Versäumte Aufarbeitung?

Der Umgang westlicher Universitäten mit ihrem kolonialen Erbe.

Cristina Serrano Quella (SoSe 2024)

Einleitung

Im Rahmen des Moduls „Gender und Diversity: Decolonize! Intersektionale Perspektiven auf lokale und globale Machtverhältnisse“ bei Liviana Bath habe ich mich das erste Mal in meinem Studium mit dem Thema Kolonialisierung und den daraus folgenden Problematiken, die bis heute noch spürbar und erkennbar sind, beschäftigt. Dabei ist mir als Biochemie-Studentin erstmals aufgefallen, dass es kaum bis gar keine Berührungspunkte mit diesem Thema in meinem Studiengang gibt. Daraufhin setzte ich mich zuerst mit Institutionen, berühmten Personen und Einrichtungen auseinander, die man als Biochemie-Student*in aus dem Studium kennt und mir fiel auf, wie wenig Informationen man zu historischen Verstrickungen findet. Und da stellte sich mir die Frage: Wieso gibt es keinen Ort für eine Art Sammlung solcher Informationen? Man könnte denken, dass eine Universität dafür genau die richtige Plattform sein könnte und trotzdem findet man auch dort keine weiteren Angaben. Und so kam ich zu der Frage, wie gehen Universitäten eigentlich mit ihrem eigenen kolonialen Erbe um? Damit möchte ich diese Abschlussarbeit nutzen, um eine Einsicht in potenzielle Verstrickungen renommierter Universitäten mit dem Kolonialismus zu geben. Dabei möchte ich den Fokus nicht unbedingt auf das legen, was historisch passiert ist, sondern viel mehr einen Blick darauf werfen, wie verschiedene Universitäten bisher ihre historische Rolle im Kolonialismus aufgearbeitet haben und weiterhin planen, dies zu tun. Denn das koloniale Erbe von Universitäten zeigt sich in vielerlei Hinsichten und hat auch heute noch Auswirkungen auf alle mit der jeweiligen Universität involvierten Personen: in den Lehrplänen, an Denkmälern und Gebäuden, sowie in der „Kultur“, die an der Universität ausgelebt wird. Denn noch heute sind auch Ungleichheit und Machtstrukturen innerhalb akademischer Gemeinschaften aktuelle Themen.

2. Internationale Beispiele

2.1 Harvard University

Wohl eine der bekanntesten Universitäten der Welt ist die Harvard University. Sie steht in Cambridge, Massachusetts, beherbergt mehr als 35.000 Student*innen und ist die älteste Universität in den Vereinigten Staaten. [1]

Sklaverei war im kolonialen Massachusetts und an Harvard weit verbreitet. Zwischen 1636 und 1783 hielten Harvard-Mitarbeiter*innen mehr als 70 versklavte Menschen, die auch auf dem Campus arbeiteten und lebten. Die Universität profitierte stark von Spenden, die aus dem Sklavenhandel und der Ausbeutung versklavter Menschen stammten. Ein erheblicher Teil der Spenden im 19. Jahrhundert kam von wenigen Spender*innen, die ihr Vermögen durch Sklaverei erworben hatten. Vom 19. bis ins 20. Jahrhundert förderten prominente Harvard-Professor*innen Rassentheorien und Eugenik, die auf rassistischen Hierarchien basierten und verheerende Folgen hatten. Artefakte dieser Forschungen findet man heute noch in den Sammlungen der Universität. So befinden sich in Harvards Museumssammlungen menschliche Überreste, darunter viele von indigenen Menschen und mindestens 15 von afrikanischer Abstammung. Rassentrennung und Diskriminierung waren an Harvard bis ins 20. Jahrhundert hinein präsent. Dennoch trugen viele afroamerikanische Absolvent*innen maßgeblich zum Kampf gegen Rassismus und zur Förderung der Chancengleichheit bei.

Im Internet findet man neben den üblichen Internetseiten der Universität auch eine mit dem Titel „Harvard & the Legacy of Slavery“, basierend auf einer Initiative, die 2019 von der Universität gestartet wurde und die für ein besseres Verständnis und Aufklärung zur Verstrickung der Harvard University und Sklaverei dienen soll. Hauptbestandteil der Internetseite ist dabei der „Report of the Presidential Committee on Harvard & the Legacy of Slavery”, welcher in 10 Kapiteln aufgeteilt zahlreiche historische Informationen bereitstellt, aber auch die Folgen dieser Ereignisse beleuchtet. Zudem enthält der Report Empfehlungen des Komitees an den Präsidenten und Mitarbeitende der Harvard University, wie sie mit ihrem kolonialen Erbe umgehen sollten und welche Handlungen unternommen werden könnten, um dieses weiterhin aufzuarbeiten.

Der Präsident der Universität hat auf den Bericht hin 2022 ein Statement veröffentlicht, in dem er sich dem Komitee gegenüber für diesen Bericht dankbar erweist und zusagt, dass die Empfehlungen mithilfe eines 100 Millionen US-Dollar Fonds umgesetzt werden sollen.[2]

Ob diese in den letzten zwei Jahren tatsächlich schon umgesetzt wurden, konnte ich nicht genau herausfinden.

Des Weiteren konnte ich auch ein Seminar der Harvard University finden mit dem Titel „Decolonize Harvard?“, welches Fragen zu Rassismus und Kolonialismus an der Universität adressieren soll. Dieses beinhaltet auch verschiedene Aktivitäten wie „Decolonize your syllabus“, wobei besprochen wird wie ein dekolonisierter Stundenplan aussehen könnte.[3]

2.2 Yale University

Die Yale University in Connecticut, in den Vereinigten Staaten, zählt ebenso zu einer der renommiertesten Universitäten weltweit. Sie wurde 1701 gegründet und nach einem ihrer Förderer, Elihu Yale, benannt.[4]

Im Februar 2024 entschuldigte sich die Yale University offiziell für die Verbindungen ihrer frühen Führer*innen und Gönner*innen zur Sklaverei. In Indien geriet dabei eben der Name des Mannes, nach dem die Universität benannt ist, in den Fokus. Elihu Yale war im 17. Jahrhundert Gouverneur der Britischen Ostindien-Kompanie in Madras und wurde durch eine Spende von etwa 1.162£ geehrt, indem die Universität nach ihm benannt wurde. Historiker haben jedoch enthüllt, dass Yale in den Sklavenhandel verwickelt war und davon erheblich profitierte. Er überwachte als Gouverneur von Madras zahlreiche Sklavenverkäufe und verdiente ein beträchtliches Vermögen aus dem Handel. Trotz der Entschuldigung der Universität gibt es jedoch keine Pläne, den Namen der Universität zu ändern.[5]

Ähnlich zur Harvard University findet man im Internet auch von der Yale University eine Seite mit dem Titel „The Yale & Slavery Research Project“, auf der vor allem die Geschichte der Universität und ihre Verstrickungen mit Sklaverei seit etwa dem 17. Jahrhundert dargestellt wird. Auch das „University Statement“ und die daraus folgenden Verpflichtungen, die sich die Universität vorgenommen hat, findet man auf dieser Internetseite.

