Wie es gelingt, Wissen zu demokratisieren: Rückblick auf die Diskussionsveranstaltung „Berlin goes Open Research!?!“ im Mai 2023

Rückblick auf die Diskussionveranstaltung zu Open Research an der FU Berlin Anfang Mai 2023.

Ein Beitrag von Maaike Duine, Georg Fischer, Maxi Kindling, Linda Martin, Maike Neufend (Open-Access-Büro Berlin), Heinz Pampel und Laura Rothfritz (HU Berlin)

Zitiervorschlag:

Duine et al. (2023). Wie es gelingt, Wissen zu demokratisieren: Rückblick auf die Diskussionsveranstaltung „Berlin goes Open Research!?!“ im Mai 2023, Open Access Blog Berlin. DOI: https://doi.org/10.59350/fv526-nvk44

Am 4. Mai 2023 organisierten das Open-Access-Büro Berlin an der Freien Universität Berlin und der Lehrstuhl Informationsmanagement am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin eine öffentliche Diskussionsveranstaltung im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin.

Anlass der Diskussion war die Weiterentwicklung der Open-Access-Strategie des Landes Berlin zu einer Strategie für offene Wissenschaft (Open-Research-Strategie) im Laufe des Jahres 2023. Das Ziel der Veranstaltung bestand darin, die wissenschaftspolitischen Perspektiven auf die Entwicklung einer Strategie zusammenzubringen und zu diskutieren. Dazu wurden wissenschaftspolitische Sprecher*innen der demokratischen Parteien angefragt, die sich in ihren Wahlprogrammen zur Wiederholungswahl im Februar 2023 zu Themen der Öffnung der Wissenschaft geäußert haben (Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linke, SPD; siehe unser Blogbeitrag „Wie viel offene Wissenschaft ist drin?“).

An der Diskussion nahmen die Abgeordneten Laura Neugebauer (Bündnis 90/Die Grünen), und Tobias Schulze (Die Linke) teil. Aus der Wissenschaft waren Prof. Dr. Ulrich Dirnagl (Charité – Universitätsmedizin Berlin) und Prof. Dr. Heinz Pampel (Humboldt-Universität zu Berlin/Einstein Center for the Digital Future/Helmholtz Open Science Office der Helmholtz-Gemeinschaft) vertreten. Und Dr. Maxi Kindling (Leiterin Open-Access-Büro Berlin) sprach für das Open-Access-Büro Berlin. Die Moderation übernahm Dr. Christina Riesenweber (Kommissarische Leiterin Open Access und wissenschaftliches Publizieren, Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin).

Impressionen des Abends, eingefangen von Tobias Roßmann

Von Open Access zu Open Research: Erfolge, Ziele, Herausforderungen

Die Diskussion begann mit einem Rückblick auf die Open-Access-Strategie, die im Jahr 2015 durch das Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. Die Diskussionsteilnehmer*innen waren sich darin einig, dass bereits eine Reihe von Zielen erreicht werden konnte: Greifbar und konkret ist dabei vor allem das Ziel, dass die Autor*innen an Berliner Wissenschaftseinrichtungen bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 60% Open Access bei Zeitschriftenartikeln erreichen sollten. Diese Quote wurde für die neun publikationsstärksten Hochschulen ermittelt und mit 63,6% leicht übertroffen (Kindling et al. 2022). Die Mehrzahl der Hochschulen und auch einige der außeruniversitären Wissenschafts- und Kulturerbeeinrichtungen haben inzwischen Open Access Policies verabschiedet und die Berliner Erklärung zu Open Access unterzeichnet. Die drei Universitäten, die Charité und die Alice Salomon Hochschule haben Publikationsfonds eingerichtet. Und mit Berlin Universities Publishing (Berlin UP) haben die vier Einrichtungen der Berlin University Alliance (BUA) zudem einen eigenen Open-Access-Verlag auf die Beine gestellt.

