Global-mediale Verantwortung und Aufarbeitung rassistischer Darstellungen in Disney-Klassikern

Tilde Funk (SoSe 2023)

1. Einleitung

Als Kind bin ich mit einigen Disneyklassikern aufgewachsen, besonders gerne haben meine Geschwister und ich Das Dschungelbuch (Wolfgang Reitherman, USA 1967) und Aristocats (Wolfgang Reitherman, USA 1970) gesehen – so häufig, bis wir alle Lieder auswendig mitsingen konnten. Mittlerweile studiere ich im 7. Semester Filmwissenschaft an der FU und habe mich im Rahmen meines Studiums mit weiteren Disneyklassikern auseinandergesetzt, die ich in meiner Kindheit nicht gesehen habe.

Das im letzten Sommersemester angebotene ABV-Modul zu „Gender und Diversity: Decolonize! Intersektionale Perspektiven auf lokale und globale Machtverhältnisse“ hat mich einerseits stärker bezüglich kolonialer Geschichte und Kontinuität sensibilisiert, als auch Selbstreflektion angeregt. Von meinem jetzigen Standpunkt aus ergibt sich eine reflektiertere Sichtweise auf die filmischen Darstellungen in Disneyklassikern, die es im Folgenden zu analysieren gilt. Nachdem ich die global-mediale Verantwortung des Konzerns Disney umrahme, wird es um eine Auseinandersetzung mit stereotypen Darstellungsformen rassistischer Art anhand von ausgewählten Beispielen gehen, welche auf den filmischen Umgang mit Kolonialismus überleiten. Vor einem abschließenden Ausblick ist es für ein umfassendes Fazit wichtig, sich mit Strategien zur Aufarbeitung rund um das Thema auseinanderzusetzen und zu klären, inwiefern Disney seine eigenen Filme selbstreflektiv in einen problembewussten Kontext stellt.

Vor Beginn meiner Analyse möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen, da ich mehrere rassistische und sexistische Inhalte, die in den Filmen Disney’s verankert sind, benennen werde.

2. Global-mediale Verantwortung des Konzerns Disney

»When you take on a Disney animated feature, you know you’re going to be affecting entire generations of human minds.«[1]

Dieses Zitat der Drehbuchautorin Linda Woolverton, welche für The Walt Disney Company arbeitete, verdeutliche die gesellschaftliche Verantwortung und einflussreiche Position des Unternehmens auf globaler Ebene[2], dessen Einnahmen 2022 über 80 Milliarden US-Dollar betrug[3]. Hervorzuheben ist der seit 2019 angebotene Streaming-Dienst Disney+, der über 100 Millionen User:innen verzeichnen kann und in den nächsten Jahren wohl zum größten globalen Streaming-Anbieter heranwachsen mag[4]. Durch eine solche Position auf dem Weltmarkt ergibt sich meiner Auffassung nach eine gewisse mediale Verantwortung, beispielsweise bezogen darauf, welche Inhalte welchem Zielpublikum gezeigt werden. Mir ist es wichtig zu betonen, dass ein Unternehmen dieser Art sich stets selbst reflektieren und darüber hinaus eigenes Fehlverhalten aufarbeiten sollte. Als einige Faktoren für die global-mediale Verantwortung Disneys fasse ich inhaltliche Sorgfalt in Bezug auf gesellschaftliche Strukturen, Selbstreflektion und Aufarbeitung zusammen. 

3. Stereotype Darstellungsformen rassistischer Art

Im Seminar haben wir zum antiasiatischen Rassismus in Deutschland einen Artikel von Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer und Christoph Nguyen besprochen und diskutiert, der in der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde. Insbesondere wurde betont, dass jene Form von Rassismus kaum historisch aufgearbeitet ist[5]. Bei der Sichtung einiger Disney-Klassiker sind mir mehrfach antiasiatisch-rassistische Darstellungen aufgefallen, die in ihrer filmischen Umsetzung von stereotypen Diskriminierungsmustern geprägt sind. Bei Susi & Strolch (Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1955) zeichnen sich zwei Siamkatzen durch ihr hinterhältiges und manipulatives Verhalten aus. Diese negative Konnotation wird auf sprachlicher Ebene durch ein von ihnen gesungenes Lied verstärkt und mit ihrer kulturellen Identität in Verbindung gebracht, um ein rassistisches Bild zu kreieren: „Wir sind Siamesen und zwar echte, wir behandeln andere wie Knechte.“. Diese Formulierung lässt sich nur in der deutschen Synchronfassung, nicht in der US-amerikanischen Originalversion finden, jedoch zieht sich in letzterer eine lispelnde Betonung in Kombination mit Grammatikfehlern als rassistisches Stereotyp durch die Performance. Zu diesem Stereotyp lässt sich das identische Aussehen der Katzen, sowie die geschlitzte Form der Augen, große Schneidezähne und gelbes Fell hinzufügen[6]. Auf mich wirken die Katzen in ihren synchronen Bewegungen und Blicken unheimlich, sowohl beim ersten Sehen des Filmes in meiner Kindheit, als auch bei einer erneuten, aktuellen Sichtung. Auch in Aristocats  lässt sich eine ähnliche antiasiatisch-rassistische Darstellung finden. Die audiovisuelle Portraitierung der Figur wirkt wie eine Karikatur; sie gibt, mit stark geschlitzten Augen, Hasenzähnen und einer heraushängenden Zunge versehen, unverständliche und zusammenhangslose Laute von sich, während die anderen Figuren um sie herum im Kollektiv ein Lied singen. Dazu spielt sie mit Essstäbchen auf einer Klaviatur. Die dem Aussehen einer Siamkatze entsprechende Figur wird als Chinese Cat vorgestellt; nebenbei ist zu erwähnen, dass die Siamkatze ihren Ursprung ursprünglich im heutigen Thailand hat. In Aristocats handelt es sich bei der einzigen als asiatisch portraitierten Figur um eine rassistische, vermutlich zu humoristischen Zwecken, ins Lächerliche gezogene Darstellung.

