Die soziale Konstruktion von Krankheit

Hysterie als Beispiel für die Reproduktion von Stereotypen in der Medizin

Julika Likus (WiSe 2023/24)

Einleitung 

Gesundheit und Krankheit spielen sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene eine große Rolle im alltäglichen Leben. Im Diskurs über Gesundheit und Krankheit überschneiden sich medizinische, biologische und soziale, aber auch politische und historische Ansätze, obwohl häufig zunächst die medizinischen[1] Aspekte im Vordergrund stehen, diskutiert und als heilungsbedürftig empfunden werden. Dabei werden ebenfalls häufiger körperliche Abweichungen einer Norm stärker mit der Sphäre von Krankheit und Gesundheit verknüpft als geistige Beeinträchtigungen, die von physischen Konditionen oft als abgrenzbar dargestellt werden. Eine erweiterte Betrachtung des Feldes Krankheit und Gesundheit betrachtet Krankheit jedoch nicht als „rein-medizinischen“ Zustand, sondern als soziales Ereignis (Dross/Metzger 2018). Einerseits ist die Medizin in Bezug auf Beurteilung, Diagnose und Behandlung von Krankheit und Gesundheit von gesellschaftlichen Normen geprägt, die sich stetig wandeln, und andererseits folgt auf eine medizinische Diagnose von Krankheit und Gesundheit eine soziale Wirkung/Reaktion, die die Teilnahme an einem sozialen Alltag beeinflusst. So sind also auch gesundheitliche Unterschiede zwischen Gruppen nicht ausschließlich durch biologische Unterschiede verursacht, sondern werden durch soziale Strukturen, die mit Hierarchie und Macht zusammenhängen und Menschen privilegieren und unterdrücken, konstruiert (Short/Zacher 2022). 

In der vorliegenden Arbeit wird sich hauptsächlich auf Machtgefällen und diskriminierenden Strukturen im medizinischen Bereich beschränkt, die aufgrund des Geschlechts[2] existieren, wobei eine ganzheitliche, feministische Perspektive immer auch andere -ismen und Merkmale wie Klasse oder Race einbeziehen muss und intersektional gedacht werden muss. 

Daten wissenschaftlicher Forschungen, die zur Entwicklung medizinischer Definitionen und Behandlungsleitlinien verwendet werden, wurden jahrhundertelang anhand einer hauptsächlich cis-männlichen[3] Untersuchungsgruppe gewonnen und deren Erkenntnisse dann geschlechts- und gruppenübergreifend angewandt. Die Abwesenheit von Frauen in klinischen Studien bedeutet das Zuschneiden des Wissens auf Männer und festigt die Norm eines cis-männlichen Körpers. Die Aufschlüsselung nach Geschlecht[4] wurde zunehmend in medizinischer Forschung etabliert, weitere soziale Realitäten und intersektionale Perspektiven werden jedoch weiterhin größtenteils außer Acht gelassen (Kuhlmann 2016). 

Frauen erhalten auch heute noch regelmäßig andere Diagnosen und Behandlungsempfehlungen wie Männer, bei ihnen werden zum Beispiel häufiger psychische Dinge als Ursache für Symptome angesehen und körperliche Probleme dadurch übersehen (Short/Zacher 2022). Ein historisch interessanter Fall, der die Verflechtung von Stereotypen, Krankheit und Gesundheit aufzeigt und zur Reproduktion patriarchischer Strukturen führt, ist die hauptsächlich Frauen zugeschriebene und lange als Krankheit angesehene Hysterie. In den nächsten Kapiteln wird zunächst die soziale Konstruktion von Krankheit und Gesundheit näher erläutert und anschließend die Entstehung und Konzeption der Hysterie als Beispiel für die Verknüpfung sozialer Norm und Geschlechtsvorstellungen mit medizinischer Diagnostik und Behandlung thematisiert. Es wird sich zeigen, dass sich die Symptomatik und Behandlungsmethoden der Symptome mit sich verändernden Werten und zugeschriebenen Eigenschaften und Erwartungen an Geschlechter ebenfalls verändert haben und besonders die Benachteiligung im medizinischen Bereich für diskriminierte Gruppen der Gesellschaft folgenschwere Auswirkungen hat. 

Krankheit als soziales Konstrukt 

Das Verständnis von Krankheit und Gesundheit beruht auf sozialen Vorstellungen über den Zustand von Personen oder Dingen. Die Medizin nimmt in der Gesellschaft eine Art Doppelrolle ein, die als Hauptinstanz zur Trennung von Krankheit und Gesundheit gilt, dadurch aber gleichzeitig auch ihr eigenes Handeln begründet (Dross/Metzger 2018). Krankheit wird in der Literatur ursprünglich häufig als Abweichung eines als „normal“ betrachteten Körpers definiert, der das Einwirken von Mediziner:innen zur Stellung einer Diagnose und eines Behandlungskonzepts mit dem grundsätzlichen Ziel der Heilung und Wiederherstellung von Gesundheit erfordert. Einem strukturfunktionalistischem Ansatz nach gilt körperliche und geistige Gesundheit als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Gesellschaftsstruktur. Krankheit wurde zunehmend als Prozess verstanden, der keine klare Grenze zu „Gesundheit“  hat (Ullrich 2014). Einige Krankheitsbilder hängen stark mit der gesellschaftlichen Konstruktion und Vorstellung von Körper, Geschlecht und Sexualität zusammen, die Geschichte bestimmter Krankheitsbilder zu verstehen, erfordert deshalb die Auseinandersetzung mit der Veränderung klinischer und psychologischer Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht (Kleinplatz 2018, Schroer/Wilde 2016). Werte und Normen enthalten oft stereotypische Vorstellungen von Menschen, die in der Medizin zu ausbleibender oder fehlerhaften Diagnostik und Behandlung führen. Neben der medizinischen Komponente greifen diverse sozio-politische Aspekte in den Bereich von Krankheit und Gesundheit; soziale Beziehungen, Abhängigkeitsverhältnisse und politische Setzungen, die von gesellschaftlichen Normen geprägt sind (Ullrich 2014). Erkrankungen prägen soziale Beziehungen und Konnotationen von Krankheiten wirken sich auf den gesellschaftlichen Umgang mit einer erkrankten Person aus. Besonders schwerwiegende oder ansteckende Krankheiten werden zum Beispiel häufig mit Armut in Verbindung gebracht und können zur sozialen Ächtung, Abscheu, Ausgrenzung oder ,Aussatz‘ führen. Allgemeine Definition von Krankheiten, die auf der ,Norm‘ basieren, ignorieren Gesundheit- und Lebensrealitäten vieler marginalisierter und diskriminierter Gruppen wie zum Beispiel BIPoCs, LGBTQIA+-Menschen und Frauen, da aufgrund von Stereotypen und tatsächlichem Ausschluss aus medizinischer Betrachtung und Forschung unterschiedliche Maßstäbe zur Bewertung und Behandlung gleicher Umstände je nach Patient:in angelegt werden (Dross/Metzger 2018). „[S]oziale Strukturen werden durch wissenschaftliche Autorität im Körper der Betroffenen veranker[t]“ (Dross/Metzger 2018), was folgenschwere Auswirkungen für die Personen haben kann. 

Hysterie als Beispiel für stereotypisierte medizinische Diagnostik und Behandlung 

Hysterie[5] ist ein historischer medizinischer Begriff, der im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungen hatte und in der modernen Medizin nicht mehr als diagnostische Kategorie verwendet wird. Ein Blick auf die Geschichte der Hysterie ist dennoch hilfreich, um die Entwicklung medizinischer Konzepte und Behandlungsmethoden im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen zu verstehen und wie gesellschaftliche Vorstellungen von Frauen und ihrer Rolle in der Medizin sich im Laufe der Zeit verändert haben. 

Die Hysterie leitet sich aus dem altgriechischen Wort für Gebärmutter histéra ab (Günther 2023).

Lange Zeit galt die produktive Gebärmutter als Hauptmerkmal einer körperlich und geistig gesunden Frau und als ursächliches Organ für psychiatrische Krankheiten im Zusammenhang mit Hysterie, die sich allgemein durch ein sozial unerwünschtes Verhalten äußerten (Short/Zacher 2022). Das zugrundeliegende Frauenbild ist das der Frau als Mutter und Hausfrau für den Mann. 

Als typische Symptome der Hysterie wurden einerseits ein bestimmtes „theatralisches“/ „dramatisches“ Verhalten angesehen, aber auch sensorische Ausfälle wie Krämpfe, plötzliche Blindheit, Ohnmacht oder chronischer Müdigkeit (Dross/Metzger 2018). Der Psychiater Richard von Kraft-Ebing beschreibt Hysterikerinnen als Frauen, die

„ihre Leiden übertreiben, zu simulieren, sich um jeden Preis interessant […] machen [,] wobei ihre krankhaft gesteigerte Phantasie gute Dinge leistet und ihre geschwächte Sittlichkeit vor keinem Betrug und keiner Lüge zurückschreckt.“

Kraft-Ebing 1883, S.212

Der Diskurs über Hysterie beschäftigte sich zunächst hauptsächlich mit Frauen, erweiterte sich aber zunehmend auch auf Männer, die anhand ,zu weiblicher Eigenschaften‘ oder ,Feigheit‘ durch die Diagnose der Hysterie ebenfalls stark abgewertet wurden (Westhoff 2013). Bereits in der Antike wurde Hysterie als eine 

„Veränderung der Position der Gebärmutter gesehen, welche, durch sexuelle Abstinenz hungrig geworden, auf der Suche nach Befriedigung die Reise durch den Körper antrat und auf ihrem Weg andere Organe in Unordnung brachte.“

Zaudig 2015, S.28

Platon sagt über die Gebärmutter: 

„Die Gebärmutter ist ein Tier, das glühend nach Kindern verlangt. Bleibt dasselbe nach der Pubertät lange unfruchtbar, so erzürnt es sich, durchzieht den ganzen Körper, verstopft die Luftwege, hemmt die Atmung und drängt auf diese Weise den Körper in die größten Gefahren und erzeugt allerlei Krankheiten.“

Zaudig 2015, S.28

Es wurde davon ausgegangen, dass die Verlagerung der Gebärmutter die mentale Situation einer Frau verändert und das Nichtnachkommen Können oder Wollen ihrer ,natürlichen‘ Aufgaben eine Frau, zum Beispiel Mutterschaft oder Tätigkeiten im Haushalt, krank macht. Die antike Säftelehre besagt, dass weibliches Blut einer monatlichen Reinigung (Periode) unterzogen wird und beim Ausbleiben der Periode richtet die Materie im Inneren Unheil an (Westhoff 2013). Trotz der historischen Fokussierung auf die Gebärmutter und die Reproduktionsfähigkeit der Frau wurden tatsächliche, schmerzhafte und lebensverändernde Krankheiten der Gebärmutter wie Endometriose in der Forschung und Gesellschaft wenig beachtet und erhalten auch heute im Vergleich zu nicht „nur Frauen betreffenden Krankheiten“ wenig Aufmerksamkeit (Westhoff 2013). 

Im viktorianischen Zeitalter dominierte ein Geschlechterideal, das die Rolle der Frau stark von traditionellen Normen und den Bedürfnissen des Ehemanns abhängig machte. Weibliche Sexualität galt als kontrollierbar und sollte vorrangig die Bedürfnisse des Mannes befriedigen, Abweichungen von diesem normativen Verhalten wurden als sexuelle Störung betrachtet. Die psychologischen Probleme von Frauen wurden häufig auf angebliche Störungen der Fortpflanzungsorgane zurückgeführt, insbesondere durch die Diagnose der „Hysterie“, was die Kontrolle über weibliche Psyche und Sexualität weiter institutionalisierte (Kleinplatz).

“The underlying assumption that women were dominated by their reproductive organs led some physicians to blame virtually all women’s diseases and complaints on disorders of these organs.”  

Groneman 1994, zitiert nach Kleinplatz 2018 S.33

Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hält Hysterie für den Ausdruck verdrängter, unterdrückter Wünsche aufgrund eines ungelösten Traumas, häufig sexueller Missbrauch im Kindesalter (Kleinplatz 2018, Westhoff 2013). Frauen mit Hysterie seien unwillig/unfähig, „weiblicher“ Pflichten nachzukommen und hätten keine familiären Gefühle (Dross/Metzger 2018). Im 19. Jahrhundert waren Methoden wie ballaststoffreiche Diäten, Aderlass, kalte Einläufe, Ovarektomien (Entfernung der Eierstöcke), Klitorisablation, Auslösung paroxysmaler Krämpfe (Orgasmen) durch den Arzt üblich zur Behandlung von Hysterie.

„What is interesting, however, is the surprising manner in which the uterus is at the same time considered an essential component to womanhood and also easily removable.“

Jones 2015, S.1108

Der französische Neurologe Jean-Martin Charcot „führte seine hysterischen Patientinnen öffentlich vor und demonstrierte an ihnen die aberwitzigsten, martialischen Behandlungsmethoden wie zum Beispiel eine ,Ovarienpresse‘ oder Vibratoren ,zur Beruhigung‘.“ (Westhoff 2013). Eltern oder Ehemänner von ,hysterischen Frauen‘ veranlassten häufig Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten zur Linderung der Symptome und Heilung (Dross/Metzger 2018).

„No one knew for certain how to prevent this from happening, but one cure was to anchor the uterus. This could easily be accomplished through either impregnating the woman or keeping the uterus moist through intercourse so it would not seek out the moisture of other organs.“

Meyer 1997, S.1

Im 20. Jahrhundert wurde die zunehmende diagnostische Ungenauigkeit des Begriffs Hysterie erkannt und die vielfältigen Symptome in neue Begriffe präziser klassifiziert. Der Begriff „Histrionische Persönlichkeitsstörung“ (von lat. „histrio“: Schauspieler) betonten die (intentionale) Dramatisierung von Konflikten, während die „Dissoziative Störung“ einen Zerfall der Persönlichkeit, insbesondere nach traumatischen Ereignissen, beschrieb.

Im Gegensatz zur klassischen Hysterie standen bei diesen Diagnosen psychologische Aspekte im Vordergrund, und sie wurden zunehmend unabhängig von körperlichen Symptomen betrachtet (Westhoff 2013). 

Die Zuschreibung und Interpretation bestimmter Verhaltensweisen als ,typisch weiblich‘ und die gleichzeitige Vernachlässigung körperlicher Ausfallserscheinungen führt zu einer Pathologisierung des seelischen und körperlichen Leidens von Frauen. Die Konzeption einer ,überemotionalen‘ Frau festigt historische Stereotypen, die häufig eine vermeintliche Instabilität und Irrationalität weiblicher Emotionen betonen. Hysterie als konstruierte Krankheit führte zur sozialen Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen, insbesondere solchen, die überwiegend Frauen zugeschrieben wurden, und muss auch heute noch bei der Diskussion über Gleichberechtigung und Gesundheitsversorgung mitbedacht werden.  Die heutigen therapeutischen Ansätze, denen Frauen mit sexuellen Problemen begegnen, variieren in Abhängigkeit von der aufgesuchten medizinischen Fachkraft, wobei häufig immer noch eine unzureichende interdisziplinäre Betrachtung besteht. Es bedarf einer Herangehensweise, die organische, psychische und psychosoziale Ursachen gemeinsam betrachtet und behandelt, um eine effektive Therapie zu gewährleisten (Kleinplatz 2018). 

Aktuelle Debatten 

„Not only was hysteria itself all of those things—irrational, capricious, unpredictable, and most importantly, unsolvable—but it also pathologized, sexualized, and eroticized womanhood.“

Jones 2015, S.1095

In der Medizin ist der Begriff der Hysterie aus dem wissenschaftlichen/medizinischen Sprachgebrauch größtenteils verschwunden und wird hauptsächlich alltäglich und medial verwendet. Mit „hysterisch“ wird bis heute ein bestimmtes stereotypisches Verhalten wahrgenommen, wie beispielsweise Kreischen, Weinen oder hohe Emotionalität; Eigenschaften, die vorrangig immer noch weiblichen Personen zugeschrieben werden. 

„Wer heute etwa über Krankheitssymptome klagt wird noch immer schnell mal als ,hysterisch‘ bezeichnet. Auch wenn man als Frau die Stimme erhebt oder mal so richtig ,ausrastet’, ist das vorbestrafte H-Wort nicht weit.“

Günther 2023

Auch die mediale Weiterverwendung führt also zur Reproduktion geschlechtsstereotypischen Verhaltens, wertet Eigenschaften und Verhaltensweisen ab und erinnert an historisch überholte Vorstellungen einer Frau, deren Gesundheit allein von einer produktiven Gebärmutter und dem Einfügen in gesellschaftliche Rollenbilder abhängt. Der Begriff muss sich eindeutig davon abgrenzen, dass mit ihm ein meist weiblich zugeschriebenes Verhalten als ,krankhaft‘ bezeichnet wurde und zu entmündigenden sowie menschen- und frauenfeindlichen Behandlungsmethoden geführt hat. 

Einem Ansatz der amerikanischen Professorin für Women´s and Gender Studies Cara E. Jones nach weist zum Beispiel die heutige Lebensrealität von Frauen mit Endometriose einige Parallelen zum historischen Konzept der Hysterie auf: 

„I argue that […] endometriosis has taken up a diagnostic and cultural location once occupied by hysteria: each disease pathologizes not only certain physical symptoms, but also social and cultural deviations from female gender norms.“

Jones 2015, S.1084

Jones argumentiert, dass die medizinischen Behandlungsmethoden für sogenannte ,weibliche‘ Krankheiten wie Endometriose immer noch auf veralteten Vorstellungen über die Gebärmutter beruhen und auf die ungehinderte Reproduktion von Frauen abzielt (Jones 2015).

In ihrem Beitrag liefern Short und Zacher einige Ansätze zu geschlechtersensiblerer medizinischer Diagnostik und Behandlungsmethoden. Die Betrachtung der Frauengesundheit sollte sich von der reinen Fokussierung auf Fortpflanzung und Kindergesundheit lösen, um den Frauenkörper nicht ausschließlich auf die Funktion des Kinderkriegens zu reduzieren. Es ist wichtig, die binäre Geschlechtervorstellung zu überwinden und sich nicht ausschließlich auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu konzentrieren. Geschlechter sollten als sozial konstruierte Konzepte betrachtet werden und auch geschlechtsspezifischer Unterschiede sollten nicht auf biologische Faktoren geschoben werden, sondern unter Berücksichtigung zugrundeliegender biosoziale Strukturen und Mechanismen. Es ist entscheidend, intersektionale Ansätze einzubeziehen, die die Wechselwirkungen verschiedener sozialer Benachteiligungen oder Privilegien berücksichtigen. Dazu gehören Merkmale wie Geschlecht,Sexualität, Fähigkeiten, Race, Klasse, Bildung und andere relevante Parameter (Short/Zacher 2022).  Ungleichheiten in der Medizin müssen von den treibenden Kräften der Forschung anerkannt und gezielt behoben werden. Short und Zacher berichten in ihrem Artikel über eine Studie aus dem Jahr 2021, die zeigt, dass die Forschung zu Krankheiten, von denen Männer überproportional betroffen sind, von den nationalen Gesundheitsinstituten eher überfinanziert wird, während die Forschung zu Krankheiten, von denen hauptsächlich Frauen betroffen sind, im Verhältnis zur Krankheitslast in der Bevölkerung eher unterfinanziert ist (Short/Zacher 2022).

Fazit 

Krankheit und Gesundheit sind keine rein biologischen oder medizinischen Phänomene, sondern werden stark von sozialen Strukturen und Machtverhältnissen beeinflusst. Die Entwicklung medizinischer Definitionen und Behandlungsleitlinien basierte historisch oft auf Forschungsdaten, die hauptsächlich an cis-geschlechtlichen Männern gewonnen wurden, was zu einer unzureichenden Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede führte. Frauen erhielten und erhalten immer noch unterschiedliche Diagnosen und Behandlungsempfehlungen im Vergleich zu Männern, wobei stereotype Vorstellungen über weibliche Emotionalität und Sexualität die medizinische Praxis beeinflussen.

Das historische Beispiel der Hysterie verdeutlichte, wie gesellschaftliche Normen und Geschlechtsvorstellungen in medizinische Diagnosen eingeflossen sind. Frauen wurden als hauptsächlich von der Gebärmutter gesteuert betrachtet, was zu pathologisierenden und oft dehumanisierenden Behandlungsmethoden führte. Obwohl der Begriff der Hysterie heute aus dem medizinischen Vokabular verschwunden ist, bleiben stereotype Vorstellungen über „hysterisches“ Verhalten im gesellschaftlichen Diskurs präsent.

Ungleichheit in medizinischen Strukturen betonen die Notwendigkeit geschlechtersensiblerer medizinischer Ansätze, die nicht nur auf Fortpflanzung fokussiert sind. Frauenkörper dürfen nicht ausschließlich auf reproduktive Funktionen reduziert werden und binäre Geschlechtervorstellung überwunden werden. Die Einbeziehung intersektionaler Ansätze, die die Vielschichtigkeit sozialer Benachteiligungen berücksichtigen, ist entscheidend, um diverse Ungleichheiten in der Medizin anzugehen und eine gerechtere Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten.    

Literatur- und Quellenverzeichnis 

Dross, Fritz und Nadine Metzger (2018). Krankheit als Werturteil. In: bpb. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/270305/krankheit-als-werturteil/ (letzter Aufruf: 30.01.2024).

Günther, Paula (2023). Von Männern erfunden: Diagnose Hysterie als Machtmittel gegen das weibliche Geschlecht. In: Qiio Magazin. https://www.qiio.de/von-maennern-erfundendiagnose-hysterie-als-machtmittel-gegen-das-weibliche-geschlecht/ (letzter Aufruf 30.01.2024).

Jones, Cara E. (2015). Wandering Wombs and “Female Troubles”: The Hysterical Origins, Symptoms, and Treatments of Endometriosis, Women’s Studies, 44:8, 1083-1113 https://doi.org/10.1080/00497878.2015.1078212

Kleinplatz, Peggy J. (2018). History of the Treatment of Female Sexual Dysfunction(s). In: Annual Review of Clinical Psychology. 14:1, 29-54.

Krafft-Ebing, Richard von (1883). Lehrbuch der Psychiatrie auf klinischer Grundlage für praktische Ärzte und Studierende (Bd. 1-2). Stuttgart: Enke.

Kuhlmann, Ellen (2016). Gendersensible Perspektiven auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung. In: Soziologie von Gesundheit und Krankheit. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. 183–196. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11010-9_12

Meyer, Cheryl L. (1997). The Wandering Uterus: Politics and the Reproductive Rights of Women. In: New York University Press. 1997. https://doi.org/10.18574/nyu/9780814763209.001.0001

Schroer, Markus und Jessica Wilde (2016). Gesunde Körper – Kranke Körper. In: Soziologie von Gesundheit und Krankheit. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. 257-271.

Short, Susan E. und Meghan Zacher (2022). Women’s Health: Population Patterns and Social Determinants. In: Annual Review of Sociology. 48:1, 277-298. 

Ullrich, Charlotte (2014). Die soziale Konstruktion von Krankheit und Gesundheit. In: Medikalisierte Hoffnung?. Deutschland: transcript. 31–58. 

Westhoff, Andrea (2013). Hysterie.In: Deutschlandfunk https://www.deutschlandfunk.de/radiolexikon-hysterie-100.html.

Zaudig, Michael (2015). Entwicklung des Hysteriekonzepts und Diagnostik in ICD und DSM bis DSM-5. In: Hysterie. Verständnis und Psychotherapie der hysterischen Dissoziationen und Konversionen und der histrionischen Persönlichkeitsstörung. München: CIP-Medien. 20:1, 27-49 https://sbt-in-berlin.de/cip-medien/03.-Zaudig.pdf.


[1] Im Verlauf des Textes wird „medizinisch“ für die Beschreibung klassischer, schulmedizinischer Vorstellungen verwendet, die häufig für unveränderbar gehalten werden und aktuell die größte wissenschaftliche Deutungshoheit in der Unterscheidung von Krankheit und Gesundheit haben. Die Verwendung des Wortes „medizinisch“ muss jedoch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass „Medizin“ nicht gleich frei von Normen bedeutet und Prioritäten, Durchführung und Auswertung wissenschaftlicher Forschungen immer durch soziale Strukturen geprägt sind. 

[2] Geschlecht ist keine biologische, neutrale Tatsache, sondern eine aufgrund von körperlichen Merkmalen bei oder sogar schon vor der Geburt vorgenommene Zuweisung, die häufig auf der Vorstellung binärer Geschlechterkategorien beruht. 

[3] Zur Vereinfachung werden im Verlauf der Arbeit zwar die binären Begriffe Mann und Frau verwendet zur Beschreibung cis-geschlechtlicher Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen, wobei bei jeder Verwendung mitbedacht werden soll, dass Geschlecht, und vor allem die binäre Betrachtung davon, konstruiert sind.

[4] Eine Aufschlüsselung nach Geschlecht bedeutet in der Wissenschaft eine Trennung von cis-weiblichen und cis-männlichen Personen, was auf einer binären Geschlechterkonstruktion beruht und diskriminierend gegenüber allen anderen Geschlechtsidentitäten ist.

[5] Bei der Verwendung des Wortes Hysterie wird sich ausschließlich auf die historischen Konzepte in Abgrenzung von einer medizinischen Diagnose bezogen, da der Begriff historisch stark mit stereotypen Vorstellungen von Frauen verbunden ist und ihre psychischen Gesundheitszustände auf veraltete, kulturell geprägte Vorstellungen reduziert. 


Quelle: Julika Likus, Die soziale Konstruktion von Krankheit – Hysterie als Beispiel für die Reproduktion von Stereotypen in der Medizin, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin,29.02.2024,

Entwicklung von Inter*-Rechten in der medizinischen Gesetzgebung

Mia Taheri (WiSe 2023/24)

1. Einleitung

“Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt”, so steht es im Grundgesetzbuch (BT, 2010, §1, Abs. 1).

Dennoch gibt es viele Menschen, die immer noch für ihre Würde und Rechte kämpfen müssen. So auch Inter* Menschen, die erst seit Ende des 20. Jahrhunderts mehr Aufmerksamkeit erlangt haben. Der erste öffentliche Protest von Inter* Personen fand am 26. Oktober 1996 in Boston (USA) statt. Kritisiert wurden dort unter anderem die geschlechtsverändernden Eingriffe an Inter* Kindern, die selbst heute teilweise noch durchgeführt werden (Regenbogenportal, o.D.). 2021 verabschiedete der Bundestag das “Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” (Bundestag, o.D.). Dies ist der erste gesetzliche Versuch gewesen, Inter*-Rechte zu schützen.

In der vorliegenden Arbeit wird durch ausgewählte Aspekte der Verlauf von Inter*-Rechten im deutschen Gesundheitssystem behandelt. Dazu werden der “Zwitterparagraph” (1794) und das “Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” (2021) gegenübergestellt, um den heutigen medizinischen und gesellschaftlichen Entwicklungsstand zu erörtern.


Trigger und Content Warnung:

Im Folgenden werden Zwangsoperationen, Beschreibung von medizinischen Eingriffen, sowie Aufzählungen von Begriffen wie Inters*x beim Zitieren und zur Erklärung von sensibler Sprache verwendet. Ebenso werden Organe und Anatomie ohne Zensur benannt. Des Weiteren wird der “Zwitterparagraph” als historischer Begriff verwendet, der aus heutiger Sicht nicht mehr verwendet werden sollte.


2. Begriffserklärung – Was bedeutet Inter*?

Inter* sind Menschen, die nicht in das Konstrukt der Binarität passen. Sie haben körperliche Ausprägungen, durch die sie nicht eindeutig zur weiblichen oder männlichen Norm eingeordnet werden können. Es gibt mehrere Varianten der Geschlechtsentwicklung, sie können sowohl die Hormonproduktion oder die Geschlechtsorgane, als auch den Chromosomensatz betreffen (BMFSFJ,o. D.).

Der Gegenbegriff zu Inter* ist Endo*. Sie machen den Hauptteil der Gesellschaft aus und lassen sich in die Kategorien “weiblich” und “männlich” einordnen (FUMA, o.D.).

