Racial Profiling und die Polizei

Eine Überlegung bezüglich institutionellem Rassismus und dessen Überwindung

Vio Beetz (SoSe 2021)

Einleitung

Laut dem Grundgesetz ist Racial Profiling verboten, da es gegen die Menschenwürde verstößt, in dem Menschen nach ihrem Äußeren kategorisiert und sie zusätzlich auch noch direkt staatlichem Agieren unterwirft, denn die Polizei ist Bestandteil der Exekutive und handelt damit als Staatsgewalt.

Nicht nur dieses Verbot, sondern auch die Beachtung der Menschenwürde scheinen aber immer wieder strukturell vernachlässigt zu werden, nett zu umschreiben. Ein Beispiel dafür ist der Fall des Todes von Qusay Khalaf, der am 5. März 2021 nach einer Polizeikontrolle und darauf folgendem Gewahrsam im Krankenhaus verstarb. Qusay wurde 19 Jahre alt. Er war vor einer Kontrolle durch Zivilpolizist*innen geflohen, eingeholt, festgehalten, auf dem Bauch fixiert und dann mitgenommen worden. Hilfe wurde ihm erst zu spät geleistet, sodass er im Krankenhaus verstarb.1 Ein bekannterer Fall von Ingewahrsamnahme und darauf folgendem Tod ist der von Oury Jalloh 2005. Oury Jalloh verbrannte in einer Zelle in der Untersuchungshaft in Dessau nach seiner Festnahme durch die Polizei. Beide Fälle sind bis jetzt nicht ausreichend aufgeklärt, es gibt keine wider-spruchsfreien Tatverläufe, ebenso sind keine Gerichtsverfahren zu für die Betroffenen zufriedenstellenden Urteile gekommen. Bei beiden Fällen ist hervorzuheben, dass es sich bei den Toten um BI_PoC handelte und dass es Geflüchtete waren, also gesellschaftlich Marginalisierte. Beide wurden ohne direkte Grundlage kontrolliert.2

Das folgende Essay soll sich mit dem Thema „Racial Profiling“ auseinandersetzen. Kurz zusammengefasst handelt es sich dabei um Polizeikontrollen, die aufgrund von gesellschaftlicher Positioning bei bestimmten Personen durchgeführt werden. Polizeikontrollen sind nicht zwangsläufig Racial Profiling und von Rassimus Betroffene sind nicht die einzigen Menschen, die unter Polizeikontrollen leiden, auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Diese Thematik findet leider keinen Platz im folgenden Text, auch weil die Verbindungen zum Seminar fehlt, in dem vor allem Rassismen und Sexismen im globalen Norden durch weiterhin bestehende koloniale Strukturen auf individueller Ebene besprochen wurden. Die Auseinandersetzung mit der Systematik soll nun hier anschließen.

Als theoretische Basis ist dafür die postkoloniale Theorie gegeben. Wie immer kann keine vollumfängliche Analyse geboten werden, aber es folgt ein Versuch der historischen und politischen Kontextualisierung im Globalen Norden. Wie weit im Anschluss an das Seminar bei dieser Systematik von einer „single story“ (nach Chimamanda Adichie3) innerhalb des Systems gesprochen werden kann, wird sich zeigen. Auch bleiben dabei strukturelle Diskriminierungsmuster wie die Bedeutung von Klasse oder Ableismus auf der Strecke.

Insgesamt geht dieses Essay jedoch nicht nur auf Racial Profiling, dessen Grundlage und die gerade schon gezeigten Folgen ein, sondern es will auch Lösung und Ideen für dessen Überwindung bis hin zur Veränderung des aktuellen Rechtssystems ansprechen. Dabei ist vorab noch wichtig zu sagen: Die folgende Diskussion basiert auch darauf, dass die systematische Verknüpfung von Rassismus und der Polizei dafür sorgt, dass es nur zweitrangig um die Position der Polizist*innen selbst geht, die teilweise ja auch selbst von Rassismus betroffen sein können, sondern dass das gesamte System in sich rassistisch ist.

