Where Are You From?

Inwieweit hinter dieser Frage Rassismus steckt

JeongA Hwang (WiSe 2022/23)

1. „Where are you from?”

Wie sind meine Erfahrungen mit dieser Frage?

In den 4 Jahren, die ich in Deutschland lebe, bin ich dieser Frage unzählige Male begegnet. In meiner Erinnerung waren die Menschen, die nach meiner Herkunft gefragt haben, meist Weiß. Sie stellten mir unerwartet auf der Straße, in einem Restaurant, in einem Wartezimmer, irgendwo, solche Fragen, ohne dass wir davor ein Gespräch führten. Wenn jemand Deutsch spricht, fragte diese Person mich nicht auf Deutsch „Woher kommst du?“, sondern erstmal immer auf Englisch: „Where are you from?“. 

Einige Male habe ich diese Situation so empfunden, als wolle diese Person mit mir Smalltalk führen. Als dies allerdings immer wieder passierte, fühlte ich mich sehr unwohl. Daher möchte ich in diesem Essay erstens meine Reflexion mit dieser Frage beschreiben und folglich darauf eingehen, warum „Where are you from?“-Frage eine rassistische Frage ist, wie meine ethnische Identität als asiatisch bestimmt wird und welche Konsequenzen racial microaggression im Zusammenhang mit der Fremdzuschreibung mit sich bringen kann.

Reflexion

Ich wurde zuletzt vor zwei Wochen (Mitte April 2023) gefragt, wo ich herkomme. Ich hatte mich in einer Bar mit meinen Freundinnen getroffen. Wir alle kommen aus Südkorea, leben seit einigen Jahren in Deutschland und können Deutsch sprechen. Während wir uns in unsere Sprache unterhielten, kam eine Gruppe von etwa 8-9 gut gekleideten weißen Menschen und nahmen den Platz neben uns ein. Sie schienen unter Kolleginnen und Kollegen zu sein. Ich bemerkte, dass sie sich auf Deutsch unterhielten.

Als eine von uns zum Rauchen kurz weg war, nahm eine Person von ihnen plötzlich einen unserer Stühle weg, obwohl noch viele übrige danebenstanden. Daraufhin sprach eine meiner Freundinnen diese Person an: „Der Stuhl ist besetzt. Sie können daneben einen anderen nehmen.“ Diese reagierte daraufhin lästig und antwortete auf Englisch „I know, I know. I will give it back to her soon.“

Wir fühlten uns gekränkt, taten aber so, als würde es uns nicht stören, weil wir unser gutes Treffen nicht zerstören wollten. In der darauffolgenden Stunde starrte jedoch eine andere Person von ihnen uns an, während wir uns unterhielten, und kam schließlich mit einem entschlossenen Gesicht zu uns und fragte:

„Hey, Where are you from?“

Eine von uns hatte auf Deutsch darauf geantwortet, weil sie schon wusste, dass jene Person Deutsch sprechen kann:

„Aus Berlin.“

Daraufhin dachte diese einen Moment nach:

„Ah, Ihr könnt Deutsch. Ich meinte, wo eure Sprache herkommt.“

Ich fragte mich, warum diese Person uns so was fragte. Aber wir versuchten nett zu bleiben:

„Es ist Koreanisch.“

Nachdem sie unsere Antwort hörte, hat sie mit einem fröhlichen Gesicht zu uns gesagt:

„Achso, Ich habe ähnliche Sprache gehört, als ich in Singapur war!“

Nach der Unterhaltung mit dieser Person hatte ich unerklärlich schlechte Laune bekommen und unser angenehmer Abend war ruiniert. Ich kann nicht anders als zu wiederholen, warum sie uns gefragt hat, woher wir kommen, warum wir ihr das sagen müssen, und was für ein Zusammenhang zwischen Korea und Singapur für diese Person besteht, dass sie uns das ohne Überlegung fragen kann. Nach kurzem Nachdenken kam ich zum Ergebnis, dass solche Haltung gegenüber uns eindeutig rassistisch ist und dass diese Person uns aufgrund unseres Aussehens als asiatisch betrachtet hat. Jedoch meinte eine von uns, dass wir nicht beleidigt sein sollten und dass diese Person uns nicht mit schlechten Absichten gefragt hat. Daher musste ich mich nochmal fragen, ob mein schlechtes Gefühl richtig war.  

2. Was stört mich an dieser Frage?

Racial Microaggression

Rassismus ist eine Form von Diskriminierung. Rassismus richtet sich vorwiegend gegen BIPoC (Der Begriff bezieht sich auf Schwarze, Indigene und People of Color.) um diese aufgrund ihrer Herkunft, Farbe, Haare, Namen, Sprache, usw. zu entwerten, abzugrenzen und zu diskriminieren, ohne die individuellen Eigenschaften von betroffenen Menschen zu berücksichtigen.[1] Rassistische Handlungen können nicht nur Körperverletzung, verbale Herabsetzung und feindselige Darstellungen, sondern auch Komplimente und Gefälligkeiten sein.

Den Begriff Mikroaggressionen verwendete Harvard Professor Dr. Chester M. Pierce zum ersten Mal im Jahr 1970, um die Angriffe auf die Würde schwarzer Menschen bei Begegnungen zwischen weißen und schwarzen Menschen im US-Kontext zu bezeichnen und darzustellen. Laut Pierce sind Mikroaggression Äußerungen in der alltäglichen Kommunikation, die als übergriffig wahrgenommen werden und die der andere Person bewusst oder unbewusst abwertende Botschaften übermitteln, welche sich auf deren Gruppenzugehörigkeit beziehen.[2] In seinem Artikel An Experiment In Racism TV Commercials (1977) beschrieb er,“the chief vehicle for proracist behaviors is microaggression” (1977: 65).

Über die Jahre wurde dieser Begriff und diese Form von Rassismus weiter erforscht. Nach Solorzano, Ceja und Yosso wurde rassistische Mikroaggression wie folgt definiert: “subtle insults (verbal, non-verbal, and/or visual) directed toward people of color, often automatically or unconsciously” (2000: 60). Derald W. Sue teilt mit seinen Kolleginnen und Kollegen interpersonelle rassistische Mikroaggression in drei Ebenen ein: Erstens bezeichnen Mikroangriffe (microassaults) vorsätzliche diskriminierende Angriffe, die den Angegriffenen verbal oder nonverbal herabsetzen oder verletzen. Dies gleicht dem klassischen und offenen Rassismus, weshalb sie in der Forschung zur Mikroaggression selten erwähnt werden. Zweitens sind Mikrobeleidigungen (microinsults) unhöfliche oder unsensible, instinktlose Äußerungen, die die Herkunft oder Identität des Angegriffenen betreffen. Sie sind unterschwellig und deuten an, dass die Angegriffenen weniger wert sind. Schließlich beziehen sich Mikroentwertungen (microinvalidations) auf Aussagen, die die rassistischen Erfahrungen von BIPoC ignorieren oder entkräften. Wenn die Angegriffenen dies verwerfen, können die Angreifer diese unter dem Deckmantel des „Kompliments“ (z.B. Du kannst gut Deutsch!), des „gut gemeinte“ Widerstandes (z.B. Ich sehe keine Farben) oder der Zurechtweisung (z.B. sei nicht so sensibel!) zurückschlagen. Die Frage „Woher kommst du?“/ „Where are you from?“ gehört dazu.[3]

Rassistische Mikroaggressionen treten in den einzelnen Interaktionen zwischen den Täter:innen und den Opfern auf, weshalb sie als ‚mikro“ bezeichnet werden. Darüber hinaus kann es passieren, dass weder die Täter:innen noch die Opfer sie als eine Form von Aggressionen bemerken, da die Täter:innen sich scheinbar unabsichtlich rassistisch äußern. Williams demonstrierte jedoch, dass rassistische Mikroaggression tatsächlich beleidigend und aggressiv genug sei, weil die Opfer vorher bereits Mikroaggression erlebt hätten, unabhängig davon, ob die Täter:innen absichtlich oder unabsichtlich agieren. In der psychologischen Forschung wurde festgestellt, dass Mikroaggressionen auch einen ebenso großen psychologischen Einfluss auf die Opfer haben, wie andere Formen von Aggressionen. Neben den Auswirkungen auf die Opfer spielen rassistische Mikroaggressionen unter Interaktionen zwischen Weißen und BIPoC eine große Rolle, da die weiße Vorherrschaft unbewusst gestützt und bestärkt wird. Die Täter:innen demütigen oft unbeabsichtigt, weshalb die Opfer in einem Dilemma stecken und sich fragen, ob ihnen wirklich Rassismus widerfahren ist. Ein wichtiger Punkt zum Erkennen der rassistischen Mikroaggression ist es, dass sie aus der Perspektive des Opfers betrachtet werden muss.[4] Dementsprechend sind rassistische Mikroaggressionen Aussagen von Täter:innen, die absichtlich oder unabsichtlich erfolgen, wobei sie die Opfer abwerten und deren Identitäten, Erfahrungen und Wissen unsichtbar machen.

3. Was heißt eigentlich, Asiat:innen zu sein?

Asiatische Identität

Seitdem ich in Deutschland lebe, habe ich durch solche oben erwähnten Erfahrungen bemerkt, dass ich hier sowohl als Fremde, Ausländerin oder auch als Asiatin angesehen werde. Ich muss mich immer wieder fragen, warum ich nicht als eine Koreanerin, sondern als eine Asiatin wahrgenommen werde und was eigentlich asiatisch bedeutet.

Asiatische Identität ist eine ethnische Identität, die aufgrund verschiedener Aspekte wie z.B. Herkunft, Kultur, Geschichte und Religion als asiatisch selbst bezeichnet wird, oder vor allem aufgrund des Aussehens von anderem Individuum und andere ethnischen Gruppe als asiatisch zugeschrieben und abgegrenzt wird. Eine asiatisch gelesene Person kann deshalb von anderen als Mitglied einer asiatischen Gruppe behandelt werden, ohne mit dieser wirklich verbunden zu sein oder sich selbst dieser verbunden zu fühlen.

Jedoch ist Asien der größte Kontinent unserer Erde. Er vereint verschiedenen Nationen, Kulturen, Geschichten und Religionen und kann deshalb nicht einfach einheitlich angesehen werden. Nun kommt die nächste Frage: Welche Personen sind gemeint, wenn über „Asiatinnen und Asiaten“ gesprochen wird?

