Wieso Klassismus als Diskriminierungsform anerkannt werden sollte.

Ein Essay.

Anonym (SoSe 2022)

Nicht jedes Jahr in den Urlaub fahren, die Bücher von der Schule gestellt bekommen, Anträge stellen um mit auf Klassenfahrt zu können. So sah meine Lebensrealität aus und im Studium geht es weiter: keine großen Auslandsaufenthalte, kein unbezahltes Praktikum annehmen können, nach Berlin pendeln, da Wohnen hier so teuer ist, die Berliner- Mieten stemmen zu müssen, nur ein weiteres Problem, ein weiterer Stressfaktor wäre.

Während meine KommilitonInnen für all diese Dinge Ressourcen zur Verfügung haben, diese Sorgen in ihrem Leben keine Rolle spielen, plane ich beim Stundenplan-Erstellen meinen Nebenjob fest mit ein, kann dabei nicht so frei wählen, wie ich will und für ein unbezahltes Praktikum ist auch keine Zeit. Es sind kleine Unterschiede, denen ich mir zuvor nie richtig bewusst war. Dass auch ich von Klassismus betroffen bin, habe ich erst richtig im Seminar verstanden. Auch wenn ich diese Unterschiede gemerkt habe, waren sie kein großes Thema oder ich wollte sie nicht an mich heranlassen. Schließlich komme ich so ja auch klar. Ich tue nur einfach immer mehr, kämpfe immer mehr, um das, was ich will und erreichen mag, weil ich das alles allein stemmen muss.

Ich habe mich nie richtig ausgeschlossen gefühlt, aber auch nie richtig dazugehörig. Das ist genauso unangenehm. Vielleicht weil es subtiler ist, weil dich niemand wegstößt und direkt ablehnt. Vielleicht weil du immer denkst, das hat etwas mit dir zu tun, du bist nicht genug, du bist nicht richtig. Dabei kannst du gar nichts dafür. Aber Klassismus, also diese kleinen feinen Unterschiede, machen es so einfach dich selbst in Frage zu stellen, dich mit Personen zu vergleichen, die eine ganz andere Lebensrealität haben, an die du nicht so einfach herankommst, mit der du nicht aufgewachsen bist. Am Ende hat mich Klassismus gelehrt, stark zu sein, stark sein zu müssen. Mich zu positionieren, durchzukämpfen, meine Stärke ist harte, ehrliche Arbeit und damit kann ich meine Ziele erreichen.

Das Ganze erst so spät zu verstehen, ist schwierig. Es hat mich ein wenig aus der Bahn geworfen, mich ganz anders auf mein Leben zurückblicken lassen. Im Seminar habe ich schließlich nicht nur gelernt, dass Klassismus existiert und mich betrifft, sondern auch, dass das Thema lange ignoriert wurde. Zwar erklärt das, wieso ich zuvor nie wirklich etwas davon gehört habe, wirklich fair finde ich das aber nicht. Klassismus ist nicht einfach nur ein Thema für Uniseminare, sondern ein Diskriminierungsgrund, ein real existierendes Problem, das Ungleichheiten erzeugt. Ein Problem, über das AkademikerInnen schreiben und forschen, während ArbeiterInnen sich klein und wertlos fühlen. Ein Problem unserer modernen Gesellschaft, dem mehr Aufmerksamkeit zuteilen werden sollte.

Auch Andreas Kemper macht sich für diese Auffassung stark. Er führt an, dass – laut dem dritten Antidiskriminierungsbericht – die soziale Herkunft neben dem Geschlecht die wirkungsmächtigste Querschnittskategorie ist.[1] Als weiße cis Frau kann ich dem nur zustimmen. In der Caleidoscopia-Übung zu Beginn des Seminars haben die Kategorien Geschlecht und soziale Herkunft bei mir die ersten beiden Plätze eingenommen, da ich ansonsten viele Privilegien genieße.

Welche Diskriminierungserfahrungen ich als Frau mache, welche Benachteiligungen ich dadurch erfahre, möchte ich im Folgenden nicht weiter thematisieren, da es sich zum einen mit vielen überschneidet, was bereits bekannt ist und ich in diesem Essay einen Fokus auf Klassismus als gesellschaftliche Unterdrückungsform werfen möchte. Auch wenn Kategorien sich immer wieder überschneiden und Mehrfachdiskriminierungen erzeugen, eine gewisse Intersektionalität nicht zu vernachlässigen ist, entscheide ich mich hier ganz bewusst über Klasse, Klassenherkunft- und -unterschiede zu schreiben. Denn dieser wirkungsmächtigen Kategorie wird noch zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht. Ein Grund dafür könnte sein, dass es Ende der 1990er Jahre ohne weitere Diskussionen im Zuge der Amsterdamer Verträge als Diskriminierungsmerkmal entfernt wurde und seitdem nicht wieder aufgenommen wurde.[2] Weitere Gründe wie Diskriminierung aufgrund des Alters, der sexuellen Orientierung und körperlicher Behinderung sollte im Zuge der Amsterdamer Verträge ebenfalls entfernt werden, wurden jedoch wieder aufgenommen.[3]

Wieso die soziale Herkunft nicht? Wieso soll diese keine Rolle spielen, wenn dadurch eine Abwertung und eine Abgrenzung stattfindet? Wie Francis Seek betont, ist Klassismus nichts anderes als die Aufrechterhaltung und Legitimierung von sozialer Ungleichheit in unserer Gesellschaft.[4]

Der Begriff, um dieses Diskriminierungsmerkmal zu beschreiben, ist bereits vorhanden und das nicht erst seit Kurzem. Er existiert seit über hundert Jahren. Erstmals tauchte er 1974 bei der US-amerikanischen Gruppe „The Furies“ auf. Auch in Deutschland organisierten sich in den 1970er- und 1980er-Jahren Arbeiter_Innentöchter an Hochschulen. In den späten 80er-Jahren bildeten sich Prolesben-Gruppen, die Strategien gegen soziale Ungleichheit und ein Umverteilungsfond für Lesben in prekären Situationen einrichteten.[5] Klassismus ist demnach kein neuer Begriff, er wurde in der Breite nur nicht zur Kenntnis genommen.

Anknüpfend an diese ersten Gruppen für eine antiklassistische Praxis führt Andreas Kemper eine Bestandaufnahme für Deutschland an. Neben den feministischen Selbstorganisationen gibt es die sogenannten Social Justice Trainings, die als Empowerment für Menschen aus den benachteiligten Gruppen dienen sollen sowie für privilegierte Menschen, um eine Sensibilisierung zu schaffen. Hier wird Klassismus als ein Modul gelernt, neben weiteren Diskriminierungsformen wie Sexismus, Heterosexismus und Antisemitismus. Als weiteren Bereich nennt Kemper die antiklassistische Bildungspolitik. Dazu zählt er die WCPCA-Verteiler, die aus der US-amerikanischen Gruppe „Working Class/Poverty Class Academics“ entstand. Dabei handelt es sich um E-Mail-Verteiler, von AkademikerInnen mit einer Herkunft aus der ArbeiterInnenklasse. Nachdem der jährlich stattfindende Kongress zur Bildungsbenachteiligung/Klassismus 2011 vom Fikus-Referat an der Uni Münster ausgerichtet wurde, etablierten sich auch in Deutschland WCPCA-Verteiler. Seither existieren über 60 deutschsprachige.[6]

Hier endet die Bestandsaufnahme von Kemper, da er folglich nur noch von Perspektiven und Maßnahmen reden kann, die getroffen werden sollten. Fehlende Maßnahmen, offene Baustellen, die zeigen, wie wenig Beachtung Klassismus entgegengebracht wird. Es erscheint wie eine traurige Selbstironie, wenn ein Institut für Klassismusforschung nicht genügend finanzielle Ressourcen besitzt. Und es wird deutlich, was für ein blinder Fleck Klassismus in Institutionen und im Schulbereich ist, wenn Maßnahmen gegen Diskriminierung existieren und sogar Projekte wie „Schule gegen Rassismus“ entstehen, diese aber nicht auf Klassismus übertragen oder angepasst werden.

Eine antiklassistische Praxis in Deutschland existiert bereits und verweist darauf, dass Klassismus ein Problem ist, eine Diskriminierungsform, der wir – genauso wie anderen Formen der Unterdrückung und Benachteiligung von Menschen – nachgehen und bekämpfen müssen.

Welche Aktualität Klassismus besitzt, betont Seek, als sie auf die Coronapandemie verweist. Während die Wirtschaft eingebrochen ist, haben Milliardäre weltweit ihr Vermögen um 60% gesteigert und auch die zehn reichsten Deutschen haben im Coronajahr 2020 eine Steigerung ihres Vermögens um 35% gegenüber dem Vorjahr verbucht. Die Armutsquote liegt bei 15,9% und ist damit so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.[7] Dabei sind die Langzeit-Auswirkungen von zwei Jahren Pandemie noch nicht Mal im vollen Maße spürbar.

Doch die Zahlen verdeutlichen bereits jetzt, dass auch vor dem Coronavirus nicht alle Menschen gleich sind. Über diese Unterschiede, über diese Zahlen, die Klassismus auf dem Silbertablett servieren, ist jedoch wenig bekannt, wird wenig berichtet. Denn Klassismus ist – gegenüber anderen Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Rassismus – weitgehend unbekannt. Auch wenn Andreas Kemper und Heike Weinbach bereits über zehn Jahren eine Einführung in das Thema Klassismus veröffentlichten, passierte erst etwas, nachdem literarische und autobiografische Bücher erschienen sind. Von Einzelschicksalen zu erfahren, funktionierte nicht nur in den Massenmedien, sondern auch hier besser, brachte dem Thema mehr Aufmerksamkeit und ein besseres Verständnis entgegen. So konnten sich alle – privilegierte Menschen sowie benachteiligte – mehr darunter vorstellen, dem noch eher unbekannten Begriff etwas zuordnen beziehungsweise endlich einen Begriff haben, der alles beschreibt und ihn mit Wissen füllen oder eigenen Erfahrungen.

Es funktionierte auch bei mir. Der Einstieg ins Seminar mit autobiographischen Texten war augenöffnend, hat den ganzen diffusen Erfahrungen, die ich gemacht habe und nicht so recht einordnen konnte, die ich damals nicht so recht verstand, einen Spiegel vorgehalten. Es ist so wie Arslan meint: „Ich glaube als Arbeiter*innen-Kind, dass man aus der Person der Betroffenen schon sehr viel reflektiert. Du hast einfach den Blick von unten.“ [8]

Mir fiel es leicht mich in den Beschreibungen von den unterschiedlichen Autor*innen wiederzufinden. Zum Beispiel berichtet Stengele über ihre Klassenherkunft, erzählt wie sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist, im Studium keine unbezahlten Praktika annehmen konnte und auf eine Notlösung zurückgreifen musste, beschreibt damit auch die Unterschiede zwischen ihr und den anderen Studierenden. Zudem beschreibt sie einen Entfremdungsprozess von ihrem bisherigen Umfeld und wie sich ihre Ansichten und ihre Sprache verändert haben.[9] Jedes Mal, wenn ich meine Familienmitglieder über meine Hausarbeiten lesen lasse, spüre ich diese Unterschiede, wie fremd ihnen diese akademische Sprache ist und was ich da eigentlich tue. Wenn ich mit anderen Studierenden rede, in der Mensa zusammensitze, spüre ich ebenfalls Unterschiede. Ich kann nicht so einfach länger studieren, mir noch Zeit lassen, da ich auf Bafög angewiesen und damit an die Regelstudienzeit gebunden bin. Zwar teilen wir auch viele Erfahrungen, können uns austauchen, werde ich in einigen Punkten besser verstanden, kann mich und meine akademische Sprache entfalten, aber uns trennen dennoch verschiedene Welten. So wie Stengele hat meine Klassenherkunft mein Leben geprägt und tut es immer noch. Ich bin mitten in diesem Entfremdungsprozess, stehe zwischen den Stühlen, gehöre in beide Welten, meiner Heimat und der der akademischen Lehre, nicht (mehr) recht hin. Durch die Texte, das Seminar und die gesamte Auseinandersetzung mit dem Thema Klassismus habe ich gelernt, dass das Ganze, dieser Prozess, nicht einfach nur etwas mit dem Erwachsenwerden zu tun hat, der Tatsache, dass ich nächsten Sommer meine Bachelorarbeit schreibe und dann wieder ins Ungewisse trete. Nein, es ist meine Klassenherkunft, die mir diese Erfahrungen einbringt, mich diese Unterschiede spüren lässt, mich unpassend für die Stühle macht.

Am meisten konnte ich mich mit den Schilderungen von Barbara Blaha identifizieren. So wie bei ihr ist irgendwie immer aufgefallen, dass wir mit fünf Kindern viele sind, dass diese Familiengröße nicht ganz üblich ist. Bei dem Besuch von SchulfreundInnen sind mir auch Kleinigkeiten aufgefallen, die ich als Kind einfach erstmal nur registriert habe. Ich habe die besseren Einrichtungen gesehen, die teuren technischen Geräte und das meine FreundInnnen sich ihre Zimmer nicht mit den Geschwistern teilen mussten. Meine Mutter ist alleinziehend und neben den Klamotten meiner Geschwister, die ich getragen habe, haben wir auch welche geschenkt bekommen. Das kannten die anderen nicht, das gab es bei denen nicht. Auch meiner Mutter war mein schulischer Erfolg nicht so wichtig, sie hat mir da nie Druck gemacht. Ihr war es immer nur wichtig, dass es mir gut geht, dass ich glücklich werde.[10] Mich mit Baha zu identifizieren, war so einfach, da auch für mich das „Lesen ein sehr großer Punkt ist“[11]. Ich habe immer gern und viel gelesen und gehe begeistert in meine Literaturseminare, fühle mich in der Germanistik gut aufgehoben. Ich bin die einzige meiner Geschwister, die studiert. Zwei von ihnen haben ebenfalls begonnen, aber wieder abgebrochen. Somit bin ich die Einzige, die einen Universitätsabschluss in Sichtweite hat. (Ein ganz komisches Gefühl, dass auf einmal so aufzuschreiben, weil ich mich dadurch nicht anders oder besser als sie fühle.)

Neben den Erfahrungen, die auch Blaha schildert, wie sich ständig darum zu kümmern, welche soziale Unterstützungsmöglichkeiten man beantragen kann, sind es auch die Empfindungen, die übereinstimmen und die sie so treffend beschreibt. Denn es ist ein permanenter Stress, ein Gefühl nicht ganz hierherzugehören, „ein Gefühl grundsätzlicher Überforderung“ [12]. Tatsächlich will ich mich aber gar nicht groß beklagen, habe nicht das Gefühl, dass es mir so schlecht ging. Denn wir hatten alles, was wir brauchten, für unsere Grundversorgung war gesorgt. Auch ich habe oft gehört, dass wir uns etwas nicht leisten können, dass etwas zu teuer ist, früh gelernt was Sparen ist und gelernt mich in Wünschen, die Konsumgüter betreffen, zurückzunehmen. Aber: „Es war mehr das Gefühl, dass wir zwar keine Kohle haben, aber es ist trotzdem okay“ [13]. Wir hatten immer zu Essen, ein Dach über den Kopf, unsere Schulbildung. Das hat alles geklappt, das hat uns allen auch zugestanden.

Ich will mich nicht groß beklagen, da meine Klassenherkunft mich schließlich vieles gelehrt hat, mir vor allem beibrachte, wie ich ganz allein stark sein muss, wie stark ich sein kann. Ich wusste es ja, habe es immer gespürt, dass ich andere Voraussetzungen hatte und habe und ich daher immer mehr strampeln muss, mich selbst organisieren und somit extrem selbständig werden musste. Doch das ist auch, wie Blaha betont, eine starke Antriebskraft, zu wissen, ich habe das ganz allein gemacht, ich habe das alles allein geschafft.

Ja, ich spüre das und ich schätze das sehr, doch ich merke auch, dass meine KommilitonInnen geübter darin sind, das Wort in sozialen Situationen zu ergreifen, dass sie mehr freie Zeit zur Verfügung haben, Zeit und Geld haben in den Ferien lange Urlaub im Ausland zu machen. Und inzwischen, da bin ich mir ziemlich sicher, merke nicht nur ich das, sondern auch die anderen. Auch meinen privilegierten Mitstudierenden fällt auf, dass es Unterschiede gibt. Ich erinnere mich gut an die Situation, als ich mit einem Freund zusammen in der Mensa saß, der mit mir Germanistik an der FU studiert und er meinte, er wüsste gar nicht wie er das alles manchmal machen soll, wenn er noch arbeiten gehen müsste, so wie ich. Während er seine Hausarbeiten immer wieder aufschiebt, als Altlasten mitschleppt, plant sich mehr Zeit fürs Studium zu lassen, so sieben vielleicht auch acht Semester, bin ich dazu angehalten, dass alles schnell zu erledigen, da ich Arbeit noch einplanen und mir meinen Stundenplan in jedem Semester vollhauen muss, da ich in sechs Semestern abschließen sollte, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Er zieht den Hut vor mir. Einen Hut, den ich mir niemals aufsetzten kann, da er mir nie passen wird.

In diesem Gespräch, durch all meine Erfahrungen im Leben und im Seminar habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, darüber zu reden. Ich will das tun, das ganze Thema nicht unsichtbar werden lassen. Ich will weiterhin lernen mit anderen ins Gespräch zu kommen, mich auszutauschen und meine Erfahrungen zu berichten.

Die soziale Herkunft und Lage prägen unser Leben, unsere Ansichten, unsere Sprache, Möglichkeiten und Voraussetzungen, die Art, wie wir mit Geld umgehen, wie wir von unserem zukünftigen Leben träumen. Klassismus bildet eine Diskriminierungsform, einen Grund sich ausgeschlossen zu fühlen, Benachteiligungen zu erfahren oder von seinen Privilegien zu profitieren. Demnach bin ich dafür, diesen Ismus als eine Art der Diskriminierung anzuerkennen und sich darüber zu bilden sowie Maßnahmen gegen Klassismus zu entwickeln und zu fördern.


[1] vgl. Andreas Kemper. 2018. Die vergessene Benachteiligung. Warum Klassismus ein eigenständiges Diskriminierungsmerkmal sein sollte, S.2.

