgemeinen sehr spannend finde. Mit der Gruppierung von Menschen und der Zuschreibung von Erwartungen und Eigenschaften entstehen Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung. Der Stereotype Threat Effekt ist eine von vielen Folgen und kann weitreichende Konsequenzen für das Leben einer Person haben. Das Wissen darüber, dass es diesen Effekt gibt, regt zum Nachdenken an und ermöglicht es, diesem Phänomen, zusammen mit anderen Interventionsmaßnahmen, entgegenzuwirken.

In meiner Hausarbeit gehe ich vor allem auf eine Studie von Shelvin et al. (2014) ein, die sich mit Stereotype Threat von PoC Kindern beschäftigt. Die Auswirkungen dieses Phänomens haben beginnend im Kindesalter weitreichende Folgen auf das Leben einer Person of Color. Im Allgemeinen kann man den Effekt aber in ganz unterschiedlichen Gruppen und Situationen beobachten. Beispielsweise gibt es zahlreiche Studien, die sich mit den Auswirkungen des Effekts bei Schülerinnen[1], homosexuellen Menschen oder älteren Personen beschäftigen.

Definitionen

Definition Stereotyp

Menschen werden im Alltag ständig aufgrund bestimmter Merkmale und Eigenschaften zu sozialen Kategorien und Gruppen zusammengefasst, da Kategorisierungen dabei helfen die Realität zu ordnen, zu strukturieren und zu vereinfachen. Jede Person ist Teil mehrerer sozialer Kategorien, ganz unabhängig davon, ob dies gewollt oder ungewollt, beziehungsweise bewusst oder unbewusst geschieht. Abhängig von der jeweiligen Kategorie hat die Gesellschaft unterschiedliche Erwartungen an die Mitglieder einer Gruppe. Jedoch trifft meist nur ein kleiner Anteil der erwarteten Merkmale wie Verhaltensweisen, Vorlieben, Einstellungen etc. zu und die zusätzlichen Erwartungen werden der Gruppe fälschlicherweise zugeschrieben. Auf diesem Wege entstehen stereotype Muster, welche automatisch aktiviert werden, wenn wir mit Mitgliedern einer bestimmten Kategorie interagieren. Stereotype sind eine Kategorisierung, die den weiteren Wahrnehmungen und Informationen eine Richtung geben soll. Ein Stereotyp ist zusammenfassend gesagt eine verallgemeinernde Beurteilung, die mit bestimmten Erwartungen und Informationen einhergeht. Der Prozess der Stereotypaktivierung erfolgt meist automatisch und hilft dabei, die Beobachtungen der Realität einzuschätzen (Garms-Homolová, 2021).

Die meisten Menschen haben das Gefühl zu wissen, was Stereotype sind. Hinton (2019) bringt die Aussagen von verschiedenen Definitionen sowohl in Wörterbüchern als auch in akademischen Quellen auf den Punkt. Zusammenfassend werden Stereotype als eine fixierte, stark vereinfachte und übergeneralisierte Vorstellung über eine Person oder Personengruppe beschrieben, welche oft im Zusammenhang mit Vorurteilen und Diskriminierung stehen. Wichtig zu erwähnen ist außerdem, dass Stereotype in einer Kultur entstehen und weitergegeben werden und es sich nicht um die Vorstellungen nur eines Individuums handelt.

Die Bedeutung des Begriffs Stereotyp wird nochmal klarer, wenn man sich mit seinem sprachlichen Ursprung auseinandersetzt. Das griechische Wort stereos bedeutet starr, hart und fest; typos heißt soviel wie Entwurf, feste Norm und charakteristisches Gepräge (Petersen & Six, 2008).

Definition Stereotype Threat

Steele (1997) definiert Stereotype Threat als eine sozialpsychologische Bedrohung, die entsteht, wenn sich eine Person in einer Situation befindet oder etwas Bestimmtes tut und es ein negatives Stereotyp gegenüber der eigenen Gruppe gibt. Es handelt sich hierbei, um einen generellen situationsabhängigen Druck, der von jeder Gruppe erlebt werden kann, wenn das Wissen eines negativen Stereotyps der eigenen Gruppe in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Zu betonen ist hier, dass die betroffene Person selbst das Stereotyp nicht glauben muss. Ausschlaggebend ist, dass der betroffenen Person bewusst ist, dass andere Menschen dieses bestimmte Stereotyp über eine Kategorie von Menschen haben.

Steele and Aronson (1995) nehmen an, dass Menschen Bedrohung verspüren, wenn sie in einer bestimmten Situation die Befürchtung haben, auf der Grundlage von negativen Stereotypen beurteilt zu werden. Folglich wird versucht, durch das eigene Handeln diese negativen Stereotype der Eigengruppe nicht willentlich zu bestätigen.

Schmader et al. (2008) gehen davon aus, dass die Bedingung der Stereotype Threat die Leistung über drei verschiedene und miteinander verbundene Mechanismen stört. Zum einen beeinträchtigt eine physiologische Stressreaktion die präfrontale Verarbeitung und zum anderen haben Menschen die Tendenz ihre Leistung aktiv zu überwachen. Als dritter Punkt kommen die Bemühungen, negative Gedanken und Emotionen als Selbstregulation zu unterdrücken, hinzu. Diese drei Mechanismen verbrauchen alle exekutive Ressourcen, welche jedoch für eine gute Leistung bei kognitiven, aber auch bei sozialen Aufgaben gebraucht werden. Darüber hinaus stört die aktive Überwachung der Leistung die Ausführung von sensomotorischen Aufgaben.

Ausgewählte Studie zu Stereotype Threat

Stereotype threat in African American children: The role of Black identity and stereotype awareness

Kristal Hines Shelvin, Rocío Rivadeneyra, Corinne Zimmerman (2014)

Shelvin et al. (2014) gehen davon aus, dass für das Auftreten der stereotypen Bedrohung entscheidend ist, dass die Teilnehmenden wissen, dass ihre Leistung bewertet wird. PoC Kinder sind sich sehr bewusst, dass ihre Fähigkeiten und Leistungen im Schulkontext kontinuierlich bewertet werden. Aus diesem Grund hat jeder Schultag das Potenzial, eine stereotype Bedrohungssituation mit sich zu bringen und es ist zu erwarten, dass PoC Kinder schlechter bei einer akademischen Aufgabe mit stereotyper Bedrohung abschneiden, verglichen mit einer Kontrollbedingung ohne stereotyper Bedrohung. Nach Schmader et al. (2008) wird die stereotype Bedrohung durch eine Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept einer Person, der Gruppe, zu der sich die Person zugehörig fühlt, und ihren Fähigkeiten ausgelöst.

Die Studie von Shelvin et al. (2014) untersucht die Auswirkungen von stereotypen Bedrohungen auf die schulischen Leistungen von 186 PoC Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren. Die Autor*innen gehen davon aus, dass die Kinder in diesem Alter schulischen Erfolg wertschätzen sollten und sich ausreichend in der Schule engagieren. Darüber hinaus wurde auch das Wissen spezifischer rassistischer Stereotype und die Identitätsprofile von den Teilnehmenden untersucht, welche das Potenzial haben, die Anfälligkeit für das Gefühl einer Bedrohung durch Stereotype zu mildern.

Die teilnehmenden Kinder haben den Multidimensional Inventory of Black Identity-Teen Test ausgefüllt, der Aspekte der Black racial identity misst. Die Fragen beziehen sich auf Gefühle zu PoC als eine Gruppe, Ansichten über die gesellschaftliche Meinung zu PoC, die Wichtigkeit der Hautfarbe für das Selbstkonzept und den Umgang mit Problemen, die PoC haben. Die Teilnehmenden haben verschiedene Aussagen, wie zum Beispiel „I am proud to be Black“ auf einer Likert Skala von 1 (really disagree) bist 5 (really agree) bewertet.

Im Stereotype Awareness Task sollten die teilnehmenden Kinder alle Stereotype, die sie über PoC wissen, auflisten. Die Teilnehmenden haben durchschnittlich 5,1 Stereotype aufgelistet, wobei sieben Kategorien besonders oft vorgekommen sind: “Blacks are less intelligent than Whites”, “Blacks are worthless”, “Blacks are poor”, “Blacks are unattractive”, “Blacks are criminals”, “Blacks are violent”, “Blacks are good athletes”. Das Stereotyp “Blacks are less intelligent than Whites” war mit 44% das am meist genannte Stereotyp und ist darüber hinaus das relevanteste in Bezug auf die Stereotype Threat Aktivierung bei der Absolvierung akademischer Aufgaben. Dies zeigt sehr gut, dass viele Kinder bereits im Alter von 10 Jahren, das in der Gesellschaft verbreitete Wissen von Stereotype über ihre ethnische Gruppe besitzen.

Für die akademische Aufgabe wurde der Subtest Lesen / Vokabular, welcher 30 Items umfasst, des Test of Adolescent Langugae TOAL verwendet. Der Auftrag bestand darin, aus einer Zielwortliste mit fünf Wörtern, jene zwei Wörter auszuwählen, die am ehesten zu dem durch die Zielwortliste repräsentierten Konzept passen. Beispielsweise enthält die Zielwortliste die Begriffe Blau, Grün, Orange und Braun und die Kinder mussten aus der folgenden Liste (z.B. Fuchs, Auto, Rot, Computer, Schwarz) die passenden Wörter auswählen. In diesem Bespiel wäre die richtige Antwort Rot und Schwarz, da in der Zielwortliste verschiedene Farben aufgezählt werden. Die Schwierigkeit der Items steigt mit der Testlänge. Eigentlich ist der Test für Kinder von 12 bis 18,5 Jahren konzipiert. Er wurde dennoch ausgewählt, weil das Ziel der Studie darin bestand, eine Aufgabe zu haben, welche gleichzeitig herausfordernd und akademisch ist.

Es durften nur jene Kinder an der Studie teilnehmen, welche eine schriftliche Zustimmung der Eltern erhalten und ihre eigene Zustimmung gegeben haben. Im ersten Abschnitt der Studie füllten die Kinder den Stereotype Awareness Task, den Multidimensional Inventory of Black Identity-Teen Test und ein demografisches Formular aus. Der zweite Abschnitt fand ein bis zwei Wochen später statt. Die Teilnehmenden wurden per Zufall einer stereotypen Bedrohungsbedingung oder einer Kontrollgruppe zugeordnet. Daraufhin absolvierten die Kinder in beiden Gruppen den Test of Adolescent Langugae TOAL. Der Stereotype Threat Gruppe wurde gesagt, dass der Test die Intelligenz misst und die Ergebnisse von PoC und weißen Kindern verglichen werden. Der Kontrollgruppe wurde gesagt, dass einzelne Fragen getestet werden, um zu entscheiden, ob sie auch in zukünftigen Tests verwendet werden sollten. Abschließend wurde allen Kindern mitgeteilt, dass sie ihr Bestes geben sollten.

Die Ergebnisse des Test of Adolescent Language TOAL wurden einer 2 (Stereotype Threat: threat vs. neutral) x 2 (Intelligence Stereotype Awareness: stereotype listed vs. stereotype not listed) ANCOVA unterzogen. Man hat einen Haupteffekt der Stereotype Threat gefunden. Kindern in der Threat Bedingung haben niedrigere Ergebnisse im TOAL, im Vergleich zur neutralen Bedingung, erzielt. Eine Analyse des Einzeleffekts hat gezeigt, dass der Stereotype Threat Effekt nur dann eine Wirkung hatte, wenn das Intelligenzstereotyp salient war.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Stereotype Threat ein Faktor im akademischen Alltag von PoC Kindern spielt. Jene Kinder, die in der klassischen Stereotype Threat Bedingung waren, erzielten schlechtere Ergebnisse in akademischen Aufgaben verglichen mit jenen Kindern, die einer neutralen Bedingung ausgesetzt waren. Außerdem wurde gefunden, dass individuelle Differenzen, wie das Bewusstsein von Stereotypen und das Identitätsgefühl mit der Gruppe von PoC den Effekt der Stereotype Threat moderieren. Wie Steele (1997) in seiner Definition schon gezeigt hat, muss den Individuen das Stereotyp bezüglich der Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, bewusst sein, damit es zu einem Stereotype Threat Effekt kommt. Dies wurde auch in der Studie gezeigt, denn nur jene Kinder, die spontan das Stereotyp “Blacks are less intelligent than Whites“ aufgelistet haben, haben die erwarteten Leistungsunterschiede in der akademischen Aufgabe gezeigt. Auch wenn es Unterschiede in der Leistung gab, ist die Studie von noch stärkeren Diskrepanzen, auf Basis von älteren Studien, ausgegangen.

Unter dem Stereotype Threat Effekt kommt es auch dazu, dass PoC es vermeiden, Vorlieben für stereotype Aktivitäten, wie zum Beispiel das Mögen von Jazz, Hip Hop und Basketball, zu äußern. Diese Vermeidung zeigt den Wunsch auf, nicht durch den Blickwinkel von rassistischen Stereotypen gesehen werden zu wollen (Steele & Aronson, 1995).

Folgen von Stereotype Threat

Vulnerable Faktoren

Situationsbedingte Hinweisreize können sowohl die Aktivierung von Stereotypen der eigenen sozialen Identität beeinflussen, als auch die Wahrscheinlichkeit von schlechteren Leistungen als Folge des Stereotype Threat Effekts (Fuligni, 2007). Sowohl akademische Stereotype als auch akademische Selbstkonzepte beeinflussen und formen die akademischen Identitäten von Kindern (Bowe et al., 2017). Wenn eine Person of Colour als Minderheit in einer Gruppe versucht, sich den Text einer verbalen Präsentation zu merken, gelingt dies nicht so gut. Im Vergleich dazu lässt sich dieser Effekt nicht beobachten, wenn die Mehrheit der Teilnehmenden auch PoC sind (Sekaquaptewa & Thompson, 2002).

Die alleinige Angabe des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft vor der Durchführung eines Tests kann zu geringerer Leistung führen, da dadurch die soziale Identität der Gruppe salient gemacht wird. (Fuligni, 2007)

Protektive Faktoren

Das Auffinden von protektiven Faktoren ist der Schlüssel zum Durchbrechen von Stereotype Threat, der Nichtidentifikation mit akademischen Leistungen und somit der Weg, die Lücke von Leistungsunterschieden zu schließen (Shelvin et al., 2014).

Aronson et al. (2002) haben in einer Feldstudie gezeigt, dass PoC Studierende der Stanford Universität signifikant höhere Noten in dem Semester hatten, in dem ihnen gelehrt wurde, dass Intelligenz verformbar ist. Darüber hinaus ist der Aspekt interessant, dass die Personen nicht weniger Stereotype aus ihrer Umwelt berichten. Das bedeutet, dass die Interventionsmaßnahme nicht die Wahrnehmung der stereotypen Umwelt verändert hat, sondern die Vulnerabilität gegenüber Stereotype.

Eine andere mögliche Interventionsmaßnahme könnte darüber hinaus noch die Förderung der wahrgenommenen Ähnlichkeit zwischen den Gruppen sein. Rosenthal and Crisp (2006) haben in drei Experimenten die Hypothese untersucht, dass das Verwischen von Intergruppen-Grenzen den Stereotype Threat Effekt verringern wird. Die erste Studie hat ergeben, dass Frauen[2], die Charakteristiken, die von beiden Geschlechtern geteilt werden, aufgelistet haben, weniger Präferenzen für stereotyp weibliche Berufskarrieren haben, als Teilnehmende der Kontrollbedingung. Im zweiten Experiment wurde offenbart, dass Versuchspersonen, die über gemeinsame Charakteristiken nachgedacht haben, mehr richtige mathematische Fragen beantwortet haben. Im dritten Experiment wurde eine spezifische Bedrohungsmanipulation hinzugefügt. Teilnehmende, die die Aufgabe zu geteilten Charakteristiken vor der Stereotype Threat Bedingung durchgeführt haben, haben signifikant mehr mathematische Fragen richtig beantwortet als in der Kontrollbedingung und der ausschließlichen Threat Bedingung. All diese Ergebnisse unterstützen die Idee, dass Interventionsmaßnahmen zur Reduzierung von Intergruppenvoreingenommenheit erfolgreich zur Reduktion des Stereotype Threat Effekts eigesetzt werden können.

Konsequenzen von Stereotype Threat

Eine sehr weitreichende und langfristige Konsequenz von Stereotype Threat für die soziale Identität kann sein, dass sich Personen in einer akademischen Gemeinschaft unwohl oder sogar fehl am Platz fühlen. Stereotype können in Individuen ausreichend negative Gefühle erzeugen, dass diese ihre professionellen Identitäten ändern. Dies kann zur Folge haben, dass sich professionelle und berufliche Karrieren ändern und neue Karrierewege in einem anderen Feld gesucht werden. Wenn das Gebiet jedoch so fundamental, wie beispielsweise Mathematik ist, schließt diese Vermeidung viele Türen für potenziell lukrative Karrieren, beispielsweise im Bereich der Wissenschaft oder Technik. Eine kurzfristige psychologische Anpassungsfunktion an Stereotype Threat wäre die Strategie des Disengagements[3]. Bei dieser Strategie wird das Selbstwertgefühl psychologisch von den Bereichen gelöst, in denen Personen das Ziel von negativen Stereotypen, Vorurteilen und Benachteiligung sind. Diese defensive Distanzierung des Selbstwertgefühls von Erlebnissen in einem bestimmten Bereich führt dazu, dass das Selbstwertgefühl nicht von Erfolgen oder Misserfolgen in diesem bestimmten Bereich abhängt (Major et al., 1998). Hier wird die Abhängigkeit der eigenen Selbstansichten auf die eigene Leistung abgeschwächt (Fuligni, 2007). Die Strategie des Disengagements wird vor allem in Situationen angewendet, in denen eine relativ schlechte Leistung erwartet wird. Darüber hinaus kann die Abgrenzung des Selbstwertgefühls vom Feedback ebenfalls in Situationen auftreten, in denen das gegebene Feedback als voreingenommen gegen die stigmatisierte Gruppe wahrgenommen wird. In manchen Fällen kann dieser Mechanismus auch einen protektiven Faktor darstellen. Beispielsweise waren PoC nicht von negativem Feedback nach einem Intelligenztest betroffen, nachdem sie auf die Möglichkeit einer rassistischen Voreingenommenheit des Tests geprimed wurden. In unserer Gesellschaf sind PoC von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen und die Folgen von sich wiederholenden Erfahrungen mit rassistischer Voreingenommenheit und Diskriminierung kann dazu führen, dass sich das Selbstwertgefühl chronisch von der Leistung in intellektuellen Bereichen löst (Major et al., 1998). Dennoch glauben Major et al. (1998), dass es möglich ist, das Selbstwertgefühl von der eigenen Leistung bei beispielsweise einem Intelligenztest zu lösen, gleichzeitig aber Intelligenz zu schätzen und das Gefühl zu haben, dass Intelligenz ein zentraler und wichtiger Teil des Selbstkonzeptes ist.

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[1] Ich habe hier bewusst nicht die genderneutrale Ausdrucksform gewählt, da die Studien meist von einer binären Geschlechtseinteilung ausgehen.

[2] Ich verwende hier die binäre Einteilung in Männer und Frauen absichtlich, da die Autor*innen in ihren Studien ebenfalls von einem binären Geschlechtssystem ausgegangen sind.

[3] Ich habe mich hier absichtlich für den englischen Begriff entschieden, da ich der Meinung bin, dass die deutsche Übersetzung nicht vollkommen treffend ist.