In Deutschland werden Menschen aus Westasien in großem Zusammenhang mit der Religion eher als muslimisch wahrgenommen, obwohl der Islam nicht bei allen westasiatischen Ländern als offizielle Religion gilt. Außerdem werden Menschen aus Zentralasien eher mit der ehemaligen Sowjetunion verbunden wahrgenommen. Welche menschliche Gruppe mit dem Asiatischen verknüpft sind, wurde von einer Befragung erforscht. Zusammengefasst resultiertet daraus, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung vor allem Menschen aus China, Japan, Südkorea, Thailand, Indien und Vietnam mit Asien verknüpft.[5]

Asiant:innen sind Forever Foreigners

An dieser Stelle möchte ich mich damit befassen, wie asiatisch wahrgenommene Menschen in der weißen Dominanzgesellschaft stereotypisiert und dargestellt werden, welche Bedeutung dahintersteckt und welche Konsequenz dies mit sich bringt, beispielsweise für die Corona-Pandemie.

Asiatisch gelesene Menschen in Deutschland oder in anderen weißen Dominanzgesellschaften werden in widersprüchlichen Dimensionen sowohl positiv als auch negativ wahrgenommen. Einerseits werden sie als „Vorzeigemigrant*innen“ beschrieben und mit anderen (post-)migrantischen Gruppen verglichen, egal ob sie das wollen oder nicht. Andererseits werden sie als „G**** Gefahr“[6] dargestellt, einer homogene Masse, welche die weiße Bevölkerungen gesundheitlich, ökonomisch, usw. gefährden.[7] Geschlechtsspezifisch werden asiatisch weiblich gelesene Menschen hypersexualisiert und ihnen Eigenschaften wie „gehorsam“ und „unterwürfig“ zugeordnet, während asiatische männlich gelesene Menschen, je nach Narrativ, eher als de-sexualisiert dargestellt werden.

Weiße Menschen glauben, dass asiatisch gelesene Menschen sich in ihre Gesellschaft integrieren wollen. Aufgrund des existierenden Rufes der asiatisch gelesenen Menschen sind weiße Menschen nicht dagegen, sie in ihre Gruppen aufzunehmen. Dadurch scheinen asiatisch gelesene Menschen leichter der weißen Dominantgesellschaft anzugehören als andere BIPoC. Tatsächlich werden sie in dieser Gesellschaft jedoch als „forever foreigners“ angesehen und erfahren verschiedene Formen von Marginalisierung und Ausgrenzung.[8]

Die stereotypisierten Darstellungen, die Asien aus westlichem Blick zugeschrieben werden, stehen im Zusammenhang mit dem Konzept des „Orientalismus“ von Said. Ihm zufolge definiert der Westen sich selbst als überlegene Zivilisation, den Osten dagegen als „exotische“ und „minderwertige, unterlegende“ Zivilisation und den Osten als „Andere“, die „Uns“ ständig bedrohen. Mit diesen in westlichen Gesellschaften tief verwurzelten orientalistischen Ideen sind die asiatisch gelesenen Menschen den Weißen unterlegene und dauerhaft bedrohliche Ausländer:innen, unabhängig davon, wie lange sie in Deutschland leben, ob sie in Deutschland geboren sind, oder wie gut sie Deutsch können und wie gut sie in die deutsche Gesellschaft integriert sind.

Einige Wissenschaftler:innen behaupten, dass die positive Zuschreibung (asiatisch gelesene Menschen als „Vorzeigemigrant:innen“) auch wie ein „camouflaged Orientalism“ wirkt. Dies liegt daran, dass Druck auf asiatisch gelesene Menschen ausgeübt wird, sich „vorbildlich“ zu verhalten und sich an die weiße Dominantgesellschaft anzupassen. „G**** Gefahr“ hingegen ist ein negativerer und deutlich rassistischerer Ausdruck und spiegelt sehr direkt den Orientalismus wider. Hierbei werden asiatisch gelesene Menschen erniedrigt, da sie kulturell und politisch den Weißen unterlegen und dabei bedrohlich für Weiße seien.[9] Diese beiden Narrative markieren asiatisch gelesenen Menschen als permanente „Ausländer:innen“ oder „Andere“, die sich nie in Weiße dominierende Gesellschaft integrieren. Dieser Blick auf Asiatinnen und Asiaten kommt im Alltag in Form von rassistischer Mikroaggression zum Ausdruck, in einer nationalen Krise tritt er jedoch in einer kollektiveren und gewalttätigeren Form auf.

Ein Beispiel hierfür ist die Covid-19-Pandemie. Während der Pandemie verbreiteten sich in den deutschen Medien negative Verschwörungstheorien über China, was zu einem Anstieg der Antichina- und Antiasien-Stimmung führte. Infolgedessen sind nicht nur Chinesinnen und Chinesen, sondern auch alle asiatische wahrgenommenen Menschen von Gewalt und Diskriminierung betroffen, weil sie „wie Chinesinnen und Chinesen aussehen“ oder weil die falsche Vorstellung besteht, dass alle Asiatinnen und Asiaten aus China kommen.

Antiasiatischer Rassismus geschieht aus solchen falschen Darstellungen in sehr umfangreichen Formen, z.B. verbalen Mikroaggressionen, struktureller Diskriminierung und körperlichen Angriffen, oder im schlimmsten Fall sogar Mord. In diesem Kontext fand eine Rassifizierung und Kulturalisierung eines biologischen Phänomens statt. Der Virus wurde asiatisch gelesenen Körpern zugeschrieben und asiatisch gelesenen Menschen wurde die Schuld für die vermeintliche Verbreitung des Virus zugewiesen. Asiatinnen und Asiaten erleben in Krisenzeiten „Othering“ von anderen ethnischen Gruppen. Durch „Othering“ werden sie für ihre Lebensweise und ihre kulturellen Merkmale verurteilt, stigmatisiert und für das Verursachen und Verbreiten der Krise verantwortlich gemacht. Dies impliziert, dass Asiatinnen und Asiaten nicht als Mitglieder:innen der deutschen Gesellschaft anerkannt werden, sondern Andere sind, die jederzeit ausgeschlossen werden können, wenn die Dominanzgesellschaft sie nicht mehr will.[10] Covid-19 deutet in verschiedenen Formen von Othering und Rassismus an, dass Asiatinnen und Asiaten in Deutschland immer noch als permanente Ausländer:innen gelten und dabei ihre eigene Erfahrungen ignoriert wird.

4. Ausblick

Rassistische Mikroaggressiontritt normalerweise in interpersoneller Kommunikation auf. Dabei wird sie möglicherweise nicht als rassistische Haltung wahrgenommen und ihre Auswirkung auf die Betroffenen wird unterschätzt. Allerdings kann sich daraus eine kollektive, gewalttätige und strukturelle Form von Rassismus ergeben.

Das Problem mit rassistischer Mikroaggression und antiasiatischem Rassismus besteht darin, dass sie weniger im Vergleich zu Rassismus gegen andere BIPoC erforscht und erkannt wird. Aufgrund des Blicks, dass Asiatinnen und Asiaten vorbildlich sein sollen, wird ihr Leben in der deutschen Gesellschaft unsichtbar. Dadurch bleibt die antiasiatische Diskriminierung, sowie ausgrenzende Situationen gegenüber Asiatinnen und Asiaten, unsichtbar. Das lässt sich unter anderem auf den Mangel an inhaltlicher und personeller Diversität in verschiedenen Bereichen zurückführen. Insbesondere werden Asiatinnen und Asiaten in Deutschland in der Wissenschaft, in Bildungsinstitutionen, in den Medien und in der Kultur immer noch zu wenig repräsentiert. Sie sind z.B. in den meisten Medien abwesend oder erscheinen in einer Art, in der bestimmte Stereotypen verstärkt werden, wie beispielsweise als „token asian“. Es ist sehr wichtig zu repräsentieren und darzustellen, dass Asiatinnen und Asiaten an vielfältigen und vielseitigen Orten auf verschiedene Weise existieren. Dadurch können ihre Existenz und ihr Leben in der Gesellschaft sichtbar werden und die Öffentlichkeit wird gegenüber antiasiatischem Rassismus sensibilisiert.

Seit dem Beginn der Pandemie hat antiasiatischer Rassismus in Deutschland bewirkt, dass sich bundesweit Aktivistinnen und Aktivisten aus der Asiatisch-Deutschen Community vernetzen und sich gemeinsam gegen Rassismus engagieren.[11] Die Selbstbezeichnung „Asiatische Deutsche“ wird verwendet, damit viele asiatisch wahrgenommenen Menschen sich politisch gemeinsam positionieren und solidarisieren, um gegen Rassismus zu kämpfen.[12] Sich  als Asiatinnen und Asiaten zu identifizieren kann einerseits dazu führen, sich durch ethno-national-kultureller Kategorisierung von anderen Gruppen abzugrenzen, anderseits mit dieser gemeinsamen Bezeichnung ein Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl hervorbringen.[13] Dahingehend können Asiatinnen und Asiaten sich zusammenfinden und gegenseitig unterstützen, indem sie gemeinsam öffentlich ihre Erfahrungen teilen und andere Erfahrungen hören. Dadurch können sie stolz darauf bleiben, dass sie Asiatinnen und Asiaten sind.

Literaturverzeichnis

Administrator: ASIATISCHE DEUTSCHE – Migrationsgeschichten, in: Migrationsgeschichten, 15.08.2022, [online] https://migrations-geschichten.de/asiatische-deutsche/.

Bildung, Bundeszentrale Für Politische: Rassismus, in: bpb.de, 30.11.2022, [online] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-in-einfacher-sprache/322448/rassismus/.

Ha, Kien Nghi: Asiatische Deutsche: Vietnamesische Diaspora and Beyond, 15.01.2021. S. 212-215

Li, Yao/Harvey L. Nicholson: When “model minorities” become “yellow peril”—Othering and the racialization of Asian Americans in the COVID‐19 pandemic, in: Sociology Compass, Wiley-Blackwell, Bd. 15, Nr. 2, 01.02.2021, [online] doi:10.1111/soc4.12849, S. 1-13

Nguyen, Kimiko Suda |  Sabrina J. Mayer |, Christoph: Antiasiatischer Rassismus in Deutschland, in: bpb.de, 07.12.2021, [online] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland/.

Pierce, Chester M./Jean V. Carew/Diane Pierce-Gonzalez/Deborah Wills: An Experiment in Racism, in: Education and Urban Society, SAGE Publishing, Bd. 10, Nr. 1, 01.11.1977, [online] doi:10.1177/001312457701000105, S. 61–87.

