3 von 5: Sind Wissenschaftseinrichtungen die besseren Verlage?

Von Maike Neufend, Anita Eppelin, Sebastian Nix und Frank Seeliger

Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist über das TIB AV Portal verfügbar.

Bericht zur Veranstaltung #3 in der Reihe: Quo vadis offene Wissenschaft? Eine virtuelle Open Access Woche für Berlin und Brandenburg.

Die dritte Veranstaltung der Reihe “Quo vadis offene Wissenschaft” mit rund 250 Teilnehmer*innen beschäftigte sich mit der Frage der Kostentransparenz im wissenschaftlichen Verlagswesen und dem nicht-kommerziellen Publizieren an Wissenschaftseinrichtungen. Unter dem Titel “Sind Wissenschaftseinrichtungen die besseren Verlage?” wurde diskutiert, ob sich hochschuleigene Verlage und Publikationsinfrastrukturen perspektivisch zu “besseren Verlagen” entwickeln könnten, weil diese sich bei den Kosten von Open Access an aufwandsgerechten Publikationskosten orientieren und nicht an der Gewinnmaximierung. An die Frage der Kosten schlossen sich weitere Diskussionspunkte an, zur Rolle wissenschaftsgetragener Publikationskultur (Scholar-led), Qualitätssicherung, Publikations-Workflows und auch Fragen zum Reputationssystem in der Wissenschaft.

Auch wenn die Diskussion keine “einfachen” Lösungen aufzeigen konnte, machten die Podiumsgäste deutlich, dass mehr Zusammenarbeit von allen gewünscht wird.

Zur Diskussion eingeladen waren Vertreter*innen verschiedener Interessengruppen, darunter Detlef Büttner, Geschäftsführer von Lehmanns Media, einer Unternehmensgruppe, die als Intermediär mit dem An- und Verkauf von wissenschaftlichen Informationsressourcen wirtschaftet. Des Weiteren vertrat Kathrin Ganz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg und Redaktionsmitglied beim Open Gender Journal, auf dem Podium die Scholar-led-Perspektive, die unter anderem in einem kürzlich erschienenen Manifest ausformuliert wurde. Miriam von Maydell leitet das Lektorat und die Herstellung im Verlag Barbara Budrich und sprach damit aus der Perspektive der mittelständischen und kleinen Verlage. Als Leiterin der Abteilung Publikationsdienste an der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin nahm Dagmar Schobert  die Position der Universitätsverlage ein. An der TU Berlin wird bereits seit 50 Jahren ein Universitätsverlag geführt, der seit 2013 zu einem Open-Access-Verlag umgestaltet wurde. Die Moderation übernahm Thomas Mutschler, Leiter der Abteilung Medienerwerbung und -erschließung an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena.

Herr Büttner konnte aufzeigen, dass sein Interesse sich nicht mit dem der Großverlage deckt, denn der Paradigmenwechsel zu Open Access sorge dafür, dass die Dissemination von Wissen immens verbessert würde. Seine Aufgabe sehe er darin, die stetig steigenden Wissensmengen zu ordnen, zu katalogisieren und in effizienten Prozessen den Einrichtungen und Wissenschaftler*innen verfügbar zu machen. Dies sei ein unverzichtbarer Beitrag für die Informationsversorgung der Wissenschaft. Miriam von Maydell betonte, dass das Aufgabenspektrum des Verlags unterschiedliche Abteilungen umfasst, die sich um die Produktion kümmern. Dazu gehören auch die Schaffung und Pflege eines inhaltlichen Profils, durch welches ein Verlag eine bestimmte Reputation aufbaut. Dadurch bieten Verlage wie Barbara Budrich bspw. in den Sozial- und Erziehungswissenschaften eine große Sichtbarkeit für die Autor*innen. In dieser erhöhten Sichtbarkeit oder auch Zugänglichkeit für Autor*innen  sieht auch Kathrin Ganz den Vorteil für Wissenschaftler*innen, doch diese Zugänglichkeit werde bereits durch Open-Access-Publikationen erreicht, in deren Publikationsprozess Wissenschaftler*innen ohnehin schon umfassend involviert sind, z. B. durch die Begutachtungsverfahren, die Reviews nach Veröffentlichung und häufig auch das Layout und den Satz. Warum sollte die Fachcommunity also nicht direkt die Publikation selbst komplett in die Hand nehmen?

