Against Carceral Feminism

Warum härtere oder höhere Strafen nichts gegen häusliche und sexualisierte Gewalt ausrichten können

Lars Hardes (SoSe 2021)

Welche Handlungsoptionen resultieren aus der Auseinandersetzung mit Privilegien / De-privilegierung? Welche Veränderungspotentiale braucht es auf der persönlichen, welche auf der strukturellen und institutionellen Ebene? – mit diesen Fragen haben wir uns in einer der Kleingruppendiskussionen im Seminar Gender und Diversity: Zentrale soziale Kategorien im 21. Jahrhundert beschäftigt. Zunächst diskutierten wir die persönliche / individuelle Ebene, anschließend erst die strukturelle und institutionelle.1

Als es schließlich um letztere ging, wurde in meiner Kleingruppe überraschenderweise vorgeschlagen, härtere Strafen für häusliche und sexualisierte Gewalt einzuführen. Nicht genauer spezifizierte Studien hätten erwiesen, dass eine Erhöhung des Strafmaßes zur Verringerung der Anzahl von Fällen häuslicher und sexueller Gewalt führe. 2 Verantwortlich für diese Verringerung sei die abschreckende Wirkung der Strafen. Um sexualisierte Gewalt auf einer institutionellen und strukturellen Ebene zu bekämpfen, sollten demnach mittels eines erhöhten Strafmaßes negative Anreize für Täter*innen geschaffen werden.

Obwohl der Vorschlag sicherlich, wie wir sehen werden, vor allem aufgrund seines kontra- produktiven Charakters als unangebracht verworfen werden kann, fiel mir zunächst auf, dass verschiedene Ebenen miteinander verwechselt worden waren. Denn was der Vorschlag offensichtlich missachtet, ist die Tatsache, dass es sich bei negativen Anreizen, die sich gegen bestimmte Einzelpersonen richten, um Maßnahmen auf der individuellen Ebene handelt. Obwohl diese in einem institutionellen Rahmen, dem Gesetzestext, verankert werden sollten, werden institutionelle oder strukturelle Ursachen häuslicher und sexualisierter Gewalt durch diesen nicht adressiert, sondern vielmehr ignoriert und verschwiegen. Ziel dieses Essays ist es, dem individualisierenden Vorschlag, sexualisierte und häusliche Gewalt härter zu bestrafen, eine alternative Art des Denkens bzw. Umgangs entgegenzusetzen, die institutionelle und strukturelle Ursachen berücksichtigt und sich einer Transformation dieser verschreibt. Gewissermaßen möchte ich versuchen, pointiert zu erörtern, welche Institutionen und Strukturen bezüglich häuslicher und sexualisierte Gewalt eine Rolle spielen und wie diesen effektiv entgegengewirkt werden kann. Zunächst soll dafür der skizzierte Vorschlag als kontraproduktive Symbolpolitik kritisiert werden, die als typisch für den sogenannten „Strafrechtsfeminismus“3 (carceral feminism) gelten kann.

Dabei versuche ich zu verdeutlichen, dass gerade die Institutionen der Strafe, der Polizei und des Gefängnisses häusliche und sexualisierte Gewalt reproduzieren, indem sie verhindern, dass jene Strukturen konfrontiert werden, welche die Gewalt tatsächlich verursacht haben: Statt etwa mangelhafte und fehlende Verständnisse von Konsens oder problematische Vorstellungen der Maskulinität zu adressieren, bewirken strafende Ansätze, polizeiliche Gewalt und die soziale Isolierung von Täter*innen in Gefängnissen, dass Gewalt als Eigenschaft und Veranlagung bestimmter Individuen begriffen wird, vor denen als unschuldig verstandene Teile der Gesellschaft beschützt werden müssen.