Spanierman, Lisa B./D Anthony Clark: Racial Microaggressions: Empirical Research that Documents Targets’ Experiences, in: Gesellschaft der Unterschiede, Transcript Verlag, 06.02.2023, [online] doi:10.14361/9783839461501-008, S. 231–250.

Sue, Stanley/Christina M. Capodilupo/Gina C. Torino/Jennifer Bucceri/Aisha M. B. Holder/Kevin L. Nadal/Marta Esquilin: Racial microaggressions in everyday life: Implications for clinical practice., in: American Psychologist, American Psychological Association, Bd. 62, Nr. 4, 01.05.2007, [online] doi:10.1037/0003-066x.62.4.271, S. 271–286.


[1] Vgl. Bildung, 2022.

[2] Vgl. Spanierman/Clark, 2023. S. 231

[3] Vgl. Sue et al., 2007. S. 274f

[4] Vgl. Spanierman/Clark, 2023. S. 232f

[5] vgl. Nguyen, 2021.

[6] Der Begriff „G**** Gefahr“ ist ein Pejorativum aus der Kolonialzeit gegen (süd-)ostasiatische Völker und eine diskriminierende Bezeichnung für die Betroffenen, deshalb möchte ich in diesem Essay nicht direkt verwenden.

[7] vgl. Nguyen, 2021.

[8] Vgl. Li/Nicholson, 2021. S. 2

[9] vgl. Li/Nicholson, 2021. S. 3f

[10] vgl. Li/Nicholson, 2021. 4ff

[11] vgl. Nguyen, 2021.

[12] Vgl. Administrator, 2022.

[13] vgl. Ha, 2021. S. 213


Quelle: JeongA Hwang, Where Are You From? Inwieweit hinter dieser Frage Rassismus steckt, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 20.07.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=380

Stereotype Threat

Beeinflussung der akademischen Identität durch Stereotype und ihre Auswirkungen

Alina Wusits (SoSe 2022)

Einleitung

Bevor ich auf das eigentliche Hausarbeitsthema zu sprechen komme, möchte ich ein paar Worte zu dem Gebrauch von meiner Schrift und Sprache verlieren. Ich habe mich bewusst dafür entschieden den englischen Ausdruck People of Color (Abkürzung: PoC) zu verwenden, da es sich hierbei um eine internationale Selbstbezeichnung von Menschen handelt, welche Rassismus erfahren. Der Begriff ist emanzipatorisch, solidarisch und verdeutlicht eine politisch gesellschaftliche Position. Außerdem stellt sich die Bezeichnung gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft (Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, (o. D.)). Darüber hinaus verwende ich genderneutrale Sprache, da es mir sehr wichtig ist, dass sich alle Menschen, die diesen Text lesen, angesprchen fühlen.

Ich habe mich für das Thema Stereotype Threat entschieden, weil ich die Einteilung von Menschen in Kategorien und die Konsequenzen davon im Allgemeinen sehr spannend finde. Mit der Gruppierung von Menschen und der Zuschreibung von Erwartungen und Eigenschaften entstehen Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung. Der Stereotype Threat Effekt ist eine von vielen Folgen und kann weitreichende Konsequenzen für das Leben einer Person haben. Das Wissen darüber, dass es diesen Effekt gibt, regt zum Nachdenken an und ermöglicht es, diesem Phänomen, zusammen mit anderen Interventionsmaßnahmen, entgegenzuwirken.

In meiner Hausarbeit gehe ich vor allem auf eine Studie von Shelvin et al. (2014) ein, die sich mit Stereotype Threat von PoC Kindern beschäftigt. Die Auswirkungen dieses Phänomens haben beginnend im Kindesalter weitreichende Folgen auf das Leben einer Person of Color. Im Allgemeinen kann man den Effekt aber in ganz unterschiedlichen Gruppen und Situationen beobachten. Beispielsweise gibt es zahlreiche Studien, die sich mit den Auswirkungen des Effekts bei Schülerinnen[1], homosexuellen Menschen oder älteren Personen beschäftigen.

Definitionen

Definition Stereotyp

Menschen werden im Alltag ständig aufgrund bestimmter Merkmale und Eigenschaften zu sozialen Kategorien und Gruppen zusammengefasst, da Kategorisierungen dabei helfen die Realität zu ordnen, zu strukturieren und zu vereinfachen. Jede Person ist Teil mehrerer sozialer Kategorien, ganz unabhängig davon, ob dies gewollt oder ungewollt, beziehungsweise bewusst oder unbewusst geschieht. Abhängig von der jeweiligen Kategorie hat die Gesellschaft unterschiedliche Erwartungen an die Mitglieder einer Gruppe. Jedoch trifft meist nur ein kleiner Anteil der erwarteten Merkmale wie Verhaltensweisen, Vorlieben, Einstellungen etc. zu und die zusätzlichen Erwartungen werden der Gruppe fälschlicherweise zugeschrieben. Auf diesem Wege entstehen stereotype Muster, welche automatisch aktiviert werden, wenn wir mit Mitgliedern einer bestimmten Kategorie interagieren. Stereotype sind eine Kategorisierung, die den weiteren Wahrnehmungen und Informationen eine Richtung geben soll. Ein Stereotyp ist zusammenfassend gesagt eine verallgemeinernde Beurteilung, die mit bestimmten Erwartungen und Informationen einhergeht. Der Prozess der Stereotypaktivierung erfolgt meist automatisch und hilft dabei, die Beobachtungen der Realität einzuschätzen (Garms-Homolová, 2021).

Die meisten Menschen haben das Gefühl zu wissen, was Stereotype sind. Hinton (2019) bringt die Aussagen von verschiedenen Definitionen sowohl in Wörterbüchern als auch in akademischen Quellen auf den Punkt. Zusammenfassend werden Stereotype als eine fixierte, stark vereinfachte und übergeneralisierte Vorstellung über eine Person oder Personengruppe beschrieben, welche oft im Zusammenhang mit Vorurteilen und Diskriminierung stehen. Wichtig zu erwähnen ist außerdem, dass Stereotype in einer Kultur entstehen und weitergegeben werden und es sich nicht um die Vorstellungen nur eines Individuums handelt.

Die Bedeutung des Begriffs Stereotyp wird nochmal klarer, wenn man sich mit seinem sprachlichen Ursprung auseinandersetzt. Das griechische Wort stereos bedeutet starr, hart und fest; typos heißt soviel wie Entwurf, feste Norm und charakteristisches Gepräge (Petersen & Six, 2008).

Definition Stereotype Threat

Steele (1997) definiert Stereotype Threat als eine sozialpsychologische Bedrohung, die entsteht, wenn sich eine Person in einer Situation befindet oder etwas Bestimmtes tut und es ein negatives Stereotyp gegenüber der eigenen Gruppe gibt. Es handelt sich hierbei, um einen generellen situationsabhängigen Druck, der von jeder Gruppe erlebt werden kann, wenn das Wissen eines negativen Stereotyps der eigenen Gruppe in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Zu betonen ist hier, dass die betroffene Person selbst das Stereotyp nicht glauben muss. Ausschlaggebend ist, dass der betroffenen Person bewusst ist, dass andere Menschen dieses bestimmte Stereotyp über eine Kategorie von Menschen haben.

Steele and Aronson (1995) nehmen an, dass Menschen Bedrohung verspüren, wenn sie in einer bestimmten Situation die Befürchtung haben, auf der Grundlage von negativen Stereotypen beurteilt zu werden. Folglich wird versucht, durch das eigene Handeln diese negativen Stereotype der Eigengruppe nicht willentlich zu bestätigen.

Schmader et al. (2008) gehen davon aus, dass die Bedingung der Stereotype Threat die Leistung über drei verschiedene und miteinander verbundene Mechanismen stört. Zum einen beeinträchtigt eine physiologische Stressreaktion die präfrontale Verarbeitung und zum anderen haben Menschen die Tendenz ihre Leistung aktiv zu überwachen. Als dritter Punkt kommen die Bemühungen, negative Gedanken und Emotionen als Selbstregulation zu unterdrücken, hinzu. Diese drei Mechanismen verbrauchen alle exekutive Ressourcen, welche jedoch für eine gute Leistung bei kognitiven, aber auch bei sozialen Aufgaben gebraucht werden. Darüber hinaus stört die aktive Überwachung der Leistung die Ausführung von sensomotorischen Aufgaben.

Ausgewählte Studie zu Stereotype Threat

Stereotype threat in African American children: The role of Black identity and stereotype awareness

Kristal Hines Shelvin, Rocío Rivadeneyra, Corinne Zimmerman (2014)

Shelvin et al. (2014) gehen davon aus, dass für das Auftreten der stereotypen Bedrohung entscheidend ist, dass die Teilnehmenden wissen, dass ihre Leistung bewertet wird. PoC Kinder sind sich sehr bewusst, dass ihre Fähigkeiten und Leistungen im Schulkontext kontinuierlich bewertet werden. Aus diesem Grund hat jeder Schultag das Potenzial, eine stereotype Bedrohungssituation mit sich zu bringen und es ist zu erwarten, dass PoC Kinder schlechter bei einer akademischen Aufgabe mit stereotyper Bedrohung abschneiden, verglichen mit einer Kontrollbedingung ohne stereotyper Bedrohung. Nach Schmader et al. (2008) wird die stereotype Bedrohung durch eine Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept einer Person, der Gruppe, zu der sich die Person zugehörig fühlt, und ihren Fähigkeiten ausgelöst.

Die Studie von Shelvin et al. (2014) untersucht die Auswirkungen von stereotypen Bedrohungen auf die schulischen Leistungen von 186 PoC Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren. Die Autor*innen gehen davon aus, dass die Kinder in diesem Alter schulischen Erfolg wertschätzen sollten und sich ausreichend in der Schule engagieren. Darüber hinaus wurde auch das Wissen spezifischer rassistischer Stereotype und die Identitätsprofile von den Teilnehmenden untersucht, welche das Potenzial haben, die Anfälligkeit für das Gefühl einer Bedrohung durch Stereotype zu mildern.

Die teilnehmenden Kinder haben den Multidimensional Inventory of Black Identity-Teen Test ausgefüllt, der Aspekte der Black racial identity misst. Die Fragen beziehen sich auf Gefühle zu PoC als eine Gruppe, Ansichten über die gesellschaftliche Meinung zu PoC, die Wichtigkeit der Hautfarbe für das Selbstkonzept und den Umgang mit Problemen, die PoC haben. Die Teilnehmenden haben verschiedene Aussagen, wie zum Beispiel „I am proud to be Black“ auf einer Likert Skala von 1 (really disagree) bist 5 (really agree) bewertet.