Zudem wurde eine „walking-tour“ entwickelt, welche besondere Personen, Orte und Momente der historischen Verstrickung der Universität mit Sklaverei hervorheben soll und auf Smartphones heruntergeladen werden kann.

Im Vergleich zum vorherigen Beispiel kann man auf der Internetseite der Yale University allerdings einsehen, inwieweit die Verpflichtungen, die sie sich vorgenommen haben, bereits umgesetzt wurden bzw. in Planung stehen, in den kommenden Jahren umgesetzt zu werden.[6]

2.3 Princeton University

Sich in die Liste von renommierten Universitäten einreihend ist auch die Princeton University in New Jersey in den Vereinigten Staaten. Gegründet wurde diese im Jahr 1746 und auch sie weist in der Vergangenheit Verknüpfungen mit, unter anderem, Sklaverei auf.[7]

Die ersten neun Präsidenten der Universität besaßen alle Sklaven, 1766 fand ein Sklavenverkauf auf dem Campus statt und versklavte Menschen lebten bis etwa 1822 im Präsidentenhaus.

Und wie bei den beiden Universitäten zuvor gibt es auch von der Princeton University ein Projekt, welches die Verstrickung in die Sklaverei untersuchen soll. Das Princeton & Slavery Project untersucht die Verstrickung der Universität in die Institution der Sklaverei. Es erforscht die Sklavenhalterpraktiken der frühen Treuhänder und Fakultätsmitglieder Princetons, betrachtet die Auswirkungen von Spenden, die aus den Profiten von Sklavenarbeit stammen, und beleuchtet die allgemeine Kultur der Sklaverei im Bundesstaat New Jersey, der die Sklaverei erst 1865 vollständig abschaffte. Was die Princeton University auf ihrer Internetseite besonders gut gemacht hat, ist eine sehr ausführliche und einfach einzusehende Liste an Quellen anzugeben, auf denen die Informationen basieren.

Ebenfalls beachtlich ist bei dem Projekt, dass es sich hierbei nicht um eine Initiative handelt, die von einer Kommission der Universität selbst gegründet wurde, sondern, dass es sich zuvor um einen Kurs für Studierende gehandelt hat, der immer weitergewachsen ist. [8]

Auf der Internetseite wird auch angesprochen, was bereits im Rahmen der Aufarbeitung geschehen ist, aber weitere konkrete Ziele und wie bzw. wann diese umgesetzt werden, sind nicht zu finden.

3. Deutsche Beispiele

3.1 Universität Hamburg

Auch die Universität Hamburg, die 1909 gegründet wurde, hat historische Verwurzelungen mit dem Kolonialismus. Das Hauptgebäude der Universität wurde ursprünglich als Kolonialinstitut 1911 errichtet und diente der kolonialen Bildung, die auch nach der Umwandlung in eine Universität 1919 weitgehend beibehalten wurde. Das Kolonialinstitut trug durch seine Lehrinhalte und Forschungen zur Effizienz der kolonialen Unterdrückung bei. Rassistische Vorstellungen und Praktiken wurden auch nach der Umwandlung des Instituts weitergeführt. Die Universität stand bis in die NS-Zeit in enger Verbindung mit kolonialen und rassistischen Ideologien, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren koloniale Denkmäler präsent, die erst durch studentischen Widerstand in den 1960er Jahren entfernt wurden. Viele der ursprünglichen Studiengänge, wie Afrikanistik und Orientalistik, existieren noch heute und spiegeln die koloniale Vergangenheit wider. Diese Spuren des Kolonialismus sind auch im Campus sichtbar, beispielsweise durch die nach Kolonialakteur*innen benannten Straßen und das Hauptgebäude, dessen Bau durch koloniale Gelder finanziert wurde.[9]

Was es mit dem Kolonialinstitut auf sich hat, kann man auf der Internetseite des Universität Hamburg einsehen. [10] Weiterhin findet man auf der Internetseite einen Blog mit dem Titel „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ mit zahlreichen Informationen, Terminen und Veranstaltungen. Dabei wird nicht spezifisch nur die historische Verstrickung der Universität Hamburg mit dem Kolonialismus behandelt, sondern soll allgemein Hamburgs koloniales Erbe aufgearbeitet werden. Weiterhin wurde vom entsprechenden Projektverbund eine App für mobile Geräte entwickelt, die sich vor allem auf Rundgänge durch die Stadt konzentriert.[11]

3.2 Freie Universität Berlin

Die Freie Universität Berlin wurde 1948 gegründet und beherbergt mehr als 35.000 Studierende. [12] Und auch wenn es nicht direkt mit dem kolonialen Erbe der Freien Universität Berlin im Zusammenhang steht, stand das Prüfungsbüro der Universität bereits dieses Jahr schon im Fokus. Dieses liegt in der Iltisstraße in Berlin, welche nicht, wie man vermuten könnte, nach dem gleichnamigen Tier benannt ist, sondern nach einem deutschen Kanonenboot.

Zusammen mit der Lansstraße, benannt nach dem Kommandanten der Iltis, und der Takustraße, die ihren Namen von der chinesischen Festung erhielt, welche beim Boxeraufstand 1900 beschossen wurde, erinnern diese kolonialen Straßennamen noch heute an die historischen Ereignisse. Im Juni dieses Jahres wurde eine Umbenennung der Straßen abgelehnt.[13] [14] Eine öffentliche Aufarbeitung der kolonialistisch historischen Verstrickungen in Form eines Blogs, einer Internetseite oder ähnliches, konnte ich bisher noch nicht finden.