[2] vgl. ebd. S.1.

[3] vgl. Friedrich Ebert Stiftung. Landesbüro Thüringen (Hrsg.). Andreas Kemper 2016. „Antiklassistische Praxis in Deutschland“. In: Klassismus. Eine Bestandsaufnahme, S.20.

[4] vgl. Francis Seek 2022. Klassismus. Die ignorierte Diskriminierungsform. In: Dies. Zugang verwehrt, S.13.

[5] vgl. ebd. S.17-18.

[6]  vgl. Andreas Kemper 2016. „Antiklassistische Praxis in Deutschland“. In: Klassismus. Eine Bestandsaufnahme, S. 16.

[7] vgl. Francis Seek 2022. Klassismus: Die ignorierte Diskriminierungsform. In: Dies. Zugang verwehrt, S.15.

[8] Zeyneb Arslan 2021. Ich will dahin, aber ich komme nicht rein.  In: Bettina Aumair/Brigitte Theißl (Hrsg.). Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt, S. 142.

[9] vgl. Julischka Stengele 2021. Ich habe einen hohen Preis bezahlt. In: Bettina Aumair/Brigitte Theißl (Hrsg.). Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt, S.167-170.

[10] vgl. auch Blaha, Barbara 2021. Arbeiter*innen sind nicht die besseren Menschen. In: Bettina Aumair/Brigitte Theißl (Hrsg.). Klassenreise. Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt, S.53- 59.

[11] ebd. S. 60.

[12] ebd. S.63.

[13] ebd. S.64.


Quelle: Anonym, Wieso Klassismus als Diskriminierungsform anerkannt werden sollte. Ein Essay, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 22.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=316

Check your privilege – und dann?

Die Individualisierung des Klassismus-Begriffs und die neo-liberale Vereinnahmung von Diversity

Amelie Kloas (SoSe 2022)

Klassistische Diskriminierung oder kapitalistische Ausbeutung

Während der Begriff des Klassismus nicht nur im akademischen Gebrauch, sondern auch gesamtgesellschaftlich immer präsenter wird, scheint es, als würde der Begriff Klasse(nkampf) in linksradikalen Ecken versauern. Eine kulturalistische Analyse von Klasse und die Individualisierung klassistischer Diskriminierung charakterisieren einen bürgerlichen Diskurs, der die Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter*innen nicht nur auf die Mikroebene herunterbricht und somit Handlungsmöglichkeiten unterbindet, sondern diese Mechanismen manifestiert. Auch wenn die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien elementar für die weiterführende Analyse mit gesamtgesellschaftlichen Strukturen ist, tut sich eine Falle auf, wenn das Problem white privilege und nicht white supremacy, klassistische Diskriminierung und nicht kapitalistische Ausbeutung, Sexismus und nicht Patriarchat, Homophobie und nicht Heteronormativität heißt. Intersektionale Perspektiven helfen uns, Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen besser zu verstehen, wenn wir analysieren, dass diese anhand verschiedener Kategorien verlaufen und miteinander verzahnt sind. Die Individualisierung dieser intersektionalen Mechanismen aber raubt politische Handlungsmöglichkeiten. Im Folgenden werden in Tradition marxistischer Theorie die Individualisierung des Klassismus-Begriffs und die neo-liberale Vereinnahmung von Diversity analysiert.

Dazu wird zunächst die Genese des Klassismus-Begriffs skizziert. In diesem Zuge soll ergänzend auch der Begriff Klasse besprochen werden und inwiefern sich diese Kategorie von anderen Identitätskonstruktionen unterscheidet. Daran anschließend soll die Individualisierung von Diskriminierungsformen, insbesondere des Klassismus diskutiert werden. Nach einer Skizzierung des Konzeptes der Intersektionalität und ihrer Relevanz für klassenpolitische Fragen wird umrissen, welche Bedeutung aus dem Umgang mit den eigenen Privilegien weiterhin aus dem Konzept der Diversity Trainings hervorgeht. Abschließend sollen Handlungswege und das emanzipatorische Potential ebendieser aufgezeigt werden. Dieses Essay will als schwesterliche Kritik einen Beitrag zu der Diskussion zum Verhältnis der eigenen politischen Praxis, des eigenen politischen Seins, der eigenen Situiertheit in unserer Gesellschaft und den strukturellen Problemen des Systems beitragen.

Genese des Klassismus-Begriffs

Der Klassismus-Begriff ist umstritten. Er bezeichnet je nach Definition die Diskriminierung einzelner Personen oder Personengruppen entweder aufgrund ihrer jeweiligen Klassenumstände oder ihrer sozialen Herkunft/Schicht/Position. Der Begriff reiht sich auch semantisch durch sein Suffix in andere Diskriminierungsformen ein, thematisiert innerhalb der meisten Definitionen eher die Auswirkungen, nicht eigentlichen Ursprünge von Klassismus (Dermitzaki, 2020).

Zurückführen lässt sich die Nutzung des Begriffs auf die Lesbengruppe Furies, welche sich in den USA in den 1970ern gegen das neoliberale Narrativ des sozialen Aufstiegs durch Anstrengung positioniert und aus einer gesellschaftlichen Positionierung als Arbeiter*innen_töchter die klassistische Diskriminierung skandalisiert. Durchsetzen konnte sich diese kapitalismuskritische Analyse aber nicht und einer der heute bekanntesten Klassismusforscher, Chuck Barone, verhandelt Klasse als sozial konstruierte Kategorie. Im deutschsprachigen Raum besteht die Schwäche des englischen Begriffs class, nämlich die mangelnde Unterscheidung zwischen Klasse und Schicht, zumindest semantisch nicht. Trotzdem setzt sich in Deutschland bis heute das Verständnis von Klassismus als „persönliche, intergruppale und kulturelle Unterdrückung“ aus den USA nicht nur in sozialwissenschaftlichen, sondern auch aktivistisch politischen Kontexten durch (Baron, 2014). Andreas Kemper definiert Klassismus als „Ausbeutung, Marginalisierung, Gewalt, Macht und Kulturimperialismus aufgrund der sozialen Herkunft oder Position“ (Kemper, 2016). Gegenstand von Diskussion sollte hier durchaus sein, warum in dieser Definition der Grund als soziale Herkunft oder Position, nicht die Klassenzugehörigkeit benannt wird. Anhand dessen stellt sich heraus, dass dieser Klassismusbegriff eben als alltagspolitischer Begriff Wirkung entfaltet- die ursächlichen Gründe, nämlich das kapitalistische Wirtschaftssystem, geraten hier mindestens in den Hintergrund und Klassismus wird zu einer Form von Diskriminierung, die durch „anti-klassistische Praxis“ wie das Besuchen von Workshops aufgehoben werden kann. Auffällig sind wohl auch Berührungsängste mit den Begriffen Klasse und Klassenkampf. Beispielhaft: Andreas Kemper stellt im Zuge der Konzeptualisierung einer Anti-Klassismus Matrix vier analytische Elemente von Klassismus auf. Eines davon der Klassenkampf. Kemper aber schreibt, dass dieser besser als „Klassenaufhebungspraxis“ bezeichnet werden könne (Kemper, 2016). Begriffe mit marxistischer Konnotation werden gemieden bzw. neue Begriffe für solche erfunden, die es seit Jahrhunderten gibt. Weiter noch, die ein und dasselbe meinen.

Differenzkategorien – warum Klasse anders ist

Einige Klassismus-Forscher*innen verhandeln die Kategorien class, race, gender, sexuality und body analytisch einheitlich. Somit entsteht teilweise die Annahme, auch Klasse wäre sozial konstruiert. Die analytische Kategorie Klasse aber beschreibt keine mehrheitsgesellschaftlich zugeschriebene Zugehörigkeit, sondern trifft Aussagen über die Widersprüche des kapitalistischen Systems und versucht die Ursachen struktureller Ungleichheit zu verorten (Baron, 2014). In anderen Worten: Differenzkategorien wie gender und race münden zwar in materieller Ungleichbehandlung, lassen sich aber nicht dadurch begründen. Sie sind sozial konstruiert, lassen sich historisch mit Kolonialismus, Patriarchat und Kapitalismus verknüpfen. Klasse hingegen ist eine Kategorie, die sich aus den systemimmanenten materiellen Ungleichheiten des Kapitalismus begründet. Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und Ableismus stellen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse im Kapitalismus dar. Tupoka Ogette beschreibt, wie Rassismus schon im 15. Jahrhundert die „ideologische Untermauerung“ einer „weltweiten Plünderungsindustrie“ bildet. Auch wenn wir zu dieser Zeit noch nicht von Kapitalismus sprechen können, so wird deutlich, wie die Differenzkategorie race konstruiert wird, um Profitmaximierung durch Ausbeutung, hier durch die Maafa, zu generieren. Weiterhin, dass wir die Entstehung der Differenzkategorie race nicht von Kolonialismus und Imperialismus, später auch von Kapitalismus trennen können (Ogette, 2020).

Die Individualisierung von Klassismus

Die eben angeführte Argumentation verwirft nicht den Anspruch, klassistische Diskriminierung anzuerkennen und dagegen zu kämpfen. Die Reflektion der eigenen Sprache, die Auseinandersetzung mit Exklusionsmechanismen und Zugangsmöglichkeiten im eigenen Umfeld muss zwangsläufig erfolgen, darf aber nicht verkennen, dass nicht klassistische Diskriminierung ursächlich für Unterdrückung und Ausschluss ist, sondern die Ausbeutung im kapitalistischen System. Diese raubt Arbeiter*innen jegliche Ressourcen die nötig wären, um am gesellschaftspolitischen Leben teilzuhaben. Personen in Lohnarbeit erwirtschaften mit ihrer Arbeitskraft einen Mehrwert, welcher durch die Kapitalist*innenklasse angeeignet wird. Die Differenz von geschaffenem Mehrwert und vergüteter Arbeitskraft stellt den erwirtschafteten Profit (Lhotzky, 2016, 2021). Diese Logik bildet die ökonomische Grundlage des Kapitalismus und verzahnt sich mit patriarchaler und rassistischer Unterdrückung. Das Kapital – ökonomisches, kulturelles sowie soziales – sammelt sich monopolartig in den Händen weniger Menschen. Seeck und Theißl formulieren treffend: „Klassismus lediglich als Diskriminierungsform zu verstehen, ohne die (Um-)Vertei-lungsfrage zu stellen, greift zu kurz und steht einer emanzipatorischen antiklassistischen Politik entgegen“ (Seeck & Theißl, 2021).

Die Individualisierung von Klassismus, wie auch bei allen anderen sozialen Kategorien, entlässt das System aus der Verantwortung und verschleiert und/oder manifestiert damit die bestehenden Verhältnisse. Erfolgt eine Reduktion von Klassismus auf Einstellungen und Verhalten einzelner Personen(gruppen), so gerät außer Acht, dass Klassismus keine Nebenwirkung des kapitalistischen Systems, sondern eine Notwendigkeit ist. Anti-Klassistische Arbeit ist durchaus notwendig, bleibt aber nur ein leeres Versprechen, wenn nicht auch die ökonomischen Verhältnisse in Analyse und Handlungsstrategien mit einbezogen werden. Weiterhin sind Differenzkategorien wie Klasse, Sexualität, Geschlecht und race keine Identitätsmarker, die ahistorisch und isoliert auftreten, sondern soziale Beziehungen, die sich erst in Einbettung bestehender Machtverhältnisse ausformulieren lassen.

Individuelle Erfolgsgeschichten werden exemplarisch gerne dafür genutzt, das neoliberale Narrativ von sozialem Aufstieg zu untermauern. Dass Klassen- oder Schichtmigration nur den wenigsten möglich ist und dem Großteil der Arbeiter*innenklasse verwehrt bleibt, wird dabei ausgelassen. Laut Daten der Hans-Böckler Stiftung ist ein sozialer Aufstieg in den Jahren 2009-2013 36% aller armen Menschen in die „untere Mitte“ gelungen. Das sind 11% weniger als noch 1991-1995. Der Aufstieg in die „obere Mitte“ gelang 2009-2013 nur 7% aller armen Menschen. Als arm gilt in diesen Berechnungen, wer weniger als 60% des mittleren Einkommens in Deutschland erhält (Spannagel, 2016). Weiterführend ist nicht nur das Erfolgsversprechen unrealistisch, auch wird nicht danach gefragt, warum sozialer Aufstieg überhaupt notwendig oder wünschenswert ist. Neben dem kapitalistischen Leistungsgedanken ist es wohl das Bewusstsein darüber, dass die Lebensqualität armer Menschen mit erheblichen Mängeln verknüpft ist. Das Versprechen des sozialen Aufstiegs versucht diese Widersprüche abzudämpfen. Weiterhin relevant ist hier, dass die Gründe für das Nicht-Gelingen von Klassenmigration wieder individuell bei Einzel-Personen selbst angesiedelt werden.

Hanappi-Egger und Kutscher kritisieren, dass die „oftmals rein sozialkategorische, auf der sozialen Identitätsebene angesiedelte Konzeptionierung von Gruppen und Subgruppen [.] persönliche Individualität, nicht aber Gemeinschaftlichkeit und Solidarität in den Blick [nimmt]“. Weiterhin Gegenstand von Kritik ist hier die „Reproduktion [..] essentialistischer Identitätskonzepte[.]“ (Hanappi-Egger & Kutscher, 2015, S. 22). Eine festzustellende Individualisierungstendenz des neo-liberalen Zeitalters verschiebt Fragen der sozialen Gerechtigkeit in den privaten Raum und verortet die Verantwortung eben dafür bei Einzelpersonen oder Gruppen, nicht aber im Kollektiv. Damit einher geht ein Verlust emanzipatorischen Potentials- ist es doch die eigene individuelle Verantwortung, wenn sich das Versprechen des sozialen Aufstiegs nicht erfüllt. Weiterhin relevant ist eine „Generalisierungstendenz“, wonach sich immer mehr Menschen der Mittelschicht zugehörig fühlen und eine Art klassenlose Gesellschaft postuliert wird, sowie die Zugehörigkeit der sozialen Schicht/Klasse als fluide verstanden wird. Damit einher geht auch hier die Verantwortungszuschreibung für die eigene sozioökonomische Position zu einzelnen Individuen. Eine Identifikation mit der Arbeiter*innenklasse findet nicht statt, was das Erkennen struktureller Ungleichheit unterbindet (Hanappi-Egger & Kutscher, 2015).

Insgesamt also resultiert aus der Generalisierungstendenz unserer neo-liberalen Gesellschaft zunächst eine erschwerte Identifikation als Teil der Arbeiter*innenklasse, also als Gegenstand eines Kollektivs. Weiterhin, selbst wenn eine solche Identifikation erfolgt, wird durch die Individualisierungstendenz die Kausalität für die eigene Armut nicht etwa im strukturellen Kontext verortet, sondern der individuellen Verantwortung zugeschrieben.

Intersektionalität

Der Begriff der Intersektionalität erlaubt es, Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen zu analysieren, die anhand verschiedener Differenzkategorien verlaufen. Auch wenn sich zumindest Ambitionen feststellen lassen, Klassismus in Diversitäts-Diskurse zu integrieren, greifen diese die strukturelle Benachteiligung von Arbeiter*innen zumeist noch eher selten auf. Dabei ist die Klassenzugehörigkeit elementar für die Entstehung der Theoretisierung von Intersektionalität. Der Begriff wurde erstmalig von 1989 von der Juristin Kimberlé Crenshaw eingeführt und geht zurück auf eine arbeitsrechtliche Klage, die nach einer Entlassungswelle von Arbeiter*innen – dezidiert Schwarzer Frauen* – bei General Motors veranlasst wurde. Das Unternehmen konnte weder für Rassismus noch Sexismus belangt werden, denn weder weiße Frauen*, noch Schwarze Männer* wurden entlassen. Hier findet die Intersektionalität Anwendung: die Diskriminierung lässt sich bei diesem Beispiel nicht nur auf gender oder race beziehen, sondern auf die Intersektion dieser Kategorien. Auch heute noch können wir Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen nur treffsicher analysieren, wenn wir die Intersektionen von Differenzkategorien in den Blick nehmen.

Beispielhaft zeichnet sich hier die Korrelation der Intersektion Armut/Lebensverhältnisse und Rassismus durch eine Wechselwirkung aus. In Deutschland wird der Niedriglohn- bzw. der prekäre Sektor von Migrant*innen dominiert – insbesondere Frauen*. Diese Intersektion lässt sich in Deutschland historisieren, spätestens ab der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird diese mehr als deutlich: Im Zuge der Gastarbeiter*innenbewegung aus europäischen Südstaaten und der Türkei, ab den 70’ern Migrationsbewegungen in die DDR aus zum Beispiel Vietnam, 1988 dann Zuwanderungen aus Russland und später Fluchtbewegungen aus zum Beispiel Syrien oder Afghanistan. Gerade im Kontext organisierter Arbeitsmigration migrieren Personen aus eher ärmeren Ländern nach Deutschland, um dann Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, die gesellschaftlich wenig bis nicht anerkannt sind. Das sogenannte deutsche Wirtschaftswunder steht auf den Schultern der Ausbeutung von Arbeitskraft besonders migrantischer Arbeiter*innen. Die Unterscheidung von weiß/nicht-weiß des deutschen Rassismusbegriffs reicht oft nicht aus, wie am Beispiel rumänischer Arbeiter*innen auf deutschen Spargelhöfen deutlich wird. Die Intersektion von Rassismus und Klassismus wird, wie bei vielen anderen Intersektionen, oft nicht erkannt. Im Weg steht das neoliberale Narrativ: jede*r ist seines Glückes Schmied. Der Zugang zu den benötigten Ressourcen aber ist stark abhängig von den finanziellen Mitteln des Elternhauses und Zugangsmöglichkeiten von struktureller Diskriminierung geprägt. Das beginnt bereits im Kindergarten und der Schule, äußert sich bei der Wohnungssuche oder am Arbeitsplatz (Dermitzaki, 2020). Was die Konzeptualisierung von Intersektionalität auch mit sich bringt, ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien. Besonders, die Bewusstmachung der eigenen Identitätsmarker und der gesamtgesellschaftliche Situiertheit.