Im Stereotype Awareness Task sollten die teilnehmenden Kinder alle Stereotype, die sie über PoC wissen, auflisten. Die Teilnehmenden haben durchschnittlich 5,1 Stereotype aufgelistet, wobei sieben Kategorien besonders oft vorgekommen sind: “Blacks are less intelligent than Whites”, “Blacks are worthless”, “Blacks are poor”, “Blacks are unattractive”, “Blacks are criminals”, “Blacks are violent”, “Blacks are good athletes”. Das Stereotyp “Blacks are less intelligent than Whites” war mit 44% das am meist genannte Stereotyp und ist darüber hinaus das relevanteste in Bezug auf die Stereotype Threat Aktivierung bei der Absolvierung akademischer Aufgaben. Dies zeigt sehr gut, dass viele Kinder bereits im Alter von 10 Jahren, das in der Gesellschaft verbreitete Wissen von Stereotype über ihre ethnische Gruppe besitzen.

Für die akademische Aufgabe wurde der Subtest Lesen / Vokabular, welcher 30 Items umfasst, des Test of Adolescent Langugae TOAL verwendet. Der Auftrag bestand darin, aus einer Zielwortliste mit fünf Wörtern, jene zwei Wörter auszuwählen, die am ehesten zu dem durch die Zielwortliste repräsentierten Konzept passen. Beispielsweise enthält die Zielwortliste die Begriffe Blau, Grün, Orange und Braun und die Kinder mussten aus der folgenden Liste (z.B. Fuchs, Auto, Rot, Computer, Schwarz) die passenden Wörter auswählen. In diesem Bespiel wäre die richtige Antwort Rot und Schwarz, da in der Zielwortliste verschiedene Farben aufgezählt werden. Die Schwierigkeit der Items steigt mit der Testlänge. Eigentlich ist der Test für Kinder von 12 bis 18,5 Jahren konzipiert. Er wurde dennoch ausgewählt, weil das Ziel der Studie darin bestand, eine Aufgabe zu haben, welche gleichzeitig herausfordernd und akademisch ist.

Es durften nur jene Kinder an der Studie teilnehmen, welche eine schriftliche Zustimmung der Eltern erhalten und ihre eigene Zustimmung gegeben haben. Im ersten Abschnitt der Studie füllten die Kinder den Stereotype Awareness Task, den Multidimensional Inventory of Black Identity-Teen Test und ein demografisches Formular aus. Der zweite Abschnitt fand ein bis zwei Wochen später statt. Die Teilnehmenden wurden per Zufall einer stereotypen Bedrohungsbedingung oder einer Kontrollgruppe zugeordnet. Daraufhin absolvierten die Kinder in beiden Gruppen den Test of Adolescent Langugae TOAL. Der Stereotype Threat Gruppe wurde gesagt, dass der Test die Intelligenz misst und die Ergebnisse von PoC und weißen Kindern verglichen werden. Der Kontrollgruppe wurde gesagt, dass einzelne Fragen getestet werden, um zu entscheiden, ob sie auch in zukünftigen Tests verwendet werden sollten. Abschließend wurde allen Kindern mitgeteilt, dass sie ihr Bestes geben sollten.

Die Ergebnisse des Test of Adolescent Language TOAL wurden einer 2 (Stereotype Threat: threat vs. neutral) x 2 (Intelligence Stereotype Awareness: stereotype listed vs. stereotype not listed) ANCOVA unterzogen. Man hat einen Haupteffekt der Stereotype Threat gefunden. Kindern in der Threat Bedingung haben niedrigere Ergebnisse im TOAL, im Vergleich zur neutralen Bedingung, erzielt. Eine Analyse des Einzeleffekts hat gezeigt, dass der Stereotype Threat Effekt nur dann eine Wirkung hatte, wenn das Intelligenzstereotyp salient war.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Stereotype Threat ein Faktor im akademischen Alltag von PoC Kindern spielt. Jene Kinder, die in der klassischen Stereotype Threat Bedingung waren, erzielten schlechtere Ergebnisse in akademischen Aufgaben verglichen mit jenen Kindern, die einer neutralen Bedingung ausgesetzt waren. Außerdem wurde gefunden, dass individuelle Differenzen, wie das Bewusstsein von Stereotypen und das Identitätsgefühl mit der Gruppe von PoC den Effekt der Stereotype Threat moderieren. Wie Steele (1997) in seiner Definition schon gezeigt hat, muss den Individuen das Stereotyp bezüglich der Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, bewusst sein, damit es zu einem Stereotype Threat Effekt kommt. Dies wurde auch in der Studie gezeigt, denn nur jene Kinder, die spontan das Stereotyp “Blacks are less intelligent than Whites“ aufgelistet haben, haben die erwarteten Leistungsunterschiede in der akademischen Aufgabe gezeigt. Auch wenn es Unterschiede in der Leistung gab, ist die Studie von noch stärkeren Diskrepanzen, auf Basis von älteren Studien, ausgegangen.

Unter dem Stereotype Threat Effekt kommt es auch dazu, dass PoC es vermeiden, Vorlieben für stereotype Aktivitäten, wie zum Beispiel das Mögen von Jazz, Hip Hop und Basketball, zu äußern. Diese Vermeidung zeigt den Wunsch auf, nicht durch den Blickwinkel von rassistischen Stereotypen gesehen werden zu wollen (Steele & Aronson, 1995).

Folgen von Stereotype Threat

Vulnerable Faktoren

Situationsbedingte Hinweisreize können sowohl die Aktivierung von Stereotypen der eigenen sozialen Identität beeinflussen, als auch die Wahrscheinlichkeit von schlechteren Leistungen als Folge des Stereotype Threat Effekts (Fuligni, 2007). Sowohl akademische Stereotype als auch akademische Selbstkonzepte beeinflussen und formen die akademischen Identitäten von Kindern (Bowe et al., 2017). Wenn eine Person of Colour als Minderheit in einer Gruppe versucht, sich den Text einer verbalen Präsentation zu merken, gelingt dies nicht so gut. Im Vergleich dazu lässt sich dieser Effekt nicht beobachten, wenn die Mehrheit der Teilnehmenden auch PoC sind (Sekaquaptewa & Thompson, 2002).

Die alleinige Angabe des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft vor der Durchführung eines Tests kann zu geringerer Leistung führen, da dadurch die soziale Identität der Gruppe salient gemacht wird. (Fuligni, 2007)

Protektive Faktoren

Das Auffinden von protektiven Faktoren ist der Schlüssel zum Durchbrechen von Stereotype Threat, der Nichtidentifikation mit akademischen Leistungen und somit der Weg, die Lücke von Leistungsunterschieden zu schließen (Shelvin et al., 2014).

Aronson et al. (2002) haben in einer Feldstudie gezeigt, dass PoC Studierende der Stanford Universität signifikant höhere Noten in dem Semester hatten, in dem ihnen gelehrt wurde, dass Intelligenz verformbar ist. Darüber hinaus ist der Aspekt interessant, dass die Personen nicht weniger Stereotype aus ihrer Umwelt berichten. Das bedeutet, dass die Interventionsmaßnahme nicht die Wahrnehmung der stereotypen Umwelt verändert hat, sondern die Vulnerabilität gegenüber Stereotype.

Eine andere mögliche Interventionsmaßnahme könnte darüber hinaus noch die Förderung der wahrgenommenen Ähnlichkeit zwischen den Gruppen sein. Rosenthal and Crisp (2006) haben in drei Experimenten die Hypothese untersucht, dass das Verwischen von Intergruppen-Grenzen den Stereotype Threat Effekt verringern wird. Die erste Studie hat ergeben, dass Frauen[2], die Charakteristiken, die von beiden Geschlechtern geteilt werden, aufgelistet haben, weniger Präferenzen für stereotyp weibliche Berufskarrieren haben, als Teilnehmende der Kontrollbedingung. Im zweiten Experiment wurde offenbart, dass Versuchspersonen, die über gemeinsame Charakteristiken nachgedacht haben, mehr richtige mathematische Fragen beantwortet haben. Im dritten Experiment wurde eine spezifische Bedrohungsmanipulation hinzugefügt. Teilnehmende, die die Aufgabe zu geteilten Charakteristiken vor der Stereotype Threat Bedingung durchgeführt haben, haben signifikant mehr mathematische Fragen richtig beantwortet als in der Kontrollbedingung und der ausschließlichen Threat Bedingung. All diese Ergebnisse unterstützen die Idee, dass Interventionsmaßnahmen zur Reduzierung von Intergruppenvoreingenommenheit erfolgreich zur Reduktion des Stereotype Threat Effekts eigesetzt werden können.

Konsequenzen von Stereotype Threat

Eine sehr weitreichende und langfristige Konsequenz von Stereotype Threat für die soziale Identität kann sein, dass sich Personen in einer akademischen Gemeinschaft unwohl oder sogar fehl am Platz fühlen. Stereotype können in Individuen ausreichend negative Gefühle erzeugen, dass diese ihre professionellen Identitäten ändern. Dies kann zur Folge haben, dass sich professionelle und berufliche Karrieren ändern und neue Karrierewege in einem anderen Feld gesucht werden. Wenn das Gebiet jedoch so fundamental, wie beispielsweise Mathematik ist, schließt diese Vermeidung viele Türen für potenziell lukrative Karrieren, beispielsweise im Bereich der Wissenschaft oder Technik. Eine kurzfristige psychologische Anpassungsfunktion an Stereotype Threat wäre die Strategie des Disengagements[3]. Bei dieser Strategie wird das Selbstwertgefühl psychologisch von den Bereichen gelöst, in denen Personen das Ziel von negativen Stereotypen, Vorurteilen und Benachteiligung sind. Diese defensive Distanzierung des Selbstwertgefühls von Erlebnissen in einem bestimmten Bereich führt dazu, dass das Selbstwertgefühl nicht von Erfolgen oder Misserfolgen in diesem bestimmten Bereich abhängt (Major et al., 1998). Hier wird die Abhängigkeit der eigenen Selbstansichten auf die eigene Leistung abgeschwächt (Fuligni, 2007). Die Strategie des Disengagements wird vor allem in Situationen angewendet, in denen eine relativ schlechte Leistung erwartet wird. Darüber hinaus kann die Abgrenzung des Selbstwertgefühls vom Feedback ebenfalls in Situationen auftreten, in denen das gegebene Feedback als voreingenommen gegen die stigmatisierte Gruppe wahrgenommen wird. In manchen Fällen kann dieser Mechanismus auch einen protektiven Faktor darstellen. Beispielsweise waren PoC nicht von negativem Feedback nach einem Intelligenztest betroffen, nachdem sie auf die Möglichkeit einer rassistischen Voreingenommenheit des Tests geprimed wurden. In unserer Gesellschaf sind PoC von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen und die Folgen von sich wiederholenden Erfahrungen mit rassistischer Voreingenommenheit und Diskriminierung kann dazu führen, dass sich das Selbstwertgefühl chronisch von der Leistung in intellektuellen Bereichen löst (Major et al., 1998). Dennoch glauben Major et al. (1998), dass es möglich ist, das Selbstwertgefühl von der eigenen Leistung bei beispielsweise einem Intelligenztest zu lösen, gleichzeitig aber Intelligenz zu schätzen und das Gefühl zu haben, dass Intelligenz ein zentraler und wichtiger Teil des Selbstkonzeptes ist.

