Seit 1975 mussten die Fans in den Niederlanden warten, bis der Eurovision Song Contest wieder von einem Lied aus ihrem Land gewonnen wurde. Dieses Jahr in Israel war es endlich soweit und die Gewinnerin aus dem Vorjahr betätigte sich zum zweiten Mal als Ortsorakel:
Letztes Jahr lud Netta nach ihrem Sieg alle nach Jerusalem ein. Der Wettbewerb fand dann in Tel Aviv statt. Nun gratulierte sie Duncan Laurence und verkündete, dass man sich kommendes Jahr in Amsterdam wiedersehen werde. Ob das stimmt? In einigen anderen Städten wird man sicher auch die Hand heben. Schon zweimal war Den Haag Austragungsort, und 1958 war es Hilversum– dort sitzt der niederländische Rundfunk (damals passte die Veranstaltung noch in ein Fernsehstudio).
Eines ist sicher: Stattfinden wird der Wettbewerb in den Niederlanden. Oder in Netherlands? Vor einiger Zeit haben wir hier in unserem Blog schon einmal die Diskussion um den Wandel von Artikeln bei Ländernamen geführt. Einer unserer treuen Leser schrieb damals, er halte es für unwahrscheinlich, dass man in naher Zukunft sagen würde „Ich war in Niederlande“. Der Eurovision Song Contest (of all things!) gibt vorsichtigen Anlass, das doch für möglich zu halten.
Man findet schon jetzt im Internet Belege wie diese:
Diese Punkte hat Niederlande 2019 erhalten. (offizielle Webseite der Eurovision)
Grund für die hohen Punktzahlen in Niederlande, Belgien usw. sei das „Diasporavoting“ der vielen dort lebenden Armenier. (Fanwebseite)
Nun sind das natürlich Beispiele, die nicht unbedingt auf tiefgreifenden Sprachwandel hindeuten, weil sie durch die Parallele in der Satzstruktur (zweites Beispiel) oder wahrscheinlich durch automatisch erstellte Textvorlagen (erstes Beispiel) erklärbar sind. Da bei anderen Ländernamen meist kein Artikel steht, verschwindet er in vorgefertigten Strukturen auch bei den Niederlanden. Allerdings ist genau das manchmal ein Impuls für Sprachwandel: die Analogie.
Auch im Englischen findet man ähnliche Beispiele:
Eurovision 2020 will be held in Netherlands in May. (Fanwebseite)
Während der Punktevergabe in Tel Aviv sagten mehrere der zugeschalteten Moderator*innen aus den verschiedenen europäischen Ländern: „Twelve points go to Netherlands“. (Früher hörte man oft „twelve points goes to“ – es scheint sich inzwischen herumgesprochen zu haben, dass sich daran viele stören.)
Weder im Deutschen noch im Englischen fällt aber das –e bzw. –s am Wortende der Niederlande weg. Das Substantiv behält die Form, die es aus dem Plural hatte, auch wenn es wie ein Ländername im Singular behandelt wird. Ungefähr so wie die relativ häufige Variante „The United States is committed to…“, nur zusätzliche ohne Artikel.
Ob sich solche Strukturen weiter verbreiten, oder ob sie auf einzelne Fälle mit auffälligen Analogien begrenzt bleiben, das können wir vielleicht im nächsten Jahr genauer beobachten, wenn … ja, was eigentlich stattfindet?
Die Veranstaltung hat selbst verschiedene Namen hervorgebracht. Lange Zeit nutzte man im Deutschen den französischen Begriff Grand Prix Eurovision de la Chanson, jedenfalls wenn man eine offizielle Bezeichnung nutzen wollte. Das führte irgendwann dazu, dass der Name nur noch ironisch vernuschelt wurde, weil er mit all seinen Nasalen schlichtweg unaussprechbar war. Seit einiger Zeit hat sich deshalb der Eurovision Song Contest durchgesetzt (für eingefleischte Fans nur: „der ESC“). Im Französischen selbst hält man dagegen weiterhin recht konsequent am Concours Eurovision de la Chanson fest. Warum es kein Grand Prix mehr ist (oder war es dort nie einer?), bliebe zu klären. In Skandinavien spricht man häufig vom Melodi Grand Prix, kurz MGP (in Dänemark und Norwegen) oder vom Melodifestivalen (in Schweden). Diese Bezeichnungen werden aber zunehmend nur noch für die nationalen Vorentscheide benutzt, während man für den internationalen Wettbewerb Eurovision Song Contest auf Englisch übernommen hat. Der niederländische Sprachraum ist soweit ich sehen kann der einzige, der relativ konsequent einen anderen englischen Begriff benutzt, nämlich songfestival, manchmal auch als Riesenkompositium eurovisiesongfestival.
Zumindest die kurze Form ist auf jeden Fall noch viel praktischer als Eurovision Song Contest und erst recht einfacher zu hantieren als Grandprixeurovisiondelachanson. Vielleicht spricht ab dem nächsten Jahr dann ganz Europa vom Songfestival, wenn es in Niederlande stattfindet.