Die Entwicklung von Open Access fügt sich aber längst in weitere Öffnungsprozesse in der Wissenschaft ein, die unter den Begriffen Open Science und Open Research diskutiert werden. So haben die Berliner Einrichtungen, auch über den offenen Zugang zu Textpublikationen hinaus, bereits einiges erreicht: Viele Einrichtungen sind an Konsortien der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur beteiligt; an den Universitäten, der Charité und vielen außeruniversitären Einrichtungen gibt es bereits etablierte Services für das Forschungsdatenmanagement. Solche Services werden nun auch an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, wie der Hochschule für Technik und Wirtschaft, entwickelt. Die Einrichtungen der BUA arbeiten zudem gerade an einem gemeinsamen Open-Science-Leitbild.

Die Open-Access-Strategie bewertete Tobias Schulze in der Diskussion zwar als erfolgreich, aber nicht als ausreichend strategisch angelegt. Open Research sollte zu einer Handlungsmaxime gemacht und als ein Kernprofil für die Berliner Universitäten und Hochschulen ausgebildet werden. Das müsse finanziell unterstützt werden. Wichtig sei dabei auch die Frage, wo die Hochschulen in zehn Jahren stehen sollen. Laura Neugebauer betonte hierfür die Relevanz der Hochschulverträge, vor allem vor dem Hintergrund, dass Open Access und Open Research im Koalitionsvertrag von CDU und SPD keine Erwähnung finden. Darüber hinaus vertrat Heinz Pampel die Position, dass es quantitative, messbare Ziele brauche. Er ergänzte: „Das 60%-Ziel der OA-Strategie war mutig. Diesen Mut braucht es auch wieder für die Open-Research-Strategie.“

Offene Wissenschaft: Nicht nur Infrastruktur, sondern auch eine Frage wissenschaftlicher Werte

Moderatorin Christina Riesenweber machte klar, dass Offene Wissenschaft nicht nur den Aufbau von technischen Infrastrukturen beinhalte, sondern auch Werte- und Bewertungsfragen in der Wissenschaft umfasse. Tobias Schulze ergänzte, dass es auch um Studium und Lehre, die Wissenschaftskultur und Wissenschaftskommunikation gehe, um „eine Demokratisierung von Wissen“. Die Pandemie habe die hohe Relevanz der offenen Wissenschaft erkennbar gemacht, betonte Ulrich Dirnagl. Eines der wichtigsten Ziele für die Berliner Open-Research-Strategie sei, so Maxi Kindling, die verschiedenen Domänen wie Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft zusammenzudenken: Auch Kulturerbeeinrichtungen etwa sollten bei Themen wie der Digitalisierung von wissenschaftlichen Sammlungen angesprochen und unterstützt werden. Im Kulturbereich ergäben sich zum Teil neue und andere Fragen in Bezug auf Themen der Wissensgerechtigkeit.

Heinz Pampel knüpfte an den Punkt des Kulturwandels in der Wissenschaft an: Er unterstrich, dass es auch dafür politische Unterstützung brauche. Dass der Kulturwandel bereits gestaltet werde, zeige der Berlin Science Survey, dessen Ergebnisse eine hohe Zustimmung zum Thema Open Science nachwiesen. Der Kulturwandel finde zudem auch auf anderen Ebenen statt, beispielsweise auf europäischer Ebene mit der CoARA-Erklärung oder der UNESCO Open Science Recommendation. In Ländern wie in den USA, in den Niederlanden, in Schweden, stünde offene Wissenschaft auch ganz oben auf der nationalen politischen Agenda. Als Beispiel für eine umfassende Open Science Policy in Deutschland hob Pampel die Helmholtz Open Science Policy hervor, mit der die Helmholtz-Gemeinschaft als größte Wissenschaftsorganisation in Deutschland den Kulturwandel hin zu Open Science umfassend gestalte.