In der deutschen Sprache gibt es mehrere Bezeichnungen für Inter* Menschen, darunter jedoch auch viele Begriffe, die beleidigend sein können. “Zwitter” ist eine ältere medizinische Bezeichnung, die vermieden werden sollte, da sie als Beleidigung genutzt wird (OII Deutschland, 2015, S. 19). Zwei weitere veraltete Begriffe sind “Hermaphrodit” und “Pseudo-Hermaphrodit”, die früher in der Medizin gebraucht wurden, jedoch auch Pathologisierungen darstellen. (Ebd. S. 13) Auch der Begriff “Intersex”, der zurzeit noch am häufigsten verwendet wird, sollte vermieden werden. Denn hierbei handelt es sich um eine missverständliche Fehlübersetzung vom Englischen “intersex” (Ebd. S. 14). Die korrekte Übersetzung wäre “intergeschlecht”. Diese in der Community entstandene Bezeichnung ist einwandfrei und kann in einem sensiblen Sprachgebrauch verwendet werden. Inter* ist eine weitere Bezeichnung, die genutzt werden sollte. Sie steht für die Selbstbestimmung von Inter* Menschen, die sich trotz ständiger Pathologisierung für ihre Rechte einsetzen. Ebenso stellt das Asterisk die Vielfältigkeit an Möglichkeiten Inter* zu sein, sowie jegliche Selbstbezeichnungen dar (Ebd. S. 15).

Nur weil eine Person Inter* ist, heißt das jedoch nicht, dass deren Geschlechtsidentität auch Inter* ist. Es gibt auch Inter*, die sich trans* oder cis* identifizieren.

Das wichtigste Kriterium ist jedoch die Selbstbezeichnung der jeweiligen Personen. Da dies letztendlich eine persönliche Entscheidung ist.

3. Medizinische Behandlung von Inter*

Intergeschlechtlichkeit galt sehr lange als Krankheit, Syndrom oder Störung. Seit den 1960er Jahren wurden international immer mehr geschlechtsverändernde Operationen durchgeführt. Diese Geschlechtszuweisungen wurden meistens ohne die Zustimmung der Inter* Personen durchgeführt (FUMA, o.D.). 2012 erklärte der Deutsche Ethikrat die geschlechtsverändernden Operationen in Deutschland als Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Gesundheitsstadt Berlin, 2015).

Seit 2019 kann aufgrund einer Änderung im Personenstandsgesetz ein Kind auch als “divers” oder ohne Geschlechtsangabe in das Geburtenregister eingetragen werden (LSVD, o.D.). Trotz des vermeintlichen gesellschaftlichen und medizinischen Umschwungs hat sich die Anzahl der geschlechtsverändernden Operationen von 2005-2016 nicht bemerkbar verringert (Hoenes, Januschke, Klöppel 2019, S. 20).

Zur Veranschaulichung, dass viele dieser medizinischen Vorgänge menschenrechtsverletzend sind, werden nun ohne Zensur verschiedene medizinische Abläufe geschildert.

Die angewandten Verfahren mit Patient*innen, deren Geschlecht nicht eindeutig in die zwei Geschlechternormen hineinpasst, hatten zwei bestimmte Kriterien. Entweder wenn die Klitoris zu überdurchschnittlich groß war, um als Frau akzeptiert zu werden. Oder falls der Penis zu klein war, um als Mann akzeptiert zu werden. Weiterhin gab es eine Empfehlung, die Genitalien in solch einem Fall bestenfalls vor dem Abschluss des 18. Lebensmonats zu verdeutlichen. Außerdem wurde den Sorgeberechtigten zumeist empfohlen, den Patient*innen nichts über die Eingriffe und Operationen zu erzählen, um die Entwicklung der Psychosexualität nicht negativ zu beeinflussen. Die letztere Empfehlung ist jedoch seit mehreren Jahren, aufgrund von Inter* Protesten, nicht mehr aktuell (Voß, 2012, S.45-47).

Der Prozess sowie die Folgen der geschlechtsverändernden Operationen sind traumatisierend und schmerzhaft. Bei einer feminisierenden Operation wird die Klitoris beschnitten, was zu einem Verlust der Empfindsamkeit führen kann. Ebenso wird gegebenenfalls eine künstliche Vagina durch mehrfache Dehnung für die spätere Penetration durchgeführt. Solch eine Behandlung, die laut Erfahrungsberichten einer Misshandlung gleicht, ist meistens medizinisch völlig irrelevant (Ebd., S. 59-60).

Ein weiterer Vorgang ist die Entnahme der Keimdrüsen (Gonaden). Folgen sind Unfruchtbarkeit, ein schwerer Hormonmangel, welcher eine lebenslange Hormontherapie mit sich zieht, sowie psychische und physische Nebeneffekte (Ebd. S. 59-60). Bei dieser Operation wurde zumeist angegeben, dass die Keimdrüsen möglicherweise Krebs verursachen könnten. Wobei dies medizinisch umstritten ist, da das Vorkommen dieser Entwicklung viel zu unerforscht ist. Und selbst bei einem erhöhten Risiko, blieben die Folgen der Operation (Ebd. S. 47).

Wie irrelevant die Gesundheit der Patient*innen bei der Wahl der Operationen ist, wird deutlich gemacht. Denn technisch ist die feminisierende Operation deutlich leichter (Ebd. S. 47). So ergeben medizinische Schätzungen, dass sich in 90 Prozent der Fälle für eine feminisierende Operation entschieden wurde (Ebd. S. 45).

Der historische Ursprung der geschlechtsverändernden Operationen, der sich aus den 1950er Jahren ergibt, ist wie hier die psychische Entwicklung, die als bedroht angesehen wurde. Jedoch waren die Bedenken zu dieser Zeit noch die Befürchtung von homosexuellen Ausprägungen (Ebd. S. 13).

Hieraus wird deutlich, dass in den meisten Fällen von Eingriffen und Operationen an Inter* Personen, deren Angleichung zu einer der Geschlechternormen eine sehr hohe Priorität hatte und die medizinische Relevanz komplett in den Hintergrund rückte.

4. Vorstellung des “Zwitterparagraphens”

In der Frühen Neuzeit galten zwei verschiedene Ansichten zur Intergeschlechtlichkeit. Die hippokratisch-galenische Lehre, welche sich im “Zwitterparagraphen” widerspiegelt und die aristotelische Lehre, welche die Existenz von Intergeschlechtlichkeit nicht anerkannte. Der „Zwitterparagraph“ beweist jedoch keine vollkommene Akzeptanz der hippokratisch-galenischen Lehre in der Gesellschaft. Beide Ansichten standen zu dieser Zeit in Diskussion.

Die hippokratisch-galenische Lehre stellt den Mann als vollkommenen Menschen dar und die Frau unvollkommenen Mann. Intergeschlechtliche Menschen hingegen waren keines von beidem (Klöppel, 2010, S.143-144).

In der aristotelischen Lehre existiert Intergeschlechtlichkeit als solches nicht. Es gibt lediglich missgebildete Männer und missgebildete Frauen, die durch ein “Übermaß an Materie” bestimmte Exzesse gebildet haben (Klöppel, 2010, S. 145).

Der sogenannte “Zwitterpragraph” war Teil des Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR, 1794). Er bestimmte das Vorgehen bei der Geburt einer Inter* Person, hier als Zw*tter bezeichnet. Es galt, dass wenn ein Neugeborenes ein uneindeutiges Geschlecht hat, die Eltern bestimmen sollten, wie das Kind aufgezogen wird. Nach Vollendung des 18. Lebensjahres stehe es der besagten Person frei, deren Geschlecht zu wählen (ALR, 1794, Personenrecht der Zwitter, §19-20). Ganz so frei schien die Entscheidung jedoch nicht zu sein, da jederzeit durch Untersuchung von Sachverständigen das Geschlecht als ein anderes beurteilt werden konnte (ALR, 1794, Personenrecht der Zwitter, §22-23). Die hier genannten Sachverständigen waren vermutlich medizinisches Personal.

Die Rechte von Inter* Menschen waren bei dem “Zwitterparagraphen” weniger von Relevanz. Die Nachfrage nach solch einem Gesetz kam vielmehr daher, dass der damalige Zweck der Ehe, welcher die Fortpflanzung war, bewahrt werden sollte. (Schwenger, 2009).

Im Jahre 1900 schwang die rechtliche Meinung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch zur aristotelischen Lehre, die die Existenz von Inter* verleugnete (BGB, 1888, S.26). Dennoch wurden Inter* trotz der Gesetzesänderung immer öfter als Personen und weniger als Forschungsobjekte angesehen (Schwenger, 2009).

5. Vorstellung des neuen Gesetzes

Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts geraten Inter* Menschen und ihre Rechte immer mehr ins Interesse der Öffentlichkeit. Jahrelang wurden nun von Inter* Verbänden Veränderungen in den medizinischen Richtlinien gefordert, die die menschenrechtswidrigen Operationen an Inter* verbieten. Länger als 200 Jahre nach dem „Zwitterparagraph“ setzte 2021 das “Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ in Kraft.

Das neue Gesetz verbietet kosmetische Behandlungen an nicht einwilligungsfähigen Inter* Personen. Sowohl das Durchführen als auch die Einwilligung zu so einem Eingriff ist nicht erlaubt (§1631e, 2021, Artikel 1, Absatz 1). Die Eltern des Kindes sind ausschließlich dazu befähigt, für ihr Kind zu entscheiden, wenn der Eingriff nicht auf eine Selbstbestimmung des Kindes warten kann (Ebd., Artikel 1, Absatz 2).

Falls es zu solch einem Fall kommt, wird die Genehmigung des Familiengerichts benötigt. Zur Beantragung müssen die Eltern eine den Eingriff befürwortende Stellungnahme der interdisziplinären Kommission vorlegen. Diese Kommission entscheidet dann, ob ein Eingriff im Wohl des Kindes wäre (Ebd., Artikel 1, Absatz 3). Die Mitglieder der  interdisziplinären Kommission müssen alle Erfahrung im Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung haben.     Ebenso müssen folgende Personen angehört werden: Psycholog*in/Psychiater*in, Ethiker*in, Jugend- oder Kindermediziner*in, eine neutrale ärztliche Person und der*die zuständige Ärzt*in. Ebenso kann auf Wunsch der Eltern eine beratende Inter* Person hinzugezogen werden (Ebd., Artikel 1, Absatz 4).

Falls sich die Kommission für eine Befürwortung des Eingriffes entscheidet, müssen gewisse Informationen dokumentiert werden: Die Namen und Befähigungen der Mitglieder, Kindesalter und Variante der Geschlechtsentwicklung, Name des Eingriffes sowie medizinische Begründung, Grund für Befürwortung des Eingriffes in Hinblick auf die Risiken der Durchführung und was die Risiken bei einer Verschiebung wären, sind von Relevanz. Ebenso ob und wer sich mit den Eltern unterhalten hat, ob die Eltern und das Kind über den Umgang mit der spezifischen Variante aufgeklärt wurden und durch welches Mitglied der Kommission dies geschah, ob die Beratung einer Inter* Person stattfand, inwiefern das Kind sich eine Meinung über den Eingriff bilden kann und falls ja, ob es diesen befürwortet und ob die beratende Inter* Person den Eingriff unterstützt (Ebd., Artikel 1, Absatz 5)

Wenn das Kind in einer lebensbedrohlichen Lage ist oder eine Gefahr für die Gesundheit besteht, kann die Kommission übergangen werden (Ebd., Artikel 1, Absatz 3).

Falls die Eltern den Eingriff in ihrer Stellungnahme nicht befürworten oder etwas anderes gegen die Genehmigung spricht, erörtert das Gericht den Grund mit den Beteiligten. Die Eltern werden auf Beratungsmöglichkeiten hingewiesen. Gegebenenfalls kann die Beratung über den Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung angeordnet werden (Ebd., Artikel 3, Absatz 2).

Die Patientenakte muss bei einem Eingriff bis zum 48. Lebensjahr der Inter* Person aufgehoben werden (Ebd., Artikel 1, Absatz 6). Dies gilt auch für Eingriffe, die vor der Verabschiedung des Gesetzes stattfanden (Ebd. Artikel 2).

Zur Überprüfung der Wirksamkeit sollen die Regelungen durch die Bundesregierung innerhalb von fünf Jahren überprüft werden (Ebd., Artikel 6).

Die Ausarbeitung dieses Gesetzes war ein langwieriger Prozess, der noch immer nicht ganz beendet ist. Schon nach dem ersten Gesetzesentwurf aus Februar 2020 kritisierten mehrere Inter* Verbände sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Ausführungen. Nach einer Überarbeitung veröffentlichte die Bundesregierung im September 2020 einen neuen Gesetzesentwurf, welcher erneut kritisiert wurde. Sowohl die uneindeutige Verwendung von Begriffen, die Umgehungsmöglichkeiten, die fehlende Dokumentationspflicht, als auch ein fehlendes Zentralregister wurden bemängelt, von der Bundesregierung jedoch nicht ausreichend verbessert. Im März 2021 setzte das Gesetz ein, jedoch ohne genügend Verbesserungen vorgenommen zu haben (Lesben- und Schwulenverband, o.D.).

6. Fortschritt – vom “Zwitterparagraphen” zum neuen Gesetz

Werden diese beiden Gesetze in den Vergleich gesetzt, lassen sich erhebliche Fortschritte kenntlich machen. Unter der Betrachtung des Zeitalters und des damaligen gesellschaftlichen Fortschrittes kann von einem grundlegenden Unterschied im Ursprung der Gesetze ausgegangen werden.

Der “Zwitterparagraphen” stand aufgrund von Unsicherheiten in der Gesellschaft. Es wurde sich in der Medizin zwar sehr um Kriterien für eine klare Diagnose bemüht, doch mit dem Stand der derzeitigen Medizin war dies nicht möglich. Dennoch verlangten akademische Ärzte Überprüfungen über den Geschlechterstatus in Verbindung mit der Ehetauglichkeit. Denn falls eine Inter* Person mit einer Person gleichen Geschlechts verheiratet werden würde, brächte dies die sexuelle Norm durcheinander und die Fortpflanzung als Ehezweck wäre bedroht gewesen (Schwenger, 2009).

Das neue Gesetz hingegen wurde verfasst um Inter*-Rechte auszuarbeiten. Es soll kosmetische Operationen verhindern und Inter* schützen.

Trotz diesem grundlegenden Unterschied zeigt der „Zwitterparagraph“  erste Schritte zur Selbstbestimmung. Der “Zwitterparagraph” bemächtigt eine Inter* Person ihre Geschlechtsidentität nach dem 18. Lebensjahr selbst zu bestimmen. Die Durchsetzbarkeit war wahrscheinlich schwierig bis gar nicht möglich, der Paragraph hätte jedoch auch einfach weggelassen werden können.

Ebenso beruhen beide Gesetze auf der gleichen Problematik: Eine Gesellschaft, die nur weiß wie sie innerhalb der konstruierten Geschlechternormen denken und handeln soll.

Dennoch ist sowohl der gesetzliche als auch der soziale Fortschritt in Deutschlands Gesellschaft deutlich zu erkennen: Die Änderung im Personenstandsgesetz, sowie das neue Inter* Gesetz sind trotz der kritisierbaren Punkte ein großer Erfolg in Bezug auf Inter*-Rechte. Ebenso ist das Ansehen von Inter* in der Gesellschaft deutlich gestiegen, welches die Grundsteine für die medizinischen und rechtlichen Erfolge überhaupt erst gelegt hat.

7. Forderungen der Inter* Community

Das neue Inter* Gesetz weist eine Reihe von Lücken und Verbesserungsmöglichkeiten auf. Kritisiert wird unter anderem die Bezeichnung “Varianten der Geschlechtsentwicklung”, die aus der Medizin kommt. Definitionen von medizinischen Begriffen lassen sich auch neu definieren, sodass die enge Anlehnung die Gültigkeit des Gesetzes gefährdet (im.e.v., o.D.). Ebenso werden Maßnahmen zur Verhinderung einer Umgehung des Gesetzes verlangt, da dies eine effektive Strafverfolgung sonst erschwert. Eine weitere Ergänzung wäre die verpflichtende Beratung durch qualifizierte Peer-Berater*innen. Des Weiteren wird die Einrichtung eines zentralen Melderegisters, sowie eine ausgiebige Melde- und Dokumentationspflicht gefordert, für einen verständlichen Behandlungsverlauf und eine effektive Strafverfolgung (lsvd, o.D.), ein Verbot für eine Umgehung im Ausland. Sowie eine Verlängerung der Verjährungsfrist für Körperverletzung, die momentan 5, bzw. 10 Jahre bei schwerer Körperverletzung beträgt. Die Kosten für die medizinische Versorgung sollen von Krankenkassen übernommen werden. Außerdem wird eine medizinische Versorgung von allen Opfern von Eingriffen der letzten 50 Jahre gefordert, sowie Möglichkeiten zur gesundheitlichen Rehabilitation. Ebenso wird mehr Aus- und Weiterbildung medizinischen Personals verlangt (lsvd, o.D.).

Änderungen der Bundesregierung sind wahrscheinlich bis 2026 zu erwarten, da die in §1631e Artikel 6 genannte Überprüfung des Gesetzes innerhalb von fünf Jahren des Inkrafttretens stattfinden soll.

8. Schluss / Fazit

Das heutige Inter* Gesetz bildet einen deutlichen Unterschied zum damaligen “Zwitterparagraphen”. Inter* habe in der Gesellschaft und in der Medizin Anerkennung erlangt. Die gesetzliche Anfertigung von Inter*-Rechten ist, obwohl das Gesetz noch nicht zufriedenstellend ist, ein wichtiger Meilenstein.

Durch den Vergleich wird jedoch auch deutlich, dass unsere Gesellschaft sich nicht in allen Punkten weiterentwickelt hat. Probleme, die damals herrschten, sind auch heute noch nicht vollends gelöst. Das Aufwachsen von Kindern außerhalb der Geschlechternormen ist gesellschaftlich immer noch nicht normalisiert. Der Umschwung fing jedoch auch erst vor ungefähr 30 Jahren an.

Der Weg zu einer gesellschaftlichen Besserung kann jedoch mit weiteren Forschungen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, sowie Aktivismus und eine Weiterentwicklung der Inter* Gesetze erreicht werden. So wird die Gesellschaft sicherlich in ein paar Jahren schon weitere Fortschritte zeigen.

Literaturverzeichnis

  1. BT = Deutscher Bundestag – i. Die Grundrechte (2010, 9. Februar), Deutscher Bundestag. Letzter Aufruf: 20.01.24, https://www.bundestag.de/gg/grundrechte
  2. Regenbogenportal = Regenbogenportal.de – Intersex Awareness Day, (o.D.) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Letzter Aufruf: 20.01.24, https://www.regenbogenportal.de/aktuelles/welttage-kalender/26-10-intersex-awareness-day
  3. Bundestag = Schutz von Kindern vor geschlechtsangleichenden Operationen beschlossen, (o.D.), Bundestag. Letzter Aufruf: 21.01.24, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw02-pa-recht-selbstbestimmung-814994
  4. ALR = Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794), opiniorius.de – Die freie juristische Bibliothek. Letzter Aufruf: 21.01.24, https://opinioiuris.de/quelle/1622
  5. Voß = Intersexualität – Intersex. Eine Intervention (2012) UNRAST-Verlag, Münster, Heinz-Jürgen Voß, ISBN 987-3-89771-119-8
  6. § 1631e = Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (12. Mai 2021), Bundestag https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/BGBl/Bgbl_Varianten_der_Geschlechtsentwicklung.pdf?__blob=publicationFile&v=3
  7. BMFSFJ = Regenbogenportal.de – Inter* – was?, (o.D.) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Letzter Aufruf: 19.01.24, https://www.regenbogenportal.de/infoartikel/inter-was
  8. Fuma = #Inter*, (o.D.), FUMA Fachstelle Gender & Diversität NRW. Letzter Aufruf: 16.01.24, https://www.gender-nrw.de/inter/
  9. OII Deutschland = Inter & Sprache – Von “Angeboren” bis “Zwitter”, (Dezember 2015), Das TransInterQueer-Projekt »Antidiskriminierungsarbeit & Empowerment für Inter*« In Kooperation mit IVIM / OII Deutschland, Dr. Dan Christian Ghattas, Ins A Kromminga, Ev Blaine Matthigack, Es Thoralf Mosel und weitere Inter*, die nicht namentlich genannt werden möchten. Letzter Aufruf: 18.01.24,  https://oiigermany.org/wp-content/uploads/InterUndSprache_A_Z.pdf
  10.  Gesundheitsstadt Berlin = Studie zur Intersexualität: Wenn das Neugeborene weder Mädchen noch Junge ist, (Februar 2015), Gesundheitsstadt Berlin, Beatrice Hamberger. Letzter Aufruf: 19.01.24, https://archiv.gesundheitsstadt-berlin.de/studie-zur-intersexualitaet-wenn-das-neugeborene-weder-maedchen-noch-junge-ist-5687/
  11.  LSVD = Ratgeber: Änderung des Geschlechtseintrags nach §45B Personenstandsgesetz (PSTG), (o.D.), Lesben- und Schwulenverband. Letzter Aufruf: 19.01.24, https://www.lsvd.de/de/ct/1361-Ratgeber-Aenderung-des-Geschlechtseintrags-nach-45b-Personenstandsgesetz-PStG#:~:text=3%20Personenstands%2DGesetz%20(PStG),der%20Regel%20also%20die%20Eltern
  12.  Hoenes, Januschke, Klöppel = Häufigkeit normangleichender Operationen “uneindeutiger” Genitalien im Kindesalter. Follow Up-Studie (2019), Ruhr-Universität Bochum, Josch Hoenes, Eugen Januschke, Ulrike Klöppel Letzter Aufruf: 19.01.24 https://www.bmfsfj.de/resource/blob/136860/54ea839a1a2894a58ba75db04c7be43b/studie-zu-normangleichenden-operations-ambiguous-genitalia-in-childhood-data.pdf
  13.  Klöppel = XX0XY ungelöst: Hermaphroditismus, Sex und Gender in der deutschen Medizin. Eine historische Studie zur Intersexualität (2010), Bielefeld: transcript Verlag, Ulrike Klöppel. Letzter Aufruf: 21.01.24, https://doi.org/10.1515/9783839413432
  14.  BGB = Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Band 1. Allgemeiner Teil. Amtliche Ausgabe. (1888) Google Buchsuche. Letzter Aufruf: 21.01.24, https://archive.org/details/motivezudementw01germgoog/page/n32/mode/1up?view=theater
  15.  Lesben- und Schwulenverband = Schutz intergeschlechtlicher Kinder vor medizinischen Eingriffen – Das neue OP-Verbot für Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (o.D.), Lesben- und Schwulenverband. Letzter Aufruf: 25.01.24, https://www.lsvd.de/de/ct/5449-Schutz-intergeschlechtlicher-Kinder-vor-medizinischen-Eingriffen
  16.  Schwenger = “Sag es keinem anderen” (2009), Deutschlandfunk Kultur, Kirstine Schwenger. Letzter Aufruf: 21.02.24, https://www.deutschlandfunkkultur.de/sag-es-keinem-anderen-100.html
  17.  im.e.v. = Stellungnahme: Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (o.D.), Intergeschlechtliche Menschen e.V. Letzter Aufruf: 26.01.24, https://im-ev.de/stellungnahme-gesetz-zum-schutz-von-kindern-mit-varianten-der-geschlechtsentwicklung/
  18.  lsvd = Schutz intergeschlechtlicher Kinder vor medizinischen Eingriffen – Das neue OP-Verbot für Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (o.D.), Lesben- und Schwulenverband. Letzter Aufruf: 26.01.24, https://www.lsvd.de/de/ct/5449-Schutz-intergeschlechtlicher-Kinder-vor-medizinischen-Eingriffen

Quelle: Mia Taheri, Entwicklung von Inter*-Rechten in der medizinischen Gesetzgebung, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin,29.02.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=440

Global-mediale Verantwortung und Aufarbeitung rassistischer Darstellungen in Disney-Klassikern

Tilde Funk (SoSe 2023)

1. Einleitung

Als Kind bin ich mit einigen Disneyklassikern aufgewachsen, besonders gerne haben meine Geschwister und ich Das Dschungelbuch (Wolfgang Reitherman, USA 1967) und Aristocats (Wolfgang Reitherman, USA 1970) gesehen – so häufig, bis wir alle Lieder auswendig mitsingen konnten. Mittlerweile studiere ich im 7. Semester Filmwissenschaft an der FU und habe mich im Rahmen meines Studiums mit weiteren Disneyklassikern auseinandergesetzt, die ich in meiner Kindheit nicht gesehen habe.

Das im letzten Sommersemester angebotene ABV-Modul zu „Gender und Diversity: Decolonize! Intersektionale Perspektiven auf lokale und globale Machtverhältnisse“ hat mich einerseits stärker bezüglich kolonialer Geschichte und Kontinuität sensibilisiert, als auch Selbstreflektion angeregt. Von meinem jetzigen Standpunkt aus ergibt sich eine reflektiertere Sichtweise auf die filmischen Darstellungen in Disneyklassikern, die es im Folgenden zu analysieren gilt. Nachdem ich die global-mediale Verantwortung des Konzerns Disney umrahme, wird es um eine Auseinandersetzung mit stereotypen Darstellungsformen rassistischer Art anhand von ausgewählten Beispielen gehen, welche auf den filmischen Umgang mit Kolonialismus überleiten. Vor einem abschließenden Ausblick ist es für ein umfassendes Fazit wichtig, sich mit Strategien zur Aufarbeitung rund um das Thema auseinanderzusetzen und zu klären, inwiefern Disney seine eigenen Filme selbstreflektiv in einen problembewussten Kontext stellt.

Vor Beginn meiner Analyse möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen, da ich mehrere rassistische und sexistische Inhalte, die in den Filmen Disney’s verankert sind, benennen werde.

2. Global-mediale Verantwortung des Konzerns Disney

»When you take on a Disney animated feature, you know you’re going to be affecting entire generations of human minds.«[1]

Dieses Zitat der Drehbuchautorin Linda Woolverton, welche für The Walt Disney Company arbeitete, verdeutliche die gesellschaftliche Verantwortung und einflussreiche Position des Unternehmens auf globaler Ebene[2], dessen Einnahmen 2022 über 80 Milliarden US-Dollar betrug[3]. Hervorzuheben ist der seit 2019 angebotene Streaming-Dienst Disney+, der über 100 Millionen User:innen verzeichnen kann und in den nächsten Jahren wohl zum größten globalen Streaming-Anbieter heranwachsen mag[4]. Durch eine solche Position auf dem Weltmarkt ergibt sich meiner Auffassung nach eine gewisse mediale Verantwortung, beispielsweise bezogen darauf, welche Inhalte welchem Zielpublikum gezeigt werden. Mir ist es wichtig zu betonen, dass ein Unternehmen dieser Art sich stets selbst reflektieren und darüber hinaus eigenes Fehlverhalten aufarbeiten sollte. Als einige Faktoren für die global-mediale Verantwortung Disneys fasse ich inhaltliche Sorgfalt in Bezug auf gesellschaftliche Strukturen, Selbstreflektion und Aufarbeitung zusammen. 

3. Stereotype Darstellungsformen rassistischer Art

Im Seminar haben wir zum antiasiatischen Rassismus in Deutschland einen Artikel von Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer und Christoph Nguyen besprochen und diskutiert, der in der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde. Insbesondere wurde betont, dass jene Form von Rassismus kaum historisch aufgearbeitet ist[5]. Bei der Sichtung einiger Disney-Klassiker sind mir mehrfach antiasiatisch-rassistische Darstellungen aufgefallen, die in ihrer filmischen Umsetzung von stereotypen Diskriminierungsmustern geprägt sind. Bei Susi & Strolch (Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1955) zeichnen sich zwei Siamkatzen durch ihr hinterhältiges und manipulatives Verhalten aus. Diese negative Konnotation wird auf sprachlicher Ebene durch ein von ihnen gesungenes Lied verstärkt und mit ihrer kulturellen Identität in Verbindung gebracht, um ein rassistisches Bild zu kreieren: „Wir sind Siamesen und zwar echte, wir behandeln andere wie Knechte.“. Diese Formulierung lässt sich nur in der deutschen Synchronfassung, nicht in der US-amerikanischen Originalversion finden, jedoch zieht sich in letzterer eine lispelnde Betonung in Kombination mit Grammatikfehlern als rassistisches Stereotyp durch die Performance. Zu diesem Stereotyp lässt sich das identische Aussehen der Katzen, sowie die geschlitzte Form der Augen, große Schneidezähne und gelbes Fell hinzufügen[6]. Auf mich wirken die Katzen in ihren synchronen Bewegungen und Blicken unheimlich, sowohl beim ersten Sehen des Filmes in meiner Kindheit, als auch bei einer erneuten, aktuellen Sichtung. Auch in Aristocats  lässt sich eine ähnliche antiasiatisch-rassistische Darstellung finden. Die audiovisuelle Portraitierung der Figur wirkt wie eine Karikatur; sie gibt, mit stark geschlitzten Augen, Hasenzähnen und einer heraushängenden Zunge versehen, unverständliche und zusammenhangslose Laute von sich, während die anderen Figuren um sie herum im Kollektiv ein Lied singen. Dazu spielt sie mit Essstäbchen auf einer Klaviatur. Die dem Aussehen einer Siamkatze entsprechende Figur wird als Chinese Cat vorgestellt; nebenbei ist zu erwähnen, dass die Siamkatze ihren Ursprung ursprünglich im heutigen Thailand hat. In Aristocats handelt es sich bei der einzigen als asiatisch portraitierten Figur um eine rassistische, vermutlich zu humoristischen Zwecken, ins Lächerliche gezogene Darstellung.