Quelle: Alina Wusits, Stereotype Threat: Beeinflussung der akademischen Identität durch Stereotype und ihre Auswirkungen, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.10.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=281

Fall 218: Die gestohlenen Frauenstimmen und andere patriarchale Detektivgeschichten

Auf den Spuren meiner Kindheitshelden anhand der Hörspielreihe „Die drei Fragezeichen“

Nikita Kara Helena Träder (SoSe 2022)

Einleitung

„Die drei Fragezeichen. Wir übernehmen jeden Fall.“ Genauso sicher, wie dieser Leitspruch und sein Vorkommen in jeder Folge der Kulthörspielreihe „Die drei Fragezeichen“ ist[1], so sicher ist auch die Welt der drei Detektive Justus, Peter und Bob. Eine Welt, in der jeder Kriminalfall gelöst werden kann und ein Happyend sicher ist. Es gibt keine Morde, keine sexuelle Gewalt und eine eindeutige Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Der Kosmos der drei Fragezeichen zeichnet sich durch Kontinuität aus. Dies wird unter anderem durch das Alter der drei Detektive deutlich, denn innerhalb des Produktionszeitraumes von 40 Jahren sind diese nur um wenige Jahre gealtert.[2] Dem entgegengesetzt ist das Alter der Hörenden, denn trotz dessen, dass die Alterszielgruppe des Hörspiels auf acht bis 14-Jährige ausgerichtet ist, machen die einstigen Kinder im jetzigen Erwachsenenalter einen großen Teil der Hörer*innenschaft aus.[3] Ich bin eines dieser einstigen Kinder. Eine Erwachsene, die immer noch die Krimiserie zum Einschlafen hört – ganz besonders, wenn ich einmal krank oder gestresst bin. Dieser Nostalgieeffekt, den Oliver Rohrbeck, der Sprecher von Justus Jonas, einen „Ausstieg ins Zeitlose“ nennt,[4] versetzt mich in einfache Zeiten, entspannt mich und gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit. Durch das Hörspiel kann ich den kindlichen Zustand der Unbeschwertheit wieder abrufen. Ich nehme an, dass jene Beständigkeit der drei Fragezeichen die Faszination für mich und so viele andere ausmacht – besonders in dieser beschleunigten Welt, in der sich alles sehr plötzlich verändern kann und in Frage zu stellen ist. Diesen Heile-Welt-Faktor beschreibt auch Andreas Fröhlich, der Sprecher von Peter Shaw: „Wir erleben es ja ständig, dass eine Bedrohung da ist, dass wir Angst haben, sei es vor einem drohenden Krieg auf der Krim oder vor einem Flugzeugabsturz. Bei den »Drei ???« ist auch immer eine Bedrohung da – aber es geht alles gut aus.“[5] Dennoch stellt sich für mich die Frage, ob diese Welt, die den Hörer*innen geschildert wird, wirklich so eine heile Welt ist und ob diese als positiv zu bewerten ist. Im vorliegenden Essay möchte ich die Hörspielreihe nicht durch die nostalgische Brille, die das Beständige romantisiert, betrachten, sondern einen kritischen Standpunkt einnehmen. Insofern möchte ich aufdecken, welche Weltansichten, Perspektiven und Diskriminierungsmuster die Serie spiegelt. Ich möchte reflektieren, was mir und vielen anderen, hier für Motive, Wissenssysteme und vermeintliche Wahrheiten vermittelt wurden, die mich von Grundschulalter bis jetzt begleitet haben.

Besonders hinsichtlich dessen, dass die Geschichten der drei Detektive in den Medien immer wieder angepriesen werden,, sehe ich es als notwendig an, hier genauer hinzuschauen. „Die drei Fragezeichen“ werden oft im Gegensatz zu der Hörspielreihe „TKKG“ aufgezeigt – ebenfalls eine Detektivbande – und im Vergleich dazu als „(nahezu) politisch korrekt unterwegs“ [6]  aufgefasst, wie im Stern von dem weiß und männlich positionierten Finn Rütten berichtet wird. Ist eine Geschichte gleich politisch korrekt, nur weil das N-Wort nicht benutzt wird, wie bei „TKKG“?![7] Politische Korrektheit meint nicht nur schlichtweg das Streichen rassistischer Wörter, wie das N-Wort oder Z-Wort. Sie stellt Herrschaftssysteme infrage und ist als „Anti-Diskriminierungsarbeit auf sprachlicher Ebene“ zu verstehen, die in einem „nicht rassistischen, nicht (hetero-)sexistischen, nicht diskriminierenden (bspw. Aufgrund von Alter oder Befähigung), nicht beleidigenden, inklusiven, respektvollen, selbst-reflexiven und sensiblen Sprachgebrauch Anwendung [findet].“[8]  Deswegen müssen „Die drei Fragezeichen“ neben „TKKG“ und „Benjamin Blümchen“ in kritische Analysen miteinbezogen und nicht aussortiert werden, „weil sie so viel richtig machen“.[9]

Mir ist es bei der Suche nach wissenschaftlich fundierter Sekundärliteratur schwergefallen, seriöse Quellen zu finden, die „Die drei Fragezeichen“ in einem politischen Kontext behandeln.[10] Ich habe viel auf Onlineforen zurückgegriffen, die ihre drei Helden natürlich größtenteils vor Kritik bewahren. Ich nutze für meine Analyse die Hörspiele als Hauptquelle und ergänze diese durch Zeitungsartikel, Blogbeiträge und Interviews. Die Quellen werden durch Theorietexte, sowie eigene kritisch reflexive Gedanken, ergänzt und kontextualisiert.

Das vorliegende Essay beschäftigt sich besonders mit den Inhalten der Hörspiele, wird aber durch Informationen bezüglich Produktion und Besetzung ergänzt und bezieht sich daher auf die Hörspielreihe und nicht die Buchreihe. Ich fokussiere mich besonders auf die Repräsentation und Konstruktionen von Geschlecht und Sexualität. Zusätzlich wird die Analyse durch einen rassismuskritischen Ausblick ergänzt, der anschneidet in welche Bereiche noch weiter kritisch gedacht werden sollte.

Ich stelle keinen Anspruch an einen objektiven Analysevorgang, da dies ein weißes rassistisches Konstrukt ist.[11] Insofern möchte ich meine Position betonen: Ich bin eine weiß positionierte ableisierte Frau, die in einer heterosexuellen Kernfamilie aufgewachsen ist.

1. Begriffsdefinition „Geschlecht“

Geschlechtliche Realitäten außerhalb des binären Geschlechtersystems spielen in „Die drei Fragezeichen“ keine Rolle. Daher werde ich mich auf die Repräsentation von Männlichkeiten und Weiblichkeiten beziehen, sowie auf einzelne Figuren eingehen, die sich von cis heteronormativen Bildern abheben. Ich gehe davon aus, dass kein Mensch vollends weiblich oder männlich ist. Diese beiden Kategorien sind lediglich zwei Pole auf einer von vielen möglichen Geraden. Ich schließe mich Judith Buttler an, indem ich Geschlecht als soziales Konstrukt definiere, mit welchem je nach gesellschaftlichem Kontext verschiedene Stereotype und Verhaltensweisen verbunden werden.[12] Somit ist das der Frau zugeordnete „weiblich“ und dem Mann zugeordnete „männlich“ ebenfalls sozial konstruiert. Es ist ein Konstrukt der Performanz, in dem die Geschlechtsidentität als Tun verstanden wird, welches sich aus der Wiederholung kultureller Praktiken ergibt.[13] Ich spreche von Männlichkeiten und Weiblichkeiten im Plural, da es nicht das eine Männliche oder Weibliche gibt, denn je nach gesellschaftlichem Kontext variieren die Ansprüche, die eine Gemeinschaft an Männer und Frauen stellt.  Wenn ich hier von Männlichkeit und Weiblichkeit spreche, meine ich besonders europäisch und US-amerikanisch geprägte Geschlechterbilder, die in einen kapitalistischen und neoliberalen Kontext einzuordnen sind.

Wenn wir über Geschlecht sprechen, muss immer von Dominanz- und Herrschaftsverhältnissen gesprochen werden, die eine Norm etablieren, welche ebenfalls sozial konstruiert ist.[14] Jene Normen werden auf vielerlei Ebenen verhandelt: In sozialen Beziehungen, in der Wissenschaft, in Gesetzbüchern und besonders auch in Darstellungen der Medien, wie Werbung, Film und Literatur. So werden auch „[i]n Hörspielen […] bestimmte Gesellschaftsnormen, Rollenbilder, Handlungsentwürfe und unterschiedliche Vorstellungen des Politischen keineswegs wertfrei vermittelt, die Rezeption von Kinderhörspielen kann für junge Zuhörerinnen und Zuhörer vielmehr identifikatorisch verlaufen und die Hörspielheldinnen und -helden zu Vorbildern werden lassen.“ [15] Dennoch „steht durchaus nicht immer das einzelne Hörspiel in der Kritik, sondern die gesellschaftliche Haltung, die es simplifizierend – und damit scheinbar kindgerecht – oder unreflektiert reproduziert.“[16] Wie bereits Chimamanda Ngozi Adichie argumentierte, ist das problematische an Stereotypen und der damit verbundenen Simplifizierung nicht, dass sie unwahr sind, sondern, dass sie unvollständig sind – „They make one story become the only story.“[17] Somit ist das „Problem an medialen Stereotypen […], dass sie Vielfalt und Differenz reduzieren und auch naturalisieren.“[18]

2. Konstruktion von Geschlecht in „Die drei Fragezeichen“

2.1 Männlichkeiten in „Die drei Fragezeichen“

„Die drei Fragezeichen“ ist eine männlich dominierte Hörspielserie. Die meisten Figuren, besonders auch jene, die wiederholt auftreten und somit zur Kontinuität der Serie beitragen, sind männlich. Insbesondere die Bösewichte der Folgen sind männlich, wie z.B. Skinny Norris, der Erzfeind der drei Jungen, der aber gleichzeitig nie eine richtige Bedrohung darstellt, oder Victor Hugeney, der Kunstdieb, der einen würdigen Gegner für die Detektive bietet.[19] Das Bild von Männern als böse und von Frauen als unschuldig wird aufrechterhalten. Ebenso sind beinah alle Kommissare, d.h. zu Beginn Inspector Reynalds und später dann Inspector Cotter, sowie jede Vertretung, männlich. Nur in einer der neueren Folgen gibt es einen bisher einmaligen Auftritt einer weiblichen Kommissarin. Das berufliche Feld der Polizeiarbeit wird als ein männliches konstruiert. Die mögliche Konsequenz ist, dass sich weniger Mädchen den Beruf Polizistin zutrauen, wie Studien zum Thema Gender und Berufsbezeichnungen bewiesen haben. [20]

Alle bisherigen Sprecher für die Rolle der Erzählstimme sind männliche Stimmen.[21] Wenn ich an andere Hörspiele aus meiner Kindheit zurückdenke, wie „TKKG“, „Die fünf Freunde“ oder „Bibi Blocksberg“, so sind auch alle Sprechenden der Erzählstimmen männlich gelesene Namen.[22] Somit erhalten die Hörenden einen männlich positionierten Blick auf das Geschehen, der durch seine berichtende Funktion allerdings oft mit Neutralität verwechselt wird. Wer erzählt, erzählen darf und kann, hat Handlungsmacht, denn Sprache ist Definitionsmacht.[23] Insofern liegt hier die Erzählmacht auf männlicher Seite. Der Erzähler in „Die drei Fragezeichen“ ist einerseits vorrangig über die drei Detektive intern fokalisiert und andererseits ist die Erzählinstanz nicht frei von wertenden Kommentaren, die sich im Hörspiel, anders als im Roman, nicht nur in der Wortwahl, sondern auch in der Stimmlage manifestieren. Beispielsweise in „Der Geisterbunker“ als die Erzählstimme beschreibt: „vor ihm [Justus] lag eine XXL Pizza, die er bereits zur Hälfte verspeist hatte.“[24] Auschlaggebend dabei ist, dass die Erzählinstanz das „XXL“ besonders betont und es in die Länge zieht und Justus Essverhalten damit als unkontrolliert abwertet.

Ebenfalls zu erwähnen, gilt das Genre des Hörspiels, denn es ist „nicht zuletzt das Genre […], das die internen und externen Blickkonstellationen sowie die damit verbundene Geschlechterrepräsentation vorgibt.“[25] Der Krimi ist ein männlich domminiertes Feld. Die großen Detektive in Literatur und Fernsehen sind überwiegend männlich, wie z.B. Sherlock Holmes oder Hercule Poirot – beides Figuren, die im letzten Jahrzehnt im großen Kino zu sehen waren, wohingegen Miss Marple zwar eine der wenigen Frauen ist, aber mittlerweile auch der vergangenen Filmwelt angehört. An diese Form männlicher Dominanz knüpft jener Mythos von Männlichkeit an, welcher diese mit Rationalität und Logik – das Werkzeug eines Detektivs – verbindet.[26] Dem entgegen steht das Emotionale, was zumeist mit Weiblichkeit und Schwäche verbunden wird.[27] Es muss berücksichtig werden, dass es trotz der Verbindung zwischen Rationalität und Männlichkeit, auch Geschichten von Detektivinnen gibt. Als Gegenstück zu „Die drei Fragezeichen“ kann hier „Die drei Ausrufezeichen“ genannt werden. Allerdings ist die Hörspielreihe der drei Detektivinnen von sexistischen Klischees besetzt.[28] Die Taz schreibt: „Dementsprechend ermittelt das weibliche Detektivtrio dann auch auf dem Laufsteg, im Café, oder auf dem Reiterhof. Eine der Protagonistinnen besitzt einen großen Kleiderschrank, die andere ein Pferd und die dritte fühlt sich oft zu dick.“[29] Ebenfalls problematisch ist hierbei, dass mit dem Titel „Die drei Ausrufezeichen“ eine Parallele zu „Die drei Fragezeichen“ gezogen und versucht wird, ihnen nachzueifern. Doch sie können bei Weitem nicht mit „Die drei Fragezeichen“ mithalten, die schließlich schon lange einen Kultstatus genießen. Durch den vergleichenden Namen wird dem weiblichen Detektivtrio das Entwickeln einer eigenen Geschichte und Identität verwehrt, in welcher dem nachgegangen wird, wer diese drei Mädchen wirklich sind, ohne im Vergleich zu einer männlichen Serie definiert zu werden. So wird hier deutlich, wie bereits Simone de Beauvoirs Geschlechtertheorie aufzeigt, dass das Weibliche nicht als das eine, sondern als das andere hervortritt und somit anhand des Mannes definiert wird.[30]

2.1.1 Figurenbetrachtung

Die drei Detektive Justus, Peter und Bob lassen sich alle als cis männlich, heterosexuell, ableisiert und weiß positioniert lesen. In dieser Positionierung wird das sichtbar, was gesellschaftlich als dominierende Norm gilt. Dennoch sind die drei Jungen sehr unterschiedlich und anhand ihrer Figuren werden verschiedene Männlichkeitsbilder deutlich, die im Folgenden exemplarisch beleuchtet werden.

Justus, der erste Detektiv, gilt als überdurchschnittlich intelligent. Er besitzt ein fotographisches Gedächtnis[31] und ist oft den beiden anderen Detektiven gedanklich einen Schritt voraus oder lässt sie absichtlich im Dunkeln tappen.[32] Damit wird sich anhand seiner Figur einer Sherlock Holmes Trope[33] bedient, indem er anknüpfend an den Männlichkeitsmythos von Rationalität das Symbol analytisch-rationalen Denkens verkörpert.[34] Dabei ist er der Innbegriff von Mansplaining, indem er ungefragt die Welt erklärt.[35] Er ist mutig und furchtlos. Allerdings hat er wenig Empathie, z.B. für Peters Unwissenheit oder seine Ängste.[36] Besonders gegenüber Frauen, wie z.B. Kelly, Peters Freundin, oder Jelena, einer Freundin der drei Jungen, ist Justus unhöflich und wertet sie ab.[37] Die daraus resultierende Frauenfeindlichkeit, wird in der Hörspielreihe allerdings nicht als in der Gesellschaft strukturell begründet angesehen, sondern ist darauf zurückzuführen, dass die Freundinnen der Detektive deren Zeit beanspruchen.[38] Darüber hinaus muss auch Justus trotz seines Geniecharakters einiges aushalten, denn in beinah jeder von den bisher über 200 Folgen kommt Fettfeindlichkeit zum Ausdruck, indem Justus Fettshaming ausgesetzt ist, sowohl durch seine Feinde als auch seine Freunde. Dabei wird Justus besonders von Peter gemaßregelt, wie z.B. in „Poltergeist“ als Peter sagt: „Beherrschung Pummel, Beherrschung!“ als Justus meint, das Essen sehe lecker aus.[39] Das Fettshaming geht auch von Seiten der am Geschehen unbeteiligten Erzählstimme aus, wie bereits erwähnt wurde.[40] Durch die wiederholte Thematisierung von Justus Diäten, wird einerseits ein Bild dessen konstruiert, dass, wer nicht der Schlankheitsnorm entspricht, sich gerne an diese angleichen möchte und sollte und andererseits ein Selbst-Schuld-Motiv, wenn es darum geht nicht Gewicht verloren zu haben, indem immer wieder beschrieben wird, wie Justus es nicht schafft, seine Diäten durchzuhalten.[41] Einerseits kann hier festgehalten werden, dass Justus zwar trotz seiner Physis und die Diskriminierung, die er dadurch erfährt, weiterhin schlagfertig und selbstbewusst ist, was als Vorbild gelten kann, doch andererseits beruht seine ganze Anerkennung darauf, dass er überdurchschnittlich intelligent  ist. Damit er also ernst genommen wird, und nicht als undiszipliniert abgewertet wird, müssen seine kognitiven Fähigkeiten überragend sein.

Peter, der zweite Detektiv, gilt als außerordentlich sportlich und gutaussehend.[42] Allerdings ist er oft ängstlich und seinen Kollegen kognitiv unterlegen.[43] Zusätzlich glaubt er oftmals zu Beginn eines neuen Falls an die übernatürlichen Phänomene, wie Geister – im Gegensatz zu Justus, der für alles eine logische Erklärung zu haben scheint.[44] Dies bekommt er immer wieder durch Kommentare zu hören. Diese Kommentare schließen an jenes Männlichkeitsbild an, dass Emotionen unterdrücken soll, z.B. durch ein „Reiß dich zusammen, Peter!“[45], was dieser nicht selten zu hören bekommt. Damit wird besonders kleinen Jungen suggeriert, sie seien schwach, wenn sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen.[46]

Bob bildet in vielerlei Hinsicht die Brücke zwischen Justus und Peter, die oft so unterschiedlich sind. Er ist der Streitschlichter und ergreift mal für den einen und mal für den anderen die Initiative. Dadurch wird er als einfühlsam und empathisch charakterisiert. Er kann sich Informationen gut erschließen, ist damit nicht so intelligent, wie Justus, aber knüpft an das Männlichkeitsbild von Logik an.[47]

Somit vereinen die drei Detektive vermeintlich typisch männliche Eigenschaften in sich, wie „Intelligenz/ kognitive Fähigkeiten (Justus), Sportlichkeit, Charme (Peter) und die Fähigkeit sich Informationen zu erschließen (Bob).“[48] Abgewertet wird die Emotionalität bei Peter, sowie Justus Körper, der nicht der gängigen Schönheitsnorm entspricht.

Grundsätzlich positiv ist, dass anhand der drei eine Jungenfreundschaft geschildert wird, die zeigt, dass auch der beliebte Sportler (Peter) mit den Nerds (Justus und Bob) befreundet sein kann und sich die drei umeinander sorgen und somit deutlich wird, wie wichtig sie sich sind. Dennoch kommunizieren sie ihre Gefühle füreinander zumeist nicht offen, ihre Zuneigung zueinander wird nur in der Furcht um das Leben des anderen deutlich und Körperlichkeit zwischen den dreien, wie eine Umarmung nach dem erfolgreichen Lösen eines Falles, findet keine Erwähnung.

2.2 Weiblichkeiten in „Die drei Fragezeichen“

Frauen- und Mädchenrollen, die von Bedeutung sind, gibt es in den meisten Folgen nicht.[49] Weibliche Figuren fungieren als Nebencharaktere, die ersetzbar sind. Die marginale Position von weiblichen Rollen zeigt sich auch anhand einiger Zahlen: Bis zur Hörspielfolge 71 sind nur 14,91 % Sprecherinnen, d.h. pro Folge sind durchschnittlich 10,45 Sprecher und 1,83 Sprecherinnen zu hören.[50] Heute mag das vielleicht etwas anders sein, aber die männliche Dominanzposition ist immer noch sehr deutlich hörbar: Die letzten zehn erschienenen Folgen (Folge 208-217), die im Durchschnitt 13,5 Sprechrollen aufweisen, haben einen Frauensprechanteil von durchschnittlich 3,2 weiblichen Stimmen, was in etwa 23,5 Prozent an Frauensprecherinnen ausmacht.[51] Grundsätzlich kann angenommen werden, dass nahezu alle Folgen von „Die drei Fragezeichen“ nicht den Bechdel-Test[52] bestehen würden, da einerseits wenig Frauen in den Folgen vorkommen und diese in nahezu keiner Folge miteinander sprechen. Die jüngst erschienene Folge (Folge 217) sticht mit einem Frauensprechanteil von einem Drittel positiv heraus. Allerdings haben zwei der fünf weiblichen Sprechrollen keinen Namen. Sie werden als „Dame“ und „Lady“ aufgelistet,[53] was sie auf ihr Frausein reduziert.