Im letzten Jahr stand ebenfalls ein anderes Gebäude der Freien Universität in den Schlagzeilen, doch nicht wegen der Benennung der Straße, in der es steht. Es handelt sich um das ehemalige Kaiser-Wilhelm-Institut in der Ihnenstraße 22 in Berlin-Dahlem. Das Institut widmete sich von 1927 bis 1945 der Anthropologie, menschlichen Erblehre und Eugenik. So wurde es zu einem führenden Zentrum für Humangenetik und der „Rassenlehre“, in dem die Wissenschaftler/innen versuchten, Krankheiten, Verhalten und sogenannte „Rassenmerkmale“ als erblich nachzuweisen. Das Institut spielte eine zentrale Rolle in der Legitimation eugenischer Maßnahmen und forschte auch an den Körpern von Opfern nationalsozialistischer Vernichtungslager. In direkter Nähe zum Standort des ehemaligen Instituts wurden im letzten Jahr, unter anderem, menschliche Knochen entdeckt, die womöglich zu diesen Opfern gehören. [15]

Auf der Internetseite der Freien Universität Berlin findet man einen Beitrag zum Projekt „Geschichte der Ihnenstraße 22“. Das Projekt soll der Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit den Ereignissen an diesem Ort und ihren Folgen dienen und im Herbst dieses Jahres installiert und eröffnet werden. [16]

3.3 Universität Göttingen

Die Georg-August-Universität Göttingen wurde 1734 im heutigen Niedersachsen gegründet und zählte in dieser Zeit zu den größeren Universitäten Europas. [17] Einige Wissenschaftler*innen an der Universität Göttingen unterstützten durch ihre Forschungen und das Produzieren von Wissen die koloniale Herrschaft. Viele Forscher wie der Botaniker Albert Peter oder der Astronom Otto Tetens reisten in die Kolonien, wo sie bedeutende Entdeckungen machten, die ihre Disziplinen prägten. Einige blieben in Göttingen und trugen durch die Auswertung von kolonialem Material zur Forschung bei. Ihre Karrieren wurden durch Kolonialismus gefördert, und ihre Arbeit trug zur Legitimierung und Ausweitung kolonialer Strukturen bei.

Auch an Frauen in den deutschen Kolonien wurde geforscht, insbesondere bei den Reisen von Otto Tetens und Alfred Leber. Diese Forschungen waren stark von rassistischen und sexistischen Stereotypen geprägt. Fotografien und Untersuchungen stellten Frauen als exotische, sexualisierte Objekte dar und ignorierten ihre tatsächlichen Lebensumstände. Es wurde „wissenschaftliche“ Forschung und Untersuchungen an Frauen zur Erhöhung der Geburtenrate in den Kolonien betrieben, die die koloniale Herrschaft und die deutsche Geschlechterideologie stützen sollte. Diese Arbeiten hatten langfristig Einfluss auf die westliche Wahrnehmung dieser Frauen.

Zu diesen Ereignissen und noch vielen weiteren historischen Verstrickungen der Universität Göttingen und dem Kolonialismus findet man eine Internetseite mit dem Titel „Universität und Kolonialismus. Das Beispiel Göttingen“. Die Internetseite entstand aus einem Seminar der Universität heraus und soll insbesondere der Aufarbeitung von Zusammenhängen zwischen Wissenschaft und Kolonialismus dienen. [18]

3.4 Universität Tübingen

Im Jahr 1477 wurde die Eberhard-Karls-Universität Tübingen im heutigen Baden-Württemberg gegründet und zählt zu einer der ältesten Universitäten Europas. [19] Im Kaiserreich waren deutsche Universitäten, darunter auch Tübingen, stark in die koloniale Forschung eingebunden. Dabei dienten Wissenschaften, wie Ethnologie, Kolonialgeographie und Tropenmedizin, der Legitimation und praktischen Umsetzung kolonialer Herrschaft. Während der deutschen Kolonialzeit war die Tropenmedizin eng mit der Kolonialmedizin verbunden, die vor allem der medizinischen Versorgung europäischer Kolonisator*innen diente. Das Deutsche Institut für Ärztliche Mission spielte dabei eine zentrale Rolle, da es Missionsärzt*innen ausbildete und eng mit der Universität Tübingen kooperierte. An der Universität Tübingen gab es eine zunehmende Ausdifferenzierung dieser Disziplinen, die sich auch in der Wahl der Rektor*innen widerspiegelte, von denen einige eine koloniale Vergangenheit hatten. Mit dem Nationalsozialismus erlebte die Universität eine Gleichschaltung, die zur Förderung von Disziplinen führte, die im Einklang mit der Ideologie standen, wie Rassenkunde und Kolonialpolitik. Ab 1910, unter der Leitung von Carl Uhlig, verstärkte sich der koloniale Fokus, und das Institut wurde ein Zentrum für kolonialgeographische und auslandsdeutsche Forschung, auch während der NS-Zeit. 

Diese Entwicklungen endeten jedoch mit der nahenden Niederlage im Zweiten Weltkrieg. [20]

Auf der Internetseite der Universität Tübingen findet man im Fachbereich Wirtschaftsgeographie einige Informationen zu der Rolle der Universität in der Kolonialzeit und auch danach noch. Der Beitrag umfasst dabei nicht nur die Universität, sondern auch die Stadt Tübingen selbst.

4. Fazit

Die Abschlussarbeit beleuchtet die komplexen und oftmals problematischen historischen Verstrickungen von Universitäten mit dem Kolonialismus, insbesondere im Hinblick auf die Aufarbeitung dieser Vergangenheit. Er zeigt auf, dass renommierte Universitäten weltweit alle in unterschiedlichem Maße von kolonialer Ausbeutung profitierten und zur Aufrechterhaltung kolonialer Strukturen beitrugen.

In Harvard und Yale ist die Verbindung zur Sklaverei besonders deutlich, wobei beide Universitäten Schritte unternommen haben, um ihre koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten. Initiativen wie das „Harvard & the Legacy of Slavery“-Projekt und das „Yale & Slavery Research Project“ sind Beispiele für den Versuch, diese historischen Verstrickungen transparent zu machen und Empfehlungen für den Umgang mit diesem Erbe zu entwickeln. Im Gegensatz dazu wirkt die Yale University in ihrer Vorgehensweise zwar ähnlich engagiert, doch bleibt die Diskussion um die tatsächliche Umsetzung und die Namensgebung der Universität weiterhin sensibel und umstritten.

Man sieht einen allgemeinen Trend, bei dem diese weltweit bekannten und renommierten Universitäten aus den Vereinigten Staaten eine umfangreiche Arbeit hinsichtlich der Aufarbeitung ihres kolonialen Erbes geleistet haben. Es war nicht schwer direkt von den Universitäten diese Informationen zu finden und die Internetseiten sind sehr ausführlich und umfassend.

In Deutschland weisen die Beispiele der Universität Hamburg, Freie Universität Berlin, Universität Göttingen und Universität Tübingen auf eine lange und tief verwurzelte Verbindung zum Kolonialismus hin, die sich sowohl in der historischen Forschung als auch in der akademischen Kultur dieser Universitäten manifestiert. Während einige dieser Institutionen, wie die Universität Hamburg, durch öffentliche Initiativen und digitale Plattformen versuchen, ihre koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten, ist die Auseinandersetzung mit diesem Erbe in anderen Fällen, wie an der Freien Universität Berlin, weniger transparent und teils noch stark umstritten.

