
Seit Januar 2025 macht das Bildarchiv Foto Marburg rund 1,2 Millionen digitalisierter Fotografien aus dem eigenen Bestand verfügbar. Die Dateien sind kostenlos unter offener Lizenz beziehungsweise Public Domain Mark erhältlich. Darunter befinden sich unzählige Aufnahmen aus der europäischen Kunst und Architektur. Direktor Christian Bracht erläutert die Hintergründe der Open-Access-Initiative.
Georg Fischer: Herr Bracht, Sie sind einer der Direktoren des Deutschen Dokumentationszentrums für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg. Laut einer Pressemitteilung von Mitte Januar verfolgt das Bildarchiv Foto Marburg aktuell eine große Open-Access-Initiative. Rund 1,2 Millionen Fotografien aus dem eigenen Bilderschatz werden nach und nach kostenfrei und offen lizenziert auf bildindex.de verfügbar. Haben Sie persönlich eine Lieblingsaufnahme aus dem Bestand?

Christian Bracht: Ja, eine Lieblingsaufnahme ist tatsächlich die Aufnahme der Dresdner Frauenkirche aus dem Jahr 1917, die wir auch in der Pressemitteilung gezeigt haben. Zur Frauenkirche aus der Zeit vor ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg haben wir mehrere historische Fotos im Bestand. Ich schätze aber diese Aufnahme ganz besonders, da sie sich dem Bauwerk sozusagen ganz lebensweltlich, vom inneren Stadtbild her nähert, aus dem der imposante Barockbau seit dem Wiederaufbau ab 1993 wieder emporwachsen konnte. Und weil die Aufnahme in der Objektbiografie dieses Bauwerks aufzeigt, dass beim Wiederaufbau auch historische Fotografien als Vorlagen mit im Spiel waren.
Einige dieser Fotografien stammen aus dem Marburger Bilderschatz, genauer gesagt aus der ehemaligen „Photographien- und Diapositivzentrale“, die Karl Ernst Osthaus – er war der Gründer des ersten Folkwang-Museums in Hagen – ab 1910 als Bildagentur für modernes Kunstgewerbe und Architektur geführt hatte. 1933 wurde der Osthaus-Bildbestand an das Bildarchiv Foto Marburg verkauft.

Welche anderen Bereiche neben der Architektur sind abgedeckt und welche Zeiträume umfasst das Archiv?
Der fotografische Bestand in der Sammlung des Bildarchivs Foto Marburg deckt sämtliche Gattungen der bildenden Kunst und Architektur ab. Neben dem Äußeren von Gebäuden sind auch Innenräume und Ausstattungsobjekte abgebildet, wie etwa eine Säule eines spätantiken Tempels, eine Kapelle in einer mittelalterlichen Kirche oder auch ortsfeste Ausstattungsstücke, etwa ein Retabel, also ein kunstvoll gestalteter Altar-Aufsatz. Wir haben auch Fotografien von beweglichen Skulpturen oder Gemälden in musealen Sammlungen im Archivbestand, aber auch von Druckgrafiken und Zeichnungen. Alle diese Gattungen sind vertreten durch Abbildungen von Werken auf unseren Fotografien.
Zu den Zeiträumen: Die Kunst- und Bauwerke sind aus der Zeit der römischen und griechischen Antike bis hin zur Moderne und Gegenwartskunst. Und die Fotografien selbst stammen etwa aus der Zeit von 1870 bis zu unserer heutigen digitalen Gegenwart.
Welchen rechtlichen Status haben die Bilder?
Der rechtliche Status der Bilder betrifft zunächst die abgebildeten Werke. Gemeinfreie abgebildete Werke sind mit dem Public Domain Mark ausgezeichnet. Andere Werke, die noch unter Urheberschutz stehen, sind mit Creative-Commons-Lizenzen versehen, wenn uns der Rechteinhaber das gestattet. Wenn für ein abgebildetes Werk keine freie Lizenz vergeben werden kann, geben wir einen Rechtehinweis an, der den Sachverhalt eindeutig erklärt. Da halten wir uns an die standardisierten Rechtehinweise des internationalen Konsortiums RightsStatements.org.