Christina Riesenweber setzte die Diskussion mit der Frage fort, was auf Landesebene möglich wäre und was das Land Berlin leisten könne. Maxi Kindling verwies darauf, dass es auch aktuell positive Zeichen der Unterstützung durch das Land gebe: So wurde die Stelle im Open-Access-Büro Berlin entfristet und der Berliner Senat unterstützt die Open-Access-Tage Ende September 2023 in Berlin maßgeblich. Bei einer Weiterentwicklung der Themen von Open Access zu Open Research müsse aber auch das Büro selbst dringend ausgebaut werden. Darüber hinaus gebe es bereits seit einiger Zeit Austausch dazu, welche unterstützenden Maßnahmen gebraucht werden. So stehe schon länger die Frage im Raum, ob und wie Berlin eine gemeinsame Publikationsinfrastruktur aufbauen sollte. Wichtig sei es, zeitnah mit der aktuellen Regierung über die Ideen in den Austausch zu treten. Dabei könne Berlin inzwischen auch von anderen Bundesländern lernen, insbesondere wenn es dort aktuelle Strategien und Maßnahmen wie rechtliche Beratung oder auch Initiativen für Forschungsdatenmanagement auf Landesebene gibt. 

Tobias Schulze verwies in diesem Zusammenhang auf die fehlende strategische Ausrichtung in der Hochschulentwicklung. Insbesondere betonte er, dass Hochschulen sich zumeist ohne politische Strategien, sondern aus eigenen Anreizen heraus entwickelten. Die Diskutant*innen waren sich über die Notwendigkeit entsprechender Anreizsysteme für die offene Wissenschaft auf strategischer Ebene einig. Open Research müsse on top laufen, zusätzlich gefördert werden und nicht nur in den Hochschulverträgen aufgeführt werden, so der Tenor auf dem Podium. Laura Neugebauer ergänzte an diesem Punkt, dass die Finanzierung von Projekten an Hochschulen anders funktioniere als die politische Steuerung in der Wissenschaftspolitik. Die Bedeutung einer aktualisierten gemeinsamen Berliner Open-Research-Strategie bestehe auch darin, die Trennung zwischen Wissenschaftspolitik und wissenschaftlihem System ein Stück weit zu überwinden.

Nachhaltige Finanzierung für Offene Wissenschaft unerlässlich

Die Diskussion wurde mit Blick auf Finanzierung und Ressourcen fortgesetzt. Tobias Schulze brachte dazu ein, dass die derzeitige Wissenschaftsfinanzierung nicht ausreiche. Vielmehr sei eine Debatte zu der Frage nötig, was die Wissenschaft der Gesellschaft wert sei. Ulrich Dirnagl ergänzte seine Befürchtung, dass die Finanzierung in den kommenden Jahren schlechter werde und betonte, dass eine unabhängige Finanzierung von offener Wissenschaft ebenso wichtig sei wie diesbezügliche Anstöße durch Fördergeber. Heinz Pampel bemerkte zudem, dass die Steuerung wissenschaftsgeleitet passieren müsse und in Verbindung gebracht werden solle mit der Weiterentwicklung der Forschungsbewertung.

Ein weiterer Diskussionsblock befasste sich mit der Frage der Gestaltung nachhaltiger Finanzierungsstrukturen. Maxi Kindling betonte Nachhaltigkeit als eines der wichtigsten Ziele der bisherigen Überlegungen einer Berliner Open-Research-Strategie. Hierbei sei vor allem wichtig, sich von kommerziellen Strukturen unabhängiger zu machen und öffentliche Infrastruktur zu stärken. Tobias Schulze fügte hinzu, dass es eine kontinuierliche Refinanzierung durch Bund und Länder brauche sowie eine Dauerfinanzierung auch für Infrastrukturen. In den Hochschulverträgen müsse die Finanzierung offener Wissenschaft verankert werden. Gleichzeitig sei aber auch sicherzustellen, dass das Geld tatsächlich für die Umsetzung von Offenheit verwendet werde. Schulze forderte zudem, sich vom Exzellenz-Begriff zu verabschieden und „nicht nur Leuchttürme in der Wüste“ zu finanzieren.