Literaturverzeichnis

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[1] Ich habe hier bewusst nicht die genderneutrale Ausdrucksform gewählt, da die Studien meist von einer binären Geschlechtseinteilung ausgehen.

[2] Ich verwende hier die binäre Einteilung in Männer und Frauen absichtlich, da die Autor*innen in ihren Studien ebenfalls von einem binären Geschlechtssystem ausgegangen sind.

[3] Ich habe mich hier absichtlich für den englischen Begriff entschieden, da ich der Meinung bin, dass die deutsche Übersetzung nicht vollkommen treffend ist.


Quelle: Alina Wusits, Stereotype Threat: Beeinflussung der akademischen Identität durch Stereotype und ihre Auswirkungen, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 27.10.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=281

Ein Essay über Rassismus im Gesundheitswesen

Jacqueline Franz (SoSe 2021)

Vergangenes Jahr wurde William Tonou-Mbobd im Universitätsklinikum Hamburg getötet. Der 34-Jährige, aus Kamerun stammende Ingenieurstudent, der an einer Schizophrenie erkrankt war, begab sich im April 2020 auf eigene Initiative und auf der Suche nach Hilfe in psychiatrische Behandlung. Der Vorfall ereignete sich, als Tonou-Mbobd offensichtlich eine Medikation, die ihm verabreicht werden sollte, ablehnte. Folglich stürzten sich mehrere Security-Kräfte auf den Mann, zwangen ihn vor Zeug*innen zu Boden, schlugen auf ihn ein. Sein Herz setzte noch an Ort und Stelle aus, doch der Reanimationsversuch glückte. Fünf Tage später starb Tonou-Mbobd auf der Intensivstation. Er könne nicht atmen, habe er laut Zeug*innen gesagt (Vgl. Ruddath, Effenberger 2019). Dieser Satz kommt uns heute, wenn auch über ein Jahr später und aus einem anderen Kontext, sehr bekannt vor: George Floyd und die Black Lives Matter Bewegung. Hier starb ein schwarz gelesener Mensch durch die Polizei, während er um sein Leben flehte, dort durch einen Sicherheitsdienst an einem vermeintlich sicheren Ort, dem Krankenhaus. Die Gemeinsamkeit beider Taten: Struktureller Rassismus. Und beide sind mit Sicherheit keine Einzelfälle. Struktureller Rassismus macht auch vor unserem Gesundheitssystem nicht Halt, denn postkoloniale Strukturen sind in der deutschen Medizin fest verankert. Sie treten in verschiedensten Ebenen auf, ihre Aufarbeitung und Reflexion im alltäglichen Klinik- und Praxisalltag, sowie in der medizinischen Lehre wurde weitestgehend versäumt.  

Der Irrglaube über den Zusammenhang von Herkunft und Schmerzempfinden

Zum Schreiben dieses Essays versuche ich, mich an meine Ausbildung und die ersten Jahre meiner Tätigkeit auf einer Station für Innere Medizin und Onkologie zurückzuerinnern. Wo sind mir Rassismen begegnet, die ich, gerade 18 Jahre alt und zu diesem Zeitpunkt noch völlig unsensibel gegenüber der Thematik, vielleicht gar nicht als solche wahrgenommen habe. Meine erste Erinnerung führt mich ins zweite Lehrjahr meiner Ausbildung, in das Modul „Versorgung vonSchmerzpatient*innen“. Die Aussage der Dozentin sollte ich in meiner Pflegelaufbahn nicht zum letzten Mal gehört haben: „Wenn ihr südländisch Patient*innen pflegt, müsst ihr wissen, dass deren Schmerztoleranz deutlich geringer ist als die von Menschen aus dem Westen.

Da wird gerne mal geschrien oder laut geweint, das hat mit Kultur zu tun.“ Angespielt wird hier auf die unter medizinischem Personal weit verbreitete Annahme der Existenz des „Morbus Bosperus“ oder „Morbus Medditereneus“. Schmerzempfinden hänge von der Herkunft ab und dabei seien nicht weiß gelesene Personen besonders hart im

Nehmen und „der Rest“ nun mal eben nicht (Vgl. Wanger, Kilgenstein, Poppel 2020:2). Ich glaube nicht, dass die Dozentin mit ihrer Aussage bewusst und gezielt rassistische Stereotype vermitteln wollte. Vielmehr ging es ihr vermutlich darum, unsere Aufmerksamkeit für die Subjektivität in der Schmerzwahrnehmung zu schärfen. Doch welche Konsequenzen haben die unreflektierte Weitergabe und damit die Aufrechterhaltung solch rassistischer Stereotype im Stationsalltag?  

Ich erinnere mich an einen jungen, schwarz gelesenen Mann, der an einem Sonntagabend mit starken Bauchschmerzen zur stationären Aufnahme auf unsere Station eingeliefert wurde. Sein schmerzhaftes Stöhnen störte uns insgeheim. Betätigte der Mann den Pflegeruf, verdrehten wir die Augen. Aussagen wie, „Naja, morgen ist ja auch Montag, keine Lust zu arbeiten“ wurden eher scherzhaft, aber doch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit ausgesprochen. Während des Schreibens und Zurückerinnerns erkenne ich das erste Mal die Intersektionalität, die die Unprofessionalität unseres Verhaltens noch zusätzlich beförderte. Der Patient wurde von uns nämlich nicht nur schwarz, sondern auch männlich gelesen und er befand sich irgendwo am Anfang seiner Zwanziger. Neben unserer Vorstellung, der Mann könne unter Morbus Bosperus leiden, könnten auch unbewusste Annahmen wie „junge männliche Personen sollten Schmerzen aushalten“ unserem Verhalten inne gelegen haben. Und auch wenn wir unsere innere Haltung dem Patient gegenüber nicht offen kommunizierten, bin ich mir heute sicher, dass er unsere gereizte, ungeduldige Stimmung wahrnehmen konnte. 

Die Annahme, nicht weiß gelesene Personen würden bei Beschwerden gerne übertreiben und müssten deshalb weniger ernst genommen werden, führt nicht nur nachweislich zu Behandlungsfehlern und zum verspäteten Erkennen medizinischer Komplikationen (vgl. Wanger et al., 2020:2), sondern hat auch psychische Auswirkungen. Ich kann mir vorstellen, dass eine Person, deren Leiden bagatellisiert wird, Beschwerden länger aushält, ohne sie zu kommunizieren. Leid wird dann eher verschwiegen, vielleicht internalisiert der- oder diejenige sogar die externen Rassismen. „Ich bin es nicht wert, dass man mich versorgt, wie meine weißen Mitpatient*innen.“ Studien zeigen außerdem, dass diskriminierende Erfahrungen zur verzögerten Inanspruchnahme medizinischer Versorgung führen und die Zustimmung zu medizinischen Maßnahmen beeinträchtigen (vgl. Kluge/ Heinz/ Udeogu-Gözalan/ Abdel-Fatah 2020:1020).

Innerhalb von Krankenhäusern, die eigentlich einen Ort des Heilens und Genesens darstellen sollen, wird Macht häufig unreflektiert ausgeübt und reproduziert. Diese Machtausübungen stellen sich vielschichtig dar und durchdringen alle Bereiche. Im Kontext von Rassismus zeigen sie sich häufig darin, dass so dargestellte „kulturelle Eigenheiten“ nicht gerne gesehen oder toleriert werden. „Man ist hier in Deutschland im Krankenhaus, also sollte man sich auch wie ein deutscher Patient oder eine deutsche Patientin verhalten“, lautet häufig die Einstellung des medizinischen Personals. Das startet beispielsweise bei der Voraussetzung für Akzeptanz und Unterwerfung gegenüber eines dominanten westlichen Behandlungssystems, dass meist ausschließlich auf Biomedizin ausgerichtet ist und keinen Spielraum für medizinische Pluralität zulässt. Es zeigt sich auch im Umgang mit Trauer und Tod, der hier meiner Erfahrung nach bestenfalls still und diszipliniert und nicht laut klagend und emotional vor sich gehen sollte. Und auch wie häufig der oder die Kranke Besuch zu erhalten hat und wie Angehörige sich verhalten sollen, unterliegt westlichen Regeln und Vorstellungen. Wenn nicht weiß gelesene Patient*innen viel Besuch von Familienmitglieder über mehrere Stunden haben, stößt das beim Stationspersonal schnell auf Unmut. Die Reaktionen innerhalb meines Teams reichten dann regelmäßig von unverschämten Aussagen wie „jetzt kommt da wieder die ganze Großfamilie mit ihrem Essen, gleich stinkt wieder das ganze Zimmer nach Zwiebeln, als würde der/ die hier verhungern bei uns“, als auch zu Zimmerverweisen während der Durchführung von Behandlungen wie Blutdruckmessen und Infusionsgaben. Diese waren eigentlich nicht nötig, sondern sollten in meinen Augen nur demonstrieren, wer hier schlussendlich das Sagen hat.

Gern gesehen wurde nur, wenn Angehörige von BIPOC Pflegemaßnahmen wie Waschen und Anziehen übernahmen, die das Pflegepersonal entlasteten, doch eine Reflexion dieser Doppelmoral fand meiner Erfahrung nach leider nicht statt. 

