Mental Load – feministischer Kampfbegriff oder fruchtbares Konzept, um Geschlechtergerechtigkeit neu zu denken?

Eva Schießl (WiSe 2022/23)

„You should´ve asked!“[1] – sagt der Familienvater zur Familienmutter im gleichnamigen Comic der feministischen Bloggerin und Comicautorin Emma in der englischen Übersetzung des französischen Originals. „I would´ve helped!“[2], schiebt er hinterher. Die Situation ist die folgende: Die Mutter versucht, die beiden Kinder abendessenstechnisch zu versorgen und gleichzeitig für die Gästin des Paars zu kochen – mit allem, was dazu gehört. Dabei passiert es, dass das Essen überkocht. Auf den Ausruf des Mannes, was sie denn nur getan hätte, antwortet sie wütend, dass sie eben alles mache, woraufhin das oben genannte Zitat fällt.

So weit, so vertraut? Vor allem in heterosexuellen Partner:innenschaften mit Kindern tritt dieses Phänomen auf, doch auch von Freund:innen in ebensolchen Beziehungen ohne Nachwuchs haben sicher viele Frauen* voneinander schon den Satz “Sieht der denn einfach nicht, was alles getan werden muss?“ gehört. Einen Namen hat dieses Phänomen auch: Mental Load. Der Begriff beschreibt hauptsächlich die „Last der alltäglichen, unsichtbaren Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie“[3], die Initiative Equal Care Day nimmt aber auch die Gedankenarbeit für die Koordination beruflicher Aufgaben, sowie die Beziehungsarbeit in beiden Lebensbereichen in die Definition mit auf.[4] Diese Last übernehmen meist die Frauen*. Die Diskussion um Mental Load nahm anlässlich von Covid-19, in Verbindung mit dem Diskurs um Care-Arbeit und vermuteter Re-Traditionalisierung der Familie, medial an Fahrt auf. Zum Beispiel in der Studie Parenthood in a Crisis 2.0 erwies sich die subjektiv wahrgenommene, vermehrte Überbelastung von Frauen* in der Pandemie als wesentlich höher als die der Männer, ganz unabhängig davon, ob Kinder mit im Haushalt lebten.[5] Die Autorinnen vermuten als Begründung neben dem auch schon vor der Pandemie bestehenden Gender Care Gap die ungleiche Verteilung des größer gewordenen Mental Loads.

Was ist das nun schon wieder für ein neu ersponnenes Modewort, lediglich erfunden, um Futter für die Feuilletons zu liefern? Ein weiterer feministischer Kampfbegriff, der die angebliche Benachteiligung von Frauen* beweisen soll? Oder ist Mental Load schlicht und einfach ein sehr brauchbares Konzept, um die unsichtbare Mehrbelastung von Frauen* sichtbar zu machen und anhand dessen die Gleichstellung der Geschlechter neu zu denken? So viel lässt sich schon verraten: Neu ist die Idee nicht. Bereits in den 1950ern beschäftigte sich das Müttergenesungswerk damit, nur nicht unter diesem Namen – der entstammt den 70ern, kommt aber erst jetzt im öffentlichen Diskurs vor.[6] Und dass Mental Load für den Feminismus und die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit absolut notwendig ist, statt Kampf- oder Modebegriff zu sein, soll dieser Essay verdeutlichen.

Der Begriff Mental Load lässt sich, wie bereits angeklungen, im größeren Feld der Care-Arbeit verorten. Bekannt ist mittlerweile, dass Sorgearbeit auch Arbeit ist – und zwar unbezahlte. Sehen wir uns nun (leider sehr heteronormativ) die heterosexuellen Beziehungen mit und ohne Kinder an, denn hier wird das Mental-Load-Ungleichgewicht besonders markant deutlich (was nicht heißt, dass es in anderen Beziehungsformen nicht auch auftreten kann und dort ebenfalls untersucht werden muss – Mental Load ist für sich genommen zuerst einmal nicht geschlechtsspezifisch).

In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten wird die Erwerbsarbeit weitgehend noch immer den Männern zugeordnet. Alle Arbeit, die die sogenannte Reproduktion betrifft, wird den Frauen* überlassen.[7] Obwohl die Befürwortung dieses Modells abnahm und -nimmt, stellt es sich in der Realität vielerorts noch ziemlich genau so dar.[8] Selbst, wenn Frauen* ebenfalls einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ändert sich das Verhältnis in der Reproduktionsarbeit nicht.[9] Allein hier müssten schon alle Alarmglocken schrillen. Bereits 1989 veröffentlichte Arlie Hochschild eine Studie, die die schon im Vorhinein vermutete Second Shift der Frauen* nach der Lohnarbeit Zuhause bestätigte.[10] Regina Becker-Schmidt spricht von der doppelten Vergesellschaftung der Frau*, was bedeutet, dass sie sowohl erwerbstechnisch als auch auf Sorgearbeit bezogen ihre Arbeitskraft einsetzen muss.[11] Entscheidend ist, dass es sich hierbei wohl kaum um eine individuelle Problematik handelt. Vielmehr spielt sich das Ganze auf gesellschaftlicher bzw. struktureller Ebene ab.[12]

Nun hat sich in den letzten Jahren sicherlich einiges getan. Die Verteilung der Care-Arbeit wird zumindest zunehmend verhandelt, neue Vaterrollen werden definiert, Männer sind zunehmend bereit, sich zu kümmern. Und trotzdem: Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wenden Frauen* im Schnitt täglich immer noch 52,4 Prozent mehr Zeit für Care-Arbeit auf. Haben sie Kinder, sind es ganze 83,8 Prozent mehr.[13] Durch den Mental Load kommt außerdem die Komponente der Gedankenarbeit dazu, die auch in emanzipierten Haushalten oft nicht mitgedacht wird. In ihrer Studie zu diesem Thema von 2019 stellt Allison Daminger fest, dass immerhin die Höhe der jeweiligen Gesamtarbeitsstunden von Eltern, wenn man Lohn- und Sorgearbeit jeweils aufrechnet, nicht mehr signifikant geschlechtsspezifisch ist.[14] Die Daten ihrer Studie legen aber nahe, dass die Erklärung hierfür ist, dass die kognitive Arbeit, wie sie sie nennt, bisher in Studien nicht miteinbezogen wurde.[15] Das zeigt, wie wichtig es ist, sich nun endlich damit zu beschäftigen.

Bekannt wurde das Phänomen Mental Load durch Comics, wie den oben erwähnten der Autorin Emma, sowie in Deutschland durch das Buch Raus aus der Mental-Load-Falle von Patricia Cammarata.[16] Zusammenfassend kann man Mental Load drei Eigenschaften beziehungsweise Mechanismen zuschreiben: Er ist erstens unsichtbar, weil er innerlich stattfindet und abstrakt ist, zweitens ist er zeitlich und räumlich unbegrenzt, und drittens dauerhaft, da es um das (emotionale) sich Kümmern von nahen Menschen geht.[17] Diese Charakteristika machen es nicht verwunderlich, dass Mental Load auch von den Leittragenden selbst oft nicht erkannt wird. Im Folgenden werden einige Einwände skizziert, die so oder so ähnlich erhoben werden, um der Bedeutung von Mental Load den Wind aus den Segeln zu nehmen oder, um Mental Load in eine Ecke vermeintlich unnötiger feministischer Erfindungen zu stellen. Ich möchte zeigen, wie die Argumente recht schnell entkräftet werden können. So soll auch das Konzept Mental Load noch klarer werden.

„Das bisschen Hausarbeit – Müll runterbringen dauert grad mal eine Minute! Und denken muss man da nun wirklich nicht.“ Zuerst also eine ganz klassische Aussage, die eine recht unreflektierte Sicht auf Care-Arbeit allgemein widerspiegelt. In der Summe sind es aber eben viel mehr Dinge als der Müll, kann man direkt erwidern. Und selbst an den muss man denken bzw. bemerken, dass der Mülleimer voll ist und ihn dann auch wirklich leeren. Tatsächlich umfasst Care-Arbeit sehr viel mehr: Kindererziehung und die dazugehörigen Entscheidungen, alle Arbeiten im Haushalt wie Einkaufen, Kochen, Putzen, Aufräumen, Waschen, um nur eine Auswahl zu nennen. Zusätzlich, und genau da kommt Mental Load ins Spiel, geht es um die Gesamtorganisation und darum, den Überblick zu behalten, sowie die Bedürfnisse aller abzudecken und für alle ein offenes Ohr zu haben. Nur ein Beispiel: Bei einem Termin bei dem:r Zahnärzt:in geht es eben nicht nur um die Begleitung des Kindes dorthin, also den eigentlichen Vorgang. Tatsächlich beinhaltet ein solcher Termin das rechtzeitige Vereinbaren des Termins, wenn wieder eine Kontrolle ansteht. Es geht um die Absage des parallel stattfindenden Fußballtrainings, darum, die Krankenkassenkarte mitzunehmen (und zu wissen, wo sie sich befindet) und das Kind und den Partner, der es begleiten soll, daran zu erinnern, dass der Termin morgen stattfindet und vorher die Zähne geputzt werden müssen. Von der emotionalen Begleitung des Kindes, die ein solches Vorhaben erforderlich machen kann, mal ganz zu schweigen.