Abschließend muss gesagt werden, dass es sich hierbei um ausgewählte Beispiele handelt. Im europäischen Kontext haben auch weitere Universitäten wie Universität Antwerpen, Universität Amsterdam, Cambridge University und auch Oxford University auf ihren Internetseiten Informationen zu ihrem kolonialen Erbe.

So wie man einen ähnlichen Trend innerhalb der Universitäten der Vereinigten Staaten erkennt, sieht man einen großen Unterschied zwischen dem, was deutsche Universitäten bisher aufgearbeitet haben und was die amerikanischen Universitäten an Informationen bieten. Dabei muss man allerdings den Gründungszeitpunkt und weitere Umstände in den jeweiligen Ländern berücksichtigen. So sind die meisten der bekannten amerikanischen Universitäten sehr früh gegründet worden und haben eine viel tiefere Verstrickung in die Kolonialzeit als viele der deutschen Universitäten. Deshalb gilt es zu hinterfragen, ob es bei vielen der deutschen (und europäischen) Universitäten verhältnismäßig wenig Informationen gibt, weil sie diese bisher nicht aufgearbeitet haben oder weil es nicht viel aufzuarbeiten gibt. Trotzdem muss ich sagen, dass ich von den meisten europäischen Universitäten eher enttäuscht war bei der Suche nach Informationen zu ihrem kolonialen Erbe und es teilweise recht schwierig war, überhaupt etwas zu den historischen Rollen der Universitäten zu finden. Ich denke insbesondere Universitäten bieten eine gute Plattform um sich der historischen Verstrickung bewusst zu werden und diese weiterhin aufzuarbeiten und zu teilen. Sei es als vorgeschriebene Kurse für jeden Studiengang, Aufklärung über soziale Medien und digitale Plattformen oder öffentliche Projekte und Initiativen. Ich finde, dass auch insbesondere in naturwissenschaftlichen Studiengängen Themen wie Kolonialisierung und die daraus entstanden Folgen mehr thematisiert und eingebunden werden sollten.

5. Quellen

[1] Wikipedia-Autoren. (2003a, Juni 20). Harvard University. Abgerufen am 18. August 2024, von https://de.wikipedia.org/wiki/Harvard_University

[2] Harvard & the Legacy of Slavery | Radcliffe Institute for Advanced Study at Harvard University. (o. D.). Radcliffe Institute For Advanced Study At Harvard University. Abgerufen am 18. August 2024, von https://legacyofslavery.harvard.edu/

[3] Decolonize Harvard? (o. D.). Derek Bok Center, Harvard University. Abgerufen am 18. August 2024, von https://bokcenter.harvard.edu/decolonize-harvard

[4] Wikipedia-Autoren. (2004b, März 14). Yale University. Abgerufen am 18. August 2024, von https://de.wikipedia.org/wiki/Yale_University

[5] Pandey, B. G. (2024, 13. März). Elihu Yale: The cruel and greedy Yale benefactor who traded in Indian slaves. Abgerufen am 18. August 2024, von https://www.bbc.com/news/world-asia-india-68444807

[6] Our Forward-Looking commitment | The Yale & Slavery Research Project. (o. D.). Abgerufen am 18. August 2024, von https://yaleandslavery.yale.edu/our-forward-looking-commitment

[7] Wikipedia-Autoren. (2004a, Februar 15). Princeton University. Abgerufen am 18. August 2024, von https://de.wikipedia.org/wiki/Princeton_University

[8] Project history. (o. D.). Abgerufen am 18. August 2024, von https://slavery.princeton.edu/about/project-history

[9] De Lisboa, A. B. /. E. /. M. (o. D.-a). Vom Kolonialinstitut zur Universität | ReMapping Memories Lisboa. ReMapping Memories Lisboa. Abgerufen am 18. August 2024, von https://www.re-mapping.eu/de/erinnerungsorte/vom-kolonialinstitut-zur-universitat

[10] De Lisboa, A. B. /. E. /. M. (o. D.). Vom Kolonialinstitut zur Universität | ReMapping Memories Lisboa. ReMapping Memories Lisboa. Abgerufen am 18. August 2024, von https://www.re-mapping.eu/de/erinnerungsorte/vom-kolonialinstitut-zur-universitat

[11] App: Koloniale Orte (iOS/Android) – Hamburgs (post-)koloniales Erbe. (o. D.). Abgerufen am 18. August 2024, von https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/app-koloniale-orte-ios-android/

[12] Wikipedia-Autoren. (2002, 17. Dezember). Freie Universität Berlin. Abgerufen am 18. August 2024, von https://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Universit%C3%A4t_Berlin

[13] Buchholz, B. (2024, 22. Juni). Berliner Lokalparlament lehnt Umbenennung ab: Iltis-, Taku- und Lansstraße behalten ihre kolonialen Namen. Tagesspiegelhttps://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/berliner-lokalparlament-lehnt-umbenennung-ab-iltis-taku-und-lansstrasse-behalten-ihre-kolonialen-namen-11874776.html#:~:text=Die%20Iltisstra%C3%9Fe%20wird%20weiter%20nach,Fr%C3%BChsommer%20des%20Jahres%201900%20beschoss.

[14] Schleiermacher, U. (2022, 19. Juli). Straßenumbenennung an der FU Berlin: Koloniale Kanonenkugel zum Uni-Start. TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH. Abgerufen am 18. August 2024, von https://taz.de/Strassenumbenennung-an-der-FU-Berlin/!5868729/

[15] Auf FU-Gelände gefundene menschliche Überreste werden beigesetzt. (o. D.). Rbb24 Website. Abgerufen am 18. August 2024, von https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/03/berlin-fu-campus-knochen-fund-bestattung-eugenik-opfer.html

[16] Projekt »Geschichte der Ihnestrasse 22«. (o. D.). Abgerufen am 18. August 2024, von https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/gesch-ihne22/index.html

[17] Wikipedia-Autoren. (2003a, September 2). Georg-August-Universität Göttingen. Abgerufen am 18. August 2024, von https://de.wikipedia.org/wiki/Georg-August-Universit%C3%A4t_G%C3%B6ttingen

[18] Kolonial, G. (o. D.). Aktuelles. Abgerufen am 18. August 2024, von https://goettingenkolonial.uni-goettingen.de/index.php/aktuelles

[19] Wikipedia-Autoren. (2003b, November 4). Eberhard Karls Universität Tübingen. Abgerufen am 18. August 2024, von https://de.wikipedia.org/wiki/Eberhard_Karls_Universit%C3%A4t_T%C3%BCbingen