Die Basis für diese Auseinandersetzung soll durch zwei Essays im Sammelband „Kritik der Polizei“ und ein Essay zu Abolitionismus von Vanessa E. Thompson bilden. Es kommen dabei ebenso aktivistische Stimmen zu Wort, wie in vielen Fällen wird sich hier ebenfalls politisches Plädoyer und wissenschaftliche Arbeit aufgrund der Basis nur bedingt trennen lassen. Der Versuch der Trennung wäre aber auch aufgrund meiner Positionierung und meines Bias heraus nur bedingt sinnvoll und möglich. Mein Bias, also meine Voreinstellung und meine Haltung, basiert auf dem Gedanken der Gleichwertigkeit aller Menschen. Dementsprechend lehne ich Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus grundlegend ab und versuche auch persönliche verinnerlichte Formen dieser zu reflektieren und abzulegen.

Dieser Essay ist aus meiner weißen Perspektive geschrieben, das heißt ich bin nicht negativ von Rassismus betroffen und dementsprechend auch nicht von Racial Profiling durch die Polizei.

1. Eine kleine theoretische und historische Einführung

Ich werde hier versuchen, einen kleinen theoretischen Rahmen zu schaffen, von dem aus eine Kritik der Polizei anhand der Praktik des Racial Profiling erst eingeordnet werden kann.

Dabei ist grundlegend erstmal auf die Zusammenhänge von Polizei und Kolonialität einzugehen. Es ist wichtig zu betrachten, dass die Polizei als Institution in der Entstehung eng mit Kolonialität verwoben ist. Polizeistrukturen sind teilweise erst in den Kolonien erprobt um dann auch in den Ländern des globalen Nordens Verwendung zu finden.4 Dabei finden sich Vorlaufsmodelle der Polizei schon im 17. und frühen 18. Jahrhundert direkt innerhalb der Sklavereiwirtschaft und zur Aufrechterhaltung der Sklaverei in den Amerikas, z.B. bei Sklavenpatrouillen, die unter anderem für das Gewaltsame zurückzwingen von Sklav*innen nach ihrer zunächst erfolgreichen Flucht fungierten.5

Wie genau dieses Polizieren6 als Sicherung der rassistischen Unterdrückung in der Zeit der Sklaverei vor allem in den sog. Südstaaten zu Zeiten der britischen Kolonisierung bis hin zur Auflösung der Sklaverei erfolgte, wird im Aufsatz von Sally Hadden dargelegt. Der Aufsatz zeigt vor allem, dass dieses Polizieren anfangs beinahe alleinig der afroamerikanischen Bevölkerung gilt und systematisch allen Weißen dieses Polizieren auferlegt wurde, bis sich dies in Sklavenpatrouillen rechtlich institutionalisierte. Dies wird erst mit der Auflösung der Sklaverei (im Jahr 1865 am Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs) aus dem institutionellen Hintergrund genommen und findet seine direkte Kontinuität im Ku Klux Klan, jedoch finden sich direkte Aspekte ebendieser Praktik auch in der separaten Behandlung Schwarzer Menschen während der Jim-Crow-Gesetze Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese explizite Kontinuität der sog. „Rassentrennung“ auf Basis rassistischer white supremacy findet sich bis heute.7

Zusammenhänge entstehen bei der Strategie des Polizierens hierbei vor allem „um die Einhegung von Menschen für die Ausbeutung und Produktivmachung“8.