Daran lässt sich schon erkennen: Dieser eine vermeintlich kleine Vorgang hat ganz schön viele Unteraufgaben und ist mit Sicherheit nicht der einzige, der bedacht werden muss. Die Überbelastung von Frauen*, die diese Arbeiten größtenteils alleine übernehmen, kann gesundheitliche Auswirkungen haben. Physisch können sie Schlafprobleme, Kopf- oder Rückenschmerzen verursachen, psychisch zu Erschöpfung, Depression und Angst führen.[18]

Was der Aussage zum Thema Müll des Weiteren entnehmbar ist: Eine fehlende Wertschätzung für die Aufgaben der Sorgearbeit. Wird hingegen anerkannt, was und wie viel da geleistet wird, steigt das Selbstwertgefühl, wodurch der Mental Load abnimmt.[19] Und um diese Anerkennung zu erreichen, die ihnen eben meist nicht erwiesen wird, verausgaben Mütter sich dann oft noch mehr.[20] Dabei geht es ja nicht nur um individuelle Wertschätzung, sondern vielmehr um die gesellschaftliche Anerkennung der Leistung. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem, was Franziska Schutzbach in Bezug auf die Forschung von Lisbeth Bekkengen unter „Paradoxie der Anerkennung“[21] zusammenfasst: Beteiligen sich Männer an Sorgearbeit, werden sie gelobt, bei Frauen* wird sie vorausgesetzt.[22] All das darf aber natürlich nicht zu der irrigen Annahme führen, dass mit ein bisschen Klatschen alles erledigt wäre.

„Frauen* können das doch auch besser mit dem Kümmern um alle, liegt irgendwie in ihrer Natur.“– darauf lässt sich einfach und klar antworten: Nein. Doing gender wird nun wirklich lang genug diskutiert, sodass ein solches Argument eigentlich nicht mehr existieren dürfte. Statt Genetik geht es um Sozialisation. Den Menschen wird überall und vom ersten Atemzug an vermittelt, wie eine gute Mutter zu sein hat, und durch die ständige Präsenz dieses Bildes wird es Gesellschaft und Individuum eingebrannt.[23] Haben Frauen* einen Job, so stehen sie im Generalverdacht, die Familie zu vernachlässigen, kümmern sie sich nur um die Familie, leisten sie angeblich nicht genug. Außerdem flüstert ihr gesamtes Umfeld ihnen konstant ins Ohr, dass sie emotionaler seien, mehr Empathie hätten – klar, dass man dann denkt, dass man dieser Erwartung entsprechen muss. Auch die Erziehung ist weit davon entfernt, geschlechtsneutral zu sein und sieht für kleine Mädchen* Puppen, um die man sich zu kümmern hat, vor. Aus Sicht der Rollentheorie übernehmen in heterosexuellen Paaren, die Kinder erwarten, Mütter und Väter diejenigen Rollen, die ihnen vorgelebt wurden, mit allen Normen, Werten und Erwartungen.[24] Es gibt wahrlich nicht viele Fälle, in denen diese nicht dem Klischee entsprachen. Und auf die Person, die weniger Lohnarbeit leistet, um mehr Sorgearbeit zu übernehmen, fällt meist auch der Mental Load zurück.[25] Das muss nicht die Frau* sein, ist aber bekanntermaßen in der Regel die Frau*. Und natürlich, wenn Frauen* dann alle diese Aufgaben übernehmen und quasi in sie hineinwachsen, selbstverständlich werden sie dann auch besser darin sein als Menschen, die dies viel weniger tun. Es geht also um Übung und nicht um naturgegebene Fähigkeiten. Und zwar sowohl beim Windeln wechseln oder Kinder ernähren als auch dabei, die Gesamtverantwortung in einer Familie zu übernehmen. In ihrem Beruf können Männer das ja übrigens auch meistens mit dieser Verantwortung.

„Alles, was mir meine Frau* aufträgt, erledige ich zuverlässig! Wir teilen uns das gerecht auf.“ Und genau hier liegt der springende Punkt, warum das hier keine faire Arbeitsteilung ist: Weil nicht beide gleichermaßen die Verantwortung tragen, und der Mann oft nur Aufträge, an die die Frau* denken muss, erfüllt – das heißt der Mental Load bleibt ungeteilt. Frauen* bleiben die Manager:innen, die durch ihre Position dauerhaft mit der inneren To-Do-Liste konfrontiert sind.[26] Aus der Aussage lässt sich herauslesen, dass eine Auftragserteilung erwartet wird, und zu erledigende Vorgänge von selbst gegebenenfalls nicht erkannt oder erledigt werden. Das zementiert die Gesamtverantwortung der Frau* und wenn sie dann, wie Emma in ihrem Comic schreibt und zeichnet, auch noch einen großen Teil der Anforderungen selbst absolvieren soll, übernimmt sie insgesamt ¾ der Arbeit.[27] Problematisch ist außerdem, dass Paare, die sich die Sorgearbeit vermeintlich gerecht aufteilen und auch sehr explizit und überzeugt die Gleichberechtigung verfolgen, auf diese Weise manchmal sogar die kognitive Mehrarbeit der Frauen* verschleiern.[28] Es klingt absurd, und doch ist dieser Punkt sehr einleuchtend: Nur weil man an die Gleichstellung aller Menschen als Ideal glaubt, heißt das nicht, dass man nicht auch in einer Welt sozialisiert wurde, die einem etwas anderes unterjubeln will. Und deshalb ist es zentral, sich konstant zu fragen, ob man die Werte, die man vertritt, auch wirklich so lebt. Dafür muss nicht zuletzt das Selbstbild immer und immer wieder mit der gelebten Praxis abgeglichen werden. Die Faktenlage zeigt, dass das notwendig ist: Partner:innen, die sich beide kümmern und Sorgearbeit übernehmen, teilen sich noch lange nicht den Mental Load.[29] Interessant ist auch, dass Entscheidungen trotzdem fast immer unter der gleichen Beteiligung beider gefällt werden, das liegt laut Studie daran, dass diese mit Geltungsbewusstsein und Ansehen assoziiert werden.[30] Wer aber tendenziell die Vorarbeit für die Entscheidung auf sich nimmt, kann man sich denken.

„Um die Kinder kümmere ich mich wirklich sehr viel. Das ist auch Mental Load nach einem langen Arbeitstag!“ Auch wenn das nicht als Mental Load bezeichnet werden kann, ist das an sich ein guter Anfang. Dennoch erweist sich die Angelegenheit als ähnlich wie oben: Sich um Nachwuchs zu kümmern bedeutet nicht, die Absolution erteilt zu bekommen, sich auch in anderen Care-Arbeits-Bereichen einzubringen. Denn oft verschiebt sich in einer solchen Konstellation die Verantwortlichkeit nur. Über Haushaltsaufgaben, die Frauen* in der Folge der abgegebenen Kinderbetreuung zu einem noch größeren Teil übernehmen, wird nicht mal mehr verhandelt – was wiederum die Belastung der Frauen* abermals unsichtbarer macht.[31] Darüber hinaus kriegen Väter dann meist die Sahnehäubchen der Zeit mit den Kindern ab, wie zum Beispiel Ausflüge.[32]

„Die wollen ja auch alles managen und selbst machen, meine Hilfe wird gar nicht angenommen!“ Väter haben also in diesem Argument aufgrund der angeblich gluckenhaften Mutter gar keine Möglichkeit, sich einzubringen, auch wenn sie es wollen. Hier kommt der Begriff maternal gatekeeping ins Spiel, der klassischerweise so viel bedeutet wie die mütterliche Befähigung dazu, die väterliche Beschäftigung mit den Kindern zu beschneiden.[33] Ohne nun genauer auf den Begriff eingehen zu können, da dies den Rahmen hier sprengen würde, klingt er doch recht gegensätzlich zum Konzept von Mental Load. Dass es dieses Phänomen geben mag, dass Mütter die Hilfe von Vätern abweisen, mag sein, aber es kann fälschlicherweise natürlich auch missbraucht werden, indem man so die männliche Nicht-Beteiligung an Care-Arbeit rechtfertigt. Und maternal gatekeeping ignoriert zudem komplett den bereits erwähnten Einfluss von Sozialisation und Erwartung an die Frauen*. Auch Franziska Schutzbach entkräftigt dieses Begründungsmuster recht bündig, indem sie auf Patricia Cammarata verweist: Einerseits, sagt sie, wird nicht erledigte Sorgearbeit auf die Frauen* zurückgeführt – und nicht auf die Männer.[34] Statistisch viel bedeutsamer als das maternal gatekeeping sei aber die geringe Anstrengung von Männern, sich für Haushaltsdinge verantwortlich zu fühlen. [35] Das wiederum hat natürlich auch mit dem Abgeben von jahrtausendealten Privilegien zu tun. Und seine Privilegien abgeben muss man eben wirklich wollen und setzt voraus, sich dieser und der damit verbundenen Machtungleichgewichte schmerzlich bewusst zu werden.

Wie kann das Konzept Mental Load nun weitergedacht werden, in die alltäglichen Überlegungen eingebettet werden und was ist der größere Rahmen, in dem das Thema betrachtet werden muss? Zunächst ist es wichtig, Care-Arbeit und damit auch den Mental Load intersektional zu denken. Strukturelle Diskriminierung spielt hier eine entscheidende Rolle – wird man marginalisiert, wird selbstverständlich auch die emotionale Last höher.[36] Um Care-Arbeit outzusourcen, damit Frauen* eben nicht überlastet sind, werden migrantisierte Frauen* dafür geringfügig entlohnt eingestellt.[37] Care-Ketten wie diese reproduzieren nicht nur transnationale Ungleichheiten, sie verursachen logischerweise ebenfalls einen großen Mental Load für die Betroffenen, die die kognitive Arbeit für eine andere Familie erledigen und sich nicht um ihre gegebenenfalls eigene kümmern können.