Privilegiencheck und Diversity Trainings

Beliebte politische Praxis im Kontext der Diversity Sensibilisierung ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien. Auch in aktivistischen Kreisen ist immer wieder die Rede von „Check your privilege“. Ob Privilegiengalerie, kritische Männlichkeitsworkshops, critical whiteness oder allyship: all diese Ideen verbindet eine Gemeinsamkeit: der Glaube daran, es selbst besser und damit zumindest das eigene Umfeld zu einem diskriminierungsärmeren Raum zu machen. Aber: Welche fundamentalen Zugeständnisse macht das Patriarchat, wenn Cis-Männer einen Workshop zu kritischer Männlichkeit besuchen? Lackieren sich dann endlich alle die Nägel? Das ist nicht der Anspruch dieser Trainings – vielen ist das klar. Und trotzdem sind diese skizzierten Diskurse keine Seltenheit.

Privilegien sind Vorteile, Ansprüche und Dominanz, die bestimmten Gruppen innerhalb spezifischer Kontexte gesellschaftlich zugesprochen werden. Sie sind Sondervorteile – nicht universell, nicht für alle gültig. Privilegien werden zugestanden, nicht durch persönliche Anstrengung verdient und stehen in Korrelation zu einem präferierten Status. Die Ausübung von Privilegien erfolgt unter Profitierung derjenigen, die sie besitzen – auch wenn bei privilegierten Gruppen oft kein Bewusstsein über den Besitz dieser Privilegien besteht. Die Unterdrückung von Personen ohne spezifische Privilegien erhält den status quo aufrecht. Im Falle klassenspezifischer Privilegien wird das Bestehen der Klassengesellschaft abgesichert (Black & Stone, 2011).

Die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien kann ein erster Schritt sein, um greifbar zu machen, in welchem System wir leben. Allein die Bewusstmachung der eigenen Situiertheit in der Gesellschaft, kann Möglichkeiten zur Analyse struktureller Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen eröffnen.  Privilegienchecks sind wertvoll im Kontext des nahen sozialen Umfelds, die Identifikation der eigenen Perspektive notwendig, um ernsthaft und glaubwürdig politische Arbeit zu leisten und dem eigenen Anspruch der Schaffung diskriminierungsarmer Räume gerecht zu werden. Unterdrücker und Unterdrückte müssen sich ihrer relativen Rolle, also auch dem Besitz von Privilegien, bewusst sein, um gegen ein System der Ungerechtigkeit zu kämpfen (Black & Stone, 2011). Privilegien sind etwas Strukturelles, nicht individuell. Entscheidend ist die eigene Auseinandersetzung nicht damit, Privilegien zu besitzen, sondern, mit diesen umzugehen. Eine konstruktive Verhandlung der eigenen Privilegien erkennt an, dass diese aus einem System der Unterdrückung hervorgehen und nutzt die damit einhergehenden Ressourcen für einen Beitrag zur Befreiung der Unterdrückung Aller (Kashtan, 2019).

Konzepte und Umsetzungen von Diversity Trainings unterscheiden sich mitunter stark. Während es solche gibt, die die eben skizzierten Chancen eröffnen, lässt sich gleichzeitig feststellen, dass oft auch eine Aneignung von Diversity für Profitmaximierung festzustellen ist (Hanappi-Egger & Kutscher, 2015). Diversity Trainings können zwar zu einem Abbau von persönlicher Voreingenommenheit und Vorurteilen führen, evidenzbasiert zeigt sich aber, dass damit nicht automatisch ein Rückgang von (struktureller) Diskriminierung zu verzeichnen ist. Diese nämlich ist Produkt von Einstellungen und Gewohnheiten aber auch institutionalisierten Mechanismen und lässt sich nicht allein durch un(ter)bewusste Voreingenommenheit erklären. Diversity Trainings müssen als Teil weiterer Diversity Maßnahmen verstanden werden, um strukturelle Diskriminierung abzubauen (Dobbin & Kalev, 2018).

Handlungswege und emanzipatorisches Potential

„Individualisierung macht Diskriminierung unsichtbar“ – fasst Dimitra Dermitzaki zusammen (2020). Der Umgang mit den eigenen Privilegien, wie auch das Konzept von Diversity Workshops ist fruchtbar in direkter sozialer Umgebung, für ein systemisches Problem aber braucht es kollektive Antworten. Dafür elementar ist zuallererst natürlich ein Problembewusstsein, welches durchaus auch durch eine individualisierte Perspektive geschaffen werden kann. Dabei darf es aber nicht bleiben – die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien muss weiterführen und sich mit Fragen struktureller Diskriminierung, mit systemimmanenten Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen auseinandersetzen. Durch die Individualisierung, egal welcher Differenzkategorien, werden Handlungswege verschlossen und emanzipatorisches Potential untergraben. Die Identifikation als Kollektiv und die Verortung von Barrieren auf struktureller, systemischer Ebene erst erlaubt es, auf Veränderung zu hoffen. Der Klassismus-Begriff unterscheidet sich je nach Denkschule – deutlich ist aber, dass die dominante Auslegung auf die soziale Schicht verweist und sich zumeist mit den Auswirkungen klassistischer Diskriminierung befasst. Nicht die Dekonstruktion sprachlicher Vertikalismen, wie einige poststrukturalistische Ansätze innerhalb der Diskussion um die Konzeptualisierung des Klassismus-Begriffs versieren, sondern die Identifikation der lohnabhängigen Klasse als potentiell handlungsfähiges Kollektiv, sowie eine explizite Integration einer Analyse der ökonomischen Verhältnisse entfaltet emanzipatorisches Potential und eröffnet Handlungsmöglichkeiten hin zu einer gerechteren Gesellschaft (Baron, 2014). Diversity Trainings können, wenn eingebettet in breitere antikapitalistische, diskriminierungskritische Zusammenhänge, einen Teil dazu beitragen. Auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien, der eigenen Situiertheit in der Gesellschaft kann ein erster Schritt zu einer weiterführenden Kritik an den unterdrückerischen Strukturen des Systems sein, sowie ein essenzieller Bestandteil der eigenen politischen Befreiungskämpfe.

Literaturverzeichnis

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Geschlechtssensible Medizin

Hintergrund und Notwendigkeit am Beispiel der Aufmerksamkeit-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)

Lara Alexandra Bellu (SoSe 2022)

1. Begriffsklärungen und Hintergründe

Unter sex wird das biologische Geschlecht einer Person verstanden (Muehlenhard & Peterson, 2011). Damit zusammenhängend sind Geschlechtschromosomen, Keimanlagen, primäre und sekundäre Geschlechtsorgane (Muehlenhard & Peterson, 2011). Menschen, die sich der Binarität von weiblich/männlich zuordnen, werden als endogeschlechtlich bezeichnet (Debus & Laumann, 2020). Kann keine binäre Geschlechterzuordnung erfolgen, spricht man von Intergeschlechtlichkeit (Debus & Laumann, 2020). Dabei handelt es sich eigentlich um eine natürliche Variation (Hechler & Baar, 2020). Allerdings erleben intergeschlechtliche Menschen dennoch Diskriminierung, weil gesellschaftlich – entgegen des natürlichen biologischen Vorkommens – eine binäre Unterteilung in biologische Männer und Frauen konstruiert wurde (Hechler & Baar, 2020).

Als gender wird das soziale Geschlecht und die Geschlechtsidentität bezeichnet (Debus & Laumann, 2020). Das Konzept gender beinhaltet typische Merkmale, Verhaltensweisen und Erwartungen, die der binären Geschlechterkonstruktion von Frauen und Männern zugeschrieben werden (Pryzgoda & Chrisler, 2000). Das Konzept gender geht also davon aus, dass diese Unterschiede sozial konstruiert sind (Pryzgoda & Chrisler, 2000). Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht (meist interpretiert aufgrund der Geschlechtsorgane) übereinstimmt, bezeichnen sich als trans*, transgeschlechtlich, transgender oder transident (Debus & Laumann, 2020). Menschen, bei denen die Geschlechtsidentität mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, werden als cis-geschlechtlich bezeichnet (Debus & Laumann, 2020). Menschen, die sich nicht den binären Geschlechterrollen von Männern oder Frauen zuordnen, verstehen sich als non-binary, nicht-binär, genderqueer, agender oder auch trans* (Debus & Laumann, 2020).

Der Begriff Heteronormativität meint eine Kultur und Struktur, die Endogeschlechtlichkeit, eine binäre Geschlechtsidentität, cis-Geschlechtlichkeit und heterosexuelle Beziehungen als Norm begreift (Debus & Laumann, 2020). Menschen, die also nicht in dieses Schema passen, erleben in einer heteronormativen Gesellschaft Nachteile und Diskriminierung (Debus & Laumann, 2020).

Die geschlechtssensible Medizin (GSM) beschäftigt sich mit dem Einfluss von sex und gender auf das Gesundheitsbewusstsein, Krankheitssymptomatik und Therapie (Regitz-Zagrosek, 2018). Ziel ist es, die bestmögliche Diagnose und Therapie unter Berücksichtigung des Geschlechts zu finden (Latz & Welzel, 2021). Wichtig ist anzumerken, dass im Rahmen der GSM häufig der Begriff gender genutzt wird, obwohl eigentlich sex gemeint ist (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Zusätzlich beschäftigt sich die GSM aktuell lediglich mit den Unterschieden zwischen Frauen und Männern, Abweichungen der Heteronormativität werden also nicht berücksichtigt (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019).

Die GSM hat ihren Ursprung in der internationalen Frauenrechtsbewegung in den 1960er und 70er Jahren, die sich auf die körperliche und sexuelle Freiheit von Frauen konzentriert hat (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Anfang der 1980er Jahre wurde erstmals genauer beobachtet, dass Herzinfarkte sich bei Frauen und Männern mit unterschiedlichen Symptomen äußern – jedoch wurden standardmäßig nur die „männlichen“ Symptome gelehrt (Latz & Welzel, 2021). 2001 veröffentlichte das US-amerikanische Institute of Medicine einen Report, der erstmals Geschlechterunterschiede in der Medizin beleuchtete (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Erst dadurch kam die GSM tatsächlich ins Rollen (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Allerdings ist sogar heute – 20 Jahre später – die Lehre der GSM keine Verpflichtung an den Universitäten (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019). Zusätzlich fehlt die Implementierung in Forschung und Praxis, weil die Arbeit und Anerkennung in den entsprechenden Gremien (Fachgesellschaften, Ärztekammern, Forschungsgremien etc.) nur schleppend läuft (Oertelt-Prigione & Hiltner, 2019).

2. Zusammenhang zwischen gender, sex und Gesundheit

Die Relevanz der GSM wird deutlich, wenn biologische, psychosoziale und epigenetische Einflussfaktoren auf Gesundheit betrachtet werden.

Auf biologischer Ebene betrachtet tragen X-Chromosomen mehr als 1500 Gene mit regenerativen Funktionen, Y-Chromosomen hingegen nur ca. 100 Gene (Regitz-Zagrosek, 2018). Bei Menschen mit XX-Chromosomensatz ist das zweite X-Chromosom nur zum Teil inaktiv. Deshalb haben diese Menschen etwa Vorteile bei x-chromosomal vererbten Erkrankungen (Regitz-Zagrosek, 2018). Zusätzlich beeinflusst der Geschlechtschromosomensatz die Ausschüttung von Geschlechtshormonen (Testosteron, Östrogen und Gestagen; Regitz-Zagrosek (2018)). Geschlechtshormone haben wiederum einen Einfluss auf das Immunsystem, die Körperzusammensetzung, das Herz-Kreislauf-System und andere Stoffwechselprozesse (Regitz-Zagrosek, 2018). Zusätzlich ist inzwischen bekannt, dass sich die Organe von Männern und Frauen in ihrer Feinbauweise und Zellaktivität unterscheiden (Regitz-Zagrosek, 2018). Daraus wird klar, dass sich sowohl Krankheitssymptome als auch die Wirkung von Medikamenten geschlechtsspezifisch unterscheiden müssen. Therapien und Krankheitsverläufe des prototypischen 75kg schweren cis-Manns können also nicht für Menschen, die auf biologischer Ebene von dieser Norm abweichen, einfach übernommen werden (Weyrerer, 2021).  

Auch die sozial konstruierten Geschlechterrollen (gender) haben Einfluss auf Krankheit, Gesundheitsverhalten und Vorsorge. So ist zum Beispiel die Suizidrate bei Männern höher als bei Frauen (Brandt, 2019). Gleichzeitig nehmen Männer weniger Psychotherapie in Anspruch (Sonnenmoser, 2011). Insgesamt zeigen Männer häufiger schädliches Gesundheitsverhalten wie Rauchen, ungesunde Ernährung und weniger Bewegung (Regitz-Zagrosek, 2018). Bei ihnen ist die Lebenserwartung auch geringer als bei Frauen (Luy, 2011). Gleichzeitig sind Frauen dadurch bei Krankenhauseinweisungen im Durchschnitt älter als Männer und erhalten weniger häufig Rehabilitationsmaßnahmen (Regitz-Zagrosek, 2018). Deshalb haben sie eine höhere Gefahr chronisch in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt zu werden und eine Pflegebelastung für ihr Umfeld zu werden (Regitz-Zagrosek, 2018). Zusätzlich unterscheidet sich die Stressbelastung bei Männern und Frauen. So handelt es sich bei Männern vor allem um chronischen arbeitsbedingten Stress, der zum Feierabend abfällt (Kautzky-Willer, 2014). Bei Frauen hingegen steigt dieser aufgrund der häufigen Doppelbelastung von Beruf und familiären Verpflichtungen (z.B.: Pflege von Angehörigen) nach Feierabend noch weiter an (Kautzky-Willer, 2014). Chronischer Stress ist wiederum mit einer Reihe von Erkrankungen wie depressiven Störungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ 2 assoziiert (Kautzky-Willer, 2014). Dieses Phänomen nennt sich Lebenserwartungs-Lebensqualitäts-Geschlechter-Paradoxon: Frauen leben zwar länger als Männer, haben aber weniger gesunde Jahre und empfinden ihre Lebensqualität als subjektiv geringer (Kautzky-Willer, 2014). Wird dabei um die psychosozialen Faktoren korrigiert, ist dieser Unterschied deutlich geringer (Kautzky-Willer, 2014).  Fernab dieser binären Betrachtung ist zu betonen, dass etwa inter* oder trans* Menschen aufgrund ihres depriviligierten Status und der damit einhergehenden Diskriminierung zusätzliche gesundheitliche Risiken haben, zum Beispiel ein deutlich erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen (Pöge et al., 2020).

Zuletzt ist die Ebene der Epigenetik zu betrachten. Epigenetik bezieht sich auf die Beeinflussung oder Beschädigung bei der Verpackung von Genen durch Umwelteinflüsse, wie beispielsweise Ernährung, Rauchen, Stress und Umwelttoxine (Regitz-Zagrosek, 2018). Auch hierbei spielen sex und gender eine unterschiedliche Rolle (Kautzky-Willer, 2014). So zeigen beispielsweise bereits die Plazenten von Embryonen aufgrund unterschiedlicher Geschlechtshormone unterschiedliche Bewältigungsstrategien und Wachstumsmechanismen auf Unter- oder Überernährung (Kautzky-Willer, 2014). Weiterführend werden diese Strategien mit Immunität, Transplant-Wirt-Reaktionen und Entzündungen assoziiert (Kautzky-Willer, 2014). Gender bzw. die Geschlechterrolle hingehen bedingt zum Beispiel die Exposition mit Umwelttoxinen und Stress. So könnte die höhere Inzidenz von depressiven Störungen bei Frauen auf den erhöhten mütterlichen Überschuss von Glukokortikoiden (z.B.: das Stresshormon Cortisol) zurückzuführen sein (Kautzky-Willer, 2014). Dieser beeinflusst nämlich insbesondere bei den weiblichen Nachkommen die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse und die dazugehörige Neurotransmitterausschüttung, welche sowohl mit Stimmung als auch mit Stressregulation assoziiert ist (Kautzky-Willer, 2014).

3. Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)

3.1 Symptomatik

Die Kernsymptome der ADHS sind (1) Aufmerksamkeitsstörungen (insbesondere vorzeitiges Abbrechen von fremdbestimmten Aufgaben, hohe Ablenkbarkeit, Nichtbeenden von Tätigkeiten), (2) Impulsivität auf emotionaler, kognitiver und motivationaler Ebene (z.B.: übereilte Entscheidungen, geringe Frustrationstoleranz, Unterbrechen von anderen) und (3) Hyperaktivität (mangelhaft regulierte, überschießende motorische Aktivität und Ruhelosigkeit; Petermann and Ruhl (2011)). Allerdings unterscheiden sich das ICD-10 und DSM-IV in ihrer Kombination von Symptomen zu verschiedenen Subtypen. So wird nach ICD-10 eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F 90.0) diagnostiziert, wenn die Symptome der Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität und Hyperaktivität vorliegen (Petermann & Ruhl, 2011). Eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F 90.1) wird diagnostiziert, wenn zusätzlich noch Störungen des Sozialverhaltens vorliegen (Petermann & Ruhl, 2011). Das DSM-IV hingegen differenziert zwischen drei verschiedenen Typen (Petermann & Ruhl, 2011). Bei der (a) Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperaktivitätsstörung vom Mischtyp liegen sowohl die Aufmerksamkeitsstörung als auch Impulsivität und Hyperaktivität vor. Bei dem (b) vorwiegend unaufmerksamen Typ liegt die Aufmerksamkeitsstörung im Vergleich zur Hyperaktivität und Impulsivität deutlich im Vordergrund. Die Symptomatik des (c) vorwiegend hyperaktiven Typs ist hingegen vorwiegend durch Hyperaktivität und Impulsivität gekennzeichnet, Aufmerksamkeitsstörungen sind eher im Hintergrund (Petermann & Ruhl, 2011).

Abbildung 1: Klassifikation der ADHS in ICD-10 und DSM-IV (Petermann & Ruhl, 2011, S. 679)

Zusätzlich müssen nach ICD-10 und DSM-IV folgende Kriterien erfüllt sein: „Die Symptome müssen mindestens 6 Monate lang vorliegen, in einem mit dem Entwicklungsstand nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß, vor dem Alter von 7 Jahren auftreten und zu Beeinträchtigungen in zwei oder mehr Lebensbereichen führen. Es bestehen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen. Andere psychische Störungen, geistige Behinderung oder psychosoziale Problemen, die die Verhaltenssymptome besser erklären können, sind ausgeschlossen“ (Petermann & Ruhl, 2011, S. 678).