2.2.1 Familienbild

Bei allen drei Jungen wird das Bild einer heterosexuellen weißen Kernfamilie der Mittelschicht[54] deutlich.[55] Familie, so wie auch Schule, spielen in „Die drei Fragezeichen“ eine marginale Rolle, aber dennoch hilft Bobs Vater, Mr. Andrews, den Detektiven bei einigen Fällen, indem er ihnen z.B. Informationen aus dem Archiv besorgt, da er bei der Zeitung arbeitet.[56] Mrs. Andrews, sowie auch Mrs. Shaw, Peters Mutter, haben keinerlei erkenntliche Funktion für die Handlungen und über sie ist nicht viel bekannt.[57] Sie sind lediglich diejenigen, welche besorgt am Telefon zu hören sind, wenn ihre Söhne verschwunden sind.[58] Damit erschienen sie alleinig, um den Hörenden deutlich zu machen, dass Peter und Bob in intakten heterosexuellen Kernfamilien aufwachsen. Ihre Rollen werden auf ihr Muttersein beschränkt. Weibliche Figuren werden reduziert und erscheinen, wie häufig in medialen Darstellungen, ausschließlich als „die Mutter von…“.[59] Sie treten somit nicht als eigenständige Individuen auf, die unabhängig von ihrem Beziehungsstatus zu einem der Detektive existieren.[60]

2.2.2 Unsichtbare Mädchen

Die Position des Ersetzbaren von Frauenrollen, wird auch im wörtlichen Sinne deutlich, denn sowohl Kelly, als auch Jelena wurden aus den Hörspielen explizit herausgeschrieben und z.B. in „Das Geisterschiff“ durch Peters männlichen Freund Jeffrey ersetzt. Die Begründung des Hörspielproduzenten und Autor André Minninger, bezieht sich einerseits darauf, dass die Figuren nicht handlungstragend seien (und genau darin liegt schließlich das Problem) und andererseits, dass die Reaktion der Fans gegenüber den Freundinnen der drei Detektive negativ waren.[61]  Es heißt, dass die Freundinnen „den Handlungs- und Erzählfluss [hemmten] und  […] zudem erwachsene Probleme, die nicht dem ursprünglichen Konzept der Serie entsprachen, [boten].“[62] Hinter dieser Auslöschung weiblicher Figuren steht ein patriarchales System, in welchem Figuren wie Jelena, Kelly und auch Elizabeth (die Freundin von Bob) nur als Partnerinnen der Jungen gedacht werden können und somit lediglich die Detektive heterosexuell und damit normkonform verortet werden können. Daher sind sie, ähnlich wie die Mutterrollen, nur „die Freundin von…“, statt ein eigenständiges Individuum, was an der Entwicklung einer Geschichte beteiligt sein könnte. Sie werden in passive Zustände gedrängt und ihnen wird ihre Agency abgesprochen.[63]

In den früheren Folgen, in denen die Mädchen noch auftreten, wird ihnen wenig Handlungsfähigkeit zugeschrieben. Dies wird unter anderem in „Fußball-Gangster“ deutlich als die Mädchen den Jungen erzählen, dass sie herausgefunden haben, wer für die Briefbomben verantwortlich war. Peter wird an dieser Stelle sehr aufbrausend und ruft: „Seid ihr verrückt geworden?!“[64], da sie versprochen hätten, sich aus den Fällen der Detektive herauszuhalten, da es „zu gefährlich“ sei.[65] Dies ist ein Motiv, dass beispielweise auch in „TKKG“ auftritt, wenn Gaby, die sogar Teil der Detektivbande ist,  von manchen Aktivitäten ausgeschlossen wird, weil sie als zu gefährlich für ein Mädchen eingestuft wird.[66] Besonders in der erwähnten Folge wird deutlich, wie die Detektive die Mädchen übergehen und sie nicht ernst nehmen  – obwohl Elizabeth viel mehr Ahnung von Fußball und seinen Regeln hat als die drei Detektive.[67] Die Wut der Mädchen über die Ignoranz ihrer Freunde wird von den Detektiven abgetan, indem Peter sagt: „Jetzt seid doch nicht albern!“[68] Damit wird hier die Emotion der Mädchen als übertrieben und zu dramatisch abgewertet. Der Stereotyp der Frau als zu emotionsgeladen wird hier somit weitergeführt. Es scheint nicht möglich zu sein, die Freundinnen der drei Jungen, ohne ein Klischee zu besetzen, denn Andreas Fröhlich äußert in einem Interview: „Das hemmt die Ermittlungen, wenn zwischendurch die Freundin kommt und sagt: Du musst jetzt aber mit mir noch shoppen gehen.“[69] Die Aussage, die Fröhlich hier trifft, ist sexistisch, da sie sich eines weiblichen Klischees bedient, welchem die Freundinnenfiguren nicht einmal entsprechen. Deutlich wird damit, dass auch auf Seiten der Sprecher*innen keinerlei Reflexion bezüglich sexistischer Bilder, die hier vermittelt werden, stattgefunden hat.

2.2.3 Figurenbetrachtung

Trotz der grundsätzlich mangelhaften Repräsentation weiblicher Figuren, ist es erforderlich genauer auf die Darstellungsweisen der wenigen weiblichen Figuren einzugehen. Ich werde mich dabei besonders auf Kelly und Jelena fokussieren. Es gilt allerdings zu erwähnen, dass auch Justus eine Freundin, Lys de Kerk, hatte, die jedoch noch weniger Raum in den Folgen einnimmt. Lys‘ Figur wird in den Hörspielen oberflächlich abgehandelt, was sich unter anderem anhand dessen zeigt, dass die verschiedenen Autor*innen sich darüber uneinig waren, ob sie die Freundin, d.h. eine Person mit der Justus in einer romantischen Beziehung ist, oder eine Freundin von Justus ist, d.h. eine Person mit der Justus eine Freund*innenschaft unterhält.[70]

Bob ist in einigen Hörspielfolgen, bis zur Trennung, die allerdings nur irgendwann Erwähnung findet und keinen Handlungsstrang ausmacht, mit Elisabeth Zapata (auch Liz oder Beth genannt) zusammen, die in „Fußball-Gangster“ von Justus lediglich als Bobs „Anhang“ vorgestellt wird.[71] Liz taucht allerdings auch nur in zwei von zehn vertonten Geschichten auf und wird ansonsten lediglich erwähnt.[72] Wie wenig Aufmerksamkeit den Freundinnen und besonders ihrer charakterlichen Tiefe zukommt, wird dadurch bemerkbar, dass sie nicht immer von der gleichen Sprecherin gesprochen werden – im Gegensatz zu den drei Detektiven, deren Stimmen und die dahinterstehenden Sprecher für die Persönlichkeiten der drei Jungens stehen. So wird Lys z.B. in „Fußball-Gangster“ von Kerstin Draeger gesprochen[73] und in „Angriff der Computerviren“ von Anika Pages[74]. In „Giftiger Gockel“ hingegen spricht Draeger Kelly[75], die in „Fußball-Gangster“ von Juliane Szalay gesprochen wird[76]. Diese Vereinheitlichung der Freundinnen der Detektive wird besonders in „Fußball-Gangster“ deutlich, denn hier treten Kelly, Lys und Elisabeth gemeinsam in Erscheinung. Sie werden immer wieder als „die Mädchen“ bezeichnet und oft nicht einzeln erwähnt, sodass den Hörenden nicht immer klar ist, welche der drei spricht.[77] Damit wird ihnen jegliche Individualität genommen.

Kelly Madigan gilt, ebenso wie Peter, als schön und sportlich. Sie entspricht damit – ähnlich wie Peter – einem normativen Schönheitsbild. Kellys Charakter wird als anstrengend dargestellt und sie neigt zu Hysterie,[78] wodurch sogar Peter neben ihr als der Vernünftigere inszeniert wird. Damit bedient Kelly das negativ aufgeladene Klischeebild einer Frau. Die Hysterie ist zudem ein zutiefst sexistisches Konstrukt, was fälschlicherweise in der Biologie von Menschen mit Uterus begründet wurde.[79] In „Gefahr im Verzug“ wird Kelly darüber charakterisiert, dass ihre Lieblingsreporterin eine – wie Justus sie nennt – Klatschreporterin ist, was Kelly damit ihren Intellekt abspricht und diese abwertet.[80]  Ähnlich wird sie auch kognitiv unterlegen dargestellt, als sie in „Fußball-Gangster“ fragt „Warum ist denn da [im Video] kein Ton?“ und Peter genervt antwortet: „Das ist Zeitlupe, Kelly.“[81] Der sonst manchmal auch etwas kognitiv unterlegene Peter wird hier im Vergleich zu Kelly damit aufgewertet. In anderen Folgen wie „Poltergeist“ vermittelt Kelly den drei Detektiven nur einen Fall und somit erfahren die Hörenden wieder nicht mehr über sie als lediglich den Fakt, dass sie Peters Freundin ist.[82] In „Späte Rache“, als Peter verschwunden ist, kombiniert sie allerdings auch und hilft bei der Lösung des Falls, dennoch ist sie keine Konkurrenz für den Intellekt der drei Detektive.[83]

Jelena Charkova hingegen kann als weibliches Gegenstück zu Justus gelesen werden. Sie ist intelligent, mutig und wissbegierig. In „Botschaft von Geisterhand“ eignet sie sich selbstständig die Chemie an und entwickelt eine Flüssigkeit, die eine unsichtbare Schrift sichtbar macht, deren Geheimnis nicht einmal die drei Fragezeichen lösen können.[84] Ebenso wie Justus ist auch sie arrogant und wortgewandt, sehr zum Ärgernis des ersten Detektivs, den, im Gegensatz zu Peter und Bob, mit Jelena eine feindliche Konkurrenzfreund*innenschaft verbindet.[85] Dennoch ist sie die einzige Frauenrolle, die sich gegen weibliche Klischees wendet und als stark und selbstbewusst hervortritt. Darunter leidet allerdings die Sympathie für sie, da sie vor Arroganz strotzt. Den drei Detektiven ganz überlegen ist sie allerdings nicht, da sie im Rollstuhl sitzt und somit nicht so mobil wie die drei Detektive ist. Daher ist sie Justus an physischer Schnelligkeit immer noch unterlegen.[86] Somit ist sie immer wieder auf die Hilfe von den Jungen angewiesen, die sie z.B. hilfsbereit die Treppen hochtragen.[87] Jelena tritt in sieben Büchern in Erscheinung, ist allerdings nur in vier der Hörspiele zu den Büchern als Figur vertreten. [88]

Mathilda Jonas, Justus Tante, ist die einzige weibliche Rolle, die bis heute in den Folgen in Erscheinung tritt. Sie hebt sich besonders durch ihre Backkünste hervor. Sie unterstützt ihren Mann, Titus Jonas, im Trödelgeschäft, aber wird insbesondere als Hausfrau charakterisiert. Sie ist sorgsam und gefühlvoll.[89] Dabei ist sie das Sinnbild unbezahlter Care Arbeit. Somit knüpft ihre Figur an ein weibliches Klischeebild einer Übermutter an. Allerdings wird Mathilda auch immer wieder als anstrengende und lästige Figur inszeniert, indem sie ständig die Hilfe der Jungen benötigt und zum Jammern neigt, was besonders in ihrer Stimme deutlich wird.[90]

Als ich vor einiger Zeit „Geisterbunker“, eine der neusten Folgen hörte, war ich freudig überrascht als plötzlich Kommissarin Merryweather eingeführt wurde, die für diese Folge die Vertretung von Inspector Cotter ist. Doch ich wurde schnell enttäuscht, denn die Kommissarin wird als eine unsympathische Person eingeführt, da sie eigennützig die drei Detektive erpresst, damit diese ihr die Arbeit abnehmen und langweilige Fälle für sie lösen.[91] Sie stellt sich allerdings im Verlauf der Folge als taffe Frau heraus, die jedoch dem Klischee einer Großstadtkommissarin ausgesetzt ist und deren Charakter sich an billigen Motiven bedient, wie ihr harter Ton, der Erlaubnis bei einer Verfolgung das Tempolimit zu überschreiten – „geben Sie Stoff!“[92] – und ihrer aufreizenden Kleidung. Auf den Charakter der Kommissarin lässt sich auch anhand einer Szene schließen, in welcher diese Titus Jonas „schamlos“[93] – so Mathilda – anflirtet. Mathilda greift daraufhin nicht ein, aber wertet später die Kommissarin ab, indem sie ihren Kleidungsstil herabsetzt.[94] Dies führt zu einer sehr negativen Darstellung der Kommissarin.  Zum anderen wird hier deutlich, wie bei diesem Konflikt der Eifersucht der männliche Part, Titus, keinerlei Position bezieht und beziehen muss und somit Matilda nicht sauer auf Titus ist, sondern auf die Kommissarin. All dies sind Komponenten, die in einem patriarchalen System vorherrschen. Somit reproduziert diese Szene patriarchale Rollenbilder und zieht männliche Akteure aus jeder Verantwortung.

Es wird deutlich, dass die Frauen- und Mädchenfiguren starken weiblichen Klischees ausgesetzt sind, die hier reproduziert werden. Die weiblichen Charaktere sind oftmals mit lästigen Eigeschalten besetzt und können daher auf wenig Sympathie der Hörenden hoffen. Somit kann hier von einer misogynen Darstellungsweise gesprochen werden. Statt die weiblichen Figuren „gut altern“ zu lassen und an jetzige gesellschaftliche Errungenschaften von Frauen in den Medien teilhaben zu lassen, wurden ihre Rollen herausgeschrieben. Die Betrachtung macht folgendes deutlich:

By linking women primarily to domestic activities, the family, and private matters, rather than to positions of power and authority, the media socialize a view of women as dependent, inferior, and subordinate. We can see this in the predominance of roles for women as housewives, mothers, and romantic partners.[95]

2.3 Queerness in „Die drei Fragezeichen“

Wie bereits deutlich wurde, zeichnet sich die Welt der drei Detektive durch ein binäres und heterosexuelles System aus. Es gibt wenige Bücher, und noch weniger Hörspielfolgen, in welchen queere Charaktere in Erscheinung treten.[96] Dennoch gibt es wenige Folgen, in welchen mit heteronormativen Vorstellungen von Geschlecht gebrochen wird. In der Folge „Höhenangst“ aus dem Jahr 2019, die von Andre Minninger verfasst wurde,[97] ist die Figur des Bösewichts durch eine Person besetzt, die scheinbar auch ein Mörder[98] aus einem Buch nach wahrer Begebenheit ist, das Bob in der Folge liest. In dem Buch wird der „Psychopath“, wie der Erzähler ihn nennt, dadurch als „geisteskrank“ charakterisiert, weil er seine weiblichen Entführungsopfer dazu zwingt, sich vor ihm zu schminken.[99] Bob erhält während des Lesens einen Drohanruf.[100] Wie sich später herausstellt, handelt es sich dabei nicht um die gleiche Person, wie aus dem Buch, auch, wenn die Detektive dies annehmen sollen. Die Detektive werden während des Falls von einer Person beobachtet, die Frauenkleider trägt, aber laut Peter keine Frau sein kann, wegen der Perücke und der „männlichen Figur“, weswegen die Person wie ein „absoluter Fremdkörper“ wirke.[101] Die Figur weicht mit ihrem Erscheinungsbild von heteronormativen Vorstellungen ab und lässt sich damit dem Begriff von Queercoding zuordnen, gleichermaßen wie die Verbindung von Männlichkeit und einer Affinität für Schminke. Queercoding meint, dass Stereotype und verschiedene Tropen, die mit der LGBTQ Community verknüpft sind, genutzt werden, um einer eindeutigen queeren Zuordnung, wie z.B. der Homosexualität eines Charakters, auszuweichen, sie aber dennoch anzudeuten. Dies beruht auf dem ursprünglichen Verbot, Queerness in Film und Fernsehen abzubilden. Somit wurde Queercoding einst verwendet, um dieses Verbot zu umgehen, doch auch heute noch, obwohl LGBTQ-Figuren längst vielfältig zu sehen sind, wird das Queer-Sein vieler Figuren im Versteckten verhandelt, sodass sich Stereotype weiter reproduzieren und Queerness als unnormal wahrgenommen wird.[102] Die hier verwendete Trope nennt sich „Creepy Crossdresser“. Diese Trope zeichnet Charaktere aus, die meistens sadistische Männer sind und deren Tragen von Frauenkleidern und auch Schminken insbesondere dazu dient, sie als gruselig und böse darzustellen.[103] Die Darstellung des Creepy Crossdressers ist queerfeindlich, da Queer-Sein mit böse und psychisch krank gleichgesetzt wird. Das Motiv des Creepy Crossdressers wird in „Höhenangst“, wie in vielen anderen Filmen,[104]aufgegriffen und reproduziert.

In Fankreisen wurden immer wieder Theorien über die mögliche Homosexualität der drei Jungen, insbesondere Peter, diskutiert. Die Sprecher der Detektive haben mehrmals betont, dass die Sexualität der Jungen nicht wichtig sei, dennoch haben sie in Interviews Andeutungen bezüglich der Homosexualität der Figuren von sich gegeben.[105] Dies kann in den Kontext von Queerbaiting eingeordnet werden. Bei Queerbating wird offengelassen, ob eine Figur queer, z.B. homosexuell, ist, um einerseits ein queeres Publikum anzulocken und andererseits mögliche homofeindliche Fans nicht zu verärgern.[106]

Eine offen queere Person ist die Figur Monique Carrera, die in zwei Folgen ihren Auftritt hat. In „Das Hexenhandy“ wird deutlich, dass Monique eine trans Frau ist. Schon ihre Einführung in die Geschichte ist problematisch zu sehen, denn sie wird zunächst als unfreundliche „aufgedonnerte Blondine“ inszeniert.[107] Schon in dieser Beschreibung kommen misogyne Tendenzen zum Ausdruck, da die Weiblichkeit von Mrs. Carrera abgewertet wird. Bei der ersten Begegnung der Detektive mit Mrs. Carrera lesen diese Monique als cis Frau, doch schnell wird von einer Kollegin von Mrs. Carrera ihr trans-Sein thematisiert, indem sie sehr transfeindliche Aussagen trifft, wie „In einem Cabaret wäre die Diva besser aufgehoben als bei einem seriösen Unternehmen.“[108] Durch die Bezugnahme zu dem Cabaret als Ort für oftmals parodistische Verkleidungen wird Mrs. Carrera ihr Frau-Sein abgesprochen und ihr Geschlecht wird invalidiert. Daran anschließend wird dies auch in der Nennung ihres Deadnames, d.h. der Geburtsname, den die Person abgelegt hat, deutlich, der „ihr wirklicher Name“ sei.[109] Auch von Seiten der Detektive wird Mrs. Carrera zuerst nicht als Frau anerkannt, denn Justus spricht von „Mrs. oder Mr. Carrera“.[110] Dennoch sprechen die Detektive im weiteren Verlauf der Handlung immer von Mrs. Carerra und benutzen ausschließlich die Pronomen „sie/ihr“. Auch die Erzählstimme spricht von ihr als Frau. Als Mrs. Carerra von ihrem Chef gefeuert wird, weil sie eine „Schande“ für das Unternehmen sei, äußert sich auch Justus zu diesem transfeindlichen Vorfall: Er spricht von „menschenverachtenden“ Verhalten und meint, dass dies „in keinster Weise zu entschuldigen“ sei.[111] Dennoch auch problematisch zu sehen, ist, dass Mrs. Carerra relativ schnell als die Verdächtige ausgemacht wird, die als gruselige hässliche Hexe Kinder entführt und sie in einen Käfig sperrt. Zwar stellt sich der Verdacht später als falsch heraus, aber dennoch wird erneut das Bild einer queeren Rolle als böse reproduziert. Das Motiv der Hexe und deren Darstellung in der Folge sind ebenfalls kritisch zu betrachten, da es auf misogyne Weiblichkeitskonstrukte der Hexenverfolgung zurückzuführen ist. Trotz dessen, dass Mrs. Carrera sich am Ende als positive Figur herausstellt, wird im Verlauf der Geschichte immer wieder auf ihr bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht verwiesen, obwohl es nicht tragend für die Handlung ist. Damit wird ihre Figur besonders auf ihr trans-Sein reduziert und sie ist Othering ausgesetzt. Othering meint den Prozess des Exkludierens jener Menschen, die nicht als Teil der Dominanzgesellschaft wahrgenommen werden. Besonders durch Tropen findet Othering Ausdruck. [112]