In den bisher aufgeführten Beispielen äußerte sich Rassismus überwiegend auf der persönlichen und zwischenmenschlichen Ebene. Doch innerhalb der Institutionen des Gesundheitswesens ist Rassismus vor allem strukturell verankert. Das fehlende Vorhandensein deutscher Studien zum Thema gibt erste Aufschlüsse auf das mangelhafte Bewusstsein sowie den geringen Willen zur Auseinandersetzung mit der Problematik hierzulande. Struktureller Rassismus ist auf den ersten Blick weniger sichtbar, das macht ihn schwerer zu identifizieren und zu bekämpfen. Im Gesundheitswesen äußert er sich vielseitig: Zum Beispiel in Zugangsbarrieren zu Versorgungsstrukturen (Vgl. Razuum/ Geiger/ Zeeb/ Ronellenfitsch 2004:101), in der Ausbildung und im Studium medizinischer Berufe, sowie in einer Wissenschaft, die in erster Linie auf die Versorgung weißer Menschen ausgerichtet ist (Vgl. Wanger et al., 2020:2,6). Ein aktuelles Beispiel zur Illustration von Ungleichheit aufgrund ethnischer Unterschiede im medizinischen Kontext ist die Coronapandemie.  In vielen Ländern zeigen Studien, dass sowohl das Risiko der Aussetzung gegenüber dem Virus als auch die Mortalitätsrate unter Infizierten hohen ethnischen Unterschieden unterliegt (Vgl. Rogers/ Rogers/ VanSant-Webb/ Gu/ Yan/ Qeadan 2020; Platt/ Warwick 2020;

Laurencin/ McClinton 2020). Einen Erklärungsansatz liefert dabei die sogenannte „Wheatering Theory“, die davon ausgeht, dass gesundheitliche Konditionen, die aufgrund ethnischer Unterschiede bestehen, durch strukturelle und allgegenwärtige Benachteiligungen bedingt werden, denen nicht weiß gelesene Personen ausgesetzt sind. Diese Benachteiligungen führen zu einem schlechteren Gesundheitszustand und begünstigen die Chronifizierung von Krankheiten (Vgl. Rogers et al., 2020:312). Chronische Vorerkrankungen wiederrum erhöhen bekanntermaßen das Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf bei Covid-19. 

Strukturelle Benachteiligungen können sich außerdem in ökonomische Faktoren äußern: Diese sind beispielsweise eine niedrigere Position auf dem Arbeitsmarkt, geringeres Einkommen und höhere finanzielle Betroffenheit durch Maßnahmen wie Lockdowns, sowie Benachteiligungen in der Wohnsituation durch beengten Wohnraum bewi ärmeren Communities und somit weniger Möglichkeiten zum Social-Distancing (Vgl. Bentley 2020:2).

In Deutschland liegen bedauerlicherweise nur wenige Studien zum Zusammenhang von ethnischen Unterschieden und dem Risiko einer Infektion und einem schweren bis tödlichen Verlauf bei Covid-19 vor, denn repräsentative Daten existieren kaum. Hier besteht also dringender Nachholbedarf: Zukünftige Studien müssen dabei intersektional ausgerichtet sein, um den Einfluss sich überschneidender, diskriminierender Faktoren genau herauszuarbeiten, so dass politische Maßnahmen zur Gegensteuerung zielorientiert entworfen und angewendet werden können. 

Während des Verfassens dieses Essays habe ich den Lesenden einen Einblick in Situationen gegeben, die von meinem jüngeren Ich erlebt wurden. Heute, einige Jahre, nachdem ich die Klinik und den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin hinter mir gelassen habe, erinnere ich mich häufig beschämt und nachdenklich an die Menschen zurück, die auch unter meiner Mitwirkung, Aufrechterhaltung und Förderung Rassismus im klinischen Alltag erleben mussten. Auch ich habe Auszubildende angeleitet. Obwohl ich mich zumindest nicht erinnern kann, Rassismen direkt an sie weitergegeben zu haben, habe ich ihre Aufmerksamkeit mit Sicherheit nicht dafür geschult, die Strukturen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Heute würde ich anders wahrnehmen, beurteilen und handeln. Ein Bewusstsein für die Problematik setzte bei mir erst gegen Ende meiner Pflegelaufbahn ein. Aufgewachsen in einem unpolitischen, konservativen und bildungsschwachen Kontext, hatte ich das Glück, mit meinem Umzug nach Berlin mit Menschen in Berührung zu kommen, die mir Denkanstöße gaben, meinen Horizont erweiterten und mich zum kritischen Denken anregten. Auch im Abitur, dass ich erst nach meiner Ausbildung auf dem zweiten Bildungsweg nachholte, lernte ich wichtige theoretische Fakten, die mir halfen, Kontexte zu verstehen, Verbindungen zu schlagen und analytisch denken zu lernen. Bis heute befinde ich mich in einem ständigen Prozess des bewussten Verlernens von Gelerntem. Aufgrund meiner Erfahrungen empfinde ich die Annahme, das Anstoßen solcher wichtigen Reflexionsprozesse sei privat und müsse aus eigenem innerem Antrieb erfolgen, schwierig. Meiner Meinung nach sollte die Anerkennung und folglich der Abbau rassistischer Strukturen eine gesellschaftliche Aufgabe darstellen. Die Sensibilisierung für die Thematik sollte schon früh fest in die allgemeine Schulbildung integriert werden. Notwendig dafür ist die bewusste Auseinandersetzung mit postkolonialen Strukturen innerhalb aller Bildungseinrichtungen. Im speziellen Kontext der gesundheitlichen Versorgung halte ich aber regelmäßige, von nicht weiß gelesenen Personen durchgeführte und verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierungstrainings für unerlässlich, genauso wie die Implementierung von Anlaufstellen für BIPoC, die Diskriminierung und Rassismus erfahren haben. Dies könnten erste, wichtige Schritte zu einem fairen Gesundheitssystem sein, dass den Anspruch der Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von Ihrer Hautfarbe und Herkunft nicht nur theoretisch vertritt, sondern in allen Bereichen realisiert. 


Literaturverzeichnis

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Quelle: Jacqueline Franz, Ein Essay über Rassismus im Gesundheitswesen: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 31.01.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2022/01/31/ein-essay-ueber-rassismus-im-gesundheitswesen/

Black Beauty, White Standards – An Essay on the Appropriation of Black Cultures

Kesho-Tabitha Imadonmwinyi (SoSe 2020)

Primitiv, tribal, spirituell und doch majestätisch – eine Reise zum Anfang der Zeit und der Essenz primitiver Wesensart. So beschrieb das Modelabel Valentino im Jahre 2015 seine Afrika-inspirierte Frühling/Sommer 2016 Kollektion. Als Modenshow umgesetzt sah dies so stereotypisierend aus, wie es klingt: überwiegend weiße Models in Kikuyustoffen, Bast, Knochenketten, Federn und Fransen sowie Gürteln aus afrikanischen Perlen. Die Haare der Models wurden zu Cornrows und Dreadlocks frisiert. Um diese modische Afrika-Darbietung noch ein wenig zu untermalen, durfte die passende Musik natürlich nicht fehlen. Was eignete sich dafür besser als der Sound afrikanischer Bongo-Trommeln (vgl. Stansfield 2015)? Et voilà, fertig war die Kreation eines authentischen Afrika-Erlebnisses für die Sinne, eine Hommage an einen ganzen Kontinent.

Nachahmung ist für bekanntlich die höchste Form von Anerkennung. Wieso also sollte es problematisch sein, dass fünf Jahre nach der Valentino-Modenshow, im Jahre 2020, immer noch weiße Models großer Modelabels wie Marc Jacobs und Comme des Garcons mit traditionell Schwarzen Frisuren über die Laufstege schreiten? Wieso sollte es problematisch sein, dass nicht-Schwarze Personen, allem voran Celebrities und Influencer*innen, diese Frisuren tragen und mit plastisch vergrößerten Lippen, Gesäßen und Oberweiten auf Instagram posieren? Oder Hautbräunungsmittel und Make-Up verwenden, welches so viele Nuancen dunkler ist als ihr natürlicher Teint, dass nur schwer zu erkennen ist, ob es sich um eine weiße, eine Schwarze oder eine Person of Color handelt? Wieso sollte es problematisch sein, wenn weiße Menschen traditionell-afrikanische Kleidungsstücke tragen und sich wohlmöglich noch eines Blackccents bedienen – der Authentizität halber.

In den vergangenen Jahren wurden die oben beschriebenen Praktiken immer wieder hitzig diskutiert – unter dem Schlagwort der kulturellen Aneignung. Auch gegenwärtig tritt die gesellschaftliche Debatte um kulturelle Aneignung immer wieder in den Vordergrund, vor allem in den sozialen Medien. Könnte es also sein, dass Nachahmung doch nicht die höchste Form von Anerkennung ist? Wo verläuft die Grenze zwischen kulturellem Austausch begründet auf kultureller Würdigung und kultureller Aneignung? Ziel meines Essays ist es, die Problematik kultureller Aneignung und die hegemonialen Machtverhältnisse, die mit dieser Praxis einhergehen, genauer darzulegen. Dies werde ich anhand der gängigsten Argumente und Fehlannahmen in der Debatte rund um kulturelle Aneignung aufzeigen. Aufgrund meiner eigenen Positionierung als Schwarze, afro-deutsche Frau möchte ich meinen Essay spezifisch im Kontext der Aneignung Schwarzer beziehungsweise afro-diasporischer Kulturartefakte situieren, mit einem besonderen Augenmerk auf historisch Schwarze Haarfrisuren. Doch zunächst einmal: Was genau ist unter kultureller Aneignung überhaupt zu verstehen?

Im Zuge kultureller Aneignung werden Artefakte marginalisierter Kulturen durch Mitglieder der dominanten, meist weiß-privilegierten Mehrheitsgesellschaft übernommen. Dabei werden die Herkunftskulturen dieser Artefakte nicht, wie es im Sinne wertschätzenden kulturellen Austauschs geschehen würde, gewürdigt. Stattdessen werden ohnehin marginalisierte gesellschaftliche Minderheitsgruppen und ihre Kulturgüter exotisiert, zu trendigen Fashionstatements reduziert und das Angeeignete oft sogar als das Eigene dargestellt. Der Geschichte und kulturellen Bedeutung dieser Kulturgüter wird von der dominanten Gruppe meist wenig bis gar keine Beachtung beigemessen. Vielmehr werden kulturelle Artefakte, nicht selten aus wirtschaftlich-kapitalistischen Interessen, willkürlich dekontextualisiert. Was für Minderheitsgruppen tief verwurzelte kulturelle Bedeutung hat, dient der dominanten Gruppe zur Unterhaltung oder als modisches Accessoire (vgl. Volkening 2020).