Neben diesen genannten antiasiatisch-rassistischen filmischen Darstellungen lassen sich in den Disneyklassikern zahlreiche andere Formen rassistischer Kennzeichnungen finden. Auch Jahrzehnte später, in den 1990er-Jahren, vermittelt beispielsweise Aladdin (John Musker, Ron Clements, USA 1992) insbesondere durch zahlreiche brutale Figuren eine unsensible und unauthentische Darstellung der arabischen Kultur, die rassistische Vorurteile festige[7]. Wie ich zu Beginn erläuterte, war Das Dschungelbuch früher einer meiner Lieblingsfilme. Dass er von rassistischen Strukturen durchzogen ist, habe ich erst nach der aktuellen Sichtung für dieses Essay erkannt, nachdem ich ergänzend recherchiert habe. Im politischen Kontext des Entstehungszeitraumes Ende der 1960er-Jahre in den USA kann die Darstellung der Affenfiguren im Film als eine ins Lächerliche gezogene Karikatur der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung aufgefasst werden[8]. Speziell das Oberhaupt der Affenbande, King Louie, welcher das Lied „Ich wäre so gern wie du“ singst, wird hervorgehoben. Inhaltlich sind die Versionen der Liedtexte im Englischen und Deutschen fast identisch. King Louie wird gegenüber Mogli, dem menschlichen Protagonisten, herabgestuft und scheint sich gleichzeitig zu wünschen, jenem ebenbürtig zu sein. Im Englischen hat seine Synchronstimme einen afroamerikanischen Akzent – an dieser Stelle der Hinweis, dass der Synchronsprecher Louis Prima nicht afroamerikanischer Herkunft war. Disney lässt auf diese Art und Weise der audiovisuellen Darbietung, die durch Gesten primitiv erscheinenden Affen mit afroamerikanischen Menschen assoziieren. King Louie betont im sich schnell in einen Ohrwurm entwickelnden Lied mehrfach den Wunsch, zivilisierter zu sein und bestärkt somit das rassistische Stereotyp einmal mehr, unzivilisiertes Verhalten und fehlende Kompetenz mit schwarzen Menschen zu verknüpfen. In Dumbo (Ben Sharpsteen, USA 1941) hingegen singen schwarze Arbeiter „Wenn andere ins Bett gehen, schuften wir uns ab, bis wir sterben“, jedoch nicht etwa sich über die Umstände beschwerend, sondern in einem fröhlichen Tonfall mit heiterer Melodie, was als eindeutige Verharmlosung von Sklavenarbeit verstanden werden kann und auf koloniale Strukturen verweist. Interessant ist an dieser Stelle, dass die deutsche Synchronisation inhaltlich dramatischer erscheint; im Englischen heißt es hingegen: „When we get our pay, we throw our money all away.“ – hier wird den arbeitenden schwarzen Menschen ein kompetenter Umgang mit Geld abgesprochen. 

4. Umgang mit Kolonialismus

Ebenfalls zeigt sich ein filmisches Aufgreifen von Kolonialismus zum Beispiel in Pocahontas (Mike Gabriel, Eric Goldberg, USA 1995) und Peter Pan (Hamilton Luske, Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, USA 1953). Während in Pocahontas die Synchronstimmen von Native Americans im Original gesprochen wurden, wurde hingegen der Inhalt der Erzählung in historischer Sicht faktisch falsch wiedergegeben und idealisiert, was für Kritik sorgte und zum Vorwurf der Geschichtsverfälschung führte[9]. Die Konfliktparteien, kolonialistisches Gedankengut durchzusetzen versuchende Engländer und amerikanische Ureinwohner, werden deutlich gegenübergestellt und bekämpfen sich innerhalb der Handlung gegenseitig, sodass das Konzept des Kolonialismus negativ konnotiert wird. Meiner Auffassung nach tritt jedoch die idealisierte Liebeserzählung von Pocahontas und John Smith zu sehr in den Vordergrund, sodass die koloniale Geschichte Amerikas heruntergebrochen wird. Ein stereotypes rassistisches Klischee der Ureinwohner wird visuell aufgegriffen, indem ihre Haut rötlich animiert ist. Auffällig und ebenfalls problematisch ist, dass die Protagonistin Pocahontas in etwas hellerer Haut dargestellt wird und wie viele weibliche Disney-Figuren sexualisiert wird. In Peter Pan werden in der Handlung ebenfalls Indigene durch eine rote Hautfarbe und die Bezeichnung als „Rothäute“ rassifiziert. Ein weiteres Beispiel für die koloniale Darstellung einer Figur lässt sich in Tarzan (Kevin Lima, Chris Buck, USA 1999) finden. Der Kolonialismus findet sich in der Inszenierung der menschlichen Figur Tarzans insofern wieder, als dass jener am Ende der Erzählung Anführer der Affengruppe wird, die ihn großgezogen hat. Er hat von ihnen profitiert und sie dennoch in Gefahr gebracht, da er den Forscher Mr. Porter, seine Tochter, spätere Geliebte Tarzans, Jane und den Jäger Clayton zu den Affen geführt hat, wobei bei letzterem das kolonialistische Gedankengut am deutlichsten wird und in einem Kampf mit den Affen mündet. Offensichtlich durch die Tatsache, dass es sich um britische Figuren handelt, und wenn wir die Affen ähnlich wie schon im Dschungelbuch als „colonized natives“[10] verstehen, ergibt sich der koloniale Kontext. Dadurch, dass Jane, ihr Vater und Tarzan bei den Affen bleiben und insbesondere letzterer zum Anführer der Gruppe wird, ergibt sich eine koloniale Kontinuität im vermeintlichen Happy End, da der inszenierte Bösewicht Clayton gestorben ist. Jene Kontinuität ergibt sich im Ausblick auch dadurch, dass mögliche Kinder von Tarzan und Jane die Führungsposition innerhalb der Affengruppe mit größter Wahrscheinlichkeit einnehmen würden. Dadurch, dass die Erzählung lokal-geographisch und temporal nicht genau umrahmt wird[11], sich jedoch eindeutig aus einer westlichen Perspektive heraus entwickelt – und im bekannten Stil Disneys zum wiederholten Male mit Tierfiguren statt menschlichen, verschiedenen Kulturen zugehörigen, Figuren gearbeitet wird, mag der Vorwurf dieser kolonialen Darstellung entkräftigt werden, obgleich er so offensichtlich scheint.