Gleichermaßen möchte ich verdeutlichen, dass die Institutionen der Strafe, der Polizei und des Gefängnisses die meisten Individuen weder vor Gewalt schützen, noch resozialisieren können respektive sollen. Anders als gemeinhin verbreitet, war dies auch nie ihre Aufgabe: Statt um ein neutrales und objektives System handelt es sich bei Polizei und Justiz um repressive Organe staatlicher Gewalt, die sich gegen bestimmte Individuen richten, welche von vornherein als suspekt und schuldig angesehen werden – Gerechtigkeit, Unschuld und Schutz vor Gewalt sind seit jeher privilegierten, also weißen und/oder besitzenden Teilen der Gesellschaft vorbehalten. Insofern somit nicht garantiert werden kann, dass diese allen Individuen gleichermaßen zugutekommen, muss automatisch davon ausgegangen werden, dass höhere Strafen vor allem gegen rassifizierte, marginalisierte und prekarisierte Individuen zur Anwendung kommen werden. Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt es, nach alternativen Formen der nichtstaatlichen Gerechtigkeit zu suchen. Enden möchte ich daher mit einer kurzen Besprechung jener Ansätze zur Bekämpfung häuslicher und sexualisierter Gewalt, die als „Community Accountability“4 bzw. „Transformative Justice“5 bekannt sind. Die Forderung nach härteren Strafen für häusliche und sexualisierte Gewalt erfreut sich heute großer Beliebtheit. In Deutschland wurde diese unter anderem nach den Übergriffen der Silvesternacht 2015/16 in Köln auch durch verschiedene feministische Organisationen geäußert. Interessanterweise trafen diese dabei ausgerechnet bei jenen „konservativen und rechten Kräften [auf breite Unterstützung], denen Frauen*[…]rechte bislang herzlich egal waren bzw. die diese Rechte bis dato bekämpft haben.“6 Als Grund für diese „seltsame Schützenhilfe“7 identifiziert Sanz Nationalität und Identität der Täter*innen: Frauenrechte würden häufig als Deckmantel für Repressionen gegen unerwünschte Individuen benutzt.8 Entsprechende Forderungen können indessen als beispielhaft für jenes Phänomen gelten, das als carceral feminism bezeichnet wird. Folgen wir etwa Sanz, so kommt durch diesen Begriff eine Kritik des Vorgehens bestimmter feministischer Organisationen zum Ausdruck:

Die Kritik zielt auf die Art und Weise wie die Ausweitung von Polizei, Strafrecht und Gefängnis als eine zentrale Lösung für Gewalt gegen Frauen* mitgetragen wurde. Der Terminus beschreibt auch einen Prozess der Kooptierung (Aneignung) durch den Staat, der Anliegen von sozialen Bewegungen auf- nimmt und sie einbindet, dabei aber die emanzipatorischen Ziele und die transformative Macht dieser Anliegen verändert und ablegt.9

Was nämlich in entsprechenden Kampagnen und Debatten verloren geht, sind die institutionellen und strukturellen Aspekte respektive systemische Analysen der gesellschaftlichen Hintergründe häuslicher und sexualisierter Gewalt: „Die Thematik selbst wurde im Prozess […] umgedeutet zu einer strafrechtlichen und somit individualisierten Problemauffassung von Gewalt gegen Frauen*.“10 Dadurch würden nicht nur transformative, sondern auch zentrale feministische Anliegen, Auffassungen und Analysen hintergangen:

Damit geht es bei Gewalt gegen Frauen* nicht mehr um patriarchale Unterdrückung und männliche Dominanz mit ihrem Profitieren von Ungleichheiten. Als zentrales Strukturprinzip der Gesellschaft und Fundament von Gewalt gegen Frauen* werden sie aus dem Blick gerückt. Außerdem werden ökonomische Ungleichheiten und Abhängigkeiten nicht als Kern des Problems angesehen – dementsprechend müssen hier auch keine sozialstaatlichen Lösungen ausgebaut werden oder die sozioökonomische Position von Frauen* im Allgemeinen verbessert [werden].11

Ebenso würden reale Auswirkungen entsprechender Ansätze nicht genug berücksichtigt: Da diese meistens die Situation, Erfahrung und Angreifbarkeit von rassifizierten, marginalisierten oder prekarisierten Individuen missachten, führen sie häufig zu mehr statt weniger Gewalt oder aber einer Verschlechterung der individuellen Situation. Beispielsweise kann nicht jede Person die Polizei zur Hilfe rufen: Illegalisierten Migrant*innen und Geflüchteten droht dann eine Abschiebung. Andererseits besteht auch die Gefahr, dass feminisierte Personen ihre Ein- und Unterkunft verlieren, wenn gewalttätige Partner*innen weggesperrt werden. Als vielleicht prominentestes Beispiel für kontraproduktive Folgen strafender Ansätze können jedoch jene harte Strafen gelten, die in den USA gegen eine Vielzahl afroamerikanischer Frauen angewandt wurden, die sich mit Gewalt gegen häusliche und sexualisierte Gewalt zur Wehr gesetzt haben.12 Härtere Strafen führen demnach in nicht nur wenigen Fällen dazu, dass auch von häuslicher und sexualisierter Gewalt Betroffene härter bestraft werden.