Neben diesen genannten antiasiatisch-rassistischen filmischen Darstellungen lassen sich in den Disneyklassikern zahlreiche andere Formen rassistischer Kennzeichnungen finden. Auch Jahrzehnte später, in den 1990er-Jahren, vermittelt beispielsweise Aladdin (John Musker, Ron Clements, USA 1992) insbesondere durch zahlreiche brutale Figuren eine unsensible und unauthentische Darstellung der arabischen Kultur, die rassistische Vorurteile festige[7]. Wie ich zu Beginn erläuterte, war Das Dschungelbuch früher einer meiner Lieblingsfilme. Dass er von rassistischen Strukturen durchzogen ist, habe ich erst nach der aktuellen Sichtung für dieses Essay erkannt, nachdem ich ergänzend recherchiert habe. Im politischen Kontext des Entstehungszeitraumes Ende der 1960er-Jahre in den USA kann die Darstellung der Affenfiguren im Film als eine ins Lächerliche gezogene Karikatur der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung aufgefasst werden[8]. Speziell das Oberhaupt der Affenbande, King Louie, welcher das Lied „Ich wäre so gern wie du“ singst, wird hervorgehoben. Inhaltlich sind die Versionen der Liedtexte im Englischen und Deutschen fast identisch. King Louie wird gegenüber Mogli, dem menschlichen Protagonisten, herabgestuft und scheint sich gleichzeitig zu wünschen, jenem ebenbürtig zu sein. Im Englischen hat seine Synchronstimme einen afroamerikanischen Akzent – an dieser Stelle der Hinweis, dass der Synchronsprecher Louis Prima nicht afroamerikanischer Herkunft war. Disney lässt auf diese Art und Weise der audiovisuellen Darbietung, die durch Gesten primitiv erscheinenden Affen mit afroamerikanischen Menschen assoziieren. King Louie betont im sich schnell in einen Ohrwurm entwickelnden Lied mehrfach den Wunsch, zivilisierter zu sein und bestärkt somit das rassistische Stereotyp einmal mehr, unzivilisiertes Verhalten und fehlende Kompetenz mit schwarzen Menschen zu verknüpfen. In Dumbo (Ben Sharpsteen, USA 1941) hingegen singen schwarze Arbeiter „Wenn andere ins Bett gehen, schuften wir uns ab, bis wir sterben“, jedoch nicht etwa sich über die Umstände beschwerend, sondern in einem fröhlichen Tonfall mit heiterer Melodie, was als eindeutige Verharmlosung von Sklavenarbeit verstanden werden kann und auf koloniale Strukturen verweist. Interessant ist an dieser Stelle, dass die deutsche Synchronisation inhaltlich dramatischer erscheint; im Englischen heißt es hingegen: „When we get our pay, we throw our money all away.“ – hier wird den arbeitenden schwarzen Menschen ein kompetenter Umgang mit Geld abgesprochen. 

4. Umgang mit Kolonialismus

Ebenfalls zeigt sich ein filmisches Aufgreifen von Kolonialismus zum Beispiel in Pocahontas (Mike Gabriel, Eric Goldberg, USA 1995) und Peter Pan (Hamilton Luske, Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, USA 1953). Während in Pocahontas die Synchronstimmen von Native Americans im Original gesprochen wurden, wurde hingegen der Inhalt der Erzählung in historischer Sicht faktisch falsch wiedergegeben und idealisiert, was für Kritik sorgte und zum Vorwurf der Geschichtsverfälschung führte[9]. Die Konfliktparteien, kolonialistisches Gedankengut durchzusetzen versuchende Engländer und amerikanische Ureinwohner, werden deutlich gegenübergestellt und bekämpfen sich innerhalb der Handlung gegenseitig, sodass das Konzept des Kolonialismus negativ konnotiert wird. Meiner Auffassung nach tritt jedoch die idealisierte Liebeserzählung von Pocahontas und John Smith zu sehr in den Vordergrund, sodass die koloniale Geschichte Amerikas heruntergebrochen wird. Ein stereotypes rassistisches Klischee der Ureinwohner wird visuell aufgegriffen, indem ihre Haut rötlich animiert ist. Auffällig und ebenfalls problematisch ist, dass die Protagonistin Pocahontas in etwas hellerer Haut dargestellt wird und wie viele weibliche Disney-Figuren sexualisiert wird. In Peter Pan werden in der Handlung ebenfalls Indigene durch eine rote Hautfarbe und die Bezeichnung als „Rothäute“ rassifiziert. Ein weiteres Beispiel für die koloniale Darstellung einer Figur lässt sich in Tarzan (Kevin Lima, Chris Buck, USA 1999) finden. Der Kolonialismus findet sich in der Inszenierung der menschlichen Figur Tarzans insofern wieder, als dass jener am Ende der Erzählung Anführer der Affengruppe wird, die ihn großgezogen hat. Er hat von ihnen profitiert und sie dennoch in Gefahr gebracht, da er den Forscher Mr. Porter, seine Tochter, spätere Geliebte Tarzans, Jane und den Jäger Clayton zu den Affen geführt hat, wobei bei letzterem das kolonialistische Gedankengut am deutlichsten wird und in einem Kampf mit den Affen mündet. Offensichtlich durch die Tatsache, dass es sich um britische Figuren handelt, und wenn wir die Affen ähnlich wie schon im Dschungelbuch als „colonized natives“[10] verstehen, ergibt sich der koloniale Kontext. Dadurch, dass Jane, ihr Vater und Tarzan bei den Affen bleiben und insbesondere letzterer zum Anführer der Gruppe wird, ergibt sich eine koloniale Kontinuität im vermeintlichen Happy End, da der inszenierte Bösewicht Clayton gestorben ist. Jene Kontinuität ergibt sich im Ausblick auch dadurch, dass mögliche Kinder von Tarzan und Jane die Führungsposition innerhalb der Affengruppe mit größter Wahrscheinlichkeit einnehmen würden. Dadurch, dass die Erzählung lokal-geographisch und temporal nicht genau umrahmt wird[11], sich jedoch eindeutig aus einer westlichen Perspektive heraus entwickelt – und im bekannten Stil Disneys zum wiederholten Male mit Tierfiguren statt menschlichen, verschiedenen Kulturen zugehörigen, Figuren gearbeitet wird, mag der Vorwurf dieser kolonialen Darstellung entkräftigt werden, obgleich er so offensichtlich scheint.

5. Aufarbeitung

Nach einer analytischen Umrahmung der verschiedenen rassistischen Darstellungsformen von Figuren, die Stereotype bekräftigen und dahingehend zur Verfestigung von rassistischen Vorurteilen führen können, stellt sich die Frage, inwiefern jene zutiefst falsche und diskriminierende Formen vom Konzern Disney aufarbeitet werden. Wenn Menschen mit rassistischem filmischem Material aufgewachsen sind, sollten sie darüber informiert werden, denn als Kinder werden wir von den uns emotional affizierenden Filmen auf eine gewisse Art und Weise geprägt und können Informationen über beispielsweise Weltanschauungen diesen Formaten entnehmen, was insbesondere dann gefährlich ist, wenn unbewusst rassistische Bilder verinnerlicht werden und somit theoretisch weiter projiziert werden können.

Seit 2019 wird auf der Streaming-Plattform Disney+ vor bestimmten Filmen, wie unter anderem Aristocats, Das Dschungelbuch, Dumbo und Peter Pan, ein warnender Hinweis vor Beginn des Vorspanns eingeblendet, der auf rassistische Darstellungen verweist und jene als falsch einstuft. Im Englischen lautet dieser:

„This programme includes negative depictions and/or mistreatment of people or cultures. These stereotypes were wrong then and are wrong now. Rather than remove this content, we want to acknowledge its harmful impact, learn from it and spark conversation to create a more inclusive future together. Disney is committed to creating stories with inspirational and aspirational themes that reflect the rich diversity of the human experience around the globe. To learn more about how stories have impacted society visit: www.Disney.com/StoriesMatter”.

Seit Januar 2021 haben Kinderprofile, für alle User:innen unter 12 Jahren, keinen Zugriff mehr auf all die Filme, die mit einer solchen Warnung ausgestattet sind. Es lässt sich diskutieren, ob die Filme komplett aus dem Sortiment genommen werden oder nur mit warnenden Hinweisen versehen werden sollten. Meiner Auffassung nach war die Entscheidung, jene Filme für Kinderprofile zu sperren, vernünftig und notwendig. Kinder werden so davor geschützt, rassistische Darstellungen und diskriminierende Werte unbewusst aufzunehmen und anschließend selbst zu reproduzieren. Zusätzlich werden sie davor geschützt, selbst Diskriminierungserfahrungen beim Sichten der Filme zu durchleben. Die Filme mit Warnungen zu versehen und für Jugendliche und Erwachsene weiterhin zur Verfügung zu stellen empfinde ich als richtig und äußerst wichtig, um die historische Aufarbeitung weiter in Gang zu setzen, Fehler klar zu benennen und den Zuschauer:innen eine Selbstreflektion im Sehprozess zu ermöglichen. Außerdem ist es wichtig, eine Art der Triggerwarnung zu geben, damit von Diskriminierungsmustern betroffene Personen selbst entscheiden können, ob sie das Material sichten wollen oder sich bewusst vor einer Konfrontation schützen wollen.

Meinem Eindruck nach bemüht sich Disney, rassistische Darstellungen als falsch zu benennen und genau zu erklären, beispielsweise wird auf der verlinkten Internetseite genaueres zu Peter Pan verfasst:

­„The film portrays Native people in a stereotypical manner that reflects neither the diversity of Native peoples nor their authentic cultural traditions. It shows them speaking in an unintelligible language and repeatedly refers to them as „redskins,“ an offensive term. Peter and the Lost Boys engage in dancing, wearing headdresses and other exaggerated tropes, a form of mockery and appropriation of Native peoples‘ culture and imagery”.

Das Unternehmen Disney sensibilisiert für sein eigenes Fehlverhalten, indem es selbstreflektierend seine Diskriminierungsmechanismen aufarbeitet und inhaltlich transparent in den neuen Produktionen darauf achtet, diversen Repräsentationen von Minderheiten Raum zu geben, die strukturell nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft entsprechen und ein Identifikationspotenzial mit sich tragen. Zwei recht aktuelle Animationsfilmbeispiele, die ich positiv hervorheben möchte sind Vaiana (Ron Clements, John Musker, USA 2016), welcher 2017 für den Oscar als bester Animationsfilm nominiert wurde, und Raya und der letzte Drache (Don Hall, Carlos López Estrada, USA 2021). In beiden Filmen steht eine weibliche, Protagonistin of Colour im Vordergrund, die selbstbewusst Abendteuer erlebt, ohne auf männliche Nebenfiguren angewiesen zu sein. Das großer Wert auf Diversität gelegt wird, zeigt sich nicht nur in den animierten Figuren, sondern auch in der Besetzung der Sprechrollen. So spricht beispielsweise die gebürtige Hawaiianerin Auliʻi Cravalho die Figur der Vaiana. Der nach ihrer Figur benannte Film wurde auch auf Tahitianisch, einer polynesischen Sprache, synchronisiert, da der filmische Handlungsort auf einer polynesischen Insel lokalisiert ist. Die Regisseure haben in der Vorproduktion kulturell, historisch und mythologisch direkt vor Ort intensiv recherchiert, um einen authentischen Film zu produzieren[12]; im Gegensatz zu ihrer Arbeit für Aladdin, haben sie ihren Horizont umfassend erweitert.

6. Fazit und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Unternehmen Disney seit seiner Entstehung zahlreiche Filme veröffentlicht hat, die rassistische Stereotype audiovisuell darstellen. Viele aus dem vergangenen Jahrhundert stammende Klassiker beinhalten solche Formen der Diskriminierung bestimmter Gruppen, genauer gesagt, Minderheiten in einer weiß-positionierten Mehrheitsgesellschaft. Die technischen Möglichkeiten der Animationen bieten einerseits Chancen als auch Probleme: aktuelle Projekte zeigen die detaillierte Repräsentation von Minderheiten mit Identifikationspotenzial für das Publikum, andererseits wurden in der Vergangenheit vorwiegend Tierfiguren zu rassistischen Zwecken instrumentalisiert, um beispielsweise bestimmte Bevölkerungsgruppen, bestimmte Kulturen, deutlich voneinander abzugrenzen und kolonialen Strukturen Raum zu geben. Früher habe ich nie verstanden, warum in Das Dschungelbuch Mogli am Ende nicht mit seinen tierischen  Freunden aus dem Dschungel sein Leben verbringen kann, sondern ins Menschendorf zieht. Heute verstehe ich, dass aufgrund der sich durch den gesamten Film so deutlich durchziehenden rassistischen Strukturen von den Produzierenden des Konzerns genau das gewollt zu sein scheint – nämlich klare Grenzen zwischen aufgrund ihrer kulturellen Identität als verschieden angesehenen Individuen zu ziehen. Derartige Darstellungen zu vermitteln ist für eine Gesellschaft mit allen ihren Mitglieder:innen äußerst gefährlich und im Nachhinein schockiert es mich, dass ich durch das Singen von Liedern aus diesem Film unbewusst rassistische Inhalte reproduziert habe. Meinen eigenen Kindern werde ich diese Filme mit rassistischem Inhalt nicht zeigen, für eine historische Einordnung sind sie jedoch für Erwachsene wichtig.

Ich wünsche mir, dass Disney noch umfassender kontinuierlich an der Aufarbeitung derartiger Inhalte arbeitet und weiterhin neue Erzählungen produziert, die viel Wert auf Diversität legen – gerade weil die Filme global einen solchen Erfolg verzeichnen, ist es wichtig, sich als mediales Unternehmen bewusst zu sein und immer wieder daran zu erinnern, in welcher Verantwortung man selbst steht.

7. Literaturverzeichnis

Anon (2001). The Return of the Empire: Representations of Race, Ethnicity and Culture in Disney’s Tarzan and The Jungle Book, and in the Burroughs and Kipling.

Byrne, Eleanor & McQuillan, Martin (1999). Deconstructing Disney. London: Pluto Press.

Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION.

Giroux, Henry & Pollock, Grace (2010). The mouse that roared. Disney and the end of  innocence. Lanham: Rowman & Littlefield.

Kilpatrick, Jacquelyn (1999). Celluloid Indians. Native Americans and film. Lincoln: University of Nebraska Press.

Internetquellen

https://www.statista.com/topics/1824/disney/#topicOverview. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer   rassismus-in-deutschland/. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

https://storiesmatter.thewaltdisneycompany.com. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).

https://www.deutschlandfunkkultur.de/disney-animationsfilm-vaiana-die-prinzessin-die-diewelt-100.html. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).

Filmographie

Aladdin (John Musker, Ron Clements, USA 1992).

Aristocats (Wolfgang Reitherman, USA 1970).

Das Dschungelbuch (Wolfgang Reitherman, USA 1967).

Dumbo (Ben Sharpsteen, USA 1941).

Peter Pan (Hamilton Luske, Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, USA 1953).

Pocahontas (Mike Gabriel, Eric Goldberg, USA 1995).

Raya und der letzte Drache (Don Hall, Carlos López Estrada, USA 2021).

Susi & Strolch (Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1955).

Tarzan (Kevin Lima, Chris Buck, USA 1999).

Vaiana (Ron Clements, John Musker, USA 2016).


[1] Kilpatrick, Jacquelyn (1999). Celluloid Indians. Native Americans and film. Lincoln: University of Nebraska Press. S. 154.

[2] Vgl.: Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION. S.31.

[3] Vgl.: https://www.statista.com/topics/1824/disney/#topicOverview. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

[4] Vgl.: ebd.

[5] Vgl.: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland/. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

[6] Vgl.: Byrne, Eleanor & McQuillan, Martin (1999). Deconstructing Disney. London: Pluto Press.

[7] Vgl.: Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION. S.32.

[8] Vgl.: ebd.

[9] Vgl.: ebd. / Vgl.: Giroux, Henry & Pollock, Grace (2010). The mouse that roared. Disney and the end of innocence. Lanham: Rowman & Littlefield.

[10] Anon (2001). The Return of the Empire: Representations of Race, Ethnicity and Culture in Disney’s Tarzan and The Jungle Book, and in the Burroughs and Kipling, S, 7.

[11] Vgl.: ebd., S.12.

[12] Vgl.: https://www.deutschlandfunkkultur.de/disney-animationsfilm-vaiana-die-prinzessin-die-die-welt-100.html. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).


Quelle: Tilde Funk, Global-mediale Verantwortung und Aufarbeitung rassistischer Darstellungen in Disney-Klassikern, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 23.01.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=434

Frauen in Konflikt- und Kriegssituationen: Beiträge, Herausforderungen und Potentiale.

Anwendung auf das Beispiel Ruanda und den Völkermord 1994

Paula Härtge (SoSe 2023)

Einleitung

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird zur Frau gemacht.”

Mit diesen Worten beschreibt Simone de Beauvoir, dass das soziale Geschlecht ein Konstrukt ist, dem gesellschaftliche Ideale und Überzeugungen zugrunde liegen. Frauen weltweit versuchen, ihren Alltag innerhalb dieses Konstrukts zu gestalten und immer wieder gibt es Bestrebungen, das Konstrukt aufzulösen. Doch auch 2023 zeigt der Global Gender Gap Report, dass die Lücke zur Parität erst um 68,4% geschlossen ist und wenn sich der Fortschritt im aktuellen Tempo weiterentwickelt, wird die Welt erst in 131 Jahren paritätisch sein.[1]

In Konflikt- und Kriegssituationen ändern sich Lebensrealitäten enorm, Normen und Werte verschieben sich. Dies wirkt sich auch auf die Alltagserfahrung von Frauen aus. Diskriminierung ihnen gegenüber verstärkt sich, sie sind verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt und agieren dennoch sowohl als Täterinnen und Opfer. Anhand des Völkermords in Ruanda, der sich 1994 ereignete und das Land in Schrecken zurückließ, wird in der folgenden Arbeit analysiert, wie Frauen Konfliktsituationen erleben und wie sich dies auf langfristige politische Entwicklungen auswirkt. Dem Konflikt wird besondere Bedeutung beigemessen, da das Land in den folgenden Jahren eine Vorbildfunktion hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit einnahm.

In der folgenden Arbeit geht es primär um Frauen, deren Rolle oft pauschalisiert betrachtet wird. Das Bewusstsein darum, dass Frauen keine homogene Gruppe sind, lag dieser Pauschalisierung stets zugrunde und wo möglich wurden Konkretisierungen vorgenommen. Für den Völkermord in Ruanda existieren nahezu keine Daten zu der Rolle von INTA*-Personen, weshalb eine diesbezügliche Einordnung ungenau und spekulativ wäre. Wann immer möglich, wurde versucht, das Binaritätsprinzip aufzubrechen und Daten abseits dieses Konstrukts zu verwenden. Der Völkermord in Ruanda und geschlechtliche Gewalt in Kriegen allgemein sind sensible Themen, deren Lektüre belastend sein kann. In dieser Arbeit werden explizit Handlungen geschlechtlicher Gewalt sowie Mord thematisiert.

Definition gender

Um verstehen zu können, inwiefern der Aspekt der Geschlechtsidentität Auswirkungen auf Konfliktsituationen hat, muss dieser vorerst definiert werden.

Die Basis dessen ist die Unterscheidung zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht. Als soziales Geschlecht bezeichnet man die „gesellschaftlich geprägte […] und individuell erlernte […] Geschlechterrolle. Diese Geschlechterrolle wird durch die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Organisation einer Gesellschaft und durch die in ihr geltenden rechtlichen und ethisch-religiösen Normen und Werte bestimmt.“[2] Der Begriff des biologischen Geschlechts bezeichnet alle körperlichen, geschlechtsspezifischen Merkmale.[3] Obwohl die beiden Begriffe des biologischen und sozialen Geschlechts eng miteinander zusammenhängen, sind sie doch voneinander unabhängig. Beide sind per definitionem nicht eindeutig und vor allem wandelbar. Geschlecht wird als Spektrum verstanden und das Prinzip der Binarität wird in aktuellen Betrachtungsweisen immer weiter abgelegt.[4] Das Konzept gender ist ein hierarchisches und erzeugt Ungerechtigkeiten. Minderheiten sind so nicht nur jeden Tag verschiedensten Formen der Diskriminierung ausgesetzt, sondern auch expliziten Gefahren, wie zum Beispiel einem schlechteren Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Doch nicht nur der Zugang wird deutlich erschwert, auch Behandlungen sind oft geprägt von Fehldiagnosen oder dem Absprechen von Entscheidungskompetenzen.[5]

gender und Konfliktbearbeitung

Die Stereotypisierung des sozialen Geschlechts kann in allen Lebensbereichen wahrgenommen werden und dennoch lässt sich dezidiert feststellen, wie sich diese Annahmen in gesellschaftlichen Krisen und Konflikten verhärten. Moderne Kriegsführung lässt die Grenzen zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre verschwimmen und die Fragestellungen der Sicherheitspolitik werden auf verschiedene Bereiche erweitert.[6] So werden Themen wie Klimagerechtigkeit, Ressourcenschutz und soziale Gerechtigkeit als Teil einer funktionierenden Sicherheitsstrategie verstanden. Um diese Strategien kohärent verfolgen zu können, spielen zunehmend auch nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Akteure eine große Rolle, da sie eine andere Expertise einbringen können.[7]

So sehr der Blickwinkel verschiedener Sicherheitsstrategien erweitert wird, noch ist die Realität der Kriegsführung eine andere. So zeigt sich weiterhin, dass Kriegssituationen bereits bestehende geschlechtliche Ungerechtigkeiten und Diskriminierung verstärken. Zum Beispiel nimmt die häusliche Gewalt zu, während Frauen gleichzeitig deutlich mehr Care-Arbeit übernehmen. Trotzdem ist ihr Zugang zu humanitären Hilfen deutlich eingeschränkt.[8] „Flüchtende und Opfer sexualisierter Kriegsgewalt sind meist Frauen und Menschen der LGBTIQ+ Community. Transpersonen in Kriegssituationen werden meist nicht anerkannt und geschützt.”[9] Auch in Friedensprozessen werden Frauenrechte häufig als irrelevant abgetan und die von ihnen erlittene Gewalt wird nicht aufgearbeitet. Täter*innen geschlechtsspezifischer Gewalt müssen sich für ihre Taten meist nicht verantworten und haben so häufig auch keine Konsequenzen zu befürchten. Hinzu kommt, dass Frauen in Friedensprozesse selten aktiv einbezogen werden.[10] „In Friedensabkommen wird die Frage der geschlechtsspezifischen Verfolgung und Gewalt meist ausgeklammert und bei der Umsetzung der Abkommen weitgehend ignoriert.”[11]

Ruanda und die Rolle von Frauen nach dem Völkermord 1994

Konflikt

Als in Ruanda 1994 circa 3,5 Millionen Menschen einem Völkermord zum Opfer fielen, geschah dies nicht aus dem Nichts, sondern stellte die Eskalation eines langanhaltenden Konflikts dar. Der Völkermord ereignete sich in knapp hundert Tagen zwischen April und Juli 1994 und traf vor allem Angehörige der Bevölkerungsminderheit der Tutsi.[12] Der dem Völkermord zugrunde liegende ethnische Konflikt reicht bis weit in die Kolonialzeit zurück. Ruanda wurde von 1884 bis 1916 von Deutschland kolonialisiert, bis Belgien nach dem Ersten Weltkrieg die unterdrückende Kolonialmacht wurde. Beide Staaten übten eine rassistische Kolonialpolitik aus, welche die Tutsi-Minderheit als herrschende Klasse etablierte. Die Tutsi-Minderheit hatte sich als Krieger*innen und Viehzüchter*innen ausgezeichnet, während die Hutu, welche circa 90% der Bevölkerung ausmachten, von der Landwirtschaft lebten. Die künstliche Hervorhebung der Tutsi erzeugte unüberbrückbare soziale Spannungen.[13] Vor 1884 gab es zwischen beiden Kulturen gemeinsame Traditionen und Verbindungen, die ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugten. Doch die Einführung sogenannter Personalpapiere, welche die Unterscheidung verschriftlichte, zerstörte diese Bindungen nachhaltig.[14] Die bestehenden Machtverhältnisse änderten sich 1959 durch Hutu-Aufstände, in Folge welcher tausende Tutsi aus Angst vor gewaltvollen Konsequenzen flohen. So hatte sich die Situation, als Ruanda 1962 unabhängig wurde, gewendet und eine autoritäre Hutu-Elite beherrschte das Land. Nicht alle Tutsi nahmen diese Machtumkehr stillschweigend hin und so formierte sich im burundischen Ausland ein Widerstand. 1972 kam es dort zu Massakern, bei welchen circa 300.000 Hutu starben. Als Folge davon kam es 1973 zu einem Militärputsch in Ruanda, bei dem Hutu Juvénal Habyarimana an die Macht kam. Dies ließ erst eine Hutu-Rachefeldzug vermuten, welcher entgegen aller Erwartungen jedoch ausblieb. Nach Drängen aus dem Ausland versuchte der neue Machthaber ein Proporzsystem einzuführen. Da die beiden Volksgruppen zu tief verfeindet waren, scheiterte der Versuch.[15]

Der Tutsi-Widerstand organisierte sich fortlaufend im Ausland und im benachbarten Uganda gründete sich die „Front Patriotique Rwandaise“ (FPR). Nach Ruanda kehrten sie 1990 als Kämpfer*innen zurück, um gegen das Regime vorzugehen. Sie eroberten dabei weite Teile des Nordens und stießen bis in die Landeshauptstadt vor. Unter ihnen befanden sich auch oppositionelle Hutu-Kämpfer*innen, was verdeutlicht, wie kompliziert die Situation und wie tief die Gräben zwischen den beiden Völkern waren.[16] „Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Arusha (Tansania) im August 1993 schien der Bürgerkrieg vorerst beendet. Das Abkommen sah unter anderem eine breit angelegte Übergangsregierung unter Einbeziehung der RPF sowie die Einführung eines Mehrparteiensystems vor.”[17] Daraufhin beschloss der Sicherheitsrat der UN die Resolution 872, um bei der Stabilisierung des Landes zu helfen. Diese Resolution erteilte jedoch keine Legitimation für ein militärisches Eingreifen. Radikale Hutu akzeptierten diese Resolution aber nicht, sie radikalisierten sich stattdessen weiter und gründeten Milizen. Der Rassenhass wurde immer weiter angeheizt, insbesondere durch Radiosendungen, in denen die Tutsi-Minderheit diffamiert wurde. Doch auch öffentliche Todeslisten führender Tutsi waren tägliche Praxis der Diskriminierung.[18] Als konkreter Auslöser des Völkermordes wird der Abschuss des Flugzeugs von Machthaber Habyarimana gewertet. Als direkte Konsequenz wurden bereits eine halbe Stunde später moderate Hutu-Politker*innen und zahlreiche Tutsi ermordet. Diese Mordserie nahm in den folgenden hundert Tagen Fahrt auf und die Weltbevölkerung sah zwischen April und Juni 1994 zu, wie fast die gesamte Minderheit der Tutsi und zahlreiche gemäßigte Hutu ermordet wurden.[19] Der Genozid endete, nachdem es der RFP gelang, ganz Ruanda zu erobern. Daraufhin wurde eine Übergangsregierung gegründet, maßgeblich bestehend aus Bizimungu, einem Hutu, als Präsident und Paul Kagame, einem Tutsi und Anführer der RPF, als Vizepräsident. [20]

Das Land war zerrüttet und die Aufarbeitung des Völkermordes dauert bis heute an. Da besonders Frauen von Gewalttaten betroffen waren, gründeten sich unterstützende Netzwerke. Die Frauen bekommen dort Unterstützung bei der Gesundheitsvorsorge, der Traumaverarbeitung und bei der Erfahrung aktueller sowie vergangener Gewalt.[21]

Geschlechtliche Gewalt während des Völkermords

Der Völkermord versetzte ein ganzes Land in Angst und Schrecken, die Einwohner*innen wurden Zeug*innen eines unvergleichlichen Blutbades. Während ehemals Verbündete zu Feind*innen wurden, fürchteten Tutsi um ihr Leben. Doch gerade in den ersten Tagen der Gewalteskalation wähnten sich viele Tutsi-Frauen in Sicherheit, da bei vergangenen Pogromen meist ausschließlich Tutsi-Männer angegriffen wurden. Diese falsche Einschätzung hatte verheerende Folgen, denn die Frauen entschieden sich sehr spät, ihre Häuser zu verlassen.[22] Auf ihrer Flucht werden viele Tutsi-Frauen nach Ausweisdokumenten gefragt, deren Herausgabe sie meist kollektiv verweigern. Die dem zugrunde liegende Hoffnung, nicht als Tutsi identifiziert werden zu können, wird zuhauf durch eine stereotype Zuordnung aufgrund physiognomischer Merkmale zunichte gemacht.