5. Aufarbeitung

Nach einer analytischen Umrahmung der verschiedenen rassistischen Darstellungsformen von Figuren, die Stereotype bekräftigen und dahingehend zur Verfestigung von rassistischen Vorurteilen führen können, stellt sich die Frage, inwiefern jene zutiefst falsche und diskriminierende Formen vom Konzern Disney aufarbeitet werden. Wenn Menschen mit rassistischem filmischem Material aufgewachsen sind, sollten sie darüber informiert werden, denn als Kinder werden wir von den uns emotional affizierenden Filmen auf eine gewisse Art und Weise geprägt und können Informationen über beispielsweise Weltanschauungen diesen Formaten entnehmen, was insbesondere dann gefährlich ist, wenn unbewusst rassistische Bilder verinnerlicht werden und somit theoretisch weiter projiziert werden können.

Seit 2019 wird auf der Streaming-Plattform Disney+ vor bestimmten Filmen, wie unter anderem Aristocats, Das Dschungelbuch, Dumbo und Peter Pan, ein warnender Hinweis vor Beginn des Vorspanns eingeblendet, der auf rassistische Darstellungen verweist und jene als falsch einstuft. Im Englischen lautet dieser:

„This programme includes negative depictions and/or mistreatment of people or cultures. These stereotypes were wrong then and are wrong now. Rather than remove this content, we want to acknowledge its harmful impact, learn from it and spark conversation to create a more inclusive future together. Disney is committed to creating stories with inspirational and aspirational themes that reflect the rich diversity of the human experience around the globe. To learn more about how stories have impacted society visit: www.Disney.com/StoriesMatter”.

Seit Januar 2021 haben Kinderprofile, für alle User:innen unter 12 Jahren, keinen Zugriff mehr auf all die Filme, die mit einer solchen Warnung ausgestattet sind. Es lässt sich diskutieren, ob die Filme komplett aus dem Sortiment genommen werden oder nur mit warnenden Hinweisen versehen werden sollten. Meiner Auffassung nach war die Entscheidung, jene Filme für Kinderprofile zu sperren, vernünftig und notwendig. Kinder werden so davor geschützt, rassistische Darstellungen und diskriminierende Werte unbewusst aufzunehmen und anschließend selbst zu reproduzieren. Zusätzlich werden sie davor geschützt, selbst Diskriminierungserfahrungen beim Sichten der Filme zu durchleben. Die Filme mit Warnungen zu versehen und für Jugendliche und Erwachsene weiterhin zur Verfügung zu stellen empfinde ich als richtig und äußerst wichtig, um die historische Aufarbeitung weiter in Gang zu setzen, Fehler klar zu benennen und den Zuschauer:innen eine Selbstreflektion im Sehprozess zu ermöglichen. Außerdem ist es wichtig, eine Art der Triggerwarnung zu geben, damit von Diskriminierungsmustern betroffene Personen selbst entscheiden können, ob sie das Material sichten wollen oder sich bewusst vor einer Konfrontation schützen wollen.

Meinem Eindruck nach bemüht sich Disney, rassistische Darstellungen als falsch zu benennen und genau zu erklären, beispielsweise wird auf der verlinkten Internetseite genaueres zu Peter Pan verfasst:

­„The film portrays Native people in a stereotypical manner that reflects neither the diversity of Native peoples nor their authentic cultural traditions. It shows them speaking in an unintelligible language and repeatedly refers to them as „redskins,“ an offensive term. Peter and the Lost Boys engage in dancing, wearing headdresses and other exaggerated tropes, a form of mockery and appropriation of Native peoples‘ culture and imagery”.

Das Unternehmen Disney sensibilisiert für sein eigenes Fehlverhalten, indem es selbstreflektierend seine Diskriminierungsmechanismen aufarbeitet und inhaltlich transparent in den neuen Produktionen darauf achtet, diversen Repräsentationen von Minderheiten Raum zu geben, die strukturell nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft entsprechen und ein Identifikationspotenzial mit sich tragen. Zwei recht aktuelle Animationsfilmbeispiele, die ich positiv hervorheben möchte sind Vaiana (Ron Clements, John Musker, USA 2016), welcher 2017 für den Oscar als bester Animationsfilm nominiert wurde, und Raya und der letzte Drache (Don Hall, Carlos López Estrada, USA 2021). In beiden Filmen steht eine weibliche, Protagonistin of Colour im Vordergrund, die selbstbewusst Abendteuer erlebt, ohne auf männliche Nebenfiguren angewiesen zu sein. Das großer Wert auf Diversität gelegt wird, zeigt sich nicht nur in den animierten Figuren, sondern auch in der Besetzung der Sprechrollen. So spricht beispielsweise die gebürtige Hawaiianerin Auliʻi Cravalho die Figur der Vaiana. Der nach ihrer Figur benannte Film wurde auch auf Tahitianisch, einer polynesischen Sprache, synchronisiert, da der filmische Handlungsort auf einer polynesischen Insel lokalisiert ist. Die Regisseure haben in der Vorproduktion kulturell, historisch und mythologisch direkt vor Ort intensiv recherchiert, um einen authentischen Film zu produzieren[12]; im Gegensatz zu ihrer Arbeit für Aladdin, haben sie ihren Horizont umfassend erweitert.