3. Rassismuskritischer Ausblick

Es wurde sich intensiv mit der Genderfrage und Analyse der Reproduktion geschlechtlicher Stereotype befasst. Ein gleichermaßen wichtiger Punkt, den es aufzuarbeiten gilt, und der hier nur exemplarisch angerissen wird, ist die Reproduktion rassistischer und kolonialer Motive und Konzepte in „Die drei Fragezeichen“. Wer sich einmal lediglich die Titel der Hörspiele ansieht, merkt schnell, dass darin viele nicht-weiß-westliche Motive auftauchen, wie „Der Schatz der Mönche“, „Die flüsternde Mumie“, „Im Bann des Voodoo“, „Die Rache der Samurai“ oder „Das Volk der Winde“. Das Unbekannte, was es zumeist zu entdecken und erforschen gibt, ist somit mit nicht-westlich-weißen Motiven zu verknüpfen. Damit tragen die Folgen zu der Konstruktion eines „exotischen“ Anderen bei. Es herrscht zu Spannungszwecken das Konzept des Otherings vor. Dies schließt an das kolonialistische Narrativ des Entdeckens an. Beispielsweise in Folgen wie „Das Grab der Maya“, erschienen im Jahr 2020, werden Bilder einer Entdeckerkultur reproduziert, die an koloniale Zusammenhänge anschließen. Wie auch bereits das Zitat Andreas Fröhlichs bezüglich der Freundinnenthematik gezeigt hat, wird auch durch eine Aussage Oliver Rohrbecks deutlich, dass keine rassismuskritische Reflexion bei den Sprecher*innen vorliegt. In einem Interview antworte Rohrbeck auf die Frage, in welche Zeit er gerne reisen würde: „Ich würde erst einmal in die Zeit der Kolonialisierung reisen und wäre gerne mit den ersten Leuten in Indien gewesen.“[113] Mit den „ersten Leuten“ meint er wohl nicht die indische Bevölkerung, die schließlich vor den Europäer*innen da war, sondern die sogenannten portugiesischen „Entdecker“. Hier negiert Rohrbeck, dass er als „Entdecker“ Indiens wenig mit einem überromantisierten Abenteurer zu tun hat, sondern ein gewalttätiger Ausbeuter ist, der auf Grund von kapitalistischen Interessen die Bewohner*innen eines Landes gewaltsam unterwirft. Der Begriff des „Entdeckens“ unterliegt einer weißen Positionierung und meint eine koloniale Entität, die nicht-weiße Räume als leer imaginiert und das gewaltsame Eindringen in jene als „gute Tat“ konstruiert.[114] Dies zeigt sich auch auf inhaltlicher Ebene in den Hörspielen, wie z.B. in „Das kalte Auge“, erschienen im Jahr 2017, als Bob sagt: „Im Jahr 1590 in der Zeit als Nordamerika zum ersten Mal besiedelt wurde“.[115] Damit negiert auch er, dass vor dem Ankommen der Spanier, Nordamerika bereits von Menschen besiedelt war – nur eben keine weißen europäischen Menschen. Das Interview mit Rohrbeck ist auf der offiziellen Webseite der drei Fragezeichen nachzulesen. Dies macht deutlich, dass auch auf Seiten der Produktion kein kritisches Hinterfragen der Motive stattgefunden hat und keine Differenzierung von Rohrbecks Aussage vorliegt. Die koloniale Definitionsmacht findet sich zusätzlich in immer wieder auftauchenden Wörtern und Motiven wie „Indianer“ wieder, wie z.B. in „Das kalte Auge“. Dabei ziert sogar das Bild einer großen finsteren Figur mit Federschmuck, langem Haar etc. die offizielle Website der drei Fragezeichen. Das Bild soll einem native American nachempfunden sein, aber knüpft an stereotype Bilder der indigenen Bevölkerung Amerikas an, die von Weißen konstruiert wurden. „Indianer“ ist ein kolonialer Begriff, der von europäischen Gesellschaften dazu diente, sich von der Gruppe abzugrenzen, die sie überfallen (haben). [116] Mit dem Begriff wird ein homogenes und willkürliches Bild „verschiedenster geografisch und kulturell diverser Gesellschaften“ Amerikas erzeugt und damit wird ein rassistisches Konstrukt weiter aufrechterhalten.[117]

Besonders deutlich werden in „Die drei Fragezeichen“ auch Narrative, die sich anti-schwarzem Rassismus bedienen. In „Dopingmixer“ beschreibt die Erzählstimme: „Am Nachmittag trafen sich Justus, Bob und Glenn, ein dunkelhäutiger, sportlicher und sehr erfolgreicher Schüler.“[118] Das weiß-Sein der anderen Figuren findet keinerlei Erwähnung. Somit sind sie als Weiße zu lesen, die allerdings in ihrem weiß-Sein unsichtbar sind und daher als Norm deklariert werden. Schwarz wird als das rassifizierte „Andere“ konstruiert.[119] Zusätzlich ist „dunkelhäutig“ eine Fremdbezeichnung von Weißen für Schwarze Menschen, die sich damit der Eigenbezeichnung „Schwarz“ widersetzen.[120] Justus spricht in der Folge „Der Doppelgänger“ aus dem Jahr 1981 sogar von „verschiedenen Rassen“[121] bei Menschen. Damit bedient er sich einem rassistischen Vokabular. „Rasse“ ist ein erfundenes von Weißen erschaffenes Konstrukt, das keineswegs biologisch fundiert ist und dazu dient, die weiße Herrschaft zu legitimieren.[122]

Zusätzlich bedient sich „Die drei Fragezeichen“ auch Motiven, die im anti-asiatischen Rassismus zu verorten sind. In „Das Hexenhandy“, kann die Bedienung eines chinesischen Restaurants kein „R“ sprechen und spricht anstatt dessen ein „L“.[123] Hier wird sich eines rassistischen Stereotyps bedient, der eine Rolle lediglich durch ihre mögliche Nationalität kennzeichnen möchte. Dies kann, ähnlich wie Black- oder Yellow-Facing, als Yellow-Voicing verstanden werden. Besonders hinsichtlich dessen, dass es vermutlich ein weißer Sprecher war, der die Rolle der Bedienung spricht, ähnlich, in „Dopingmixer“, wo der Sprecher von Glenn ebenfalls weiß, ist.[124] Damit wird marginalisierten Gruppen auch im wörtlichen Sinne ihre Stimme abgesprochen. In erwähntem Beispiel geht die Produktion sogar noch einen Schritt weiter, indem sie die Sprechart der Figur nach einem rassistischen Stereotyp auslegen.

Auch Jens Wawrczeck, der Sprecher von Peter, scheint wenig Anspruch an politische Korrektheit zu stellen, denn er merkt in einem Interview an: „Das ist ein Kinderhörspiel, ursprünglich. Es ist kein Produkt, das sich jetzt wirklich gesellschaftskritisch äußert, oder historische Dinge aufrollt.“[125] Anhand dieser durchaus problematischen Perspektive, die den Bildungsauftrag, der Medien für Kinder innewohnt, nicht zu sehen scheint, wird sichtbar, wie wichtig es ist, in der Medienanalyse koloniale und rassistische Kontexte aufzurollen – besonders, weil es auch ein Kinderhörspiel ist und bereits im Kindesalter antirassistische Arbeit anfangen muss, ebenso wie antisexistische Aufklärung.

Schluss

Die Welt der drei Fragezeichen ist voll von problematischen Darstellungsformen, wie sich gezeigt hat. Es wird eine patriarchale und weiß dominierte Welt konstruiert, aber gleichzeitig auch gespiegelt. Weiße, heterosexuelle cis Männer haben jede Definitions- und somit Handlungsmacht, was durch die Dominanz männlicher Sprechrollen deutlich wird. Frauenrollen sind marginal und zeigen wenig charakterliche Tiefe auf. Sie wurden ihrer Stimme beraubt und werden misogyn abgewertet. Queere Rollen sind einem Othering ausgesetzt und werden durch Stereotype diskriminiert. Nicht weiß-westliche Figuren werden als das „Andere“ und zu erforschende Objekt konstruiert.

Das, was in „Die drei Fragezeichen“ deutlich wird, hält uns einen Spiegel unseres Herrschaftssystems vor. Das problematische Männlichkeitsbild z.B. ist schließlich keines, welches sich die Autor*innen ausgedacht haben, sondern es werden Mythen und Stereotype von Männlichkeit aufgegriffen, die bereits gesellschaftlich aktiv sind, wie das „Reiß dich zusammen!“, dem Peter als Mann ausgesetzt ist. Die Hörspielreihe kann als Spiegel unserer patriarchalen Gesellschaft betrachtet werden. Ein Spiegel, der zeigt, dass sich die hier vermittelten Bilder schon über mehrere Jahrzehnte halten und weiter aufrechterhalten werden.

Ich möchte festhalten, dass – zumindest für ein weißes cis Publikum – die sexistischen und rassistischen Aspekte der Serie nicht offenkundig zu erkennen sind, wenn nicht bereits ein grundsätzlich feministisches und antirassistisch reflexives Bewusstsein dafür vorhanden ist. Dies macht vielleicht einen Unterschied zu „TKKG“ aus, da dort Begriffe wie das N-Wort benutzt werden[126] – ein Begriff, dessen Problematik mittlerweile viel mehr Leuten bekannt ist, ohne, dass diese ein rassismuskritisches Denken im weiteren Ausmaß vermittelt bekommen haben. Da dies in „Die drei Fragezeichen“ nicht der Fall ist und die Sexismen und Rassismen hier aus weißer cis Perspektive unterschwellig angelegt sind, wird die Gefahr diskriminierender Motive nicht als solche erkannt. Jedoch heißt das nicht, dass jene Motive deswegen nicht weniger problematisch sind. Da die Hörspiele schließlich besonders während Aktivitäten, wie Aufräumen oder Einschlafen konsumiert werden, läuft die Geschichte der drei Detektiven oftmals als Hintergrundgeräusch ab und so werden rassistische und sexistische Narrative möglicherweise noch weniger als solche wahrgenommen, aber flechten sich dennoch in das Unterbewusstsein mit hinein.  An dieser Stelle wäre es nötig weiterzuforschen, inwiefern der Wissensdiskurs um „Die drei Fragezeichen“ eine weiß und cis positionierte Wissensproduktion ist, in welcher marginalen Stimmen kein Platz zukommt.

Ich denke, dass es definitiv möglich wäre, dass die Folgen der drei Detektive auch ohne Rassismen und Sexismen auskommen, denn sie sind nie handlungtragend, machen nicht den Charakter der Serie aus und haben ihr bestimmt auch nicht zum Kultstatus verholfen. Ich höre die Folgen schließlich nicht, weil Kelly anstrengend ist oder Tante Mathilda bäckt, Justus adipös und Peter sportlich und weniger intelligent ist. Ich höre die Fälle gerne, weil sie für mich Kindheit sind. Eine Kindheit in der mein kleines Ich mitfiebern, sich angenehm fürchten wollte und die Gewissheit hatte, dass alles gut enden und niemand wirklich verletzt werden würde. Das funktioniert auch ohne Diskriminierung.

Ich sehe es als sehr wichtig an, dass, wenn mensch „Die drei Fragezeichen“ trotz seiner Problematik weiterhin hört, über eben jene problematischen Motive spricht und sich somit gegenseitig aufklärt. Wenn also eine neue Folge rauskommt und mensch sich mit anderen darüber austauscht, sollte auch die Thematisierung von kritisch zu betrachtenden Inhalten Teil des Gesprächs sein. Dennoch würde ich das Hörspiel keiner Person weiterempfehlen, die es noch nicht kennt und beispielsweise auf der Suche nach einem spannenden Krimi für Kinder ist. Ich hoffe sehr, dass sich zwischen, oder am besten außerhalb von „Die drei Fragezeichen“ und „Die drei Ausrufezeichen“ noch andere Krimiwelten finden lassen werden. Des Weiteren sehe ich eine Notwendigkeit dafür, dass die Produktion von „Die drei Fragezeichen“ ihren Stil ändert und so ein deutliches Zeichen gesetzt wird, Kinder anders sozialisieren zu wollen. Denn gerade jener Faktor des Beständigen, d.h. dessen, dass sich in der Welt der drei Detektive nichts verändert, ist besonders problematisch, da „Die drei Fragezeichen“ nicht auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse reagiert und somit weiterhin Diskriminierung reproduziert.  Jede Geschichte, die erzählt wird, so auch das Hörspiel, spiegelt und konstruiert Gesellschaft. Deswegen sind Hörspiele auch gesellschaftspolitisch und sollten sich somit ihrer politischen Verantwortung bewusst sein.


[1] „Die drei Fragezeichen“ stammt ursprünglich aus den USA, kam 1968 mit dem ersten Buch nach Deutschland und ist seit 1979 als Hörspiel auf dem Markt. In den USA wurden „Die drei Fragezeichen“ bereits 1990 abgesetzt, doch in Deutschland wird die Hörspielreihe immer noch weiter produziert, die mittlerweile über 200 Folgen umfasst. Auf Grund eines Rechtsstreits wurde die Hörspielreihe von 2006-2007 unter dem Namen „Die Dr3i“ mit kleinen Änderungen veröffentlicht. (Vgl. Europa. Die drei ???: „Bobs Archiv / Geschichte. Geschichte und Live-Hörspiel-Historie.) In den Hörspielen geht es um die drei Detektive Justus Jonas, der Chef des Unternehmens, Peter Shaw, den sportlichen zweiten Detektiv und Bob Andrews, der für Recherchen und Archiv zuständig ist. Die drei Freunde haben ihr Versteck auf dem Gelände des Gebrauchtwahrencenters von Justus‘ Onkel Titus Jonas bei welchem der erste Detektiv wohnt, da seine Eltern nicht mehr leben. Die drei lösen in jeder Folge einen neuen Fall. Dabei treten einerseits Figuren in Aktion, die nur einmalig vorkommen, aber es gibt auch konstante Helfer*innen, wie Inspector Cotter, der Verbündete der drei Jungen bei der Polizei. Auch, wenn manchmal Bezüge zu alten Fällen der Detektive hergestellt werden, steht jede Folge für sich und die einzelnen Folgen müssen nicht in der Reinfolge gehört werden.

[2] Vgl. Benjamin, Knödler: “Die drei Fragezeichen“.

[3] Vgl. Emde, Oliver, Andreas Wicke, and Lukas Staden: „Vorwort“ In Von “Bibi Blocksberg” bis “TKKG”: Kinderhörspiele aus gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. S. 7.

[4] Behrmann, Kai: „Die Rückkehr der Kult-Detektive“.

[5] Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“.

[6] Rütten, Finn: „Was »Die drei Fragezeichen« schon immer besser gemacht haben als »TKKG«“.

[7] Vgl. Schwarz, Carolina: „Tim und das N-Wort“.

[8] Brilling, Julia: „Political Correctness“. S. 496 f.

[9] Fron, Carina: „Von Blocksbergs bis Blümchen. Bibi, Pipi, Benjamin: Welche Werte uns Kinderhörspiele vermittelt haben“.

[10] Allerdings bin ich auf meiner Suche nach Literatur auf eine Masterarbeit gestoßen, die sich mit einem rassismuskritischen Blick mit „Die drei Fragezeichen“ auseinandersetzt. Die Arbeit von Hannah Pfeiffer ist unter dem Titel „»Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?« kritische Dekonstruktion Schwarzer Repräsentation in Die drei ???“ online zu finden. Aus ihren Quellen entnehme ich, dass auch sie kaum wissenschaftliche Sekundärliteratur zu „Die drei Fragezeichen“ gefunden hat.

[11] Vgl. Popal, Mariam: „Objektivität“. S. 464.

[12] Vgl. Buttler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. S. 22 ff.

[13] Vgl. Schößler Franziska: Einführung in die Gender Studies. S. 97 f.

[14] Vgl. ebd. S. 95.

[15] Emde, Oliver, Andreas Wicke, and Lukas Staden: „Vorwort“ In Von “Bibi Blocksberg” bis “TKKG”: Kinderhörspiele aus gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. S. 8.

[16] Vgl. Emde, Oliver, Andreas Wicke, and Lukas Staden: „Vorwort“ In Von “Bibi Blocksberg” bis “TKKG”: Kinderhörspiele aus gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. S. 9.

[17] Adichie, Chimamanda: „Die Gefahr der einen einzigen Geschichte“. 13:13-13:16.

[18] Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier: Gender Media Studies. S. 102.

[19] Vgl. Wikipedia: “Figuren aus Die drei ???“.

[20] Freie Universität Berlin: „Automechanikerinnen und Automechaniker – wie Sprache die kindliche Wahrnehmung von Berufen prägt.“

[21] Vgl. Wikipedia: „Die drei ??? (Hörspiel). Figuren und Sprecher“.

[22] Vgl. Wikipedia: „TKKG. Chronik der Hörspielsprecher“, Wikipedia: „Fünf Freunde. Sprecher der Europa-Produktion.“, Wikipedia: „Bibi Blocksberg. Sprecher.“

[23] Vgl. Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. S. 35.

[24] Folge 2014: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. Teil 3.

[25] Schößler Franziska: Einführung in die Gender Studies. S. 152.

[26] Vgl. Bola, JJ: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungen ist. S. 29.

[27] Vgl. Connell, Raewyn: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. S. 225.

[28] Vgl. Tippe: Sebastian: „Die drei !!!: Selbstbewusste Mädchen oder Manga-Barbie im Ermittlungswahn?“.

[29] Wolny, Teresa: „Hauptsache gut aussehen“.

[30] Vgl. Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht, S. 14.

[31] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Justus Jonas“.

[32] Vgl. Folge 217: „Die drei ??? und der Kristallschädel“. Teil 6;Teil 22.

[33] Der Begriff kommt aus der Rhetorik und hat besonders in der Popkultur Anklang gefunden, wobei hier der enge rhetorische Begriff der Trope von der popkulturellen Definition abweicht. Unter dem geläufigen englischen Begriff „Trope“ ist die Wiederholung von Motiven, Erzählmustern oder bestimmten Konventionen zu verstehen.

[34] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Sherlock Holmes“.

[35] Vgl. Tippe, Sebastian: „Die drei ???-Kids: Sexismus und Frauenverachtung im Männerclub“.

[36] Beispielsweise in „Die drei ??? und der Geisterbunker“ sagt Justus auf Peters drängen hin den Bunker nicht zu betreten „Ach, du solltest mich inzwischen besser kennen, Zweiter. Wenn man Justus Jonas vertreiben will, erreicht man nur das Gegenteil.“ Somit legt er bestimmend fest: „Wir werden da jetzt reingehen.“ (Folge 214: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. Teil 5.)

[37] Dies wird beispielsweise in „Gefahr im Verzug“ deutlich, als Kelly meint, dass die Reporterin ihrer Lieblingsshow „Showtime Heute“ vor Ort sei und Justus daraufhin erwidert: „Klatschreportage. Hohlköpfe, die über andere Hohlköpfe labern.“ (Folge 54: „Die drei ??? Gefahr im Verzug“. Teil 6.)

[38] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Freundinnen der drei Fragezeichen“.

[39] Folge 73: „Die drei ??? Poltergeist“. Teil 24.

[40] Siehe Abschnitt 2.1 der vorliegenden Arbeit.

[41] Vgl. Folge 47: „Die drei ??? und der giftige Gockel“. Teil 4, 10.

[42] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Peter Shaw“.

[43] Vgl. Folge 217: „Die drei ??? und der Kristallschädel“. Teil 5.

[44] Vgl. ebd. Teil 7.

[45] Folge 122: „Die drei ??? und der Geisterzug“. Teil 16.

[46] Vgl. Bola, JJ: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungen ist. S. 26.

[47] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Bob Andrews“.

[48] Tippe, Sebastian: „Die drei ???-Kids: Sexismus und Frauenverachtung im Männerclub“.

[49] Eines weniger Gegenbeispiele, ist die Rolle der Brittany aus „Das Erbe des Meisterdiebes“ und „Fuermond“. Sie hintergeht allerdings die drei Detektive und spielt Justus vor, dass sie in ihn verliebt sei. Somit ist ihre Rolle sehr negativ behaftet. (Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Brittany“.)

[50] Vgl. Tippe, Sebastian: „Die drei ???-Kids: Sexismus und Frauenverachtung im Männerclub“.

[51] Diese Zahlen sind auf eigene Zählungen und Berechnungen zurückzuführen, die anhand der Sprecher*innenlisten auf der offiziellen Webseite der drei Fragezeichen, durchgeführt wurden. (Vgl. Europa. Die drei ???: „Produktwelt / Hörspiele“.)  Folge 208: drei von 18 Stimmen sind weiblich, 209: drei von 13 Stimmen sind weiblich, 210: zwei von elf Stimmen sind weiblich, 211: eine von acht Stimmen ist weiblich, 212: drei von 13 Stimmen sind weiblich, 213: vier von 17 Stimmen sind weiblich. 214: Fünf von 15 Stimmen sind weiblich, 215: drei von 14 Stimmen sind weiblich, 216: drei von 12 Stimmen sind weiblich, 217: Fünf von 15 Stimmen sind weiblich. Damit sind 32 von 136 Stimmen weiblich gelesene Namen. Somit sind von diesen zehn Folgen im Durchschnitt 3,2 Stimmen weiblich, was einen Prozentanteil von 23, 5 Stimmen ergibt.

[52] Der Bechdel-Test richtet sich nach drei Kriterien, die in einem Film eingehalten werden müssen, sodass der Test als bestanden gilt: 1) In dem Film müssen mindestens zwei Frauen vorkommen. 2) Die zwei Frauen müssen miteinander sprechen. 3) In dem Gespräch geht es um etwas anderes als Männer. Über die Jahre sin hier noch weitere Kriterien dazugekommen, wie, dass die weiblichen Figuren nicht über Kinder reden sollten und Namen bekommen. (Vgl. Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 58.)