3.2  Diagnostik

Die Diagnostik der ADHS läuft multimodal ab, was insbesondere aufgrund der unterschiedlichen Symptomausprägungen notwendig ist (Petermann & Ruhl, 2011). Die Diagnostik lässt sich in drei Stufen einteilen: Erstes Screening, orientierende und weiterführende Diagnostik (Petermann & Ruhl, 2011). Wichtig ist zu betonen, dass im Zuge des ersten Screenings nicht nur Testverfahren mit den potenziell Betroffenen selbst, sondern üblicherweise auch Beurteilungen von Eltern und Lehrkräften miteingeschlossen werden. Oftmals sind sogar Hinweise der Lehrkräfte der erste Schritt, um überhaupt das Screening einzuleiten (Petermann & Ruhl, 2011). Zeigen sich im Rahmen des ersten Screenings Hinweise auf eine ADHS, so wird weiterfolgend eine orientierende und weiterführende Diagnostik durchgeführt (Petermann & Ruhl, 2011). Dabei werden üblicherweise diagnostische Interviews und Tests (z.B.: Intelligenz- und Aufmerksamkeitstests) mit den Betroffenen selbst und den Eltern durchgeführt. Außerdem kommen auch hier Verhaltensbeobachtungen im Klassenraum, in der diagnostischen Situation und zu Hause zum Einsatz (Petermann & Ruhl, 2011).

4. Zusammenhang zwischen ADHS-Diagnostik, sex und gender

 Die Prävalenz der ADHS beläuft sich auf zwischen 2 und 7%, je nach verwendeten Diagnosekriterien und Altersgruppe (Bruchmüller et al., 2012; Nøvik et al., 2006). Auffällig dabei ist, dass das Geschlechterverhältnis teils stark unausgeglichen ist. So liegt es bei nicht klinischen Populationen bei 3:1 (Jungen vs. Mädchen), bei klinischen Populationen sogar bei zwischen 6 und 16:1 (Bruchmüller et al., 2012; Nøvik et al., 2006; Young et al., 2020). Daraus lässt sich also schließen, dass deutlich mehr Jungen als Mädchen überhaupt in den diagnostischen und therapeutischen Prozess der ADHS eingebunden werden (Bruchmüller et al., 2012). Hier stellt sich nun die Frage: Kommt die ADHS tatsächlich häufiger bei Jungen vor oder wird es bei Mädchen schlichtweg weniger erkannt? Und falls ja, woran liegt das?

 Möglicherweise kann der Geschlechterunterschied in der ADHS-Prävalenz neurophysiologisch und endokrinologisch erklärt werden (Davies, 2014; Gawrilow, 2020). So wurden teilweise in Untersuchungen geringere Aktivierungen bei Jungen vs. Mädchen mit ADHS in frontalen, parietalen und cerebralen Hirnregionen gefunden (Davies, 2014). Diese werden unter anderem mit Exekutivfunktionen (z.B.: Inhibitionskontrolle) assoziiert, welche wiederum bei einer ADHS eingeschränkt sind (Gawrilow et al., 2011). Darüber hinaus spielt auch möglicherweise eine geringere Dopamin-Rezeptoren-Dichte bei Jungen eine Rolle (Gawrilow, 2020). Weiterführend wird auch diskutiert, ob das höhere Testosteronlevel durch einen XY-Chromosomensatz zu neurobiologischen Entwicklungen führt, welche die Entstehung einer ADHS begünstigen (Davies, 2014). Allerdings konnte bisher zu keinem Ansatz ein ausreichender wissenschaftlicher Konsens erreicht werden (Davies, 2014; Gawrilow, 2020).

Mehr erforscht und viel wahrscheinlicher ist dagegen, dass Mädchen andere Symptome und Komorbiditäten zeigen und weniger häufig bzw. falsch diagnostiziert werden (Fraticelli et al., 2022). Beispielsweise fassen Young et al. (2020) und Fraticelli et al. (2022) zusammen, dass Mädchen mit ADHS zwar auch hyperaktiv-impulsive Symptome aufweisen, jedoch stehen die Symptome der Unaufmerksamkeit und Desorganisation im Vordergrund. Bei Mädchen scheint also der unaufmerksame Typ häufiger vorzukommen, welcher oftmals als depressive oder Angststörung interpretiert wird (Fraticelli et al., 2022). Zusätzlich ist eine komorbide Angst- oder depressive Störung tatsächlich häufig bei Mädchen (Fraticelli et al., 2022; Young et al., 2020). Das resultiert in eine noch stärker internalisierte Symptomatik, wodurch die ADHS leicht übersehen wird (Fraticelli et al., 2022). Mädchen zeigen also weniger offensichtliche oder sozial störende Verhaltensweisen. Dafür haben sie deutlichere Aufmerksamkeitsdefizite, sowie Probleme bei der Selbst- und Emotionsregulation (Fraticelli et al., 2022; Young et al., 2020).

Außerdem scheint es eine Verzerrung bei den Diagnostizierenden selbst zu geben, die Mädchen grundsätzlich weniger häufig als Jungen diagnostizieren (Quinn & Madhoo, 2014). Hinweise darauf liefern eine Vielzahl an Studien (z.B.: Bruchmüller et al., 2012; Groenewald et al., 2009; Ohan & Visser, 2009; Sciutto et al., 2004). In einer Untersuchung von Bruchmüller et al. (2012) wurden insgesamt 1000 Psychiater*innen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen dazu aufgefordert, eine diagnostische Einschätzung für hypothetische Fallbeispiele abzugeben. Dabei erhielt der identische Fall häufiger eine ADHS-Diagnose, wenn dieser mit einem typischen Jungen-, statt Mädchennamen benannt wurde. Ähnliche Ergebnisse fanden auch Sciutto et al. (2004) mit einer Stichprobe von 199 Grundschullehrkräften, die ebenfalls hypothetische Fälle von Kindern mit ADHS vorgelegt bekamen. Dabei wurde bei den Fällen mit Jungennamen häufiger zu einem ersten ADHS-Screening geraten als bei den mit Mädchennamen. Insgesamt wurden die Fälle mit Symptomen des hyperaktiv-impulsiven Typs häufiger als auffällig eingestuft. Jedoch zeigte sich auch hier ein geschlechtsspezifischer Effekt: Bei den Fällen des hyperaktiv-impulsiven Typs mit Jungennamen wurde 1.5-mal häufiger zu einem ersten Screening geraten als bei den Mädchen.

Insgesamt betrachtet sind Mädchen also gar nicht per se weniger häufig von der ADHS betroffen. Es scheint eher so, dass Mädchen insgesamt unauffälliger sind, weil sie sich besser anpassen und ihre Symptome weniger externalisiert sind (Fraticelli et al., 2022; Young et al., 2020). Zusätzlich scheint ein Bias bei Diagnostizierenden, sowie Lehrkräften und Eltern zu bestehen (Quinn & Madhoo, 2014). Das „typische AHDS-Kind“ ist demnach ein unruhiger, zappeliger Junge und weniger ein verträumtes, unaufmerksames Mädchen. In Anbetracht der Sozialisation und Geschlechterrollen von Jungen vs. Mädchen ist das allerdings nicht überraschend. So wird von Mädchen gesellschaftlich eher erwartet, sich freundlich, zuvorkommend und zurückhaltend zu verhalten (Godsil et al., 2016). Die daraus resultierende Anpassung, internalisierten Symptome und verhältnismäßige Unauffälligkeit von Mädchen mit ADHS erscheinen entsprechend wie logische Konsequenzen.

Problematisch dabei ist, dass Mädchen, die unter das diagnostische Radar fallen, keine oder nur unpassende Therapien erhalten (Young et al., 2020). Gleichzeitig ist die Ausprägung von ADHS Symptomen negativ mit der Lebensqualität in Adoleszenz und Erwachsenenalter assoziiert (Tischler et al., 2010). Zusätzlich haben Menschen mit ADHS ohnehin ein höheres Risiko, andere psychische oder somatische Erkrankungen zu entwickeln (Fraticelli et al., 2022; Tischler et al., 2010). Außerdem leiden sie häufiger unter einem negativen Selbstkonzept und Selbstwert (Young et al., 2020). Deshalb stellt eine ADHS-Diagnose für insbesondere erwachsene Betroffene eine Erleichterung dar, weil somit die lebenslangen Schwierigkeiten, Einschränkungen und Defizite erklärt werden können (von der Brelie, 2021). Nicht diagnostizierte Mädchen mit ADHS haben also ein höheres Risiko für vermeidbare gesundheitliche Einschränkungen und spätere Schwierigkeiten in essenziellen Lebensbereichen (z.B.: Ausbildung und Arbeit; Young et al. (2020)), welche durch eine adäquate Therapie zumindest gelindert werden könnten (Petermann & Ruhl, 2011). Insgesamt betrachtet braucht es also dringend mehr gendersensible Forschung im Bereich der ADHS, sowie die Implementierung der Erkenntnisse in die diagnostische Praxis.  Abschließend ist zu betonen, dass sich die Gendersensibilität in diesem Bereich ausschließlich auf die Binarität von Frauen vs. Männern (sowohl bei sex als auch gender) bezieht. Wünschenswert wäre also auch hier, dass die psychologische Forschung beginnt, außerhalb der Heteronormativität zu denken.

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Quelle: Lara Alexandra Bellu, Geschlechtssensible Medizin: Hintergrund und Notwendigkeit am Beispiel der Aufmerksamkeit-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 07.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=303

Bourdieus’ Habitus und seine Relevanz für die Klassismus-Forschung

Lynn Hruschka (SoSe 2022)

Für mich persönlich ist das Konzept des Habitus eines der wenigen akademischen Theorien, auf die ich im Laufe meines Studiums gestoßen bin und die mich nachträglich beeindruckt haben. Der Habitus hat mir plötzlich Dinge verständlich gemacht, für die ich vorher keine Worte hatte. Besonders interessant war auch für mich die Erkenntnis, dass es über Geld hinaus unterschiedliche Kapitalformen gibt und welche ich von meiner Herkunft „geerbt“ habe und welche nicht. Ich bin nun seit einem Jahr Mutter einer kleinen Tochter und frage mich jetzt, was ich meinem Kind für einen Habitus vererben möchte. Kann ich das überhaupt beeinflussen? Während des Seminars wurde mir die Rolle des Habitus für jegliche Klassenfrage wieder bewusst und wollte deswegen die wichtigsten Punkte kompakt hier zusammenfassen:

Im folgenden Essay soll die Frage nach der Relevanz von Bourdieus Habitus Konzept diskutiert werden. Inwiefern kann die Theorie des Habitus für die aktuelle Forschung zu Klassismus fruchtbar gemacht werden?

Die Konzepte von Pierre Bourdieu spielen für jegliche Forschung zu Klassismus eine Rolle. Vor dem Hintergrund seiner theoretischen Grundannahmen widmen wir uns hier insbesondere seinem Konzept des Habitus. 1979 in seinem Opus Magnum „La distinction“ eingeführt, ist es der zentrale Baustein seiner Sozioanalyse.

Habitus

Aber was ist der Habitus überhaupt?

Der Habitus stellt ein Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft dar. Unter Habitus versteht Bourdieu die inkorporierte Position, die ein Mensch im sozialen Gefüge einnimmt (Ernaux 2016, 30). Er besteht aus der Gesamtheit von Haltungen, Dispositionen, Gewohnheiten und Einstellungen eines Individuums gegenüber der Welt. Diese werden wiederum von den ökonomischen und sozialen Existenzbedingungen diktiert. Somit nimmt der Habitus eine klassenspezifische Form an, ausgehend von der Annahme, dass sich die Gesellschaft in Klassen gliedert, welche sich durch ihre ökonomischen Bedingungen voneinander scheiden. Für Bourdieu erlangt die theoretische Annahme der Existenz sozialer Klassen erst Bedeutung, wenn die Klassenzugehörigkeit sich in unterschiedliche Formen der Lebensführung übersetzt (Fuchs-Heinritz und König 2014, 89f; Bourdieu 1987, 182). Mit Lebensführung sind hier die soziale Praxis und der Blick auf die Welt gemeint. Diese generieren sich aus dem Habitus und zeigen durch ihre sichtbaren Formen, wie beispielsweise Behausung, kulinarische Vorlieben oder Konsum von kulturellen Gütern, soziale Unterschiede an. (Krais und Gebauer 2014, 36) Der Erwerb des Habitus geschieht in der Sozialisation. Die kulturelle und materielle Ausstattung einer Familie prägt die Vorlieben des Kindes. (Fuchs-Heinritz und König 2014, 96) Dabei nimmt das Individuum das an, was zur Verfügung steht. Mit anderen Worten: Man mag, was man hat. (Krais und Gebauer 2014, 41). In der physischen Erscheinung eines Individuums sieht Bourdieu eine objektivierte, äußerlich sichtbare Form des Habitus. Die soziale Welt formt den Körper. An ihm werden gesellschaftliche Hierarchien und die Position des Individuums sichtbar. Gesellschaftliche Hierarchien werden durch manifeste Symbole äußerlich sichtbar.

Innerhalb des globalen Gefüges des sozialen Raumes bestehen kleinere Einheiten von sozialen Feldern, in denen ihre eigenen Regeln gelten. Soziale Felder sind Schauplätze des Konkurrenzkampfes. Neben der Akkumulation von ökonomischem und kulturellem Kapital kämpfen die Individuen um die Deutungshoheit, d.h. um die Vorherrschaft ihrer Weltsicht (Schmitt 2016, 16). Diese Vorherrschaft wird durch Symbole äußerlich kenntlich gemacht. Folglich ist der Kampf um die Deutungshoheit ein Kampf um das symbolische Kapital. Der Habitus eines Individuums beeinflusst, welches Feld es sich aussucht und wie es sich dort verhält. Als handlungsleitend gibt der Habitus nämlich ein Gespür für die in einem Feld vorherrschenden Spielregeln mit (Schmitt 2006, 17).

Befreiung vom Habitus

Ist es möglich, sich vom eigenen Habitus zu lösen und ihn zu überwinden? Lässt sich der „Teufelskreis“ aus reproduzierendem Kapital durchbrechen? Robert Schmidt argumentiert skeptisch (Schmidt 2014, 234): Bourdieu selbst hätte zwar durchaus auf die Möglichkeit des reflexiven Bewusstwerdens der symbolischen Gewalt hingewiesen, jedoch gleichzeitig erkannt, dass ein bloßes Beseitigen der méconnaissance nicht reiche, um sich von der symbolischen Herrschaft (sei sie männlich oder neoliberal) zu befreien. Lothar Peter lenkt den Blick auf die drei Möglichkeiten:

Erstens, wenn der Habitus und die Struktur so weit auseinanderklaffen, dass die Realität und die symbolische Erwartung unvermeidlicher Weise kollidieren, zum Beispiel der Schriftsteller der sich Édouard Louis nennt, aber als Eddy Bellegeulle als homosexueller Mann im französischen Arbeitermilieu aufgewachsen ist. Dies gilt letztlich für alle queere Menschen, die in unserer heteronormativen Gesellschaft aufwachsen. Ebenso anwenden könnte man den Gedanken auf Frauen in männergeprägten Berufen – sie müssen unwillkürlich sich einen anderen Habitus erarbeiten.

Zweitens gibt es die Möglichkeit den Habitus zu erkennen und ihn wissenschaftlich zu analysieren, wie es zum Beispiel in diesem Essay passiert. In dem Moment, in dem über den Habitus geschrieben wird, kann er ausgesetzt werden, in dem man sich von ihm distanziert.

Drittens gibt es in der „biographisch-sozialisatorischen“ (Peter 2011, 29) Entwicklung die Chance für symbolische Gewalt immun gemacht zu werden. Das kostet viel Kraft und ist ein Prozess, der immer wieder von gesellschaftlichen Kräften verlangsamt werden wird. Die bürgerliche Klasse hat kein wirkliches Interesse daran, dass sich Menschen emanzipatorisch frei machen und so leben, wie sie wollen. Diese Arbeit wird viel von der LGBTQ+ Community geleistet und trifft vielleicht gerade deswegen auf so viel Widerspruch, weil ihr Erfolg ein Umwerfen aller essentialistischen Wahrheiten der bürgerlichen Klasse bedeuten würde.

Gerade mit seinem Werk „La domination masculine“ von 1998 schaffte Bourdieu einen wichtigen Grundstein für poststrukturalistische und postkoloniale Forschung. Zur männlichen Herrschaft sagte er: „Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich an dem Umstand, dass sie der Rechtfertigung nicht bedarf: Die androzentrische Sicht zwingt sich als neutral auf und muss sich nicht in legitimatorischen Diskursen artikulieren. […] Das gesellschaftliche Deutungsprinzip konstruiert den anatomischen Unterschied. Und dieser gesellschaftlich konstruierte Unterschied wird dann zu der als etwas Natürliches erscheinenden Grundlage.“ (Bourdieu 2012, 21) Dieses Zitat ist auch noch in der Argumentationsweise feministischer Literatur wiederzufinden und scheint nichts an seiner Aktualität verloren zu haben.

Des Weiteren wird Bourdieus Ethnografie zur kabylischen Gesellschaft (auf der der Habitus basierte) auch heute noch rezipiert: 2007 Loic Wacquant analysierte in Bezugnahme auf Bourdieu die Entwicklungen in den französischen Banlieues (Schmidt 2014, 234).

Für die Klassismus-Forschung sind einige Aspekte des Habitus-Konzeptes relevant. Zunächst ist der Habitus ein mehrdimensionales Konzept: „Klassenhabitus, geschlechtspezifizierter Habitus, ethnisierter Habitus“ (Schmitt 2006, 14). Lars Schmitt beschreibt ihn in seiner Heuristik als Matrix, die die inneren und äußeren Grenzen des Denk- und Handelbaren (in Anlehnung an Foucaults Episteme) umfasst. Gleichzeitig kann Klassismus-Forschung mit dem Konzept generationenübergreifend Konflikte bearbeiten, da sich der Habitus in seiner Form zwar verändert, jedoch nicht an bestimmte Verhaltensformen geknüpft ist (Schmitt 2006, 16).