Praxistauglich gemacht hat Patricia Cammarata das Thema Mental Load, indem sie konkrete Tipps gibt: Man sollte ganz genau aufdröseln, welche Unterpunkte einzelne Aufgaben beinhalten.[38] Darauf aufbauend können ganzheitliche Aufgabenbereiche verteilt werden, für die komplett nur die jeweilige Person verantwortlich ist, inklusive des Mental Loads.[39] Helfen können dabei die Tests der Initiative Equal Care Day, um herauszufinden, wer bisher wie viel Arbeit übernimmt.[40] Schaut man auf eine größere Ebene, so wird leider auch klar: das Problem ist systemimmanent, denn nur aufgrund von unbezahlter Sorgearbeit kann der Kapitalismus bestehen. Ein Wandel des wirtschaftlichen Systems und eine ganz grundlegende Macht- und Ressourcenumverteilung sind aus aktueller feministischer Perspektive unabdingbar.[41] Dazu möchte ich kurz die konkrete Idee der Soziologin Frigga Haug erwähnen. Sie stellte 2008 ihre Vier-in-eine-Perspektive vor, die die Sinnhaftigkeit der großen Bedeutung, die der Erwerbsarbeit in unserer jetzigen Zeit zukommt, hinterfragt.[42] Sie schlägt vor: Von den 16 Stunden, die Menschen am Tag circa wach sind, sollen je vier für Lohn-, Care-, kulturelle Selbstverwirklichung und politisches Engagement zur Verfügung stehen.[43] Wie diese visionäre Utopie umgesetzt werden könnte, sei dahingestellt, aber eines steht fest: Ein Umdenken in Bezug auf die Lohnarbeit brauchen wir jedenfalls, wenn wir Care-Arbeit mehr Anerkennung verschaffen und gerechter verteilen wollen.

Diese genauere Betrachtung von Mental Load hat gezeigt, dass er kein sinnfreies Konzept sein kann, um die Gleichstellung der Geschlechter in Sachen Care-Arbeit zu fokussieren – im Gegenteil: Durch seine Unsichtbarkeit ist das Phänomen zwar schwer erkennbar, spiegelt aber sehr klar unsere Sozialisation wider, nach der Frauen* sich wie Projektleiterinnen um Kinder, Haushalt und Emotionen zu kümmern haben. Das muss sich ändern, indem wir versuchen, den Mental Load sichtbar zu machen, ihn produktiv zu nutzen und so Frauen* zu entlasten. Es lohnt sich anhand des Begriffs für eine wirklich faire Aufteilung von Sorgearbeit zu kämpfen, um so auch unseren eigenen Kindern ein anderes Modell vorzuleben und dabei aufzuhören, uns selbst auszubeuten. Das wäre zumindest ein kleiner Schritt in Richtung der Abschaffung des Patriarchats. Doch die abschließende Beobachtung, dass gefühlt circa 99% der Literatur über Mental Load von Frauen* geschrieben wurde (als natürlich nicht repräsentativer, kleiner Anhaltspunkt kann zumindest das Literaturverzeichnis dieses Essays gelten), zeigt das unbändige (wissenschaftliche) Interesse der männlichen Seite, die Dinge wirklich anzugehen. Eines steht fest: Es bleibt noch viel zu tun.

Literatur

Becker-Schmidt, Regina: Doppelte Vergesellschaftung von Frauen: Divergenzen und Brückenschläge zwischen Privat- und Erwerbsleben. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.) (2010): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3. erw. und durchges. Aufl., Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwissenschaften, 65-74.

Bücker, Teresa: Ist es radikal, sich die Gedankenarbeit zu teilen? In: Süddeutsche Zeitung Magazin vom 08.12.2020. Online verfügbar unter: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/freie-radikale/mental-load-teilen-teresa-buecker-89594, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.

Daminger, Allison: The Cognitive Dimension of Household Labor. In: American Sociological Reciew (2019), Vol. 84(4). Los Angeles, USA: Sage Publications, 609-633.

Dean,Liz/Churchill, Brendan/Rupanner, Leah: The mental Load. Building a deeper theoretical understanding on how cognitive and emotional labor overload women and mothers. In: , Vol. 25, (2022), online verfügbar unter: https://www.tandfonline.com/doi/epdf/10.1080/13668803.2021.2002813, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

Emma (2018): The mental Load. A feminist comic. New York/Oakland/London: Seven Stories Press. Online verfügbar unter: https://english.emmaclit.com/2017/05/20/you-shouldve-asked/, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

https://www.equalcareday.de/mental-load/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.

https://www.gender-mediathek.de/de/care-arbeit, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.

Land, Louise: „Mental Load ist unsichtbar, kann aber krank machen“. Interview mit Simone Frohwein und Elke Hüttenrauch. In Süddeutsche Zeitung Magazin vom 31.01.2023. Online verfügbar unter: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/mental-load-stress-belastung-burn-out-muetter-frauen-92354, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

Lange, Bianca/Ohlbrecht, Heike: Parenthood in a crisis 2.0. Motherhood in the Tension Between Homeschooling and Home Office. A Comparison After 1 Year of Pandemic. In: International Dialogues on Education Journal, 8(1/2), 36–50 (2022). Online verfügbar unter: https://doi.org/10.53308/ide.v8i1/2.252, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022.

Lutz, Helma/Benazha, Aranka Vanessa: Transnationale soziale Ungleichheiten. Migrantische Care- und Haushaltsarbeit. In: Biele Mefebue, Astrid/Bührmann, Andrea D./ Grenz, Sabine (Hrsg.) (2022): Handbuch Intersektionalitätsforschung, Wiesbaden: Springer VS, 289-302.

Notz, Gisela: Arbeit. Hausarbeit, Ehrenamt, Erwerbsarbeit. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.) (2010): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3. erw. und durchges. Aufl., Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwissenschaften, 480-488.

Puhlman, Daniel J./Pasley, Kay: Rethinking Maternal Gatekeeping. In: Journal of family theory & review (2013), Vol.5 (3). Hoboken, USA: Wiley, 176-193.

Schrammel, Barbara: Mental-Load. Ein psychodramatischer Blick auf die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit. In Psychodrama Soziom (2022) 21, 369-379.

Schutzbach, Franziska (2021): Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. München: Droemer, 239-267.


[1] Emma 2018, https://english.emmaclit.com/2017/05/20/you-shouldve-asked.

[2] Ebd.

[3] https://equalcareday.de/mental-load/.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Lange/Ohlbrecht 2022, 45.

[6] Vgl. Frohwein in Land 2023, https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/mental-load-stress-belastung-burn-out-muetter-frauen-92354.

[7] Vgl. Notz 2010, 480-481.

[8] Vgl. ebd., 481.

[9] Vgl. ebd.

[10] Vgl. Schutzbach 2021, 245.

[11] Vgl. Becker-Schmidt 2010, 66.

[12] Vgl. ebd.

[13] Vgl. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294.

[14] Vgl. Daminger 2019, 628.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. Hüttenrauch in Land 2023.

[17] Vgl. Dean/Churchill/Rupanner 2022, 20-22.

[18] Vgl. Frohwein/Hüttenrauch in Land 2023.

[19] Vgl. Frohwein in Land 2023.

[20] Vgl. Bücker 2020, https://sz-magazin.sueddeutsche.de/freie-radikale/mental-load-teilen-teresa-buecker-89594

[21] Schutzbach 2021, 249.

[22] Vgl. ebd.

[23] Vgl. Hüttenreich in Land 2023.

[24] Vgl. Schrammel 2022, 372-373.

[25] Vgl. ebd., 373.

[26] Vgl. Schutzbach 2021, 246.

[27] Emma 2018.

[28] Vgl. Schutzbach 2021, 250-252.

[29] Vgl. Daminger 2019, 609.

[30] Vgl. ebd.

[31]  Vgl. Schutzbach 2021, 249-250.

[32] Vgl. Schutzbach 2021, 250.

[33] Vgl. Puhlman/Parsle 2013, 176. Die Autor:innen weiten in ihrem Artikel den Begriff allerdings aus und wollen ihn neu konzeptualisieren, das würde hier aber zu weit vom Thema wegführen.

[34] Vgl. Schutzbach 2021, 252-253.

[35] Vgl. ebd., 253.

[36] Vgl. https://www.gender-mediathek.de/de/care-arbeit.

[37] Vgl. Lutz 2022, 293-294.

[38] Vgl. Schutzbach 2022, 253-254.

[39] Vgl. Hüttenrauch in Land 2023.

[40] Vgl. https://equalcareday.de/mental-load/.

[41] Vgl. Schutzbach 2021, 259.

[42] Vgl. ebd., 261.

[43] Vgl. ebd.


Quelle: Eva Schießl, Mental Load – feministischer Kampfbegriff oder fruchtbares Konzept, um Geschlechtergerechtigkeit neu zu denken? in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 16.05.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/mental-load-feministischer-kampfbegrif

Geschlechtervielfalt in Musikwirtschaft und Livebranche

Was sind die Hintergründe mangelnder geschlechtlicher Diversität im deutschen Musikmarkt?