[20] Tropenmedizin in Tübingen | Universität Tübingen. (2022, 12. Juli). Abgerufen am 18. August 2024, von https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/mathematisch-naturwissenschaftliche-fakultaet/fachbereiche/geowissenschaften/arbeitsgruppen/geographie/forschungsbereich/wirtschaftsgeographie/arbeitsgruppe/kolonialismus-in-tuebingen/tropenmedizin-in-tuebingen/


Quelle: Cristina Serrano Quella, Versäumte Aufarbeitung? Der Umgang westlicher Universitäten mit ihrem kolonialen Erbe, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 23.10.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=479

Die Kolonialzeit, Unabhängigkeitsbewegung und die Formung des heutigen Pakistans

Abb. 1: Collage zur Kolonialgeschichte von Pakistan

Munaam Baig (SoSe 2023)

Einleitung

Ich komme aus Karachi, einer Stadt in Pakistan. In Gesprächen fällt mir oft auf, dass viele Leute gar nicht wissen, dass Pakistan existiert und noch lange nicht, wo es geographisch liegt. Einige machen die Verbindung, dass es ein Teil von Indien ist oder in der Nähe von Indien liegt. Andere kennen Pakistan nur aus den Nachrichten über Überflutungen, Dürren und Hunger. Verglichen mit den großartigen Assoziationen von Reichtum und Innovationen mit den westlichen Ländern, fällt auf, wie negativ die Assoziationen mit Pakistan ausfallen. Ich bin sehr früh nach Berlin gezogen, womit ich in Berlin aufgewachsen bin. Meine enge Familie lebt jedoch weiterhin in Pakistan und auch meine Eltern haben mich mit Ihrer Kultur aufgezogen und geprägt. Die ständigen Besuche nach Pakistan haben mir gezeigt, wie einfach Vorurteile geschaffen werden können, was durch die westliche Perspektive bewusst oder unbewusst übermittelt wird, da selbst ich diesen Vorurteilen geglaubt hatte. Rassistische Äußerungen werden nicht direkt und öffentlich gemacht, jedoch existieren diese Muster weiterhin unbewusst und zeigen sich auf verschiedenste Weisen.

In diesem Essay wird versucht herauszufinden, wodurch das heutige Bild Pakistans beeinflusst wurde bzw. wird. Die Kolonialgeschichte, von der frühen Präsenz europäischer Mächte bis hin zur Entstehung von einer unabhängigen Nation, wird hierbei unter die Lupe genommen und analysiert. Die daraus folgende Leitfrage lautet: Kolonialismus und Unabhängigkeit: Wie prägt die Vergangenheit Pakistans die heutige globale Stellung?

Um der Beantwortung der Leitfrage näher zu kommen, wird die Kolonialgeschichte Pakistans kurz zusammengefasst und wichtige Prozesse genannt, die schließlich zur Unabhängigkeit und Teilung des Landes geführt haben. Daraufhin wird auf die sozialen, politischen und kulturellen Aspekte eingegangen, die drastisch durch den kolonialen Einfluss transformiert wurden und bis heute in vielen Dynamiken eine Rolle spielen. Außerdem wird darauf eingegangen, wie diese Erfahrungen die heutige Perzeption Pakistans geformt haben, wie dies global präsentiert wird und inwiefern die Kolonialvergangenheit für die heutigen Defizite verantwortlich ist.

Kolonialgeschichte Pakistans

Die Kolonialgeschichte Pakistans besteht aus mehreren Epochen und startet mit der Kolonisation von Indien. In diesem Essay fokussieren wir uns auf drei Epochen, die besonders wichtig sind, um den späteren Zusammenhang besser verstehen zu können.

Ostindien-Kompanie

Bevor die britische Kolonialherrschaft begann, gab es drei ausschlaggebende Epochen zuvor.  In der frühe Kolonialherrschaft 16. Jahrhundert bis ca. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Indien Handelspräsenz von verschiedenen europäischen Ländern wie Portugal, den Niederlanden und Großbritannien. Zu dieser Zeit etablierte die britischen Ostindien-Kompanie Handelsstützpunkte in Indien, wodurch die politische und wirtschaftliche Dominanz der Kolonialmächte in einigen Gebieten begann. Die britische Ostindien-Kompanie regierte von 1757-1858. Durch gewalttätige Auseinandersetzungen stieg die Macht der Ostindien-Kompanie. Die britische Kontrolle nahm immer größere Teile Indiens ein. Praktiken wie wirtschaftliche Ausbeutung, Landbesteuerung und soziale Veränderungen nahmen zu. Im Jahr 1857 kam es zu einem Aufstand der Einheimischen, dieser wurde jedoch durch die Ostindien-Kompanie niedergeschlagen. Im Jahre 1858 endete die Herrschaft der britischen Ostindien-Kompanie und es kam zu einer direkten Übernahme durch die britische Krone (WENDE, 2010, S. 112).

Britische Kolonialherrschaft: 1858-1947

Die Übernahme verlief ohne große Probleme, da die größten Teile Indiens schon unter britischer Macht standen. In der Collage (siehe VII) sind oben rechts jeweils indische Bedienstete und Polizisten zu sehen, wie sie für die britischen Familien, die in Indien stationiert waren, arbeiteten. Es waren Jobs wie Bedienstete, Haushaltshilfen, Babysitter, Putzfrauen und Polizisten zum Schutz. Positionen der Befehlshaber wurden ausschließlich von weißen britischen Männern geführt, um die bestehende Hierarchie in der kolonialen Gesellschaft deutlich zu machen.

„Kolonialismus konnte nur damit legitimiert werden, dass die Unterworfenen als ungebildet und barbarisch in Bezug auf die eigenen Ideale und Werte dargestellt wurden, und sich damit rechtfertigte, sie mittels der Kolonisierung auf diese Ideale und Werte hin umzuerziehen. Der Kolonialismus konnte sich nur während dieser »Erziehungszeit« als notwendig ansehen, wodurch die Kolonialherren möglichst lange das Erreichen des »Erziehungsziels« herauszögern mussten, um ihre Legitimationsgrundlage zu erhalten.“ (BROECK, 2012, S. 105). Die Kontrolle über Indien sorgte für eine tiefgreifende Transformation der politischen Strukturen, der Wirtschaft und der sozialen Normen. Diese Ära hatte nicht nur Auswirkungen auf Indien als Ganzes, sondern ebnete auch den Weg zur späteren Gründung des unabhängigen Staates Pakistan im Jahr 1947. Die britische Kolonialherrschaft brachte starke wirtschaftliche Ausbeutung mit sich. Die indische Wirtschaft wurde auf die Bedürfnisse der Kolonialmacht ausgerichtet und zugeschnitten, was zu einer Deindustrialisierung und einer starken Abhängigkeit von landwirtschaftlichen Produkten führte. Die Einführung der Eisenbahn diente nur britischen Interessen und führte zu einer gewissen Modernisierung, die jedoch auf Kosten der einheimischen Bevölkerung ging, da diese nicht beachtet wurden. Diese führte zu mehreren Hungerskatastrophen, die in den Jahren 1876–1878 und 1899–1900 zahllosen Opfer kosteten. Allein 1877, ein Jahr nachdem Königin Viktoria zur Kaiserin von Indien wurde, starben dort aufgrund der Vernachlässigung der einheimischen Bevölkerung fünf Millionen Menschen den Hungertod (WENDE, 2010, S. 121).