In der Analyse der Performativität des Habitus gelingt Bourdieu die Alltäglichkeit des menschlichen Lebens und Leidens einzufangen, unterschiedliche Subjekte selbstbestimmt zu Wort kommen zu lassen, und sie trotzdem in ihre Herrschaftsverhältnisse einzuordnen. Dabei bleiben diese Menschen in ihren Konfliktthemen rationale Entscheidungsfinder, aber immer im Hinblick ihres schon vorher sich manifestierten Habitus. Dadurch verändert sich der Blick auf Opfer-Täter-Analysen. Während diese oft eine dichotomische Weltsicht voraussetzen, sieht Bourdieu „oppression as a cooperative game“ (Schmitt 2006, 21). Denn auch die Herrschenden werden von ihrer Herrschaft beherrscht (Schmidt 2014, 233).

Beispiel Habitus-Struktur-Konflikt

Analytisches Potenzial bietet das Konzept des Habitus insbesondere in sog. Habitus-Struktur-Konflikten (HSK). In solchen Konflikten gerät das Individuum mit den Erwartungen und Regeln seines sozialen Umfelds in Widerspruch. Schmitt (2006, 18) führt das Beispiel einer weiblichen Chefärztin an, die in ihrem beruflichen Umfeld mit den männlichen Strukturen und Anforderung an „den“ Arzt konfrontiert wird. Dieses empirische Beispiel lässt sich nun mit Bourdieu durchdringen. In seiner Terminologie haben wir es mit einem sozialen Feld zu tun, in dem bestimmte Regeln und Anforderungen an den individuellen Habitus gelten. Individuen wählen dieses Feld in der Regel nur, wenn ihr Habitus mit dem geforderten Habitus übereinstimmt. D.h., die Wahrscheinlichkeit ein soziales Feld zu betreten ist ungleich zwischen Individuen verteilt, je nach der Nähe des Feldes zu dem Habitus des Individuums. Das Beispiel der weiblichen Chefärztin zeigt, dass der Zutritt nicht grundsätzlich im Vorfeld determiniert ist. In ihrem Feld begegnet sie nun den Trägern der „orthodoxen“ Position. Sie selbst hat nun die Möglichkeit, diese Position nachzubilden, oder eine „heterodoxe“ Position einzunehmen. Letztlich findet zwischen den Individuen in dem Feld ein Kampf über die Deutungshoheit über die Spielregeln statt (Schmitt 2006, 18).

Beispiel Sprache

Ein weiteres Beispiel für den Habitus ist die Sprache, die sehr interessant für die Klassismus-Forschung sein kann und die wir im Seminar auch in verschiedenen Texten besprochen hatten:

Im Französischen wie im Deutschen nutzen marginalisierte Gruppen Sprache, um sich von der weißen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Im Französischen weitaus komplexer sorgt das sogenannte „Verlan“ (abgeleitet von „à l’envers“) zuweilen dafür, dass Außenstehende die hervorgebrachten, auf französischen Wörtern basierenden, Schöpfungen nicht verstehen (Prévos 1996). Im Deutschen wird die „Kanacksprack“ oft als einfacher Akzent, der darauf hindeutet, dass der- oder diejenige die Sprache nicht korrekt beherrscht, missverstanden (Rehbein, Schalowski, und Wiese 2014).

Die sogenannte Eloquenz einer akzentfreien Sprache der weißen Mittelschicht (die auch in dieser wissenschaftlichen Arbeit wiederzufinden ist) steht hier im krassen Kontrast. Schiller und Molière sind Ikonen ihrer Sprache und werden gerne als Vertreter einer höheren Sprache, einer „besseren“ Sprache dargestellt, einer Sprache, die, wenn sie richtig beherrscht wird, aus den Sprechenden „etwas“ macht. Aus „Isch“ muss „ich“ werden und wer „Friedrisch“ anstatt „Friedrich“ sagt, gehört nicht zur deutschen Gesellschaft (Kreuder 2018, 271).

Die Kooperation und Assimilation an die deutsche Sprache werden gleichgesetzt mit der Vorstellung, etwas erreichen zu können. Dies knüpft an post-koloniale Theorien wie zum Beispiel Achille Mbembe sie formuliert hat, an, die die Verwendung der Kolonialsprache als Aufgabe der eigenen Identität sehr kritisch betrachten (Mbembe 2014).

Kritik am Habitus Konzept

Gibt es auch Kritik am Habitus-Konzept?

Mit dem Habitus-Konzept kann außerdem die gesamte akademische Klassismus-Forschung kritisch hinterfragt werden: Bourdieu sah auch im akademischen Feld einen Raum, der symbolische Gewalt reproduziert. So war für ihn beispielsweise die Idee einer herrschaftsfreien Kommunikation nach Jürgen Habermas „habitusblind“ (Schmitt 2006, 20). Entscheidend ist also nicht nur, welche Symboliken die Realität bestimmen, sondern auch, wer die Definitionsmacht hat, sie zu verändern.

Gerade ein so viel zitiertes Konzept wie der Habitus zieht selbstredend auch Kritik auf sich. Externe akademische Kritik am Konzept kam dabei immer wieder aus unterschiedlichen Richtungen: Stephan Moebius verweist auf Alain Caillé, der bemängelt, dass in Bourdieus Theorie die Menschen immer nur nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül handeln würden und außerdem das ökonomische Kapital ohne Beweis zum wichtigsten der vier Kapitale verklärt.

Andere Kritiker*innen beanstanden die fehlende terminologische Unterscheidung zwischen Gewalt, Macht und Herrschaft. Verschiedene Poststrukturalist*innen (darunter Judith Butler) verweisen auf die „Unberechenbarkeit der für die Strukturerhaltung notwendigen Wiederholung“ des Habitus über Generationen hinweg (Moebius 2011, 66). Schmitt sieht eher die Problematik eines zu hoch angelegten sozialen Determinismus, sowie die Möglichkeit, dass nicht alle situativen Konflikte mit dem Konzept realitätsnah erklärt werden könnten (Schmitt 2006, 27). Als Leser*in vom Bourdieus Texten springt jedoch als größter Kritikpunkt seine klassistische Schreibweise mit ihren Formulierungen und sehr langer Satzketten selbst ins Auge, die für Leser*innen außerhalb des akademischen Milieus kaum verständlich zu sein scheint.

Fazit

Nichtsdestotrotz bleibt Bourdieu ein wichtiger Faktor für jedes emanzipatorische Denken, dass sich aus den uns jeweilig betreffenden versteckten Herrschaftsverhältnissen symbolischer Gewalt befreien möchte und damit auch für die Klassismus-Forschung. Für mich hat das Konzept eine gewisse Zeitlosigkeit erreicht, vielleicht ebenso wie „Das Kapital“ von Karl Marx für jegliche Kapitalismuskritik. Selbst wenn einige Aspekte noch weiter ausformuliert und verändert werden könnten, so wird der Habitus doch in der Grundausstattung eines jeden Werkzeugkastens für Klassismus bleiben.

Und auch meiner Tochter werde ich versuchen mitzugeben, welche Habitus-Struktur-Konflikte ihr in ihrem Leben begegnen könnten und wie sie sich daraus befreien kann. Dies wird kein einfacher Weg sein, aber das Bewusstsein für den Habitus, den wir alle im Alltag und in jeder Konversation „performen“, ist ein erster Schritt.

Bibliographie

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Schmitt, Lars. „Pierre Bourdieu: Symbolische Gewalt“. Konfliktdynamik 2, Nr. 1 (2013): 74–76. https://doi.org/10.5771/2193-0147-2013-1-74

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Kreuder, Friedemann. 2018. „Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen“. In Un/doing Differences, 234–58. Velbrück Wissenschaft. https://doi.org/10.5771/9783845292540-235

Mbembe, Achille. 2014. Kritik der schwarzen Vernunft. 1. Auflage. Berlin: Suhrkamp.

Prévos, André J. M. 1996. „The Evolution of French Rap Music and Hip Hop Culture in the 1980s and 1990s“. The French Review 69 (5): 713–25. https://www.jstor.org/stable/397134.

Rehbein, Ines, Sören Schalowski, und Heike Wiese. 2014. „The KiezDeutsch Korpus (KiDKo) Release 1.0“. In .


Quelle: Lynn Hruschka, Bourdieus’ Habitus und seine Relevanz für die Klassismus-Forschung, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 07.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=300

Be_hinderung ist ein Konstrukt

Tomke Thielebein (SoSe 2022)

1. Warum ich darüber schreibe, worüber ich schreibe

Mein selbstgewählter Beginn meiner politischen Sozialisation und damit einhergehenden Sensibilisierungsprozess mit gesellschaftlichen Verhältnissen begann in den Jahren 2014/15, da in dieser Zeit PEGIDA und die AfD, geflüchtete Menschen verwendeten, um den Gesellschaftsdiskurs unangenehm dominant für ihre Zwecke zu nutzen. In dieser Zeit begann ich zu den Gegendemonstrationen der sog. ‚besorgten Bürger‘ – jeden Montag auf dem Europaplatz beim Hauptbahnhof – zu gehen. Hier kam ich das erste Mal intensiv in Berührung mit Kritik an gesellschaftlichen Strukturen. Die ersten Hauptthemen, die mich in eine tiefere Auseinandersetzung brachten, waren kapitalismuskritische Stimmen und eine antifaschistische Haltung. Darüber vertiefte ich mich weiter in (deutsche) linke[1] Inhalte. Hierbei geht es im Groben um Macht- und Unterdrückungsverhältnisse, die es zu verstehen und im besten Fall zu dekonstruieren gilt. Viel besprochene Themen in diesem Zusammenhang sind: Kapitalismus, Sexismus und Rassismus; auch Klassismus findet immer mehr reflexiven Raum in linken Kreisen. Auch im gesellschaftlichen Mainstream findet sich mittlerweile Literatur, die sich bspw. mit Rassismus auseinandersetzt und die diskriminierenden Dimensionen der dominant-deutschen Bevölkerung verdeutlichen und zur Auseinandersetzung anregen (bspw.: Sow, 2018; Ogette, 2022). Was meiner Erfahrung nach jedoch wenig Beachtung findet – sowohl in der linken Szene als auch im gesellschaftlichen Mainstream-Diskurs -, ist Ableismus und damit verbundene Strukturen.

Als ich anfing zu Ableismus zu recherchieren, hatte ich im Kopf über Ableismus und Sprache zu schreiben und hier auf sprachliche (De-) Konstruktionen einzugehen. Dabei wollte ich Verbindungen zur sprachlichen Veränderung bei gendernden Bezeichnungen ziehen. Jedoch habe ich zu Ableismus und Sprache wenig gefunden. Dabei findet sich Ableismus als Normalität ständig in der Sprache: „Auf dem rechten Auge blind sein“, „das war wirklich irre“, „ich glaub du bist verrückt“ usw. Das sind alles sprachliche Ausdrücke, die gesamtgesellschaftlich viel benutzt werden und wo bisher wenig Sensibilisierung stattgefunden hat. Literatur zu Machtverhältnissen und Sprache in Bereichen wie Sexismus und Rassismus findet sich hingegen sowohl in der wissenschaftlichen Fachliteratur einiges (bspw.: Hentges & Nottbohm, 2014; Arndt et al., 2018; Nduka-Agwu & Hornscheidt, 2013; Günthner, 2019; Elsen, 2020), als auch im gesellschaftlichen Mainstream[2] (bspw.: Sow, 2018; Ogette, 2022; Gümüşay, 2021). Jedoch bin ich bei der Recherche auf Kritik von be_hinderten Aktivist*innen gestoßen, die darauf aufmerksam machen, dass Ableismus ein wenig beachteter Teil von (linken) Diskursen ist und unreflektiert als Normalität oft stattfindet (vgl.: Ash, 2021 und TRAUMALEBEN, 2022).

Deshalb habe ich mich dazu entschieden in die Auseinandersetzung mit Ableismus zu gehen, um mich dahingehend zu sensibilisieren. Hierzu habe ich mich in die Dis_ability Studies hineingelesen und mich mit der Konstruktion Be_hinderung beschäftigt.

1.1 Warum ich so schreibe, wie ich schreibe

Ich schreibe Be_hinderung weil der Unterstrich in aktivistischen Kreisen benutzt wird, um klar zu machen: „Behindert ist man nicht – behindert wird man“ (Payk, 2019).  Dies unterstreicht einen Perspektivwechsel, der Be_hinderung als soziales Konstrukt versteht, welches durch gesellschaftliche Strukturen, Diskurse und Handlungen erwachsen ist. Die Umwelt wird als Problem artikuliert, statt die Be_hinderung (vgl.: ebd.).

Den Unterstrich benutze ich auch in der englischsprachigen Schreibweise: Dis_ability.Zum einen möchte ich auch hier auf die behindernden Strukturen aufmerksam machen und zum anderen ist es in der englischen Schreibweise möglich aufzuzeigen, dass ‚disabled‘ Menschen gleichzeitig ‚abled‘ sind (vgl.: ebd.).

Bezogen auf gendergerechte Sprache nutze ich den sog. Gender-Stern (*), um zum einen die soziale Konstruiertheit von Mann und Frau zu verdeutlichen und zum anderen, die Binarität aufzubrechen und Platz zu machen für weitere Genderidentitäten[3].

2. Das soziale Modell in den Dis_ability Studies

In unserer (deutschen, westlichen) Gesellschaft herrscht ein defizitorientierter Blick auf Menschen mit Be_hinderung vor, der die Annahme schafft, Be_hinderungen seien eine individuelle Tragödie, die Familien und Gesellschaft belaste. Dieser Blick wurde von dem individuell-medizinischen Modell von Be_hinderung geprägt. Dieses „fokussiert auf den Mangel an sensorischen, mentalen und physischen Fähigkeiten“ (Grochar, 2022). Grundlegend dafür ist die normative Konstruktion eines ‚gesunden‘ Körpers, der als Differenzschablone dient. Die Abweichung dieser körperlichen Norm kann zu einer Diagnose führen, die einen Menschen zu einem Menschen mit Be_hinderung macht (vgl.: Grochar, 2022).

Das soziale Modell kann als Gegenmodell zum individuell-medizinischen betrachtet werden und ist ein grundlegendes Modell der Dis_ability Studies. Es geht davon aus, dass es einen Unterschied zwischen diagnostizierbaren Beeinträchtigungen oder Schädigungen gibt – diese werden impairment genannt – und daraus folgenden sozialen Benachteiligungen/Diskriminierungen – die dis_ability genannt werden (vgl.: Anhorn, Bettinger, Schmidt-Semisch & Stehr, 2007, S. 114–115). Somit sind Menschen mit Be_hinderung nicht von Natur aus be_hindert, sondern werden durch soziale und gesellschaftliche wie auch materielle Strukturen von der Gesellschaft behindert und damit von einer gleichberechtigten Teilhabe abgehalten. Ein körperlicher Schaden oder normabweichendes Verhalten, welches als impairment festgestellt werden kann, muss nicht zwangsläufig zu dis_ability werden, jedoch tragen gesellschaftliche Strukturen dazu bei.

Um diese theoretischen Worte in eine anschaulichere Praxis zu übertragen: Eine Person, die bspw. durch einen Unfall nicht mehr laufen kann und auf einen Rollstuhl angewiesen ist, kann sich eigentlich gut selbstständig in der Welt fortbewegen, jedoch sind unsere Straßen, Gebäude und Bahnhöfe nur auf die körperliche Norm der ‚gesunden‘ Körper, die Laufen können ausgerichtet. Somit kann ein Bürger*innensteig, eine kleine Treppe vor einem Geschäft oder ein kaputter Fahrstuhl dazu führen, dass Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden. Aus der normativen Perspektive wird hier als Problem meistens nicht die Stufe oder der fehlende gesenkte Bordstein benannt, sondern der Rollstuhl an sich als negativ und behindernd betitelt. Dies verdeutlicht z.B. Raul Kaufhausen, wenn er darauf aufmerksam macht, dass Floskeln fallen wie: „an den Rollstuhl gefesselt sein“. Dies ist eine Perspektive der Abhängigkeit und des Defizits, die meistens von Nichtbe_hinderten zu hören ist. Raul Kaufhausen betont, dass für ihn der Rollstuhl „Freiheit und nicht Einschränkung“ (Krauthausen, 2011) bedeutet und dass er sich freiwillig anschnallt und nicht daran fremdbestimmt „gefesselt“ wird (vgl.: ebd.).

Im weiteren Abschnitt möchte ich mich etwas genauer noch mit der normativen Konstruktion beschäftigen, die ich als grundlegend für das Soziale Modell beschreiben würde.

3.    Normativität

Die Dis_ability Studies und damit auch das Soziale Modell möchten die Konstruktion von Be_hinderung untersuchen. Es geht also um die Produktion, Konstruktion und Regulation von Be_hinderung durch die Dominanzgesellschaft; die Forschungsperspektive wird sozusagen umgekehrt und die Minderheit schaut auf die Mehrheit (vgl.: Raab, 2012, S. 70).  Vertreter*innen der Dis_ability Studies in den 1990er Jahren beschäftigten sich vorwiegend mit den institutionellen Herstellungen von Be_hinderung, wie oben bereits anhand der materiellen Barrieren wie Bordsteinen oder kaputten Fahrstühlen beschrieben wurden (vgl.: Waldschmidt, 2022, S. 361). An dieser Stelle möchte ich auch exkludierende Einrichtungen wie Werkstätte für Menschen mit Be_hinderung nennen, wo unterbezahlt Arbeit geleistet wird, Heime, wo stationäre Unterbringung außerhalb der Gesamtgesellschaft stattfindet oder Förder- bzw. Sonderschulen.   

Zu den 2000er Jahren hin, wird eine poststrukturalistische Perspektive auf Be_hinderung lauter, die mit Rückgriff auf Foucault die Trennung von impairment und dis_ability kritisiert, indem sie auf den konstruierenden Aspekt des gesellschaftlichen Diskurses aufmerksam machen und damit die Natürlichkeit von impairment[4] in Frage stellen (vgl.: ebd.).