[53] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 217: Der Kristallschädel“.

[54] Anhand der Berufe der Eltern und Sorgerechtsbeauftragten liegt die Vermutung nahe, dass die drei Detektive der Mittelschicht angehören.

[55] Dabei ist Justus Familiengeschichte abweichend, im Gegensatz zu der seiner beiden Kollegen. Justus Eltern sind beide verstorben und er wohnt bei dem Bruder seines Vaters, Titus Jonas, und Mathilda Jonas. Dennoch ist er somit durch seine Eltern und auch seinen Onkel und seine Tante in einer heterosexuellen Kernfamilie sozialisiert.

[56] Vgl. Wikipedia: “Figuren aus die drei ???“.

[57] Vgl. ebd.

[58] Vgl. Folge 84: „Die drei ??? Musik des Teufels“. Teil 3.

[59] Vgl. Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 62.

[60] Zusätzlich gilt zu erwähnen, dass allerdings auch Peters Vater keine große Rolle zukommt.

[61] Vgl. rocky-beach.com: „Fragebox mit André Minninger“.

[62] Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Freundinnen der drei Fragezeichen“.

[63] Agency ist die Fähigkeit eines*einer Akteur*in zu handeln. Dabei geht es nicht um das Verständnis des Menschen als eine Kreatur (mit) der Dinge geschehen (Passivität), sondern als Kreatur, die Dinge geschehen lässt (Aktivität). (Vgl. Blackburn, Simon: „action“, „agent“.)

[64] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 38.

[65] Vgl. ebd.

[66] Vgl. Mayer Katharina: „Rassismus im Kinderzimmer“.

[67] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 18.

[68] Ebd.

[69] Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“.

[70] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Lys de Kerk“.

[71] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 3.

[72] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Elisabeth Zapata“.

[73] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 63. Fußball-Gangster“.

[74] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 56. Angriff der Computer-Viren“.

[75] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 47. Und der giftige Gockel“.

[76] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 63. Fußball-Gangster“.

[77] Vgl. Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 18.

[78] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Kelly Madigan“.

[79] Rotermund, Emma: „Hysterie“.

[80] Vgl. Folge 54: „Die drei ??? Gefahr im Verzug“. Teil 6.

[81] Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. Teil 24.

[82] Vgl. Folge 73: „Die drei ??? Poltergeist“. Teil 7.

[83] Vgl. Folge 69: „Die drei ??? Späte Rache“. Teil 8 ff.

[84] Vgl. Folge 95: „Die drei ??? Botschaft von Geisterhand. Teil 3 f.

[85] Vgl. ebd.

[86] Vgl. ebd. Teil 7.

[87] Vgl. Folge 84: „Die drei ??? Musik des Teufels“. Teil 25 f.

[88] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Jelena Charkova“.

[89] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Mathilda Jonas“.

[90] Vgl. Fogle 28: „Die drei ??? Botschaft von Geisterhand.“ Teil 16.

[91] Vgl. Folge 214: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. Teil 2.

[92] Vgl. ebd. Teil 13.

[93] Ebd. Teil 20.

[94] Vgl. ebd.

[95] Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 65.

[96] Vgl. Fandom. Die drei Fragezeichen Wiki: „Homosexualität und Transsexualität“.

[97] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 201. Höhenangst“.

[98] Da in dem Buch immer vom Mörder im generischen Maskulin gesprochen wird, verwende ich diese Bezeichnung hier auch.

[99] Vgl. Folge 201: „Die drei ??? Höhenangst“. Teil 3.

[100] Vgl. ebd. Teil 1 f.

[101] Ebd. Teil 16.

[102] Vgl. The Take: „Queer Coding, Explained. Hidden in Plain Sight“.

[103] Vgl. TV Tropes: „Creepy Crossdresser“.

[104] Der „creepy Crossdresser“ ist eine beliebte Trope in Krimi und Thriller. Beispielhafte Charaktere dafür sind Norman Bates aus „Psycho“ oder Jame Gumb aka. „Buffalo Bill“ aus „Das Schweigen der Lämmer“, dem im Film sein trans-Sein abgesprochen wird und eine „Geschlechtsidentitätsstörung“ zugeschrieben wird, weswegen er seinen weiblichen Opfern die Haut abzieht. Aber auch neue Filme, wie der Tatort „Die Amme“ aus dem Jahr 2021 greifen diese Trope auf.[104] Auch hier sind die Figuren nicht offensichtlich queer aber queercoded. (Vgl. Brandt, Ela: „Mörderische Transfeindlichkeit“. https://eleabrandt.de/2021/04/08/transfeindliche-motive-krimis/.)

[105] Vgl. Die Hörspieler: „Drei Männer vor dem Mikro“.

[106] Vgl. The Take: „Queer Coding, Explained. Hidden in Plain Sight”.

[107] Folge 101: „Die drei ??? und das Hexenhandy.“ Teil 21.

[108] Vgl. ebd. Teil 22.

[109] Ebd.

[110] Ebd.

[111] Ebd. Teil 32.

[112] Vgl. Harvey, Alison: Feminist Media Studies. S. 64.

[113] Europa. Die drei ???: „Das etwas andere Interview: Oliver Rohrbeck.“

[114] Sow, Noah: „Entdecken“. S.

[115] Special Folge: „Die drei ??? Und das kalte Auge“. Teil 10.

[116] Vgl. Sow, Noah: „Indianer“, S. 690.

[117] Ebd.

[118] Folge 60: „Die drei ??? Dopingmixer“. Teil 6.

[119] Vgl. Sow, Noah: „weiß“. S. 191.

[120] Vgl. Sow Noah: „Dunkelhäutig“. S. 628.

[121] Fogle 28: „Die drei ???und der Doppelgänger.“ Teil 20.

[122] Vgl. Arndt, Susan: „Rasse“. S. 660 f.

[123] Vgl. Folge 101: „Die drei ??? und das Hexenhandy.“ Teil 24.

[124] Vgl. Europa. Die drei ???: „Die drei ???, Folge 60. Dopingmixer“.

[125] Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“.

[126] Vgl. Schwarz, Carolina: „Tim und das N-Wort“.


Medienverzeichnis

Folge 28: „Die drei ???und der Doppelgänger.“ EUROPA 1881. Spotify: https://open.spotify.com/album/7Dbd2rya9glmBLVxclcU4d?si=dITqUvKFQ5mdYygllsoOdg [01.08.2022].

Folge 47: „Die drei ??? und der giftige Gockel“. EUROPA 1989. Spotify: https://open.spotify.com/album/3iWNsrEs9D0FFlKFfscdvL?si=A33xPX4gT1Si7ZvEQSj2ew [21.07.2022].

Folge 54 „Die drei ??? Gefahr im Verzug“. EUROPA 1992. Spotify: https://open.spotify.com/album/1Fg15cBLFliy6Kr60QqRan?si=n-qJ-AbVR1yRJTiUuBlkHw [21.07.2022].

Folge 60: „Die drei ??? Dopingmixer“. EUROPA. 1994. Spotify: https://open.spotify.com/album/7cBoiWgh1bTMZmCwJE0eMu?si=3EqMfC2DRrqNcX0SIFwXSw [03.08.2022].

Folge 63: „Die drei ??? Fußball-Gangster“. EUROPA 1995. Spotify: https://open.spotify.com/album/5GPTZKrD7eaCp9p6VOBuIN?si=r3plaeiTTeadutiYglRbPg [21.07.2022].

Folge 69: „Die drei ??? Späte Rache“. EUROPA 1996. Spotify: https://open.spotify.com/album/2erJcBofKBO6GFMqDPppsU?si=wsyCdkWWS2GHkH1cvLtYKw [06.08.2022].

Folge 73: „Die drei ??? Poltergeist“. EUROPA 1997. Spotify: https://open.spotify.com/album/1K8kXLhNnHSdPvtUwf74DE?si=Zc_gQaIkR5GFFKmYeDSwEA [21.07.2022].

Folge 84: „Die drei ??? Musik des Teufels“. EUROPA 1999. Spotify: https://open.spotify.com/album/3bhsXwKIDwVK5LTkDCICp0?si=M5jOyP0hR1uT7TYffI4xAw [06.08.2022].

Folge 95: „Die drei ??? Botschaft von Geisterhand.“ EUROPA 2001. Spotify: https://open.spotify.com/album/4KEZWleMTT8lDaQDLgozFc?si=vd3ift07Tr61Fopz8Tc1wQ [01.08.2022].

Folge 101: „Die drei ??? und das Hexenhandy.“ 2001 EUROPA. Spotify: https://open.spotify.com/album/1DZAe0qMw8Pq9EPoX6gETA?si=LbFROEfAQrGOenAEmQTRkg [01.08.2022].

Folge 122: „Die drei ??? und der Geisterzug“. EUROPA 2008. Spotify: https://open.spotify.com/album/68NWcgqeCQMZ3QcPJXBhzH?si=alJHeX1MQy-QsXwhxkvgdg [21.07.2022].

Folge 201: „Die drei ??? Höhenangst“. EUROPA 2019. Spotify: https://open.spotify.com/album/4FxNfDSXqAg8N1D8NBtvZ5?si=DiSR2k3eRo-UFeVyF8Nv_Q [21.07.2022].

Folge 214: „Die drei ??? und der Geisterbunker“. EUPOPA 2022. Spotify: https://open.spotify.com/album/1cJ3fNx6K47p4eDFqhnvsA?si=p0g4J43ATJWGgf1t3IutOA [21.07.2022].

Folge 217: „Die drei ??? und der Kristallschädel“. EUROPA 2022. Spotify: https://open.spotify.com/album/1WlRnNunbHpnRTTVkxMRnd?si=OkivU9gUSsy_sB1IgAbzyQ [07.08.2022].

Special Folge: „Die drei ??? Und das kalte Auge“. EUROPA 2017. Spotify: https://open.spotify.com/album/3egVVb6Zt0LdS6agBMGsiJ?si=MENNHpIpSr-knPlp8uzuNA [03.08.2022].


Literaturverzeichnis

Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Rowohlt. Reinbek bei Hamburg 2017.

Bola, JJ: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungen ist. Hanserblau. München 2020.

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2016.

Connell, Raewyn: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Springer Fachmedien. Wiesbaden 2015.

Emde, Oliver, Andreas Wicke, and Lukas Staden. “Bibi Blocksberg” bis “TKKG”: Kinderhörspiele aus gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Verlag Barbara Budrich. Leverkusen-Opladen 2016.

Harvey, Alison: Feminist Media Studies. Polity. Cambridge 2020.

Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier: Gender Media Studies. Eine Einführung. UVK Verlagsgesellschaft. Konstanz; München 2013.

Schößler, Franziska: Einführung in die Gender Studies. Akademie Verlag. Berlin 2008.

Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der Alltägliche Rassismus. Norderstedt. 2018.

Nachschlagewerke:

Arndt, Susan: „Rasse“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. von Susan Arndt u. Nadja Ofuatey-Alazard. Unrast Verlag. Münster 2021.

Blackburn, Simon: „action“, „agent“. In The Oxford Dictionary of Philosophy. The Oxford University Press, 2016.

Brilling, Julia: „Political Correctness“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. von Susan Arndt u. Nadja Ofuatey-Alazard. Unrast Verlag. Münster 2021.

Popal, Mariam: „Objektivität“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. von Susan Arndt u. Nadja Ofuatey-Alazard. Unrast Verlag. Münster 2021.

Sow Noah: „Dunkelhäutig“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. von Susan Arndt u. Nadja Ofuatey-Alazard. Unrast Verlag. Münster 2021.

Sow, Noah: „Entdecken“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. von Susan Arndt u. Nadja Ofuatey-Alazard. Unrast Verlag. Münster 2021.

Sow, Noah: „Indianer“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. von Susan Arndt u. Nadja Ofuatey-Alazard. Unrast Verlag. Münster 2021.

Sow, Noah: „weiß“. In Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Hg. von Susan Arndt u. Nadja Ofuatey-Alazard. Unrast Verlag. Münster 2021.


Internetquellen

  • Zeitungsartikel und Blogbeiträge:

Behrmann, Kai: „Die Rückkehr der Kult-Detektive“. Stern 2008. https://www.stern.de/kultur/buecher/-die-drei——die-rueckkehr-der-kult-detektive-3088302.html [15.07.2022].

Brandt, Elea: „Mörderische Transfeindlichkeit“. Elea Brandt. Autorin für Fantasy, Mistery und Horror 2021. https://eleabrandt.de/2021/04/08/transfeindliche-motive-krimis/ [15.07.2022].

Buhre, Jakob u. Huppertz, Paula Emilia: „Mit Freundinnen funktioniert es nicht“. Planet Interview 2014. https://www.planet-interview.de/interviews/die-drei-fragezeichen/45686/ [15.07.2022].

Fron, Carina: „Von Blocksbergs bis Blümchen. Bibi, Pipi, Benjamin: Welche Werte uns Kinderhörspiele vermittelt haben.“ Zett 2016. https://www.zeit.de/zett/2016-12/bibi-pipi-benjamin-welche-werte-kinderhoerspiele-uns-vermittelt-haben [15.07.2022].

Knödler, Benjamin: „Die drei Fragezeichen. A-Z.“ der Freitag 2017. https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-drei-fragezeichen-1 [05.08.2022].

Mayer, Katharina: „Rassismus im Kinderzimmer“. Kontext: Wochenzeitung 2012. https://www.kontextwochenzeitung.de/kultur/83/rassismus-im-kinderzimmer-926.html [21.07.2022].

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Rütten, Finn: „Was »Die drei Fragezeichen« schon immer besser gemacht haben als »TKKG«“. Stern 2019. https://www.stern.de/neon/feierabend/musik-literatur/-die-drei-fragezeichen–wird-40–was-die-serie-besser-macht-als-tkkg-8950844.html [15.07.2022].

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The Take: „Queer Coding, Explained. Hidden in Plain Sight“. https://www.youtube.com/watch?v=K5-6UXGmeGA&t=495s [15.07.2022].


Quelle: Nikita Kara Helena Träder, Fall 218: Die gestohlenen Frauenstimmen und andere patriarchale Detektivgeschichten, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 31.08.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=231

Die post-koloniale Zeug*innenschaft der afro-deutschen Community –

Sichtbarmachung von Rassismus als Form der kolonialen Kontinuität in Deutschland

Lotta Klister (WiSe 2021-22)

Dieser Essay steht im Kontext eines Seminars zu Theorien und Praktiken der Dekolonialisierung. Während des Seminars arbeitete ich zeitweise mit einer Gruppe zusammen, in der wir uns dem Thema des anti-kolonialen Widerstandes in Berlin näherten und unter anderem das May-Ayim-Ufer besuchten, das ein Zeichen für die fehlende Thematisierung kolonialer Kontinuitäten in Deutschland setzt. Ausgangspunkt meines Essays ist eine kritische Haltung gegenüber meiner eigenen Aneignung von Wissen, in der ich als weiße Person nur eine begrenzte epistemische Einsicht in koloniale Kontinuitäten wie bspw. die Erfahrung von Rassismus habe. In meinem Reflexionsprozess fragte ich mich daher, ob sich eine koloniale Kontinuität auch über Analyse- und Erzählpraktiken auf Basis von Archiven des Wissens erstrecken kann: Inwiefern birgt der Versuch des Sammelns, Selektierens und Aneignens von Wissen zu kolonialer Geschichte selbst das Risiko, eine koloniale Kontinuität zu werden – gerade, wenn der Versuch von Personen wie mir praktiziert wird, die nur eine begrenzte Einsicht haben in die akute Bedeutung der Aufarbeitung von kolonialer Geschichte für das von alltäglicher Diskriminierung und Marginalisierung geprägte Leben in Deutschland? Die Wahrscheinlichkeit, blinde Flecken nicht nur zu übersehen, sondern niemals auflösen zu können, wurde mir in meiner Auseinandersetzung immer klarer. Die einzige Möglichkeit für mich, diesen Essay zu schreiben, ist, diese blinden Flecken permanent mitzudenken und sprachlich zu reflektieren.

1.  Hinführung

Im ersten Teil des Essays werde ich mich der Frage nähern, inwiefern die Wissenslücken ‚offizieller‘ Archive durch eine post-koloniale Zeug*innenschaft aufgezeigt und dadurch alternative Wissenssysteme konstituiert werden können. Beginnen werde ich diese Überlegungen mit Arbeiten von May Ayim, die als Zeugin alltäglich erfahrenen Rassismus als Form der kolonialen Kontinuität versuchte, auf die geschichtlichen Hintergründe dieser Kontinuitäten zu verweisen. May Ayims Zeug*innenschaft stand und steht im Kontext der Bildung einer afro-deutschen Community in Deutschland, die sich an der Bildung einer transnationalen afrikanischen Diaspora orientiert(e). Eine fundamentale Kritik an den tief verankerten Rassismen europäischer Wissenssysteme ist konstitutiver Bestandteil jener Formulierung einer diasporischen Gemeinschaft.

Im zweiten Teil meines Essays werde ich thematisieren, wie die koloniale Vergangenheit Deutschlands und die post-kolonialen Bedingungen in Deutschland die Debatten um Rassismus und um koloniale Kontinuitäten beeinflussen. Diese komplexen Bedingungen haben laut Monika Albrecht auch Auswirkungen auf die Möglichkeiten anti-kolonialen Widerstands. Als Beispiel wendet sich Albrecht der als anti-koloniale Widerstandspraktik zu verstehende Umbenennung des in Berlin Kreuzberg verorteten Gröben-Ufers in May-Ayim-Ufer zu, die ihrer Meinung nach eine kompetitive Erinnerungskultur in Deutschland widerspiegelt und deshalb zu kritisieren ist. Ich werde mir daran anschließend die Frage stellen, inwiefern die Kritik an eben dieser anti-kolonialen Widerstandspraktik deren tatsächliche subversiven Möglichkeiten verfehlen könnte. Schließen werde ich den Essay mit einer poetischen Form der post-kolonialen Zeug*innenschaft, indem ich auf ein Gedicht May Ayims verweise, das Rassismus als Form der intersektionalen, kolonialen Kontinuität poetisch reflektiert.

2.  Post-koloniale Zeug*innenschaft der afro-deutschen Community

2.1.  Durchbrechen offizieller Archive durch kollektivierende Zeug*innenschaft

Im Vorwort von Farbe bekennen schreiben die Herausgeberinnen May Ayim, Katharina  Oguntoye und Dagmar Schultz über den Prozess, ihre „subjektiven Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam weiterzudenken, andere Afro-Deutsche anzusprechen und in diesen Prozess einzubeziehen“, sowie über den Prozess, sich auf Nachforschungen ihrer „Geschichte zu begeben und schließlich – was mit diesem Buch geschieht – an die Öffentlichkeit zu gehen.“ (Ayim et al. 2020, 19). Die kollektivierende Auseinandersetzung mit subjektiven Erfahrungen ist in Farbe bekennen direkt mit einer Hinwendung zu öffentlichen Diskursen sowie deren gezielter Herstellung und Veränderung verbunden: „Mit diesem Buch wollen wir in Verbindung mit persönlichen Erfahrungen gesellschaftliche Zusammenhänge von Rassismus offenlegen“ (Ebd., 19). Diese Zusammenhänge betreffen die koloniale und nationalsozialistische Geschichte Deutschlands sowie deren Folgen, die laut der Herausgeberinnen zu wenig aufgearbeitet wurde und noch immer verdrängt wird – ansonsten fänden afro-deutsche Menschen sowie deren Lebenshintergründe gegenwärtig mehr Beachtung (Vgl. ebd., 20). Die Veränderung „der mit Unwissenheit und Vorurteilen durchdrungenen Öffentlichkeit“ (ebd.) setzt also voraus, dass offizielle Archive sich für die gegenwärtigen subjektiven Erfahrungen afro-deutscher Personen öffnen und das geschichtliche Wissen, auf das diese Erfahrungen hinweisen, auch als genuines Wissen anerkennen müssen.

Die Kritik an fehlenden öffentlichen Auseinandersetzungen mit Rassismus berührt auch die Frage, inwiefern dekoloniale bzw. post-koloniale Zeug*innenschaften das Potenzial haben, hegemoniale Strukturen der offiziellen Wissensarchive und der Wissensarchivierung zu durchbrechen. Solche Ordnungen offizieller Archive lassen sich auch mit Hito Steyerls Begriff der „Politik des Archivs“ fassen:

Das offizielle Archiv erkennt die individuelle Geschichte nicht an, es demonstriert seine archontische, patriarchale Macht. Das Archiv sammelt nicht nur Zeichen und hält sie unter Kontrolle, sondern es erzeugt auch den Eindruck nahtloser Kontinuität, einer natürlichen, selbstverständlichen und transparenten Ordnung. Es stellt ein Korpus dar, dessen Elemente in idealer Konfiguration organisiert sind und eine auf den ersten Blick glatte und kontinuierliche Oberfläche bilden: Effekte einer Politik des Archivs. (Steyerl 2015, 33f.)

