Die niederländische Gesellschaft ist eine Konsensdemokratie, heißt es oft. Ob sich die politische Tradition des Ausgleichs auf europäischer Bühne auszahlt, muss momentan Finanzminister Dijsselbloem als Vorsitzender der Eurogruppe beweisen. Ein wichtiges Mittel der Diplomatie sind vage Formulierungen, die den politischen Partnern nicht wehtun.
Mit vagen Formulierungen hat die niederländische Regierung in ihren Funktionsbezeichnungen große Erfahrung. Dijsselbloems Vorgesetzter Mark Rutte beispielsweise ist nicht nur Regierungschef, sondern auch minister van Algemene Zaken. Man könnte sagen: Er ist für alles zuständig. Das ministerie van Algemene Zaken entspricht am ehesten dem deutschen Kanzleramt oder der Staatskanzlei eines Bundeslandes. Sicher eine notwendige Einrichtung – aber ein wenig erinnert ein Ministerium für allgemeine Angelegenheiten an das berühmte „Department of Administrative Affairs“ aus der britischen Comedyserie Yes, Minister.
Ähnlich unscharf ist die Benennung des Openbaar Ministerie. Genau genommen sollte im Sinne der Bürger jedes Ministerium openbaar sein. Nun ist aber das Openbaar Ministerie kein Ministerium, sondern in Belgien wie in den Niederlanden die Generalstaatsanwaltschaft. Und für deren Arbeit ist es oft zentral, dass viele Dinge nicht zu früh an die Öffentlichkeit gelangen. Dafür sorgt unter anderem der procureur-generaal, also der Generalstaatsanwalt. Der ist begrifflich auch generell für alles zuständig und erbt seine Benennung aus dem Französischen, das wiederum diesen Begriff aus dem lateinischen procurare für „beschaffen“ oder „verwalten“ entwickelte. Der procureur-generaal ist nichts anders als ein allgemeiner Verwalter – allerdings nur in der ganz weit hergeholten etymologischen Bedeutung, die sich inzwischen in Richtung Haupt- oder höchste/r gewandelt hat. Reichlich tautologisch ist deshalb die Amtsbezeichnung des hoofdadvocaat-generaal.
Das Niederländische mit seinen altehrwürdigen Institutionen kennt noch viele solche (pseudo-)lateinische nachgestellte Amtsbezeichnungen mit –generaal, zum Beispiel zu Kolonialzeiten den gouverneur-generaal, oder auch die Staten-Generaal: die beiden Parlamentskammern der Niederlande. Oft werden sie auf Deutsch etwas holprig als Generalstaaten übersetzt. Wieder steht das Französische Pate, es geht eigentlich um die Etats, also die gesellschaftlich dominanten Gruppen (Adel, Klerus und das Bürgertum als dritter Stand). Die Staten-Generaal sind die Generalstände, was beim heutigen demokratisch gewählten Parlament natürlich nicht mehr der alten Struktur entspricht.
Auch die Staten-Generaal sind generell für alles zuständig: Ein Parlament stimmt über praktisch jeden Politikbereich ab. Scheinbar für nichts zuständig sind dagegen ministers zonder portefeuille. Auf Deutsch nennt man sie Minister ohne Geschäftsbereich. Sie betreuen aber durchaus ein Politikfeld, stimmen im Kabinett mit, leiten allerdings kein eigenes Ministerium. Zwei solche Posten gibt es in der amtierenden Regierung Rutte-II. Eine Ministerin mit Ressort ist die Verteidigungsministerin. Wie jeder niederländische Minister lässt sie sich bei der Leitung ihres Hauses von einem Secretaris-Generaal unterstützen, einem Generalsekretär – aber trotz der Tätigkeit im Verteidigungsministerium dadurch noch lange nicht der Sekretär der Generäle.