3.1 Konstruktion von Normalität bzw. Normativität durch diskursive Praxis

Die Grundannahme ist, dass die Art und Weise, wie (von der Dominanzgesellschaft) über Menschen gesprochen wird, Normalität und Nichtnormalität hergestellt wird. In den Dis_ability Studies ist der Körper als Ausgangs- und Bezugspunkt relevant, da erst normative Zuschreibungen, die sich an Form und Zustand orientieren, diesen produzieren (vgl.: Raab, 2012, S. 69). Ein be_hinderter Körper resultiert als soziales Phänomen aus verdichteten diskursiven Strategien und Machtpraktiken (vgl.: Raab, 2012, S. 76–77). Wie ich noch etwas kleinteiliger beschreiben würde: Innerhalb dieses diskursiven Prozesses, der gesellschaftliche Normen, Werte usw. prägt, wird ‚gesund‘ als differenzgebende Kategorie für Be_hinderung geschaffen. Diese binäre Differenzierung wiederum ist grundlegend für weitere Ausdifferenzierungen, was nun in die Normkategorie und was in die abweichende Kategorie einzuteilen ist. Ein ‚klassisches‘ Beispiel, das in diesem Zusammenhang genannt werden kann, ist die Pathologisierung von Homosexualität. Durch den gesellschaftlichen Diskurs wurde die Pathologisierung geschaffen und im weiteren Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung dekonstruiert und 1992 aus dem ICD (International Classification of Diseases) gestrichen (vgl.: Zander, 2022, S. 12). 

In diesem gesellschaftlichen Diskurs wird nicht nur eine binäre Differenzierung aufgemacht, sondern es werden auch Wertigkeiten konstruiert. So sind bestehende Stereotype bezogen auf Menschen mit Be_hinderung oft negativ und äußern sich in Zuschreibungen wie: „schwach, unselbstständig, abhängig, nicht leistungsfähig, hilfebedürftig, unattraktiv“ (Köbsell, 2016, S. 92–93). Insgesamt also das negative Gegenbild der anzustrebenden Norm(alität). Diese Vorannahmen sind die Grundlage auf dem Mitleid entsteht und auch diskriminierendes Verhalten (vgl.: ebd.).

Eine anschauliche Erzählung bezogen auf den normativen Blick der Dominanzgesellschaft habe ich aus der Zeit des Arbeitsprozesses für diesen Text: Eine Lehrerin war in dieser Zeit bei mir zu Besuch und wollte wissen, worüber ich schreibe. Ich sagte ihr, dass ich überlege die Konstruktion von Normativität bzw. Normalität anhand von der Kategorie Be_hinderung zu diskutieren. Daraufhin meinte sie: „Ohh ja, es ist wirklich schlimm, dass ‚be_hindert‘ so oft als Schimpfwort benutzt wird. Meinen Schüler*innen sage ich immer, wenn sie sich gegenseitig so beleidigen: ‚seid froh, dass ihr nicht behindert seid!‘“. Damit hat sie ein perfektes Beispiel für die Konstruktion von der Normalität als ‚gesunde‘ Person gegeben und gleichzeitig die Annahme der negativen Konstruktion, die in der Zuschreibung ‚unerwünscht‘ mündet. Sie sagte das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, die so wirkte, als meinte sie gerade ein antidiskriminierendes Statement abgegeben zu haben. Dies hat mir in intensiver Eindrücklichkeit die gesellschaftlich vorherrschende Sichtweise auf Normalitätsabweichung nochmals vor Augen geführt.

Raul Kaufhausen – den ich als nur eine Stimme von Aktivist*innen nennen möchte – zeigt genau auf dieses Phänomen, wenn er schreibt: „Auch ist die Annahme, dass ich an ‚Glasknochen leide‘, eine typische Sicht der Nichtbehinderten. Für viele Menschen mit Behinderung ist die Tatsache, behindert zu sein, einfach Fakt“ (Krauthausen, 2011).

Dieser Fakt sollte gesellschaftlich integriert werden.

4. Doing Dis_ablility und Doing Gender

Das soziale Modell von Be_hinderung mit der Trennung der individuellen und gesellschaftlichen Ebene erinnert an ähnliche Prozesse der Konstruktion im Bereich von Geschlecht, wo eine Trennung von Sex und Gender stattgefunden hat. So ist es nicht verwunderlich, dass es auch die Perspektive des Doing Dis_ability gibt.

Doing Gender ermöglicht die Konstruktionsprozesse von Gender, Genderrollen und Genderstereotypen zu analysieren (vgl.: Köbsell, 2016, S. 91). Gender ist nicht nur durch Sexismus und strukturelle Ungleichheiten konstruiert, sondern auch über Interaktionen im Alltag, die alltäglich Genderrollen und -stereotype (re-)produzieren und verfestigen (vgl.: ebd.). Dieser Prozess beginnt ab dem Moment, wo abgelesen wird, ob ein Kind „oh ein Junge!“ oder „oh ein Mädchen!“ wird. Doing Gender kann sowohl bewusst wie auch unbewusst stattfinden; der unbewusste Anteil geschieht viel über gesellschaftliche Erwartungen und Zuschreibungen, die unsere Sozialisation beeinflussen (vgl.: ebd.). Dieser Sozialisationsprozess bringt verschiedene Verhaltens- und Denkweisen mit sich, die durch eine sexistische, heteronormative Gesellschaft hierarchisch strukturiert sind und meist unbewusst und unreflektiert übernommen werden (vgl.: ebd.). Unsere Gesellschaft strukturiert nicht nur Geschlecht binär, sondern auch andere Kategorien, wie deutsch und fremd oder be_hindert und nichtbe_hindert und schafft auch in ihnen eine hierarchische Differenz, die durch reproduzierendes Handeln naturalisiert wird (vgl.: Köbsell, 2016, S. 91–92).

Wichtiger Teil der Konstruktion von Be_hinderung bzw. Doing Dis_ability ist ‚compulsory abledbodiedness‘ (vgl.: Köbsell, 2016, S. 94). Dies ist ein Konzept, das angelehnt an ‚compulsory heterosexuality‘ aufzeigt, dass alle gesellschaftlichen Bereiche sowohl an einer verpflichtenden Heterosexualität als auch an einer verpflichtenden ablebodiedness ausgerichtet sind und bspw. beides getrennt von Politik gesehen wird und als natürliche Art zu leben (vgl.: Köbsell, 2016, S. 94).

Doing Dis_ability findet auf der Ebene alltäglicher Interaktionen statt, welche bestimmte Handlungen und Fähigkeiten mit der Bedeutung be_hindert oder nichtbe_hindert versehen (vgl.: Köbsell, 2016, S. 92). Die Zuschreibungen, die beim Doing Dis_ability unreflektiert in Wahrnehmungen, Interaktionen und alltagspolitische Handlungen hineinfließen und Wirkung entfalten, sind meist negativ (wie oben auf Seite 7 bereits genannt). Diese negativen Zuschreibungen können sich zu herabwürdigendem und bevormundenden Verhalten entwickeln, wie z.B., dass Menschen mit Be_hinderung nicht als gleichwertige Gesprächspartner*innen gesehen werden oder automatisch zugeschrieben wird, Hilfe im Alltag zu brauchen (vgl.: ebd.). Diese Erwartungen und Zuschreibungen können internalisiert werden und als eigene Handlungsmaximen übernommen werden, so dass sich die Vorannahmen zu erfüllen scheinen (Stichwort: Selbsterfüllende Prophezeiung).

„So schreibt Fredi Saal ‚Ich bin nämlich ein gelernter Behinderter. Die Rede vom ‚gelernten’ Behinderten bitte ich wortwörtlich zu nehmen. Denn ich bin zwar mit einer spastischen Lähmung geboren worden, ich bin aber nicht mit dem Sozialstatus eines Behinderten auf die Welt gekommen. Mich als Behinderten anzusehen, habe ich gelernt – und zwar gründlich!‘ (1996, S. 87)“ (Köbsell, 2016, S. 93).

Fazit

Insgesamt hat mich die Auseinandersetzung mit den Dis_ability Studies dazu angeregt, mich aus erweiterten Perspektiven mit gesellschaftlichen Normalisierungsprozessen auseinanderzusetzten. Diese produzieren im gesellschaftlichen Zusammenleben verschiedenste Diskriminierungsformen. Eine Normalisierung von Nichtbe_hinderung bringt eine Naturalisierung von Be_hinderung als negativ konnotiert und eingeschränkt mit sich. Die Konstruktion von Gender und die Infragestellung von Heteronormativität ist im gesellschaftlichen Diskurs angekommen und es hat sich ein Sensibilisierungsprozess eingestellt. Obwohl das individuell-medizinische Modell bereits vom sozialen Modell abgelöst wurde, ist diese neue Perspektive scheinbar noch nicht in der Gesellschaft angekommen und Be_hinderung wird als ‚Naturphänomen‘ gesehen. Dies ist wegbereitend für Ableismus. Ein gesellschaftlicher Diskurs kann dazu beitragen, dass Be_hinderung gesamtgesellschaftlich als soziales Konstrukt gesehen wird und damit auch als gesamtgesellschaftliche Dekonstruktions-Aufgabe.

Abschließend möchte ich sagen, dass es aus meiner Sicht noch viel Bedarf gibt für Ableismus zu sensibilisieren, damit wir uns alle weiter von einer exkludierenden Gesellschaft wegbewegen, hin zu einer inkludierenden. Dies können nichtbe_hinderte Menschen tun, indem sie sich z.B. selbstständig informieren oder auch mit Geldspenden Einrichtungen, Organisationen usw. unterstützen, die sich gegen Ableismus einsetzen oder auch Beratungen und Fortbildungen anbieten – wie es bspw. der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. tut.

Literaturverzeichnis

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[1] Gerne möchte ich anmerken, dass es DIE deutsche Linke nicht gibt, sondern innerhalb linker Kreise viele verschiedene Strömungen existieren. Insgesamt gibt es viele Diskussions- und Streitpunkte in linken Kreisen, jedoch würde ich meinen, dass es ein verbindendes Glied gibt: Die Auseinandersetzung mit Macht- und Unterdrückungsverhältnissen und damit zusammenhängend Diskriminierungsstrukturen in der Gesellschaft. Ein gemeinsames Ziel, wäre die Abschaffung dieser Unterdrückungsverhältnisse hin zu einer Vielfalt-integrierenden Gesellschaft. Wie das jedoch geht, wo begonnen wird usw. sind wiederum Streitpunkte.

[2] Mit ‚Mainstream‘ meine ich in diesem Zusammenhang Bücher, die nicht nur in einem Fachdiskurs gelesen werden, sondern auch in einer breiteren Gruppe der Gesellschaft.

[3] Wobei ich bei diesem Punkt länger überlegt habe, ob ich den Doppelpunkt verwenden möchte, da ich in einem Vortrag gehört habe, dass sehbehinderte oder eingeschränkte Menschen, die ein Lesegerät nutzen, den Doppelpunkt besser dechiffrieren können. Nun habe ich aber auf der Website der FU gelesen, dass der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. das Sternchen favorisiert, da dieses von den Geräten besser zu lesen sei (vgl.: N.N. (2022). Was ich mich in diesem Zusammenhang noch gefragt habe, ob der Unterstrich, den ich bei Be_hinderung nutze, von den Lesegeräten gelesen werden kann oder ob dieser den Lesefluss stören würde. Dazu habe ich leider nichts gefunden.

[4] Über die Konstruiertheit von impairment gibt es innerhalb der Disability Studies Kritik und unterschiedliche Ansichten. Dies zeigt bspw. ein Artikel in der Zeitschrift für Disability Studies in der Ausgabe vom Februar 2022 (vgl.: Zander (2022).


Quelle: Tomke Thielebein, Be_hinderung ist ein Konstrukt, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 01.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=292

Diskriminierung im Gesundheitssektor

Die Auswirkungen von Medical Gaslighting und Diskriminierung auf Minderheitengruppen und Frauen

Jessica Rorison (SoSe 2022)

Medical Gaslighting ist ein Thema, das in den letzten Monaten zunehmend in die Öffentlichkeit gerückt ist. Von Medical Gaslighting spricht man, wenn die gesundheitlichen Beschwerden einer Person von den behandelnden Ärzt*innen nicht ernstgenommen werden, weil sie oftmals ohne vorhergehende Untersuchung auf bestimmte körperliche Merkmale der Patient*innen zurückgeführt werden. Zu den Merkmalen zählen z. B. Geschlecht, ethnische Herkunft, Gewicht oder sexuelle Orientierung der/des Patient*in. Die Folgen von Medical Gaslighting können schwerwiegend bis tödlich sein. Neben fehlerhaften oder gänzlich ausbleibenden Diagnosen kommt es oftmals zu einer unzureichenden Behandlung mit falschen Medikamenten oder Dosierungen. Auch die psychische Belastung ist enorm und kann u. a. zu Angststörungen sowie Depressionen führen.

Zwar wird die Autorität von Ärzt*innen selten infrage gestellt, jedoch zeigt sich eine zunehmende Gegenbewegung zum Medical Gaslighting. Die Patient*innen tauschen sich beispielsweise online aus oder wenden sich direkt an die Presse, um ihrem Unmut Luft zu machen. Patient*innen schweigen nicht mehr, wenn sie sich fehldiagnostiziert fühlen und/oder wenn sie eine unzureichende Behandlung aufgrund einer offensichtlich rassistischen, misogynen oder anderweitig diskriminierenden Motivation heraus wahrnehmen. Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte „Südländersyndrom“ oder „Mittelmeersyndrom“, das in der medizinischen Umgangssprache eine pejorative Umschreibung für die als übertrieben empfundene Schmerzschilderung von Patient*innen, die aus dem Mittelmeerraum stammen, benutzt wird. Die Bezeichnung soll vor allem Schmerzempfinden ohne medizinischen Grund beschreiben oder auch einen „generalisierten Schmerz“ bei einem lokal begrenzten Ereignis.[1] Die Folge daraus kann z. B. eine unzureichende oder späte Behandlung ernsthafter Symptome sein. Auch People of Colour (PoC) erhielten laut Maas und Appelman in den USA [und vielen anderen westlich geprägten Ländern] meist eine schlechtere medizinische Behandlung als nicht-PoCs. Vorurteile und Voreingenommenheit seien in der Medizin also nachweisbar und können Medical Gaslighting begünstigen.[2]

Auch die verschiedenen Geschlechter werden unterschiedlich behandelt. Laut Untersuchungen in den USA werden bspw. Herzerkrankungen bei Frauen später diagnostiziert als bei Männern. Vermutlich liegt das daran, dass die Symptome bei Frauen erstmal unterschätzt werden.[3] Dies passiert offenbar besonders häufig bei Krankheiten, deren Symptome uneindeutig sind, so z. B. auch beim chronischen Erschöpfungssyndrom, der Myalgischen Enzephalomyelitis bzw. dem Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), das zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führen kann.[4] In der aktuellen Covid-19-Pandemie zeigt sich, dass eine Subgruppe der von Long-Covid betroffenen Personen ME/CFS entwickelt.[5] Einige der Symptome umfassen z. B. Schlafstörungen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Schwindel, Darm- und Blasenstörungen, Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen und viele weitere Symptome, die in der Form auch bei zahlreichen anderen Krankheiten auftreten können.[6] Viele Patient*innen befürchten, dass ihre Symptome nicht ernstgenommen, bzw. dass sie für faul und arbeitsunwillig gehalten werden. Kommentare wie „[m]üde bin ich auch öfter mal“ oder „du bist doch viel zu jung, um sowas zu haben“[7], die nicht nur von Ärzten, sondern auch von Angehörigen und Freunden geäußert werden, sind kein Einzelfall.

Eine weitere Gruppe, die fast immer von Medical Gaslighting betroffen ist, betrifft Menschen mit Übergewicht. Die Vorurteile gegenüber übergewichtigen Personen halten sich besonders hartnäckig. So berichtet bspw. Josephin Oehmer gegenüber dem Tagesspiegel von ihren Erfahrungen, wie sie als schwangere Frau „[u]nterernährt und geschwächt“ im Bett einer Universitätsklinik liegt und dem behandelnden Arzt erklären muss, „dass er einfach mit einer Nadel in ihren Bauch stechen und das überschüssige Wasser aus ihrem Magenband ablassen kann.“[8] Sie berichtet, wie sie seit Wochen kaum noch essen und zum Schluss nicht einmal mehr trinken konnte. Offenbar hatte sie sich einer Magenverkleinerung unterzogen, die irgendwann zu Komplikationen führte. Besonders schwierig dabei war, dass ihr ungeborenes Baby nicht ausreichend versorgt wurde, da sie keine Nahrung zu sich nehmen konnte. Der Kommentar der behandelnden Gynäkologin zu dieser Situation lautete: Kein Problem, sie solle ja ohnehin abnehmen.[9] Vielen Personen ist nicht bewusst, dass auch übergewichtige Menschen unter Unterernährung leiden können. Aber wie kann es sein, dass das auch auf Ärzt*innen zutrifft, die es definitiv besser wissen sollten? Es ist richtig, dass Übergewicht zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen führen und dass es ein generelles Risiko für Betroffene darstellen kann. Zu den häufigsten Folgeerkrankungen von Adipositas gehören Typ-2-Diabetes, koronare Herzerkrankungen sowie Schlaganfälle.[10] Auch Probleme mit den Gelenken sind keine Seltenheit. Wie im Bericht von Josephin Oehmer festgehalten, tendieren Personen, die Medical Gaslighting erfahren, dazu, Arztbesuche zu vermeiden, wodurch schwere Erkrankungen noch später erkannt werden und es im schlimmsten Fall zur Lebensgefahr kommt. Ein Umstand, der durch eine menschenwürdige Behandlung leicht vermieden werden könnte.

