26. Januar 2015 von Philipp Krämer
Belgiens Premierminister Charles Michel hat CNN geholt, schrieb De Morgen. Natürlich hat er nicht dafür gesorgt, dass der Fernsehsender seine Redaktion nach Brüssel verlegt, um VRT, RTBF und BRF mal zu zeigen, wie es richtig geht. Gemeint war mit der Schlagzeile Michel haalt CNN, dass er es in die Nachrichten von CNN geschafft hat. Man könnte auch sagen: Michel heeft het tot in het nieuws van CNN geschopt.
Die Formulierung Michel haalt CNN ist erstaunlich, weil sie vieles impliziert: Es ist ein spektakulärer Vorgang, dass der Premierminister eines mittelgroßen EU-Landes in einem großen Nachrichtenkanal der USA interviewt wird. Und wenn dies geschieht, dann ist es eine Meldung in der nationalen Presse wert. Es wird gefeiert wie ein Erfolg: Hij haalt het – er hat es geschafft. So als habe er eine besonders große Leistung geliefert (nl. een prestatie leveren), weil in der Nachrichtensendung nicht etwa Mark Rutte oder Werner Faymann um seine Meinung gebeten wurde, sondern eben Charles Michel. Dabei war es natürlich überhaupt nicht Michels unmittelbarer Erfolg, die ihm das Interview einbrachte, sondern die Ereignisse rund um den verhinderten Terroranschlag der Gruppe aus Verviers.
Het halen oder iets halen ist ein Ausdruck, mit dem insgesamt Erfolg umschrieben werden kann. Hij haalt het kann zum Beispiel bedeuten, dass jemand eine schwere Krankheit überwindet, oder dass er große Strapazen durchsteht. Interessant ist dabei, was man alles halen kann. Beispielsweise kann man bei einem Rennen das Ziel erreichen, also de finish halen. Semantisch gesehen ist das faszinierend, denn man geht nicht etwa zum Ziel hin und bringt etwas zurück, wie man es beim Verb halen / holen üblicherweise tut. Sondern man muss sich selbst unter großen Mühen zu genau jenem Ziel hinbringen, wenn nicht gar schleppen. Vor allem aber ist es etwas anderes, als einfach nur am Ziel aankomen. Denn het halen sagt gleichzeitig aus, dass man nicht unterwegs zusammengebrochen ist oder aufgegeben hat. Es signalisiert also nicht nur Bewegung auf einen Punkt hin, sondern gleichzeitig auch die Art und Weise, wie der Weg zurückgelegt wurde. Es mag paradox klingen, aber man kann sogar mit Leichtigkeit etwas halen: De Chevrolet Stingray haalt met gemak de 300 km per uur. Auch hier schwingt mit: Für andere Autos ist das gar nicht so leicht, das ist eine außerordentliche Kraftleistung.
Haben das Ziel gehaald: Janssen, Merckx und Saez Ramon bei der Rad-WM 1967 in Heerlen. (Foto: Nationaal Archief, CC-SA-3.0)
Auf Deutsch ist holen in ähnlichem Sinn weitgehend auf den sportlichen Bereich beschränkt. Eine Fußballmannschaft kann zum Beispiel den Pokal holen, letztes Jahr holten die Bayern gar das Double: DFB-Pokal und Deutsche Meisterschaft. Nico Rosberg hatte 2013 die Nase vorn und holte mit Leichtigkeit den Grand Prix von Monaco.
In der Politik passt holen im Deutschen nur dann, wenn es wirklich um einen Wettstreit geht, zum Beispiel: Ein Parteiloser holt ein Direktmandat für den Brandenburgischen Landtag. Aber Merkel holt CNN? Wohl kaum. Und zwar nicht nur, weil sie auf der Weltbühne wahrscheinlich präsenter ist als Michel und es für sie als weniger schwierig gilt, von dem großen internationalen Kanal zum Interview eingeladen zu werden. Sondern weil dasjenige, was geholt wird, im Deutschen immer ein gegenständliches oder metaphorisch-abstraktes Objekt sein muss: Der Pokal, der Große Preis, der Sieg, der Parlamentssitz. Frankreich holt das Budgetziel könnte wohl eine interessante Castingshow von Endemol sein, aber nicht unbedingt eine seriöse Schlagzeile zur Haushaltspolitik. Auf Niederländisch kann einfach jedes Ziel gehaald werden. Wer jetzt nicht glaubt, dass das Niederländische eine zutiefst optimistische Sprache ist, den soll der Teufel holen.