Besonders offensichtlich wird dies in Bezug auf die Valentino Modenshow. Ein häufiges Argument in der Debatte um kulturelle Aneignung ist, dass Film, Musik, Mode und andere Bereiche immer Inspiration aus anderen Kulturen schöpfen. Kultureller Austausch ist nichts Neues, es ist etwas, das seit Jahrhunderten stattfindet. Doch dieser muss immer auf Augenhöhe und respektvolle Art und Weise vollzogen werden. Im Falle der Valentino-Show ist kulturelle Aneignung äquivalent mit der Stereotypisierung Schwarzer Menschen und Menschen afrikanischer Herkunft. Die Herrichtung der Models und die Auswahl der Laufstegmusik spielt offensichtlich mit Stereotypen um etwas zu kreieren, das von der weißen Mehrheitsgesellschaft als afrikanische Ästhetik wahrgenommen wird. Wie so häufig in westlich-weißen Diskursen wird ein ganzer, kulturell höchst diverser Kontinent als ein großes Ganzes porträtiert und mit rassistischer Wortwahl als primitiv umschrieben. Es fällt also schwer, hier von wertschätzendem kulturellen Austausch zu sprechen, wenn Schwarze Kulturen stereotypisiert und rassistisch dargestellt und gleichzeitig zu „warenförmigen Fetisch-Objekten“ (Volkening 2020) weißen Kapitalismus reduziert werden. Wie auch bei der evident rassistischen Praxis des Blackfacings und dem Tragen von Afroperücken an Karneval entsteht durch die Valentino-Modenshow der Eindruck, es sei in Ordnung, Kulturen marginalisierter Communities als Kostüm zu tragen und daraus zusätzlich noch Profit zu schlagen. Bezeichnend dafür, dass hier wenig Würdigung der Kulturen, derer man sich bedient, stattfindet, ist ebenfalls in der Wahl der Models zu sehen: nur acht der 87 Looks der Valentino Modenshow wurden von Schwarzen Models präsentiert (vgl. Stansfield 2015).

Ein weiteres Argument derer, die der kulturellen Aneignung beschuldigt werden, ist, dass sie bestimmte Kulturelemente übernehmen, weil sie diese schön finden und so ihre Wertschätzung für andere Kulturen ausdrücken möchten. Zu ihrer Verteidigung beteuern sie zudem häufig, dass sie von einer Person der jeweiligen Kultur darin bestärkt worden seien, ein Kulturartefakt als Fashionstatement zu tragen. Hier gilt zu sagen: eine einzige Person kann nicht für alle Mitglieder einer Community sprechen. Und um etwas wahrhaftig wertzuschätzen, muss man Respekt und Verständnis haben. Valentino beispielsweise hat in seiner Show Perlen verwendet, die in afrikanischen und afro-diasporischen Kontexten tiefe spirituelle Bedeutung haben. Valentino hat diese Perlen benutzt, um ein Produkt zu verkaufen und dabei die ursprüngliche kulturelle Bedeutung missachtet. Kulturartefakte nach Belieben völlig willkürlich zu benutzen, wie es einem gerade gefällt, hat wenig mit Respekt zu tun.

Einer meiner persönlichen Favoriten in der Debatte um kulturelle Aneignung ist definitiv der Vorwurf der umgekehrten kulturellen Aneignung. Ein prominentes Beispiel bietet Designer Marc Jacobs, welcher 2020 ebenfalls überwiegend nicht-Schwarze Models mit Cornrow-Perücken für seine Modenshow nutzte. Auf den Vorwurf der kulturellen Aneignung reagierte dieser wie folgt:

“All who cry “cultural appropriation” or whatever nonsense about any race or skin color wearing their hair in any manner- funny how you don’t criticize women of color for straightening their hair. I respect and am inspired by people and how they look. I don’t see color or race- I see people. I’m sorry to read that so many people are so narrow minded… Love is the answer. Appreciation of all and inspiration from anywhere is a beautiful thing. Think about it.”

Marc Jacobs zitiert in Alese, 2018

Die Tatsache, dass es, anders als Jacobs glaubt, auch Schwarze Menschen gibt, die von Natur aus glattes Haar haben, soll hier einmal außen vorgelassen werden. Bei dem Argument der vermeintlich umgekehrten kulturellen Aneignung ist die Annahme zentral, dass Schwarze Menschen ebenfalls kulturelle Aneignung betreiben, wenn sie Erzeugnisse westlicher Kulturen übernehmen. Um kulturelle Aneignung zu verstehen, ist ein Verständnis von alltäglichem, strukturellem und institutionellem Rassismus in weißen Mehrheitsgesellschaften Voraussetzung. Denn so würde bewusst werden, dass umgekehrte kulturelle Aneignung genau so wenig existiert, wie umgekehrter Rassismus. Von kultureller Aneignung kann nur gesprochen werden, wenn ungleiche Machtverhältnisse zwischen Kulturen bestehen. Kulturelle Aneignung impliziert, dass eine privilegierte Gruppe sich an Artefakten marginalisierter Gruppen bedient. Wir leben in einer Welt, in der weiße Menschen und weiße Institutionen mehr Privilegien und Macht innehaben als Schwarze Menschen und Menschen of Color. Das kulturelle Erbe von ethnischen Minderheiten erfährt in weißen Mehrheitsgesellschaften oft eine Abwertung, was dazu führt, dass diese Minderheiten ihr Erbe verstecken oder sich so verändern, dass sie von der dominanten Gruppe akzeptiert werden. Wenn marginalisierte Menschen sich an einen Standard anpassen, der von der dominanten, westlichen Kultur gesetzt wird, ist dies häufig eine Überlebensstrategie. Man spricht hierbei also nicht von Aneignung, sondern Assimilation.

In der Auseinandersetzung mit kultureller Aneignung ist das Betrachten, Verstehen und Hinterfragen von Machtdynamiken also unabdingbar. Wenn man dies tut, dann werden die wohl beliebtesten Argumente, mit welchen kultureller Aneignung begegnet wird, sehr schnell entkräftet: Das sind doch nur Klamotten. Das ist doch nur Make-Up. Das sind doch nur Haare. Es ist eben nicht nur xyz, wenn Minderheitsgruppen für das Ausleben ihrer eigenen Kultur Opfer rassistischer Diskriminierung werden. Wenn dieselbe Gruppe, die Minderheitsgruppen abwertet, stigmatisiert, unterdrückt und marginalisiert nun deren kulturelle Praktiken übernimmt und dafür gefeiert wird.

Schwarze Menschen und People of Color sind seit Jahrhunderten einem eurozentrischen Schönheitsstandard ausgesetzt, der für sie nur schwer oder gar unmöglich zu erreichen ist. Denn innerhalb dieses Standards ist Schönheit in Übereinstimmung mit Weißsein konstruiert: helle Haut, dünne Lippen, schmale Nase und glattes Haar gelten als Ideal. Dieses Bild von Schönheit, errichtet auf dem Fundament der Versklavung, Kolonialisierung und Unterdrückung Schwarzer Menschen, ist eines, das bis heute vorherrscht. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich auf die koloniale Geschichte von Afrohaar Bezug nehmen. Haare und das Frisieren dieser hat in vielen afrikanischen sowie afrodiasporischen Kontexten seit Jahrhunderten eine besondere kulturelle und soziale Bedeutung. Während des transatlantischen Sklavenhandels war es üblich für Sklavenhalter, Schwarzen Männern und Frauen die Haare abzurasieren und sie so zu objektifizieren. Gesetze verboten es Schwarzen Menschen, ihr Haar öffentlich zu zeigen (vgl. Neil und Mbilishaka 2019: 160). Weltweit verbieten die Kodexe verschiedener Unternehmen und Institutionen auch heute noch Schwarzen Menschen, ihr Haar im natürlichen Zustand, als Afro, in Braids, Cornrows oder Dreadlocks zu tragen.

Viele nicht-Schwarze Menschen verharren bezüglich verschiedener Schwarzer Haarstyles in Stereotypen und Vorurteilen, die Schwarze Menschen navigieren müssen. Dazu zählt die Stigmatisierung von Afros als wild, rau und ungepflegt oder die Assoziation von Cornrows und Dreadlocks mit Drogenkonsum und Kriminalität oder Braids und anderen natürlichen Haarstyles als unprofessionell. Viele Schwarze Menschen sind sich nicht nur dieser Vorurteile, sondern auch des weißen Blickes bewusst, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind und welcher sie in einem Prozess des Otherings als fremd und nicht zugehörig markiert. Das Navigieren des weißen Blickes greift W.E.B. Du Bois in seiner Theorie des „double- consciousness“ (Du Bois 2007: 8) auf. Diese beschreibt den inneren Konflikt marginalisierter Minderheitsgruppen in einer repressiven Gesellschaft und die psychologische Herausforderung Schwarzer Menschen und People of Color, sich selbst immer durch die Augen einer rassistischen, weißen Gesellschaft wahrzunehmen (vgl. ebd.: 8). Dies beeinflusst auch, wie Schwarze Menschen ihre Haare in bestimmten Räumen tragen, vor allem, wenn sie vermeiden möchten, negative Stereotype in ihrem weißen Gegenüber hervorzurufen. Die Assimilation marginalisierter Gruppen an westliche Ideale ist in vielen Fällen ein gewaltvolles Anpassen an den weißen, eurozentrischen Standard. So greifen zum Beispiel viele Schwarze Personen auf den sogenannten Relaxer zurück, eine chemische Haarglättungscreme. Die toxischen Inhaltsstoffe in Relaxern stehen mit einer Vielzahl schwerwiegender Gesundheitsprobleme in Verbindung, darunter Reproduktionsstörungen, Geburtsdefekte, Asthma und Krebs (vgl. Murray 2015: 66).  Dennoch setzen sich viele Personen diesem Risiko bewusst aus, um Stereotypisierungen, Vorurteilen und dem Policing (Stichwort racial profiling) ihrer Körper zu entgehen und Zugang zu überwiegend weißen Räumen zu haben.