Ebenfalls muss der Umgang der Polizei mit Menschen als Objekte des polizeilichen Wirkens thematisiert werden: Nicht nur sind alle Subjekte in unserer Gesellschaft vergeschlechtlicht und rassifiziert, d.h. diese Merkmale werden durch gesellschaftliche Diskurse zugeschrieben und größtenteils übernommen, sondern sie werden auch dementsprechend poliziert.9

Dies deckt die Subjekttheorie nach Louis Althusser der zu polizierenden Subjekte nicht ab, in der die Ausgangssituation mit dem Anruf „Hey, Sie da!“ von der Polizei im öffentlichen Raum gegenüber einer Position stattfindet, wenn diese sich angesprochen fühlt und sich dem Ansprechenden zuwendet, ist sie Rechtssubjekt. Thompson kritisiert in ihrem Essay mithilfe von Fanon daran, dass dies nur für die privilegierten Teile der Bevölkerung gilt.10 Die von der Vergeschlechtlichung und Rassifizierung nicht privilegierten Positionen (privilegiert sind im Kern vor allem weiße und männliche Subjekte) werde nie als Subjekte, sondern immer als Objekt des polizierens genannt, was sich auch schon daran zeigt, dass Menschen ohne diese Privilegien „durch rassistische und institutionalisierte Arrangements selbst bei den Behörden geduzt [werden].“11 Dieser weiße Blick auf schwarze Subjekte in der Gesellschaft findet durch die weiße Gesellschaft auch außerhalb des direkten Polizierens statt und spiegelt sich im Alltagsrassimus der weißen Gesellschaften des Globalen Nordens.12

2. Racial Profiling als rassistische Polizeipraxis

Racial Profiling soll im Folgenden als Praxis des Polizeiwirkens untersucht werden. Definieren lässt dieses sich wie folgt: „Racial Profiling tritt auf, wenn Polizei und private Sicherheitsdienste Menschen of colour auf Grundlage von zugeschriebener ,Rasse‘, Ethnizität, Herkunftsland oder Religion entwürdigenden und oft furchteinflößenden Verhaftungen, Befragungen und Durchsuchungen unterwirft, ohne dass ein Beweis für eine kriminelle Handlung vorliegt.“13 Dies lässt sich als Form von Institutionellem Rassismus einordnen, da es ein Mittel ist, um die Vorherrschaft weißer Positionierung in der Gesellschaft zu erhalten. Dies mag nicht immer aus persönlichen Intentionen heraus passieren, diese spielen jedoch auch eine wichtige Rolle in ihrer Prägung des Diskurses. Denn die vermehrte Kontrolle von Menschen aufgrund der vorher genannten Merkmale ist nicht nur  rassistisch, sondern schlägt sich auch in den Statistiken der Polizei nieder, die weiterhin die Definitionshoheit über ihre eigene Arbeit besitzt und staatliches Instrument ist.14 Aufgrund von Berichterstattung über die Polizeistatistiken, die Gewalt bei Schwarzen Menschen und Menschen of colour häufiger vermerken, da diese häufiger kontrolliert werden als der Rest der Gesellschaft. Das bedient rassistische Stereotype, vor allem das von Kriminalität und Unzivilisiertheit bei B_PoC.15 Diese rassistischen Stereotype finden sich bei allen weißen Menschen der Gesellschaften des Globalen Nordens, wie Peggy McIntosh aufzeigt.16

Racial Profiling findet dabei vor allem an Orten statt, an denen „Verdachtsunabhängige und anlasslose Kontrollen“ legal durchgeführt werden dürfen, an sog. kriminalitätsbelasteten Orten, oft auch einfach „gefährliche Orte“ genannt.17 In Berlin gibt es sieben solcher Orte, eine der bekanntesten ist der Görlitzer Park, der unlängst auch in einer Dokumentation vom Y-Kollektiv versucht wurde zu charakterisieren.18 Ebenfalls sind diese Kontrollen an Bahnhöfen, Flughäfen und in Grenznähe möglich. Dabei ist es der Polizei juristisch erlaubt, Menschen ohne konkreten Anlass zu befragen, zu kontrollieren oder eine Identitätskontrolle durchzuführen.19 Das mag in dieser Form tendenziell harmlos klingen, jedoch sei hier noch einmal die inhärente Gewalttätigkeit des bereits oben genannten weißen Blickes einerseits als auch die Demütigungen und die Gewalt im öffentlichen Raum und damit die Bloßstellung hervorgehoben. Ein noch wesentlicher Bestandteil ist, dass es dabei immer wieder zu massiver Polizeigewalt und auch regelmäßig zum Tod von vor allem Schwarzen Menschen kommt, sowohl in Deutschland und Frankreich,20 als auch in anderen Ländern des Globalen Nordens wie den USA, wo der Tod von George Floyd massive Proteste auslöste, ähnlich wie schon Jahre zuvor die Kontrolle von Rodney King. Hier könnte eine ewig lange Abfolge an Vorfällen geschildert werden, siehe dafür unter anderem Vanessa Thompson (2018, S. 208 und 209).