Insgesamt scheinen strafende Ansätzen auch daran zu scheitern, dass nur die Interessen der weißen Mittel- und Oberschicht berücksichtigt würden, so zumindest Sanz:

Indem ein Sicherheitsmodell für die weiße Mittel- und Oberschicht forciert wurde, wurden andere Sicherheitsmodelle missachtet, ebenso wie die Wirkmächtigkeit von historischen Stereotypen über Schwarze Männlichkeit, rassistische Polizeigewalt und die Auswirkungen von polizeilicher Überwachung und massenweiser Inhaftierung für Communities of Color.13

Dass staatliche Institutionen demnach nur bestimmten Interessen verpflichtet scheinen, sollte uns nicht überraschen. Folgen wir beispielsweise Vitale, so muss die Polizei etwa in erster Linie als Institution zur Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheiten verstanden werden: „The reality is that the police exist primarily as a system for managing and even producing inequality by suppressing social movements and tightly managing the behaviors of poor and nonwhite people: those on the losing end of economic and political arrangements.“14 Den weit verbreiteten Irrglauben, dass die Polizei die Bevölkerung vor Verbrechen und Gewalt beschützen soll und könnte, entlarvt Vitale als liberales Wunschdenken:

It is largely a liberal fantasy that the police exist to protect us from the bad guys. As the veteran police scholar David Bayley argues, ‚The police do not prevent crime. […] Yet the police pretend that they are society’s best defense against crime and continually argue that if they are given more resources, […] they will be able to protect communities against crime. This is a myth.‘15

Häusliche und sexualisierte Gewalt kann und soll die Polizei also gar nicht erst verhindern. Dass sie bezüglich dieser Gewaltformen auch gar nicht erst als geeigneter Ansprechpartner gelten kann und sollte, legen indessen Studien aus den USA nahe, laut denen Polizist*innen diese sehr viel häufiger ausüben, als es normale Bürger*innen tun:

An asthonishing 40 percent of cops acknowledged in one U.S. survey that they were violent with their spouse or children in the previous six months. A months survey had remarkably similar results – 40 percent of officers admitted there was violence in their relationship in the previous year. The cop’s abuse rate was up to 15 times that of the public.16

Polizist*innen sind demnach selbst häufig Täter*innen. Mehr Schutz durch die Polizei zu fordern, erweist sich spätestens hier als widersprüchlich: Insofern sich Betroffene häuslicher oder sexualisierter Gewalt an die Polizei wenden, laufen sie Gefahr, erneut Gewalt zu erfahren, nun allerdings durch Polizist*innen, deren Einsatz von Gewalt staatlich sanktioniert ist und gegen die sich juristisch nur sehr schwer zur Wehr gesetzt werden kann, da Polizist*innen einen Vertrauensvorschuss genießen und sich häufig gegenseitig decken. Gerade marginalisierte Individuen wie Sexarbeiter*innen können sich daher nicht auf Polizei und Justiz verlassen, wenn sie häusliche oder sexualisierte Gewalt erfahren.

Selbst wenn diese Probleme mit der Polizei nicht bestünden, gäbe es genügend weitere Gründe, gegen härtere Strafen im Besonderen und gegen Bestrafung im Allgemeinen zu sein. Als Ort zur sozialen Isolation von Täter*innen kann das Gefängnis nur sehr wenig zur Prävention von Gewalt beitragen. Statt Täter*innen dem eigenen Anspruch nach zu resozialisieren, reproduziert es etwa Gewalt, so zumindest Sanz: „Ganz außer Acht bleibt […], dass Gefängnisse selbst Orte extremer Gewalt sind und der vielfach bewiesene Fakt, dass diese Institution Gewaltzyklen aufrecht erhält und fördert.“17 Wie Olufemi verdeutlicht, handelt es sich bei Gefängnisstrafen außerdem wieder um individualisierende Maßnahmen, die Institutionen und Strukturen außer Acht lassen: „Prison provides an individualistic response to harm – it locates the problem in the body of the ‚bad‘ person rather than connecting patterns of harm to the conditions in which we live.“18 Es gelte zu beachten, dass das Problem häuslicher und sexualisierter Gewalt nur kollektiv angegangen werden kann:

Anyone who refuses to naturalise aggression, domination and violence in men’s bodies, understands that these traits have more to do with enforcement of gender as a system than individual action. Gendered violence is a systemic problem that requires a collective response. It is crucial that we disrupt normative masculinity and the systems it is predicated on before they become cemented in the bodies of individuals.19

Kritische Bildung und soziale Unterstützung scheinen demnach besser zur Bekämpfung sexualisierter und häuslicher Gewalt geeignet als Strafen, da sie die institutionellen und strukturellen Hintergründe wie etwa normative Gendersysteme tatsächlich adressieren. Auch finanzielle Unterstützung könnte vorbeugend wirken, indem etwa prekarisierten Personen eigene Unterkünfte ermöglicht werden, die es ihnen erlauben, Partner*innen zu verlassen, bevor diese gewalttätig werden. Insofern häusliche und sexualisierte Gewalt bekämpft werden sollen, ist die Forderung nach einer radikalen Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums also sinnvoller als die nach härteren Strafen.

Gegen letztere spricht auch der rassistische Charakter der Institutionen der Strafe, der Polizei und des Gefängnisses. Wie Wang etwa beobachtet, werden Schwarze von vornherein mit Schuld assoziiert: „there is an a priori association of Blackness with guilt (criminality).“20 Gerade im Namen weißer Sicherheit komme es häufig zu Repressionen gegen Schwarze: „racial violence is the unspoken and necessary underside of security, particularly white security. Safety requires the removal and containment of people deemed to be threats.“21 Dies schlägt sich nicht nur in konkreten Praktiken wie dem racial profiling nieder,22 sondern führt auch dazu, dass sexualisierte Gewalt an BIPoC festgemacht wird, so Schilde:

Während weiße Täter_innen sexualisierter Gewalt als ‚pathologische‘ Ausnahmen wahrgenommen und als Einzeltäter_innen dargestellt werden, repräsentieren marginalisierte Täter_innen ihre gesamte Gruppe und die von bestimmten Personen ausgeführte sexualisierte Gewalt wird auf die ‚Rasse‘ oder die ‚Kultur‘ zurückgeführt.23

Die Tatsache, dass härtere Strafen vor allem für Verbrechen angedacht sind, die mit rassifizierten Individuen in Verbindung gebracht werden, lässt die Forderung nach diesen gelin de gesagt fragwürdig erscheinen. Erneut sollten wir uns verdeutlichen, dass strafende Institutionen nicht zu mehr Sicherheit führen: „On the contrary, their purpose is to maintain the  social order, protect white people, and defend private property. If these intuitions are vio lent themselves, then expanding their jurisdiction will not help us, especially while racism and patriarchy endures.“24

Spätestens der Umstand, dass neben rassifizierten auch andere marginalisierte und prekarisierte Individuen durch die Institutionen der Strafe, der Polizei und des Gefängnisses systematisch benachteiligt werden, sollte uns jedoch endgültig zu einer Abkehr von diesen bewegen. Der klassistische Charakter der Justiz, der sich unter anderem in der Sozialprognose und fehlenden (materiellen) Barrierefreiheit juristischer Ressourcen manifestiert, führt etwa dazu, dass privilegierte Individuen grundsätzlich weniger hart bestraft werden.

Dennoch gibt es einen weiteren guten Grund, härtere Strafen abzulehnen – wie Brazzell aufzeigt, erfüllen diese schlichtweg nicht die Bedürfnisse Betroffener: „selbst die betroffenen Menschen […] wünschen sich oft mehr Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Heilung als das Rechtssystem ihnen bieten kann.“25 Während diese in unseren momentanen Praktiken jedoch keinesfalls mitgedacht werden, gibt es zahlreiche Versuche, diese Interessen Betroffener stärker zu berücksichtigen. Das vielleicht bekannteste Modell ist der Transformative Justice-Ansatz, der vollständig auf die Institutionen der Strafe, der Polizei und des Gefängnisses verzichtet. Ziel dieser Praxis, die auch als Community Accountability bekannt ist, ist es, Täter*innen durch die jeweiligen Communities darin zu unterstützen, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Zentral für den Ansatz sind Brazzell zufolge folgende Aspekte:

Unterstützung von betroffenen Personen, Gewährleistung ihrer Sicherheit und Selbstbestimmung; Verantwortungsübernahme durch den/die Gewaltausübende und Verhaltensänderung; Maßnahmen inner halb der Community, die gegen Unterdrückung und Gewalt gerichtete Haltungen und Praxen stärken; Strukturelle Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die für den Fortbestand von Gewalt verantwortlich sind.26

Integraler Bestandteil des zugrundeliegenden Gerechtigkeitsverständnisses ist also die Transformation der Gesellschaft; strukturelle und institutionelle Ursachen von Gewalt wie toxische Maskulinitäten, soziale Ungleichheit, Wohnungsmangel, etc. sollen gemeinsam beseitigt werden. Damit unterscheidet sich das Konzept signifikant von herkömmlichen Methoden zur Herstellung von Gerechtigkeit, wie etwa dem Täter-Opfer-Ausgleich:

Im Unterschied zum Täter-Opfer-Ausgleich und anderen Mediationsmethoden […] betrachten Vertreter*innen von CA-TJ [Community Accountability-Transformative Justice, Anm. d. Verf.] Gewalt nicht losgelöst vom größeren Kontext systematischer Unterdrückung und eines Machtgefälles, das nicht einfach durch Mediation wiedergutgemacht werden kann. Daher müssen sowohl das individuelle gewalttätige Verhalten als auch die diesem Verhalten zugrunde liegenden sozialen und politischen Verhältnisse verändert werden.27

Von Täter*innen fordert der Ansatz dabei nicht nur eine Veränderung, sondern auch eine Reflexion und potenziell lebenslange Aufarbeitung des eigenen Verhaltens. Positive Bestärkung soll den kontraproduktiven Auswirkungen von Scham und Schuld entgegenwirken: Da sie in den entsprechenden Prozessen unterstützt werden, können sie Alternativen  erlernen – anders als in der sozialen Isolation des Gefängnisses etwa.

Werfen wir nun einen Blick auf die Forderung zurück, Strafen für häusliche und sexualisierte Gewalt zu erhöhen, so kann diese als kontraproduktive Symbolpolitik verworfen wer den. Obwohl dieser Vorschlag zwar vorgibt, die Sicherheit für feminisierte Personen zu erhöhen, profitieren nur jene hiervon, die sowieso schon verhältnismäßig privilegiert sind. Rassifizierte, marginalisierte und prekarisierte Personen hingegen werden zusätzlicher Gewalt ausgesetzt. Dass ausgerechnet von der Polizei, der Justiz und Gefängnissen erwartet wird, mehr Sicherheit zu schaffen, ist aus dem Grund abwegig, dass diese häusliche und sexualisierte Gewalt nicht etwa verhindern können, sondern vielmehr reproduzieren und sogar selbst ausüben. Indem sie zudem rassifizierte, marginalisierte und prekarisierte Individuen zu Sündenböcken stilisieren, bewirken sie effektiv eine Vergrößerung der Ungleichheit vor dem Gesetz wie auch sozialer Ungleichheit. Dass die tatsächlichen Ursachen von häuslicher und sexualisierter Gewalt dabei vollkommen vernachlässigt werden, wird größtenteils verschwiegen. Wie dargestellt geht es den Institutionen auch nicht darum, diese zu beseitigen: Da die Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit das primäre Ziel dieser staatlichen Organe ist, werden institutionelle und strukturelle Ursachen nicht angegangen. Weil der häufig formulierte Anspruch, Verbrechen und Gewalt effektiv zu bekämp fen, mit dieser Realität keineswegs vereinbar ist, kann festgehalten werden, dass von Seiten des Staates leider keine Lösungen erwartet werden können. Diese müssen vielmehr in die eigene Hand genommen werden: Allein durch Community Accountability und Transformative Justice werden kollektive Praktiken in Aussicht gestellt, die die Interessen von Betroffenen zur Genüge berücksichtigen und auch strukturelle und institutionelle Ursachen von Gewalt adressieren.