So müssen tausende Frauen schwere Vergewaltigungen ertragen, bei denen die Penetration oftmals auch durch Gegenstände wie abgeschlagene Flaschen erfolgt. Die Täter[23] lassen die Frauen schwer verletzt zurück, nicht selten werden Genitalien verstümmelt und Brüste oder Nasen abgeschnitten.[24]

Abgesehen von den direkten, schweren Verletzungen müssen die circa 500.000 Opfer der Vergewaltigungen noch viele langfristige Schäden erleiden. Viele von ihnen sind schwer traumatisiert, der Zugang zu psychologischer Hilfe wird ihnen jedoch auch nach 1994 oft verwehrt. Außerdem infizieren sich viele Frauen mit HIV. Die vielen Kinder, die aus den Vergewaltigungen hervorgingen, werden als „vergessene Opfer” des Völkermordes bezeichnet. Sie müssen sich nicht nur der Stigmatisierung der Gesellschaft aussetzen, sondern haben oftmals ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihren Müttern. Da sie in den meisten Fällen nach 1994 geboren sind, wird ihnen die staatliche Unterstützung zur Verarbeitung des Völkermordes nicht zuteil.[25]

Frauen als Täter*innen

Während Tutsi-Frauen Opfer unvorstellbarer Verbrechen wurden, beteiligten sich auch tausende Frauen als Täterinnen am Völkermord. Zwar gibt es keine Zahlen dafür, wie viele Frauen Gewaltverbrechen ausübten, doch der Anteil der weiblich Inhaftierten belief sich auf circa 6%. Die Dunkelziffer an Frauen, die nicht nur direkte körperliche Gewalt ausübten, sondern auch Verstecke verrieten oder zum Morden aufhetzten, ist vermutlich deutlich höher.

Auch wenn die Anzahl der Täterinnen in verschiedenen Berichten stark variiert, wird meist deutlich: Der Großteil aller Täterinnen nahm eine führende oder Machtposition innerhalb der ruandischen Gesellschaft ein.

Die von den Frauen verübten Taten stehen im Widerspruch zu gängigen feministischen Theorien, die Frauen eine gewaltfreie Neigung zuschreiben. Es wurde also versucht, verschiedene Handlungsmotivationen der Frauen auszumachen. Die Antworten scheinen alle eindimensional und nicht alle Faktoren beachtend. So wird einigen Täterinnen ihr Frau-Sein abgesprochen, während andere Erklärungen die Täterinnen als Ungeheuer bezeichnen. Dabei wird sich darauf berufen, dass Frauen, die gegen Stereotype verstießen, keine richtigen Frauen sein könnten, weshalb sie Ungeheuer sein müssten. Außerdem ist oft die Sprache von männlicher Einflussnahme, welche die Frauen zu Täterinnen mache.[26] Es kann also keine alleinige Handlungsmotivation festgestellt werden. “Sowohl der Versuch, [das] Verhalten [der Frauen] zu entschuldigen, als auch, es als Bruch der üblichen Geschlechterrollen zu verurteilen, führt zu einem stereotypen Frauenbild und wird der Vielschichtigkeit, in der Frauen Gewalt erfahren und ausüben, nicht gerecht.”[27]

Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung

UN Sicherheitsresolution 1325

Der Völkermord in Ruanda hinterließ viele Frauen mit schweren Traumata, deren Folgen weitreichend sind. Dennoch gibt es in der feministischen Forschung immer wieder Stimmen, welche die zeitlich folgenden progressiven Entwicklungen direkt mit dem Völkermord verbinden. Denn erstmals erkannte die Weltbevölkerung geschlechtsspezifische Gewalt als ein Kernelement der Kriegsführung gegenüber der Zivilgesellschaft an. So wurden auf der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking Frauen in bewaffneten Konflikten zum zentralen Thema gemacht. Anschließend forderte der UN-Botschafter Anwarul Chowdhury aus Bangladesch, dass sich auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Thema auseinandersetzen müsse. Eine Resolution des Sicherheitsrats ist vor allem deswegen entscheidend, da sie völkerrechtlich bindend ist. Auf den Vorschlag Chowdhurrys hin formulierten mehrere NGOs und Kanada einen Gesetzesentwurf, der nach intensiver Lobbyarbeit schließlich abgestimmt wurde. Seit dem 31. Oktober 2000 sind somit die Rechte von Frauen explizit niedergeschrieben und rechtlich bindend.[28]

„Wesentliche Elemente der Resolution 1325 sind der besondere Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten sowie die Stärkung der Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen und Institutionen bei der Bewältigung und Verhütung von Konflikten.”[29] Dabei wird anerkannt, dass Frauen in Konflikten nicht nur Opfer sind, sondern sie auch einen aktiven Beitrag in friedensschaffenden Prozessen leisten.[30]

Frauenrechte in Ruanda heute

Zwei Jahrzehnte nach dem Völkermord wurde Ruanda häufig als sehr fortschrittliches Land hinsichtlich der Gleichberechtigung bezeichnet und verdiente sich Beinamen wie “Paradies für Frauen”. Das lag vor allem an der 2005 gesetzlich eingeführten Quotenregelung, die Frauen mehr Führungspositionen ermöglichen sollte. Diese erwies sich als erfolgreich und so waren 2019 61,3% des Parlaments weiblich besetzt. Insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure (vor allem Menschenrechtsorganisationen) kritisierten jedoch die vermeintliche Progressivität des Landes und taten sie als reine Symbolpolitik ab.[31] Der größte Kritikpunkt ist dabei die Diskrepanz zwischen öffentlicher und privater Rolle der Frau. Während Frauen in öffentlichen Positionen nicht nur repräsentative Macht haben, sind im häuslichen Umfeld patriarchale Strukturen fest verankert. Es wird als gegeben vorausgesetzt, dass Frauen die Care-Arbeit erledigen, während Männer als unbestrittenes Familienoberhaupt angesehen werden.[32] Im jüngsten Global Gender Gap Report (2023) zeigt sich zudem, dass das Land auf dem Weg zur Parität Rückschritte macht. Während Ruanda im Vorjahr noch Platz 6 der 146 bewerteten Länder belegte, liegt es 2023 nur noch auf Platz 12. Begründet ist dieser Rückschritt vor allem in der Covid-Pandemie und ihren wirtschaftlichen sowie sozialen Auswirkungen.[33] Der Sustainable Development Report postuliert bei SDG 5[34], dass bei diesem Ziel weiterhin signifikante Herausforderungen bestünden, der Wert verbessere sich jedoch.[35]

Fazit

Frauen werden zu Frauen[36] gemacht, auch und gerade in Konflikt- und Kriegssituationen. Diese stellen Frauen vor besondere Herausforderungen. Abgesehen von im Krieg üblichen Gefahren, sind Frauen starker Diskriminierung ausgesetzt. Meist haben Frauen auch abseits von Krisensituationen eine niedrige soziale Stellung, weshalb sie die Auswirkungen von Kriegen in besonderer Härte erleben müssen. Bereits gängige und veraltete Rollenbilder werden verstärkt gelebt und Frauen müssen sich diesen unterordnen. Die größte Gefahr für Frauen stellt geschlechtliche Gewalt dar. Frauen erfahren nicht nur massive körperliche Verletzungen, sondern werden auch psychisch erniedrigt. Der Einsatz geschlechtlicher Gewalt erfolgt oft systematisch und die betroffenen Frauen haben kaum Widerstandsmöglichkeiten.[37]

Insbesondere nach Kriseneskalationen muss das Augenmerk in friedensfördernden Prozessen auch auf der Geschlechtergerechtigkeit liegen. Ruanda kann hier als Positivbeispiel dienen: Trotz der unvergleichbaren Gewalt, der Frauen ausgesetzt waren, nahm das Land eine Vorreiterrolle hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit ein und konnte schnell enorme Fortschritte verzeichnen. Auch Jahrzehnte nach dem Völkermord gibt es politische Programme, die dem Erreichen der Geschlechtergerechtigkeit dienen. Dennoch muss an dieser Stelle auch betont werden, dass in Ruanda allen positiven Entwicklungen zum Trotz auch Jahre nach dem Völkermord noch ungerechte Gesellschaftsverhältnisse herrschen, in denen geschlechtliche Diskriminierung Gang und Gäbe ist. Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig von Menschenrechtsverletzungen. So lässt sich zwar sagen, dass Frauenquoten und weibliche politische Teilhabe das politische Geschehen maßgeblich ändern – doch um Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich zu erreichen, müssen auch gesellschaftliche Strukturen gewandelt und Stereotype aufgebrochen werden.

Frauen werden in Kriegen zu Frauen gemacht. Neben besonderen Gefahren bedeutet das auch, dass Frauen friedensfördernde Prozesse anstoßen und insbesondere nach Krisensituationen zur Erstellung rechtlicher Leitlinien beitragen.

Literaturverzeichnis

Internetquellen

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Literaturquellen

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Jana Arloth Frauke und Lisa Seidensticker, Hrsg.: Deutsches Institut für Menschenrechte: Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen. Berlin, 2011, S.10


[1] vgl. Hrsg.: World Economic Forum, Global Gender Gap Report. 2023,  S. 5 https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2023.pdf (02.08.2023)

[2] Arne Wiechman: gender. In: Lexikon der Entwicklungspolitik, o.A. https://www.bmz.de/de/service/lexikon/gender-14414 (28.07.2023)

[3] vgl. Arn Sauer, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Geschlecht, biologisches, 2018 Geschlecht, biologisches | Geschlechtliche Vielfalt – trans* | bpb.de (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[4] vgl. Dagmar Richter:  Gender in Bildungsthemen, 19.03.2015 https://www.bpb.de/lernen/politische-bildung/193100/gender/ (letzter Zugriff: 28.07.2023)

[5] vgl. o.A.: gender and health, in: Overview, o.A. Gender (who.int) (letzter Zugriff: 28.07.2023)

[6] vgl.Anne-Sophie Friedel: Editorial, Moderne Kriegführung, in: ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG. 35–36/2016. S. 3 https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/232975/moderne-kriegfuehrung/ (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[7] vgl. Robin Faißt (CARE Deutschland), Marieke Fröhlich (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit), Dr. Ines Kappert (Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-BöllStiftung: Annäherung an eine feministische Außenpolitik Deutschlands. 2022 https://www.frauenrat.de/wp-content/uploads/2022/08/E-Paper-Feministische-Aussenpolitik-FINAL-Netzwerk-1325.pdf (02.08.2023)

[8] vgl.Hrsg.: UN Women and CARE International: RAPID GENDER ANALYSIS OF UKRAINE. o.A., 2022, S.7

[9] Victoria Scheyer und Simone Wisotzki: Feministische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung. 2022 Feministische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung – PRIF BLOG (02.08.2023)

[10] vgl. Hrsg.: Amnesty International: GEWALT GEGEN FRAUEN IN UND NACH BEWAFFNETEN KONFLIKTEN. o.A Frauenrechte: Gewalt gegen Frauen in und nach bewaffneten Konflikten — amnesty.ch (02.08.2023)

[11] Hrsg.: Amnesty International: GEWALT GEGEN FRAUEN IN UND NACH BEWAFFNETEN KONFLIKTEN. o.A. https://www.amnesty.ch/de/themen/frauenrechte/gewalt-gegen-frauen-im-krieg/gewalt-gegen-frauen-nach-dem-krieg (02.08.2023)

[12] vgl. Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)

[13] vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[14] vgl. Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)

[15] vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[16] vgl. vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[17] Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)

[18]vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[19]vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[20] vgl. Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)

[21] vgl.  Dörte Hinrichs: Der lange Weg zur Versöhnung. 2020 Ruanda nach dem Völkermord – Der lange Weg zur Versöhnung (deutschlandfunk.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)

[22] Hier muss betont werden, dass diese Fehleinschätzung keine Korrelation zur Verantwortung für alle folgenden Taten hat. Was den Tutsi-Frauen angetan wurde, ist unabhängig ihrer Handlungen zu bewerten und zu betrachten.

[23] Das generische Maskulinum wird hier bewusst verwendet.

[24] vgl. Karen Krüger: Die Vergewaltigung von Tutsi-Frauen im rwandischen Genozid 1994. In: Feministische Studien, Band 22, 2004, S. 282

[25] vgl. Eva de Vries: Ruandas “vergessene Opfer”. 2011 Ruandas „vergessene Opfer“ – DW – 10.08.2017 (02.08.2023)

[26] vgl. Nicole Hog: Frauen im Völkermord in Ruanda: Mütter oder Monster?. 2011 Frauen im Völkermord in Ruanda: Mütter oder Monster? | Heinrich-Böll-Stiftung (boell.org) (02.08.2023)

[27] ebd.

[28] vgl. Bettina Metz, Hrsg.: UN Women: Die Resolution 1325 mit der Agenda „Frauen, Frieden Und Sicherheit“,

 2021 Die Resolution 1325 mit der Agenda „Frauen, Frieden Und Sicherheit“ – !UN Women Deutschland (02.08.2023)

[29] ebd

[30]vgl. ebd.

[31] vgl. Antonio Cascais: Ruanda: Ein Paradies für Frauen?.  in: Deutsche Welle Politik, 2019. Ruanda: Ein Paradies für Frauen? – DW – 07.03.2019

[32] vgl. Marlene Eichhorn: RUANDA ALS VORBILD? WIE FREI IST DIE FRAU WIRKLICH?. In Zeitgeist.de, 2022. Ruanda als Vorbild? Wie frei ist die Frau wirklilch? – Zeitgeister – Internationale Perspektiven aus Kultur und Gesellschaft – Goethe-Institut  (letzter Zugriff: 02.08.2023)

[33] vgl. Hrsg.: World Economic Forum, Global Gender Gap Report, 2023,  S. 11 https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2023.pdf (letzter Zugriff: 02.08.2023)

[34] Die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) sind Teil der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Diese Agenda bildet den Rahmen für Umwelt- und Entwicklungspolitik weltweit. Ziel 5 der Agenda ist das Erreichen der Geschlechtergerechtigkeit. (vgl. Jens Martens und Wolfgang Obenland: Globale Zukunftsziele für nachhaltige Entwicklung. 2017, S. 7)

[35] vgl. Jeffrey D. Sachs, Guillaume Lafortune, Grayson Fuller and Eamon Drumm: SUSTAINABLE DEVELOPMENT REPORT 2023 Implementing the SDG Stimulus Includes the SDG Index and Dashboards: 2023, S. 4 Sustainable Development Report 2023 (sdgindex.org)

[36] Auch in Kriegen sind Frauen keine homogene Gruppe. Die der Aussage zugrunde liegende These geht davon aus, dass Frauen anders an und in Kriegen leiden als Männer.  (vgl. Jana Arloth und Frauke Lisa Seidensticker, Hrsg.:  Deutsches Institut für Menschenrechte: Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen. Berlin, 2011, S.10)

[37] vgl. Jana Arloth Frauke und Lisa Seidensticker, Hrsg.: Deutsches Institut für Menschenrechte: Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen. Berlin, 2011, S.10


Quelle: Paula Härtge, Frauen in Konflikt- und Kriegssituationen: Beiträge, Herausforderungen und Potentiale, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 23.01.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=430

Anti-Genderist Paranoia in the Sunny State

Alexios Iliadis (S0Se 2023)

1.    Introduction

On the 24th of February 2022 the now infamous Parental Rights in Education Act (HB 1557), commonly referred to as the “Don’t Say Gay” law, was voted for in the state of Florida, signed by Governor Ron DeSantis on the 28th of March 2022 and came into effect on the 1st of July of that year (O’ Connor 2022). This law was expanded upon during April 2023 by the Florida Board of Education and it now encompasses all ages in primary and secondary education, with a bill affecting tertiary education being now in the works (Nietzel 2023 ; Williams 2023). As far as framing goes, HB 1557 was presented as a safeguard of parental decision rights in relation to their children’s upbringing and schooling, but as will soon become evident it is far more encompassing (Johnson n.d.).

This new law, however, must be seen in its cultural context, as another development in the wider attempt at rollbacks of LGBTQI+ rights in the US (Gabbatt, Pilkington, and Stein 2023). There is no denying that significant progress has been made in the last years regarding the promotion of LGBTQI+ rights, but at the same time a significant backlash can be observed. From bathroom access “controversies” to restricting children from competing in the sports teams they feel more comfortable in to banning gender-affirming medical care, conservative lawmakers have frequently tried to fight back against the traction won by the LGBTQI+ community (Mulhivill 2023) . While a holistic overview of all rollbacks is very much in order if one is to better understand how their cumulative impact will intersect and synergize, this text will highlight a single instance of such rollbacks, which will most likely create lasting negative effects on a new generation of Floridian children, teenagers and their respective communities, with Florida acting as a “pioneer” and with many other states like Texas and Montana following suit (Mulhivill 2023).

2.    Anti-Genderist Dogmatism

Nevertheless, it is still imperative to at least shortly review the general ideological dimension motivating this moral panic, before one delves into the content and possible impact of HB 1557. What one must first notice when summarizing this ideological movement is that it is a rather heterogeneous one, manifesting itself in a different manner in different societies. This is not to say that there are not some persistent similarities. Anti-genderism largely refers to a transnational movement, mainly consisting of but not limited to, right-wing and far right populists, conservatives, and Christian fundamentalists (Kováts 2017). Anti-genderism has also fostered in TERF (trans-exclusionary radical feminism) discourse since 2016 (Pearce, Erikainen, and Vincent 2020).

What does Anti-Genderism evangelize? In a nutshell, adherents of the anti-genderist ideology stand against what they conceive of as an overproportionate concession of rights to the LGBTQI+ community such as the equal standing of same-sex marriage, while at the same time positioning themselves against the proliferation of government gender related policies (e.g. race or sex based quota in job admissions), gender mainstreaming, gender studies, etc., in short against all that they perceive as promoting “gender ideology” (Wittenius 2023; Kováts 2017). Anti-genderist arguments are primarily derived from a combination of essentialist and theological (as the movement was greatly influenced by the Catholic church’s position on gender) arguments with regards to what gender actually “is” (Wittenius 2023). Anti-genderists generally subscribe to a binary and essentialist conception of gender. They conceive of gender, sexual orientation and reproduction as static, “natural” and unchangeable biological characteristics that one has from their birth. Gender is thus equated with biological sex in this ideological framework, an argument that has become antiquated by modern scientific discourse, as it is now largely accepted that gender resembles more a fluid spectrum than a static either/or (Tharp, n.d.).

The theological part of anti-genderism derives its argumentation mainly from the complementarian worldview, which is found in the dominant monotheistic religions, namely Judaism, Islam and Christianity. What complementarianism basically evangelizes is that God has made men and women ontologically equal but functionally different (Kuhar and Paternotte 2017). Men and women (and only men and women) are in this ideological framework destined for different responsibilities and functions, with men enjoying a higher place in social hierarchy, being designated as leaders and breadwinners, and with women being designated for auxiliary roles, meant to support and “complement” their male counterparts. Sexual activity is viewed in functional terms and is therefore acceptable only with the explicit goal of reproduction (Kuhar and Paternotte 2017).

The end effect of this ideology is to view anyone who does not neatly conform to the traditional conception of gender, sexual orientation and reproduction as abnormal, blasphemous and unnatural. Another prominent feature of this worldview is to paint the LGBTQI+ and feminist struggle as part of an elite conspiracy to limit freedom of speech and to impose foreign and unacceptable norms and values on a given population (Kuhar and Paternotte 2017).

3.    HB 1557’s Components

Having reviewed the main ideological trend lurking behind LGBTQI+ rollbacks around the world in general and in the US in particular, one can now better understand the broader context and motivation behind the introduction of the law and its subsequent implementation. Before we can move on to the impact of HB 1557 though, it is only logical to first unpack what the law specifically requires and how some of its more ambiguous parts have caused confusion and anxiety.

First and foremost, HB 1557 originally prohibited classroom instruction and discussion about sexual orientation or gender identity in all classrooms from kindergarten to the third grade, with the newest expansion ranging from kindergarten to the sixth grade (Williams 2023). Courtesy of its vagueness, a lot of teachers are experiencing a constant anxiety that even the mere mention of LGBTQI+ issues in classroom could land them in serious professional trouble. For example, teachers from Orlando have expressed fear that they will not be able to even discuss the brutal hate crime/mass shooting that took place in the Pulse gay nightclub in Orlando in 2016 and sent shockwaves across the world (Craig 2022).

In addition, since classroom discussion of LGBTQI+ issues, gender identity and sexual orientation is prohibited, selective book bans are a subsequent dangerous by-product of HB 1557, as books containing any content that can be perceived as being related to the above-mentioned subject can now, after the filing of a corresponding parental grievance, be removed from school libraries and curriculum. It is important to note here that critical race theory, or rather what the state regards as CRT, has also been dealt a similar blow (Moolten 2023).  From the sixth grade up to the 12th grade, reproductive health instruction is required to “be age-appropriate or developmentally appropriate for students in accordance with state standards”, with many voicing concerns over the ambiguity of the term “age-appropriate”, as it can obviously be quite freely interpreted (Williams 2023).

Echoing anti-genderist arguments, the bill furthermore demands that schools teach “that sex is determined by biology and reproductive function at birth; that biological males impregnate biological females by fertilizing the female egg with male sperm; that the female then gestates the offspring; and that these reproductive roles are binary, stable, and unchangeable.” (Singh 2023). 

Parents are furthermore to be notified about what healthcare services the school provides (for example psychological support for children experiencing gender dysphoria), while simultaneously reserving the right to deny these services to their children. While at first glance this may seem quite logical, one should keep in mind that with this new provision a child feeling gender dysphoria that may not have the support or even empathy of its family regarding its experience, now has basically nowhere to turn to for help, since the school can no longer act as a shelter for them (Williams 2023). Finally, the bill also explicitly targets the use of personal pronouns within the school grounds, prohibiting both teachers and students from using other pronouns than those assigned to them at birth (Geggis 2023).

4.    HB 1557’s Fallout

While the law has not been that long in effect, some studies and interviews regarding the law´s impact have already been conducted, painting a bleak picture for its possible consequences to the mental state and social standing of the LGBTQI+ community in Florida, as it is by the Governor’s own admission that he wants to wage war against anything “woke” (Kane and Davis 2023).

4.a)   Mental Health and Psychosomatic Implications

The law’s most deleterious effect that is well recorded in the related literature, can by no means be anything other than the excessive mental, emotional and in many cases psychosomatic burden placed on the LGBTQI+ community. It is already established that LGBTQI+ populations in general and youth in particular experience greater rates of mental duress, such as depression, anxiety and stress compared to the broader population, with laws such as HB 1557 acting as additional and amplifying stressors (Kline et al. 2022). Moreover, increased probability of self-harm and suicide among populations with a significant mental load is common with the implication for LGBTQI+ youth being clear (Madireddy 2020).

Furthermore, as instruction and discussion are effectively silenced and made taboo, fear of social rejection and anxiety on the side of students who either are LGBTQI+ themselves or have LGBTQI+ parents will be greatly exacerbated. Simultaneously, from the teacher’s standpoint, a violation of the HB 1557 law in any form may very well lead to a job loss, thereby creating a multilateral environment and culture of exclusion (Kline et al. 2022).

Stress, fear and anxiety experienced in a continuous and systematic manner are not without their very real bodily consequences, meaning that HB 1557 can negatively contribute to the development of chronic health problems for the Floridian LGBTQI+ community, such as cardiovascular disease, hypertension and overexposure to cortisol, which in its turn is related to a heightened probability of strokes and high blood pressure. Moreover, stress alleviation as an answer to the above-mentioned stressors, often comes in the form of tobacco and substance use, which in the case of the latter can exacerbate ongoing health crises, such as the fentanyl crisis and in the case of both be associated with a multitude of possible health complications such as pulmonary diseases (Perez 2022).  

The intersectional implications of HB 1557 are also diligently accounted for, with LGBTQI+ people of colour being in an even more precarious quagmire regarding their mental well-being, having to deal with broader systematic and diachronic oppression, in a society which is to this day heavily stratified with regards to race (Kline et al. 2022).

4.b)   Societal Standing

As hinted to above, HB 1557 will introduce a new wave of detrimental risks to the Floridian LGBTQI+ community with regards to its social standing. As already explained, LGBTQI+ parents or parents of LGBTQ+ youth have commented on the growing fear and insecurity they are experiencing. Many, who have access to such resources, are either considering leaving the state or sending their children to private schools thus also highlighting the classist implications of the law, as poorer families can seldom exercise such options (Goldberg 2023).

Moreover, state sponsored projects of LGBTQI+ exclusion, which this law almost explicitly is, can provide an encouraging basis for aggravated instances of teasing, bullying and in end effect hate crime violence (Hartman 2023). If the state basically states that being LGBTQI+ is abnormal and taboo, it is probable that younger children will internalize this and then, as children and teens most often do, externalize this in an aggressive manner. There is also a hidden synergy here, as LGBTQI+ children in need of psychological, emotional and even material support, whether with regards to experiencing bullying within school grounds or to being dismissed by their less tolerable families can now no longer turn to school authorities for help, in effect being left to fend for themselves (Hartman 2023).

More perniciously, HB 1557 sets an extreme legal precedent, as it lays a venomous foundation for sanctioned discrimination of specific groups, a fact, which should be most alarming to everyone and not simply the Floridian LGBTQI+ community, as spillover effects are to be seriously considered. Furthermore, many LGBTQI+ parents have already posed their concerns that they will in many cases be turned to second class citizens, being effectively framed as child groomers, with many fearing that the state may eventually even take away their children (Luterman 2022).

All this without being able to properly account for the invisible and not yet graspable long-term effects such a law may create.

5.    What now?

It is no overstatement that the LGBTQI+ community in the US and around the globe finds itself in a critical juncture, a most crucial crossroads, which in many ways will determine if all the forward momentum that was so painstakingly, gradually and through constant struggle won over the years will reverse course. While the situation is most definitely dire, not all is yet lost and the future is hardly written in stone.

The criticism drawn was more than widespread and the backlash immense. A series of lawsuits from LGBTQI+ advocacy groups was filed against the act while many professional organizations and labour unions condemned the act, such as the American Federation of Teachers (AFT 2022; Brown 2022). Quite importantly, many businesses also heavily criticised the act, most notably Disney, which has its mailing address in Florida and practically owns Florida’s most famous landmark, namely Disneyland, in its own special commercial district (Blair 2022).

At the same time anti genderist paranoia has indeed seeped deeper into the collective consciousness of Florida. In Florida HB 1557 inspired a wave of related law extensions, further negatively impacting the local LGBTQI+ community, while also leading the prelude to more sinister and impactful legal acts, such as the banning of gender affirming care for minors (Williams 2023). Alas, as mentioned above, this trend is not constrained to Florida but has found roots in all the US. As many as 15 states have introduced similar acts to HB 1557 in their respective state legislatures while a Republican did so on a federal level in the House of Representatives (Migdon and Simon 2022; Chmura 2022). While the ending of this saga is still elusive, if history is to illuminate any of its insights, it is that one shall not simply resign to their fate but rage against the dying of the light. From the Stonewall riots to the Gay Liberation March to even the establishment of the equal standing of same-sex marriage in many states, the LGBTQI+ community achieved what it achieved through solidarity and collective action.

6.    Literature

AFT. 2022. ‘AFT Condemns Signing of “Don’t Say Gay” Bill in Florida’. 2022. American Federation of Teachers. 28 March 2022. https://www.aft.org/press-release/aft-condemns-signing-dont-say-gay-bill-florida.

 Blair, Elizabeth. 2022. ‘After Protests, Disney CEO Speaks out against Florida’s “Don’t Say Gay” Bill’. NPR, 10 March 2022. https://www.npr.org/2022/03/08/1085130633/disney-response-florida-bill-dont-say-gay.

Brown, Danielle J. 2022. ‘LGBTQ Students, Parents, Advocacy Group Sue Florida over “Don’t Say Gay” Law’. Louisiana Illuminator (blog). 31 March 2022.

Chmura, Brooke. 2022. ‘US House Bill Proposes Prohibiting Use of Federal Funds for “sexual-Oriented” Materials for Children – JURIST – News’. Accessed 23 September 2023. https://www.jurist.org/news/2022/10/us-house-bill-proposes-prohibiting-use-of-federal-funds-for-sexual-oriented-materials-for-children/.