Zu den Bildern mit der Freigabe per CC BY-SA: Was hat es damit auf sich?
Das hat den Grund, dass diese Fotografien teilweise noch Urheberrechtsschutz genießen: Wenn der Fotograf einer Abbildung der Dresdner Frauenkirche noch nicht länger als 70 Jahre lang verstorben ist, dann besteht im Prinzip noch ein Urheberrechtsschutz, bei Architekturaufnahmen sowieso. Mit der freien Lizenz CC BY-SA öffnen wir auch die Zugänglichkeit. Da wir alle Rechte an einer solchen Fotografie im Bildarchiv Foto Marburg verfügbar haben, dürfen wir demgemäß auch eine freie CC-Lizenz vergeben. Und das tun wir auch.
Auf der Website ist auch das Stichwort „Fair Use“ zu lesen. Es handelt sich offenkundig nicht um das gleichnamige US-amerikanische Rechtsprinzip aus dem Copyright Law. Können Sie erläutern, was Sie beim Bildarchiv Foto Marburg unter „Fair Use“ verstehen?
Mit unseren Fair-Use-Empfehlungen, die wir von Europeana übernommen haben und die in unseren Nutzungsbedingungen publiziert sind, möchten wir den Nutzenden, das heißt den Bürgerinnen und Bürgern und den Forschenden, keine Pflichten auferlegen, sondern lediglich Wünsche äußern. Wir wünschen uns, dass die Fotografien bei einer Nachnutzung mit einer Quellenangabe zitiert werden, aus der ersichtlich wird, dass das Bildarchiv Foto Marburg die Quelle der Fotografie ist. Insofern sollte die Quellenangabe auch nach den üblichen Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis erfolgen. Das betrifft auch die Nachnutzung etwa durch Publikumsmedien. Wenn also eine Zeitung oder ein TV-Bericht unsere Fotografien verwendet, dann wünschen wir uns, dass in der Bildunterschrift möglichst der Fotograf oder die Fotografin und das Bildarchiv Foto Marburg als Quelle dieses Bildes genannt sind.
Zu unseren Fair-Use-Empfehlungen gehört auch, dass wir uns im Falle einer wissenschaftlichen Publikation, etwa in einem Verlag, ein Belegexemplar wünschen. Aber noch mal unterstrichen: Dies ist nur ein Wunsch. Bis Dezember 2024 gehörte es noch zu unseren allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass wir das Zusenden des Belegexemplares eines Buchs, eines Aufsatzes zur Pflicht gemacht haben – diese Regelung ist nun durch den Wunsch ersetzt.
Das bedeutet, die Fair-Use-Empfehlungen des Bildarchivs Foto Marburg umfassen vor allem ethische Aspekte der Nachnutzung?
Ganz genau. Dazu gehört auch beispielsweise, dass man als nachnutzender Akteur das Original respektieren möge. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das dargestellte Objekt auf einer Fotografie etwa aus einer außereuropäischen Herkunftsgesellschaft entstammt, die einen sensiblen Umgang mit ihr verlangen darf, weil vielleicht das Objekt im Kontext eines Unrechtsregimes zu uns nach Europa gelangt ist. Solche Hinweise geben wir in unseren Metadaten aber mit. Entstammt das abgebildete Kunstwerk aus einer anderen Kultur, sollten bei den Nachnutzenden entsprechende Sensibilitäten geschärft sein, vorsichtig mit den Objekten umzugehen.
Enthält Ihre Nutzungsordnung auch Kleingedrucktes?