6. Fazit und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Unternehmen Disney seit seiner Entstehung zahlreiche Filme veröffentlicht hat, die rassistische Stereotype audiovisuell darstellen. Viele aus dem vergangenen Jahrhundert stammende Klassiker beinhalten solche Formen der Diskriminierung bestimmter Gruppen, genauer gesagt, Minderheiten in einer weiß-positionierten Mehrheitsgesellschaft. Die technischen Möglichkeiten der Animationen bieten einerseits Chancen als auch Probleme: aktuelle Projekte zeigen die detaillierte Repräsentation von Minderheiten mit Identifikationspotenzial für das Publikum, andererseits wurden in der Vergangenheit vorwiegend Tierfiguren zu rassistischen Zwecken instrumentalisiert, um beispielsweise bestimmte Bevölkerungsgruppen, bestimmte Kulturen, deutlich voneinander abzugrenzen und kolonialen Strukturen Raum zu geben. Früher habe ich nie verstanden, warum in Das Dschungelbuch Mogli am Ende nicht mit seinen tierischen  Freunden aus dem Dschungel sein Leben verbringen kann, sondern ins Menschendorf zieht. Heute verstehe ich, dass aufgrund der sich durch den gesamten Film so deutlich durchziehenden rassistischen Strukturen von den Produzierenden des Konzerns genau das gewollt zu sein scheint – nämlich klare Grenzen zwischen aufgrund ihrer kulturellen Identität als verschieden angesehenen Individuen zu ziehen. Derartige Darstellungen zu vermitteln ist für eine Gesellschaft mit allen ihren Mitglieder:innen äußerst gefährlich und im Nachhinein schockiert es mich, dass ich durch das Singen von Liedern aus diesem Film unbewusst rassistische Inhalte reproduziert habe. Meinen eigenen Kindern werde ich diese Filme mit rassistischem Inhalt nicht zeigen, für eine historische Einordnung sind sie jedoch für Erwachsene wichtig.

Ich wünsche mir, dass Disney noch umfassender kontinuierlich an der Aufarbeitung derartiger Inhalte arbeitet und weiterhin neue Erzählungen produziert, die viel Wert auf Diversität legen – gerade weil die Filme global einen solchen Erfolg verzeichnen, ist es wichtig, sich als mediales Unternehmen bewusst zu sein und immer wieder daran zu erinnern, in welcher Verantwortung man selbst steht.

7. Literaturverzeichnis

Anon (2001). The Return of the Empire: Representations of Race, Ethnicity and Culture in Disney’s Tarzan and The Jungle Book, and in the Burroughs and Kipling.

Byrne, Eleanor & McQuillan, Martin (1999). Deconstructing Disney. London: Pluto Press.

Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION.

Giroux, Henry & Pollock, Grace (2010). The mouse that roared. Disney and the end of  innocence. Lanham: Rowman & Littlefield.

Kilpatrick, Jacquelyn (1999). Celluloid Indians. Native Americans and film. Lincoln: University of Nebraska Press.

Internetquellen

https://www.statista.com/topics/1824/disney/#topicOverview. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer   rassismus-in-deutschland/. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

https://storiesmatter.thewaltdisneycompany.com. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).

https://www.deutschlandfunkkultur.de/disney-animationsfilm-vaiana-die-prinzessin-die-diewelt-100.html. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).

Filmographie

Aladdin (John Musker, Ron Clements, USA 1992).

Aristocats (Wolfgang Reitherman, USA 1970).

Das Dschungelbuch (Wolfgang Reitherman, USA 1967).

Dumbo (Ben Sharpsteen, USA 1941).

Peter Pan (Hamilton Luske, Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, USA 1953).

Pocahontas (Mike Gabriel, Eric Goldberg, USA 1995).

Raya und der letzte Drache (Don Hall, Carlos López Estrada, USA 2021).

Susi & Strolch (Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske, USA 1955).

Tarzan (Kevin Lima, Chris Buck, USA 1999).

Vaiana (Ron Clements, John Musker, USA 2016).


[1] Kilpatrick, Jacquelyn (1999). Celluloid Indians. Native Americans and film. Lincoln: University of Nebraska Press. S. 154.

[2] Vgl.: Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION. S.31.

[3] Vgl.: https://www.statista.com/topics/1824/disney/#topicOverview. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

[4] Vgl.: ebd.

[5] Vgl.: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland/. (Letzter Zugriff am 2.12.2023).

[6] Vgl.: Byrne, Eleanor & McQuillan, Martin (1999). Deconstructing Disney. London: Pluto Press.

[7] Vgl.: Cußler, Jonas (2018). Disney und Rassismus-Vorwürfe. TELEVIZION. S.32.

[8] Vgl.: ebd.

[9] Vgl.: ebd. / Vgl.: Giroux, Henry & Pollock, Grace (2010). The mouse that roared. Disney and the end of innocence. Lanham: Rowman & Littlefield.

[10] Anon (2001). The Return of the Empire: Representations of Race, Ethnicity and Culture in Disney’s Tarzan and The Jungle Book, and in the Burroughs and Kipling, S, 7.

[11] Vgl.: ebd., S.12.