Gleichzeitig sind bei den Behörden keinerlei Statistiken über das Ausüben von Racial Profiling vorzufinden, weshalb vor allem auf zivilgesellschaftliche Initiativen Bezug genommen werden muss, wenn es um die Erhebung von Daten geht. Diese gehen oft auf Berichte von Betroffenen ein; dies setzt voraus, dass die Betroffenen ihre traumatische Erfahrungen darlegen, offenlegen, oder in selteneren  Fällen, gegen die Polizei anzeigen, welches selten von Erfolg geprägt ist.21 Als Beispiel für diese zivilgesellschaftlichen Organisationen sei die KOP Berlin genannt.22

3. Ausblick

Wie mit der oben genannten Ungerechtigkeit umzugehen ist, bleibt als Frage offen und dementsprechend sollen hier, um einige Perspektiven und Ausblicke zu ermöglichen, Alternativen  zur momentan stattfindenden Praxis der rassistischen Kontrollen aufgezeigt werden. Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze, die oftmals versuchen, das Problem systemisch zu analysieren. Diese Ansätze können dabei von kleinen Verboten bis hin zur Veränderung des Polizierens und Gefängnissystems gehen, genannt sei hier vor allem der Abolitionismus, auf welchen ich später noch genauer eingehe.

Vorab: Oft wird in der öffentlichen Diskussion gefordert, dass der Handlungsbedarf bei der persönlichen Haltung einzelner Polizist*innen liegt. Dem folgend werden Anti-diskriminierungstrainings gefordert, die interne Veränderung bringen sollen und Handlungs-vorschläge unterbreiten.23 Wie ich aber bereits versucht habe aufzuzeigen, ist Racial Profiling und rassistische Praxis durch die Polizei kein ausschließliches Problem von persönlicher Haltung, sondern vor allem von Systematik der Machtverteilung. Natürlich kann dieser Ansatz zu Fortschritten im Abbau von Rassismus führen, gleichzeitig bleibt es verständlich, dass das Vertrauen in Verantwortlichkeit einzelner Polizeibeamte*r von Aktivist*innen nicht als ausreichend eingeschätzt wird. Darauf geht auch Ulla Jelpke in ihrem Essay kurz ein. Dort wird unter anderem auch argumentiert, dass sich Kontrollen teilweise gar        nicht von Diskriminierung lösen können, sondern dies inhärent ist und dementsprechend Trainings keinen wesentlichen Unterschied schaffen.24

Die direkte Forderung in Bezug auf Racial Profiling ist vielfach die Abschaffung der gefährlichen Orte bzw. ihr Verbot. Dies ist, wie bereits im Namen erkennbar, auch das Ziel der Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte Abschaffen. Diese Kampagne greift gezielt das System der Polizeikontrollen an Gefährlichen Orten an, da diese durch die rechtliche Hintertür Racial Profiling ermögliche, während dieses eigentlich verboten ist. Dementsprechend ist das Abschaffen dieser Orte eine Möglichkeit, um der Polizei die Mittel zu nehmen, legal und damit rechtlich nur schwer anfechtbar diese rassistische Praxis aufrechtzuerhalten.25 Die Kampagne bezieht sich dabei vor allem auf Berlin, jedoch kann dieser Ansatz auch auf anlass- und verdachtsunabhängig Kontrollen generell angewandt werden, denn diese finden u.a. auch in Grenzregionen statt.