Steyerl beschreibt in ihren Ausführungen zur Zeug*innenschaft, wie die Integration der epistemischen Standpunkte von sprechenden Zeug*innen die offiziellen Archive durchkreuzen und nicht nur neues Wissen präsentieren, sondern auch die offizielle Konzeption des Wissens in Frage stellen kann. Darauf werde ich in 2.3. näher eingehen. Zunächst möchte ich darauf verweisen, dass der Versuch, die öffentlichen Diskurse für die geteilten Erfahrungen marginalisierter Communities zu öffnen, voraussetzt, dass diese Communities als solche sichtbar werden. So wird die Bildung der Community performativ in der Hinwendung zur Öffentlichkeit vollzogen. Audre Lorde beschreibt diese Gleichzeitigkeit am Anfang von Farbe bekennen wie folgt:

Dieses Buch ist als Aufforderung der hier schreibenden Frauen an alle Bürgerinnen und Bürger ihres Landes gedacht, sich einem neuen Aspekt des deutschen Bewusstseins zuzuwenden, über den die meisten weißen Deutschen noch nicht nachgedacht haben. Ihre Worte dokumentieren ihre Weigerung, die Verzweiflung lediglich mit Blindheit oder Stillschweigen abzuwehren.

Lorde 1986, 25

Die Weigerung, die individuell erfahrene Verzweiflung auf der subjektiven Ebene zu belassen und sie stattdessen kollektivierend zu thematisieren, dokumentiert gleichzeitig die Hinwendung zur deutschen Öffentlichkeit und damit zur Öffnung offizieller Wissensbestände, die das deutsche Bewusstsein bisher beschränkten.

Das Buch Farbe bekennen beinhaltet verschiedene Essays, die individuelle Erfahrungen in den Kontext dieser Community-Bildung setzen. May Ayim schreibt von ihrem Großwerden als Pflegekind in einer Familie, die krampfhaft versuchte, gegen rassistische Vorurteile vorzugehen: 

Meine Eltern haben mich aus Liebe, Verantwortung und Unwissenheit besonders streng erzogen, geschlagen und gefangengehalten. Im Wissen um die Vorurteile, die in der weißen deutschen Gesellschaft bestehen, passten sie ihre Erziehung unbeabsichtigt diesen Vorurteilen an. Ich wuchs in dem Gefühl auf, das in ihnen steckte: beweisen zu müssen, dass ein ‚Mischling‘, ein ‚N****‘, ein ‚Heimkind‘, ein vollwertiger Mensch ist.

Ayim 2020, 266

Erst in der Konstituierung der afro-deutschen Community, die auch mithilfe von Farbe bekennen ermöglicht wurde, kann diese individuell erfahrene Gewalt in den Kontext rassistischer Kontinuitäten in Deutschland gesetzt werden. Die auf Ayim von ihren Pflegeeltern projizierte Notwendigkeit, als Einzelperson gegen Vorurteile zu kämpfen, indem das ‚Normalsein bewiesen‘ wird, ist ebenso eine Form des Rassismus. Diese Form des Rassismus wird im Kontext der afro-deutschen Community als solche aufgedeckt, indem deren Erfahrbarkeit der individuellen Position entrissen wird und stattdessen auf die Sozialisierung in einer weißen deutschen Gesellschaft rückgeführt wird. Dies möchte ich im nächsten Kapitel vertiefen.

2.2.  Bildung einer afro-deutschen Community mit post-kolonialem Hintergrund

Der Begriff ‚afro-deutsch‘ kennzeichnet die Gemeinsamkeit der Erfahrung, als afro-deutsche Person in einer weißen deutschen Gesellschaft sozialisiert zu werden, also in einer Gesellschaft, die Andersheit aufgrund von Hautfarbe markiert (Vgl. Ayim et al. 2020, 20). In dem von Dagmar Schultz gedrehten Film über Audre Lordes Berliner Jahre äußert sich Lorde über den

Entstehungskontext des Begriffs ‚afro-deutsch‘. Dabei erzählt sie davon, dass es in der Selbstbezeichnung und im Selbstbewusstsein durch das Anerkennen der eigenen Sozialisierung in einer weißen deutschen Gesellschaft auch um die Notwendigkeit geht, überhaupt erst eine afro-deutsche Community zu bilden. Im Film sprechen Bekannte von Audre Lorde davon, dass sich die Lebensrealität durch die Zugehörigkeit zu einer Community radikal verändern kann, da eigene Erfahrungen dort Resonanz finden und geteilt werden (Vgl. Schultz 2012). In Farbe bekennen schreibt Lorde über dieses Bilden einer Community:

Diese Erhebung kann eine wachsende Macht zur Herbeiführung einer nationalen Veränderung im Verein mit anderen, ehemals schweigenden Afro-Deutschen, männlichen wie weiblichen, alten wie jungen, darstellen. Eine wachsende Macht zur Herbeiführung einer internationalen Veränderung im Verein mit anderen AfroEuropäern, Afro-Asiaten, Afro-Amerikanern, allen ‚Bindestrich-Menschen‘, die ihre Identität bestimmt haben, ist kein schamhaftes Geheimnis mehr, sondern die Machterklärung einer wachsenden vereinigten Front, von der die Welt noch nichts gehört hat. (Lorde 1986, 24)

Laut Arina Rotaru war und ist es nur bedingt möglich, die Bildung einer afro-amerikanischen Diaspora als direkten Referenzrahmen für die Bildung einer afro-deutschen Diaspora zu definieren (Vgl. Rotaru 2017, 87). Orientierungspunkt war lange Zeit trotzdem der von Theoretikern wie Stuart Hall und Paul Gilroy geprägte Referenzrahmen der afroamerikanischen Identität, der besonders W.E.B. DuBois Modell der „double consciousness“ (zitiert in ebd.) Folge leistete. In diesem Modell wird die Dissoziation hervorgehoben, die der Lebenssituation afro-amerikanischer Personen entspringt: Das Bewusstsein von der eigenen afrikanischen Teilidentität wird stets von der Umgebung einer rassistischen, weißen Gesellschaft geprägt, was die Anerkennung der gleichwertigen amerikanischen Identität verunmöglicht. Zudem beschreibt der Begriff in diasporischen Kontexten das Vorhandensein einer kulturellen Dopplung, in der kaum repräsentiertes afrikanisches Kulturerbe dem hegemonialen europäischen Kulturerbe erst entgegengesetzt werden muss. Im afroamerikanischen Kontext, aber auch im Versuch, afro-amerikanische Kontexte mit afroeuropäischen Kontexten zusammenzubringen – wie z.B. in Gilroys Begriff „black Atlantic“ (zitiert in Rotaru 2017, 87) – ist es dabei vor allem die Erfahrung von Sklaverei, die als identitätsstiftende, geschichtliche Realität den gemeinsamen Referenzrahmen bildet (Vgl. ebd.). Laut Rotaru wird das jedoch nicht ganz der afro-deutschen Diaspora gerecht. Daran anschließend fragt Rotaru: „Can the African American Anglophone paradigm as the referential counterpart to an Afro-German experience be rethought along with other significant historical discrepancies such as the black German subject’s postcolonial status?“ (Ebd., 89)

Die Schwierigkeit, auf Basis einer post-kolonialen Diaspora eine afrikanische Diaspora in Deutschland zu festigen, ist in unterschiedlichen geschichtlichen Voraussetzungen begründet. Rotaru führt auf, dass die früher eingeläutete post-koloniale Ära Deutschlands 1919 und die daran anschließende Umverteilung kolonialer Strukturen an andere Kolonialmächte dazu führte, dass post-koloniale Perspektiven in Deutschland sich gegen kein klar definiertes Machtzentrum positionieren können (Vgl. ebd.). Rotaru schlägt vor, die Rolle post-kolonialer afro-deutscher Perspektiven stattdessen in der Bildung diasporischer Allianzen zu suchen: „I propose imagining the postcolonial black German subject not in the key of writing back to a center but rather as forging diasporic alliances“ (Ebd.). Es ist diese Allianzbildung, die sich im Buch Farbe bekennen vollzieht. Rotaru hebt dabei die dialogische Dimension hervor, die Post-

Kolonialität in Deutschland aus einer „cross-historical and cross-cultural perspective“ betrachtet und „a reconsideration of diasporic memory as more than just a process of generational transmission“ (Ebd.) ermöglicht. Diesen Fokus auf die allianzbildende Dialogizität werde ich im nächsten Kapitel im Kontext einer Kritik an Wissenssystemen thematisieren. Die Kritik stellt sich gegen jede Form der Unsichtbarkeit und Marginalisierung als Formen kolonialer Kontinuitäten. 

2.3.  Kritik an Wissenssystemen

Kritische post-koloniale und dekoloniale Dokumentationen kolonialer Geschichte und kolonialer Kontinuitäten in Deutschland werden gerade von jenen Perspektiven ermöglicht, die in normativen Geschichtsschreibungen kaum Raum und in der Gesellschaft kaum Sichtbarkeit finden. Der Versuch, koloniale Geschichten und Kontinuitäten aus unterdrückten Perspektiven öffentlich Sichtbarkeit zu verleihen, entspricht der Schwierigkeit, anerkannter, hegemonialer, strukturell tief verankerter Wissensgerüste den Boden zu entreißen. Speziell am deutschen Kontext ist laut Rotaru, dass der im deutschen Idealismus verankerte Rassismus zum gänzlichen Ausschluss einer konstruierten Andersheit führte: „the Afro-German subject as an ‚Other-from-without,‘ a model indebted to G. W. F. Hegel’s thematization of the Black Other as located outside the Western paradigm“ (Rotaru 2017, 90). Mit dem Hintergrund des für die Unsichtbarkeit konstitutiven Ausschlusses scheint es zunächst schwieriger, die Verbindungen zwischen deutsch-europäischer und afrikanischer Geschichte sichtbar zu machen und Gegendiskurse zu bilden, die die hergestellte und sich strukturell reproduzierende Andersheit dekonstruieren.

Wie tief dieser unsichtbarmachende Ausschluss in den westlichen und deutschen Wissenssystemen verankert ist, wird auch von Gayatri Chakravorty Spivaks Begriff des native informant verdeutlicht. Laut Patricia Purtschert lässt sich der Begriff als Kritik an der europäischen Philosophie verstehen, die ihre Subjektvorstellungen in einer eurozentristischen, rassistischen Perspektive konstruierte: Europäische Vorstellungen ‚des Subjekts‘ bzw. ‚des Menschen‘ implizieren den Ausschluss vermeintlich ‚unzivilisierter‘ Subjekt-Vorstellungen, die in eine Arbeitsposition gezwängt werden, die europäische Freiheits- und Lebensmodelle durch materielle Grundlagen erst ermöglicht (Vgl. Purtschert 2011, 348). Hier geht es jedoch nicht nur um Subjekt-Vorstellungen, sondern um die tatsächliche Abhängigkeit ‚des europäischen Menschen‘ von Ressourcen aus kolonialisierten Ländern, die ein vermeintlich ‚menschliches Leben‘ erst denkbar bzw. es als solches erst konstruierbar machen.  

An dieser Stelle möchte ich mich auf einige Lernerfahrungen aus dem Seminar beziehen. So wurde mir klar, dass es in Deutschland nicht nur eine schwierige Aufgabe ist, die deutsche koloniale Vergangenheit als solche zu erkennen, sie als solche anzuerkennen, sondern auch, die kolonialen Kontinuitäten zu thematisieren. Eine solche Kontinuitäten ist, wie bereits oben beschrieben, nicht nur der Rassismus selbst, sondern auch die Leugnung von tief verankerten Rassismen in den europäischen Wissenssystemen, die wiederum der Leugnung der kolonialen Vergangenheit entspringt. Ich habe mich deshalb gefragt: Wie kam es zu dieser komplexen Situation der Leugnung kolonialer Vergangenheiten und der damit verbundenen Stabilisierung kolonialer Kontinuitäten, die ebenfalls geleugnet werden?

3.  Sichtbarmachung kolonialer Vergangenheiten und Kontinuitäten in Deutschland

3.1.  Post-koloniale Bedingungen Deutschlands

Die Schwierigkeit, in Deutschland post-koloniale Zeug*innen sprechen zu lassen und damit die Bildung post-kolonialer Narrative jenen Positionen zu überlassen, die sich mit epistemischen Recht gegen die Leugnung kolonialer Vergangenheiten und Kontinuitäten in offiziellen Archiven und Diskursen stellen, hat verschiedene komplexe Hintergründe. In diesem Kontext plädiert Monika Albrecht dafür, die spezifische post-koloniale Situation in Deutschland anzuerkennen. Diese unterscheidet sich bspw. von der post-kolonialen Situation in Frankreich, wenngleich es laut Albrecht gegenwärtig Ähnlichkeiten zwischen den post-kolonialen Diskursen beider Länder gibt (Albrecht 2017, 204). Der Versuch, eine „German colonial memory culture and politics“ (ebd.) zu konstituieren, muss sich jedoch an der spezifischen kolonialen Vergangenheit orientieren: „It therefore must be taken into consideration that different spatial and temporal colonial realities may bring about different post-colonial conditions“ (Ebd., 205). Das bedeutet im deutschen Kontext das Miteinbeziehen der (kürzeren) Dauer aktiver kolonialer Expansion (ca. 30 Jahre) im Vergleich zu anderen Kolonialmächten sowie die spezifischen „geographic spread and size of overseas possessions“ (ebd.). Zudem gab es laut Albrecht im deutschen kolonialen Kontext keine „extended period of decolonization“ (ebd.), was die post-koloniale Situation und das Ausbilden einer Erinnerungspolitik ebenfalls beeinflusst. Sowohl der selbst-herbeigeführte Verkauf deutscher Kolonien an die Niederlande als auch die fremdbestimmte Abgabe von Kolonien an die Allianzen nach dem ersten Weltkrieg bestimmen die Art, wie post-koloniale Diskurse in Deutschland geführt werden (Vgl. ebd.).

In der Erinnerungskultur Deutschlands haben laut Albrecht die Ereignisse des zweiten Weltkriegs die koloniale Vergangenheit und den Eintritt der post-kolonialen Situation weitestgehend abgelöst (Vgl. ebd., 205f.). Überhaupt gibt es im gesamteuropäischen Diskurs Albrecht zufolge das Problem, dass die vier Blocks der Erinnerung (zweiter Weltkrieg, Holocaust, Kommunismus und Kolonialismus) hierarchisiert werden, obwohl sie alle miteinander verbunden sind. Die daraus entstehende „memory competition“ (ebd., 206) trägt dazu bei, dass die tatsächliche Komplexität historischer Ereignisse in den aktiven Praktiken der Erinnerung, die bestimmte Ereignisse voranstellen, reduziert wird.

Aus Albrechts Perspektive wird die post-koloniale Situation in Deutschland weiterhin davon beeinflusst, dass es in der deutschen Gesellschaft eine Unsichtbarkeit von Rückkehrer*innen aus ehemaligen deutschen Kolonien gibt, zumindest im Vergleich zu der Anwesenheit postkolonialer Subjekte in anderen europäischen Ländern mit kolonialer Vergangenheit (Vgl. Albrecht 2017, 206). Die „absence of ‚living reminders‘ of Germany’s colonial history“ (ebd.), das heißt das Fehlen post-kolonialer Subjekte, sowie der starke Fokus auf einen scheinbaren deutschen Multikulturalismus ohne koloniale Verbindungen, machen es schwierig, einen spezifischen post-kolonialen Diskurs in Deutschland zu etablieren, der sich nicht nur an anderen europäischen Diskursen orientiert. Obwohl die gegenwärtigen multikulturellen Gesellschaften in Europa unterschiedlich sind und deshalb auf unterschiedliche Art und Weise an post-koloniale Vergangenheiten erinnern, kann das laut Albrecht nicht heißen, dass sich das scheinbare Fehlen gegenwärtiger post-kolonialer Communities in Deutschland der post-koloniale Diskurs nur an Diskursen orientiert, die von post-kolonialen Communities in anderen europäischen Gesellschaften geführt werden. Die tatsächliche Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit (und Kontinuität) in Deutschland wird dadurch laut Albrecht übergangen (Vgl. ebd., 207).

Aufgrund der genannten Punkte spielt Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik eine untergeordnete Rolle: „the idea of any continuity between Germany’s imperial history and the present as a source of memory politics does not play a major role in Germany“ (ebd). Ein Grundproblem der post-kolonialen Erinnerungsdiskurse ist dabei die „potential incompatibility of memories“ (ebd.), in der unterschiedliche Communities die Vergangenheit unterschiedlich erinnern. Laut Albrecht ist die Grundfrage deshalb: „how to deal with eras or events of the past which possess different meanings for different communities“ (ebd.). Albrecht zufolge stehen in der gegenwärtigen Aufarbeitung der Vergangenheit stets die Opfer unterschiedlicher geschichtlicher Ereignisse im Vordergrund. In der realen Umsetzung von Erinnerungspolitik und -kultur bedeutet das aber, dass „existing hierarchies of suffering“ aufrechterhalten werden und eine „competition between victim groups“ (ebd., 208) gefördert wird. Im nächsten Kapitel werde ich mich auf eine solch komplexe Erinnerungssituation im Kontext anti-kolonialen Widerstands konzentrieren und anhand dieses Beispiels meine bisherigen Gedanken zur post-kolonialen Zeug*innenschaft mit den Praktiken anti-kolonialen Widerstands zusammenführen.  

3.2.  Praktiken anti-kolonialen Widerstands: Straßen-Umbenennung

Eine kompetitive Erinnerungssituation in Deutschland war laut Albrecht die Straßenumbenennung des ehemaligen Groeben-Ufers in May-Ayim-Ufer. Albrecht zufolge kam es in dieser Situation zur Missachtung der vielfältigen Geschichte des Ufers, an dem in der DDR drei Kinder im Wasser ertrunken sind, weil DDR-Offiziere es nicht zuließen, dass West-Berliner ihnen zur Hilfe kommen durften (Vgl. Albrecht 2017, 212). Mit der Umbenennung in May-Ayim-Ufer fand laut Albrecht eine Überschreibung des Ortes statt, die Ausdruck einer potenziell kompetitiven Situation zwischen Opfergruppen sein könnte. Albrecht kritisiert die aufgeladenen politischen Debatten zwischen Minderheiten dafür, einen solchen Wettbewerb zu fördern und die tatsächliche Erfassung der historischen Hintergründe zu verunmöglichen (Vgl. ebd.). Albrecht konkludiert deshalb, dass der Versuch, die gegenwärtige Situation von Minderheiten – wie die der afro-deutschen Community – mit dem deutschen Kolonialismus zu verbinden, daran gescheitert ist, eine bewusstere post-koloniale Bedingung in Deutschland zu schaffen: „[C]onnecting German minority issues with German colonialism does not provide the potential for increased historical awareness of the colonial past or the generation of new insights into the post-colonial condition.“ (Ebd., 213) 

Zunächst erinnert mich Albrechts Argument, dass es im Wettbewerb der Erinnerungen zu Komplexitätsreduktion kommen kann, an Chimamanda Adichies Vortrag „The Danger of a Single Story“[1]: Die Gefahr, dass einzelne Erinnerungspole fokussiert werden, entspricht auch der Gefahr, dass die Intersektionen zwischen historischen Ereignissen von der Analysefläche verschwinden. Gleichzeitig scheint Albrechts Kritik an der Umbenennung auf einen spezifischen politischen Kontext zu zielen, der die Erinnerungskultur und -politik primär im Rahmen demokratischer Debatten und Diskussionen rund um koloniale Vergangenheiten verortet, was es so scheinen lässt, als könnten allein diese die post-koloniale Situation in Deutschland gestalten. Was im Fokus auf die Erinnerung weniger zur Sprache kommt, sind die kolonialen Kontinuitäten, wie die des Rassismus. Mir scheint also, als würde Albrecht nicht ganz den Rahmen treffen, in dem die Umbenennung des May-Ayim-Ufers vollzogen wurde. Joshua Kwesi Aikin aus der ISD ruft bei der Eröffnung der Gedenktafel am May-Ayim-Ufer dazu auf: „Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Tafel viele weitere folgen. Lasst uns daran arbeiten, dass dieser Ort zu einem umfassenderen Perspektivwechsel beiträgt: Weg von dem, wofür Gröben stand, hin zu dem wofür May Ayim stand, steht und stehen wird.“[2] Bisher wurden die dekolonialen Projekte, die der Umbenennung folgen sollten, so noch nicht weitergeführt. Eine Welle der Umbenennung, die zu einem „umfassenderen Perspektivenwechsel beiträgt“, ist noch nicht eingetreten. Es fehlt an einer radikalen Sichtbarkeit, die Kontroversen ermöglicht, in denen die Erinnerungen an Deutschlands koloniale Vergangenheit auch in die Thematisierung der kolonialen Kontinuitäten überführt wird. Eine intersektionale Perspektive einzunehmen heißt hier auch, dass diese Kontinuitäten mit anderen historischen Ereignissen direkt verbunden und thematisiert werden. Eben dies ist es aber, wofür May Ayim und die afro-deutsche Community steht: Die Bildung von Allianzen zwischen unterschiedlichen Communities.  