[12] Vgl.: https://www.deutschlandfunkkultur.de/disney-animationsfilm-vaiana-die-prinzessin-die-die-welt-100.html. (Letzter Zugriff am 3.12.2023).


Quelle: Tilde Funk, Global-mediale Verantwortung und Aufarbeitung rassistischer Darstellungen in Disney-Klassikern, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 23.01.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=434

Arielle, die Schwarze, dänische Meerjungfrau

Sofia Bucher (SoSe 2021)

Einer meiner liebsten Kinderfilme ist „Arielle, die kleine Meerjungfrau“. In diesem bekannten Disneyfilm geht es um die gleichnamige Protagonistin Arielle, die durch ihre roten Haare und helle Haut auffällt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Unterwasserstadt Atlantica, die irgendwo im Atlantik verortet wird. Ihr größter Wunsch ist es allerdings, an Land zu leben und ein Mensch sein zu dürfen. Nachdem sie sich in einen menschlichen Prinzen verliebt, wagt sie den Schritt ein Leben an Land zu beginnen. Als Kind fand ich die Story sehr rührend. Ich konnte mich mit Arielle gut identifizieren. Die letzte Filmversion von Arielle wurde 1989 veröffentlicht und ist dementsprechend ein wenig veraltet. Als Disney 2019 ankündigte eine Realverfilmung von Arielle zu produzieren, war ich sehr erfreut. Die Schauspielerin und Sängerin Halle Bailey sollte die Rolle der Arielle übernehmen. Die Auswahl sorgte teilweise für Aufruhr, da Halle Bailey Schwarz ist. Insofern verbildlicht sie nicht mehr Arielles roten Haare und ihre blasse Haut. Die Differenz zwischen dem Aussehen von Halle Bailey und dem traditionellen Bild von Arielle führte auch in meinem sozialen Umfeld zu Diskussionen. Die Frage, ob ich Halle Bailey als Besetzung für Arielle angebracht finde, beantwortete ich damals mit „Nein“. Als langer Fan kam es mir nicht richtig vor, in der Realverfilmung auf Arielles roten Haare und die blasse Haut zu verzichten. Meine Argumentation bezog sich vor allem auf ihre Haare, so sei eine blonde oder brünette Arielle genauso unpassend. Während des Gesprächs merkte ich zwar, dass mir die Tiefe für weitere Argumente fehlte, trotzdem blieb ich vorerst bei meiner Meinung. Da das Thema auch im Allgemeinen nicht besonders relevant für mich erschien, dachte ich zunächst nicht weiter darüber nach.

In diesem Essay möchte ich über Halle Bailey als Schwarze Arielle schreiben, und warum diese Besetzung nicht nur passend, sondern auch notwendig ist. Dazu setze ich die Neuverfilmung Arielles in einen Zusammenhang mit alten rassistischen Produktionen Disneys. Zudem möchte ich eine Reflektion über die Entwicklung meines eigenen Standpunkts im Zeitraum der letzten zwei Jahre beschreiben. Dabei thematisiere ich die Aufarbeitung meiner eigenen Rassismen auch im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung.

Die erste wichtige These in diesem Essay lautet also: Halle Bailey ist für Arielle die richtige Besetzung. Unter dem Hashtag #notmyariel sammeln sich im Internet Kritiken, die sich auf die Haut- und Haarfarbe Halle Baileys beziehen. Arielle sei Dänin und somit sei ihre Schwarze Hautfarbe unpassend. Disney gab dazu im Juli 2019 über den Twitteraccount „Freeform“ ein Statement ab: Der Autor sei zwar Däne, aber der fiktive Charakter Arielle lebe in der Unterwasserstadt Atlantica im Atlantik und sei von weltlichen Nationalitäten ungebunden. Zudem gäbe es auch Schwarze Dän:innen und daher seien auch Schwarze dänische Meerjungfrauen in der Fiktion möglich. Weiterhin verwies Disney auf das herausragende Talent Halles und bedeutete den Kritikern auf dieses das Augenmerk zu legen, statt auf die angeblich nicht passende Hautfarbe (Freeform, 2019).

Dass Disney so auf rassistische Anfeindungen an eine ihrer Schauspieler:innen reagiert ist erfreulich, aber nicht unbedingt selbstverständlich. In der Vergangenheit musste Disney selbst mit Rassismusvorwürfen umgehen. In der Kritik standen einige Disneyproduktionen, beispielsweise „das Dschungelbuch“ oder „Dumbo“. Die Darstellung von Kulturen sei in diesen Filmen problematisch. Disney verwendet in seinen Produktionen das stilistische Mittel Anthropomorphismus, indem menschliche Eigenschaften auf Tiere übertragen werden. Die Darstellung der Tiere reproduziert Stereotype von verschiedenen, oft marginalisierten, Kulturen. Ein Beispiel hierfür ist der Affe „King Louis“ aus „das Dschungelbuch“. Der Affe verkörpert typische Eigenschaften eines Schwarzen Menschen. Erkennbar wird dies durch den gesprochenen Slang oder auch King Louis´ Vorliebe zum Jazz. Der Affe als Karikatur eines Schwarzen ist zudem eine leider sehr übliche, rassistische Darstellung. King Louis singt im Film: „I wanna be like you“. Er wäre gerne ein Mensch. Hierbei spielt vor allem der zeitliche Kontext des Films eine Rolle. Das Dschungelbuch erschien 1967 in den USA, zu Zeiten Schwarzer Revolution und Bürgerrechtsbewegung. Die Darstellung des King Louis ist wie eine sehr unangebrachte Satire dieses Strebens nach Gleichberechtigung (Willmann, o. D.).