Dabei muss ich an (weiße) Freund*innen von mir denken, die mir erzählten, dass sie erlebten, dass in einem Grenzort in Deutschland alle BI_PoC im Zug bei dessen Halt kontrolliert wurden. Nachdem diese die Kontrollen der Polizei und ihr Racial Profiling ansprachen und dabei kritisierten, kontrollierte die Polizei daraufhin auch alle weißen Fahrgäste. Dadurch hatte der Zug eine erhebliche Verspätung. Dort zeigt sich bereits: Der Zugfahrplan rechnet fest damit, dass nicht alle, sondern nur bestimmte Gruppen poliziert werden. Des Weiteren zeigt sich auch: In diese Kontrollen einzugreifen kann wirken und die Polizei mit ihrem Rassismus konfrontieren (der wie McIntosh aufweist, gar nicht unbedingt bewusst ist). Ebenfalls schafft dies Aufmerksamkeit und damit eventuell auch öffentlichen Druck. Dies ist eben auch ein Ziel der Kampagne der KOP Berlin Ban! Racial Profiling.26

Ein Ansatz der darüber hinaus geht, ist der des Ressourcenentzugs der Polizei und die Umverteilung hin zu sozialen Projekten. Dieser Ansatz wurde unter dem Schlagwort „Defund the Police!“ im öffentlichen Diskurs vor allem mit den Protesten gegen Polizeigewalt in Reaktion auf den Tod von George Floyd in Minneapolis im Jahr 2020 laut. Dieser kann also ein erster Schritt innerhalb abolitionistischer Praxis gesehen werden. Die Idee hinter dem Ressourcenentzug ist, dass die Polizei die öffentliche Ordnung mit Gewalt aufrechterhält, während die Probleme bleiben, welche Kriminalität und Gewalt hervorrufen: Kapitalismus und Konkurrenzdenken, Armut und Perspektivlosigkeit. Gegen diese mit vermehrter Sozialer Arbeit, Gesundheitsversorgung und weiterer sozialer Sicherheit vorzugehen, senke somit die Kriminalität an sich. Es geht also quasi um die Problemlösung von Menschen in prekären Situationen und nicht um den Erhalt des status quo, auch mit Gewalt.27

Zusätzlich ist ein Punkt für diese nun folgende abolitionistische Perspektive sehr wichtig: Menschen, die so regelmäßig negativ vom Wirken der Polizei und dem Justizsystem eingeschränkt und diskriminiert werden, bleibt meist nicht die Option, selbst die Polizei zu rufen. Das führt letztlich dazu, dass diesen Menschen der Versuch zum Rückgreifen auf das Rechtssystem und damit auf öffentliche, juristische Gerechtigkeit verwehrt bleibt. Das bedeutet gleichzeitig, dass der Schutz, der anderen Gruppen zukommt, nicht gewährt oder in Anspruch genommen werden kann.

Dies hat wiederum dazu geführt, dass Konzepte und Wissen entwickelt und vermittelt wurden und werden, die diese Wege nicht gehen und über anderem Weg nicht nur Schutz, sondern vor allem Tatprävention und Reintegration ohne die Institution Gefängnis schaffen. Diese Konzepte kommen vielfach aus politischen Gruppen, vor allem aber aus Netzwerken von Marginalisierten mit unterschiedlichem Hintergrund, vielfach Mehrfachmarginalisierte, vor allem QTIPoC, also queere, trans* und inter Schwarze Menschen/Personen of Colour.28

Es gibt diese Konzepte aber nicht erst seit kurzem, sondern es finden sich schon solidarische Lebensweisen in früheren abolitionistischen Kontexten, genannt sei zum Beispiel die Maroon Communitys, welche in Teilen der Karibik aus entflohenen und befreiten Sklaven aus der Plantagenwirtschaft bestanden.