Die Öffnung der Wissenschaft kommt voran – in einigen großen wie auch in vielen kleinen Schritten

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurden Fragen aus dem Publikum zugelassen. Diese konzentrierten sich unter anderem auf Personalressourcen und die bessere Verankerung in den Hochschulverträgen sowie die Problematik der Rekrutierung von unterstützendem Personal. Für die Umsetzung offener Wissenschaftspraxis, aber auch grundlegender Fragen der Arbeit mit wissenschaftlichen Daten, seien entsprechende Fähigkeiten notwendig, sowohl bei der Ausbildung wie auch für entsprechende Stellen für die Unterstützung. Maxi Kindling verwies an diesem Punkt auf die an Berliner Einrichtungen bestehenden Studiengänge sowie die Initiativen anderer Bundesländer wie das Projekt „Institutionalisierung des Forschungsdatenmanagements in Brandenburg (IN-FDM-BB)“ und die Funktion der Data Stewards. Heinz Pampel gab einen Hinweis auf die Studienangebote am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, bei denen die Kompetenzvermittlung zum Management von Forschungsdaten und anderen Informationsobjekten rund um Open Science Teil des Studiums sei.

Aus dem Publikum wurde auch auf den Widerstand gegenüber Open Research aus den Wissenschaften aufmerksam gemacht. Unter anderem wurde die Frage gestellt, ob eine Landesregierung auf die „Mindsets“ von Wissenschaftler*innen zur besseren Anerkennung von Open-Research-Praktiken einwirken könnte. Heinz Pampel erklärte, dass es ideell oft keinen Widerstand gebe. Die Entwicklung einer Open Science Policy bei der Helmholtz-Gemeinschaft habe eine große Zustimmung seitens der Wissenschaft demonstriert. Ulrich Dirnagl ergänzte, dass Widerstand oft auf eine generell hohe Arbeitsbelastung zurückzuführen sei und nicht, weil Open Research prinzipiell abgelehnt werde.

In diesem Zusammenhang kam auch die Frage auf, in wessen Verantwortung die Veränderung der Wissenschaftskultur in Richtung Offenheit stehe. Tobias Schulze appellierte daran, das Wissenschaftssystem aus Sicht der Wissenschaftler*innen und der Politiker*innen zusammenzudenken. Hier gebe es noch viel Potential. Die Größe und Vielfalt von Berlin ermögliche Kooperation, wie etwa die Gründung der Berlin University Alliance zeige. Sichtbarkeit könnte, so Schulze, besser erreicht werden, wenn der Fokus weg ginge von bestehenden Finanzierungslogiken und Exzellenzdenken.

In einem Fazit schloss die Moderatorin Christina Riesenweber, dass sich die Umsetzung von Open Research in der Praxis nur durch viele und auch durch kleine Schritte bewältigen lasse. Maxi Kindling wies abschließend darauf hin, dass die Entwicklung einer Strategie als Prozess zu verstehen ist und derzeit unter der Bezeichnung Landesinitiative Open Research Berlin zu finden sei. Ein Strategiedokument spiegele zudem immer den Stand zu einem bestimmten Zeitpunkt, müsse aber stets weitergedacht und aktualisiert werden.

Wie es weiter geht

Die nächsten Veranstaltungen zu den Zielvorstellungen einer Open-Research-Strategie Berlin finden im Juli 2023 statt:

Workshop >Open-Access-Publizieren durch wissenschaftliche Einrichtungen: Maßnahmen für die Open-Research-Strategie Berlin<
Termin: 4. Juli 2023, 10–15:00 Uhr
Ort: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jägerstraße 22/23, 10117 Berlin, Konferenzraum 2
Organisiert von: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften/TELOTA/Initiative Forschungsdatenmanagement und Open-Access-Büro Berlin

Workshop >Open Research Data: Infrastrukturangebote an Berliner Einrichtungen. Maßnahmen für die Open-Research-Strategie Berlin<
Termin: 10. Juli 2023, 10–14:30 Uhr
Ort: Seminarraum in der Zentralbibliothek der TU Berlin/Universität der Künste Berlin, Fasanenstraße 88, Charlottenburg, 10623 Berlin
Organisiert von: Universität der Künste Berlin und Open-Access-Büro Berlin

 

Text: OABB/IBI

 

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