Neben der direkten Administration von Regionen arbeiteten die Briten mit großen und kleineren indischen Führern, die die Briten als eine Oberhoheit ansahen, um in Ihren Gebieten einige Freiheiten zu bekommen. Die britische Kolonialmacht hat dafür gesorgt, dass die indischen Führer keine Verhältnisse untereinander hatten, um diese besser kontrollieren zu können und um eine mögliche Kooperation gegen die Kolonialherren auszuschließen (BOSE/JALAL, 2011, S. 54). Indien war der große überseeische Machtblock, bestehend aus dem Gebiet des direkt verwalteten Britisch-Indien und zahlreichen indischen Fürstentümern, die indirekt durch Großbritannien beherrscht wurden (WENDE, 2010, S. 17). “Power may have been exercised through indirect means, but it was not in any more than a formal sense limited in its potential to stamp out resistance.” (BOSE/Jalal, 2011, S. 55). Die britische Kolonialmacht hat ihre Macht nicht offen gezeigt, jedoch war die indirekte Methode stark genug, um jede Art von Widerstand zu zerdrücken. Widerstand wurde mit extremer Brutalität bekämpft (SIEBER, 2012, S. 104). Die Kolonialherren hatten nicht nur vor aktivem Widerstand Angst, denn dieser konnte meist als Barbarei brandmarken und mit Militärtechnik niederschlagen. Besonders ängstigten sie jedoch die angepassten Kolonisierte: Hybride Subjekte, die immer ähnlicher wurden, sowohl im Denken als auch im Verhalten, und trotzdem weiterhin Spuren der anderen Herkunft in sich trugen. Dies verwirrte die Kolonialherren, da eine Gleichheit und Differenz Ihnen entgegen stand, “as a subject of a difference that is almost the same, but not quite” – “almost the same but not white” (BHABHA, 1994, S. 86, 89).

Entgegen der Bemühungen trug die britische Herrschaft paradoxerweise selbst zur Entwicklung von Nationalismus und Identität bei. Die Erkenntnis der gemeinsamen Unterdrückung durch die Kolonialmacht führte zur Bildung eines gemeinsamen indischen Bewusstseins. Gleichzeitig wurde jedoch auch die Idee der gespaltenen Identität gefördert, was später zur Teilung des Landes führte (WENDE, 2010, S. 121).

Teilung und Unabhängigkeit: 1947

Der wachsende Widerstand gegen die britische Vorherrschaft führte zur Entstehung von Organisationen, mit dem Ziel der Unabhängigkeit durch Verhandlungen, die die Interessen der einheimischen Bevölkerung repräsentierten. Die wichtigste Figur der Unabhängigkeit Pakistans war Muhammad Ali Jinnah, der links oben in der Collage vor der pakistanischen Flagge zu sehen ist (siehe VII). Jinnah wurde am 25. Dezember 1876 in Karachi geboren und studierte Recht in Großbritannien. Er begann seine politische Karriere als Mitglied des Indischen Nationalkongresses, der zu dieser Zeit auf eine gemeinsame Unabhängigkeit von Großbritannien hinarbeitete.  Gandhi war ein indischer Anwalt, antikolonialer Nationalist und politischer Ethiker, der gewaltlosen Widerstand einsetzte, um die erfolgreiche Kampagne für die Unabhängigkeit Indiens von der britischen Herrschaft anzuführen. In der Collage (siehe VII) sieht man Jinnah und Gandhi zusammen lächelnd, mittig vom Bild. Beide hatten große Wertschätzung füreinander und arbeiteten als Team für die Befreiung ihres Landes Indien im Indischen Nationalkongress. Später trat Jinnah aus dem Kongress aus und schloss sich der All India Muslim League an, da er zunehmend besorgt über die Interessen der muslimischen Minderheit in Indien war. In der Collage (siehe VII) unten links ist die All India Muslim League zu sehen. Jinnah war ein eloquenter Befürworter der muslimischen Identität und betonte die Notwendigkeit eines eigenen Staates für die muslimische Bevölkerung. Er argumentierte, dass Muslime in einer hindu-dominierten Mehrheit in Indien in ihrer Kultur, Religion und politischen Vertretung gefährdet wären. Er führte die Muslim League in Richtung der Forderung nach einem unabhängigen muslimischen Staat. Jinnah war einer der Hauptgründer der Lahore-Resolution von 1940, die die Schaffung eines eigenständigen muslimischen Staates forderte. Unterdessen verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften in verschiedenen Regionen Indiens stark.

Zu Beginn des Jahres 1947 bestand Londons Hauptpriorität darin, Indien so schnell wie möglich zu verlassen, bevor die antikoloniale Politik noch radikaler wurde als ohnehin schon und die kommunale Gewalt noch gefährlichere Ausmaße annahm. Im ganzen Land gab es Berichte über Bauern-, Arbeiter- und Jugendunruhen, die sich zum Aufstand erhoben. Nach den Unruhen in Bengalen und Bihar Ende 1946 verschlechterte sich die kommunale Situation im Punjab ab Januar 1947 stetig. Diese unzähligen Konflikte entlang der Klassen- und Gemeinschaftsgrenzen bildeten die Grundlage für eine Verständigung zwischen dem Oberkommando des Kongresses und London. Schließlich verkündetet der britische Premierminister Clement Attlee am 20. Februar 1947, dass die Briten Indien bis zum 30. Juni 1948 verlassen würden (BOSE/JALAL, 2011, S. 150).