Dagmar Schobert sieht wiederum den größten Unterschied zwischen privatwirtschaftlich-gewinnorientierten Verlagen und Universitätsverlagen in der kommerziellen Ausrichtung. Denn gerade weil Publikationsprojekte an Wissenschaftseinrichtungen sich nicht nach einer Gewinnmaximierung ausrichten müssen, sei es ihnen möglich, den Kulturwandel im Bereich des Open-Access-Publizierens besser  zu unterstützen. Dies sei insbesondere in Berlin von Bedeutung, denn dort sollen Open-Science-Praktiken in Zukunft bei der Bewertung von Forschungsleistungen einbezogen werden. Die Technische Universität Berlin habe Schritte in diese Richtung bereits unternommen und bspw. die DORA-Erklärung unterzeichnet. 

Für die Diskussion ergaben sich folgende weitere Fragestellungen, Thesen und Forderungen:

  • Die Publikationsdienstleister sollen statt quantitativer Metriken verstärkt inhaltliche Merkmale der Qualitätssicherung fördern, um den Kulturwandel im Publikationssystem der Wissenschaft zu unterstützen. 
  • Die Mittel der Qualitätssicherung wie Beiräte, Peer-Review oder die Inanspruchnahme von Netzwerken unterscheiden sich zumeist nicht zwischen  gewinnorientierten und nicht-kommerziellen Verlagsangeboten.
  • Die Diskussion zum Open-Access-Publizieren sollte unter der Voraussetzung geführt werden, dass Mehrwerte für alle Beteiligten in der Open-Access-Community gegeben sind – und unter Nutzung der  jeweiligen Stärken der Beteiligten.
  • Insbesondere bei technischen Entwicklungen und der Umsetzung einheitlicher Standards (bspw. XML-Workflows) sollte es Kooperationen geben, um allen Beteiligten das Publizieren in Open Access gleichermaßen zugänglich zu machen.
  • Innovative Projekte (wie Open Peer Review, Einbindung von Forschungsdaten in Artikel, etc.) werden gefördert, aber es fehlt die Nachhaltigkeit.
  • Eine konsortiale Finanzierung von Daueraufgaben sollte ermöglicht werden.
  • Im Bereich der Infrastruktur ist mehr kollaboratives Arbeiten notwendig. 
  • Es bedarf einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung und einer Beteiligung an wissenschaftspolitischen Diskussionen, um die Nachhaltigkeit von Publikationssystemen zu gewährleisten.
  • Internationale Projekte wie  “Copim: Community-led Open Publication Infrastructures for Monographs” können als Good-Practice-Orientierung dienen.

Zusammenarbeit findet bereits auf vielen Ebenen statt. Insbesondere im Buch- und im Scholar-led-Bereich gibt es in Deutschland überregionale Initiativen, wie bspw. die AG Universitätsverlage, die Enable!-Initiative, sowie die Fokusgruppen Open-Access-Bücher und scholar-led.network im Rahmen von open-access.network. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzt im laufenden Förderprogramm zur Beschleunigung der Open-Access-Transformation verstärkt auf den Austausch zwischen Wissenschaftseinrichtungen und Verlagen und auf die Förderung von Scholar-led-Projekten. 

Am Ende konnte die Diskussion zeigen, dass die Transformation des Publikationsmarktes durch den Paradigmenwechsel hin zu Open Access aus Sicht der Podiumsteilnehmer*innen Herausforderung und Chance zugleich ist. Es haben sich sowohl neue Geschäftsmodelle als auch neue Publikations- und Verlagspraktiken entwickelt. Will die Community  aber der Entwicklung entgegenwirken, in der Publikationsinfrastrukturen wiederholt von großen kommerziellen Unternehmen aufgekauft werden, gilt es, sich zusammenzuschließen, um offene und kollaborative Formen von Infrastrukturen und Workflows zu schaffen. Dabei können Bibliotheken mit ihren nicht-gewinnorientierten Open-Access-Verlagen eine wichtige Rolle und Funktion übernehmen.