Trans* Personen machen eine weitere Gruppe aus, die stark unter Medical Gaslighting zu leiden hat. Oft rührt dieser Zustand von einem Unverständnis, das man bei Ärzt*innen heutzutage eigentlich nicht erwartet. Die Unwissenheit bezüglich des Umgangs mit trans*Personen unter Ärzt*innen führt teilweise zu unangebrachten Fragen oder der gänzlichen Ablehnung einer Behandlung.[11] Der daraus resultierende identitätsbezogene Missbrauch

[…] can involve physical, emotional, […] and gender presentation. More specifically, this may involve denying that someone is transgender (or that it is possible to be transgender), […] commenting negatively about a person’s appearance or body, intentionally using the wrong pronoun and/or name, asking someone not to disclose they are transgender to others, threatening to tell other people that someone is transgender, withholding medicine, and/or withholding money for medicines or surgery.[12]

Riggs, D. W., Fraser, H. (et al.) (2016), S. 2374–2392

Diese Form von Missbrauch trifft vor allem (aber nicht nur) trans* Frauen und kann schwerwiegende Folgen nach sich ziehen: „Their study strongly suggests that identity-related abuse is linked to major depression and suicidality for transgender women during adolescence.“[13]

Auch mangelnde Deutschkenntnisse werden als Vorwand genommen, Patient*innen nicht, oder nur unzureichend, zu behandeln. So berichtet eine türkische Künstlerin, die anonym bleiben möchte, dass ihre Psychiaterin ihre Angststörung auf fehlende Deutschkenntnisse zurückführe: „Dafür, dass Sie so lange in Deutschland leben, sprechen Sie aber nicht besonders gut Deutsch. Vielleicht sollten Sie mehr Deutsch lernen, dann geht es Ihnen bestimmt besser.“[14] Das Diagnosegespräch hatte die Psychiaterin vorab nicht auf Englisch führen wollen, später stellte sich jedoch heraus, dass sie durchaus fließend Englisch sprechen kann. Warum also diese Farce? Warum die Situation für eine Frau, die unter einer Angststörung leidet, schlimmer machen als nötig? Die Erklärung zum Mehrwert dieser Behandlungsmethode bleibt die Psychiaterin der Patientin schuldig.

Zeitmangel sei ein weiterer entscheidender Faktor. Johannes Schenkel, medizinischer Leiter der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, sagt gegenüber Deutschlandfunk Nova: „In einem sehr durchökonomisierten Gesundheitssystem spielt einfach der Faktor Zeit eine große Rolle. Das haben viele nicht. Das sind leider oft die Rahmenbedingungen.“[15] Um einer Fehlkommunikation entgegenzuwirken, empfiehlt Schenkel, das offene Gespräch mit den behandelnden Ärzt*innen zu suchen. Allerdings sei das strukturelle Problem so einfach nicht abzustreiten, sagt Fanny Bartsch, eine angehende Medizinerin, die Medical Gaslighting während ihres medizinischen Praktikums beobachtet habe. Sie erlebte, wie Vorurteile gegenüber Frauen und die Vorverurteilung bestimmter kultureller und ethnischer Gruppen einer zielgerichteten medizinischen Behandlung im Weg stehen können.[16] Des Weiteren berichtet sie, dieses Phänomen vor allem bei Ärzten, weniger bei Ärztinnen, beobachtet zu haben. Interessanterweise führt sie einen Teil des Problems auf eine unzureichende Fehlerkultur zurück, in der gerade Mediziner*innen nicht bereit sind, ihr Unwissen einzugestehen. Die Genfer Deklaration des Weltärztebunds, die der deutschen Berufsordnung für Ärzte voransteht, gibt vor:

Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.[17]

Ich behaupte, dass die meisten Ärzt*innen und das Pflegepersonal mit der Intention in den Beruf einsteigen, genau diesen Vorsatz zu erfüllen. Gerade deshalb stellt sich die Frage, an welchem Punkt und aus welchem Grund sie die Eigenschaft verlieren, nach der Deklaration zu handeln. Ist es ein Problem systematischer Diskriminierung, die die involvierten Personen ihr Leben lang miterlebt haben? Eine Reproduktion von Stereotypen, die sie nie anders kennengelernt haben? Oder vielleicht negative Erfahrungen mit entsprechenden Menschengruppen? Wäre es nicht dennoch die Pflicht einer Ärztin/eines Arztes und den verantwortlichen Pflegepersonen über solchen Einflüssen zu stehen, um ihren Beruf auf eine menschenwürdige Art und Weise ausüben zu können? Oder werden Rassismus, Sexismus, Fett- und Transfeindlichkeit durch ein System begünstigt, „das die Ressourcen so knapp hält [sic!], dass das medizinische Personal nur noch den Mangel verwaltet und dabei den Menschen aus dem Auge verliert?“[18]

Nantke Garrelts kritisiert aus diesem Grund den Begriff Gaslighting, da Gaslighting eine böse Absicht in der Behandlung der Patient*innen unterstelle. Jedoch denke ich nicht, dass der Verdacht so ohne Weiteres abgeschmettert werden kann. Natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Gesundheitssystem in Deutschland (und den meisten Ländern der Welt) stark mangelhaft ist. Dennoch kann dieses Argument nicht als alleinstehender Grund dafür genannt werden, dass Menschen ungleich behandelt werden. Gerade im Bereich der LSBTIQ*[19]-Personen gibt es einige Studien, die zeigen, dass die betroffenen Personen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung eine schlechtere Gesundheit sowie Diskriminierungserfahrungen haben, die als Ursache für den gesundheitlichen Zustand miteinkalkuliert werden müssen.[20] Natürlich ist es nicht möglich, die gesamte LSBTIQ*-Bevölkerung im Ganzen zu betrachten. Auch Studien können immer nur einen kleinen Teil einer bestimmten Gruppe abbilden, so dass solche Studien immer mit Bedacht konsultiert werden sollten. Die jeweiligen Erfahrungen können stark voneinander abweichen, je nachdem in welchem Umfeld die betroffenen Personen leben, welcher Ethnie und sozialen Schicht sie angehören sowie zahlreiche andere Faktoren, die das Bild verzerren können, spielen eine Rolle.

Psychische und körperliche Erkrankungen wie Depression und Burnout treten laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) und der Universität Bielefeld bei LSBTIQ*-Personen bis zu dreimal häufiger auf.[21] Auch Einsamkeit sei ein großes Problem, dass doppelt so häufig auftrete, wie in der Mehrheitsgesellschaft. Bei trans* Personen liege diese Zahl sogar bei einem Drittel.[22] Die Folgen davon können sich wiederum in Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit äußern. Da diese Erkrankungen stressbedingt seien, leiden LSBTIQ*-Personen doppelt so oft an Herzerkrankungen und auch chronischen Rückenschmerzen seien keine Seltenheit.[23] Die Forscher*innen der Studie stellen fest, dass einer der Hauptgründe für die schlechte Gesundheit von LSBTIQ*-Personen die anhaltende Diskriminierungserfahrung sei,[24] die sich vermutlich nicht nur auf den Alltag, sondern auch auf Arztbesuche zurückführen lässt. Darüber hinaus habe sich die Situation von LSBTIQ*-Personen während der Covid-19-Pandemie noch verschlimmert. Die Forscher*innen schlagen vor, vermehrt „Safe Spaces“ aufzubauen, also sichere Orte wie Vereine, Treffpunkte und kulturelle Angebote, in denen sich LSBTIQ*-Personen immerzu sicherfühlen können.

Auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland e. V. (LSVD e. V.) berichtet umfangreich über die gesundheitliche Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und inter* Menschen in der umfangreichen Studie: „Diskriminierung und Minderheitenstress machen krank und führen zu schlechterem gesundheitlichen Befinden.“

Minderheitenstress, bzw. minority stress, zeigt sich dadurch,

that stigma, prejudice, and discrimination create a hostile and stressful social environment that causes mental health problems. The model describes stress processes, including the experience of prejudice events, expectations of rejection, hiding and concealing, internalized homophobia, and ameliorative coping processes.[25]

Vgl. Meyer, Ilan H. (2003), S. 674–697

Ein junges Beispiel für Medical Gaslighting im Bereich der LSBTIQ*-Gesundheit ist sicherlich der Ausbruch des sogenannten „Affenpockenvirus“. Sowohl die Namensgebung als auch der Umgang in den Medien mit diesem Virus war und ist äußert bedenklich. Zum einen hat das Virus nichts mit Affen zu tun, es wurde lediglich das erste Mal in Affen entdeckt. Die Übertragung erfolgt jedoch über Nagetiere. Die Assoziation mit Affen führte in manchen Medien dazu, das Virus mit west- und zentralafrikanischen Ländern, wo das Virus endemisch ist, und den dort lebenden Menschen in Verbindung zu bringen, so dass unweigerlich rassistische Denkweisen gefördert wurden. Auffällig ist, dass das Virus bei Männern weit häufiger auftauche als bei Frauen.[26] Darüber hinaus wurde und wird die Verbreitung mit homosexuellen Männern, bzw. Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, in Verbindung gebracht, da die Infektionszahlen bei diesen Personen angeblich aufgrund häufig wechselnder Partner besonders schnell stiegen. Zwar wurde von vielen Seiten gefordert, eine Stigmatisierung zu unterbinden,[27] jedoch war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät, da entsprechende Berichte in Zeitungen und Nachrichten verbreitet worden waren.

Leider ist an diesen Beispielen zu erkennen, dass Diskriminierung nach wie vor ein großes Problem in unserer modernen Welt ist, ganz gleich, welchen Bildungsstand die Menschen haben und welchen Beruf sie ausüben. Daher ist es besonders wichtig, immer wieder für Aufklärung zu sorgen und den positiven Austausch zwischen Menschen aller Ethnien, sexuellen Ausrichtungen und Glaubensrichtungen zu fördern. Nur Aufklärung und ein positives Miteinander können Diskriminierung stoppen.

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[1] Vgl. Definition Mittelmeersyndrom: https://flexikon.doccheck.com/de/Mittelmeersyndrom (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[2] Vgl. Maas, A.H.E.M. und Appelman, Y.E.A.: Gender differences in coronary heart disease. In: Netherlands Heart Journal 18 (2010). S. 598–603.

[3] Ebd.

[4] Siehe hierzu Deutsche Gesellschaft für ME/CFS: https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/ (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Vgl. Sturm, Karin: Rea Strawhill & ME/CFS: Episode 1, Aches, Pains & Smiles Podcast, Transkription. Online: https://www.holy-shit-i-am-sick.de/rea-strawhill-me-cfs-episode-1-aches-pains-smiles-podcast/ (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[8] Garrelts, Nantke: Zu dick, zu schwarz, zu weiblich? Wenn der Arzt einfach nicht zuhören will. In: Tagesspiegel (05.09.2022). Online: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/zu-dick-zu-schwarz-zu-weiblich-wenn-der-arzt-einfach-nicht-zuhoren-will-8602855.html (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[9] Ebd.

[10] Vgl. Statistik der Stiftung Gesundheitswesen 2019: https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/adipositas/ folgeerkrankungen (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[11] Vgl. American Heart Association News: For LGBTQ Patients, Discrimination can Become a Barrier to Medical Care. Online: https://www.heart.org/en/news/2019/06/04/for-lgbtq-patients-discrimination-can-become-a-barrier-to-medical-care (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[12] Riggs, D. W., Fraser, H. (et al.): Domestic Violence Service Providers’ Capacity for Supporting Transgender Women: Findings from an Australian Workshop. In: British Journal of Social Work 46:8 (2016). S. 2374–2392.

[13] Nuttbrock, L. (et al.): Psychiatric Impact of Gender-Related Abuse Across the Life Course of Male-to-Female Transgender Persons. In: Journal of Sex Research 47:1 (2010). S. 12–23.

[14] Vgl. Garrelts, Nantke, Tagesspiegel (13.09.2022).

[15] Vgl. Schottner, Dominik: Medical Gaslighting – Wenn Mediziner*innen uns nicht ernstnehmen. Deutschlandfunk Online: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/medical-gaslighting-wenn-wir-nicht-ernst-genommen-werden (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[16] Ebd.

[17] Vgl. Weltärztebund: Deklaration von Genf – das ärztliche Gelöbnis. Offizielle deutsche Übersetzung der Deklaration von Genf autorisiert durch den Weltärztebund. Online: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/International/bundersaaerztekammer_deklaration_von_genf_04.pdf (letzter Zugriff: 13.09.2022).

[18] Vgl. Garrelts, Nantke, Tagesspiegel (13.09.2022).

[19] LSBTIQ* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter*, Queer und/oder Questioning und jede weitere Form der sexuellen oder geschlechtlichen Identität. Im englischsprachigen Raum wird es als LGBT* abgekürzt und ist oft auch in deutschen Texten unter dieser Abkürzung zu finden.

[20] Vgl. Webseite des DISW: „Echte Vielfalt“: Neue Studie zur Gesundheit von LSBTIQ* in Deutschland veröffentlicht (26.02.2021). Online: https://echte-vielfalt.de/lebensbereiche/lsbtiq/neue-studie-zur-gesundheit-von-lsbtiq-in-deutschland-veroeffentlicht/ (letzter Zugriff: 18.09.2022).

[21] Ebd.

[22] Ebd.

[23] Ebd.

[24] Ebd.

[25] Vgl. Meyer, Ilan H.: Prejudice, Social Stress, and Mental Health in Lesbian, Gay, and Bisexual Populations: Conceptual Issues and Research Evidence. In: Psychol Bull 129:5 (2003). S. 674–697.

[26] Vgl. Studie des UK Governments: Investigation into Monkeypox Outbreak in England: Technical Briefing 4 (02.09.2022). Online: https://www.gov.uk/government/publications/monkeypox-outbreak-technical-briefings/investigation-into-monkeypox -outbreak-in-england-technical-briefing-4 (letzter Zugriff: 18.09.2022).

[27] Vgl. bspw. Queer.de: Affenpocken: WHO-Chef ruft promiske Schwule zu Sex-Verzicht auf. Online: https://www.queer.de /detail.php?article_id=42754 sowie Rzepka, Dominik: Schwulenverband warnt vor Stigmatisierung. Bericht auf ZDF.de (24.05.2022). Online: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/affenpocken-homosexuelle-rki-diskriminierend-100.html (letzter Zugriff: 18.09.2022).


Quelle: Jessica Rorison, Diskriminierung im Gesundheitssektor. Die Auswirkungen von Medical Gaslighting und Diskriminierung auf Minderheitengruppen und Frauen, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 01.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=289

Die Rolle der Sprache im Alltagsrassismus

Lena Hackauf (SoSe 2022)

1. Einleitung

Im November 2020 sowie im Januar 2021 strahle der WDR eine Folge der Talkshow Die letzte Instanz aus.[1] Diskursthema der Show war es unter anderem, sich darüber auszutauschen, ob die Z-Soße[2] einen anderen Namen erhalten sollte. Hintergrund dafür war die jahrelange Beschwerde der Sinti und Roma, dass eben jene Bezeichnung eine Diskriminierung darstelle. Schlussendlich drang dies zu einem Hersteller durch, der die Soße schließlich in Paprikasauce ungarische Art umbenannte. Der WDR-Moderator Steffan Hallaschka und das Team der Show luden vier prominente weiße – und damit vier nicht betroffene – Menschen ein, um über die Frage zu debattieren. Die vier Gäste waren sich einig, dass es nicht diskriminierend sei, das Z-Wort oder auch das N-Wort zu verwenden.

Insbesondere nach der erneuten Ausstrahlung der Sendung im Januar 2021 war die Kritik an dem Thema, der inhaltlichen Debatte sowie an den Gästen groß (vgl. Dell 2021, Sterz & Haruna-Oelker 2021). Die Debatte in der Show macht deutlich, wie tief verwurzelt Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist. Dabei wird ein bestimmter Bereich des Rassismus bedient, der sogenannte Alltagsrassismus. Diese Hausarbeit möchte sich im Bereich des Alltagsrassismus mit diskriminierender Sprache in Deutschland beschäftigen. Dafür soll zunächst einmal geklärt werden, was unter Rassismus sowie Alltagsrassismus verstanden werden kann. Anschließend soll spezifisch auf den Aspekt der rassistischen Sprache in Deutschland eingegangen werden.

2. Rassismus   

 Unter einer rassistischen Tat versteht die Mehrheit der Menschen einen gewalttätigen, mutwilligen und offensiven Akt der Diskriminierung. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um seltene Ausnahmen handeln würde, nur eine rechte Minderheit würde beziehungsweise könne rassistisch handeln (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 279). Diese Auffassung von Rassismus stimmt jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Die offensive Form von Rassismus spiegelt nicht die ganze Bandbreite der Diskriminierung von Menschen etwa aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder Hautfarbe dar. Rassismus ist eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Menschheit in verschieden „Rassen“ unterteilt werden könne (Koller 2015). Dadurch sei es möglich, anhand von willkürlichen Eigenschaften, wie zum Beispiel körperlichen Merkmalen, Menschen nicht nur zu unterscheiden, sondern auch den Gruppen Privilegien zu- oder abzuschreiben. Es geht also darum, sich selbst von anderen, von Fremden, abzugrenzen und gleichzeitig Machtverhältnisse herzustellen (vgl. Hergesell 1992, S. 748).  
Rassismus ist ein System, dessen Wurzeln bis in die Antike zu verfolgen sind (vgl. Rommelspacher 2009, S. 28). Auch das Gesellschaftssystem der Kasten in Indien sind ein Erzeugnis rassistischer Motive (vgl. Rommelspacher 2009, S. 28). Besonders zentral für das heutige Verständnis von Rassismus ist jedoch die Rassentheorie des 18. Jahrhunderts in Europa (vgl. Koller 2015). Diese Theorie soll(te) dazu dienen, Menschen zu kategorisieren und hierarchisch zu sortieren. Auf diese Weise rechtfertigten die Könige europäischer Länder wie beispielsweise Großbritannien, der Niederlande oder Deutschlands die Kolonialisierung auf dem afrikanischen, amerikanischen oder auch süd-ost-asiatischen Kontinent (vgl. Koller 2015).

Auch im 21. Jahrhundert haben die rassistischen Strukturen der Gesellschaft Auswirkungen auf „soziale, politische und wirtschaftliche Handlungen“ (Rommelspacher 2009, S. 25). Zum modernen Rassismus können Formen wie der Antisemitismus, Antiislamismus sowie der Antiziganismus gezählt werden (vgl. Rommelspacher 2009).

2.1 Die Alltäglichkeit von Rassismus

Rassismus zeigt sich vielseitig. Neben der offensiven Form von Rassismus, die sich beispielsweise durch offenkundige Beleidigungen oder physische Angriffe äußert, gibt es eine weitere Form, den sogenannten Alltagsrassismus. Dieser beginnt bei abfälligen Blicken, geht über Fragen nach der ‚wirklichen‘ Heimat und endet schlussendlich in strukturellen Benachteiligungen von BIPoC[3], zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Suche nach einer Wohnung.