Der 1941 erschienene Disneyklassiker „Dumbo“ beginnt mit einer Szene, in der Schwarze Männer ein Zirkuszelt aufbauen. Die Schwarzen Männer haben kein Gesicht und somit keinen individuellen Charakter. Während der Arbeit singen sie den „Song of the Roustabouts“:

We work all day, we work all night, we never learned to read or write, we´re happy-hearted roustabouts. […] We slave until we´re almost dead, we´re happy-hearted roustabouts. […] We don´t know when we get our pay, and when we do, we throw our pay away, we get our pay when children say with happy hearts: It´s circus day today. […] Grab that rope, you hairy ape!

Disney, Sharpsteen, 00:13:24-00:15:12

Der Text erweckt den Eindruck, die Hilfsarbeitenden würden die harte Arbeit unter schlechten Bedingungen gerne machen und dabei fröhlich sein. Sie müssen arbeiten, bis sie fast tot umfallen und sie wissen auch nicht, wann sie für ihre Arbeit entlohnt werden. Jedoch mache es ihnen nichts aus, weil glückliche Kinder im Zirkus Lohn genug sind. Dass sie den Lohn direkt wieder „zum Fenster rauswerfen“, bedient weitere abwertende Stereotype von Schwarzen. Zum Ende des Lieds wird ein „haariger Affe“ dazu aufgefordert, ein Seil zu packen. Zum einen wiederholt sich hier das rassistische Symboldbild des Affens, wenn über Schwarze gesprochen wird. Zum anderen werden hier schlechte Arbeitsbedingungen verharmlost. Schwarze seien mit ihrer Position in der Gesellschaft zufrieden, weil die Freude von Weißen (hier weißen Kindern) ihnen genug Lohnt bringt. Später im Film gibt es weitere Formen von Anthropomorphismus. Die Krähen, die dem Protagonisten Dumbo beim Fliegen helfen, symbolisieren erneut stereotypische Eigenschaften von Afroamerikaner:innen. Erkennbar wird dies wieder durch den gesprochenen Slang, einem südlichen Akzent und schlechter Grammatik (Willets, 2013). Der Anführer der Krähen trägt den Namen Jim Crow. Dieser Name verweist auf die Jim-Crow-Ära (ca. 1877- 1965) in den USA. Wichtig für die Zeit waren die Jim-Crow Gesetze. (Triggerwarnung: Sehr menschenverachtende Weltansicht) Die Ideologie hinter den Gesetzen beschreibt Schwarze als minderwertig, und probiert so die „Rassentrennung“ und Ungerechtigkeiten gegenüber der Schwarzen Bevölkerung zu legitimieren. Die Minderwertigkeit Schwarzer zeige sich durch verminderte Intelligenz, schlechter Moralvorstellungen und unzivilisiertem Verhalten. Eine Gleichstellung von Weißen und Schwarzen würde zu ungewollten sexuellen Beziehungen führen. Dies wiederum führe zur „gemischten Rasse“, was in der Zerstörung der USA enden würde. Um dies zu verhindern, bestimmen die Jim-Crow-Gesetze den Umgang mit Schwarzen. Schwarze durften Weißen nicht die Hand anbieten, Frauen nicht zu nahekommen, oder gemeinsam mit Weißen an einem Tisch sitzen. Auch Intimität unter Schwarzen Menschen sei in der Öffentlichkeit verboten, da diese weiße Menschen beleidigen könnte (Pilgrim, 2012). Solche und ähnliche Verhaltensregeln bestimmten das Leben von Schwarzen Menschen. Den Raben in Dumbo nach dieser Ära zu benennen, ist demnach sehr bedeutungsträchtig.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass in Disneyfilmen marginalisierte Gruppen und diverse Kulturen sehr stereotypisch dargestellt werden. Die fehlende Repräsentation von Diversität auch innerhalb einer Kultur ist ein Problem. Dabei geht es nicht nur um das Fehlen von BIPoC-Charakteren, sondern um die einseitige Darstellung. BIPoC-Charaktere übernehmen immer wieder dieselben Rollen und bedienen damit immer gleichbleibende Narrative, wodurch die Gefahr einer „Single Story“ entsteht. Der Begriff ist geprägt durch Chimamanda Ngozi Adichie. Adichie ist eine nigerianische Schriftstellerin, die sich selbst als Geschichtenerzählerin beschreibt. Über Single Stories spricht sie 2009 in dem TedTalk „The Danger of a Single Story“. Eine Single Story entstehe, wenn eine gleiche Geschichte immer wieder erzählt werde. Wenn Charakteren mit einer bestimmten Herkunft oder Aussehen in Filmen oder Serien immer dieselben Charaktereigenschaften zugeschrieben werden, entsteht beim Rezipienten ein sehr einseitiges Bild. So wird davon ausgegangen, dass Menschen, die ein bestimmtes Aussehen haben, sich auch dementsprechend verhalten: „So that is how to create a single story, show a people as one thing, as only one thing, over and over again, and that is what they become“ (Adichie, 2009, 09:17). Als Beispiel für eine Single Story erzählt die nigerianische Adichie, wie sie zum Studieren in die USA zieht. Ihre Mitbewohnerin konfrontiert sie dort mit sehr spezifischen Erwartungen. Sie ist überrascht, dass Adichie fließend Englisch spricht, obwohl Englisch die Amtssprache Nigerias ist. Als Musikgeschmack erwartet die Mitbewohnerin traditionelle, nigerianische Musik und ist wieder überrascht, dass Adichie gerne Mariah Carey hört. Adichie merkt, dass die Mitbewohnerin ihr nicht nur voreingenommen gegenübertritt, sondern sogar Mitleid mit ihr hat, bevor das erste Gespräch zustande kommen konnte. Adichie wird in diesem Moment das Opfer einer Single Story. Das Bild von Afrikaner:innen ist vor allem durch westliche Literatur und Medien geprägt, die ein sehr einseitiges Bild präsentieren Menschen, die in Armut und unter schlechten Lebensbedingungen leben und Kriege führen.  Menschen, die nicht für sich selbst sprechen können und einen Weißen brauchen, der sie rettet. Durch diese Voreingenommenheit war es den Beiden unmöglich, sich auf Augenhöhe zu begegnen (Adichie, 2009).