Craig, Tim. 2022. ‘As Fla. Lawmakers Push to Limit LGBTQ Discussions in Schools, Orlando Vows to Keep Teaching Its History’. Washington Post, 17 February 2022. https://www.washingtonpost.com/nation/2022/02/17/orlando-pulse-republican-lawmakers/.

Gabbatt, Adam, Ed Pilkington, and Chris Stein. 2023. ‘US Supreme Court Strikes Blow against LGBTQ+ Rights with Colorado Ruling’. The Guardian, 30 June 2023, sec. Law. https://www.theguardian.com/law/2023/jun/30/us-supreme-court-ruling-lgbtq-rights-colorado.

Geggis, Anne. 2023. ‘Gov. DeSantis Approves Restricting Pronoun Use in Schools, Expanding Book Challenge Powers’. Florida Politics – Campaigns & Elections. Lobbying & Government. (blog). 17 May 2023. https://floridapolitics.com/archives/612715-gov-desantis-approves-restricting-pronoun-use-in-schools-expanding-book-challenge-powers/.

Goldberg, A.E. 2023. Impact of HB 1557 (Florida’s Don’t Say Gay Bill) on LGBTQ+ Parents in Florida. Los Angeles, CA: The Williams Institute, UCLA School of Law.

Hartman, Christina. 2023. ‘Don’t Say Gay: How Laws Are Tools for Hate, Discrimination, and Violence’.

Johnson, Meredith n.d. ‚The Dangerous Consequences of Florida’s “Don’t Say Gay” Bill on LGBTQ+ Youth in Florida’.  Accessed 23 September 2023. https://www.law.georgetown.edu/gender-journal/online/volume-xxiii-online/the-dangerous-consequences-of-floridas-dont-say-gay-bill-on-lgbtq-youth-in-florida/.

Kane, Eileen, and Rochelle Anne Davis. 2023. ‘DeSantis’ “war on Woke” Looks a Lot like Attempts by Other Countries to Deny and Rewrite History’. The Conversation. 24 July 2023. http://theconversation.com/desantis-war-on-woke-looks-a-lot-like-attempts-by-other-countries-to-deny-and-rewrite-history-204884.

Kline, Nolan S., Stacey B. Griner, Malinee Neelamegam, Nathaniel J. Webb, Joél Junior Morales, and Scott D. Rhodes. 2022. ‘Responding to “Don’t Say Gay” Laws in the US: Research Priorities and Considerations for Health Equity’. Sexuality Research & Social Policy 19 (4): 1397–1402. https://doi.org/10.1007/s13178-022-00773-0 .

Kováts, Eszter. 2017. ‘The Emergence of Powerful Anti-Gender Movements in Europe and the Crisis of Liberal Democracy’. In Gender and Far Right Politics in Europe, edited by Michaela Köttig, Renate Bitzan, and Andrea Petö, 175–89. Cham: Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-319-43533-6_12.

Kuhar, Roman and David Paternotte. 2017. „Introduction“. Anti-Gender Campaigns in Europe:    Mobilizing against Equality. Rowman & Littlefield. ISBN 978-1-78660-001-1:

Luterman, Sarah. 2022. ‘LGBTQ+ Parents Fear Their Children Will Have to Hide Their Families at School under Florida’s “Don’t Say Gay” Bill’. PBS NewsHour. 28 March 2022. https://www.pbs.org/newshour/education/lgbtq-parents-fear-their-children-will-have-to-hide-their-families-at-school-under-floridas-dont-say-gay-bill.

Madireddy, Samskruthi, Sahithi Madireddy. 2020. Strategies for schools to prevent psychosocial stress, stigma, and suicidality risks among LGBTQ+ students. American Journal of Educational Research8(9), 659–667.

Migdon, Brooke and Madeleine Simon. 2022. ‘It’s Not Just Florida. 15 Other ‘Don’t Say Gay’-Style Bills Are Cropping up Nationwide’. Text. The Hill (blog). 19 February 2022. https://thehill.com/changing-america/respect/equality/594980-florida-isnt-the-only-state-with-a-dont-say-gay-bill-15/.

Moolten, Shira. 2023. ‘Book Bans Surged across the US in 2023. Florida Was the Blueprint’. The Oakland Press (blog). 22 September 2023. https://www.sun-sentinel.com/2023/09/22/book-bans-surged-across-the-u-s-in-2023-florida-was-the-blueprint/.

Mulvihill, Geoff. 2023. ‘Conflict over Transgender Rights Simmers across the US’. 2023. AP News. 28 April 2023. https://apnews.com/article/lgbtq-laws-states-gender-affirming-zephyr-fc2528326823c8232cb0aaa7ece0beab.

Nietzel, Michael T. 2023. ‘New Bill Latest Assault In Florida’s War On Higher Education’. Forbes. Accessed 31 August 2023. https://www.forbes.com/sites/michaeltnietzel/2023/02/25/new-bill-latest-assault-in-floridas-war-on-higher-education/.

O‘ Connor, Lydia. 2022. ‘Gov. Ron DeSantis Signs Florida’s “Don’t Say Gay” Bill Into Law’. HuffPost. 28 March 2022. https://www.huffpost.com/entry/ron-desantis-signs-dont-say-gay-bill-florida_n_6227adfbe4b004a43c10cb11.

Pearce, Ruth, Sonja Erikainen, and Ben Vincent. 2020. ‘TERF Wars: An Introduction’. The Sociological Review 68 (4): 677–98. https://doi.org/10.1177/0038026120934713 .

Perez, M.G. 2022. ‘Saving LGBTQ Lives from Drug Overdoses and Death’. KPBS Public Media. 12 July 2022. https://www.kpbs.org/news/local/2022/07/12/saving-lgbtq-lives-from-drug-overdoses-and-death.

Singh, Simrin. 2023. ‘Florida Bill Would Ban Elementary School Students from Learning about Menstruation‘ CBS News. 21 March 2023. https://www.cbsnews.com/news/florida-bill-ban-menstruation-education-elementary-school/.

Tharp, Angela. n.d. ‘Gender Spectrum Theory’.

Williams, Tom. 2023. ‚DeSantis Signs “Don’t Say Gay” Expansion and Gender-Affirming Care Ban’. NBC News. 17 May 2023. https://www.nbcnews.com/nbc-out/out-politics-and-policy/desantis-signs-dont-say-gay-expansion-gender-affirming-care-ban-rcna84698.

Wittenius, Marie. 2022. ‘The Transnational Anti-Gender Movement in Europe | Gunda-Werner-Institut | Heinrich-Böll-Stiftung’.  Accessed 4 September 2023. https://www.gwi-boell.de/en/2022/02/03/the-transnational-anti-gender-movement-europe.


Quelle: Alexios Iliadis, Anti-Genderist Paranoia in the Sunny State, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.12.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=425

Das kollektive Fremdeln

Wie Rassismus die Demokratie zersetzt

Melanie Appel (SoSe 2023)

1. Einleitung

Bis heute ist nicht geklärt, ob Angela Merkel in der Sommerpressekonferenz am 31. August 2015 in dem Bewusstsein vor das Mikrofon trat, dass ein Satz ihre Amtszeit – und vermutlich sogar sie selbst – überdauern wird. „Wir schaffen das.“ – lautete die Affirmation in die Gesellschaft und das Mantra der Bundesregierung. Jenes „Wir schaffen das“ bezog sich auf die Geflüchteten, die bis zu Angela Merkels Aufnahmezusage unter menschenunwürdigsten Bedingungen auf der sogenannten „Balkanroute“ zurückgehalten wurden und ausharren mussten. Dass Angela Merkel mit ihrem „Wir“ die deutsche Gesellschaft in ihre Selbstvergewisserung miteinschloss, deutet zweierlei an: erstens die Gewissheit darüber, dass das politische Gelingen von gesellschaftlicher Überzeugung abhängig ist. Zweitens die Sicherheit, dass die Politik fähig ist, funktionale Lösungen hervorzubringen. Schon früh deutete sich an, dass beide Annahmen auf ein weitreichendes „kollektives Fremdeln“ in der deutschen Gesellschaft trafen, das sowohl tiefsitzende Ressentiments und Ablehnung gegen die als „fremd“ empfundenen „Anderen“ reaktivierte als auch eine Zurückweisung von demokratischen Grundsätzen als Grundlage des politischen Handelns förderte. Diese gesellschaftlichen Reflexe sind jedoch keineswegs neu und auch nicht erst im Kontext der Fluchtbewegungen 2015 sichtbar geworden. Im Gegenteil: Rassistische Einstellungen sind schon immer fester Bestandteil einer kulturellen Identität, die sich über die Ausgrenzung bestimmter Menschengruppen in der Logik „zugehörig – nicht zugehörig“ definiert. Der Kolonialismus stand wie keine andere politische Idee für diese Ausnutzung von Macht, indem sich weiße Menschen durch die Herstellung von Unterdrückungsverhältnissen über ethnische Gruppen erhoben. Mitnichten hat sich bereits eine vollständige Dekolonialisierung eingestellt, nein: die kolonialen Kontinuitäten wirken fort. Für ein auf demokratischen Werten aufgebautes Gemeinwesen stellen Diskriminierungen basierend auf rassistischen Konzepten in vielerlei Hinsicht eine Bedrohung dar. Denn klar ist: sobald der gesellschaftliche Konsens über ein gleichberechtigtes, freiheitliches und solidarisches Miteinander erodiert, zerfällt gleichzeitig die Bereitschaft, allen Menschen die gleichen bürgerlichen und politischen sowie wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zuzugestehen. Eine Gesellschaft, die dazu übergeht, Menschen bestimmte Wertigkeiten zuzuschreiben, ist nicht länger in der Lage, eine friedvolle, gerechte und würdevolle Gemeinschaft zu organisieren – sie zerfällt in Einzelteile. Die Ebene, auf der sich diese Zersetzungsprozesse am ehesten nachweisen lassen, ist die politische. Durch ihre politischen Präferenzen, Einstellungen und Werte bringen Menschen ihre Vorstellungen über die Gesellschaft und die Politik zum Ausdruck. Sie sind deshalb ein verlässlicher Gradmesser für den gesellschaftlichen Zustand insgesamt. In diesem Abschlussessay werde ich die Erkenntnisse zu rassistischen Einstellungen in Deutschland mit ihren Auswirkungen auf die Demokratie zusammentragen und diskutieren.  

2. Bestandsaufnahme: Der gesellschaftliche Zustand

Als eine „Gesellschaft in der Dauerkrise“ ließe sich die Situation in Deutschland in wenigen Worten wohl am besten beschreiben. Es erschließt sich von selbst, dass multiple Krisenauswirkungen belastend auf die Gesellschaft wirken. Sozioökonomisch benachteiligte Gruppen leiden unter diesem Zustand ganz besonders und fühlen sich mehr denn je abgehängt und vernachlässigt. Aber auch die „gesellschaftliche Mitte“ ist von Sorgen und Unsicherheiten geprägt. In einem solchen Klima der Ängste und des Misstrauens gedeihen Vertrauensverlust und Rückzugstendenzen ins Private – es findet also eine Entfremdung sowohl von politischen als auch von gesellschaftlichen Prozessen statt. Im Ergebnis entsteht das gesteigerte Bedürfnis, verbliebene Privilegien einem limitierten Zugriff zu unterwerfen, um die Gruppe derer, die sich Ressourcen teilt, nicht weiter zu vergrößern. In historischer Betrachtung bedienen sich Menschen zur Erreichung dieses Ziels schon immer der Logik des gruppenbezogenen Ein- und Ausschlusses, über den festgelegt wird, wer Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Rechten hat und wem dies verwehrt bleibt. Die Einteilung von Menschen in bestimmte Gruppen kann entlang von unterschiedlichen Merkmalen erfolgen, wobei für dieses Essay das Distinktionsmerkmal der ethnischen Herkunft im Mittelpunkt stehen soll. Bezogen auf dieses Attribut entscheidet sich die Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit von Menschen anhand der Bewertung „[…] ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur, Herkunft oder Religion […]“[1]. Dass Rassismus Teil der deutschen Gesellschaft ist, belegen unterschiedliche Studien. So zeigt die „Mitte-Studie 2023“ der Friedrich-Ebert-Stiftung beispielsweise, dass 40 Prozent der Befragten der Aussage „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“ zustimmen.[2] Noch deutlicher drückt sich die Überhöhung der eigenen Nation gegenüber anderen Nationen in der Aussage „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ aus, welcher über 25 Prozent der Befragten zustimmen.[3] Die längsschnittliche Betrachtung erhärtet den Befund, dass rechtsextreme Einstellungen im Vergleich zu den Vorjahren weiter angestiegen sind. Die Fremdenfeindlichkeit erreichte in den Jahren 2022/2023 mit 16,2 % ihren Höchstwert und übertrifft den zweithöchsten Wert aus den Jahren 2018/2019 (8,7 %) damit fast um das Doppelte.[4] Ein manifestes rechtsextremes Weltbild lässt sich 2022/2023 bei 8,3 % der Befragten feststellen. Auch dieser Wert übertrifft alle Vorjahreswerte, die zwischen 2-3 % lagen.[5]                    
Zusammenfassend lässt sich also ein gesellschaftliches Auseinanderfallen konstatieren, das auf rassistischen Vorstellungen von Nation und Nationalität beruht. Die Konstruktion eines spezifischen „Deutschseins“ rechtfertigt die Abwertung von Menschen, die als „nichtdeutsch“ beurteilt werden. Sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene sind die Gefahren einer solchen Entwicklung offensichtlich. Für Individuen, die von Rassismus betroffen sind, resultieren daraus politische, soziale und ökonomische Nachteile sowie psychische und physische Gefährdungen. Zum Beispiel haben sie unter strukturellen Benachteiligungen im schulischen Kontext zu leiden, die sich negativ auf ihre Bildungschancen auswirken.[6] Des Weiteren sind sie Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt ausgesetzt. „Der Wohnungsmarkt ist einer der Lebensbereiche in dem Menschen mit (familiärer) Einwanderungsgeschichte am häufigsten aufgrund ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft oder Religionszugehörigkeit diskriminiert werden.“[7] Zuletzt ist auch ein Anstieg der gruppenbezogenen Hasskriminalität beobachtbar. Die Straftaten in diesem Bereich haben im Jahr 2022 gegenüber dem Jahr 2021 um 9,7 % zugenommen.[8] „2021 gab es demnach 10.501 solcher Straftaten, 2022 bereits 11.520.“[9]        
All diese Zahlen demonstrieren, dass Rassismus das Fundament der Gesellschaft angreift. Es entstehen Spaltungsdynamiken, die Hass, Hetze und Gewalt mit sich bringen. Sie machen außerdem deutlich, dass Demokratie längst keine Selbstverständlichkeit ist – aber dazu im nächsten Kapitel mehr.  

3. Folgenabschätzung: Die politischen Auswirkungen   

Politische Präferenzen, Einstellungen und Werte entwickeln sich nicht losgelöst vom sozialen Umfeld und den gesellschaftlichen Bedingungen. Deshalb besteht ein Wechselverhältnis zwischen dem im vorherigen Kapitel skizzierten Gesellschaftszustand und den politischen Verhältnissen. Spiegelbildlich ist auch auf der Ebene der Politik erkennbar, was für die Gesellschaft gilt: Das „kollektive Fremdeln“ auf der Grundlage rassistischer Motive gewinnt an Prägekraft und beeinflusst so auch die politische Situation. Eine „Normalisierung rechtsextremer Einstellungen in der Bevölkerung“[10] schlägt sich in der wachsenden Zustimmung für die rechtsextreme AfD nieder. Gleichzeitig deutet dieser Befund aber auch auf eine tiefgehende Skepsis gegenüber dem politischen System der Bundesrepublik selbst hin. Denn eine Identifikation mit rechtsextremen Standpunkten führt zumindest zu einer Tolerierung von antidemokratischen Ideen. Das ist vor allem deshalb der Fall, weil rassistische Argumente an die zunehmende Unzufriedenheit mit der Politik ankoppeln und zu Abgrenzungen über die „Deservingness“-Überlegung führen. Das heißt: aus Sicht vieler Menschen muss sich der Anspruch auf bestimmte Rechte und Privilegien ausdrücklich verdient werden. Diese Anspruchsberechtigung wird wiederum vor allem Menschen nichtdeutscher Herkunft abgesprochen, die als „anders“ und damit „minderwertig“ markiert werden. Rechtsextreme Parteien machen sich damit gleich mehrere gesellschaftliche Problemlagen zunutze: den tief verwurzelten Rassismus, die allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik und die Überzeugung von Menschen deutscher Herkunft, sich für die Gesellschaft verdienter gemacht zu haben und damit Vorrechte genießen zu müssen. Es ist ersichtlich, dass diese Tendenzen – so sie politisch nicht ausreichend wahrgenommen und von demokratischen Parteien adressiert werden – auf fruchtbaren Boden fallen und eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Gerade in diesen Zeiten scheinen diese Befürchtungen berechtigt: Im ARD-DeutschlandTREND für November 2023 liegt die AfD in der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl bei 22 Prozent.[11] Insgesamt 76 % der Befragten sind weniger bzw. gar nicht zufrieden mit der Bundesregierung.[12] Der ARD-Deutschlandtrend für Oktober 2023 bekräftigt das Bild des fortschreitenden politischen Überdrusses: 35 Prozent der Befragten sind weniger zufrieden, 20 Prozent gar nicht zufrieden mit der Demokratie.[13] Eine ähnlich hoch ausgeprägte Demokratieunzufriedenheit wurde zuletzt im Oktober 2008 ermittelt.[14] Auffällig ist, dass mit dem Anstieg der Enttäuschung über die Politik und der Entfremdung von dieser die migrationspolitischen Einstellungen restriktiver werden. So vertreten 64 % der Befragten im ARD-DeutschlandTREND Oktober 2023 die Meinung, dass Zuwanderung eher Nachteile für Deutschland hat. Dies bedeutet eine Steigerung von 10 Prozentpunkten gegenüber dem ARD DeutschlandTREND für Mai 2023.[15] Ebenfalls 64 % finden, dass Deutschland weniger Flüchtlinge aufnehmen sollte – ein Plus von 12 Prozentpunkten gegenüber Mai 2023.[16] Zuletzt halten 71 % der Befragten die Einführung von Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen für richtig, das sind 8 Prozentpunkte mehr als im März 2016.[17]        
Angesichts dieser Erkenntnisse bestätigt sich, dass Rassismus nicht nur ein Machtinstrument darstellt, durch das strukturelle Positionierungen in der Gesellschaft hervorgebracht werden. Rassismus beeinflusst darüber hinaus politisches Verhalten, indem Reflexe der eigenen Privilegiensicherung zum Nachteil rassifizierter Menschen ausgetragen werden. Menschenwürde, Mitmenschlichkeit und Zusammenhalt als Kitt der Gesellschaft werden übetrumpft von dem massiven Gefühl, dass sich Menschen deutscher Herkunft Exklusivrechte verdient hätten.

4. Fazit

Angesichts der vorgenannten Erkenntnisse bestätigt sich, dass Rassismus eine gesellschaftsstrukturierende und damit eine auf Machtverhältnissen basierende Ideologie ist, durch die gruppenbezogene Dynamiken des Ein- und Ausschlusses gerechtfertigt werden. Rassismus ist aber mehr als das: Er ist die Fortsetzung kolonialer Ausbeutungslogiken, die sich als Kontinuitäten in den rassistischen Realitäten der Gesellschaft wiederfinden. Die Ausführungen zur gesellschaftlichen Zustandsbeschreibung haben dies sehr deutlich gezeigt: Es geht eben nicht nur um den Zugang zu gesellschaftlichen Gruppen, es geht vor allem auch um den Zugang zu Ressourcen – finanzieller, materieller, rechtlicher Art. Den Zugriff an die ethnische Herkunft zu koppeln, garantiert eigene Privilegien und sichert die Verfügbarkeit. In einer krisengebeutelten Gesellschaft, die nachweislich auch unter ökonomischen Unsicherheiten zu leiden hat, erhöht sich der Hang dazu, bestimmte Gruppen von spezifischen Rechten ausschließen zu wollen. Wie sich bestätigt, geht diese Gemengelage mit Gefahren für die Demokratie einher. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich vor allem rechtsextreme Parteien den Dreiklang aus rassistischen Einstellungen, allgemeiner Unzufriedenheit und ökonomischer Unsicherheit zunutze macht. Sie verachten den Grundkonsens einer demokratischen Gesellschaft und treiben die Spaltung auf dem Rücken benachteiligter ethnischer Gruppen weiter voran. Wie sich zeigt, sind Menschen bereit, diesen Weg mitzugehen, solange er ihnen eine Verbesserung der individuellen Situation verspricht. Diese auf rassistischen Vorurteilen und antidemokratischen Elementen basierende Strategie entfaltet vor allem in einer Phase der umfassenden politischen Verbitterung ihre Wirkung.        
Nachdem ich mit Angela Merkel in dieses Abschlussessay eingestiegen bin, halte ich es für konsequent, sie auch für den letzten Satz des Fazits zu zitieren. „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“[18] – so ihr Aufruf an die Bevölkerung während der Corona-Pandemie. „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst“ möchte ich mir auch für mein Plädoyer an die Gesellschaft zu eigen machen, welches den Schlussteil dieses Essays bildet.  
   

5. Zum Abschluss: Ein persönliches Plädoyer an die Gesellschaft

Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, wie mühsam es ist, auf „bessere Zeiten“ zu hoffen. Ökonomische Unsicherheiten, soziale Benachteiligungen, strukturelle Ungleichheiten verursachen reales Leid. Das Gefühl zu haben, in seinem Schmerz gerade von den Menschen nicht wahrgenommen zu werden, deren Aufgabe es ist, politische Lösungen zu finden, ist nur schwer erträglich. Pessimismus und Zukunftsängste gehören für viele Menschen in Deutschland zum Alltag – sie erahnen, dass ihre Anstrengung für die Gesellschaft nicht in dem Maße belohnt wird, wie sie es verdient hätten. Es ist nicht verwunderlich, dass das Motiv dieser „Deservingness“ deshalb auch als Bewertungsgrundlage in Richtung der Mitmenschen wirkt. Wer hat was beigetragen? Wer verdient aus diesem Beitrag heraus was? Zu schnell führt Menschen diese Denklogik dazu, anhand der ethnischen Herkunft zu unterscheiden: als „richtiger“ Deutscher ergibt sich die „Deservingness“ qua Geburt. Menschen anderer Herkunft müssten sich dieser Systematik nach mit weniger zufriedengeben oder zumindest mehr für das Gleiche leisten. Das Gefährliche für unsere Demokratie dabei ist, dass sich die Gesellschaft zunehmend auch emotional verschließt. Im Ergebnis ist sie nicht mehr nur dagegen, materielle Rechte zu teilen. Nein, der Rückzug nimmt grundsätzlichere Ausmaße an: die Gesellschaft scheint nicht mehr empfänglich und gesprächsbereit. Sie trägt eine ausgeprägte Kompromisslosigkeit vor sich her, die sie davor schützt, in zwischenmenschliche Verbindung zu treten. Die Geschichte der anderen überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn, diesen Geschichten eine gleichberechtigte Bedeutung beizumessen, wird durch diese Strategie verunmöglicht. Was aber würde passieren, wenn wir uns bewusst mit den Geschichten „der anderen“ auseinandersetzten, wenn wir einander zuhörten, wenn wir hinsähen? „Hör zu und schau dich um!“ war der Aufruf am Ende des dekolonialen Hörspaziergangs zurück << erzählt. „Hör zu und schau dich um!“ ist mein Plädoyer an die Gesellschaft. Versuchen wir, uns gegenseitig wahrzunehmen. „Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst.“ ist meine Mahnung an die Gesellschaft. In diesem Sinne: Versuchen wir, den Kontakt wieder aufzunehmen. Versuchen wir, uns menschlich wieder nahe zu sein.

6. Literaturverzeichnis

Amadeu Antonio Stiftung. Was ist Rassismus? URL: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rassismus/was-ist-rassismus/ (abgerufen am 25.11.2023).  

Die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. 2023. Lagebericht Rassismus in Deutschland. Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen. Berlin.

infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND Oktober 2023. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-126.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND November 2023. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-128.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

Merkel, Dr. Angela. 2020. Fernsehansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel. URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/fernsehansprache-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-1732134 (abgerufen am 25.11.2023).

tagesschau.de. 2023. Sorge über wachsende Hasskriminalität. Stand: 11.09.2023 14:04 Uhr. URL: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/hasskriminalitaet-deutschland-bundesbeauftragte-100.html (abgerufen am 25.11.2023)

Zick, Andreas, Küpper Beate und Nico Mokros (Hrsg.) für die Friedrich-Ebert-Stiftung. 2023. Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn: J. H. W. Dietz Nachf. GmbH.


[1] Amadeu Antonio Stiftung. Was ist Rassismus? URL: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rassismus/was-ist-rassismus/ (abgerufen am 25.11.2023)

[2] Vgl. Zick, Andreas, Küpper Beate und Nico Mokros (Hrsg.) für die Friedrich-Ebert-Stiftung. 2023. Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn: J. H. W. Dietz Nachf. GmbH, S. 66.

[3] Vgl. Zick et al. 2023, S. 66.

[4] Vgl. Ebd., S. 69.

[5] Vgl. Zick et al. 2023, S. 71.

[6] Vgl. z.B. Die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. 2023. Lagebericht Rassismus in Deutschland. Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen. Berlin, S. 50.

[7] Ebd., S. 68.

[8] tagesschau.de. 2023. Sorge über wachsende Hasskriminalität. Stand: 11.09.2023 14:04 Uhr. URL: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/hasskriminalitaet-deutschland-bundesbeauftragte-100.html (abgerufen am 25.11.2023)

[9] Ebd.

[10] Zick et al. 2023, S. 85.

[11] infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND November 2023, S.3. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-128.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

[12] Vgl. Ebd., S. 5.

[13] Vgl. infratest dimap. ARD-DeutschlandTREND Oktober 2023, S. 9. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-pdf-126.pdf (abgerufen am 25.11.2023).

[14] infratest dimap Oktober 2023, S. 9.

[15] Vgl. ebd., S. 15.

[16] Vgl. ebd., S. 17.

[17] Vgl. ebd., S. 22.

[18] Merkel, Dr. Angela. 2020. Fernsehansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel. URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/fernsehansprache-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-1732134 (abgerufen am 25.11.2023).


Quelle: Melanie Appel, Das kollektive Fremdeln – Wie Rassismus die Demokratie zersetzt, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.12.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=421

Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit von trans* Personen

Elise Ferdoun Kedik (SoSe 2023)

1. Einleitung

In den letzten Jahren rücken die Themen Geschlechtsidentität und -vielfalt verstärkt in das öffentliche Bewusstsein. In diesem Zusammenhang hat die Trans*-Community, bestehend aus Menschen, die nicht das Geschlecht sind, dem sie bei der Geburt zugewiesen wurden (Queer-Lexikon, 2023), zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Trotz dieser wachsenden Sichtbarkeit, viel Engagement und Aufklärungsarbeit sehen sich trans* Menschen oder Menschen, die als trans* wahrgenommen werden, immer noch mit Trans*feindlichkeit konfrontiert. Diese manifestiert sich in vielfältigen Formen, sei es in der medialen Berichtserstattung, in gesetzgeberischen Entscheidungen oder im Alltag der Individuen. Die Rechte und das Wohlbefinden von trans*-Personen sind grundlegende Menschenrechtsfragen. Trans*feindlichkeit widerspricht den Prinzipien der Gleichheit und Nichtdiskriminierung, die in vielen nationalen und internationalen Gesetzen verankert sind.

Im Rahmen der Ausarbeitung des Referatsthemas „Trans*feindlichkeit und die Realität der vielfältigen Diskriminierung“ im Seminar „Gender, Diversity, Gender Mainstreaming“ bin ich auf die verheerenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von trans* Menschen gestoßen. Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität, Stigmatisierung und Ablehnung scheinen zu einer relevanten psychischen Belastung beizutragen (OttRegli, Znoj, 2017).

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Trans*feindlichkeit und die Auswirkungen dieser auf die mentale Gesundheit von trans* Menschen. Die Begriffserklärungen und das Minority Stress Modell liefern hierbei den theoretischen Rahmen, um die Ursachen und die Mechanismen hinter diesen Auswirkungen zu verstehen. Durch die Analyse von ausgewählten Studien und Forschungsarbeiten wird versucht die negativen Folgen auf die psychische Gesundheit zu beleuchten und notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung aufzuzeigen. Schließlich werden mögliche Ansätze zur Bewältigung, Prävention und zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von trans* Personen diskutiert.

2. Theoretischer Hintergrund

Um einen besseren Einblick in die Hausarbeit zu erlangen, werden im theoretischen Hintergrund die für das Verständnis relevanten Begriffe Geschlechtsidentität, trans* und Trans*feindlichkeit erklärt. Im weiteren Verlauf wird eine Einführung in das Minority Stress Modell gegeben und seine Relevanz für das Verständnis der psychischen Gesundheit von trans* Personen dargestellt.