Der heutige Fokus auf Gefängnisse und das Strafsystem besteht seit dem 20. Jahrhundert in der abolitionistischen Bewegung. Dabei umfasst die Kritik des heutigen Gefängnissystems oft eine grundlegende Systemkritik, da die oben bereits erwähnte Rassifizierung und Vergeschlechtlichung von Körpern und deren Produktivmachen grundsätzlich als negativ bewertet werden. Das Gefängnis wird hierbei als Funktionalität dieses Produktivmachens begriffen.29 Es wird eine direkte Verbindung zwischen Kolonialismus und modernem Strafsystem hergestellt, da die Gefängnisse, welche zwar als Reformversuche gegenüber massiven körperlichen Strafen eingeführt wurden, aber selbst eine Kriminalität bestrafen, die eng mit dem Kapitalismus verknüpft ist. Dabei ist Landstreicherei, deren Konzept früher vor allem gegen Sinti*zze und Rom*nja und die Arbeiterklasse gewandt war, nicht mehr verboten, so zeigen sich doch ähnliche Strukturen noch immer beim Faktor Drogenhandel und Privilegien.30 Dies lässt sich auch am Beispiel Görlitzer Park belegen, wo vielfach Geflüchtete ohne Arbeitserlaubnis mit illegalisierten Drogen handeln.

Hervorzuheben ist innerhalb dieser Theorie des Abolitionismus der Abolition Feminism, welcher eine lange Tradition hat. Bekannte Vertreterin ist Sojourner Truth, die schon früh (1851) die Intersektion von Sexismus und Rassismus aufzeigt und diese Diskriminierungsformen kritisiert.31 Innerhalb dieses Feminismus wird thematisiert und hervorgehoben, in welchem Rahmen intersektionale Kriminalisierung, vor allem bei BI_PoC Frauen besteht. Hierbei wird Sexarbeit kriminalisiert. Ebenfalls wird davon ausgegangen, dass BI_PoC Eltern ihre Kinder schlecht erziehen, was dazu führt, dass dieser Elternschaft individuell schneller die Kinder entzogen werden. Teilweise findet dies auch systematisch statt, siehe hier die aktuell gefundenen Massengräber neben katholischen Schulen für Kinder der First Nations in Kanada. Dieser Kriminalisierung werden dann Strukturen der gegenseitigen Hilfe entgegengebracht. Diese arbeiten dabei auch den explizit rassistischen Erfahrungswelten innerhalb des Sozialstaats entgegen. Dementsprechend geht es immer auch um eine gesellschaftliche Transformation, welche die Kontinuitäten des gesellschaftlichen Rassismus und der Gewalt vor allem im System der Strafe kritisiert und versucht abzuschaffen.32

Fazit

Innerhalb dieser kurzen Betrachtung des Systems von Racial Profiling und darüber hinaus der antirassistischen Gefängniskritik zeigt sich doch recht deutlich das Ineinandergreifen unterschiedlicher Unterdrückungsmechanismen in der Gesellschaft.

Rassismus wird innerhalb des durch den Kolonialismus geprägten Strafsystems reproduziert und durch ebendieses wiederum aufrechterhalten. Gleichzeitig gibt es seit Jahrhunderten Widerstand gegen dieses System und seine Abwandlungen. Dem Strafsystem wird dabei Solidarität entgegengesetzt, um Gewaltspiralen zu verhindern, die sich trotz des Anspruchs von Gerechtigkeit durch die Justiz immer wieder finden lassen.

In dieser komplexen Gesellschaft mit all ihren Strukturen, in der jede*r rassifiziert und vergeschlechtlicht wird, vor dem Kontext von Racial Profiling nur von einer Single Story, einem einzelnen Narrativ zu sprechen, kommt zu kurz, allein schon deshalb, weil Racial Profiling dazu beiträgt, neue, diskriminierende Narrative zu entwickeln.