Disneycharaktere wie „King Louis“ aus „das Dschungelbuch“, die Schwarzen Hilfsarbeiter, die in „Dumbo“ nachts ein Zelt aufbauen, oder auch Jim Crow sind ein Teil von der Single Story, die über Schwarze erzählt wird. Indem Kinder diese Filme sehen, werden Rassismen immer weiter reproduziert. Obwohl „Rassentrennung“ offiziell abgeschafft ist und Schwarze Menschen gesetzlich gleichgestellt sind, bleiben abwertende stereotypische Vorstellungen von marginalisierten Gruppen tief in den Köpfen der Menschen, und so in der Gesellschaft erhalten. Disney erkennt dieses Problem an und reagiert mit der „Stories-Matter“ Kampagne. Disney selbst erklärt den Inhalt der Kampagne so:

Stories shape how we see ourselves and everyone around us. So as storytellers, we have the power and responsibility to not only uplift and inspire, but also consciously, purposefully and relentlessly champion the spectrum of voices and perspectives in our world. […] Because happily ever after doesn´t just happen. It takes effort. Effort we are making.

The Walt Disney Company, Stories Matter, o. D

Im Zuge der Kampagne untersucht Disney seine Produktionen auf diskriminierende Inhalte. Anstatt die Filme jedoch zu löschen, versehen sie problematische Inhalte mit einer Warnung: Das nachfolgende Programm enthalte „eine nicht korrekte [Darstellung und] Behandlung von Menschen oder Kulturen“ (The Walt Disney Company, Stories Matter, o. D). Zudem wird auf die Internetseite Disneys verwiesen, die die Kampagne „Stories-Matter“ beschreibt. Dort finden Interessierte detaillierte Ausführungen über problematische Inhalte in exemplarischen Disneyproduktionen. Disney wünsche sich mit dieser Geste Diskussionen anzuregen. Die Geschichte könne im Nachhinein nicht mehr geändert werden. Die Filme zu löschen und so zu tun als sei nie etwas passiert sei die falsche Botschaft. Stattdessen müssen Rassismen aktiv aufgearbeitet, statt vergessen werden. Zur Aufarbeitung seien externe Experten hinzugezogen worden (The Walt Disney Company, Stories Matter, o. D).

Disneys Verpflichtung zu mehr Diversität, Inklusion und Repräsentation kann neben den Warnungen bei alten Filmen besonders gut durch neue Produktionen umgesetzt werden. Neu- und Realverfilmungen von Disneyklassikern sollten hierfür als Chance begriffen werden. In der Originalfassung „Arielle die Meerjungfrau“ von 1989 gibt es zwar keine stereotypische Darstellung von BIPoC-Charakteren, allerdings fehlt hier die Repräsentation komplett. In der Unterwasserstadt „Atlantica“ leben ausschließlich weiße Meermenschen. Auch der Menschenprinz Eric und seine Familie sind weiß. Im Film Arielle werden zwar keine stereotypischen Eigenschaften von Schwarzen reproduziert, jedoch ist die fehlende Repräsentation genauso schädlich. In der Realverfilmung konnte dieses Versäumnis aufgeholt werden, indem Rollen inklusiver besetzt wurden. Eine Schwarze Meerprinzessin, bei der keine üblichen Narrative bedient, oder Rollenklischees ausgefüllt werden.

Um diese Entwicklung als Erfolg anerkennen zu können, braucht es eine Sensibilisierung für gesellschaftlich aufrechterhaltene Rassismen und Diskriminierungen. Zuerst muss das Problem erkannt werden, bevor ein Lösungsschritt seine Relevanz zeigt. Mein Weg dieser Sensibilisierung und Aufarbeitung eigener rassistischer Denkmuster möchte ich an diesem Beispiel reflektieren. Vor zwei Jahren hätte ich Arielle gerne rothaarig und weiß gehabt, da ich wollte, dass sie genauso aussieht wie in dem Originalfilm von 1989. Während meiner Kindheit konnte ich mich mit einigen Disneyprinzessinnen identifizieren, da sie so aussahen wie ich: weiß und blond. Dass diese Identifikationsmöglichkeit ein Privileg ist, habe ich nicht erkannt. Infolgedessen habe ich auch das dahinterliegende Problem nicht realisiert. Auch in meiner Argumentation vor zwei Jahren, habe ich nicht berücksichtigt, dass es ein grundlegendes Inklusions- und Repräsentationsdefizit in Disneys Klassikern gibt. Auch dass ich mich nicht zwangsläufig mit Rassismus auseinandersetzen musste, ist ein Privileg. Dieses Privileg teile ich mir mit anderen weiß-positionierten Menschen. Zuletzt möchte ich in diesem Essay ausführen, wie ich als weiß-positionierter Mensch mit Rassismus umgehen kann und welche Rolle meine Perspektive spielt.