2.1 Begriffserklärungen

Die Geschlechtsidentität beschreibt die innere Überzeugung, einem Geschlecht anzugehören (Lexikon der Psychologie, 2023). Man bekommt bei der Geburt ein Geschlecht zugeschrieben. Bis 2013 wurde im Geburten-Register anhand körperlicher Anzeichen zwischen „männlich“ oder „weiblich“ entschieden. Danach wurde vor allem für Neugeborene, die beide Merkmale der Geschlechter tragen, also „zwischen-geschlechtliche“ Menschen, die Bezeichnung „keine Angabe“ eingeführt. Viele Menschen fanden die neu eingeführte Bezeichnung nicht passend und klagten deshalb. Das Verfassungs-Gericht beschloss daraufhin eine Änderung. Seit 2018 sind die zur Auswahl stehenden Geschlechter in Deutschland ,,weiblich‘‘, ,,männlich‘‘ und „divers“ (Personenstandsgesetz, 2023). ,,Divers“ beinhaltet mehrere Geschlechtsbezeichnungen.

Laut Scheithauer & Niebank (2022) werden im Kleinkindalter bedeutsame Erfahrungen gesammelt, die zu einer Unterscheidung zwischen ,,männlich“ und ,,weiblich“ führen. Des Weiteren beschreiben sie, dass man bei unter Zweijährigen schon eine Geschlechtssterotype-Aneignung beobachten kann. Damit ist gemeint, dass sie sozial geteilte Vorstellungen darüber haben, welche Eigenschaften typisch ,,männliche“ und ,,weibliche“ Personen haben. Das kann sich äußern durch geschlechtstypisierte Kleidung, Spielzeuge oder Verhaltensweisen. Ungefähr im Alter von zweieinhalb Jahren formt sich daraufhin die Geschlechtsidentität. Man kann sich ab diesem Alter einem Geschlecht zuschreiben, dass bei einem Großteil von Personen lebenslang erhalten bleibt (ebd., 2022).

Einige Menschen erleben eine Diskrepanz zwischen ihrem bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht und ihrer eigenenGeschlechtsidentität. In der vorliegenden Hausarbeit liegt der Fokus auf trans* Menschen. Dabei ist zu erwähnen, dass trans* nicht nur auf die binären Geschlechter beschränkt ist, sondern auch das nichtbinäre Geschlecht beinhaltet (Queer-Lexikon, 2023).

Transgeschlechtliche Menschen erleben durch das geschlechterbinäre Denkmuster vermehrt Diskriminierung (Vanagas & Vanagas, 2023). Früher wurde dafür der Begriff Transphobie eingeführt. Allerdings definiert eine Phobie eine Angststörung, weshalb sich der Begriff ,,Trans*feindlichkeit‘‘ bewährte, der den diskriminierenden Charakter hervorhebt (ebd., 2023). Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit werden im Folgenden herausgearbeitet.

Das Ziel einer Einführung in das Minority Stress Modell besteht darin, die Bedeutung dieses Modells für das Verständnis der psychischen Gesundheit von Menschen mit einer geschlechtlichen Vielfalt zu verdeutlichen.

2.2 Minority Stress Modell

Das Minority Stress Modell (Meyer, 2003) bietet einen theoretischen Rahmen für das Verständnis von Auswirkungen auf die mentale Gesundheit im Sinne von Minderheitenstress. Es wurde im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit von homosexuellen und bisexuellen Menschen entwickelt. Minderheitenstress bezeichnet das erhebliche Ausmaß an Stress, dem Mitglieder*innen stigmatisierter Minderheitengruppen (b) ausgesetzt sind. Es erklärt, dass Stigmatisierung, Vorurteile und Diskriminierung ein feindliches und stressiges soziales Umfeld schaffen, das psychische Gesundheitsprobleme verursacht.

Abbildung 1

Stress durch Minderheiten ist in die Umweltbedingungen (a) eingebettet, zu denen Vorteile und Nachteile im Zusammenhang mit Faktoren wie dem sozioökonomischen Status gehören können. Kästchen (a) und Kästchen (b) sind überschneidend dargestellt, um deren enge Wechselwirkung aufzuzeigen. Der Minderheitenstatus führt zu einer persönlichen Identifikation mit dem eigenen Minderheitenstatus (e). Im dargestellten Stressprozess spielen auch die Merkmale der Minderheitenidentität (h) eine unterschiedliche Rolle. Sie können verstärkend oder abschwächend auf die psychische Gesundheit auswirken, z.B. je nach individueller Valenz. Das Modell beleuchtet verschiedene Stressprozesse, einschließlich der Erfahrung von Vorurteilen, der Erwartung von Ablehnung, das Verbergen der eigenen Identität, die internalisierte Diskriminierung und Bewältigungsmechanismen auf sozialer und individueller Ebene (h) (ebd., 2003).

Das Modell teilt separate, aber miteinander verknüpfte Aspekte von Erfahrungen in allgemeine Stressoren (c), wie Arbeitsplatzverlust oder Tod eines nahestehenden Menschen, in distalen Stress (d) und in proximalen Stress (f) ein. Distaler Stress ist externer Stress, der sich aus Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt ergibt, wie Trans*feindlichkeit. Proximaler Stress ist interner Stress, der mit selbstkritischen Überzeugungen zusammenhängt, die sich auf die psychische Gesundheit auswirken (i) können. Auch diese Kästchen sind anliegend dargestellt, um ihre Abhängigkeit dazustellen (ebd., 2003).

Trans* Menschen erleben diese vorher aufgezählten Punkte und sind Teil einer marginalisierten Gruppe, wodurch das Modell für die Beschreibung der Auswirkungen auf die mentale Gesundheit genutzt werden kann.

Im Folgenden wird darauf eingegangen welche möglichen Ursachen existieren, die zur Entstehung von Trans*feindlichkeit beitragen.

3. Ursachen von Trans*feindlichkeit

46 Prozent von 20.271 befragten Lesben, Schwulen, Bi* und Trans* Menschen (LSBT) in Deutschland geben Diskriminierungserfahrungen an (FRA – European Union Agency for Fundamental Rights, 2013). Dabei findet die Ausgrenzung in der Öffentlichkeit, der Freizeit und am Arbeitsplatz statt. (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2016)

Politische Einstellungen können eine Ursache hierfür sein: linkseingestellt Menschen stehen LSBT-Menschen eher positiv gegenüber als Menschen, die sich politisch eher mittig oder recht einordnen (Klocke, 2017). Ebenfalls scheint die religiöse beziehungsweise kulturelle Herkunft eine Rolle für das Auftreten feindlicher Einstellungen zu sein (ebd., 2017). Menschen mit Migrationshintergrund scheinen negativer eingestellt zu sein als Menschen ohne Migrationshintergrund, wobei zu erwähnen ist, dass in vielen Studien unterschiedliche Herkunftsländer zusammengefasst wurden. Vor allem zeigen Menschen mit Hintergrund aus islamischen Ländern und teilweise aus ehemalige UdSSR- Staaten diese negativen Einstellungen. (ebd., 2017)

Menschen neigen dazu, zu kategorisieren, wodurch Stereotypen entstehen und suggeriert werden (Vanagas & Vanagas, 2023). ,,[…] Die vorgegebenen gesellschaftlich anerkannten Kategorien – im Falle des Geschlechts die Kategorien männlich/weiblich – [sind] an gesellschaftliche Erwartungen gebunden wurden, die bei Erfüllung Anerkennung und Inklusion bedeuteten und bei Nicht-Erfüllung in der Regel zu Missachtung und Exklusion führten […]‘‘ (ebd., 2023, S.318). Auch stehen in diesem Zusammenhang Unsicherheiten, da durch trans* Identitäten die soziale Rollenvorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit hinterfragt wird (Friedrich, 2023). Somit sind soziale Privilegien und Rechte nicht am biologischen Geschlecht festzumachen (ebd., 2023).

Die Ursachen für trans*feindliche Einstellungen sind vielfältig und das Thema rückt zunehmend in den Fokus, weshalb die Forschung in diese Richtung weiterhin voranschreitet. Im Folgenden sind die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit dargestellt.

4. Auswirkungen von Transfeindlichkeit auf die psychische Gesundheit

Im Minority Stress Modell spielen die verschiedenen Arten von Stress eine entscheidende Rolle, um die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit gegenüber marginalisierten Gruppen zu verstehen. Im Folgendem wird anhand von Ergebnissen und Erkenntnissen aus verschiedenen Studien und Forschungsarbeiten dargestellt, inwiefern Trans*feindlichkeit negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hat.

Trans*feindlichkeit lässt sich nicht klar einordnen. Klassisch könnte man sagen, dass es sich um eine Diskriminierungsform handelt und somit als distaler Stress beschrieben wird. Dieser hat jedoch auch Einfluss auf proximalen Stress.

In der Studie von Timmins, Rimes & Rahman (2017) wurden direkte und indirekte Zusammenhänge zwischen Stressoren der Minderheit und psychischer Belastung an einer großen und geographisch vielfältigen Stichprobe (N= 1207) untersucht. Die Erwartung der Ablehnung, die Selbststigmatisierung und die Vorurteilserlebnisse waren alle mit psychischer Belastung verbunden. Die Beziehungen wurden teilweise durch das Grübeln erklärt und zeigte 54,5 Prozent der Varianz der psychischen Belastung und 29,3 Prozent des Grübelns. Die Ergebnisse verdeutlichen die starke Beziehung zwischen den Minderheitsstressoren und psychischen Belastungen von trans* Menschen.

Eine weitere Untersuchung zum Wohlbefinden von trans* Menschen (N= 90) in der Schweiz veranschaulicht Befragungen zu erlebter Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität, internalisierter Trans*feindlichkeit, Lebenszufriedenheit und psychischer Belastung (Ott, Regli & Znoj, 2017). Die Auswertung zeigt eine hohe Prävalenz an psychischer Belastung und eine starke negative Korrelation zwischen Minderheitenstress und Wohlbefinden. Internalisierte Trans*feindlichkeit vermittelt einen Zusammenhang zwischen Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität und dem Wohlbefinden. Diese Ergebnisse stützen das Minority Stress Modell.

Eine andere Studie zum Thema Genderidentität und sexuelle Orientierung untersucht Opfer in einer Stichprobe von 641 Menschen, die Gewaltverbrechen erlebt haben und eine medizinische Notfallbehandlung in einem öffentlichen Krankenhaus in Anspruch nehmen mussten (Cramer, McNiel, Holley, Shumway & Boccellari, 2012). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass lesbische, schwule, bi* und trans* (LSBT) Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit Opfer sexueller Übergriffe wurden. Außerdem leiden LSBT-Menschen signifikant mehr unter akutem Stress und allgemeinen Ängsten (ebd., 2012). Außerdem machen die Forschenden (2012) die Beobachtung, dass die Genderidentität der Opfer den Zusammenhang zwischen Art der Gewalt und dem Auftreten von Paniksymptomen und den Zusammenhang zwischen Traumageschichte und allgemeinen Angstsymptomen moderiert.

Eine weitere Studie (Jefferson, Neilands & Sevelius, 2013) aus diesem Bereich stellt dar, inwieweit der Zusammenhang besteht zwischen trans* Frauen of Colour, die von vielfältiger Diskriminierung betroffen sind, und Depressionen. In dem einfachen logistischen Regressionsmodell mit Exposition gegenüber trans*feindlichen Ereignissen an ein Depressionssymptom-Ergebnis angepasst, bedeutet jede Einheit Anstieg der Exposition trans*feindlichen Ereignissen eine um 3 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit Depressionssymptome zu erleben.

Zu einem signifikanten Ergebnis kommt auch die Online-Umfrage von 2003 mit einer Stichprobe von 1093 trans* Teilnehmenden. Eine hohe Prävalenz von klinischen Depressionen (44,1 %), Angstzuständen (33,2 %) und Somatisierung (27,5 %) werden dokumentiert. Des Weiteren zeigt sich, dass soziale Stigmatisierung in einem positiven Zusammenhang mit psychischer Belastung steht (ebd., 2003).

Ein Erklärungsmodell von Plöderl (2016) legt viele Studien dar, die ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von psychischen Erkrankungen im Zusammenhang mit lesbischen, schwulen, bi*, trans* und inter* Menschen sehen. Dabei arbeitet er heraus, dass die Datenlage für die Gruppe der trans* Menschen noch nicht ausreichend ist. Die Ergebnisse lassen jedoch auf ein erhöhtes Risiko schließen.

Aufbauend auf diesen Informationen gibt es Präventions- und Interventionsstrategien, die vor allem den negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit abschwächen oder verhindern können. Diese werden im Folgenden dargestellt.

5. Präventions- und Interventionsstrategien

Eine Strategie ist es, die Sichtbarkeit von trans* Menschen grundlegend zu erhöhen (Klocke, 2017). Der sogenannte Mere exposure-Effekt, den man auch aus dem Bereich der Werbung kennt, kann dazu führen, dass sich Einstellungen ändern. Es wird positiver auf vertraute Personen reagiert. Aufbau von Vertrautheit durch das Kennenlernen von trans* Persönlichkeiten kann deshalb ein wichtiger Schritt sein (ebd., 2017). Umsetzen kann man das durch Aufklärungsprojekte, Aufklärungsarbeit und Kontaktinterventionen, die vor allem von Autoritäten oder Institutionen gestützt werden (Allport, Clark & Pettigrew, 1954).

Um trans*feindliche Angriffe von vornherein abzuwenden, können geschützte Räume erschaffen und genutzt werden, in denen die Identität selbstverständlich akzeptiert wird (Franzen, 2011). Auch die Einführung von einem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie am 17. Mai 2009 führt zu mehr Sichtbarkeit. Und auch Demonstrationen wie der transgeniale CSD in Berlin sind Wege, um Unsicherheit und Unsichtbarkeit abzubauen.

Eine andere Möglichkeit ist, sich über einen respektvollen zwischenmenschlichen Umgang mit trans*Personen zu informieren (Kailey, 2013). Man kann verschiedenste Literatur nutzen, die für unpassende Fragen sensibilisiert und Unwissende darauf hinweist, welche Bedürfnisse die trans* Community hat. Bespiele hierfür sind, nicht nach Operationen, Geschlecht oder Erfahrungen über Ausgrenzung zu fragen, Personen nicht ungewollt zu outen und die korrekten Pronomen und Namen zu verwenden (ebd.,2013).

Auch institutionell ist es wichtig für trans* Menschen eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, wobei eine Reform zum Transsexuellengesetz (TSG) auf den Weg gebrachten werden soll. 2011 wurde vom Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Aktuell stehen diese Reform und neue Gesetzesentwürfe in Diskussion.

Ebenfalls von großer Bedeutung sind pädagogische Einrichtungen, wie Schulen, um aufzuklären, die Lebenswirklichkeit von trans* Menschen in Schulbüchern darzustellen und das Thema Genderidentität im Allgemeinen einen Raum zu geben, um Vorurteile frühzeitig abzubauen, aber auch positive Erfahrungen zu schaffen (Krell, 2019).

Die vorangegangenen Strategien zur Prävention und Intervention zielen vor allem auf den Abbau von Vorurteilen ab und auf den Schutz vor Trans*feindlichkeit. Haben Menschen diese feindlichen Erlebnisse in ihrem Leben durchgemacht, ist es wichtig, auch hier Schutz und Hilfe anzubieten, um die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit einzudämmen. Allerdings haben viele trans* Menschen Vorbehalte gegen eine psychotherapeutische Behandlung, da sie auch immer noch von der Krankenkasse in Deutschland gefordert wird, um eine geschlechtsangleichende Behandlung zu übernehmen. Auch wird in Therapien eher geprüft und versucht umzustimmen, da früher das Trans*-Sein als psychische Störung eingeordnet wurde. Dabei sollte die Entscheidung zu einer psychotherapeutischen Behandlung individuell getroffen werden und nicht als Grundlage für die Auslebung einer eigenen Identität genutzt werden.

Die trans* Community stellt ebenso eine große Ressource für die mentale Gesundheit da, worauf in der Hausarbeit aufgrund von Limitationen nicht weiter eingegangen wird.

6. Zusammenfassung/Diskussion

Zusammenfassend kann bezüglich der in der Hausarbeit gewonnenen Erkenntnisse gesagt werden, dass obwohl ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen bei trans* Personen zum Teil auf Geschlechtsdysphorie zurückzuführen sein kann (Leiden, das aus der Inkongruenz zwischen dem zugewiesenen und dem erlebten Geschlecht), trans* Personen einem sozialen Umfeld mit Vorurteilen gegen trans* und soziale Stigmatisierung, bekannt als Trans*feindlichkeit, ausgeliefert sind (Norton & Herek, 2013).

Das Wohlbefinden spielt eine entscheidende Rolle bei der psychischen Gesundheit jedes Individuums. Trans* Menschen haben mit einer Vielzahl von Belastungen zu kämpfen, die das Wohlbefinden beeinträchtigen und somit auch ihre mentale Gesundheit. Dazu gehören soziale Stigmatisierung, Diskriminierung, Vorurteile, Gewalt und Trans*feindlichkeit, die diese Probleme erheblich verschärfen. Die permanente Angst vor Diskriminierung und Gewalt, die viele trans* Personen begleitet, belastet ihre psychische Gesundheit. Depressionen, Angstzustände, Suizidalität, posttraumatische Belastungsstörungen und Selbstverletzung sind einige der Auswirkungen.

Das in der Literatur gefundene Minority Stress Modell ließ sich anhand der vorgestellten Studien belegen und stellt eine wichtige Grundlage da, um zu verstehen, wie es durch täglich erlebten Stress zu psychischen Belastungen bei trans* Menschen kommen kann.

Es ist unerlässlich, trans* Menschen auf unterschiedlichen Ebenen zu unterstützen, Trans*feindlichkeit zu bekämpfen und für betroffene Menschen einzustehen.

7. Resümee

In meiner zukünftigen Arbeit als Psychotherapeutin möchte ich besonders auf die Bedürfnisse von trans* Menschen achten. Es ist besorgniserregend, was Menschen erleben müssen, die sich nicht ihrem zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. Ich denke, dass es eine sehr wichtige Aufgabe ist, die Psychotherapie hier weiter auszubauen und auf das Individuum anzupassen. Das sehe ich auch in meiner aktuellen Beschäftigung speziell mit suchterkrankten Menschen. Sie erleben soziale Stigmatisierung durch ihre Erkrankung und bei einer anderen Geschlechtsidentität zusätzliche Diskriminierung, was zum Teil ihre Grunderkrankung beeinflussen kann. In diesem Bereich ist die Forschung noch ganz am Anfang und ich denke, dass vor allem Mehrfachdiskriminierung zunehmend einen Bereich in der psychologischen Forschung einnehmen wird.

Des Weiteren braucht es mehr Strategien, um Trans*feindlichkeit zu verhindern.

Auch habe ich in meiner Literaturrecherche gesehen, dass die Forschung im Bereich der Genderidentität weiter ausgebaut werden sollte, auch da das Thema zunehmend an Relevanz gewinnt und mehr Menschen zu ihrer Geschlechteridentität stehen.

Literaturverzeichnis

Allport, G. W., Clark, K., & Pettigr ew, T. (1954). The nature of prejudice.

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2016): Diskriminierungserfahrungen in Deutschland: Erste Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung und einer Betroffenenbefragung. Berlin.

Bockting, W. O., Miner, M. H., Swinburne Romine, R. E., Hamilton, A., & Coleman, E. (2013). Stigma, mental health, and resilience in an online sample of the US transgender population. American journal of public health103(5), 943-951.

Cramer, R. J., McNiel, D. E., Holley, S. R., Shumway, M., & Boccellari, A. (2012). Mental health in violent crime victims: Does sexual orientation matter? Law and Human Behavior, 36(2), 87–95. https://doi.org/10.1037/h0093954

Claudia Krell: „Schule ist nochmal eine ganz andere Sache“. In: Gender – Wissen – Vermittlung: Geschlechterwissen im Kontext von Bildungsinstitutionen und sozialen Bewegungen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 22019, ISBN978-3-658-27700-0, S. 169–192, doi:10.1007/978-3-658-27700-0_10

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Die Kolonialzeit, Unabhängigkeitsbewegung und die Formung des heutigen Pakistans

Abb. 1: Collage zur Kolonialgeschichte von Pakistan

Munaam Baig (SoSe 2023)

Einleitung

Ich komme aus Karachi, einer Stadt in Pakistan. In Gesprächen fällt mir oft auf, dass viele Leute gar nicht wissen, dass Pakistan existiert und noch lange nicht, wo es geographisch liegt. Einige machen die Verbindung, dass es ein Teil von Indien ist oder in der Nähe von Indien liegt. Andere kennen Pakistan nur aus den Nachrichten über Überflutungen, Dürren und Hunger. Verglichen mit den großartigen Assoziationen von Reichtum und Innovationen mit den westlichen Ländern, fällt auf, wie negativ die Assoziationen mit Pakistan ausfallen. Ich bin sehr früh nach Berlin gezogen, womit ich in Berlin aufgewachsen bin. Meine enge Familie lebt jedoch weiterhin in Pakistan und auch meine Eltern haben mich mit Ihrer Kultur aufgezogen und geprägt. Die ständigen Besuche nach Pakistan haben mir gezeigt, wie einfach Vorurteile geschaffen werden können, was durch die westliche Perspektive bewusst oder unbewusst übermittelt wird, da selbst ich diesen Vorurteilen geglaubt hatte. Rassistische Äußerungen werden nicht direkt und öffentlich gemacht, jedoch existieren diese Muster weiterhin unbewusst und zeigen sich auf verschiedenste Weisen.

In diesem Essay wird versucht herauszufinden, wodurch das heutige Bild Pakistans beeinflusst wurde bzw. wird. Die Kolonialgeschichte, von der frühen Präsenz europäischer Mächte bis hin zur Entstehung von einer unabhängigen Nation, wird hierbei unter die Lupe genommen und analysiert. Die daraus folgende Leitfrage lautet: Kolonialismus und Unabhängigkeit: Wie prägt die Vergangenheit Pakistans die heutige globale Stellung?

Um der Beantwortung der Leitfrage näher zu kommen, wird die Kolonialgeschichte Pakistans kurz zusammengefasst und wichtige Prozesse genannt, die schließlich zur Unabhängigkeit und Teilung des Landes geführt haben. Daraufhin wird auf die sozialen, politischen und kulturellen Aspekte eingegangen, die drastisch durch den kolonialen Einfluss transformiert wurden und bis heute in vielen Dynamiken eine Rolle spielen. Außerdem wird darauf eingegangen, wie diese Erfahrungen die heutige Perzeption Pakistans geformt haben, wie dies global präsentiert wird und inwiefern die Kolonialvergangenheit für die heutigen Defizite verantwortlich ist.

Kolonialgeschichte Pakistans

Die Kolonialgeschichte Pakistans besteht aus mehreren Epochen und startet mit der Kolonisation von Indien. In diesem Essay fokussieren wir uns auf drei Epochen, die besonders wichtig sind, um den späteren Zusammenhang besser verstehen zu können.

Ostindien-Kompanie

Bevor die britische Kolonialherrschaft begann, gab es drei ausschlaggebende Epochen zuvor.  In der frühe Kolonialherrschaft 16. Jahrhundert bis ca. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Indien Handelspräsenz von verschiedenen europäischen Ländern wie Portugal, den Niederlanden und Großbritannien. Zu dieser Zeit etablierte die britischen Ostindien-Kompanie Handelsstützpunkte in Indien, wodurch die politische und wirtschaftliche Dominanz der Kolonialmächte in einigen Gebieten begann. Die britische Ostindien-Kompanie regierte von 1757-1858. Durch gewalttätige Auseinandersetzungen stieg die Macht der Ostindien-Kompanie. Die britische Kontrolle nahm immer größere Teile Indiens ein. Praktiken wie wirtschaftliche Ausbeutung, Landbesteuerung und soziale Veränderungen nahmen zu. Im Jahr 1857 kam es zu einem Aufstand der Einheimischen, dieser wurde jedoch durch die Ostindien-Kompanie niedergeschlagen. Im Jahre 1858 endete die Herrschaft der britischen Ostindien-Kompanie und es kam zu einer direkten Übernahme durch die britische Krone (WENDE, 2010, S. 112).

Britische Kolonialherrschaft: 1858-1947

Die Übernahme verlief ohne große Probleme, da die größten Teile Indiens schon unter britischer Macht standen. In der Collage (siehe VII) sind oben rechts jeweils indische Bedienstete und Polizisten zu sehen, wie sie für die britischen Familien, die in Indien stationiert waren, arbeiteten. Es waren Jobs wie Bedienstete, Haushaltshilfen, Babysitter, Putzfrauen und Polizisten zum Schutz. Positionen der Befehlshaber wurden ausschließlich von weißen britischen Männern geführt, um die bestehende Hierarchie in der kolonialen Gesellschaft deutlich zu machen.

„Kolonialismus konnte nur damit legitimiert werden, dass die Unterworfenen als ungebildet und barbarisch in Bezug auf die eigenen Ideale und Werte dargestellt wurden, und sich damit rechtfertigte, sie mittels der Kolonisierung auf diese Ideale und Werte hin umzuerziehen. Der Kolonialismus konnte sich nur während dieser »Erziehungszeit« als notwendig ansehen, wodurch die Kolonialherren möglichst lange das Erreichen des »Erziehungsziels« herauszögern mussten, um ihre Legitimationsgrundlage zu erhalten.“ (BROECK, 2012, S. 105). Die Kontrolle über Indien sorgte für eine tiefgreifende Transformation der politischen Strukturen, der Wirtschaft und der sozialen Normen. Diese Ära hatte nicht nur Auswirkungen auf Indien als Ganzes, sondern ebnete auch den Weg zur späteren Gründung des unabhängigen Staates Pakistan im Jahr 1947. Die britische Kolonialherrschaft brachte starke wirtschaftliche Ausbeutung mit sich. Die indische Wirtschaft wurde auf die Bedürfnisse der Kolonialmacht ausgerichtet und zugeschnitten, was zu einer Deindustrialisierung und einer starken Abhängigkeit von landwirtschaftlichen Produkten führte. Die Einführung der Eisenbahn diente nur britischen Interessen und führte zu einer gewissen Modernisierung, die jedoch auf Kosten der einheimischen Bevölkerung ging, da diese nicht beachtet wurden. Diese führte zu mehreren Hungerskatastrophen, die in den Jahren 1876–1878 und 1899–1900 zahllosen Opfer kosteten. Allein 1877, ein Jahr nachdem Königin Viktoria zur Kaiserin von Indien wurde, starben dort aufgrund der Vernachlässigung der einheimischen Bevölkerung fünf Millionen Menschen den Hungertod (WENDE, 2010, S. 121).

Neben der direkten Administration von Regionen arbeiteten die Briten mit großen und kleineren indischen Führern, die die Briten als eine Oberhoheit ansahen, um in Ihren Gebieten einige Freiheiten zu bekommen. Die britische Kolonialmacht hat dafür gesorgt, dass die indischen Führer keine Verhältnisse untereinander hatten, um diese besser kontrollieren zu können und um eine mögliche Kooperation gegen die Kolonialherren auszuschließen (BOSE/JALAL, 2011, S. 54). Indien war der große überseeische Machtblock, bestehend aus dem Gebiet des direkt verwalteten Britisch-Indien und zahlreichen indischen Fürstentümern, die indirekt durch Großbritannien beherrscht wurden (WENDE, 2010, S. 17). “Power may have been exercised through indirect means, but it was not in any more than a formal sense limited in its potential to stamp out resistance.” (BOSE/Jalal, 2011, S. 55). Die britische Kolonialmacht hat ihre Macht nicht offen gezeigt, jedoch war die indirekte Methode stark genug, um jede Art von Widerstand zu zerdrücken. Widerstand wurde mit extremer Brutalität bekämpft (SIEBER, 2012, S. 104). Die Kolonialherren hatten nicht nur vor aktivem Widerstand Angst, denn dieser konnte meist als Barbarei brandmarken und mit Militärtechnik niederschlagen. Besonders ängstigten sie jedoch die angepassten Kolonisierte: Hybride Subjekte, die immer ähnlicher wurden, sowohl im Denken als auch im Verhalten, und trotzdem weiterhin Spuren der anderen Herkunft in sich trugen. Dies verwirrte die Kolonialherren, da eine Gleichheit und Differenz Ihnen entgegen stand, “as a subject of a difference that is almost the same, but not quite” – “almost the same but not white” (BHABHA, 1994, S. 86, 89).