Eva Briegel (WiSe 2022/23)

Einleitung

„Frauen machen Kunst für Frauen, Männer machen Kunst für Menschen“

(Liere, 2022)

Diversität, Gendergerechtigkeit und Inklusion sind in den vergangenen Jahren in den Fokus der deutschen Musiklandschaft gerückt. Immer mehr Musikschaffende fragen sich, wie es um ihre Chancen, ihre Kunst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und davon leben zu können, eigentlich bestellt ist. Bereits seit einigen Jahren wird eine lebhafte Debatte darüber geführt, wie es um das Geschlechterverhältnis in allen Bereichen der deutschen Musikindustrie, aber auch bei den Musikschaffenden selbst, den Songschreiber*innen, Musiker*innen auf und hinter der Bühne, im Bereich Komposition, Musikproduktion, Livegeschäft, in Booking-agenturen,  bei Radiostationen, im Mediengeschäft und vielen anderen Teilbereichen des Musikbusiness steht. Die Bilanz ist ernüchternd: Trotz vielfältiger Initiativen, einer wachsenden Anzahl an kritischen Stimmen in den Medien und der Branche selbst und eines sich wandelnden Problembewusstseins sind die Fortschritte seit dem Aufkommen der Debatte um mehr Inklusion im Popgeschäft und eine Entwicklung in Richtung Vielfalt bescheiden. Noch immer ist der allergrößte Teil der Musikwirtschaft männlich.

Ich bin seit vielen Jahren Teil der Musikbranche und habe immer wieder erlebt, in welchen Abhängigkeiten sich junge Künstler*innen befinden, welche große Rolle es spielt, (von Männern) gemocht zu werden und in welchem Ausmaß junge Künstler*innen von allen Formen von Sexismus betroffen sind.

In dieser Arbeit soll beleuchtet werden, welche Gender-Stereotypen dazu führen, dass es einer Branche, die von sich behauptet, sich durch Offenheit, Toleranz und Vielfältigkeit auszuzeichnen, so schwerfällt, sich sichtbar zu verändern.

Hauptteil

Zahlen

Der Anteil an Frauen in den deutschen Charts ist seit Jahren rückläufig. Eine Studie des Streaminganbieters Qobuz kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2021 nur 7,32%  aller Top-20-Titel in Deutschland von Frauen interpretiert wurden (Diversität in den deutschen Charts: Frauenquote erreicht 2021 Tiefstwert, 2022). In einer Erhebung der MaLisa Stiftung sollten noch genauere Daten erhoben werden. 2021 veranlasste sie Recherchen zum Thema Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche. Darüber hinaus wurde in Kooperation mit der GEMA und Music S Women*, dem Dachverband der Musikfrauen* in Deutschland, eine Studie zum Thema „Charts, Werke und Festivalbühnen“ durchgeführt. Aus deren Ergebnissen lässt sich leider das Gegenteil dessen ablesen,  was öffentlich gefordert wird: in jedem der Bereiche Songwriting, GEMA-Mitgliedschaft, Gema-gemeldete Autorenschaft und Engagements bei Musikfestivals lag der Frauenanteil bei weit unter 20 %, und trotz einiger Initiativen, beispielsweise Selbstverpflichtungen der Veranstalter und der medialen Aufmerksamkeit war dieser Prozentsatz in den meisten Bereichen im Vergleich zu 2010 rückläufig. Einzig die weibliche Teilnehmer*innenquote kleinerer Festivals stieg leicht an.  Waren die Festivals von mittlerer bis großer Größe (41.00 – 200.000 Besucher*innen), stieg der Anteil der Musiker*innen von 2010 bis 2019 lediglich von 6 % auf 8 %. Der männliche Autorenanteil aller bei der GEMA gemeldeten Werke liegt sogar bei über 90 %, Tendenz steigend. Dagegen betrug der Anteil an nicht binären Personen und Personen ohne Geschlechtsangabe in allen Bereichen unter 1 %. Songs aus rein weiblicher Autorenschaft machten 2010 noch knapp über 3 %,  2015 knapp 2 % und  2019 weit unter 1% aus (Gender in Music – Charts, Werke und Festivalbühnen, 2022). Eine Ausnahme bildet das öffentlich-rechtliche Radio mit einer Mitarbeiterinnenquote von 50 %. Die redaktionelle und programmliche Entscheidungsmacht liegt aber nach wie vor weitgehend in männlicher Hand (Röben, 2022). Diese Zahlen überraschen, da in unserer Wahrnehmung das Geschlechterverhältnis im Radio und bei Streamingdiensten ausgeglichen zu sein scheint. Es gibt große weibliche Popstars, die vermeintlich das Musikgeschäft dominieren. Doch diese mediale Fokussierung auf einzelne weibliche Superstars wie Taylor Swift oder  Miley Cyrus überdeckt offenbar die Realität.

Die Musikwirtschaft als people business

Die Musikindustrie ist in vielen Bereichen ein sog. „people business“, eine personenbezogene Branche, in der persönliche Kontakte, Freundschaften, und die Eigenschaft, gemocht zu werden von großer Bedeutung sind. Viele Businesskontakte, aber auch Engagements und die Jobvergabe funktionieren über Sympathie, persönliche Präferenzen und Beziehungen. Da extrem viele Angehörige der Branche Autodidakten ohne Berufsabschlüsse sind, bzw. Berufsabschlüsse im Feld der Popmusik eine untergeordnete Rolle spielen, ist die Persona der oder des Einzelnen von größerer Bedeutung als in anderen Branchen. Hier gibt es selten Zeugnisse oder Auswahlverfahren, mit Hilfe derer sich der diskriminierungsfreie Zugang zu verschiedenen Positionen gewährleisten lässt. Das Musikbusiness bietet gute Möglichkeiten für Quereinsteiger*innen, egal ob als Musiker*in, im Management, als Licht-Operator*in, als Gitarrentechnikern*in, als „Roadie“, oder in vielen anderen Berufen. Dabei ist das, was das Musikgeschäft ausmacht, gleichzeitig Chance und Nachteil: Subjektivität und Geschmack. Gerade im Pop ist die Qualität eines Acts nicht objektiv messbar. Die Kunst kann nicht von dem oder der Künstler*in getrennt beurteilt werden und nicht selten hat der oder die Musiker*in mit der objektiv schlechtesten Stimme oder die Band mit den geringsten musikalischen Fähigkeiten den größten Erfolg. Eine langjährige Ausbildung mit anerkanntem Abschluss kann einem oder einer Musiker*in den Weg ins Pop-Geschäft ermöglichen, sie ist aber nicht zwingend notwendig. Im Bereich elektronischer Musik ist der Weg über eine musikalische Ausbildung eher selten, da die verwendeten Technologien relativ neu sind und die technologische Entwicklung so schnell voranschreitet, dass sich die Inhalte der verschulten Weitergabe entziehen. Oft entscheiden Geschmack, die persönliche Sympathie oder private Kontakte über ein Booking auf einem Festival oder einen Slot als Vorband bei einem etablierten Act. Die Musikindustrie funktioniert also häufig und viel über Netzwerke. Suchen Popstars Live-Musiker*innen für ihre Tour, suchen Künstler*innen Produzent*innen für ihre Tonaufnahmen, suchen Bands Toningenieur*innen oder Lichttechniker*innen für ihre Live-Shows, gehen sie bewusst den Weg über Netzwerke, Mund-zu-Mund-Propaganda und persönliche Empfehlungen und Referenzen.

Im Bereich des Live-Tour-Geschäftes gibt es so gut wie keine objektiven Auswahlverfahren. Das wichtigste Qualifikationskriterium für einen dieser Berufe ist neben guten Beziehungen die Erfahrung. Diese kann aber nur erworben werden, wenn es einen initialen Zugang zum Musikgeschäft und Live-Business gibt, somit fällt auch dort Frauen der Quereinstieg deutlich schwerer. Auf die Frage der Malisa-Studie „Mit welchen Barrieren sehen Sie sich persönlich in Ihrer beruflichen Weiterentwicklung konfrontiert?“ antworten 54 % aller befragten Frauen mit „Vetternwirtschaft“, 49 % sahen sich mit „Stereotypen und Vorurteilen“ konfrontiert und 47 % gaben „intransparente Entscheidungskriterien“ als Hindernis an (Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche, 2021).

Mangelnde Repräsentanz im Live-Geschäft und auf Festivals ist aber für viele Musikschaffende in erster Linie ein finanzielles Problem. Die vorwiegende Nutzung von Streamingdiensten und die damit einhergehenden geringen Absatzzahlen physischer Tonträger macht für viele Musiker*innen das Livegeschäft zur einzigen wirklichen Einnahmequelle. Die Kosten einer eigenen Headliner-Tour aber sind oft so hoch, dass sich die Touren kaum selbst finanzieren und nur in der Mischkalkulation mit Festivalauftritten können viele Musiker*innen leben, üben, ihre Musik schreiben und produzieren. Der erschwerte Zugang zu Festivalbühnen stellt für nicht männliche Musiker*innen also sowohl ein inhaltliches als auch ein wirtschaftliches Problem dar. 

Mögliche Hintergründe mangelnder Vielfältigkeit im Musikgeschäft

Fragt man auf Entscheider*innenebene nach, also bei Radioredakteur*innen, Festival-Veranstalter*innen, oder in (überwiegend männlich besetzten) Jurys für die Musikpreisvergabe, werden diverse Gründe genannt. Frauen seien angeblich oft „nicht so gut“, es gäbe ohnehin nicht viele Frauen, die Musik machten oder das Publikum wolle lieber Männer als Frauen sehen, das zeige sich anhand des Kartenverkaufs.