Im Hinblick auf die nächste Veranstaltung der Reihe schließt sich hier unmittelbar die Frage an, welche Rolle Bibliotheken generell in Zukunft einnehmen. Wenn es unter dem Paradigma der Offenheit nicht mehr “nur” um die Bereitstellung wissenschaftlicher Informationsressourcen geht, sondern eher um inhaltsgetriebene Kuratierungs-, Vernetzungs-  und Vermittlungsleistungen, wie können solche Dienstleistungen dann nachhaltig betrieben und finanziert werden?

Wir freuen uns auf die Diskussion am 17. Februar 2022 zum Thema “Was bedeutet Open Science für das künftige Geschäftsmodell von Bibliotheken?”.

Sind Wissenschaftseinrichtungen die besseren Verlage?

Anmeldung

EINE PODIUMSDISKUSSION

MITTWOCH
19. JANUAR, 14-15:30 UHR

Eine Veranstaltung in der Reihe: Quo vadis offene Wissenschaft? Eine virtuelle Open Access Woche für Berlin-Brandenburg.

In der Bibliothekswelt streiten wir gerne über die Preisbildung bei Open-Access-Zeitschriften wie Artikeln: Was darf das kosten? Der Fördergeber DFG gab bis vor kurzem für Publikationsfonds ein Limit von maximal zweitausend Euro pro Artikel für die APC-Gebühren vor. Interessant ist der Umstand insofern, da neben den klassischen Verlagen wie Elsevier, Springer etc. über sog. „Publish & Read“ Modelle, die recht hohe Preise einfordern (z.B. für die DEAL-Verträge), die Vollkostenrechnungen hochschuleigener Verlage, Reihen, Zeitschriften, Beiträge oder von Wissenschaftsorganisationen deutlich niedriger ausfallen.

Für DEAL war das White Paper „Flächendeckende Umstellung auf Open Access möglich” ausschlaggebend, auch hinsichtlich der Transformationskosten. Demzufolge sind bereits jetzt ausreichend Ressourcen im Markt. Andere Berechnungen basieren auf Nutzungsanalysen, natürlich im Fall der Lizenzierungskosten.

Bislang ist die Preisbildung seitens des Monopsons Bibliothek für kommerzielle Verlage im Rahmen von bilateral oder konsortial ausgehandelten Lizenzverträgen recht zurückhaltend betrieben worden. Aus anderen Branchen kennen wir andere Beispiele. Volkswagen-Chef Herbert Diess „sanierte […] die Rover-Werke in England und sparte als Chef der Einkaufsabteilung vier Milliarden Euro, indem er den Zulieferern vorrechnen ließ, warum ihre Produkte weniger wert sind, als sie zuvor dafür bekommen hatten.“ Als Vergleichskosten wurde die Eigenproduktion bei VW angeführt. Sie kannten also die Aufwendungen, genau wie wir die Kosten für Open Access kennen. 

Können wir mit dem Wissen, dass öffentliche Einrichtungen kostengünstiger Open Access Publikationen schaffen, ähnlich wie die Autoschmiede die Preisbildung gestalten? Weitere Fragen schließen sich an, soll der Publikationsmarkt in kommerzielle Angebote und Offerten öffentlicher Trägerschaft aufgeteilt werden? Sind Open-Access-Verlage auch gute Verleger, entwickeln Verlagsprogramme, schöpfen aus ihrem Fundus digitale Mehrwerte?

In dem Diskussionspanel sollen das Preis-Leistungsverhältnis und die Kosten-Nutzen-Komponenten für Open Access näher beleuchtet werden. Auch die Frage, wo Verlage und Open Access Plattformen im Wettbewerb stehen, soll nicht ausgespart werden. Wie sie sich als öffentliche vs. privatwirtschaftlich aufgestellte Körperschaften unterschieden?.

MODERATION

 Dr. Thomas Mutschler

Leiter Abteilung Medienerwerbung und -erschließung an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena

DISKUSSION MIT

Detlef Büttner

Geschäftsführer
Lehmanns Media

Dr. Kathrin Ganz

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Gender, künstliche Intelligenz und die Arbeit der Zukunft“, Universität Hamburg, Redaktionsmitglied Open Gender Journal

Miriam v. Maydell

Leitung Lektorat und Herstellung Verlag Barbara Budrich, Budrich Academic Press