Entgegen der Bemühungen trug die britische Herrschaft paradoxerweise selbst zur Entwicklung von Nationalismus und Identität bei. Die Erkenntnis der gemeinsamen Unterdrückung durch die Kolonialmacht führte zur Bildung eines gemeinsamen indischen Bewusstseins. Gleichzeitig wurde jedoch auch die Idee der gespaltenen Identität gefördert, was später zur Teilung des Landes führte (WENDE, 2010, S. 121).

Teilung und Unabhängigkeit: 1947

Der wachsende Widerstand gegen die britische Vorherrschaft führte zur Entstehung von Organisationen, mit dem Ziel der Unabhängigkeit durch Verhandlungen, die die Interessen der einheimischen Bevölkerung repräsentierten. Die wichtigste Figur der Unabhängigkeit Pakistans war Muhammad Ali Jinnah, der links oben in der Collage vor der pakistanischen Flagge zu sehen ist (siehe VII). Jinnah wurde am 25. Dezember 1876 in Karachi geboren und studierte Recht in Großbritannien. Er begann seine politische Karriere als Mitglied des Indischen Nationalkongresses, der zu dieser Zeit auf eine gemeinsame Unabhängigkeit von Großbritannien hinarbeitete.  Gandhi war ein indischer Anwalt, antikolonialer Nationalist und politischer Ethiker, der gewaltlosen Widerstand einsetzte, um die erfolgreiche Kampagne für die Unabhängigkeit Indiens von der britischen Herrschaft anzuführen. In der Collage (siehe VII) sieht man Jinnah und Gandhi zusammen lächelnd, mittig vom Bild. Beide hatten große Wertschätzung füreinander und arbeiteten als Team für die Befreiung ihres Landes Indien im Indischen Nationalkongress. Später trat Jinnah aus dem Kongress aus und schloss sich der All India Muslim League an, da er zunehmend besorgt über die Interessen der muslimischen Minderheit in Indien war. In der Collage (siehe VII) unten links ist die All India Muslim League zu sehen. Jinnah war ein eloquenter Befürworter der muslimischen Identität und betonte die Notwendigkeit eines eigenen Staates für die muslimische Bevölkerung. Er argumentierte, dass Muslime in einer hindu-dominierten Mehrheit in Indien in ihrer Kultur, Religion und politischen Vertretung gefährdet wären. Er führte die Muslim League in Richtung der Forderung nach einem unabhängigen muslimischen Staat. Jinnah war einer der Hauptgründer der Lahore-Resolution von 1940, die die Schaffung eines eigenständigen muslimischen Staates forderte. Unterdessen verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften in verschiedenen Regionen Indiens stark.

Zu Beginn des Jahres 1947 bestand Londons Hauptpriorität darin, Indien so schnell wie möglich zu verlassen, bevor die antikoloniale Politik noch radikaler wurde als ohnehin schon und die kommunale Gewalt noch gefährlichere Ausmaße annahm. Im ganzen Land gab es Berichte über Bauern-, Arbeiter- und Jugendunruhen, die sich zum Aufstand erhoben. Nach den Unruhen in Bengalen und Bihar Ende 1946 verschlechterte sich die kommunale Situation im Punjab ab Januar 1947 stetig. Diese unzähligen Konflikte entlang der Klassen- und Gemeinschaftsgrenzen bildeten die Grundlage für eine Verständigung zwischen dem Oberkommando des Kongresses und London. Schließlich verkündetet der britische Premierminister Clement Attlee am 20. Februar 1947, dass die Briten Indien bis zum 30. Juni 1948 verlassen würden (BOSE/JALAL, 2011, S. 150).

Jetzt musste das britische Parlament nur noch die notwendigen Gesetze verabschieden, um die Macht auf zwei neue Gebiete zu übertragen, was im Juli ordnungsgemäß geschah. Der Kongress und die Briten stellten Jinnah am Ende vor die Wahl: Entweder ein ungeteiltes Indien ohne Garantie für den muslimischen Machtanteil im gesamtindischen Zentrum, oder ein souveränes Pakistan, das aus den mehrheitlich muslimischen Bezirken bestehen solle (BOSE/JALAL, 2011, S. 153). Für Jinnah war Pakistan das Mittel, um den Muslimen im gesamtindischen Zentrum einen gerechten Machtanteil zu sichern. Bestätigende Beweise dafür, dass der Quaid-e-Azam den Islam nie als Religion zur Beherrschung des Staates Pakistan vorsah, finden sich in seiner Ansprache an die allererste Sitzung der verfassungsgebenden Versammlung Pakistans am 11. August 1947: “You are free to go to your temples, you are free to go to your mosques or to any other place of worship in this state of Pakistan. . .. You may belong to any religion or caste or creed – that has nothing to do with the business of the State. . .. We are starting with this fundamental principle that we are all citizens and equal citizens of one State.” (Why JI – Jinnah Institute) (BOSE/JALAL, 2011, S. 160). Jinnah spielte eine wichtige Schlüsselrolle in den Verhandlungen mit der britischen Regierung und den indischen politischen Führern, die zur Teilung des Subkontinents führten. Am 14. August 1947 wurde Pakistan als unabhängiger Staat für Muslime gegründet. Jinnah wurde der erste General Gouverneur Pakistans.

Postkoloniale Auswirkungen der Kolonialen Mächte

In dem geschichtlichen Abschnitt wurden einige Auswirkungen der Kolonialen Mächte schon genannt. In diesem Abschnitt sollen diese Aspekte nochmals eingeteilt und tiefer in den postkolonialen Kontext gesetzt werden, um die heutige Situation besser verstehen zu können.

Die konstante Ausbeutung des Landes sorgte dafür, das im Jahr 1947, zum Zeitpunkt der Entlassung in die Unabhängigkeit, Indien und Pakistan zu den ärmsten Ländern der Welt zählten. Mehr als 50% der ländlichen Bevölkerung waren nicht in der Lage, sich ausreichend zu ernähren, da eine dem freien Markt ausgesetzte Landwirtschaft nicht mehr genügend Grundnahrungsmittel produzierte. Das britische Königreich verlass die ehemaligen Kolonien in einem sehr ungünstigen Zustand. Einer dysfunktionalen Wirtschaft, ohne dass in dem Land ausreichende Grundlagen für eine eigene Industrialisierung geschaffen wurden (WENDE, 2010, S. 121). Die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit waren sehr harte Jahre, die weiterhin viele Menschenleben kosteten.

Die Bedürfnisse der einheimischen Bürger wurden außen vorgelassen, da das Mutterland höchste Priorität hatte. Der Umsatz, der auf dem globalen Markt durch indische Produkte erzielt wurde, wurde zur Finanzierung der Kolonialen Mächte und Kolonialer Infrastruktur genutzt und ebenfalls an das Mutterland geschickt, um dieses weiter ausbauen zu können und prächtiger gestalten zu können. Selbst in der postkolonialen Ära sind die Spuren der Kolonialzeit weiterhin bestehend: „Koloniale Muster von Unterwerfung und Unterdrückung existieren auch nach dem Kolonialismus fort.“ (KASTNER, 2012, S. 94). Die heutige Infrastruktur der Eisenbahn spiegelt die damalige Intention weiterhin wider. Die einseitigen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Kolonialmacht in den Ausbau des Streckennetzes zu investieren, war nie für den möglichen Nutzung der Einheimischen vorgesehen (Vgl. Ian J. Kerr, 2007). Die für die Wirtschaft damals relevanten Gebiete besitzen eine Bahn Anbindung, während weniger relevante Orte außen vorgelassen werden und durch Vernachlässigung weiterhin strukturell schwach sind.

Die europäische Moderne, die Freiheit und Demokratie befürwortet, ist unmittelbar bedingt durch Eroberung, Verwüstung, genozidaler Vernichtung, Verschleppung, kultureller Auslöschung und kolonialer Ausbeutung von Menschen und Ressourcen anderer Völker (BROECK, 2012, S. 169, 170). Diese Vergangenheit sorgt weiterhin dafür, dass ehemalige Kolonien bis heute strukturelle Defizite aufweisen und aus ihrem Teufelskreis der Verschuldung und Abhängigkeit nicht entkommen können.

Wohingegen Indien inzwischen wirtschaftlich wächst und eine große Präsenz im globalen Diskurs hat, als größte Demokratie der Welt, kann von Pakistan nicht das gleiche behauptet werden. Aufgrund von Korruption und der ständigen Änderung der Regierungsform ist eine positive Entwicklung weiterhin nicht möglich.

Pakistan Heute

Die Pakistanische Flagge repräsentiert mit der dunkelgrünen Farbe, dem Mond und Stern die 90% muslimische Bevölkerung, die weiße Fläche der Flagge repräsentiert die 10% Minderheit, die sich aus anderen religiösen Gruppen zusammensetzt, wie in der Collage zu sehen ist (siehe VII). Die Idee für Pakistan war es, einen Staat zu schaffen, in dem sich Minderheiten ohne sorgen wohlfühlen können.

In dem heutigen globalen Diskurs bleibt Pakistan weiterhin, wie zu den Zeiten seiner Gründung, ein armes Land. Seit seiner Gründung leidet Pakistan an politischer Instabilität. Jinnah starb am 11. September 1948. Die Präsidenten*innen die danach gewählt wurden, waren entweder korrupt oder wurden durch Attentate ermordet. Bis jetzt hat in der Geschichte Pakistans noch kein*e Präsident*in die volle Amtszeit beendet. Viele dieser Ereignisse sind auf die Kolonialvergangenheit zurückzuführen, die dafür sorgt, dass ehemalige Kolonien nicht die Ressourcen besitzen, um an dem Weltmarkt teilzunehmen. Dieses Bild der Unsicherheit und fehlenden Entwicklung wird durch die Wiedergabe in der westlichen Welt weiterhin reproduziert. In der postkolonialen Theorie wird dieses Phänomen des Fortlebens kolonialer Muster nach dem Kolonialismus als Teil einer »Kolonialität« angesehen (KASTNER, 2012, S. 94). Kolonialität wird als Prozess der von Dekolonisierung und nation building hinaus als „Maschine“ gesehen, die im Rahmen der globalen Netzwerk-Gesellschaft soziale Ungleichheit reproduziert (D. MIGNOLO, 2001, S. 426). Die Ungleichheiten, die während der Kolonialzeit entstanden, werden in der westlichen Perspektive weiterhin bewusst und unbewusst reproduziert.

Schlussfolgerung

Die mehr als drei Jahrhunderte, während denen Großbritannien die Herrschaft über ein riesiges Kolonialreich hatte, haben unsere heutige globale Welt vielfach geprägt. Viele Staaten sind in ihren Grenzen und in ihrer demographischen Struktur die Resultate britischer Kolonialherrschaft. Indien und Pakistan sind zwei der vielen Staaten.  Viele Konflikte, die bis heute noch existieren, sind oftmals Hinterlassenschaften britischer Kolonialherrschaft. Während einige Länder sich inzwischen trotz ihrer kolonialen Vergangenheiten weiter entwickeln konnten, ist dies nicht der Fall für Pakistan, ein Land das erst 75 Jahre alt ist. Gegründet, damit Minderheiten eine Stimme bekommen und ein Ort geschaffen wird, an dem sie ohne Angst leben können. All die Bürger*innen, Politiker*innen und Anwält*innen wie Muhammad Ali Jinnah, die für die Unabhängigkeit und Freiheit der Einheimischen gekämpft haben. All die Opfer, die erbracht wurden, die zahlreichen Konflikte und Aufstände von Menschen, die nur menschlich behandelt werden wollten. Nicht nur in Indien und Pakistan, sondern auf der ganzen Welt: Diese Menschen inspirieren und prägen alle zukünftigen Generationen, für ihre Rechte zu kämpfen. Auch wenn diese Stimmen nicht gleich viel gehört werden bedeutet das nicht, dass diese Stimmen nicht existieren. Sie existieren und werden weiterhin gehört, von Leuten, die bis heute für ihre Freiheit kämpfen.

Muhammad Ali Jinnah bleibt eine faszinierende Persönlichkeit, die die Entstehung Pakistans geprägt hat. Er hat sein ganzes Leben und seinen Einsatz Pakistan gewidmet. Seine Vision und sein Einsatz für unterdrückte Minderheiten haben eine dauerhafte Wirkung auf die Geschichte und Identität des Landes hinterlassen. Sein Vermächtnis als „Quaid-e-Azam“ lebt in der pakistanischen Geschichte und Kultur weiter. Er wird oft als Symbol für Führung, Entschlossenheit und die Vision eines starken und unabhängigen Pakistans betrachtet.

Jede Art von Widerstand, ob aktiv oder passiv, ist eine wahre Inspiration, die zeitlos ist und uns immer daran erinnert, dass man seine Hoffnung niemals aufgeben sollte. Der Weg mag hart und ermüdend sein, jedoch ist jede Art von Anstrengung es wert, dass man sich für die Freiheit der Unterdrückten einsetzt.

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Geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung: Herausforderungen und Defizite

Atanasova Polina (S0Se 2023)

Einleitung

Die Gesundheitsversorgung ist ein grundlegendes Menschenrecht, das jedem Individuum unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft gleichermaßen zugänglich sein sollte. Dennoch offenbart die Realität, dass die geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung mit einer Vielzahl von Herausforderungen und Defiziten konfrontiert ist.          
Historisch gesehen hat die Medizin den männlichen Körper als universelles menschliches Modell verwendet.[1] Dabei wurden anatomische Abbildungen, Symptom-Beschreibungen, diagnostische Verfahren und Therapien ohne Berücksichtigung anderer Geschlechter entwickelt. Dies führte zu einer unangemessenen medizinischen Versorgung für Frauen*[2] und Minderheitsgruppen[3], die häufig vernachlässigt oder stigmatisiert wurden.         
Obwohl es Fortschritte bei der Verbesserung der Gesundheitsversorgung und der Reduzierung der Stigmatisierung gibt, sind Frauen* und LGBTQ*-Personen nach wie vor einem besonderen Maß an Unsichtbarkeit, Diskriminierung und Ungerechtigkeit ausgesetzt.

Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, die Herausforderungen im Gesundheitswesen zu schildern, denen Frauen* und LGBTQ*-Personen gegenüberstehen. Dabei liegt der Fokus auf den verschiedenen Faktoren und Erfahrungen von Frauen* und LSBTQ*-Menschen in Deutschland im Zusammenhang mit ihrer sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt.

1. Die medizinische Pathologisierung von Frauen*

Traditionelle Annahmen über Männlichkeit und Weiblichkeit haben im gesellschaftlichen Bewusstsein gewisse Asymmetrien in den Vorstellungen über beide Geschlechter gefestigt. Diese Geschlechterasymmetrien äußern sich hauptsächlich in stereotypen Geschlechterbildern, die sowohl negative Vorstellungen über das andere Geschlecht als auch positive Selbstbilder auf der Grundlage bestimmter Merkmale einschließen können. Solche stereotypen Vorstellungen über das Verhalten beider Geschlechter sind das Ergebnis historisch gewachsener sozialer Rollenverteilungen.[4] Historisch betrachtet wurde der männliche Körper als Norm angesehen, während der weibliche Körper als abweichend und pathologisch erklärt wurde.[5]    
Wie von Karin Nolte betont wird, bleibt diese Wahrnehmung auch in der Gegenwart hartnäckig bestehen:

„Bis heute prägen Geschlechterkonzeptionen der Medizin des 19. Jahrhunderts Wahrnehmungen von Weiblichkeit und Krankheit in unserer Gesellschaft, die nach wie vor auf der Vorstellung einer dichotomen Geschlechterordnung basieren.“

[6]

Die Pathologisierung von Frauen* in der Medizin hatte verschiedene Konsequenzen: Fehl- oder Überversorgung im Bereich der Medikalisierung durch Psychopharmaka; Vernachlässigung spezifischer Gesundheitsbedürfnisse; Stigmatisierung, sowie Unterrepräsentation von Frauen* in klinischen Studien.[7] In der Tat, obwohl geschlechtsspezifische Unterschiede in Symptomatik und Krankheitsverlauf nachgewiesen sind, werden klinische Studien häufig nur an männlichen* Probanden durchgeführt und Diagnosekriterien, Behandlungsmöglichkeiten sowie Medikamentendosierungen sind hauptsächlich auf Männer* ausgerichtet.[8] Weiterhin zeigen internationale Studien[9], dass Schmerzen bei Frauen* häufig unterschätzt oder nicht ernst genommen werden, insbesondere wenn die Schmerzen nicht mit anderen Symptomen einhergehen.[10]   
Nicht nur in der Forschung, sondern auch in der medizinischen Praxis werden nicht alle Körper gleichwertig behandelt. Besonders betroffen von dieser Ungleichbehandlung sind Frauen*, die als nicht weiß gelesen werden: bei ihnen überlagern sich sexistische und rassistische Vorurteile, was oft zu einer besonders schlechten medizinischen Versorgung führt.[11]  
Weitere Diskriminierungsrisiken aufgrund der sexuellen Identität betreffen vor allem nicht-heterosexuelle und nicht-cisgeschlechtliche Menschen. Dies kann auf mangelnde Sensibilität und Stereotypen seitens medizinischen Personals, Diskriminierung und Stigmatisierung sowie Zugangsbarrieren zu speziellen medizinischen Dienstleistungen zurückgeführt werden.[12]

All diese Aspekte werden genauer erläutert, und es wird auf die spezifischen Erfahrungen von Frauen* und LGBTQ*-Menschen in Deutschland eingegangen. Zuvor ist es jedoch wichtig, kurz zu definieren, was unter geschlechtsspezifischer Medizin zu verstehen ist.

2.     Geschlechtsspezifische Medizin

Die geschlechtsspezifische Medizin (auch als Gendermedizin bekannt) untersucht die Auswirkungen von biologischen und soziokulturellen Geschlechteraspekten auf Prävention, Entstehung, Diagnose, Therapie und Forschung von Krankheiten. Ihr Hauptziel besteht darin, die Qualität der Gesundheitsversorgung zu optimieren.[13]
Dieses Teilgebiet der Humanmedizin entstand in den 1970er Jahren als Reaktion auf die internationale Frauengesundheitsbewegung. Anfangs lag der Schwerpunkt hauptsächlich auf den Gesundheitsproblemen von Frauen*, doch im Laufe der Zeit hat sich ein ausgewogenes Interesse an der Erforschung anderer Geschlechter etabliert.[14]       
Dank der geschlechtsspezifischen Medizin konnte ein stark ausgeprägter Geschlechterunterschied bezüglich des Gesundheitsgeschehens nachgewiesen werden, d. h., in der Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und der Mortalität (Sterberate). In den Entstehungsprozessen von Krankheiten sowie den Krankheitsverläufen und im Gesundheitsverhalten scheinen Männer* und Frauen* sich signifikant zu unterscheiden.
Es muss jedoch beachtet werden, dass die Medizin in ihrer Definition von Gender[15] immer noch ein dichotomes, normiertes zweigeschlechtliches Verständnis nutzt: das Forschungsfeld konzentriert sich vorrangig auf die Binarität der Geschlechter Mann* und Frau*. Studien zu trans* und queeren Personen sind in diesem Bereich selten anzutreffen.[16]              

Es lässt sich also konstatieren, dass die geschlechtsspezifische Medizin eine bedeutsame und vielversprechende Disziplin darstellt, welche das Potenzial besitzt, die Gesundheitsversorgung erheblich zu optimieren. Indem geschlechtsspezifische Unterschiede in Betracht gezogen werden, können genauere Diagnosen und individualisierte Behandlungen ermöglicht werden, was zu verbesserten Ergebnissen für die Patienten führt. Des Weiteren trägt die geschlechtsspezifische Medizin dazu bei, gezieltere Präventionsstrategien zu fördern.
Dennoch ist es auch unbestreitbar, dass der geschlechtsspezifischen Medizin gewisse Herausforderungen gegenüberstehen. Eine nähere Erläuterung dieser Herausforderungen folgt im anschließenden Abschnitt.

3. Probleme und Barrieren der gesundheitlichen Versorgung  

In unserem alltäglichen Wissen wird die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen sowie die von Geburt an festgelegte Geschlechtszugehörigkeit (und größtenteils die damit verbundene Heterosexualität) in der Regel als selbstverständlich und natürlich akzeptiert und praktiziert.[17] Dennoch handelt es sich bei der Geschlechtskategorie um ein sozial strukturelles und sozial konstruiertes Phänomen, das historisch und gesellschaftlich geformt ist und in sozialen und alltäglichen Interaktionen sowie Handlungen reproduziert wird.            
Geschlecht klassifiziert Individuen in zwei unterschiedliche Gruppen, basierend sowohl auf biologischen Zuordnungen als auch auf gesellschaftlichen Zuschreibungsprozessen.
Demzufolge liegt das Problem dieser Ausrichtung an zweigeschlechtlichen und heterosexuellen Normen in der Gesundheitsversorgung hauptsächlich darin, dass es spezifische Benachteiligungen aufgrund der geschlechtlichen und sexuellen Identität verursacht.[18]        
Wie bereits zuvor kritisch angemerkt wurde, werden Frauen* in medizinischen Studien oft nicht angemessen berücksichtigt, während nicht-binäre Personen, die sich außerhalb des traditionellen Geschlechterspektrums identifizieren, mit unzureichender Anerkennung und Sensibilisierung seitens Gesundheitsdienstleistern konfrontiert sind. Dies führt zu geschlechtsbezogenen Datenlücken, erschwertem Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, Schwierigkeiten bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen, psychischen Gesundheitsproblemen und sozialer Stigmatisierung.            
Diese Probleme verdeutlichen die Notwendigkeit einer geschlechtsbewussten und LGBTQ* inklusiven Herangehensweise in der Medizin, um eine gerechtere und effektivere Gesundheitsversorgung für Frauen* und LGBTQ*-Menschen sicherzustellen.

Im Folgenden werden wir uns in den kommenden beiden Abschnitten konkret mit Daten und Erfahrungen bezüglich der Gesundheitsversorgung von Frauen und LGBTQ*-Menschen in Deutschland auseinandersetzen.

3.1 Erfahrungen von Frauen*

Laut des RKI-Berichtes zur gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland[19] von 2020 sind Frauen* häufiger von psychischen Störungen – vor allem von Depression, Angststörungen und Essstörungen – betroffen als Männer*:

„Bei der Entstehung psychischer Störungen spielen biologische, psychische und soziale Faktoren eine Rolle und werden als Gründe für bestehende Geschlechterunterschiede diskutiert. Aber es scheint auch Unterschiede in der ärztlichen Diagnosestellung zu geben: so wird bei gleicher Symptomatik bei Frauen häufiger eine psychische, bei Männern eine körperliche Erkrankung diagnostiziert.“

[20]

Forschungsergebnisse[21] belegen, dass Frauen* im Vergleich zu Männern* seltener Schmerzmittel verschrieben bekommen, wenn sie unter Schmerzen leiden, und stattdessen häufiger an Psycholog*innen überwiesen werden.[22]       
Hier lässt sich argumentieren, dass es sich bei den festgestellten gesundheitsspezifischen Unterschieden um naturgegebene Phänomene handelt, für die niemand verantwortlich gemacht werden kann. Dennoch ist es wichtig zu beachten, dass viele der gesundheitlichen Probleme von Frauen* nicht unmittelbar mit ihren spezifischen biologischen Eigenschaften in Verbindung stehen. Vielmehr sind sie das Ergebnis oder die Folge anhaltender Diskriminierung oder Benachteiligung.[23]        
Es kann festgestellt werden, dass die geschlechtsspezifische Medizin in der Realität nicht immer das gewünschte Maß an Inklusivität aufweist. Studien weisen darauf hin, dass ärztliches Fachpersonal männliche* Beschwerden ernster nehmen. Dagegen werden bei dem weiblichen Geschlecht anscheinend häufiger psychisch bedingte Leiden vermutet und die Behandlung dementsprechend ausgerichtet.[24] 
Deutliche Geschlechterunterschiede zeigen sich auch im Bereich der Gesundheitsversorgung, z.B. bei der Einnahme von Arzneimitteln. Sie betreffen zum einen die Verstoffwechselung und Wirkung von Arzneimitteln, einschließlich der Nebenwirkungen. Zum anderen gibt es Unterschiede in der Inanspruchnahme: Frauen* wenden häufiger Arzneimittel an als Männer*, sowohl mit ärztlicher Verordnung als auch in Selbstmedikation.[25]   
Besonders ausführlich belegt sind Behandlungsunterschiede nach Geschlecht bei Herzinfarkten. Nach Berücksichtigung der vorhandenen Symptome und des kardialen Risikos wurden weibliche Patientinnen, die mit Brustschmerzen die Notaufnahme aufsuchten, im Vergleich zu männlichen Patienten seltener auf Herzkrankheiten getestet.[26]   
Zusätzlich erfuhren Frauen* mit Brustschmerzen in der Notaufnahme längere Wartezeiten im Vergleich zu Männern*. Diese Beobachtung wurde in vier Berliner Krankenhäusern bestätigt.[27] Des Weiteren ergab eine Studie, dass kardiologische Untersuchungen bei Frauen* deutlich häufiger fehlerhaft durchgeführt wurden als bei Männern*, insbesondere wenn diese von männlichen Ärzten vorgenommen wurden.[28]            
Armut und soziale Ungleichheit haben ebenso  zentrale Auswirkungen auf die Gesundheit: Immer noch bekommen Frauen* im Durchschnitt 21 % weniger Gehalt als Männer*.
Diese geschlechtsspezifischen Ungleichheiten haben einen deutlichen Einfluss auf das Gesundheitswesen und stellen Barrieren dar, die zu Unterschieden in den Zugangschancen von Männern* und Frauen* führen.[29]

3.2 Erfahrungen von LGBTQ*-Menschen

Eine andere von Diskriminierung im Gesundheitswesen betroffene Gruppe sind LGBTQ*-Menschen. Trotz gesellschaftlicher Fortschritte in Richtung Akzeptanz und Gleichstellung bestehen weiterhin pathologisierende und stigmatisierende Perspektiven auf nicht-heterosexuelle und nicht-cisgeschlechtliche Lebensweisen. LGBTQ*-Menschen sind nach wie vor einem erhöhten Risiko von Vorurteilen, Stereotypen und ungleicher Behandlung durch medizinisches Fachpersonal ausgesetzt. Diese Problematik wirkt sich nicht nur auf individuelle Gesundheitsergebnisse aus, sondern beeinträchtigt auch das Vertrauen und die Bereitschaft der LGBTQ-Gemeinschaft, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen.[30]      
Insgesamt berichteten acht von zehn Jugendlichen und jungen Erwachsenen (82%), mindestens einmal Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität an mindestens einem Ort erlebt zu haben. Bei jungen trans* und gender*diversen Menschen sind es gut neun von zehn (96%).[31] 
Die Erkenntnisse der Europäischen Union Agentur für Grundrechte zeigen, dass jeder fünfte Trans*Mensch im Gesundheitswesen Diskriminierung erfährt. Der Bericht enthüllt, dass Trans*Menschen oft mit einem Mangel an Fachwissen über Transgender-Anliegen seitens der Gesundheitsdienstleister konfrontiert werden, unangemessene Fragen gestellt bekommen, ihr Geschlecht wiederholt fehlerhaft interpretiert wird, sie nicht ernst genommen oder beschimpft werden und ihnen sogar die Behandlung verweigert wird.[32]   
Ein weiteres Beispiel in Hinblick auf die Verweigerung von gleichen Zugängen findet sich im Gesundheitsbereich, da der Zugang zur gesundheitlichen Versorgung für Menschen mit einer HIV-Erkrankung deutlich erschwert ist. Ein konkretes Problem besteht darin, dass HIV-positive Menschen Schwierigkeiten bei der Terminvereinbarung in Arztpraxen haben.[33]     
Zwei Studien[34] zur Gesundheit von lesbischen Frauen liefern ebenfalls klare Hinweise darauf, dass es im deutschen Gesundheitssystem Barrieren gibt.         
Insgesamt hatten über 20% aller Befragten Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitssystem aufgrund ihrer lesbischen oder bisexuellen Lebensweise; ebenso viele gaben an, ihre soziosexuelle Identität aus Furcht vor Stigmatisierung und Ausgrenzung im medizinischen Bereich nicht offen gelegt zu haben: „Ich habe es nie öffentlich gemacht, um nicht schlechter behandelt zu werden.“[35]  
Oftmals wurden Frauen* fälschlicherweise als heterosexuell gelesen, sogar nachdem sie ihr Coming-out hatten, bis sie aktiv diese Annahme korrigierten. Die betroffenen Frauen* kritisierten die Verwendung nicht-einschließender Fragen, die ein „Zwang zum Selbst-Outing“ darstellten. Solche Fragen bezogen sich zum Beispiel auf Verhütung oder den letzten Geschlechtsverkehr, wobei nur heterosexueller Geschlechtsverkehr angenommen wurde.
Wenn sich Frauen nicht offenbarten, führte dies vor allem in der gynäkologischen Versorgung zu Verwirrung auf Seiten der ÄrztInnen und sogar zu fehlerhaften Differentialdiagnosen und Therapieempfehlungen.[36]
Aus den Erkenntnissen über die gesundheitliche Situation von LGBTQ*-Menschen wird ersichtlich, dass sozialer Ausschluss und Diskriminierung den gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung behindern. Um das Ziel des universellen Zugangs zu erreichen, ist es unerlässlich, angemessene Ressourcen bereitzustellen, um diese Barrieren zu überwinden.

