14. April 2020 von Matthias Hüning
Wenn wir über ‘falsche Freunde’ sprechen, dann geht es meist um Wörter wie ndl. bellen. “Lass uns morgen kurz bellen.” Haha – nur bedingt lustig. Keine Niederländerin macht diesen Fehler, wenn sie Deutsch spricht – die Bedeutungen liegen soweit auseinander, dass der falsche Freund eigentlich nie zum Problem wird. Es gibt aber viel subtilere und (darum) interessantere Beispiele für falsche Freunde. Eines dieser Beispiele hat in den Niederlanden gerade Hochkonjunktur: das Verb handhaven und die dazugehörigen Nomina handhaving und handhaver.
Wir erkennen im Verb unschwer die Parallele zum deutschen handhaben und denken beim Substantiv beispielsweise an die einfache Handhabung einer Maschine, wo man die Handhabung auch durch Bedienung ersetzen könnte. Der Handhaber kommt in solchen Kontexten allerdings praktisch nicht vor. Diese Verwendungsweisen kennt das niederländische handhaven nicht. Ein Satz wie Die Software war schwierig zu handhaben lässt sich nicht mit handhaven übersetzen, das würde man eher so ungefähr ausdrücken: De software was moeilijk te bedienen.
Man kann aber nicht nur Maschinen handhaben, sondern auch z.B. Vorschriften und Regelungen. Sympathisch sind meist die Leute, die eine Vorschrift locker und mit Augenmaß handhaben, also ‘anwenden’. In dieser zweiten Bedeutung des Verbs finden wir die Verbindung zum niederländischen handhaven.
De wet handhaven heißt das Gesetz anzuwenden und (dadurch) auch zu wahren. Dieser Aspekt des ‘Wahrens’ findet sich auch in Verbindungen wie zij handhaafde haar bezwaren ‘sie hielt an ihren Bedenken fest; sie beharrte auf ihren Bedenken’. Und damit sind wir dann bei der Bedeutung angekommen, die im Niederländischen in Corona-Zeiten jetzt gerade so häufig verwendet wird.
Auch in den Niederlanden sind nämlich diverse Verordnungen und Maßnahmen beschlossen worden, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen. Auch in den Niederlanden sind 1,5 Meter Abstand zu den Mitmenschen nun vorgeschrieben. Die Einhaltung solcher Maßnahmen muss überprüft und durchgesetzt werden, und genau hier kommt der handhaver ins Spiel:
“Handhavers houden de routes in de gaten en delen boetes uit”, heißt es in einem Artikel auf NOS.nl über die Sperrung von Straßen und Wegen in die niederländischen Tulpenfelder, wo sich zu Ostern (zu) viele Menschen eingefunden hatten, um schöne bunte Selfies und Blumenfotos zu machen.
Am Strand dagegen haben sich die Leute zu Ostern anscheinend weitgehend an die Abstandsregelungen gehalten. “In de gemeente Den Helder constateerden handhavers in de duinen en op de stranden zelfs geen enkele overtreding” (meldet ebenfalls NOS.nl).
Das Wort ist in dieser Bedeutung anscheinend relativ neu. Der ‘Dikke Van Dale’ hat das Lemma handhaver erst im April 2019 aufgenommen (mit der Bedeutung “functionaris die toeziet op het naleven van de wet”). Laut Wikipedia ersetzt das Wort neuerdings den Begriff stadswacht, eine Funktion die in den Niederlanden in den 1980er Jahren geschaffen wurde und die ähnliche Aufgaben hat wie in Deutschland das Ordnungsamt. Es geht beispielsweise um den Kampf gegen das Falschparken oder um die Überwachung von Parks und Grünflächen. Es geht also um ‘Ordnungskräfte’. (Wir haben das Wort wiederholt als ‘Ordnungshüter’ übersetzt, was aber eigentlich nicht ganz richtig ist, da darunter ja vor allem PolizistInnen verstanden werden.)
Hoffen wir mal, dass die handhaving van de corona-maatregelen, also die Kontrolle und das Durchsetzen der Corona-Maßnahmen, nicht mehr allzu lange nötig sein wird, so dass die handhavers sich nicht mehr um Abstandsregeln kümmern müssen, sondern sich wieder auf Falschparker konzentrieren können. Ministerpräsident Rutte hat allerdings in der vergangenen Woche schon darauf hingewiesen, dass es noch dauern kann, bis wieder Normalität einkehrt. Rutte wörtlich: “We zullen met elkaar moeten zoeken naar het nieuwe normaal in de anderhalvemetersamenleving”. Wir werden gemeinsam nach dem neuen Normal in der ‘Anderthalbmetergesellschaft’ suchen müssen.