Tatsächlich haben Frauen aufgrund ihres Seltenheitswertes, aber auch wegen inhaltlicher Gründe eine Sonderstellung inne. Nicht selten offenbart sich ein männlicher Blick auf weibliche und nicht-binäre Kolleg*innen. So bezeichnet man Bands, deren Mitglieder zu größeren Teilen weiblich sind, oft als „Frauenbands“. Inhaltlich unterstellt man Künstlerinnen, dass sich ihre Lieder um typische Frauenthemen wie Partnerschaft, ihre Rolle als Frau, ihr Aussehen oder die Anforderungen der Gesellschaft an sie als Frau drehen. In vielen Sparten des Unterhaltungsbetriebs drängt sich der Gedanke auf, dass Frauen, die diesem Klischee entsprechen, öfter gebucht werden. So bestehen zum Beispiel die Inhalte weiblicher Comedians aus typisch „weiblichen Themen“. Das könnte daran liegen, dass Entscheider*innen, die Künstler*innen für Festivals buchen, Künstlerinnen bevorzugen, die ihrem Bild von „weiblicher Kunst“, „weiblichen Themen“ oder auch der Vorstellung von dem, was „weibliches Publikum“ interessiert und bevorzugt, entsprechen. Durch die größtenteils männlich besetzten Entscheidungspositionen definiert also der männliche Blick auf andere Geschlechter, was gut und sehenswert ist.

Das Argument, es gebe keine guten, interessanten Frauen im Rock und Popbusiness lässt sich vergleichsweise schnell widerlegen, indem man sich das Angebot der unterschiedlichen Streamingplattformen ansieht. Dort findet man eine unglaubliche Fülle an Musik, deren Urheber*innen und Interpret*innen von allerlei Geschlechtern vertreten sind. Das Problem liegt also zum einen eher in der Förderung und Sichtbarmachung vorhandener Talente. Zum anderen stellt sich ohnehin die Frage, was „gut“ im Sinne der Popmusik eigentlich bedeutet soll. In erster Linie entspricht „gute Musik“ oft dem eigenen Geschmack und der ist bekanntlich durch individuelle Erfahrungen, Ähnlichkeiten zur eigenen Person und Identifikationspotential des Künstlers geprägt. Umso wichtiger ist es für die Gatekeeper in der Musikwirtschaft, sich vorhandene blinde Flecke bewusst zu machen, um den eigenen Geschmack nicht als Objektivität zu labeln und dadurch Andersartigkeit und fremde Perspektiven, Grundvoraussetzungen des Pop und der Kunst allgemein, zu verhindern.

Die Konsument*innensicht ist eine andere: einer Studie der Malisa Stiftung in Kooperation mit der Initiative „Keychange“ zufolge bescheinigt die Altersgruppe der 16 bis 29-jährigen Musikhörer*innen dem Thema Geschlechtervielfalt eine hohe Relevanz. Jede*r Zweite wünscht sich eine verstärkte öffentliche Auseinandersetzung, viele sind bereit, für mehr Diversität auch ihr Konsumverhalten zu verändern oder anzupassen. Allerdings sehen 43 % der Befragten die Verantwortung für geschlechtliche Ausgewogenheit in der Mehrheit bei den Veranstalter*innen, Streamingdiensten und Radioprogrammen (Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche, 2021).

Ein häufig genannter Grund für die Dominanz männlicher Künstler auf Großveranstaltungen und Festivalbühnen wie „Rock am Ring“ ist die Behauptung, „Frauen verkauften keine Tickets“, der Auftritt nicht-männlicher Künstler*innen stelle also nur aufgrund ihren Geschlechtes für Festivalbesucher keinen Kaufanreiz für ein Ticket dar. Eine Behauptung, die sich schwer überprüfen lässt, da aufgrund mangelnder Repräsentanz viele Themen und Formen der Kunst nicht in ausreichender Bandbreite dargeboten werden. Gibt es z.B nur wenige weibliche Rapperinnen, ist die Frage, ob ich Rap mag, der von Frauen gemacht wird, in viel höherem Maße von einzelnen sichtbaren Künstlerinnen abhängig, als wenn es eine Vielzahl an weiblichen Musiker*innen eines Genres gibt, und ich mir unabhängig vom Geschlecht ein geschmackliches Urteil bilden kann.

Auch stellt sich die Frage nach der Zielgruppe von Konzerten und Festivals. Werden Festivals hauptsächlich mit Bands und Künstlern, die eine stereotype Maskulinität erzählen, besetzt, ist womöglich dadurch die Attraktivität für nicht männliche Festivalbesucher geringer und das System reproduziert sich selbst. „Harter Rock“ auf der Bühne, „harte Männer“ im Publikum, Festivalveranstalter, die auf dieses Publikum eingehen, und so weiter. Das rein weiblich besetzte DCKS-Festival von Carolin Kebekus 2022 in Köln erhielt viel mediale Aufmerksamkeit und war außerdem sowohl ausschließlich mit female artists besetzt als auch sehr gut besucht. Beide Argumente, fehlende weibliche Acts sowie die Annahme, weibliche Künstler zögen kein Publikum, sind somit zumindest fragwürdig.

Ein System reproduziert sich selbst

Viele Personen, die als Quereinsteiger in der Musikbranche tätig sind, haben meiner Erfahrung nach vormals als Musiker*innen gearbeitet. Häufig fördern sie in ihrer zweiten Karriere Bands und Solokünstler*innen nach persönlicher Präferenz und nach Kredibilität, also Glaubwürdigkeit und Authentizität. Diese sind subjektiv und nicht messbar. Es bleibt der Verdacht, dass auch hier die Ähnlichkeit ausschlaggebendes Kriterium dafür ist, dass eine Person gefördert wird, die andere nicht. So werden im Rock und Pop Aggressivität und Aktivität, typisch männliche Zuschreibungen, als authentischer eingeschätzt als Introvertiertheit oder Weichheit, Eigenschaften, die gesellschaftlich eher Frauen zugeschrieben werden. Kunst aber beschäftigt sich mit allen Facetten menschlichen Seins. In der neuen Züricher Zeitung schreibt Sarah Pines: „Weibliche Kunst wird vor allem als Kunst anerkannt, wenn sie explizit feministisch ist. Der Rest interessiert nicht wirklich. Unser Verhältnis zu Frauen in der Kunst ist ebenso von Unnatürlichkeit geprägt wie von Ausblendung.“ (Pines, 2022). Künstler*innen, die ihre geschlechtliche Identität zum Thema ihres musikalischen Ausdrucks machen, werden derzeit in besonderer Weise gehört. Das ist eine begrüßenswerte Entwicklung, die sich unbedingt weiterentwickeln muss zu einer nicht männlichen Perspektive der Vielfältigkeit menschlichen Erlebens. Immer noch wird auch in der Musik die männliche Sichtweise als „Default“ (Voreinstellung) akzeptiert und von allen Geschlechtern angenommen. Frauen können sich mit männlichen Künstlern besser identifizieren als männliche Zuhörer sich mit Frauen identifizieren. Das lässt darauf schließen, dass die weibliche Perspektive immer noch eine zweitrangige ist, die zwar beachtet, verstanden und respektiert werden kann, sich aber nicht zur Identifikation eignet, keine Vorbildfunktion erfüllt und maximal Begehren, aber kaum Gefolgschaft und Fantum auslösen kann.

Das Problem mangelnder Vielfalt in Kunst und Kultur ist längst ein Trendthema, dem sich Magazine und der Musikjournalismus, Mainstreammedien und Kulturformate verstärkt zuwenden. Sie berichten über das Problem mangelnder Diversität, die Hintergründe und mögliche Faktoren der Entstehung sowie Stellschrauben für Veränderung. Doch auch hier fehlt immer wieder die nicht-männliche Perspektive, denn auch im Musikjournalismus ist das Geschlechterverhältnis traditionell alles andere als ausgewogen. Auffällig ist dabei gerade die Diskrepanz von Wunsch und Wirklichkeit in einer Branche, die für sich in Anspruch nimmt, Vordenker und Initiator gesellschaftlicher Veränderungen zu sein.

Problembewusstsein und Lösungswege

So unterschiedlich die verschiedenen, an der Vermarktung und Verbreitung von Musik beteiligten Organisationen sind, aus so unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten sie dabei Diversität. Während Privatradiostationen oder Plattenfirmen neue Käuferschichten suchen und neue Absatzmärkte erschließen möchten, haben institutionell geförderte Kultureinrichtungen eher die Verantwortung, die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden. Häufig sind auch hier Gremien zur Förderung von Kunst und Kultur überwiegend männlich besetzt, so dass aufgrund fehlender objektiver Parameter über die Förderung junger Talente anhand von Geschmacks- und Kritiker*innenurteilen entschieden wird.

Daher fordert der Dachverband der Musikfrauen* in Deutschland „Music Women*“ in seinem 20 Punkte umfassenden Forderungskatalog unter anderem die „Einführungen von intersektionalen Quotenregelungen“, die „Einführung verbindlicher Diversitätskriterien in Gremien, Findungskommissionen, Beiräten, Vorständen, Aufsichtsräten u.a. bei staatlicher Förderung“ sowie die „Einführung von Diversitäts Checklisten bei staatlich geförderten Projekten und Institutionen im Bereich Programm, Personal und Publikum“ (Music Women* Germany, 2022). Die 2015 gegründete Initiative Keychange fordert mehr Geschlechtergerechtigkeit bei Konferenzpanels, Orchestermusikern und Komponisten und will Produzentinnen und Technikerinnen fördern. Der Keychange-Pledge, einer Selbstverpflichtung zu 50 % geschlechtergerechten Quote auf deutschen Festivalbühnen, schlossen sich mehrere deutsche Festivals an. Seit 2020 fördert Keychange 37 Musiker*innen und 37 Akteur*innen aus der Musikindustrie über einen Zeitraum von 4 Jahren und wird dafür von der Europäischen Union mit 1,4 Millionen Euro unterstützt.