Fazit

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gesundheitsbranche und die Forschungsgemeinschaft weiterhin in die geschlechtsspezifische Medizin investieren und sie als integralen Bestandteil der Gesundheitsversorgung etablieren. Durch eine verstärkte Sensibilisierung, Bildung und Zusammenarbeit kann sichergestellt werden, dass geschlechtsspezifische Unterschiede angemessen berücksichtigt werden und alle Patienten von den Vorteilen einer personalisierten und geschlechtsgerechten Medizin profitieren.

Letztendlich bietet die geschlechtsspezifische Medizin eine vielversprechende Perspektive für eine inklusivere, gerechtere und effektivere Gesundheitsversorgung. Es besteht daher ein dringender Bedarf an Maßnahmen, um diese Herausforderungen anzugehen und die Versorgung dieser spezifischen Minderheitsgruppen zu verbessern.


[1] Vgl. Schiebinger, Londa. 1993. Schöne Geister: Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 291; sowie vgl. Oertelt-Prigione, S., Hiltner, S. (2018). Medizin: Gendermedizin im Spannungsfeld zwischen Zukunft und Tradition. In: Kortendiek, B., Riegraf, B., Sabisch, K. (eds) Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und Gesellschaft, vol 65. Springer VS, Wiesbaden.

[2] Durch die Verwendung des Symbols „*“ wird betont, dass die Kategorie Geschlecht konstruiert ist. Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck sind keine fest definierten Kategorien. Sie gehen über die binären Bezeichnungen weiblich und männlich* bzw. Frau* und Mann* hinaus und umfassen eine Vielfalt von Identitäten.

[3] Mit dem Begriff sind: ethnische Minderheiten, LGBTQ+-Personen und Menschen mit Behinderungen gemeint.

[4] Vgl. Khrystenko, O. (2016). Die Manifestierung von Geschlechterstereotypen in Metaphern der deutschen Jugendsprache. Linguistik Online75(1). S.84-85.

[5] Vgl. Nolte, K. (2020). „Medizin und Geschlecht“ – Medizinhistorische Perspektive. Schwerpunkt: Gender & Medizin. In: Dr. med. Mabuse 247 September/Oktober 2020, S. 39.

[6] Ebenda, S. 39.

[7] Vgl. Maschewsky-Schneider U. (2002). Gender Mainstreaming im Gesundheitswesen — die Herausforderung eines Zauberwortes. In: Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis 34(3). S. 493.

[8] Vgl. Bartig et al. (2021): Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen – Wissensstand und Forschungsbedarf für die Antidiskriminierungsforschung. S. 32.

[9] Verweis auf Chen et al. 2008; Hoffmann und Tarzian 2001; Pierik et al. 2017; Samulowitz et al. 2018

[10] Vgl. Bartig, et al. (2021), S. 33.

[11] Vgl. Süess, M. Medizin: Wer hat Angst vor der gesunden Frau? WOZ Die Wochenzeitung. https://www.woz.ch/2236/medizin/medizin-wer-hat-angst-vor-der-gesunden-frau/!GGDTEYEPQ0RZ

[12] Vgl. K. Oldemeier, Kerstin: Sexuelle und geschlechtliche Diversität aus salutogenetischer Perspektive: Erfahrungen von jungen LSBTQ*-Menschen in Deutschland, In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 2-2017, S. 146.

[13] Vgl. Meinert, T. (2023): Geschlechtsspezifische Medizin. In: Deutscher Bundestag Nr. 09/23, S. 1.

[14] Vgl. Oertelt-Prigione, S., Hiltner, S. (2018).

[15] Mit dem Begriff Gender ist das gesellschaftlich zugewiesene und sozial konstruierte Geschlecht gemeint.

[16] Vgl. Keim-Klärner, S. (2019). Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleichheiten im Kontext verschiedener Ungleichheitsdimensionen. In: Neue Ideen für mehr Gesundheit. Georg Thieme Verlag KG. S. 276.

[17] Verweis auf die Studie von Wetterer, 2004.

[18] Vgl. Bartig, et al. (2021), S. 56.; sowie Verweis auf die Studie von Pöge et al. 2020.

[19] Vgl. RKI “Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland | 2020“, aufrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/frauenbericht/11_Zusammenfassung_Fazit.pdf?__blob=publicationFile.

[20] Ebenda, S. 377.

[21] Verweis auf Naamany et al. 2019; Samulowitz et al. 2018.

[22] Vgl. Bartig, et al. (2021), S. 33.

[23] Vgl. Riggers, M.: Gender Mainstreaming in Niedersachsen. In: Gesundheitswesen. 12. Tagung des Netzwerkes Frauen/Mädchen und Gesundheit Niedersachsen am. 7. Dezember 2000 in Hannover, SS.4-5.

[24] Vgl. A. Klärner et al. (2019), S. 283.

[25] Vgl. RKI “Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland | 2020“, S. 378.

[26] Vgl. Bartig, et al. (2021), S. 33.; sowie Verweis auf Chang et al. 2007.

[27] Verweis auf Jungehulsing et al. 2006.

[28] Vgl. Bartig, et al. (2021), S. 33.; sowie Verweis auf Chakkalakal et al. 2013.

[29] Vgl. A. Klärner et al. (2019), S. 283.

[30] Verweis auf Oldemeier (2017).

[31] Ebenda, S.56.

[32] Vgl. Karsay, D. (2017, October 10). Gesundheitliche Diskriminierung von Menschen außerhalb des binären Geschlechtersystems | Heinrich-Böll-Stiftung. Heinrich-Böll-Stiftung. https://www.boell.de/de/2017/10/10/gesundheitliche-diskriminierung-von-menschen-ausserhalb-des-binaeren-geschlechtersystems.

[33] Vgl. Kalkum, Dorina; Otto, Magdalena (2017): Diskriminierungserfahrungen in Deutschland anhand der sexuellen Identität: Ergebnisse einer quantitativen Betroffenenbefragung und qualitativer Interviews. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes. S. 88.

[34] Verweis auf Dennert 2005; Wolf 2004.

[35] Vgl. Dennert, G.; Wolf, G. Gesundheit lesbischer und bisexueller Frauen. Zugangsbarrieren im Versorgungssystem als gesundheitspolitische Herausforderung. In: Femina Politica 1 | 2009, S.50.; Zitate aus dem offenen Frageteil der Fragebogenerhebung. Sie werden hier z.T. gekürzt und in neuer Rechtschreibung wiedergegeben; Dennert 2005, 75-82.

[36] Ebenda.


Quelle: Atanasova Polinda, Geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung: Herausforderungen und Defizite, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 22.09.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=399

Inwiefern haben gesellschaftliche Konzepte von Männlichkeit einen Einfluss auf die Diagnostik von Depressionen bei Männern?

Nele Lorenz (SoSe 2023)

1. Einleitung

Das Erkranken an einer Depression stellt in der heutigen Gesellschaft ein zunehmendes Risiko dar. Insbesondere Frauen scheinen vermehrt betroffen. Sie erkranken häufiger an Depressionen und weisen ausgeprägtere depressive Symptome auf. Werden allerdings die geschlechterspezifischen Suizidraten miteinander verglichen, kann ein Paradoxon festgestellt werden. Obwohl Männer seltener mit einer Depression diagnostiziert werden, suizidieren sie sich fast doppelt so häufig wie Frauen (Wolfersdorf et al., 2006). Schlussfolgernd kann von einer Unterdiagnostizierung von Depressionen bei Männern ausgegangen werden. Es stellt sich die Frage inwieweit sich traditionelle Bilder von Männlichkeit auf dieses Phänomen auswirken und eine Ursache darstellen.

Die vorliegende Ausarbeitung wird sich im Folgenden auf den derzeitigen Literaturbestand und die Forschung, in Hinblick auf den Zusammenhang von gesellschaftlichen Konzepten von Männlichkeit und einer depressiven Erkrankung bei Männern, beziehen. Die anfängliche Darstellung von traditionellen Männlichkeitsbildern, sowie die darauffolgende Beschreibung einer depressiven Erkrankung anhand des ICD-10 fungiert als Grundlage der Analyse. Der Hauptteil umfasst die Betrachtung eines männerspezifischen Depressionsverständnisses mit vier verschiedenen Schwerpunkten. Es werden die grundlegenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die Prävalenz von Depressionen aufgeführt. Anschließend werden die Artefakttheorie, sowie der Begriff der Maskierten Depression und die Thematik des Hilfesuchverhaltens als Verständnis einer männerspezifischen Depression veranschaulicht. Den Schluss bildet ein Resümee.

Die Literatur, sowie die Forschung, die sich mit der beschriebenen Thematik befasst, geht oftmals von einem binären System der Geschlechter aus. Zusätzlich wird größtenteils nicht ausreichend konkret zwischen dem biologischen (sex) und dem sozialen (gender) Geschlecht unterschieden. Im Folgenden werde ich demnach ausschließlich auf die binären Konzepte von Frau und Mann eingehen können. Da sich die Ausarbeitung insbesondere mit gesellschaftlich vermittleten Geschlechterbildern auseinandersetzt, werde ich mich mit dem Begriff „Geschlecht“ auf das soziale Geschlecht beziehen. Ich werde versuchen diesen Begriff zu vermeiden und stattdessen „Gender“ zu verwenden.

2. Männlichkeitskonzepte

Die folgenden Unterkapitel befassen sich mit grundlegenden traditionellen Bildern von Männlichkeit, sowie der hegemonialen Männlichkeit als konkretes Konzept.

2.1. Traditionelle Männlichkeit

Die Idee der traditionellen Männlichkeit lässt sich mit den Begriffen der Genderrolle und Gendernorm weiter ausführen und konkretisieren.

Die männliche Genderrolle beinhaltet Erwartungen an die Rolle als Mann, die im Verlauf des Sozialisationsprozesses von Individuen erlernt und auf diesem Weg von einer Generation in die nächste weitergegeben werden (Addis & Mahalik, 2003; Branney & White, 2008). Traditionell männliche Normen beeinflussen diese idealisierte männliche Genderrolle, die somit keine angeborene Eigenschaft darstellt (Addis & Cohane, 2005; Addis & Mahalik, 2003; Cochran & Rabinowitz, 2003). Die Gendernormen beinhalten soziale Normen, die vorgeben, welche Verhaltensweisen, Eigenschaften, Gedanken und Emotionen bei den binären Konstrukten von Geschlecht, demnach bei Männern und Frauen erwünscht sind und erwartet werden (Syzdek & Addis, 2010). Idealisierte Eigenschaften wie körperliche Stärke, kompetitives Verhalten in Zusammenhang mit Erfolg, dem Interesse an Macht, emotionaler Gleichmut oder Anti-Feminität zählen zu der männlichen Gendernorm (Addis & Cohane, 2005; Addis & Mahalik, 2003; Cochran & Rabinowitz, 2003).

2.2. Hegemoniale Männlichkeit

Der Begriff der hegemonialen Männlichkeit findet sich erstmals in der marxistischen Literatur des italienischen Autors Gramsci wieder (Connell, 1987; Donaldson, 1993). Der Gedanke der hegemonialen Männlichkeit geht davon aus, dass Frauen schwächer und vulnerabler als Männer sind und ihnen außerdem körperlich unterlegen sind. Das Bitten um Hilfe hingegen, also auch sich um seine*ihre Gesundheit zu kümmern, ist weiblich konnotiert. Es besteht die Annahme, dass Männer strukturell leistungsfähiger sind und auch, dass Gesundheit und Sicherheit keine Rolle für einen Mann spielen sollen, wenn er dem Ideal der hegemonialen Männlichkeit entsprechen will (Courtenay, 2000).

Das Konzept definiert eine Form von Männlichkeit und vermittelt ein dominierendes Bild, das als wünschenswert und erstrebenswert gilt (Connell, 1987; Connell & Messerschmidt, 2005; Donaldson, 1993; Schigl, 2018). Es fungiert als handlungsleitender Grundeinstellung, an der Männer sowohl sich selbst als auch andere Männer messen (Möller-Leimkühler, 2010). Es wird von der Existenz einer Vielzahl unterschiedlicher Männlichkeit innerhalb einer bestimmten Kultur ausgegangen. Die hegemoniale Männlichkeit stellt allerdings das vorherrschende Modell der Männlichkeit, als Ausdruck von Macht, Prestige und Überlegenheit dar, dem andere Formen untergeordnet werden (Connell, 1987; Connell & Messerschmidt, 2005). Ausschließlich für eine Minderheit von Männern ist dieses Idealbild realisierbar (Möller-Leimkühler, 2010). Die Aufrechterhaltung der hegemonialen Männlichkeit wird mit der Interaktion zwischen Männern sichergestellt. Die Männlichkeit eines Mannes wird von anderen Männern bestätigt (Schigl, 2018). Männer, die dem Bild der hegemonialen Männlichkeit nicht entsprechen laufen also Gefahr, von anderen Personen einer der „untergeordneten“ Form von Männlichkeit zugeordnet zu werden.

3. Depressionen

Die Diagnosekriterien einer Depression sind im ICD-10 unter dem Überbegriff der depressiven Episode festgehalten. Es werden eine gedrückte Stimmung und ein vermindertes Antriebs- und Aktivitätsverhalten beschrieben. Es können Schlafstörungen, eine Verminderung des Appetits und der Konzentration, sowie ausgeprägte Müdigkeit, auch nach nur kleinen Anstrengungen, auftreten. Zusätzlich sind Depressionen durch ein geringes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl gekennzeichnet, das mit einem Gefühl der Wertlosigkeit einhergeht. Anhand der Anzahl und Schwere der Symptome findet eine Zuordnung zu einer leichten, mittelgradigen oder schweren depressiven Episode statt (ICD-code, o.J.).

4. Männerspezifische Depression

Die aufgeführten Unterkapitel stellen Argumentationspunkte in Bezug auf ein männerspezifisches Depressionsverständnisses dar und führen die Hintergründe für eine Unterdiagnostizierung von Depressionen bei Männern auf. Grundlage ist der aktuelle Literatur- und Forschungsstand.

4.1. Datenlage zu den Unterschieden zwischen Männern und Frauen

Die Anzahl der depressiv diagnostizierten Männer und die Zahl der männlichen Suizidopfer weist in der Literatur eine Inkongruenz auf. Es wird davon ausgegangen, dass mehr Männer an Depressionen leiden, als die klinische Prävalenzrate vorhersagt. Begründet wird dies an der Feststellung, dass Frauen häufiger mit Depressionen diagnostiziert werden, Männer allerdings in der Relation viermal häufiger Suizid begehen (Addis & Cohane, 2005; Cochran & Rabinowitz, 2003; Fields & Cochran, 2011). Das Robert Koch Institut stellte in einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGD1) aus den Jahren 2008 bis 2012 eine 12-Monats-Prävalenz von 8,1% diagnostizierter Depressionen bei Frauen und 3,8% bei Männern fest (Müters et al., 2013). Bei Frauen werden demnach mehr als doppelt so häufig Depressionen diagnostiziert als bei Männern. Bei depressiven Frauen bewegen sich die Themen besonders in ihrem engeren Verpflichtungsfeld der Familie, Partnerschaft und Kinder, während bei männlicher Depression der Themenschwerpunkt vermehrt, egozentrisch, auf der eigenen Person liegt (Wolfersdorf et al., 2006). Depressive Frauen geben in einer Selbstbeurteilung außerdem signifikant höhere Werte in Bezug auf eine Selbstbeschreibung von Angst und Ärger-Äußerungen an. Außerdem berichten Frauen konstant von mehr Symptomatik hinsichtlich der Beschwerdeliste. Im Freiburger Erregbarkeitsinventar und im STAIG-Angstfragebogen erreichen Männer signifikant höherer Werte in dem Item der Erregbarkeit versus Hemmung (Wolfersdorf et al., 2006).

In Kulturen, in denen Alkoholkonsum und Suizid gesellschaftlich tabuisiert werden, wie beispielsweise in der Jüdisch-Orthodoxen Gemeinde unterscheidet sich die Depressionsrate und -symptomatik zwischen Frauen und Männern nicht. Dieses Phänomen lässt sich auch in der Kultur der Amish People beobachten, in der die Geschlechterrollennormen streng egalitär sind (Möller-Leimkühler, 2008).

4.2. Artefakttheorie

Eine Studie von Mahalik und Cournoyer (2000) untersuchte den Einfluss von Männlichkeitsvorstellungen auf Männer mit Depressionen. Es wurde ein Vergleich der Testergebnisse der Gender Role Conflict Scale von depressiven und nicht depressiven Männern durchgeführt. Es stellte sich heraus, dass Männer, die depressiv erkrankt waren, bei 17 Items, die sich auf Genderbilder bezogen, höhere Werte erzielten als Männer, die nicht depressiv waren. Die Autoren formulierten daraufhin die Annahme, dass Männer, die an Überzeugungen der männlichen Genderrolle festhalten, eher von Depressionen betroffen sind als Männer, die diese Überzeugungen nicht vertreten. Diese Überzeugung wird „genderspezifische kognitive Verzerrung“ genannt (Mahalik & Cournoyer, 2000). Folgernd kann von der Theorie ausgegangen werden, dass Männlichkeitsnormen die Entwicklung psychopathologischer Probleme begünstigen (Syzdek & Addis, 2010). Die sogenannte Artefakttheorie führt den Unterschied zwischen den Geschlechtern in der Prävalenz von Depressionen auf „künstliche“ Faktoren zurück. Es wird davon ausgegangen, dass Genderbilder, die über den Sozialisationsprozess vermittelt werden, sich auf die Wahrnehmung und Äußerung der Symptome bei Männern und Frauen auswirken. Es stellt sich die Frage, inwiefern sich Depressionen mit einer anderen Symptomatik bei Frauen und Männern äußern. Anhand einer Studie ließ sich zeigen, dass Symptommuster wie Irritabilität, antisoziales Verhalten und Aggressivität bei Männern häufiger ein Hinweis für eine depressive Erkrankung waren. Bei Frauen handelte es sich dagegen oftmals um eine grundlegende Unruhe, Klagsamkeit, als auch um eine depressive Verstimmung (Müters et al., 2013). Männer berichten außerdem häufiger von atypischen Symptomen als Frauen, die sich nicht den regulären diagnostischen Kriterien einer Depression im ICD-10 zuordnen lassen. Es handelt sich beispielsweise um Alkoholabhängigkeit, feindselige Verstimmungen, Verlangsamung in Bewegung und Sprache, sowie einem Mangel an Gesten (Branney & White, 2008). Die verwendeten Skalen zur Erfassung von Depressionen weisen eine frauenspezifischere Auslegung auf, was zu einer systematischen Unterdiagnostizierung und Unterschätzung von Depressionen bei Männern führen kann (Müters et al., 2013). Demnach lässt sich ein Gender Bias in der Depressionsdiagnostik festhalten.

4.2.1. „Male Depression“

Während eines Suizidpräventionsprogramms auf der schwedischen Insel Gotland wurde das Konzept der „male depression“, mithilfe von psychologischen Autopsien an durch Suizid verstorbenen Menschen und weiteren klinischen Erfahrungen, entwickelt. Nach Weiterbildungen in Bezug auf die Depressionsdiagnostik und -behandlung stellte sich heraus, dass sich die Suizidrate der Frauen auf der Insel um etwa 90% verringerte, während die der Männer allerdings unverändert blieb. Bei den Autopsien der männlichen Suizidopfer zeigte sich, dass diese oftmals sowohl depressiv, als auch teilweise alkoholabhängig waren. Den Ärzt*innen war diese Tatsache, im Gegensatz zu der örtlichen Polizei und Ordnungsbehörden, häufig nicht bekannt. 

Mit der Berücksichtigung der häufig zusätzlich auftretenden Symptome bei Männern wie Aggressivität, Irritabilität, antisoziales Verhalten, Ärgerattacken oder Risiko- und Suchtverhalten während der Therapie, konnte die Suizidrate der Männer reduziert werden.

Diese Erkenntnisse führten zu der Entwicklung der „Gotland Scale for Male Depression“, die als Screening-Instrument explizit nach männlichen Symptomen fragt.

Das Konzept der „male depression“ geht zusammenfassend davon aus, dass die zuvor aufgeführten Symptome, die eigentlichen depressiven Symptome bei Männern maskieren. Diese geschlechtertypische, allerdings depressionsuntypische Symptomatik, ist in den üblichen Depressionsinventaren nicht enthalten. Dies hat eine Unterdiagnostizierung von Männern mit Depressionen zur Folge und führt zu eventuellen Fehldiagnosen (Möller-Leimkühler, 2007).

 4.3. Maskierte Depression

In der Literatur lässt sich oftmals ein Zusammenhang zwischen der Forschung zu Männlichkeit und Depressionen und dem Begriff der „Alexithymie“ finden. Dieser beinhaltet u.a. den Verlust der Fähigkeit Gefühle zu erkennen, zu benennen und zu kommunizieren (Carpenter & Addis, 2000). Zurückhaltung in der Emotionalität wird typischerweise der traditionellen männlichen Norm zugeordnet und somit häufig mit Männern und Männlichkeit in Verbindung gebracht. Wird an diesen Mustern festgehalten, kann nicht adäquat auf eine depressive Erkrankung reagiert werden. Gefühle von Trauer, die mit einer depressiven Erkrankung verbunden werden, gelten als unerwünscht und unmännlich (Cochran & Rabinowitz, 2000). Ein Erreichen der männlichen Idealnorm scheint ausschließlich auf Kosten von weiblich definierten Emotionen und Eigenschaften, wie Angst, Schwäche, Traurigkeit, Unsicherheit und Hilflosigkeit möglich (Möller-Leimkühler, 2010). Es findet eine Externalisierung der einhergehenden Probleme statt. Aufgrund der verdeckten und externalisierten Symptome, die oftmals nicht mit einer Depression in Verbindung gebracht werden, zeigt sich eine depressive Erkrankung bei diesen Männern nicht direkt (Cochran und Rabinowitz, 2000; Addis, 2008). Cochran und Rabinowitz (2000) beschreiben dieses Phänomen in ihrem Buch „Men and Depression: Clinical and Empirical Perspectives“ als „maskierte Depressionen“. Die maskierte Depression schließt sowohl physische Krankheiten, Alkohol- und Drogenmissbrauch, sexuelle Dysfunktion, als auch Aspekte wie häusliche Gewalt und Selbstsabotage im Beruf oder ähnlichem als mögliche Folgen und Anzeichen ein (Cochran & Rabinowitz, 2000). Rochlen et al. (2010) befragten im Rahmen einer Studie zum Einfluss der männlichen Genderrolle 45 Männer zu ihrer persönlichen Einstellung in Hinblick auf Genderrollen und Depressionserlebnissen. Die Beschreibungen der Probanden deckten sich zu einem Großteil mit dem Begriff der maskierten Depression. Es wird von Erwartungen an die männliche Rolle berichtet, die sich auf das Erleben der Depression auswirkten. Dazu zählten u.a. Erwartungen, wie nach außen hin ein gutes Bild zu vermitteln, keine Schwäche zu zeigen und Schmerzen zu verbergen. Auch die Erzählungen von Problemverhalten deckten sich mit der Theorie der maskierten Depression (Rochlen et al., 2010). Die Studie berichtete auch, dass einige Teilnehmer Depressionen als Gegenstück zum Glücklichsein betrachten, welches gelichzeitig selbst als unmännlich aufgefasst wird. Die Schlussfolgerung daraus ist die normative Betrachtung von Depression bei Männern (Rochlen et al., 2010).

4.4. Hilfesuchverhalten

Neben einem Gender Bias und dysfunktionales Stressverarbeitungsmustern und Umgangsformen lässt sich zusätzlich ein mangelndes Hilfesuchverhalten als Grund der Unterdiagnostizierung von Depressionen bei Männern festhalten. Der gemeinsame Nenner dieser drei Faktoren stellt das Konstrukt der traditionellen Maskulinität dar, das eine Depression normativ ausschließt und deren Maskierung durch externalisierendes Verhalten fördert (Möller-Leimkühler, 2008). Traditionelle Männlichkeitsideale implizieren das Abhalten einer Hilfesuche (Addis & Mahalik, 2003; Epstein et al., 2010; Good et al., 1989). Good et al. (1989) fanden in einer Studie mit 401 männlichen Studenten heraus, dass bei Männern, die an traditionellen männlichen Genderrollen festhalten, das Hilfesuchverhalten geringer ausfällt als bei Männern mit einer weniger traditionellen Ausprägungen. Es zeigte sich, dass Männer, die eine negative Einstellung zu offener Emotionalität aufwiesen, weniger geneigt waren, sich psychologische Hilfe zu suchen (Good et al. 1989). Eine weitere Studie von Vogel et al. (2011) fand heraus, dass sich Selbststigmatisierung als ein entscheidender Prädiktor für ein Hilfesuchverhalten erwies. Zusammenfassend kann festgehalten, dass normative Geschlechterrollenerwartungen, die zu einer Nichtwahrnehmung und Verleugnung von Symptomen anleiten, Barrieren für eine Hilfesuche darstellen (Wolfersdorf et al., 2006). Zusätzlich werden psychische oder emotionale Probleme selten von Männern während eines Besuchs eines*r Ärzt*in angesprochen. Vielmehr wird von körperlichen Beschwerden berichtet. Dahinter verbirgt sich ein Vermeidungsverhalten, das die männliche Identität wahren soll (Möller-Leimkühler, 2008). Ein Therapieprozess kann nicht stattfinden, wenn sich ein depressiv erkrankter Mann keine Hilfe sucht.

5. Fazit

Schlussendlich lässt sich festhalten, dass die Unterdiagnostizierung von Depressionen im Vergleich zu der hohen Suizidrate bei Männern eine Problematik darstellt. Dieses Paradoxon lässt sich auf den Hintergrund von gesellschaftlich vermittelten traditionellen Gendernormen, wie der hegemonialen Männlichkeit, zurückführen. Stereotypische Genderbilder, die während eines Sozialisationsprozesses internalisiert werden, können eine maskierte Depression bei Männern hervorbringen. Hegemoniale Gedanken, wie beispielsweise „Männer sind nicht vulnerabel“ werden verinnerlicht und mit Scham verbunden. Symptome, wie ein verringertes Selbstwertgefühl, werden daraufhin von externalisierten Symptomen überdeckt. Diese zeigen sich beispielsweise in einer Alkoholsucht, was wiederrum eine Fehldiagnose zur Folge haben kann. Eine mangelndes Hilfesuchverhalten, das von Genderbildern unterstützt wird, führt zusätzlich zu einer Unterdiagnostizierung von Depressionen bei Männern. Auch der Gender Bias in der Diagnostik lässt sich als eine Ursache für die Unterschiede in der Prävalenz von Depressionen zwischen den binären Gendersystemen verordnen. Beurteilungsskalen und Diagnosekriterien weisen insbesondere in Hinblick auf traditionelle Genderrollen einen frauenspezifischen Schwerpunkt in der Symptomatik auf.

Ich möchte abschließend die Kritik aufführen, dass Probanden der wenigen Studien oftmals weiße, heteronormative, cis-männliche Universitätsstudenten aus den USA waren. Die Studien sind demnach nicht repräsentativ für Männer anderer Ethnien oder anderer sexueller Orientierung. Auch der sozioökonomische Hintergrund wurde häufig nicht miteinbezogen. Verallgemeinernd ist zu verzeichnen, dass noch nicht ausreichend wissenschaftliche Evidenz für das Konzept von männlichen Depressionen, sowie Studien zur Thematik von geschlechterspezifischer Wirksamkeit von Antidepressiva oder psychotherapeutischen Verfahren bestehen. Zukünftig werden weitere Untersuchungen, die Studien, wie die auf der Insel Gotland weiter untermauern und stärken, von großer Bedeutung sein, um die Unterschiede in der Prävalenz von Depressionen zu reduzieren und Betroffenen umfangreicher behandeln zu können. Es ist von großer Wichtigkeit, ein Bewusstsein und eine Sensibilität für die Lücke in der Forschung, als auch im zwischenmenschlichen Umgang, zu schaffen.

6. Literaturverzeichnis

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Quelle: in: Nele Lorenz, Inwiefern haben gesellschaftliche Konzepte von Männlichkeit einen Einfluss auf die Diagnostik von Depressionen bei Männern?, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 22.09.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=395