Das setzt jedoch voraus, dass post-koloniale Zeug*innenschaft eine Stimme in den ‚offiziellen‘ Archiven erhält und die Erinnerungspolitik und -kultur in die Gegenwart überführt. Gerade die Umbenennung kann als ein Durchbrechen der patriarchalen „Politik des Archivs“ gedeutet werden: Durch Umbenennung wird ein neues Archiv geöffnet, das Zeug*innen sprechen lässt, die das Fehlen der Erinnerung an koloniale Geschichte aus ihrer heutigen Perspektive auf gegenwärtige soziale Verhältnisse dokumentieren. Die eigentliche Leistung der Umbenennung ist dabei auch, die Lücken des Erinnerns aufzuzeigen: Indem auf das heutige Bestehen des Rassismus verwiesen und gezeigt wird, dass dieser noch immer geleugnet wird, kann abgeleitet werden, dass die Aufarbeitung kolonialer Hintergründe als einer der wesentlichen Entstehungskontexte von Rassismus noch immer zu wenig Folge geleistet wird. Würde die koloniale Vergangenheit Deutschlands nämlich deutlicher thematisiert werden, wäre die Frage nach gegenwärtigen rassistischen Strukturen womöglich präsenter. Zudem wäre dadurch bspw. die Verbindung zwischen kolonialen Anfängen, auf Rassismus beruhendem deutschem Nationalismus und der Entstehung nationalsozialistischer Ideologie sowie Eugenik klarer (Vgl. Ayim et al. 2020).

Der Kontext, in dem May Ayims Schaffen verortet werden kann, ist also nicht nur die Bildung einer afrikanischen Diaspora im geteilten Deutschland der 80er Jahre, sondern auch die Thematisierung der problematischen offiziellen Erinnerungskultur, geleitet von einer Politik der Archive, die der afro-deutschen Community kein grundsätzliches epistemisches Recht ‚in Sachen‘ Kolonialismus, Nationalsozialismus und Rassismus ermöglicht. So möchte ich diesen Essay mit dem Anfang von May Ayims Gedichts „gegen leberwurstgrau – für eine bunte Republik“ (Ayim 2021, 70) beenden, das eben diese problematische Archiv-Politik beschreibt:

zu besonderen anlässen und bei besonderen ereignissen aber besonders kurz vor und kurz nach den wahlen sind wir wieder gefragt werden wir wieder wahrgenommen werden wir plötzlich angesprochen werden wir endlich einbezogen sind wir auf einmal unentbehrlich werden wir sogar eingeflogen auf eure einladung versteht sich als »liebe ausländische mitbürgerInnen« ohne bürgerrechte natürlich als migrantinnen aus aller herren länder als experten in Sachen rassismus als »betroffene« 

zusammen mit aktivistInnen und politikerInnen mit prominenten und engagierten diskutieren analysieren debattieren wir über forderungen protestaktionen appellationen in diskussionen hearings talkshows

auf dem podium im forum oder plenum

und dann – was dann

die forderungen werden sauber aufgelistet

die listen werden sauber abgeheftet und sicherlich und zuverlässig an die entsprechenden stellen mit den wirklich zuständigen leuten

weitergeleitet

und dann – was dann

die show ist aus

wir gehen nach haus

die engagierten fühlen sich erleichtert – zum teil die betroffenen fühlen sich verarscht – total

[…]


Literaturverzeichnis

Albrecht, Monika. 2017. „Negotiating Memories of German Colonialism: Reflections on Current Forms of Non-Governmental Memory Politics“. Journal of European Studies 47 (2): 203–18.

Ayim, May. 2020. „Aufbruch“. Farbe bekennen: afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, herausgegeben von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz. 2. Aufl., 261–270. Berlin: Orlanda.

Ayim, May. 2021. blues in schwarz weiss / nachtgesang. Münster: Unrast.

Ayim, May; Oguntoye, Katharina; Schultz, Dagmar, Hrsg. 2020. Farbe bekennen: afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. 2. Aufl. Berlin: Orlanda.

Lorde, Audre. 1986. „›Gefährtinnen, ich grüße euch‹“. Farbe bekennen: afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, herausgegeben von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz. 2020. 2. Aufl., 23–25. Berlin: Orlanda.

Purtschert, Patricia. 2011. „Postkoloniale Philosophie. Die westliche Denkgeschichte gegen den Strich lesen“. Schlüsselwerke der Postcolonial Studies, herausgegeben von Julia

Reuter und Alexandra Karentzos, 1. Aufl., 343–55. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV).

Rotaru, Arina. 2017. „May Ayim and Diasporic Poetics“. The Germanic Review 92 (1): 86– 107.

Schultz, Dagmar, Reg. 2012. Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984 bis 1992. Deutschland, New York: Third World Newsreel. 2012. DVD.

Steyerl, Hito. 2015. Die Farbe der Wahrheit: Dokumentarismen im Kunstfeld. Nachdruck. Wien, Berlin: Verlag Turia + Kant.


[1] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=D9Ihs241zeg, zuletzt aufgerufen am 11.05.2022.

[2] https://isdonline.de/rede-may-ayim-ufer-von-joshua-kwesi-aikins/, zuletzt aufgerufen am 11.05.2022.


Quelle: Lotta Klister, Die post-koloniale Zeug*innenschaft der afro-deutschen Community – Sichtbarmachung von Rassismus als Form der kolonialen Kontinuität in Deutschland, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.06.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=226

Ein Essay über Rassismus im Gesundheitswesen

Jacqueline Franz (SoSe 2021)

Vergangenes Jahr wurde William Tonou-Mbobd im Universitätsklinikum Hamburg getötet. Der 34-Jährige, aus Kamerun stammende Ingenieurstudent, der an einer Schizophrenie erkrankt war, begab sich im April 2020 auf eigene Initiative und auf der Suche nach Hilfe in psychiatrische Behandlung. Der Vorfall ereignete sich, als Tonou-Mbobd offensichtlich eine Medikation, die ihm verabreicht werden sollte, ablehnte. Folglich stürzten sich mehrere Security-Kräfte auf den Mann, zwangen ihn vor Zeug*innen zu Boden, schlugen auf ihn ein. Sein Herz setzte noch an Ort und Stelle aus, doch der Reanimationsversuch glückte. Fünf Tage später starb Tonou-Mbobd auf der Intensivstation. Er könne nicht atmen, habe er laut Zeug*innen gesagt (Vgl. Ruddath, Effenberger 2019). Dieser Satz kommt uns heute, wenn auch über ein Jahr später und aus einem anderen Kontext, sehr bekannt vor: George Floyd und die Black Lives Matter Bewegung. Hier starb ein schwarz gelesener Mensch durch die Polizei, während er um sein Leben flehte, dort durch einen Sicherheitsdienst an einem vermeintlich sicheren Ort, dem Krankenhaus. Die Gemeinsamkeit beider Taten: Struktureller Rassismus. Und beide sind mit Sicherheit keine Einzelfälle. Struktureller Rassismus macht auch vor unserem Gesundheitssystem nicht Halt, denn postkoloniale Strukturen sind in der deutschen Medizin fest verankert. Sie treten in verschiedensten Ebenen auf, ihre Aufarbeitung und Reflexion im alltäglichen Klinik- und Praxisalltag, sowie in der medizinischen Lehre wurde weitestgehend versäumt.  

Der Irrglaube über den Zusammenhang von Herkunft und Schmerzempfinden

Zum Schreiben dieses Essays versuche ich, mich an meine Ausbildung und die ersten Jahre meiner Tätigkeit auf einer Station für Innere Medizin und Onkologie zurückzuerinnern. Wo sind mir Rassismen begegnet, die ich, gerade 18 Jahre alt und zu diesem Zeitpunkt noch völlig unsensibel gegenüber der Thematik, vielleicht gar nicht als solche wahrgenommen habe. Meine erste Erinnerung führt mich ins zweite Lehrjahr meiner Ausbildung, in das Modul „Versorgung vonSchmerzpatient*innen“. Die Aussage der Dozentin sollte ich in meiner Pflegelaufbahn nicht zum letzten Mal gehört haben: „Wenn ihr südländisch Patient*innen pflegt, müsst ihr wissen, dass deren Schmerztoleranz deutlich geringer ist als die von Menschen aus dem Westen.

Da wird gerne mal geschrien oder laut geweint, das hat mit Kultur zu tun.“ Angespielt wird hier auf die unter medizinischem Personal weit verbreitete Annahme der Existenz des „Morbus Bosperus“ oder „Morbus Medditereneus“. Schmerzempfinden hänge von der Herkunft ab und dabei seien nicht weiß gelesene Personen besonders hart im

Nehmen und „der Rest“ nun mal eben nicht (Vgl. Wanger, Kilgenstein, Poppel 2020:2). Ich glaube nicht, dass die Dozentin mit ihrer Aussage bewusst und gezielt rassistische Stereotype vermitteln wollte. Vielmehr ging es ihr vermutlich darum, unsere Aufmerksamkeit für die Subjektivität in der Schmerzwahrnehmung zu schärfen. Doch welche Konsequenzen haben die unreflektierte Weitergabe und damit die Aufrechterhaltung solch rassistischer Stereotype im Stationsalltag?  

Ich erinnere mich an einen jungen, schwarz gelesenen Mann, der an einem Sonntagabend mit starken Bauchschmerzen zur stationären Aufnahme auf unsere Station eingeliefert wurde. Sein schmerzhaftes Stöhnen störte uns insgeheim. Betätigte der Mann den Pflegeruf, verdrehten wir die Augen. Aussagen wie, „Naja, morgen ist ja auch Montag, keine Lust zu arbeiten“ wurden eher scherzhaft, aber doch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit ausgesprochen. Während des Schreibens und Zurückerinnerns erkenne ich das erste Mal die Intersektionalität, die die Unprofessionalität unseres Verhaltens noch zusätzlich beförderte. Der Patient wurde von uns nämlich nicht nur schwarz, sondern auch männlich gelesen und er befand sich irgendwo am Anfang seiner Zwanziger. Neben unserer Vorstellung, der Mann könne unter Morbus Bosperus leiden, könnten auch unbewusste Annahmen wie „junge männliche Personen sollten Schmerzen aushalten“ unserem Verhalten inne gelegen haben. Und auch wenn wir unsere innere Haltung dem Patient gegenüber nicht offen kommunizierten, bin ich mir heute sicher, dass er unsere gereizte, ungeduldige Stimmung wahrnehmen konnte. 

Die Annahme, nicht weiß gelesene Personen würden bei Beschwerden gerne übertreiben und müssten deshalb weniger ernst genommen werden, führt nicht nur nachweislich zu Behandlungsfehlern und zum verspäteten Erkennen medizinischer Komplikationen (vgl. Wanger et al., 2020:2), sondern hat auch psychische Auswirkungen. Ich kann mir vorstellen, dass eine Person, deren Leiden bagatellisiert wird, Beschwerden länger aushält, ohne sie zu kommunizieren. Leid wird dann eher verschwiegen, vielleicht internalisiert der- oder diejenige sogar die externen Rassismen. „Ich bin es nicht wert, dass man mich versorgt, wie meine weißen Mitpatient*innen.“ Studien zeigen außerdem, dass diskriminierende Erfahrungen zur verzögerten Inanspruchnahme medizinischer Versorgung führen und die Zustimmung zu medizinischen Maßnahmen beeinträchtigen (vgl. Kluge/ Heinz/ Udeogu-Gözalan/ Abdel-Fatah 2020:1020).

Innerhalb von Krankenhäusern, die eigentlich einen Ort des Heilens und Genesens darstellen sollen, wird Macht häufig unreflektiert ausgeübt und reproduziert. Diese Machtausübungen stellen sich vielschichtig dar und durchdringen alle Bereiche. Im Kontext von Rassismus zeigen sie sich häufig darin, dass so dargestellte „kulturelle Eigenheiten“ nicht gerne gesehen oder toleriert werden. „Man ist hier in Deutschland im Krankenhaus, also sollte man sich auch wie ein deutscher Patient oder eine deutsche Patientin verhalten“, lautet häufig die Einstellung des medizinischen Personals. Das startet beispielsweise bei der Voraussetzung für Akzeptanz und Unterwerfung gegenüber eines dominanten westlichen Behandlungssystems, dass meist ausschließlich auf Biomedizin ausgerichtet ist und keinen Spielraum für medizinische Pluralität zulässt. Es zeigt sich auch im Umgang mit Trauer und Tod, der hier meiner Erfahrung nach bestenfalls still und diszipliniert und nicht laut klagend und emotional vor sich gehen sollte. Und auch wie häufig der oder die Kranke Besuch zu erhalten hat und wie Angehörige sich verhalten sollen, unterliegt westlichen Regeln und Vorstellungen. Wenn nicht weiß gelesene Patient*innen viel Besuch von Familienmitglieder über mehrere Stunden haben, stößt das beim Stationspersonal schnell auf Unmut. Die Reaktionen innerhalb meines Teams reichten dann regelmäßig von unverschämten Aussagen wie „jetzt kommt da wieder die ganze Großfamilie mit ihrem Essen, gleich stinkt wieder das ganze Zimmer nach Zwiebeln, als würde der/ die hier verhungern bei uns“, als auch zu Zimmerverweisen während der Durchführung von Behandlungen wie Blutdruckmessen und Infusionsgaben. Diese waren eigentlich nicht nötig, sondern sollten in meinen Augen nur demonstrieren, wer hier schlussendlich das Sagen hat.

Gern gesehen wurde nur, wenn Angehörige von BIPOC Pflegemaßnahmen wie Waschen und Anziehen übernahmen, die das Pflegepersonal entlasteten, doch eine Reflexion dieser Doppelmoral fand meiner Erfahrung nach leider nicht statt. 

In den bisher aufgeführten Beispielen äußerte sich Rassismus überwiegend auf der persönlichen und zwischenmenschlichen Ebene. Doch innerhalb der Institutionen des Gesundheitswesens ist Rassismus vor allem strukturell verankert. Das fehlende Vorhandensein deutscher Studien zum Thema gibt erste Aufschlüsse auf das mangelhafte Bewusstsein sowie den geringen Willen zur Auseinandersetzung mit der Problematik hierzulande. Struktureller Rassismus ist auf den ersten Blick weniger sichtbar, das macht ihn schwerer zu identifizieren und zu bekämpfen. Im Gesundheitswesen äußert er sich vielseitig: Zum Beispiel in Zugangsbarrieren zu Versorgungsstrukturen (Vgl. Razuum/ Geiger/ Zeeb/ Ronellenfitsch 2004:101), in der Ausbildung und im Studium medizinischer Berufe, sowie in einer Wissenschaft, die in erster Linie auf die Versorgung weißer Menschen ausgerichtet ist (Vgl. Wanger et al., 2020:2,6). Ein aktuelles Beispiel zur Illustration von Ungleichheit aufgrund ethnischer Unterschiede im medizinischen Kontext ist die Coronapandemie.  In vielen Ländern zeigen Studien, dass sowohl das Risiko der Aussetzung gegenüber dem Virus als auch die Mortalitätsrate unter Infizierten hohen ethnischen Unterschieden unterliegt (Vgl. Rogers/ Rogers/ VanSant-Webb/ Gu/ Yan/ Qeadan 2020; Platt/ Warwick 2020;

Laurencin/ McClinton 2020). Einen Erklärungsansatz liefert dabei die sogenannte „Wheatering Theory“, die davon ausgeht, dass gesundheitliche Konditionen, die aufgrund ethnischer Unterschiede bestehen, durch strukturelle und allgegenwärtige Benachteiligungen bedingt werden, denen nicht weiß gelesene Personen ausgesetzt sind. Diese Benachteiligungen führen zu einem schlechteren Gesundheitszustand und begünstigen die Chronifizierung von Krankheiten (Vgl. Rogers et al., 2020:312). Chronische Vorerkrankungen wiederrum erhöhen bekanntermaßen das Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf bei Covid-19. 

Strukturelle Benachteiligungen können sich außerdem in ökonomische Faktoren äußern: Diese sind beispielsweise eine niedrigere Position auf dem Arbeitsmarkt, geringeres Einkommen und höhere finanzielle Betroffenheit durch Maßnahmen wie Lockdowns, sowie Benachteiligungen in der Wohnsituation durch beengten Wohnraum bewi ärmeren Communities und somit weniger Möglichkeiten zum Social-Distancing (Vgl. Bentley 2020:2).

In Deutschland liegen bedauerlicherweise nur wenige Studien zum Zusammenhang von ethnischen Unterschieden und dem Risiko einer Infektion und einem schweren bis tödlichen Verlauf bei Covid-19 vor, denn repräsentative Daten existieren kaum. Hier besteht also dringender Nachholbedarf: Zukünftige Studien müssen dabei intersektional ausgerichtet sein, um den Einfluss sich überschneidender, diskriminierender Faktoren genau herauszuarbeiten, so dass politische Maßnahmen zur Gegensteuerung zielorientiert entworfen und angewendet werden können. 

Während des Verfassens dieses Essays habe ich den Lesenden einen Einblick in Situationen gegeben, die von meinem jüngeren Ich erlebt wurden. Heute, einige Jahre, nachdem ich die Klinik und den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin hinter mir gelassen habe, erinnere ich mich häufig beschämt und nachdenklich an die Menschen zurück, die auch unter meiner Mitwirkung, Aufrechterhaltung und Förderung Rassismus im klinischen Alltag erleben mussten. Auch ich habe Auszubildende angeleitet. Obwohl ich mich zumindest nicht erinnern kann, Rassismen direkt an sie weitergegeben zu haben, habe ich ihre Aufmerksamkeit mit Sicherheit nicht dafür geschult, die Strukturen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Heute würde ich anders wahrnehmen, beurteilen und handeln. Ein Bewusstsein für die Problematik setzte bei mir erst gegen Ende meiner Pflegelaufbahn ein. Aufgewachsen in einem unpolitischen, konservativen und bildungsschwachen Kontext, hatte ich das Glück, mit meinem Umzug nach Berlin mit Menschen in Berührung zu kommen, die mir Denkanstöße gaben, meinen Horizont erweiterten und mich zum kritischen Denken anregten. Auch im Abitur, dass ich erst nach meiner Ausbildung auf dem zweiten Bildungsweg nachholte, lernte ich wichtige theoretische Fakten, die mir halfen, Kontexte zu verstehen, Verbindungen zu schlagen und analytisch denken zu lernen. Bis heute befinde ich mich in einem ständigen Prozess des bewussten Verlernens von Gelerntem. Aufgrund meiner Erfahrungen empfinde ich die Annahme, das Anstoßen solcher wichtigen Reflexionsprozesse sei privat und müsse aus eigenem innerem Antrieb erfolgen, schwierig. Meiner Meinung nach sollte die Anerkennung und folglich der Abbau rassistischer Strukturen eine gesellschaftliche Aufgabe darstellen. Die Sensibilisierung für die Thematik sollte schon früh fest in die allgemeine Schulbildung integriert werden. Notwendig dafür ist die bewusste Auseinandersetzung mit postkolonialen Strukturen innerhalb aller Bildungseinrichtungen. Im speziellen Kontext der gesundheitlichen Versorgung halte ich aber regelmäßige, von nicht weiß gelesenen Personen durchgeführte und verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierungstrainings für unerlässlich, genauso wie die Implementierung von Anlaufstellen für BIPoC, die Diskriminierung und Rassismus erfahren haben. Dies könnten erste, wichtige Schritte zu einem fairen Gesundheitssystem sein, dass den Anspruch der Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von Ihrer Hautfarbe und Herkunft nicht nur theoretisch vertritt, sondern in allen Bereichen realisiert. 