Schluss

Geht man der Frage nach, warum das Geschlechterverhältnis in der Musikwirtschaft, unter Musiker*innen, Komponist*innen und in allen mit Musik zusammenhängenden Branchen des Kunst- und Kulturbetriebe,s so unausgeglichen ist, kommt man zu keiner einfachen Lösung. In erster Linie kann man die Qualität und die Qualifikation von Popmusikern schlecht messen. Ein Qualitätsmerkmal populärer Musik ist die Einzigartigkeit und Emotionalität, die sich der objektiven Bewertung entziehen. Daraus folgt, dass die Mechanismen, nach denen eine Karriere im Musikbusiness, ob als Musiker*in oder als Produzent*in, als Sound Engineer*in oder als Fotograf*in, als Musikredakteur*in oder als Autor*in, sehr anfällig sind für Diskriminierung aller Art. Die einzige Möglichkeit, mehr Chancengleichheit zu gewährleisten, ist, die entscheidenden Positionen mit Angehörigen aller Geschlechter zu besetzen. Nur so kann man sicher sein, dass im Pop auch wirklich die Vielfalt aller Perspektiven und aller Gefühle repräsentiert und behandelt werden. Daher unterstütze ich die Forderungen von Music Women* nach einer festen Quote in allen relevanten Bereichen der Musikbranche.

Abschließend bliebe noch die Frage zu klären, was man gewönne, wenn man die Musikwirtschaft um die Perspektiven aller Geschlechter erweiterte. Nicht nur, dass der Pool an Kunst- und Kulturschaffenden sich nahezu verdoppeln würde, sondern es gäbe die Chance auf die Entwicklung einer neuen Art von Musik. Wenn Musiker*innen mehr Unterstützung, Solidarität, Mentor*innenschaft und Schutz erfahren würden, würde das in hohem Maße ihre Musik beeinflussen und würde auf ihren kreativen Ausdruck wirken. Die Folge dessen könnte sein, dass wir ein Verständnis der menschlichen Gefühlswelt erfahren könnten wie noch nie zuvor, unabhängig von Geschlechtszuschreibungen und Stereotypen. 

In dieser Arbeit habe ich mich bewusst dagegen entschieden, der Frage nachzugehen, inwieweit diskriminierende Erfahrungen in Bezug auf das Geschlecht in Zusammenhang mit Sexismus und sexuellen Übergriffen stehen. Dies ist ein Thema, das unbedingt in weiteren Arbeiten reflektiert werden sollte.

 Literaturverzeichnis

Diversität in den deutschen Charts: Frauenquote erreicht 2021 Tiefstwert. (2022, 20. Dezember). Qobuz. Abgerufen am 1. Februar 2023, von https://www.qobuz.com/de-de/info/News/Diversitat-in-den-deutschen-Charts185703

Gender in Music – Charts, Werke und Festivalbühnen. (2022, 19. September). malisa Stiftung. Abgerufen am 1. Februar 2023, von https://malisastiftung.org/gender-in-music/

Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche. (2021, 17. Dezember). malisa Stiftung. Abgerufen am 2. Februar 2023, von https://malisastiftung.org/studien-und-recherchen-zu-geschlechtergerechtigkeit/

Liere, J. (2022, 4. Juni). Mitleid mit Musikmännern. www.zeit.de. Abgerufen am 4. Februar 2023, von https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fkultur%2F2022-06%2Frock-am-ring-festival-maenner-bands-frauenanteil%3Fpage%3D4

Music Women* Germany. (2022, 4. Mai). MW*G Tagung schließt mit Forderungskatalog “Gender Equality Now!” für Politik und Branche. Abgerufen am 4. Februar 2023, von https://www.musicwomengermany.de/news/346-test

Pines, S. (2022, 16. Juli). Kunst von Frauen: Nur feministische Kunst ist gute Kunst. Neue Zürcher Zeitung. Abgerufen am 4. Februar 2023, von https://www.nzz.ch/feuilleton/kunst-von-frauen-nur-feministische-kunst-ist-gute-kunst-ld.1692076?reduced=true

Röben, B. (2022, 28. April). ProQuote im Rundfunk: „Bewusstsein ist da!“ M – Menschen Machen Medien (ver.di). Abgerufen am 3. Februar 2023, von https://mmm.verdi.de/beruf/proquote-im-rundfunk-bewusstsein-ist-da-81093


Quelle: Eva Briegel, Geschlechtervielfalt in Musikwirtschaft und Livebranche, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 16.05.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=35

Who matters? (Fehlende) Diversität in der deutschen Klimabewegung

Kim Winter (WiSe 2022/23)

Wie ich zum Klimaschutz gekommen bin? Na, in der Grundschule habe ich schon bei Umweltschutzaktionen in der bayrischen Kleinstadt mitgewirkt, in der ich aufgewachsen bin. Meine Mutter hat mich begleitet als ich mit 8 Jahren unbedingt zu Greenpeace wollte – auch wenn die mir nur eine Broschüre in die Hand gedrückt haben. Als ich in der Schule war, gab es Fridays for Future nicht, aber ich bin mir sicher ich hätte an den Demos teilgenommen, denn meine Noten ließen es zu, mal einen Tag zu fehlen und die Lehrer*innen meinten es meistens gut mit mir. Wie ich aufgewachsen bin? Na, in einem Reihenhaus mit meiner Mutter, (meinem Vater), meiner Schwester und einer Katze. Klar, war ich auf dem Gymnasium. Absolute deutsche, weiße Mittelschicht. In den späten 2010er Jahren entsprach ich dem absoluten Cliché: Ich esse vegetarisch und kleide mich hippie-esk. Grade mit dem Abi fertig, möchte ich durch die Welt reisen, am liebsten nach Indien oder Südafrika und mich dort sozial engagieren. Rassistisch? Bin ich nicht – ich bin doch kein Nazi!

Vielleicht ist schon klar, worauf ich hinauswill. Nämlich, dass mir der Zugang zu politischer Bildung und klimaschützendem Engagement nicht schwer gemacht wurde. Dennoch wurde in meiner Sozialisation so vieles ausgeblendet. Über (Neo-)Kolonialismus wusste ich nichts, außer dass es mal so eine Konferenz gab auf der ein paar alte, weiße Männer aus Europa den ganzen Kontinent Afrika wie einen Kuchen unter sich aufteilten (habe ich in einer Karikatur gesehen). Die kolonialen Kontinuitäten, die anhaltende Ungerechtigkeit, die katastrophalen Auswirkungen des ausbeuterischen Systems Kapitalismus im Globalen Süden wurden nicht erwähnt. Damals hätte man außerdem noch guten Gewissens „Dritte-Welt Länder“ gesagt. Auch das Thema (Anti-)Rassismus wurde nur unzureichend behandelt. Rassismus wurde mit Neo-Nazis gleichgesetzt. Genauso wenig wurde in der Schule oder dem dominierenden öffentlichen Diskurs über die Widerstandsbewegungen marginalisierter Menschen aus dem globalen Süden und/oder BIPoC-Aktivist*innen gesprochen. Dass diese langjährigen, mutigen Bewegungen auch etwas mit meinem persönlichen Herzensthema Umweltschutz zu tun haben könnten, kam mir dabei nie in den Sinn.

Dabei basiert die heutige Klima(gerechtigkeits)bewegung auf der Arbeit so vieler Schwarzer Menschen und Menschen of Color, deren Engagement und Einsatz von der (deutschen,) weißen Dominanzgesellschaft aktiv ausgeblendet und unsichtbar gemacht wird. Wie drastisch diese Tatsache ersichtlich wird, möchte ich im späteren Verlauf an einem Beispiel aufzeigen. Während Menschen des Globalen Norden historisch gesehen für den größten Anteil des menschengemachten Klimawandels verantwortlich sind und von der Ausbeutung des Globalen Südens und der Zerstörung von Ökosystemen enorm wirtschaftlich profitiert haben, sind es Länder und Menschen des Globalen Südens, die am stärksten unter den Folgen der Klimakrise leiden (Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.9). Sehr anschaulich ist diese ungerechte Verteilung von Ressourcen und historischer Verantwortung an der Klimakrise in der Carbon Map dargestellt, die alle Länder der Erde nach Background (Hintergrund), Responsibility (Verantwortung) und Vulnerability (Verwundbarkeit) aufteilt und dabei die Länder je nach Anteil flächenmäßig vergrößert oder verkleinert (Kiln, Carbon Map).

Abb.1: Fläche der Länder nach historischer Verantwortung an freigesetztem CO2 von 1850 bis 2011.

Abb. 2: Fläche der Länder nach Armutsrisiko.

Im Folgenden werde ich die deutsche Klimabewegung anhand verschiedener Diskriminierungsebenen genauer betrachten. Eingehen werde ich hierbei auf die Merkmale Klasse/soziale Herkunft, Gender und race/ethnicity. Auch weitere Diversitätsdimensionen wie Ability spielen eine Rolle für die Diversität in der deutschen Klimabewegung sowie für das Ausmaß der Betroffenheit von Klimafolgen. Leider bietet dieses Essay nicht den Rahmen, auf alle Dimensionen einzugehen, weswegen ich nur die zuvor genannten hier beleuchten werde. Abschließend erörtere ich verschiedene Lösungsvorschläge und Verbesserungsmöglichkeiten, wie die deutsche Klimabewegung inklusiver und gerechter werden könnte.