Unsere Nutzungsbedingungen klären dahingehend darüber auf, dass unsere Fotografien zwar kostenfrei nachgenutzt, zum Beispiel veröffentlicht werden dürfen, und dass das dann auch nicht unserer Genehmigung bedarf. Aber wir sagen den Nutzenden auch ganz deutlich, dass dabei keine Rechte Dritter berührt sein dürfen. Das ergibt sich jeweils aus den Rechtehinweisen und Lizenzen innerhalb unseres Datenangebots, weil wir darin sowohl für Menschen wie auch Maschinen Informationen darüber hinterlegen, wie die digitalen Inhalte nachgenutzt werden dürfen.
Wenn man so will, gibt es auch Kleingedrucktes, denn bestimmte Leistungen bleiben dann eben doch kostenpflichtig, was wir beim besten Willen noch nicht aufgeben können. Die gebührenpflichtigen Leistungen werden in unserer Preisliste ersichtlich: Zwar kann man unsere online verfügbaren digitalen Bilder kostenfrei herunterladen und gebührenfrei nutzen, aber wenn man Bilddateien in höchster Reproduktionsqualität haben möchte, dann müssen wir diese Dateien derzeit noch händisch bereitstellen. Das bedeutet Personalaufwand. Aber hier haben wir, glaube ich, einen ganz guten Kompromiss gefunden, denn eine Bereitstellungsgebühr erheben wir erst bei einer Bestellung von 10 Bildern und mehr. Sobald es uns technisch möglich ist, die hochauflösenden Bilder massenhaft online zum Download anzubieten, wird auch diese Gebührenpflicht wegfallen.
Wie kam es dazu, dass Sie sich beim Bildarchiv Foto Marburg dazu entschieden haben, die Aufnahmen unter diesen erneuerten Bedingungen im Open Access verfügbar zu machen?
Für unsere eigene Open-Access-Initiative im Kulturerbe-Bereich, die seit den frühen Erfolgen der Wikimedia Foundation auch nicht mehr so ganz neu ist, waren im Wesentlichen zwei Gründe ausschlaggebend: Einerseits die Novellierung der EU-Richtlinie zum Urheberrecht 2019 und daraus abgeleitet die Novellierung des Deutschen Urheberrechtsgesetzes 2021. Diese zwingt uns über den Paragrafen 68 – und übrigens auch alle anderen Kulturerbe-Institutionen – dazu, auf die Gebührenpflicht bei der Nachnutzung von gemeinfreien Fotografien zu verzichten. Das war der juristische Hintergrund. Andererseits gibt es natürlich den Hintergrund, dass wir als wissenschaftliche und öffentliche Einrichtung, die wir vom Steuerzahler finanziert werden, der Auffassung sind, dass unser wissenschaftliches Wissen in Form von Bildern möglichst uneingeschränkt mit der Öffentlichkeit geteilt werden sollte. Ich nenne es die Demokratisierung von Wissen: Man gibt der Gesellschaft das zurück, was die Gesellschaft ermöglicht und finanziert hat.
Die Idee, gesellschaftlich relevantes Wissen uneingeschränkt zu teilen, gehört aber immer schon zur Voraussetzung erfolgreicher Forschungs- und Kulturinstitutionen. Erinnert sei etwa an die „Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“ von 2003, die auf eine Initiative der Max-Planck-Gesellschaft zurückgeht und die sehr früh auch von anderen führenden europäischen Wissenschaftsorganisationen unterzeichnet wurde. Das war damals eine echte Sensation. Heute bewegen wir uns in einem breiten Feld von Mitstreitern in Sachen Open Access, darunter die Deutsche Digitale Bibliothek und die weiter heranwachsenden Konsortien der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) sowie die europäischen Datenräume wie Europeana oder die European Open Science Cloud.
So eine Open-Access-Initiative macht man ja nicht einfach mal so schnell nebenher. Welche Schritte waren und sind dafür nötig?