Ein wesentlicher Punkt rassistischen Gedankenguts ist es, Menschen mit der Hilfe von Stigmatisierung und Verallgemeinerungen zu gruppieren. Auch mit vermeintlich wohlwollenden Aussagen sollen Menschen eingeordnet werden (Nguyen 2014). Eine solche, aufgrund von Herkunft, Name, Sprache, Religion und vielem weiteren basierten, Verallgemeinerungen wäre zum Beispiel eine Aussage wie ‚Alle Asiaten sind gut in Mathe.‘ Dabei ist es nicht wichtig, ob die Auffassung positiv oder negativ gemeint war. Mit solchen Verallgemeinerungen spricht man den Menschen ihre Individualität, ihr Können und ihre Fähigkeiten ab. Denn es wird gleichzeitig impliziert, dass jeder Mensch, der wie in dem angeführten Beispiel als Asiate gelesen wird, ohnehin gut mit Zahlen umgehen könne und es somit nichts Besonderes sei.

In der Regel werden solche Bemerkungen und Behandlungen von Nicht-Betroffenen nicht als rassistisch eingeordnet (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 280). Das hängt zum Teil damit zusammen, dass das Thema Rassismus in unserer Gesellschaft tabuisiert ist und sich die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland nur ungern damit beschäftigt – ein Privileg. Denn wie bereits erwähnt, wird davon ausgegangen, dass Rassismus kaum vorkäme. Ein Hauptbestandteil des Alltagsrassismus ist damit die Banalität (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 281).

Doch auch BIPoC, also von Rassismus betroffene Menschen, können alltagsrassistische Handlungen und Bemerkungen übersehen (vgl. Nguyen 2014). Das liegt daran, dass auch BIPoC mit den Vorurteilen der hiesigen Gesellschaft aufwachsen und sozialisiert werden. Unter racial bias kann man die Stereotype zusammenfassen, die unterbewusst einen Einfluss auf unsere Handlungsweisen haben (vgl. Valla et al. 2018, S. 195-196). In der Studie von Valla et al. (2015) wird deutlich, dass es sowohl weißen als auch schwarzen Menschen leichter fällt, positive Eigenschaften weiß aussehenden Menschen zuzuordnen. Hingegen fällt es ebenfalls beiden Testgruppen leichter, schwarz gelesenen Menschen negative Attribute zuzuschreiben (vgl. Valla et al. 2015). Die Ergebnisse legen nahe, dass Alltagsrassismus einen Effekt darauf hat, wie BIPoC ihre Umwelt wahrnehmen und sie ebenfalls die rassistischen Stereotype, das „rassistische Wissen”, der Gesellschaft verinnerlichen (Nguyen 2014).

2.2 Diskriminierende Worte

Worte spielen eine elementare Rolle im Alltagsrassismus. Dabei können zwei Arten von Rassismuserfahrungen unterschieden werden (vgl. Çiçek et al. 2014, S. 311): Neben der primären Rassismuserfahrung, durch zum Beispiel offensive Hetze gegen Menschengruppen aufgrund ihrer Ethnie, Religion oder ähnlichem, gibt es auch sekundäre Rassismuserfahrungen. Letztere sind dem Alltagsrassismus zuzuordnen. Dazu zählen neben Kommentaren, den vermeintlichen Komplimenten, Zuschreibungen und vielem mehr ein Pool rassistischer Beleidigungen, auf englisch racial slurs. Die racial slurs sind geschichtlich bis in die Kolonialzeiten zurückzuführen – teilweise auch noch weiter zurück. Sie entstanden und wurden genutzt, um die damit zu bezeichnenden Menschen herabzusetzen. Zu den racial slurs zählen zum Beispiel das N- und M-Wort für schwarze Menschen sowie das Z-Wort für Sinti und Roma.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma (2015) schreibt dazu: Das Z-Wort „ist eine von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft, die von den meisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend abgelehnt wird.“ Denn egal ob man racial slurs mit oder ohne schlechte Intention verwendet, sie transportiert und reproduzieren die rassistische Vergangenheit, durch die sie geprägt sind (vgl. Çiçek et al. 2014, S. 313). Racial slurs wie das Z-Wort sind mit realen Gewaltakten direkt und unwiderruflich verbunden. Das Z-Wort ist beispielsweise bis in das 16. Jahrhundert in Deutschland zurückzuführen. In seiner etymologischen Entstehung steht es in einer engen Verbindung zu den Stereotypen über die Sinti und Roma (vgl. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma 2014). Gewalttaten sowie die systematische Vernichtung der Sinti und Roma im Dritten Reich wurden mit eben jenen Stereotypen begründet und gerechtfertigt.

Die mit Schmerz und Leid verbundenen racial slurs sind noch immer im Alltag aufzufinden und transportieren und verkörpern eben jene Erfahrungen – seien es Straßennamen, Speisen und Süßigkeiten oder ältere Literatur, zu der auch Kinderbücher wie zum Beispiel Pippi Langstrumpf oder Die kleine Hexe zählen. Durch die alltäglich wiederholende Diskriminierung der racial slurs werden die rassistischen Prinzipien und Machtstrukturen gefestigt. Kourabas (2019, S. 20) fasst zusammen:

„Durch sprachliche Bezeichnungen, die an rassistische Bilder der Unterordnung und vermeintlicher Minderwertigkeit und Geschichtslosigkeit anknüpfen, werden Personen und Personengruppen herabgewürdigt, entmenschlicht, beschimpft, homogenisiert, exotisiert, infantilisiert und als Fremde und Andere in einem geschichtslosen Vakuum exkludiert.“

3. Sprache schafft Wirklichkeit

Sprache hat einen direkten Einfluss darauf, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Das belegt zum Beispiel die Studie des Linguisten Levinson (1997). In dieser Beschreibt Levinson, dass es der indigenen Sprache Guugu Yimithirr der Aborigines in Australien keine Begriffe für links, recht, vorne oder hinten gibt. Um zu beschreiben, dass hinter einer Person ein Unwetter aufzieht, nutzen die Menschen stattdessen die Himmelsrichtungen. Also zum Beispiel ‚Nördlich von dir zieht ein Unwetter heran.‘ Da die Menschen sich täglich orientieren müssen, um richtig kommunizieren zu können, haben sie einen ausgeprägten Orientierungssinn. Sogar in einem dunkeln Raum ohne Fenster können sie die Himmelsrichtigen korrekt bestimmen (vgl. Levinson 1997, S. 125).

Mit Sprache formen wir also unser Denken, unsere Realität und schließlich auch, wie wir handeln. Denn wer spricht, der handelt (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Menschen können sich nur aktiv dazu entscheiden, zu sprechen. Der Sprechakt oder die Sprechhandlung ist also immer absichtlich. Hinzu kommt, dass Sprache eine performative Eigenschaft innehat (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Das bedeutet, Menschen bezeichnen Dinge und Umstände. Neben der Beschreibung ihrer Umwelt reproduzieren sie die dazugehörigen Vorstellungen und geben diese an die Gesprächspartner*innen weiter (vgl. Kourabas 2019, S. 19). Menschen, die innerhalb einer Gesellschaft aufwachsen, lernen durch ihre Sozialisation die Bedeutungen, die hinter den Wörtern stehen. Dadurch ist es möglich, sich zu unterhalten. Gleichzeitig ist es nicht möglich, Wörter auszusprechen, ohne ihre durch die Gesellschaft bestimmten Bedeutungen zu transportieren.

Sprache ist also ein machtvolles Instrument. Mit der Hilfe der richtigen Wörter drücken Menschen nicht nur aus, was sie mit ihren Augen wahrnehmen oder mit ihrem Herzen fühlen, sondern vermitteln auch Machtstrukturen und Beziehungen (vgl. Kourabas 2019, S. 20). Deutlich wird das zum Beispiel auch beim Duzen und Siezen. Je nachdem, ob zwei Menschen untereinander ‚du‘ oder ‚sie‘ beziehungsweise nur einer von beiden duzt und die andere Person siezt, erkennt man, wie eng die Beziehung zwischen ihnen ist.

Auf der Grundlage dessen, dass Sprache ein performativer Akt ist und einen unwiderruflichen Einfluss darauf hat, wie Menschen ihre Umgebung wahrnehmen, sowie der Tatsache, dass die racial slurs noch immer im alltäglichen Sprachgebrauch ihren Platz haben, soll im Folgenden darauf eingegangen werden, welchen Einfluss rassistische Sprache auf Menschen haben kann.

4. Rassismus macht krank

Wenn Sprache handeln ist, dann können Worte zu Waffen werden. Rassistisch konnotierte Bezeichnungen und Bemerkungen sind somit ein Akt der Gewalt (vgl. Kourabas 2019, S. 21).

Anders als bei körperlicher Gewalt sind die Schäden weniger leicht zu greifen. Immerhin zeichnen sich keine blauen Flecken ab, wenn Personen durch Worte verletzt werden.

Neben der gesellschaftlichen Prägung des rassistischen Wissens hat ein alltägliches Differenzieren zwischen ‚wir ‘und ‚ihr‘, auch Othering genannt, durch Kommentare, Blicke und strukturelle Benachteiligungen einen Effekt auf Betroffene, der nicht zu unterschätzen ist (vgl. Nguyen 2014).

Rassismus hat Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden der Betroffenen, sowie auf die Psyche (vgl. Schramkowski & Ihring 2018, S. 282). Insbesondere das Beobachten oder Erleben von Alltagsrassismus kann auf so eine Weise belastend sein, dass die Menschen Traumata entwickeln (vgl. Yeboah 2017, S. 147-148). Die Folgen davon können unter anderem Stress, Depressionen, Selbstverletzung oder Suizid sein (vgl. Yeboah 2017, S. 148, 150). In Deutschland geborene oder aufgewachsene BIPoC beschreiben zudem, dass sie, durch die alltäglichen Erfahrungen von Rassismus, nicht das Gefühl haben, zu der hiesigen Gesellschaft dazuzugehören (vgl. Schramkowski &Ihring 2018, S. 282). Gleichzeitig bekämen sie das Gefühl, ‚zu deutsch‘ für ihre zum Beispiel türkische oder vietnamesische Familienseite zu sein. Alltagsrassismus, inklusive der racial slurs, kann somit eine Unsicherheit bezüglich der eigenen Identität auslösen. Hinzu kommt, dass Menschen, die rassistisch diskriminierende Worte erleiden, die kommunizierten Werte verinnerlichen und sich schlussendlich „selbst als ‚Andere‘ [beginnen] wahrzunehmen“ (Kourabas 2019, S. 21).

5. Fazit

Zusammenfassend zeigt die Debatte aus der WDR-Show Die letzte Instanz eindrücklich und beispielhaft, wie tief verwurzelt die rassistische Ideologie noch immer in der heutigen Gesellschaft ist. Bereits die Diskussionsfrage, ob die genannte rassistische Beleidigung diskriminierend sei, belegt dies. Die jeweilig betroffenen BIPoC äußerten sich bereits (mehrfach) dazu. Wie im Beispiel der Sinti und Roma sind racial slurs eindeutig diskriminierend und sollten nicht verwendet werden (vgl. Zentralrat Sinti und Roma 2015). Es gliedert sich in die rassistische Ideologie der ‚weißen Vorherrschaft‘ ein, dass weiße Menschen als die letzte und damit endgültig Instanz es besser wissen würden, um die Diskussionsfrage zu beantworten – ungeachtet dessen, dass keiner der Gäste Rassismus erfahren haben kann.

Rassismus besteht nicht nur aus offensiven Gewalttaten, sondern versteckt sich auch in alltäglichen Handlungen. Versteckt, weil es nicht immer leicht ist, die rassistische Äußerung zu erkennen, sowohl für Betroffene als auch für BIPoC. Alltagsrassismus äußert sich in Bemerkungen, ‚Witzen‘, vermeintlichen Komplimenten, (Fremd)Bezeichnungen sowie auch auf struktureller Ebene. Das bedeutet, aufgrund des alltäglichen Rassismus haben BIPoC schlechtere Chancen auf beispielweise dem Arbeitsplatz, im Gegensatz zu weißen Menschen.

Die rassistische Ideologie basiert zum größten Teil auf einem Konzept aus dem 18. Jahrhundert. Um die Menschen nicht nur physisch zu erniedrigen, sondern auch auf mentaler Ebene, wurden damals verschiedene racial slurs wie das Z- oder N-Wort eingeführt. Somit verkörpern auch die racial slurs das rassistische Gedankengut. Dieses wird bei der Verwendung der Wörter reproduziert. Damit sind racial slurs als Gewalttat zu betrachten. Wie auch bei anderen Formen der (sprachlichen) Gewalt, hinterlassen die Wörter Spuren und können psychisch krank machen.

Sprache ändert sich stetig – und das schon immer. Wir sprechen nicht mehr so wie vor 10, 50 oder 100 Jahren. Ohne den Wandel und das stetige neue Verständnis der Wörter gäbe es die deutsche Sprache, wie wir sie heute kennen, nicht. Tatsächlich kann die deutsche Sprache sogar anhand eines Sprachwandels definiert werden, nämlich der zweiten deutschen Lautverschiebung (vgl. Mohamed 2019). Dadurch wird recht deutlich, dass ein Wandel der Sprache nicht nur nicht vermeidbar ist, sondern, wenn man einen Schritt weitergeht, sogar unabdingbar. Und dennoch weigern sich viele Menschen dagegen, verschiedene Wörter nicht mehr zu benutzen, wie zu sehen und zu hören in Die letzte Instanz. Es fallen Sätze wie ‚Das haben wir schon immer gesagt‘, ‚Das ist doch gar nicht böse gemeint‘ oder ‚Stell dich mal nicht so an‘.

Dabei scheint die Lösung doch so simpel: Von Rassismus betroffene Menschen reden lassen und zuhören. Wie möchte mein Gegenüber bezeichnet werden und wie nicht? Mehr Bildung und Aufklärung ist nötig und vor allem müssen sich auch weiße Menschen mit Rassismus beschäftigen. Nicht nur weil es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, sondern auch, weil weiße Menschen rassistische Denk- und Handlungsmuster ablegen müssen, um eine Veränderung zu erreichen.

Literaturverzeichnis

Çiçek, A., Heinemann, A., & Mecheril, P. (2014). Warum Rede, die direkt oder indirekt rassistische Unterscheidungen aufruft, verletzen kann. Sprache–Macht–Rassismus, 309-326.

Dell, M. (2021, 1. Februar). Ungenial daneben. Die Zeit. Abgerufen am 25. Juli 2022 von https://www.zeit.de/kultur/film/2021-01/wdr-sendung-letzte-instanz-thomas-gottschalk-rassismus-janine-kunze

Hergesell, B. (1992). Sie sind „faul “,„schwul” und „dumm “. Zum Alltagsrassismus im Betrieb. Gewerkschaftliche Monatshefte, 12, 745-754.

Kourabas, V. (2019). Sprache-Macht-Rassismus: Eine Einführung. Denkanstöße für eine rassismuskritische Perspektive auf kommunale Integrationsarbeit in den Kommunalen Integrationszentren–Ein Querschnittsthema.

Koller, C. (2015, 8. Dezember). Was ist Rassismus? Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 26. Juli 2022 von https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/213678/was-ist-eigentlich-rassismus/

Levinson, S. C. (1997). Language and cognition: The cognitive consequences of spatial description in Guugu Yimithirr. Journal of linguistic anthropology7(1), 98-131.

Migrationsrat (2020, 2. April). BIPoC. Abgerufen am 26. Juli 2022 von https://www.migrationsrat.de/glossar/bipoc/

Mohamed, A. S. (2019). Die Ursprünge der deutschen Sprache-Die erste und zweite Lautverschiebung. Beni-Suef University International Journal of Humanities and Social Sciences, 1(1), 123-145.

Nguyen, T. Q. (2014, 6. November). „Offensichtlich und zugedeckt“ – Alltagsrassismus in Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 26. Juli 2022 von https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/194569/offensichtlich-und-zugedeckt-alltagsrassismus-in-deutschland/

Schramkowski, B., Ihring, I. (2018). Alltagsrassismus. In: Blank, B., Gögercin, S., Sauer, K., Schramkowski, B. (eds) Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19540-3_23

Sterz, C., & Haruna-Oelker, H. (2021, 1. Februar). „Ein Beispiel, das repräsentativ für andere steht“. Deutschlandfunk. Abgerufen am 25. Juli 2022 von https://www.deutschlandfunk.de/kritik-an-wdr-talkshow-letzte-instanz-ein-beispiel-das-100.html

Rommelspacher, B. (2009). Was ist eigentlich Rassismus. Rassismuskritik1, 25-38.

Valla, L. G., Bossi, F., Calì, R., Fox, V., Ali, S. I., & Rivolta, D. (2018). Not only whites: racial priming effect for black faces in black people. Basic and Applied Social Psychology, 40(4), 195-200.

Yeboah, A. (2017). Rassismus und psychische Gesundheit in Deutschland. In Rassismuskritik und Widerstandsformen (pp. 143-161). Springer VS, Wiesbaden.

Zentralrat Sinti und Roma (2015, 9. Oktober). Erläuterung zum Begriff „Zigeuner“. Stellungnahmen. Abgerufen am 25. Juli 2022 von https://zentralrat.sintiundroma.de/sinti-und-roma-zigeuner/

Ausschnitt Die letzten Instanz:

Ulirhein (2021, 1. Februar). „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ aus „Die letzte Instanz – …“, WDR [Video] Abgerufen am 13. August 2022 von https://www.youtube.com/watch?v=v32zQTd7JwA&t=707s


[1] In der WDR-Mediathek ist die Folge nicht mehr zu finden. Auf YouTube ist der Beitrag noch anzuschauen, jedoch nicht auf dem offiziellen YouTube-Kanal der WDR oder der Letzten Instanz. 

[2] Der Buchstabe „Z“ steht an dieser Stelle stellvertretend für eine diskriminierende Bezeichnung für Sinti und Roma, die in dieser Hausarbeit nicht reproduziert werden soll.

[3] BIPoC = Black, Indigenous, and People of Color (vgl. Migrationsrat 2020)


Quelle: Lena Hackauf, Die Rolle der Sprache im Alltagsrassismus, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 01.11.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=285