Zum Begriff Klimagerechtigkeit und Rassismus in der deutschen Klimabewegung

„Rassismus und die Klimakrise haben dieselben Wurzeln. Wir können keines dieser Probleme ignorieren, wenn wir das andere bekämpfen wollen. Eine rassistische Klimabewegung kann niemals eine gerechte Zukunft schaffen.“ (Nowshin, 2020)

Die Klimakrise ist keine Gefahr, die in ferner Zukunft liegt. Für viele Menschen sind die Auswirkungen der Erderhitzung schon seit Jahrzehnten deutlich spürbar. Extremwetterereignisse, Naturkatastrophen, Dürreperioden und der Anstieg des Meeresspiegels nehmen Menschen im Globalen Süden nach und nach die Existenzgrundlagen. Diese Folgen werden für die deutsche Dominanzgesellschaft aber erst relevant, wenn sie hier vor Ort spürbar werden, wie die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 gezeigt hat. Über dieses Ereignis berichten deutsche Medien immer noch vereinzelt. Die wesentlich verheerendere, monatelang anhaltende Flutkatastrophe in Pakistan im darauffolgenden Jahr, in der Millionen Menschen ihr Zuhause verloren (bpb, 2022), war den deutschen Medien hingegen nur ein paar Tage der Berichterstattung wert.

Klimagerechtigkeit ist also ein Ansatz, in dem Verantwortung an der Klimakrise und deren Folgen sowie die von dieser Betroffenen mitgedacht werden und globale Gerechtigkeit eine wichtige Rolle spielt. Die Anfänge der Klimagerechtigkeitsbewegung, damals Umweltgerechtigkeitsbewegung, sind vermutlich in den 1980er Jahren der USA zu finden als die mehrheitlich Schwarze Bevölkerung in Warren County, North Carolina, anfing sich zu organisieren, nachdem die Regierung beschlossen hatte, Giftmüll in der Region zu deponieren. Die Bewohner*innen veranstalteten Protestmärsche und übten zivilen Ungehorsam aus, wobei insgesamt über 500 Menschen festgenommen wurden. Die Protestierenden stellten sich nicht nur gegen Umweltverschmutzung, sondern gegen soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Hierarchien. Viele der nachfolgenden Umweltgerechtigkeitsbewegungen entstanden aus dem Engagement von BIPoC-Communities (Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.47f.).

Klimaschutz muss intersektional gedacht werden und umfasst mehr als den Schutz und Erhalt der Ökosysteme. Globale Machtdynamiken und bestehende strukturelle Ungerechtigkeiten müssen beachtet werden. Es reicht nicht aus, auf technische Innovation zu hoffen, um die Erderhitzung einzudämmen. Die Klimakrise ist eine globale Verteilungskrise, die nur aus einer sozialen Perspektive gelöst werden kann. Diversitätskomponenten wie Gender, soziale Herkunft/Klasse, race/Ethnicity, Nationalität sowie Ability spielen eine Rolle in der Klimakrise. Das Konzept Klimagerechtigkeit fordert demnach die gerechte Verteilung der Verantwortung an der Lösung der Klimakrise. Gesellschaftliche Aspekte müssen ebenso mitgedacht werden wie ökologische. Daher spreche ich auch nicht von Umwelt- oder Klimaschutz, sondern vorrangig von Klimagerechtigkeit. Bezugnehmend auf die deutsche Klimabewegung werde ich den Begriff Gerechtigkeit sparsamer miteinbinden, da es sich in einzelnen Organisationen nach Definition teilweise noch nicht um einen Kampf für Klimagerechtigkeit handelt.

Black, Indigenous und People of Color (BIPoC) sind in der deutschen Klimabewegung noch immer unterrepräsentiert und ihr Einsatz wird bewusst unsichtbar gemacht. So z. B. Anfang 2020, als Vanessa Nakate, eine Schwarze Klimaaktivistin aus Uganda, von einer Nachrichtenagentur aus einem Pressefoto vom Weltwirtschaftswirtschaftsforum in Davos mit vier weiteren, weißen Klimaaktivist*innen ausgeschnitten wurde (Weissenburger, 2020). Eine ähnliche Situation ereignete sich später im selben Jahr in Deutschland, als die Klimaaktivistin Tonny Nowshin an einer Protestaktion gegen ein Kohlekraftwerk, das in Bangladesch entstehen sollte, teilnahm. Auf den offiziellen Pressefotos wurden im Nachhinein nur weiße Klimaktivist*innen abgegbildet, Nowshin war als einzige Person of Color nicht abgebildet (Bechert, Dodo, Kartal, 2021S.42). Dies sind offensichtlich rassistische Handlungen, die so vermutlich nicht beabsichtigt waren, aber dennoch deutlich zeigen, wie rassistische Strukturen und internalisierter Rassismus die deutsche Gesellschaft prägen. Aktivist*innen of Color werden unsichtbar gemacht, werden nicht gehört oder gesehen und die Klimabewegung wird weiß gelesen. Weiße Aktivist*innen prägen den Diskurs und ihre Forderungen beziehen sich häufig auf den Globalen Norden. So werden Forderungen aus dem Globalen Süden weniger Aufmerksamkeit zuteil und die Menschen werden schlichtweg nicht beachtet (ebd., S.45f.) Nowshin schreibt selbst zu dem Vorfall und ihrer Position in der deutschen Klimabewegung: „Ich werde in der Klima-Szene geduldet, solange ich sie mir nicht so zu eigen mache wie die weißen Aktivist:innen. Als BIPoC – also Schwarze, Indigene und People of Color – sind wir nur willkommen, wenn wir die Vorzeige-Betroffenen spielen“ (Nowshin, 2020).

Klassismus in der deutschen Klimabewegung

Die taz titelte 2019 „Zu jung, zu weiß, zu akademisch“ und traf den Nagel auf den Kopf. Neben Rassismus ist eine weitere auffallende Komponente der Zusammensetzung von Klimabewegungen in Deutschland die Exklusivität der Bewegung, wie beispielsweise bei Fridays For Future. Am 15. März 2019 fand ein globaler Klimaprostest statt und Forscher*innen nutzten die Gelegenheit, um Teilnehmende in neun europäischen Ländern zu ihrer Person zu befragen. In Deutschland sprachen die Forscher*innen in Bremen und Berlin mit insgesamt 343 Menschen ab 14 Jahren und führten eine Onlineumfrage mit weiteren 339 Teilnehmenden durch. Das Ergebnis war, dass die meisten Personen Schüler*innen zwischen 14 und 19 Jahre alt waren, dicht gefolgt von Studierenden (20-25 Jahre). Außerdem stellten sie fest:

„Mehr als die Hälfte der Befragten wollten das Abitur oder die Fachhochschulreife machen, 30 Prozent hatten einen Uni-Abschluss oder studierten noch, nur knapp 5 Prozent der Aktivisten gaben einen Mittleren Schulabschluss an. 43 Prozent der Befragten fühlten sich der oberen Mittelschicht zugehörig, ein knappes Drittel der unteren, lediglich 4,5 Prozent zählten sich selbst zur Arbeiterschicht.“ (Langrock-Kögel, 2020)

Das zeigt: Die Klimaproteste decken nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen ab. Sie vertreten nicht „die Mitte der Bevölkerung“, sondern setzen sich tendenziell eher aus privilegierteren Schichten zusammen. Klima-Aktivismus und politisches Engagement sind ein Privileg, dass sich nicht alle leisten können. Die wenigsten jungen Menschen können es sich leisten, regelmäßig freitags in der Schule/Uni zu fehlen, denn von der Abschlussnote hängen zu häufig auch die Job- und Ausbildungsperspektiven ab. Außerdem setzt die klimasensible Bubble nicht selten einen bestimmten Lebensstil und Habitus voraus – wer Fleisch oder tierische Produkte isst, ein Flugzeug besteigt oder der akademischen Sprache mit all ihren Fachbegriffen nicht folgen kann, braucht gar nicht erst versuchen, Teil der Gruppe zu werden. So ist zumindest eine weit verbreitete Vorstellung von der Klima-Bubble, die auch Vorurteilen und falscher Repräsentation geschuldet ist, die ich in Teilen aber auch bestätigen kann. Hier greifen auch intersektionale Diskriminierungen: Beispielsweise machen nicht alle Personen, die ein Flugzeug besteigen, einen All-Inclusive-Urlaub auf Bali, sondern viele Menschen möchten ihre Familie in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten sehen. Doch das wird in der Debatte oft außeracht gelassen.

Dass die Klimabewegung immer noch eine zu kleine, exklusive Gruppe von meist weißen, privilegierten, jungen Menschen anspricht, ist unter anderem dem neoliberalen Narrativ des „ökologischen Fußabdrucks“ geschuldet. Natürlich kann und sollte jede*r Einzelne das eigene Konsumverhalten kritisch reflektieren, aber die Klimakrise ist nicht dadurch gelöst, dass wir alle Second Hand Kleidung tragen und Hafermilch kaufen. Es braucht eine Veränderung im Fokus von individuellem Konsumverhalten hin zu der Notwendigkeit einer politisch initiierten gesamtgesellschaftlichen Transformation und der Veränderung unseres Wirtschaftssystems.  Diese Veränderung lässt sich langsam aufgrund von politischer Aufklärungsarbeit von vorrangig BIPoC in Form von Podcasts, Videos, Büchern und Artikeln zu dem Thema, finden (so z. B. im Online-Talkformat Karakaya Talk, dem Podcast Kanackische Welle oder bei BBQ – Der Black Brown Queere Podcast #29). Diese rütteln an den bestehenden eurozentristischen Strukturen und Normen, kritisieren vorherrschende Machtdynamiken und bieten Lösungsvorschläge an, auf die ich später auch noch eingehen möchte.