Sowie sich Schwarz nicht unbedingt auf die Hautfarbe bezieht, beschreibt Weißsein eine soziale Position. Die Position sollte immer im Kontext alter kolonialer Machtstrukturen betrachtet werden. Privilegien von Weißen konnten nur entstehen, indem Schwarze Menschen ausgebeutet wurden. Die Legitimierung der Ausbeutung erfolgte über das Herabsetzen von Schwarzen Menschen. Denkweisen und Machtstrukturen wie diese, haben sich bis heute erhalten. Immer noch profitieren weiße Menschen, während BIPoC in vielen Hinsichten benachteiligt sind. Diese Benachteiligung erfolgt oft auf struktureller Ebene und ist somit nicht immer leicht zu erkennen oder zu begreifen. Rassismus ist insofern oft auch kein absichtsvolles Verhalten, sondern etwas, dass unbewusst geschieht. Bei der Bekämpfung von Rassismus spielt diese Erkenntnis eine große Rolle. Menschen mit weißer Positionierung werden in bestimmte Machtstrukturen reingeboren. Sie werden in einer rassistischen Welt sozialisiert und übernehmen automatisch diskriminierende Denkstrukturen. Rassismus wird so auf einer unbewussten Ebene erlernt. Es erfolgt keine bewusste Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Im Gegensatz dazu erfordert die Überwindung ein aktives Verlernen (Bönkost, 2016). Dies stellt weiße Menschen vor eine emotionale Herausforderung: Die einzige Begegnung, die man als weißer Mensch mit Rassismus hat, ist die der Verteufelung. Das Schlechte in Rassismus zu sehen kann jeder. Schwierig ist jedoch die Anerkennung des Mitwirkens am Problem und eigene verinnerlichte Rassismen. Weiße Sozialisierung bedeutet Rassismus zu verleugnen, „farbenblind“ zu werden und so weiße Privilegien aufrecht zu erhalten. Die eigene Position wird nicht mehr als weiß wahrgenommen, da (angeblich) gar keine Position bezogen wird. Diese Sozialisierung erschwert später die Beschäftigung mit Rassismus. Die Konfrontation mit dem Thema ist emotional belastend. Zu diesen Emotionen gehören Scham, Wut, Ängste und vor allem auch Ablehnung. Dies führt zu dem Einnehmen einer Abwehrhaltung und die Beschäftigung mit Rassismus wird zunehmend schwieriger (Engelhardt, 2018).

Als ich über Arielles Besetzung in der Realverfilmung diskutiert habe, habe ich meine eigene Position nicht als eine Weiße erkennen können. Ich habe auch das Rassismusproblem in dieser Debatte nicht erkannt. Die Konfrontation mit der Kritik an meiner Haltung löste bei mir zuerst Unbehagen aus. Ich fühlte mich zu Unrecht beschuldigt, da ich mich selbst nicht als rassistischen Menschen gesehen habe. Infolgedessen verhärtete sich meine Position als Abwehrreaktion. Im folgenden Jahr 2020 wurde es mir allerdings unmöglich, den Rassismus in Deutschland weiter zu ignorieren. Die Black-Lives-Matter-Bewegung gewann nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd auch in Deutschland an Popularität und füllte meinen Social-Media-Feed. Besonders oft begegnete mir der Satz: Wenn du nicht antirassistisch bist, bist du rassistisch. Nachdem ich die anfänglich unbehaglichen Gefühle beiseiteschieben konnte, informierte ich mich über Rassismus in Deutschland. Durch die Beschäftigung mit dem Thema wurde mir die Problematik erst mehr und mehr bewusst. Erst durch das Anerkennen von Rassismus als Problem und meiner eigenen weißen Positionierung konnte ich mir meine eigenen Rassismen eingestehen. Ich habe erkannt, dass antirassistisches Verhalten ein langer Weg ist, an dem aktiv und langfristig gearbeitet werden muss. Auch die Recherche für diesen Essay hat mich erneut motiviert weiter an mir zu arbeiten.

Literaturverzeichnis

Adichie, C. (2009). The danger of a single story. [Video]. Ted. https://www.ted.com/talks/chimamanda_ngozi_adichie_the_danger_of_a_single_story/transcript

Bönkost, J. (2016). Weiße Emotionen – Wenn Hochschullehre Rassismus thematisiert. IDB Paper. No.1, https://diskriminierungsfreie-bildung.de/wp-content/uploads/2016/07/IDB-Paper-No-1_Wei%C3%9Fe-Emotionen.pdf

Disney, W. (Produktion), & Sharpsteen, B. (Regisseur). (1941). Dumbo [Film]. USA.

Engelhardt, A. A. (2018). Raus aus Happyland: Zum Umgang mit Scham in der rassismuskritischen Bildungsarbeit (Masterarbeit, Sigmund Freud Privat Universität Berlin). WUS. https://www.wusgermany.de/de/wus-service/wus-aktuelles/wus-foerderpreis/wus-foerderpreis-2019/raus-aus-happyland-zum-umgang-mit-scham-der-rassismuskritischen-bildungsarbeit-0

Freeform. [FreeformTV]. (2019, 7.Juli). An open letter to the Poor, Unfortunate Souls [Tweet] [Link enthalten]. Twitter. https://twitter.com/FreeformTV/status/1147647797732106240

Pilgrim, D. (2012). What was Jim Crow. Ferris State University. Jim Crow Museum of Racist Memorabilia. https://www.ferris.edu/jimcrow/what.htm

The Walt Disney Company. (o. D.) Stories Matter. https://storiesmatter.thewaltdisneycompany.com/

Willets, K. R. (2013). Cannibals and Coons: Blackness in the Early Days of Walt Disney. In J. Cheu (Hrsg.), Diversity in Disney films : critical essays on race, ethnicity, gender, sexuality and disability (1. Aufl., S. 9-22). London, UK: MacFarland & Company, Inc.

Willmann, T. (o. D.) Das Dschungelbuch. Artechock. https://www.artechock.de/film/text/kritik/d/dschun.htm#oben


Quelle: Sofia Bucher, Arielle, die Schwarze dänische Meerjungfrau, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 10.01.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2022/01/10/arielle-die-schwarze-daenische-meerjungfrau/