In diesem Essay habe ich außerdem aufgezeigt, wie Racial Profiling in ein die komplette Gesellschaft umfassendes System kontextualisiert werden kann. Ebenso zeigt sich, nicht nur durch die unmittelbar in Berlin stattfindende Praxis, die ich mehrfach beschrieben habe, dass es sich bei dem Thema leider um etwas Alltägliches handelt, dessen Zeuge ich auch schon werden musste. Allein dies sollte belegen, dass das Thema direkt an den Seminarinhalt unter dem Aspekt Alltagsrassismus anknüpft, dennoch werden Verbindungslinien explizit und implizit immer wieder im Verlauf des Textes gezogen, genannt seien hier u.a. queere und feministische Anschlusspunkte und somit eine intersektionale Perspektive, als auch die mehrfache Thematisierung von der kolonialen Kontinuität und Geschichte Berlins, wie auch des Strafsystems dieser Gesellschaft.

Zusätzliches möchte   ich   noch   einmal   hervorheben,  über   die   abstrakte   Ebene   der „Reproduktion von Gesellschaftsstrukturen“ hinaus, was die Racial Profiling eigentlich bewirkt: Für Betroffene bleibt es nicht bei einer Art des Vertrauensbruchs, sondern es geht um Schikane bis hin zu Todesfällen. Regelmäßig sterben Schwarze Menschen bei Polizeieinsätzen. In Europa weniger als in Ländern in den Amerikas wie Brasilien oder den USA. Aber auch hier stehen Namen wie Oury Jalloh oder Achidi John. Die geringe Aufklärungsquote spricht dabei für sich. Das Ende von Racial Profiling ist das mindeste, was getan werden könnte.


1 vgl. https://taz.de/Tod-im-Polizeigewahrsam-in-Delmenhorst/!5758990/.

2 vgl. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/oury-jalloh/.

3 vgl. https://www.youtube.com/watch?v=D9Ihs241zeg.

4 Vanessa Eileen Thompson, „There is no justice, there is just us!“: Ansätze zu einer postkolonial-feministischen Kritik der Polizei am Beispiel von Racial Profiling, in: Daniel Loick (Hg.), Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.), Frankfurt, New York 2018, S. 201.

5 vgl. Vanessa Eileen Thompson, Reformen reichen nicht, in: Missy Magazine. 2021b, S. 50–52.

6 Polizieren beinhaltet im Kern polizeiliches Handel, d.h. Auslegung der gesetzlichen Lage und Einhaltung von Ordnung bzw. des Status quo. Oft geht es dabei um Polizeikontrollen und das Auftreten der Polizei im öffentlichen Raum. Für dieses Polizieren spielt es ebenfalls eine große Rolle, wer Objekt polizeilichen Handelns ist.

7 vgl. Sally E. Hadden, Sklavenpatrouillen und die Polizei: Eine verwobene Geschichte der Rassenkontrolle, in: Daniel Loick (Hg.), Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.), Frankfurt, New York 2018, S. 77–94.

8 Vanessa Eileen Thompson, S.51.

9 vgl. Vanessa Eileen Thompson, „There is no justice, there is just us!“: Ansätze zu einer postkolonial- feministischen Kritik der Polizei am Beispiel von Racial Profiling, in: Daniel Loick (Hg.), Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.), Frankfurt, New York 2018a, S. 197–219.

10 vgl. ebenda, S.199, 201f.

11 ebenda, S. 203.

12 vgl. ebenda, S. 203.

13 Autor*innenkollektiv der Berliner Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen, Ban! Racial Profiling oder Die Lüge von der „anlass- und verdachtsunabhängigen Kontrolle“, in: Daniel Loick (Hg.), Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.), Frankfurt, New York 2018, S. 183.

14 vgl. Ulla Jelpke, Racial Profiling abschaffen. Das Problem liegt in der Funktion der Polizei, in: Die Rote Hilfe 47. 2021, S. 24–25.

15 vgl. ebenda.

16 vlg. Peggy McIntosh, White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack, in: White Privilege and Male Privilege: A Personal Account of Coming To See Correspondences through Work in Women’s, 1988.