„In unserer Gesellschaft sei ziviles politisches Engagement ein Privileg, das man sich leisten können müsse. ‚Viele haben erst einmal ganz andere Probleme: Armut, Care-Arbeit oder auch Rassismus und andere Formen von Diskriminierung.‘“ (Langrock-Kögel, 2020, Cordula Weimann zitierend)

Gender in der deutschen Klimabewegung

Die angesprochene Problematik des Privilegs der Klimabewegung manifestiert sich auch in der Diversitätsdimension Gender. Wie im obigen Zitat erwähnt, spielen neben Klasse und race auch Dinge wie Care-Arbeit eine Rolle beim Grad der Betroffenheit von der Klimakrise und dem Kampf für Klimagerechtigkeit. Care-Arbeit bezeichnet in diesem Kontext jegliche unbezahlte Sorgearbeit. Darunter fallen z. B. Kinderbetreuung und Haushaltsaufgaben. Diese Arbeit wird überwiegend von FLINTA* (Female, Lesbian, Inter, Non-Binary, Trans und Agender Personen*) übernommen. Somit haben FLINTA* weniger Zugang zu Macht- und Entscheidungspositionen und erhalten weniger Einkommen als cis-männliche Personen. In der Folge sind sie in Bezug auf Klimafolgen verletzlicher (für eine ausführlichere Erklärung siehe Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.10-12). Auch hier greifen verschiedene Diskriminierungsebenen ineinander: Queere oder trans* BIPoC machen sich angreifbarer, wenn sie sich klimapolitisch engagieren und setzen sich einer anderen Gefahr aus als weiße, cis-Männer, die sich in der Öffentlichkeit politisch äußern. Die deutsche Klimabewegung ist ungewöhnlich stark von FLINTA* dominiert. Das ist eine positive Beobachtung, dennoch muss man sich fragen, woran das liegt. Wie zuvor kurz ausgeführt, sind FLINTA* von den Folgen der Klimakrise stärker betroffen und handeln somit aus einer Position der Unterdrückung heraus, aus der sie sich durch politisches Engagement selbst ermächtigen können.

„Du merkst: Es ist insbesondere für Menschen, die direkt von den Klimafolgen betroffen sind, nicht möglich, Klimakrise und Umweltzerstörung von sozialer Ungleichheit und global wirksamen Macht- und Unterdrückungsstrukturen zu trennen.“ (Bechert, Dodo, Kartal, 2021, S.10-12)

Lösungsansätze für eine diversere Klimabewegung

Durch die herausgearbeiteten Diversitätsdimensionen wird ersichtlich: Die Klimabewegung weist deutlichen Bedarf an Anpassungen und Verbesserungen auf. Hierfür haben Klima-Aktivisti schon einige Vorschläge gemacht. So argumentiert Tonny Nowshinb, dass es für mehr Diversität in der Klimabewegung die Notwendigkeit gibt, dieses Problem zunächst anzuerkennen: „Weltweit gibt es Diversität in der Klimabewegung, sie wird von Medien jedoch unsichtbar gemacht […] Die Klimaproteste in Bangladesch gibt es seit 2011. Seit 2016 sind sie richtig groß. Wenige in Deutschland wissen das.“ (Nowshin, zitiert nach Opitz, 2019) Denn nur wer die globalen Kämpfe für Klimagerechtigkeit kennt, kann sich damit solidarisieren. Um erfolgreich zu sein, muss der Kampf für Klimagerechtigkeit aus vielen verschiedenen Perspektiven solidarisch angegangen werden.

Doch auch hier bleibt die Frage: Wer wird gehört und gesehen? Aufgrund der ungerechten Machtgefälle ist es wichtig, dass von weißen Personen dominierte Klimabewegungen nicht-weißen Menschen zuhören und diesen den Rücken stärken. Hier ist aber auch der Kontext wichtig. Wie zuvor beschrieben, sind BIPoC-Aktivist*innen durch ein rassistisches System höheren Gefahren ausgesetzt als weiße Aktivist*innen und erfahren stärkere Repression. Aktivist*in Winta P. von „BIPoC for Future“ erklärt in Bezug darauf: „Es macht etwa keinen Sinn, BIPoC als Kontaktpersonen zur Polizei zu benennen.“ (Malkiowski, 2022) Es braucht also einen sensiblen Umgang mit marginalisierten Personengruppen sowie anti-rassistische Praktiken. Dazu gehören auch Critical-Whiteness- oder Diversity-Trainings, die in sozialen Bewegungen standardisiert werden sollten. Außerdem, so Winta weiter, braucht es mehr BIPoC- und MAPA-Aktivist*innen (Most Affected People and Areas) in leitenden Positionen, um die Sichtbarkeit zu erhöhen (ebd.).

In Bezug auf Klassismus in der Klimabewegung braucht es ein niedrigschwelliges Angebot für junge Menschen, welches deren eigene Lebenswelt widerspiegelt. Bekannte Personen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, z. B. Sportler*innen, Rapper*innen oder Influencer*innen, können eine Vorbildfunktion erfüllen und Jugendlichen zeigen, dass Klimagerechtigkeit ein Thema ist, das für alle relevant ist und nicht nur einer bestimmten Bubble von privilegierten Personen zugänglich ist (Langrock-Kögel, 2020). Außerdem ist es wichtig, dass die Klimabewegung mit Gewerkschaften und Arbeiter*innen zusammenarbeitet. Wenn Aktivist*innen beispielsweise Straßen blockieren und Menschen daran gehindert werden, ihrer notwendigen Lohnarbeit nachzukommen, von der ihre Existenz abhängt, kann das problematisch sein und abschrecken. Wichtiger wäre es, diese Menschen auf eine gemeinsame Seite zu bringen und zu verdeutlichen, dass die Industrie und große Konzerne den Großteil der Treibhausgas-Emissionen verursachen. Insgesamt müssen für eine diversere Beteiligung am Kampf für Klimagerechtigkeit Selbstwirksamkeitserfahrungen gestärkt werden, sodass Menschen sich ermächtigen können, sich unterstützt und sicher fühlen, egal welchen Hintergrund sie haben. Für deutsche Non-Profit-Organisationen, die an der Schnittstelle von Klimaschutz und Gerechtigkeit arbeiten, gilt: Sie müssen auch die Personen beschäftigen, die sie als Zielgruppen benennen, um betroffenen Gruppen Raum und Gestaltungsmöglichkeiten zu lassen, sowie die vorhandene Expertise nutzen zu können (Cardoso, Groneweg, 2021). Beispielsweise müssen Stellenausschreibungen auch in den passenden Netzwerken gestreut werden und „ausdrücklich die Bewerbung von Menschen fördern, die sich mit marginalisierten Gruppen identifizieren, wie Migrant:innen, BIPoC, Queers und Menschen mit Behinderungen.“ (ebd.)

Gerne würde ich auf die einzelnen Ebenen genauer eingehen und weitere Diversitätsdimensionen miteinbeziehen, die hier leider keinen Platz gefunden haben. Jedoch hoffe ich, dass dieses Essay einen kurzen Überblick über die Vielschichtigkeit der Klimagerechtigkeitsbewegung gibt und einen Anstoß für weitere Überlegungen in diesem Feld bieten kann.

Literatur

Bechert, L./ Dodo, Kartal, S. (Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., 2021). Kolonialismus und Klimakrise. Über 500 Jahre Widerstand. https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Kolonialismus_und_Klimakrise-ueber_500_Jahre_Widerstand.pdf

Bundeszentrale für politische Bildung (20.10.2022). Flutkatastrophe in Pakistan. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/514557/flutkatastrophe-in-pakistan/

Groneweg, M./Cardoso, I. (Klimareporter, 13.09.2021) Wie Klima-NGOs inklusiv werden können: Diversität kommt nicht von allein. https://www.klimareporter.de/protest/diversitaet-kommt-nicht-von-allein

Langrock-Kögel, C. (11.02.2020) Nicht wirklich bunt. Wie elitär sind die Klimaproteste? https://goodimpact.eu/recherche/fokusthema/wie-elitar-sind-die-klimaproteste

Malkiowski, J. (taz, 23.09.2022) Kli­ma­ak­ti­vis­t*in über Diversität. „Fridays for Future ist weiß“ https://taz.de/Klimaaktivistin-ueber-Diversitaet/!5879828/

Nowshin, T. (klimareporter, 17.06.2020) Die Klimabewegung hat ein Rassismus-Problem. https://www.klimareporter.de/protest/die-klimabewegung-hat-ein-rassismusproblem

Opitz, N. (taz, 13.12.2019) Diversität beim Klimaprotest. Zu jung, zu weiß, zu akademisch. https://taz.de/Diversitaet-beim-Klimaprotest/!5645995/

Weissenburger, P. (taz, 27.10.2020). Vanessa Nakate und das Foto der AP. Davos, eurozentriert. https://taz.de/Vanessa-Nakate-und-das-Foto-der-AP/!5656696/

Abbildungsverzeichnis

Kiln Enterprises Ltd. The Carbon Map. https://www.carbonmap.org/


Quelle: Kim Winters, Who matters? (Fehlende) Diversität in der deutschen Klimabewegung, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 16.05.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=347