Jetzt musste das britische Parlament nur noch die notwendigen Gesetze verabschieden, um die Macht auf zwei neue Gebiete zu übertragen, was im Juli ordnungsgemäß geschah. Der Kongress und die Briten stellten Jinnah am Ende vor die Wahl: Entweder ein ungeteiltes Indien ohne Garantie für den muslimischen Machtanteil im gesamtindischen Zentrum, oder ein souveränes Pakistan, das aus den mehrheitlich muslimischen Bezirken bestehen solle (BOSE/JALAL, 2011, S. 153). Für Jinnah war Pakistan das Mittel, um den Muslimen im gesamtindischen Zentrum einen gerechten Machtanteil zu sichern. Bestätigende Beweise dafür, dass der Quaid-e-Azam den Islam nie als Religion zur Beherrschung des Staates Pakistan vorsah, finden sich in seiner Ansprache an die allererste Sitzung der verfassungsgebenden Versammlung Pakistans am 11. August 1947: “You are free to go to your temples, you are free to go to your mosques or to any other place of worship in this state of Pakistan. . .. You may belong to any religion or caste or creed – that has nothing to do with the business of the State. . .. We are starting with this fundamental principle that we are all citizens and equal citizens of one State.” (Why JI – Jinnah Institute) (BOSE/JALAL, 2011, S. 160). Jinnah spielte eine wichtige Schlüsselrolle in den Verhandlungen mit der britischen Regierung und den indischen politischen Führern, die zur Teilung des Subkontinents führten. Am 14. August 1947 wurde Pakistan als unabhängiger Staat für Muslime gegründet. Jinnah wurde der erste General Gouverneur Pakistans.

Postkoloniale Auswirkungen der Kolonialen Mächte

In dem geschichtlichen Abschnitt wurden einige Auswirkungen der Kolonialen Mächte schon genannt. In diesem Abschnitt sollen diese Aspekte nochmals eingeteilt und tiefer in den postkolonialen Kontext gesetzt werden, um die heutige Situation besser verstehen zu können.

Die konstante Ausbeutung des Landes sorgte dafür, das im Jahr 1947, zum Zeitpunkt der Entlassung in die Unabhängigkeit, Indien und Pakistan zu den ärmsten Ländern der Welt zählten. Mehr als 50% der ländlichen Bevölkerung waren nicht in der Lage, sich ausreichend zu ernähren, da eine dem freien Markt ausgesetzte Landwirtschaft nicht mehr genügend Grundnahrungsmittel produzierte. Das britische Königreich verlass die ehemaligen Kolonien in einem sehr ungünstigen Zustand. Einer dysfunktionalen Wirtschaft, ohne dass in dem Land ausreichende Grundlagen für eine eigene Industrialisierung geschaffen wurden (WENDE, 2010, S. 121). Die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit waren sehr harte Jahre, die weiterhin viele Menschenleben kosteten.

Die Bedürfnisse der einheimischen Bürger wurden außen vorgelassen, da das Mutterland höchste Priorität hatte. Der Umsatz, der auf dem globalen Markt durch indische Produkte erzielt wurde, wurde zur Finanzierung der Kolonialen Mächte und Kolonialer Infrastruktur genutzt und ebenfalls an das Mutterland geschickt, um dieses weiter ausbauen zu können und prächtiger gestalten zu können. Selbst in der postkolonialen Ära sind die Spuren der Kolonialzeit weiterhin bestehend: „Koloniale Muster von Unterwerfung und Unterdrückung existieren auch nach dem Kolonialismus fort.“ (KASTNER, 2012, S. 94). Die heutige Infrastruktur der Eisenbahn spiegelt die damalige Intention weiterhin wider. Die einseitigen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Kolonialmacht in den Ausbau des Streckennetzes zu investieren, war nie für den möglichen Nutzung der Einheimischen vorgesehen (Vgl. Ian J. Kerr, 2007). Die für die Wirtschaft damals relevanten Gebiete besitzen eine Bahn Anbindung, während weniger relevante Orte außen vorgelassen werden und durch Vernachlässigung weiterhin strukturell schwach sind.

Die europäische Moderne, die Freiheit und Demokratie befürwortet, ist unmittelbar bedingt durch Eroberung, Verwüstung, genozidaler Vernichtung, Verschleppung, kultureller Auslöschung und kolonialer Ausbeutung von Menschen und Ressourcen anderer Völker (BROECK, 2012, S. 169, 170). Diese Vergangenheit sorgt weiterhin dafür, dass ehemalige Kolonien bis heute strukturelle Defizite aufweisen und aus ihrem Teufelskreis der Verschuldung und Abhängigkeit nicht entkommen können.

Wohingegen Indien inzwischen wirtschaftlich wächst und eine große Präsenz im globalen Diskurs hat, als größte Demokratie der Welt, kann von Pakistan nicht das gleiche behauptet werden. Aufgrund von Korruption und der ständigen Änderung der Regierungsform ist eine positive Entwicklung weiterhin nicht möglich.

Pakistan Heute

Die Pakistanische Flagge repräsentiert mit der dunkelgrünen Farbe, dem Mond und Stern die 90% muslimische Bevölkerung, die weiße Fläche der Flagge repräsentiert die 10% Minderheit, die sich aus anderen religiösen Gruppen zusammensetzt, wie in der Collage zu sehen ist (siehe VII). Die Idee für Pakistan war es, einen Staat zu schaffen, in dem sich Minderheiten ohne sorgen wohlfühlen können.

In dem heutigen globalen Diskurs bleibt Pakistan weiterhin, wie zu den Zeiten seiner Gründung, ein armes Land. Seit seiner Gründung leidet Pakistan an politischer Instabilität. Jinnah starb am 11. September 1948. Die Präsidenten*innen die danach gewählt wurden, waren entweder korrupt oder wurden durch Attentate ermordet. Bis jetzt hat in der Geschichte Pakistans noch kein*e Präsident*in die volle Amtszeit beendet. Viele dieser Ereignisse sind auf die Kolonialvergangenheit zurückzuführen, die dafür sorgt, dass ehemalige Kolonien nicht die Ressourcen besitzen, um an dem Weltmarkt teilzunehmen. Dieses Bild der Unsicherheit und fehlenden Entwicklung wird durch die Wiedergabe in der westlichen Welt weiterhin reproduziert. In der postkolonialen Theorie wird dieses Phänomen des Fortlebens kolonialer Muster nach dem Kolonialismus als Teil einer »Kolonialität« angesehen (KASTNER, 2012, S. 94). Kolonialität wird als Prozess der von Dekolonisierung und nation building hinaus als „Maschine“ gesehen, die im Rahmen der globalen Netzwerk-Gesellschaft soziale Ungleichheit reproduziert (D. MIGNOLO, 2001, S. 426). Die Ungleichheiten, die während der Kolonialzeit entstanden, werden in der westlichen Perspektive weiterhin bewusst und unbewusst reproduziert.