17 vgl. Autor*innenkollektiv der Berliner Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen, S. 181.

18 https://www.youtube.com/watch?v=aSnETtKrFbU&list=WL&index=19 (dabei handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Darlegung oder eine sachliche Berichterstattung, sondern nur einen Portrait der Nachbarschaft aus Perspektive einer Anwohnerin).

19 vgl. Ulla Jelpke.

20 vgl. Vanessa Eileen Thompson, S. 208f.

21 vgl. ebenda S. 208f.

22 https://kop-berlin.de

23 An dieser Stelle könnte noch weiter über die Grundlage polizeilichen Handelns und die Gesetzgebung gesprochen werden, die essentiell auf dem Grundgesetz basieren, welches in den ersten Paragraphen Werte aus der Aufklärung beinhaltet. Diese wiederum und auch wie westliche Bildung (im Seminar sprachen wir über Hegel) sind selbst von Rassismus nicht frei.

24 vgl. Ulla Jelpke.

25 vgl. Autor*innenkollektiv der Berliner Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen, S. 194f.

26 vgl. ebenda S.194f.

27 vgl. Ulla Jelpke.

28 vgl. Vanessa Eileen Thompson, S.214f.

29 vgl. Vanessa Eileen Thompson, S.51.

30 vgl. ebenda.

31 vgl. Sojourner Truth. 1851.

32 vgl. Vanessa Eileen Thompson, S. 52.


Literaturverzeichnis

White Privilege and Male Privilege: A Personal Account of Coming To See Correspondences through Work in Women’s (1988).

Autor*innenkollektiv der Berliner Kampagne Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen (2018): Ban! Racial Profiling oder Die Lüge von der „anlass- und verdachtsunabhängigen Kontrolle“. In: Daniel Loick (Hg.): Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.). Frankfurt, New York: Campus Verlag, S. 181–196.

Loick, Daniel (Hg.) (2018): Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.). Frankfurt, New York: Campus Verlag.

Peggy McIntosh: White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack. In: White Privilege and Male Privilege: A Personal Account of Coming To See Correspondences through Work in Women’s, 1988.

Sally E. Hadden (2018): Sklavenpatrouillen und die Polizei: Eine verwobene Geschichte der Rassenkontrolle. In: Daniel Loick (Hg.): Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.). Frankfurt, New York: Campus Verlag, S. 77–94.

Sojourner Truth (1851).

Ulla Jelpke (2021): Racial Profiling abschaffen. Das Problem liegt in der Funktion der Polizei. In: Die Rote Hilfe 47 (2), S. 24–25.

Vanessa Eileen Thompson (2018): „There is no justice, there is just us!“: Ansätze zu einer postkolonial-feministischen Kritik der Polizei am Beispiel von Racial Profiling. In: Daniel Loick (Hg.): Kritik der Polizei / Daniel Loick (Hg.). Frankfurt, New York: Campus Verlag, S. 197–219.

Vanessa Eileen Thompson (2021): Reformen reichen nicht. In: Missy Magazine (2), S. 50–52. Online verfügbar unter https://missy-magazine.de/blog/2021/03/08/reformen-reichen-nicht/, zuletzt geprüft am 26.07.2021.


Links

Chimamanda Adichie, the danger of a single story, https://www.youtube.com/watch?v=D9Ihs241zeg, zuletzt abgerufen: 09.08.2021.

https://kop-berlin.de, zuletzt abgerufen: 09.08.2021.

https://www.youtube.com/watch?v=aSnETtKrFbU&list=WL&index=19, zuletzt abgerufen: 7.08.2021

www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/oury-jalloh/

https://taz.de/Tod-im-Polizeigewahrsam-in-Delmenhorst/!5758990/


Quelle: Joris Beetz, Racial Profiling und die Polizei. Eine Überlegung bezüglich institutionellem Rassismus und dessen Überwindung, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 17.11.2o21, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2021/11/17/racial-profiling-und-die-polizei/