1 Natürlich ist es nicht immer möglich, diese Ebenen klar voneinander zu trennen, da sich diese überschneiden und gegenseitig beeinflussen.

2 Leider liegen mir besagte Studien bis heute nicht vor. Ganz im Gegenteil scheinen Erhöhungen des Strafmaßes tatsächlich keinen Einfluss auf die Anzahl von Straftaten zu haben: „Offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen (harter) Bestrafung und Kriminalitätsbelastung, vor allem, was schwerere Straftaten angeht, niedrig bzw. überhaupt nicht vorhanden.“ Helmut Kury, Mehr Sicherheit durch Strafe?, in: APuZ 40–41 (2007), S. 30–37, hier S. 36.

3 Vgl. Limo Sanz, Einleitung: Strafrechtsfeminismus und Queere Straflust, in: Melanie Brazzell (Hg.), Was macht uns wirklich sicher? Toolkit für Aktivist_innen, Berlin 2017, S. 57–60, hier S. 57

4 Vgl. Melanie Brazzell, Einleitung: Was macht uns wirklich sicher? Ein Einblick in den „Transformative Justice“ Ansatz, in Dies. (Hg.), Wasmacht uns wirklich sicher? Toolkit für Aktivist_innen, Berlin 2017, S. 4–10, hier S. 7

5 Vgl. ebd.

6 Sanz 2010, S. 57.

7 Ebd.

8 Für den gesamten Absatz vgl. ebd. Ähnlich argumentiert Wang: „Historically, appeals to the safety of wo- men have sanctioned the expansion of the police and prison regimes while conjuring the racist image of the Black male rapist.“ Jackie Wang, Against innocence. Race, Gender, and the Politics of Safety, o. O. 2014, S. 9.

9 Sanz 2010, S. 57.

10   Ebd.

11   Ebd., S. 57f. Wachsende soziale Ungleichheiten und der Abbau von sozialstaatlichen Strukturen führen unter anderem dazu, dass feminisierte Personen gewaltvolle Beziehungen nicht mehr verlassen können.Vgl. ebd., S. 58.

12 Vgl. ebd., S. 58.

13   Ebd.

14 Alex Vitale, The End of Policing (EPUB), London/New York 2017, Pos. 71.

15   Vitale 2017, Pos. 68. Vitale zitiert hier David Bayley, Police for the Future, Oxford 1996, S. 25–28. Brazzell argumentiert zudem, dass „Techniken wie Polizei, Gefängnis und Grenzen Gewalt (re)produzieren statt sie zu beenden.“ https://www.zeitschrift-luxemburg.de/sicherheit-von-links-der-transformative-justice-ansatz/, zuletzt abgerufen am 30. August 2021.

16 Alex Roslin, Police Wife. The Secret Epidemic of Police Domestic Violence, o. O. 2017, S. 6f. Meine Hervorhebung.

17 Sanz 2010, S. 58.

18   Lola Olufemi, Feminism, Interrupted. Disrupting Power, London 2020, S. 111.

19 Olufemi 2020, S. 113. Meine Hervorhebung.

20 Wang 2014, S. 4.

21 Ebd., S. 20.

22   Dass Schulungen zur Schaffung und Verbreitung von politischer oder kultureller Awareness etwas an rassistischen Polizeipraktiken ändern könnten, widerlegt Vitale. Vgl. Vitale 2017, Pos. 20. Das Problem ist auch nicht die mangelnde Diversität der Polizeikräfte: „Even the most diverse forces have major problems with racial profiling and bias, and individual black and Latino officers appear to perform very much like their white counterparts.“ Vitale 2017, Pos. 28.

23   Astrid Schilde, „white Men saving white Women from Men of Color“: rassistischer maskulinistischer Schutz in Deutschland, in: Melanie Brazzell (Hg.), Wasmacht uns wirklich sicher? Toolkit für Aktivist_innen, Berlin 2017, S. 64f, hier S. 65.

24 Wang 2014, S. 23.

25 https://www.zeitschrift-luxemburg.de/sicherheit-von-links-der-transformative-justice-ansatz/, zuletzt abgerufen am 30. August 2021

26   Ebd.

27 Ebd


Quelle: Lars Hardes, Against Carceral Feminism: Warum härtere oder höhere Strafen nichts gegen häusliche und sexualisierte Gewalt ausrichten können, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 13.12.2021, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=151