Und was hat all das mit kultureller Aneignung zu tun? 2019 erscheint die Novemberausgabe des Magazins ELLE unter dem Titel Back to Black. Damit ist aber nicht nur Mode gemeint. Auf einer Doppelseite mit der Überschrift Black is Back sind sechs Schwarze Models (davon eines mit falschem Namen, dem ihrer Kollegin), abgebildet (vgl. Hein 2019). Dies spiegelt das wieder, womit sich viele Schwarze Menschen und Menschen of Color momentan konfrontiert sehen: dass Diversity gerade in ist und Schwarzsein beziehungsweise Schwarze Kulturen als Trend behandelt werden. Celebrities und Influencer*innen wie die Kardashians und Jenners betreiben immer wieder massiv kulturelle Aneignung. Sie verwenden Hautbräunungsmittel, lassen sich Lippen und Gesäß vergrößern und ahmen so Schwarze Körperformen nach. Sie tragen regelmäßig kulturell Schwarze Frisuren wie Cornrows oder Braids, die medial als Kardashian-Zöpfe vermarktet werden. Anstelle schädlicher Vorurteile treten Beschreibungen wie egdy, cool und stylisch. Während Schwarze Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Haare, großer, voller Lippen und vor allem Schwarze Frauen mit kurvigen Körpern in der Historie immer Diskriminierung erfahren haben und es auch gegenwärtig tun, werden weiße, privilegierte Personen für dieselben Styles gefeiert. Wenn diese Körpermerkmale also von weißen Frauen in einem kolonialistischen Stil enteignet werden, ist es wieder ein Trend und gilt als zu erreichendes Schönheitsideal.

Dies bringt uns zurück zur Realität ungleicher Machtverhältnisse. Eine weiße Person, die sich Teile Schwarzer Kulturen aneignet, wird aufgrund ihrer Privilegien nicht mit denselben Stereotypen behaftet wie eine Schwarze Person. Es ist weißen Personen somit möglich, zu imitieren, kopieren und Schwarze Kultur zum Teil ihrer Marktstrategie zu machen, ohne die Bürde rassistischer Diskriminierung tragen zu müssen. Nicht-Schwarze Menschen haben die Möglichkeit, das Nachgeahmte wie ein Kostüm an- und abzulegen, wann immer es ihnen recht ist. Diese Freiheit haben Schwarze Menschen nicht. Viele Menschen verstehen sich auch als Allies, wenn sie Schwarze Kultur promoten. Die Tatsache, dass diese promotet werden muss, ist in sich wieder ein Beweis dafür, dass diese in einem kolonialrassistischen, neokapitalistischen System als weniger wert eingestuft worden ist. Auch, dass weiße Menschen erst etwas imitieren müssen, damit es normalisiert wird, verdeutlicht die gesellschaftliche Schieflage. Schwarze Menschen und People of Color haben nicht weiße Validierung zum Ziel, sondern Gleichberechtigung. Die Intention, die weiße Menschen bei der Übernahme kultureller Elemente im Sinn haben, ist meist hinreichend. Denn Allyship im Sinne eines ich bin mit euch, ich gehöre zu euch macht die Privilegien, die eine weiße Person innehat, nicht wett. Vielmehr werden so die Erfahrungen, die Schwarze Personen bezüglich dieser Elemente machen, außer Acht gelassen.

Bei der Frage kultureller Aneignung geht es nicht darum, nicht-Schwarzen Menschen zu verbieten, einen historisch und kulturell Schwarzen Haarstyle zu tragen. Vielmehr geht es darum, diesen auch als solchen zu würdigen. Auch eine weiße Person kann Kleidung afrikanischen Ursprungs tragen, wenn Anlass und Setting angemessen sind. Nimmt sie beispielsweise an der Hochzeit einer Schwarzen Person teil und wird eingeladen, an dieser Kultur teilzuhaben, kann das Tragen traditioneller Kleidung von Respekt und Wertschätzung zeugen. Es geht also nicht darum, Menschen vorzuschreiben, nicht weiter an den Erzeugnissen anderer Kulturen teilzuhaben. Kulturelle Teilhabe kann vielseitig aussehen: das Lesen von Büchern, Besuchen von Museen, Hören von Musik, Belegen von Kochkursen oder Reisen. Kultur kann auf verschiedenste, respektvolle Weisen kennengelernt und genossen werden, ganz ohne davon willkürlich Teile zu übernehmen. Im Falle der Modenshows von Valentino und Marc Jacobs hätte Wertschätzung bedeuten können, die für die Mode verwendeten Stoffe direkt von Menschen der Kultur zu kaufen, von der sie inspiriert waren. Wertschätzung hätte auch bedeuten können, Schwarzen Models Sichtbarkeit zu verschaffen, indem sie in die Show integriert werden. Und vor allem bedeutet dies für die Mode- sowie viele weitere Branchen, künftig die vergütete Expertise von Diversity-Berater*innen in Anspruch zu nehmen, wenn es ihnen nicht möglich ist, Schwarze Menschen und Kulturen angemessen und ohne Stereotypisierungen zu adressieren.

Die Tatsache, dass es, anders als Jacobs glaubt, auch Schwarze Menschen gibt, die von Natur aus glattes Haar haben, soll hier einmal außen vorgelassen werden. Bei dem Argument der vermeintlich umgekehrten kulturellen Aneignung ist die Annahme zentral, dass Schwarze Menschen ebenfalls kulturelle Aneignung betreiben, wenn sie Erzeugnisse westlicher Kulturen übernehmen. Um kulturelle Aneignung zu verstehen, ist ein Verständnis von alltäglichem, strukturellem und institutionellem Rassismus in weißen Mehrheitsgesellschaften Voraussetzung. Denn so würde bewusst werden, dass umgekehrte kulturelle Aneignung genau so wenig existiert, wie umgekehrter Rassismus. Von kultureller Aneignung kann nur gesprochen werden, wenn ungleiche Machtverhältnisse zwischen Kulturen bestehen. Kulturelle Aneignung impliziert, dass eine privilegierte Gruppe sich an Artefakten marginalisierter Gruppen bedient. Wir leben in einer Welt, in der weiße Menschen und weiße Institutionen mehr Privilegien und Macht innehaben als Schwarze Menschen und Menschen of Color. Das kulturelle Erbe von ethnischen Minderheiten erfährt in weißen Mehrheitsgesellschaften oft eine Abwertung, was dazu führt, dass diese Minderheiten ihr Erbe verstecken oder sich so verändern, dass sie von der dominanten Gruppe akzeptiert werden. Wenn marginalisierte Menschen sich an einen Standard anpassen, der von der dominanten, westlichen Kultur gesetzt wird, ist dies häufig eine Überlebensstrategie. Man spricht hierbei also nicht von Aneignung, sondern Assimilation.

Es braucht ein sich Bewusstwerden und -sein über die eigenen Privilegien sowie das Hinterfragen dieser, bevor vom Zelebrieren kulturellen Austausches gesprochen werden kann. Ohne diese kritische Reflektion besteht die Gefahr der Fortführung des kolonialrassistischen Ausbeutungssystems, in denen weiße Menschen von Schwarzen Kulturen profitieren, während Schwarze Menschen gesellschaftliche Benachteiligung für das Ausleben ihrer eigenen Kulturen erfahren. Schwarzsein ist kein Trend im Sinne von Black is Back. Schwarze Menschen waren und sind immer da. Schwarzsein ist kein Kostüm, das man trägt, wenn es gerade angesagt ist. Es ist die Lebensrealität Schwarzer Menschen. Es ist an der Zeit, zu verstehen, dass Kulturartefakte marginalisierter Gruppen nie bloß ein Style, sondern oft mit realen gesellschaftlichen Kämpfen und Leiden verbunden sind. Durch die willkürliche Übernahme und dem Dekontextualisieren von Kulturgütern werden diese Kämpfe trivialisiert. Wem als nicht-Schwarzer Person daran gelegen ist, die systematische Diskriminierung Schwarzer Menschen zu beenden, muss kulturelle Aneignung als Teil dieses unterdrückerischen Systems anerkennen. Wer Schwierigkeiten hat, die Grenze zwischen Aneignung und respektvollem Austausch auszumachen, kann sich für den Anfang folgende Fragen stellen: würdige ich die ursprüngliche Herkunft der Elemente, derer ich mich bediene? Billige ich den Kampf Schwarzer Communities, wenn ich Teile Schwarzer Kulturen übernehme? Reduziere ich Kulturgüter zu einem bloßen Fashionstatement? Inwiefern profitieren die Menschen, deren Kultur ich mit aneigne? Ist das Setting, in dem ich mich bewege, ein angemessenes, um dieses Kulturartefakt für mich zu nutzen? Kämpfe ich gegen (Anti-Schwarzen) Rassismus oder ruhe ich mich auf meinen weißen Privilegien aus? Schätze ich Schwarze Leben oder nur Schwarze Kulturen?


Literaturverzeichnis:

Alese, Whitney 2018: What Marc Jacobs’ constant cultural appropriation really means, online: https://medium.com/@TheReclaimed/what-marc-jacobs-constant-cultural-appropriation-really-means-ed9cbf766ffb (17.09.2020).

Du Bois, W.E.B.; Edwards, B. 2007: The Souls of Black  Folk. Oxford England; New York:  Oxford University Press.

Hein, Theresa 2019: Kritik an „Elle“-Novemberausgabe „Wir sind kein Trend“ – Empörung über „Back to Black“-Ausgabe von „Elle“. Süddeutschte Zeitung, online: https://www.sueddeutsche.de/medien/elle-germany-back-to-black-diskriminierung-1.4662483 (19.09.2020).

Mbilishaka, A.; Neil, L. 2019: “Hey Curlfriends!”: Hair Care and Self-Care Messaging on YouTube by Black Women Natural Hair Vloggers. Journal of Black Studies 50(2): 156-177.

Murray, C. 2015: Altered Beauty – African-Caribbean women decolonizing       racialized aesthetics in Toronto, Canada. Your Review, online: https://yourreview.journals.yorku.ca/index.php/yourreview/article/view/40352/36553 (19.09.2020).

Stansfield, Ted 2015: Valentino Show inspired by ‘wild Africa’ sparks controversy, online: https://www.dazeddigital.com/fashion/article/26895/1/valentino-show-inspired-by-wild-africa-sparks-controversy (17.09.2020).

Volkening, Heide 2020: Kulturelle Aneignung – Das Begehren des Anderen, online: https://www.zeit.de/kultur/2020-05/kulturelle-aneignung-popkultur-stereotyp-imitation-postkolonialismus (19.09.2020).


Quelle: Kesho-Tabitha Imadonmwinyi, Black Beauty, White Standards – An Essay on the Appropriation of Black Cultures, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 06.07.2021, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2021/07/06/black-beauty-white-standards-an-essay-on-the-appropriation-of-black-cultures/