Literaturverzeichnis

Ruddath, Marthe/ Effenberger, Phillip (2019): Psychiatriepatient William TonouMbobda: Tödlicher Zwang, in: TAZ, 22.07.2019, online unter URL: https://taz.de/PsychiatriepatientWilliamTonouMbobda/!5607926/ Abruf: 1.10.2021

Wanger, Lorena/ Kilgenstein, Hannah/ Poppel, Julius (2020): Über Rassismus in der Medizin. Ein Essay der kritischen Medizin München, in: Kritische Medizin München, 14.08.2020, online unter URL: https://kritischemedizinmuenchen.de/wp-content/uploads/2020/08/%C3%9Cber-Rassismus-in-der-Medizin_14.08.2020_KritMedMuc.pdf Abruf: 29.09.2021, Seite 2,6

Qay11111 U. Kluge/ M. C. Aichberger/ E.Heinz/ C. Udeogu-Gözalan/ D.Abdel-Fatah (2020): Rassismus und psychische Gesundheit, in: Nervenarzt, 15.09.2020, online unter URL: https://link.springer.com/article/10.1007/s00115020009901 Abruf: 30.09.2021, Seite 1020

Razuum, Oliver/ Geiger, Ingrid/ Zeeb, Hajo/ Ronellenfitsch, Ulrich (2004): Gesundheitsversorgung von Migranten, in: Dtsch Arztebl [Heft 43], 26.04.2004, online unter URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/43977/Gesundheitsversorgung-vonMigranten Abruf: 30.09.2021, Seite 101: A 2882–2887 

Platt, Lucinda/ Warwick, Ross (2020): Covid 19 and Ethnic Inequalities in England and Wales, in: Fiscal Studies. The Journal of Applied Public Economics, 03.06.2020, online unter URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/14755890.12228 Abruf: 03.10.2021

Rogers, Tiana,N/ Rogers, Charles R./ , VanSant-Webb, Elizabeth/ Gu, Lily Y./ Yan, Bin/ Qeadan, Fares (2020): Racial Disparities in COVID-19 Mortality Among Essential Workers in the United States, in: WMHP World Medical & Health Policy, 05.08.2020, online unter URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/wmh3.358  Abruf: 03.10.2021, Seite: 312

Bentley, Gillian, R. (2020): Don´t blame the BAME Ethnic and structural inequalities in susceptibilities to COVID-19, in: American Journey of Human Biology, 16.07.2021 online unter URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/ajhb.23478 Abruf: 03.10.2021, Seite: 2 


Quelle: Jacqueline Franz, Ein Essay über Rassismus im Gesundheitswesen: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 31.01.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2022/01/31/ein-essay-ueber-rassismus-im-gesundheitswesen/

Narrative und Single Storys über „Gastarbeiter*innen“

Fragmentierung des Widerstandes und Intersektionen

Liana Maria Saccone (SoSe 2021)

Als im Dezember 2018 allmählich bekannt wurde, dass mit Daniela Cavallo eine Frau mit italienischen Eltern an die Spitze des Volkswagen-Betriebsrates ernannt werden soll, um somit an Stelle von Bernd Osterloh eine der wichtigsten Spitzenpositionen deutscher Gewerkschaften zu bekleiden, erschien im Kontext einer scheinbar positiven Neuigkeit ein Rattenschwanz verschiedener diskursiver Topoi. Aus einer auf den ersten Blick erfreulichen Nachricht wird an dieser Stelle der Ausgangspunkt des vorliegenden Gedankenspiels, das ein nicht abflachendes Unbehagen in mir selbst verbalisieren soll.

Das Handelsblatt titelte zu dieser Gelegenheit: „Gastarbeiter-Tochter wird Kronprinzessin von VW-Betriebsratschef Osterloh“.[1] Zwei Komponenten konzentrieren sich bereits in der Überschrift des Artikels (verfasst von Stefan Menzel): Einer davon ist der Sexismus, der mit der Verniedlichung einer Frau einhergeht. Daniela Cavallo wird implizit, mittels des Sprachgebrauchs, zur „Kronprinzessin“ und „Gastarbeiter-Tochter“ reduziert— also auf ihr Verhältnis zu zwei Männern (der mächtige Betriebsrat Osterloh und der anonyme italienische „Gastarbeiter“), anstatt sie als öffentliche Persona ernst zu nehmen. Die zweite Komponente ist die Intersektion mit einem verzerrten und euphemistischen Umgang mit der Geschichte sogenannter Gastarbeiter*innen, die das Spannungsverhältnis des vorliegenden Textes konstituieren, in dem sich der Prozess meiner eigenen Subjektwerdung selbst vollzieht.

Menzel beginnt seinen Text mit folgenden Worten:

„Rein äußerlich könnten die Unterschiede kaum größer sein. Bernd Osterloh kommt an die 1,90 Meter heran. Groß, kräftig. Allein an seiner Statur wird deutlich, dass er voll im Leben steht. Daniela Cavallo, einen guten Kopf kleiner und zierlich, könnte sich hinter dem Betriebsratsvorsitzenden von Volkswagen nahezu problemlos verstecken.“

Cavallo wird hier ein diskursiver Ausgangspunkt aufgesetzt, dem sie sich einer solchen stets sich wiederholenden Sprachstruktur nicht entziehen kann. Ihre Geschichte wird zu einer Figur auf einem Spielbrett, dessen Regeln sie nicht umgehen kann. Die Selbstverständlichkeit ihrer Arbeit (beziehungsweise die überwundenen und hier verschwiegenen Hindernisse, um die Arbeit überhaupt ausführen zu können), wird immer an dem Selbstverständnis ihrer deutschen und männlichen Vorgänger gemessen werden. Sie wird sich nicht der Frage entziehen können, was sie als „Gastarbeiter-Tochter“ leistet. Und unter diesem Sprachschirm erkundet eine Dominanzkultur ihren eigenen Status als tolerante Gesellschaft. Sie in einer Spitzenposition heißt: eine enorme Projektionsfläche von Narrativen, die sich durch ihre Ernennung nicht verändern werden. Viel mehr gilt die Geschichte von sogenannten Gastarbeiter*innen als Erfolg für alle Beteiligten, eine harmonische Geschichte von gelungener Integration durch Assimilation.[2]

Daher die Fragen: An wen richten sich solche Geschichten? Von wem dürfen sie erzählt werden? Und welche Wahrheiten konstituieren sie?

Diese Geschichte versteckt die realen Biografien und Geschichten ihrer Protagonist*innen. Sie dient einem Wunschdenken eines hegemonialen Diskurses, den selbst Cavallo nicht brechen dürfte, wenn ihre Reichweite als öffentliche Person und somit die Gunst und Euphorie der Öffentlichkeit sich nicht gegen sie wenden soll. Als Repräsentation der gesamten postmigrantischen Community, muss sie die gewünschten Anforderungen rezitieren; also das Bild der „guten Migrantin“ — vor allem durch Dankbarkeit — bedienen.[3]  Darüber hinaus wirft diese Erzählung eine gefährliche Hierarchisierung auf, die sich eben durch ihre geschichtsvergessene Reproduktion perfide an andere Gruppen richtet.

Um diesen Gedanken zu illustrieren, soll folgender Absatz aus dem Wikipediaartikel Italiener in Deutschland angebracht werden:

„Italiener gehörten zwar zu den beliebtesten Einwanderern in Deutschland, seien jedoch oft schlecht integriert und hätten wenig Kontakte zu Deutschen. Da sich die Berichterstattung über fehlgeschlagene Integration in den Medien sowie integrationsfördernde Maßnahmen jedoch meist auf Einwanderer aus dem islamischen Kulturkreis beschränken, werden Integrationsprobleme und Benachteiligungen insbesondere in Sachen Bildung unter italienischen Migranten oft nicht deutlich wahrgenommen. Das mag auch daran liegen, dass die Italiener, wie die anderen Südeuropäer auch, wirtschaftlich vergleichsweise gut integriert sind und ihre Bildungsdefizite im Erwerbsleben erfolgreich ausgleichen können. Dadurch erreichen die Menschen mit italienischem Migrationshintergrund bei einigen Arbeitsmarktindikatoren beinahe die Werte der Einheimischen.“[4]

Diese äußerst unsensible Ausführung dient hervorragend zur Konkretisierung der Blick- und Machtverhältnisse, innerhalb derer der „einheimische“ Körper einer bunten Masse an verschiedenen Einwanderergruppen gegebübersteht, die dessen Integrationsprozess aus einer erhöhten Position beobachten und bewerten kann. Dieses dichte Machtverhältnis ist eben jene Machtperformance und Meta-Othering, die nach Parameter Blut und Boden einen stabilen Gesellschaftskern konstruiert, und somit auch seine Peripherien und möglichen Zugeständnisse schaffen. Diese Argumentation findet sich sowohl institutionalisiert (und somit naturalisiert) in der Erhebung und Messung von „migrantisch“ definierten Körpern, in verschiedenen Facetten aufbereitet in intermedialen Aufbereitungen; und schließlich materialisiert auf der Straße und auf dem Wahlzettel.

Plötzlich werden — wie mit einem Zirkel — „Kulturkreise“ gezogen und koloniale Deutungshoheiten aufrechterhalten. Neben dieser räumlich-kulturlaisierten Dimension, schließt sich eine zeitliche Dimension an, die paradoxerweise dadurch agiert, dass sich der gegenwärtige Diskurs von seinen historischen Ablagerungen distanziert, z.B. in der Aussage „Italiener waren in den 1950er und 1960er Jahren oftmals starken Diskriminerungen ausgesetzt“[5] oder der gegenwärtigen medialen Verschiebung auf muslimisch gelesene Menschen. Es vollzieht sich eine Isolation der Kontinuitäten.  Diese Verharmlosungen dienen als Strategien der Spaltung und dienen der Eindämmung einer kollektiven Anprangerung der Machtverhältnisse durch migrantisierte und vom Patriarchat marginalisierte Personen.

Mit der Ernennung einer italienischen Frau in den Betriebsrat und der dadurch proklamierten Aufwertung und Toleranz gegenüber Nachfahr*innen von italienischen Migrant*innen, passiert somit zweierlei: Zum einem werden persönliche Rassismuserfahrungen einer Gruppe trivialisiert, was dazu führt, dass soziale Hürden als mangelnde Integrationsfähigkeit erscheinen. Zum anderen wird eine Hierarchie der Unterdrückten kreiert, in der die eine Community von der anderen Community fragmentiert wird.  Mittels der gemeinsamen Abwertung des jeweiligen Anderen erhoffen sich die Gruppen die diskursive Möglichkeit von sozialer Akzeptanz (wobei auch Italiener*innen wie ich in der dritten Generation nicht als „einheimisch“ gelten, oftmals kein Wahlrecht besitzen und nach wie vor andauernden Abflachungen ihrer Identität und Mikroaggressionen ausgesetzt sind). Ab dem Moment wo keine „ Zugang für Italiener und Hunde verboten“-Schilder[6] mehr vor Lokalen hängen, sieht eine Dominanzkultur keinen Anlass  mehr sich mit ihren diskriminierenden Gegenwärtigkeiten auseinanderzusetzen. Dabei leben unsere Großeltern noch hier. Nur schreiben sie nach den Jahrzehnten der Arbeit in den Fabriken keine Essays über ihre Erfahrungen: Darüber, wie sie es bevorzugten zu Schweigen, damit ihre Kinder ein vorteilhafteres Leben im fremden Land haben konnten. Oder darüber, wie viele Kinder der zweiten Generationen bereits die Sprache ihrer Eltern verlernten und anfingen, ihnen die Welt auf deutsch zu erklären. Auch sie wurden dadurch nicht „einheimisch“. Die Betriebsratsvorsitzenden von ihnen bleiben „Gastarbeiter-Töchter“.

Wie ist mit diesen Spaltungen umzugehen? Wie lässt sich über die persönliche Marginaliserung sprechen, während diese mit vielen Privilegien einhergeht; ohne die Strategie einer „Opferolympiade“ zu bedienen, die Mohamed Amjahid in Der Weisse Fleck hervorragend analysiert?[7]

Die Aufarbeitung der eigenen Erfahrungen geht einher mit dem Erkennen der eigenen Privilegien einerseits, die Italiener*innen im Vergleich zu anderen Communities sehr wohl genießen (Codierungen als Schlagwörter: eher weiß gelesen, europäisch, romantisierende Stereotype, christlich, etc.), und der Aufarbeitung all jener entmündigenden Muster, die Menschen, die aufgrund der Faktoren gender, race and class Betroffene stets als Anderes konstituieren, sich Erwartungshaltungen anpassen müssen, die sie nicht selbst bestimmen durften. Unsere kulturellen Gedächtnisse werden entweder infantilisiert, ignoriert oder dämonisiert. Es werden Bilder produziert und verbreitet und Menschen werden zu (politischen) Metaphern mit verschiedenen Werten. 

Was passiert, wenn wir weder über kollektive und individuelle Traumata, noch über gleichzeitige Privilegien sprechen?

Eine Künstlerin, bei der diese Dynamiken besonders stark zum Ausdruck kommen, ist Semra Ertan. In einem titellosen Gedicht schreibt sie:

Meine Mutter ist eine Arbeiterin,

Mein Vater ist ein Arbeiter,

Ich bin eine Arbeitertochter.

Ich liebe Arbeiter*innen.

Arbeiter*innen haben mir geholfen,

Ich helfe den Arbeiter*innen.

Ich konnte mich nie an die Reichen gewöhnen,

Die mit Abscheu

Die Klassen unter ihnen

Verachten[8]

In diesem Gedicht eignet sich Semra Ertan die politischen Signifikanten wieder an, die ihr zugeschrieben wurden und füllt sie mit ihrem eigenen Kontext. Die Spirale Arbeiter-Arbeiterin-Arbeitertochter wirft das Subjekt in die ihm zugeschriebene Rolle, die sie jedoch auf die unterdrückende Klasse zurückwirft und gleichzeitig zur Solidarität der heterogenen Arbeiter*innenschaft aufruft: „Arbeiter*innen haben mir geholfen/Ich helfe den Arbeiter*innen“.

Diese kurze Spirale ist insofern wichtig, als dass hier nicht der Begriff „Migranten“ fällt, sondern die Unterdrückung als etwas begriffen wird, was zum einen über die türkische Community hinausgeht, zum anderen auch am Herkunftsland der Eltern ansetzt. Die Dominanzkultur als solche erscheint insofern dynamisch, als dass die Teilhabe von wenigen marginalisierten Menschen an ihr (s. Oben) nicht etwa Ausbeutungsverhältnisse beendet, sondern sie lediglich nach sozialen und ökonomischen Bedürfnissen anpasst; also zum tokenism verführt. Andererseits greift es auch die Idee vom dekadenten Herkunftsland an. Es verließen nicht die privilegierten Türk*innen, Italienier*innen, Griech*innen ihre Heimat, um in Fabriken zu arbeiten. Die Notwendigkeit treibt Menschen von Orten weg, an denen ihre Familien leben, ihre Gebärden und Sprachen erlernt wurden, die alten Gerichte gegessen wurden. Italien bspw., ist eine europäische Wirtschaftsmacht mit kolonialer Vergangenheit. Es waren jedoch nie diejenigen mit einer Stimme, die mit Koffern in die Züge einstiegen, die sie nach Deutschland, Belgien oder in die Niederlanden brachten. In Christus kam nur bis Eboli beschreibt Carlo Levi seine Zeit im süditalienischen Exil, die dem gebürtigen Turineser Levi wie eine Welt der Magie, Mysterien und Prähistorizität erschien.[9]

Diese Grenzziehungen und Kategorien erkennt Semra Ertan als flexibel, anpassbar und subtil. Die Beschreibung der eigenen Situation, der Form von Marginalisierung, sind polymorph und unscharf. So ist das Leben der Diasporen nicht nur eins zwischen zwei Kulturen, Sprachen oder Ländern, sondern ein komplexes Geflecht zwischen sozialen Dynamiken innerhalb der Herkunftsländer selbst, an dessen Ende sich die Abwertung von Körpern und die Materialisierung von sozialer Klasse gegenseitig befruchten:

Mein Name ist Ausländer,
Ich arbeite hier,
Ich weiß, wie ich arbeite,
Ob die Deutschen es auch wissen?
Meine Arbeit ist schwer,
Meine Arbeit ist schmutzig.
Das gefällt mir nicht, sage ich.
„Wenn dir die Arbeit nicht gefällt,
geh in deine Heimat“, sagen sie.
Meine Arbeit ist schwer,
Meine Arbeit ist schmutzig,
Mein Lohn ist niedrig.
Auch ich zahle Steuern, sage ich.
Ich werde es immer wieder sagen,
Wenn ich immer wieder hören muss:
„Suche dir eine andere Arbeit.“
Aber die Schuld liegt nicht bei den Deutschen,
liegt nicht bei den Türken.
Die Türkei braucht Devisen,
Deutschland braucht Arbeitskräfte.
Mein Land hat uns nach Deutschland verkauft,
Wie Stiefkinder,
Wie unbrauchbare Menschen.
Aber dennoch braucht sie Devisen,
Braucht sie Ruhe.
Mein Land hat mich nach Deutschland verkauft.
Mein Name ist Ausländer.[10]

Audre Lordes berühmte Warnung, dass die Waffen der Unterdrücker ihr Haus niemals einreißen würden[11], verstehe ich vor allem als Appell, im Falle einer Privilegierung, diese nicht gegen andere auszuspielen. Das Werkzeug der Unterdrücker macht nur in diesem Gebilde Sinn, ihr Werkzeug kann sich nur schwer gegen sich selbst richten. Die Alternative wäre, es sich innerhalb des Hauses gemütlich zu machen und die erlebten kollektiven Traumata zu verdrängen. So internalisierten unter anderem italienische Migrant*innen sehr früh die Ressentiments gegen andere Gruppierungen, den gesellschaftlich anerkannten Sexismus und die Rolle als „überlegene Ausländer*innen“. Und so zeigt sich eine Tendenz auf, die sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA vollzogen hat: der Aufstieg des Ausländers, das weiß-werden in den Augen der Dominanzkultur, das Angebot vollends amerikanisch zu werden, indem die vorherrschenden Strukturen rigoros verinnerlicht werden.

So führte die Migration aus Italien zur Aufwertung des deutschen Arbeiters, das Arbeiterabkommen mit der Türkei zur Aufwertung der italienischen Arbeiter, usw., und letztlich zur essenzialistischen Fixierung von Deutschland als stärkste Wirtschaftsnation Europas als deutsche Erfolgsgeschichte. Die Aufwertung des Einen sorgte für die Abwertung des Anderen, die Normalisierung von Ausbeutung bleibt unangetastet und verändert bloß die Füllung der Platzhalter.


Fußnoten:

[1] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/daniela-cavallo-gastarbeiter-tochter-wird-kronprinzessin-von-vw-betriebsratschef-osterloh/23773308.html?ticket=ST-3258153-sXZgn1rsx2WWU6qURCi5-cas01.example.org, letzter Zugriff: 30.10.2021, 19:32 Uhr.

[2] An dieser Stelle mag auch das Ende des genannten Artikels zitiert werden:

„2023 oder 2024 dürfte sich Osterloh zurückziehen. Und dann könnte Volkswagen mit einer Neuheit glänzen, die es bislang nirgendwo gibt – mit der ersten Frau an der Betriebsratsspitze eines großen deutschen Autokonzerns.“

[3] Der Artikel lässt Cavallo nur an einer einzigen Stelle zu Wort kommen:

„Cavallo ist in Wolfsburg geboren, hat aber italienische Eltern. Ihr Vater ist mit der ersten Welle von Gastarbeitern zu Volkswagen nach Niedersachsen gekommen. ‚Mein Vater sagte immer, VW ist der beste Arbeitgeber in der Region. Wenn du im Werk einen Ausbildungsplatz bekommst, hast du eine sichere Zukunft. Das tat ich’, erzählt sie selbst über diese Zeit. Sie sei in beiden Ländern zu Hause. Aber: ‚Wenn ich in Italien bin, freue ich mich, wieder nach Hause zu fahren, nämlich nach Wolfsburg.‘“

[4] Die aktuelle Version des Artikels: https://de.wikipedia.org/wiki/Italiener_in_Deutschland, letzter Zugriff: 30.10.2021, 21:28 Uhr.

[5] ebd.

[6] https://www.tagesschau.de/ausland/italien-gastarbeiter-deutschland-abkommen-101.html, letzter Zugang: 30.10.2021, 22:44 Uhr.

[7] vgl. Mohamed Amjahid, Der Weisse Fleck — Eine Anleitung zu antirassistischem Denken, München: 2021.

[8] Semra Ertan, 13.11.1979,  ohne Titel, aus: Mein Name ist Ausländer, Münster: 2020, S.116.

[9] vgl. Carlo Levi, Cristo si é fermato a Eboli, Turin: 1945.

[10] Semra Ertan, Mein Name ist Ausländer, in: Mein Name ist Ausländer, S.176.

[11] Audre Lorde, Die Werkzeuge der Herrschenden werden das Haus der Herrschenden niemals einreißen, in: Sister Outsider, USA: 1984 / München: 2021, S.10.


Quelle: Liana Maria Saccone, Narrative und Single Storys über „Gastarbeiter*innen“, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 21.01.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=178