Schlussfolgerung

Die mehr als drei Jahrhunderte, während denen Großbritannien die Herrschaft über ein riesiges Kolonialreich hatte, haben unsere heutige globale Welt vielfach geprägt. Viele Staaten sind in ihren Grenzen und in ihrer demographischen Struktur die Resultate britischer Kolonialherrschaft. Indien und Pakistan sind zwei der vielen Staaten.  Viele Konflikte, die bis heute noch existieren, sind oftmals Hinterlassenschaften britischer Kolonialherrschaft. Während einige Länder sich inzwischen trotz ihrer kolonialen Vergangenheiten weiter entwickeln konnten, ist dies nicht der Fall für Pakistan, ein Land das erst 75 Jahre alt ist. Gegründet, damit Minderheiten eine Stimme bekommen und ein Ort geschaffen wird, an dem sie ohne Angst leben können. All die Bürger*innen, Politiker*innen und Anwält*innen wie Muhammad Ali Jinnah, die für die Unabhängigkeit und Freiheit der Einheimischen gekämpft haben. All die Opfer, die erbracht wurden, die zahlreichen Konflikte und Aufstände von Menschen, die nur menschlich behandelt werden wollten. Nicht nur in Indien und Pakistan, sondern auf der ganzen Welt: Diese Menschen inspirieren und prägen alle zukünftigen Generationen, für ihre Rechte zu kämpfen. Auch wenn diese Stimmen nicht gleich viel gehört werden bedeutet das nicht, dass diese Stimmen nicht existieren. Sie existieren und werden weiterhin gehört, von Leuten, die bis heute für ihre Freiheit kämpfen.

Muhammad Ali Jinnah bleibt eine faszinierende Persönlichkeit, die die Entstehung Pakistans geprägt hat. Er hat sein ganzes Leben und seinen Einsatz Pakistan gewidmet. Seine Vision und sein Einsatz für unterdrückte Minderheiten haben eine dauerhafte Wirkung auf die Geschichte und Identität des Landes hinterlassen. Sein Vermächtnis als „Quaid-e-Azam“ lebt in der pakistanischen Geschichte und Kultur weiter. Er wird oft als Symbol für Führung, Entschlossenheit und die Vision eines starken und unabhängigen Pakistans betrachtet.

Jede Art von Widerstand, ob aktiv oder passiv, ist eine wahre Inspiration, die zeitlos ist und uns immer daran erinnert, dass man seine Hoffnung niemals aufgeben sollte. Der Weg mag hart und ermüdend sein, jedoch ist jede Art von Anstrengung es wert, dass man sich für die Freiheit der Unterdrückten einsetzt.

Literaturverzeichnis

BHABHA, H. K. (1994): The Location of culture. London u. a.: Routledge. 408 S.

BOSE S. JALAL A., (2011): Modern South Asia: History, Culture, Political Economy. Second Edition. London u. a.: Routledge. 270 S.

BROECK, S. (2012): Dekoloniale Entbindung. In: Reuter, J., Karentzos, A. (eds) Schlüsselwerke der Postcolonial Studies. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. ‎375 S.

BRUNNER, M. P. (2021): Schooling the Subcontinent: State, Space and Society, and the Dynamics of Education in Colonial South Asia. London u. a.: Routledge. 534 S.

FISCHER-TINE, H. (2022): Kolonialismus zwischen Modernisierung und Traditionalisierung. Die britische Herrschaft in Indien. (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/indische-unabhaengigkeit-2022/510895/kolonialismus-zwischen-modernisierung-und-traditionalisierung/) (zuletzt aufgerufen 20.08.2023)

GILMARTIN, D. (1998): Imagining Pakistan: Colonialism, Nationalism, and the Long View of History. In: The Journal of Asian Studies Vol. 57, No. 4. Durham, North Carolina. Duke University Press. 1068-1095 S.

JALAL, A. (1985): The Sole Spokesman: Jinnah, the Muslim League, and the Demand for Pakistan. Cambridge. Cambridge University Press. 336 S.

KASTNER, J. (2012): Klassifizierende Blicke, manichäische Welt. In: Reuter, J., Karentzos, A. (eds) Schlüsselwerke der Postcolonial Studies. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. ‎375 S.

KERR, I. J. (2006): Engines of Change: The Railroads That Made India. Westport. Praeger. 224 S.

LOSSAU, J. (2012): Postkoloniale Geographie. Grenzziehungen, Verortungen, Verflechtungen. In: Reuter, J., Karentzos, A. (eds) Schlüsselwerke der Postcolonial Studies. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. ‎375 S.

MIGNOLO, W. D. (2021): The Politics of Decolonial Investigations (On Decoloniality). Durham, North Carolina. Duke University Press. 736 S.

PURUSHOTHAM, S. 2021: From Raj to Republic: Sovereignty, Violence, and Democracy in India. Redwood City. Stanford University Press. 360 S.

SAID, E. W. (2003): Orientalism. London, Ncw York: Penguin. 432 S.

SAID, E.  W. (1993/1994): Culture and Imperialism. New York: Vintage. 528 S.

SIEBER, C. (2012): Hybridity – Hybridität. In: Reuter, J., Karentzos, A. (eds) Schlüsselwerke der Postcolonial Studies. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. ‎375 S.

WENDE, P., (2010): Vom Inselstaat zum Weltreich: Anmerkungen zum Aufstieg und zur Struktur des Britischen Empire. In: Zeitschrift für Weltgeschichte Interdisziplinäre Perspektiven Jahrgang 11, Heft 2 (Herbst 2010) ZWG 11|2 herausgegeben von Hans-Heinrich Nolte Für den Verein für Geschichte des Weltsystems

Bild Quellen

https://www.constitutionofindia.net/blog/our-independence-movement-constitution/ (zuletzt aufgerufen: 02.08.2023)

https://www.constitutionofindia.net/blog/our-independence-movement-constitution/ (zuletzt aufgerufen: 02. 08.2023)

https://microform.digital/boa/series/16/india-under-colonial-rule-1752-1933 (zuletzt aufgerufen: 03.08.2023)

https://www.pngegg.com/en/png-exlky (zuletzt aufgerufen: 03.08.2023)

https://fdc4all.com/index.php?main_page=product_info&products_id=2279 (zuletzt aufgerufen: 03.08.2023)

https://news.abplive.com/news/india/independence-day-2021-how-foreign-indian-newspapers-covered-india-75th-i-day-freedom-from-british-in-1947-1476222 (zuletzt aufgerufen: 03.08.2023)

https://thediplomat.com/2020/04/covid-19-and-indias-addiction-to-colonial-era-laws/ (zuletzt aufgerufen: 03.0.2023)


Quelle: Munaam Baig, Die Kolonialzeit, Unabhängigkeitsbewegung und die Formung des heutigen Pakistans, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 05.12.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=405