Zunächst mussten wir in unserem Mindset den Schritt vollziehen, dass wir Open Access als einen Wert an sich erkennen, und dann die Hindernisse aus dem Weg räumen. Beides zusammen hat sicherlich einige Jahre gedauert, aber die „Berliner Erklärung“ haben wir damals schon als einen wirklichen Meilenstein erlebt. Weil es aber viele Hindernisse gab, etwa die Verwaltungskostenordnung des zuständigen hessischen Ministeriums, oder die damit verbundene Maßgabe, dass dort, wo es einen Markt gibt, Gebühren für personalaufwändige Dienste erhoben werden sollen, mussten wir uns eine Strategie überlegen.
Angeregt durch die Urheberrechtsnovelle 2019 haben wir dank einer Drittmittelförderung vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst die „Open Access Policy der Kulturerbe-Einrichtungen in Hessen“ entwickelt. Diese Policy – selbst natürlich Open Access und frei verfügbar im Netz – wurde unterschrieben von den Leitungen aller hessischen Landeseinrichtungen, also vor allem den Bibliotheken, Archiven, Museen und Hochschulen. Da auch die Philipps-Universität Marburg unterschrieben hat, sind wir beim Bildarchiv Foto Marburg als universitäre Einrichtung sozusagen in die glückliche Lage einer Art Selbstverpflichtung geraten.
Dann aber fing die eigentliche Arbeit erst an: Prinzipiell macht das Deklarieren der Rechte in den Metadaten zu den Werken und Fotografien die größte Arbeit. Dabei müssen wir ja sowohl die Rechte am Werk wie auch die Rechte am Foto standardmäßig deklarieren. Das umfasst auch, die Rechtehinweise in den Metadaten anzugeben: mit größtmöglicher Klarheit und Transparenz, um auch den Nachnutzenden Rechtssicherheit zu geben.
Das klingt bei rund 1,2 Millionen Fotografien, die derzeit online sind, nach einem beträchtlichen Aufwand.
Allerdings. Und der Aufwand wird auch noch weiter beträchtlich sein. Aktuell haben wir erst bei den ersten circa 100.000 Fotografien begonnen, die Lizenzen und Rechtehinweise einzutragen. Hier haben wir eindeutige Informationen vorliegen. Die übrigen 1,1-Millionen-Fotografien versorgen wir jetzt peu à peu, also scheibchenweise, mit den Rechte-Informationen in den Metadaten. Die tiefhängenden Früchte dafür, also für die Schaffung der freier Zugänglichkeit ohne viel Aufwand, sind Fotografien von historischen Zeichnungen und Druckgrafiken, etwa von so berühmten Künstlern wie Albrecht Dürer oder Michelangelo. Das ist besonders vergnüglich, denn der neue Paragraf 68 des 2021 reformierten deutschen Urheberrechtsgesetzes, wonach gemeinfreie Werke gemeinfrei bleiben sollen, verschafft uns hier genügend Beinfreiheit.
In dem Prozess haben Sie also tüchtig Erfahrung gesammelt. Was können Sie anderen Kulturerbe-Einrichtungen mit auf den Weg geben, falls diese ähnliche Vorhaben planen oder umsetzen?
Den Kollegen und Kolleginnen in anderen GLAM-Einrichtungen möchte ich gerne mit auf den Weg geben, nicht nur dem Buchstabensinn des Urheberrechtsgesetzes, sondern auch dem Geist des Gesetzgebers zu folgen und das wissenschaftliche Wissen zu Sammlungsobjekten und Fotografien möglichst frei und uneingeschränkt der Forschung und auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Wie man das macht, lernt man anhand unseres Leitfadens zur Open Access Policy in Hessen. Auf juristischer Seite waren daran Paul Klimpel und Ellen Euler beteiligt. Und man lernt das vielleicht auch bei der Besichtigung unserer Metadaten im „Bildindex der Kunst und Architektur“ vom Bildarchiv Foto Marburg, wo wir die Rechtehinweise und die Lizenzen mit größtmöglicher Klarheit und Transparenz zu publizieren begonnen haben.
Herr Bracht, vielen Dank für das Gespräch.
Hinweis: Das Interview erschien ursprünglich im März 2025 auf iRights.info.