Anwendung auf das Beispiel Ruanda und den Völkermord 1994
Paula Härtge (SoSe 2023)
Einleitung
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird zur Frau gemacht.”
Mit diesen Worten beschreibt Simone de Beauvoir, dass das soziale Geschlecht ein Konstrukt ist, dem gesellschaftliche Ideale und Überzeugungen zugrunde liegen. Frauen weltweit versuchen, ihren Alltag innerhalb dieses Konstrukts zu gestalten und immer wieder gibt es Bestrebungen, das Konstrukt aufzulösen. Doch auch 2023 zeigt der Global Gender Gap Report, dass die Lücke zur Parität erst um 68,4% geschlossen ist und wenn sich der Fortschritt im aktuellen Tempo weiterentwickelt, wird die Welt erst in 131 Jahren paritätisch sein.[1]
In Konflikt- und Kriegssituationen ändern sich Lebensrealitäten enorm, Normen und Werte verschieben sich. Dies wirkt sich auch auf die Alltagserfahrung von Frauen aus. Diskriminierung ihnen gegenüber verstärkt sich, sie sind verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt und agieren dennoch sowohl als Täterinnen und Opfer. Anhand des Völkermords in Ruanda, der sich 1994 ereignete und das Land in Schrecken zurückließ, wird in der folgenden Arbeit analysiert, wie Frauen Konfliktsituationen erleben und wie sich dies auf langfristige politische Entwicklungen auswirkt. Dem Konflikt wird besondere Bedeutung beigemessen, da das Land in den folgenden Jahren eine Vorbildfunktion hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit einnahm.
In der folgenden Arbeit geht es primär um Frauen, deren Rolle oft pauschalisiert betrachtet wird. Das Bewusstsein darum, dass Frauen keine homogene Gruppe sind, lag dieser Pauschalisierung stets zugrunde und wo möglich wurden Konkretisierungen vorgenommen. Für den Völkermord in Ruanda existieren nahezu keine Daten zu der Rolle von INTA*-Personen, weshalb eine diesbezügliche Einordnung ungenau und spekulativ wäre. Wann immer möglich, wurde versucht, das Binaritätsprinzip aufzubrechen und Daten abseits dieses Konstrukts zu verwenden. Der Völkermord in Ruanda und geschlechtliche Gewalt in Kriegen allgemein sind sensible Themen, deren Lektüre belastend sein kann. In dieser Arbeit werden explizit Handlungen geschlechtlicher Gewalt sowie Mord thematisiert.
Definition gender
Um verstehen zu können, inwiefern der Aspekt der Geschlechtsidentität Auswirkungen auf Konfliktsituationen hat, muss dieser vorerst definiert werden.
Die Basis dessen ist die Unterscheidung zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht. Als soziales Geschlecht bezeichnet man die „gesellschaftlich geprägte […] und individuell erlernte […] Geschlechterrolle. Diese Geschlechterrolle wird durch die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Organisation einer Gesellschaft und durch die in ihr geltenden rechtlichen und ethisch-religiösen Normen und Werte bestimmt.“[2] Der Begriff des biologischen Geschlechts bezeichnet alle körperlichen, geschlechtsspezifischen Merkmale.[3] Obwohl die beiden Begriffe des biologischen und sozialen Geschlechts eng miteinander zusammenhängen, sind sie doch voneinander unabhängig. Beide sind per definitionem nicht eindeutig und vor allem wandelbar. Geschlecht wird als Spektrum verstanden und das Prinzip der Binarität wird in aktuellen Betrachtungsweisen immer weiter abgelegt.[4] Das Konzept gender ist ein hierarchisches und erzeugt Ungerechtigkeiten. Minderheiten sind so nicht nur jeden Tag verschiedensten Formen der Diskriminierung ausgesetzt, sondern auch expliziten Gefahren, wie zum Beispiel einem schlechteren Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Doch nicht nur der Zugang wird deutlich erschwert, auch Behandlungen sind oft geprägt von Fehldiagnosen oder dem Absprechen von Entscheidungskompetenzen.[5]
gender und Konfliktbearbeitung
Die Stereotypisierung des sozialen Geschlechts kann in allen Lebensbereichen wahrgenommen werden und dennoch lässt sich dezidiert feststellen, wie sich diese Annahmen in gesellschaftlichen Krisen und Konflikten verhärten. Moderne Kriegsführung lässt die Grenzen zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre verschwimmen und die Fragestellungen der Sicherheitspolitik werden auf verschiedene Bereiche erweitert.[6] So werden Themen wie Klimagerechtigkeit, Ressourcenschutz und soziale Gerechtigkeit als Teil einer funktionierenden Sicherheitsstrategie verstanden. Um diese Strategien kohärent verfolgen zu können, spielen zunehmend auch nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Akteure eine große Rolle, da sie eine andere Expertise einbringen können.[7]
So sehr der Blickwinkel verschiedener Sicherheitsstrategien erweitert wird, noch ist die Realität der Kriegsführung eine andere. So zeigt sich weiterhin, dass Kriegssituationen bereits bestehende geschlechtliche Ungerechtigkeiten und Diskriminierung verstärken. Zum Beispiel nimmt die häusliche Gewalt zu, während Frauen gleichzeitig deutlich mehr Care-Arbeit übernehmen. Trotzdem ist ihr Zugang zu humanitären Hilfen deutlich eingeschränkt.[8] „Flüchtende und Opfer sexualisierter Kriegsgewalt sind meist Frauen und Menschen der LGBTIQ+ Community. Transpersonen in Kriegssituationen werden meist nicht anerkannt und geschützt.”[9] Auch in Friedensprozessen werden Frauenrechte häufig als irrelevant abgetan und die von ihnen erlittene Gewalt wird nicht aufgearbeitet. Täter*innen geschlechtsspezifischer Gewalt müssen sich für ihre Taten meist nicht verantworten und haben so häufig auch keine Konsequenzen zu befürchten. Hinzu kommt, dass Frauen in Friedensprozesse selten aktiv einbezogen werden.[10] „In Friedensabkommen wird die Frage der geschlechtsspezifischen Verfolgung und Gewalt meist ausgeklammert und bei der Umsetzung der Abkommen weitgehend ignoriert.”[11]
Ruanda und die Rolle von Frauen nach dem Völkermord 1994
Konflikt
Als in Ruanda 1994 circa 3,5 Millionen Menschen einem Völkermord zum Opfer fielen, geschah dies nicht aus dem Nichts, sondern stellte die Eskalation eines langanhaltenden Konflikts dar. Der Völkermord ereignete sich in knapp hundert Tagen zwischen April und Juli 1994 und traf vor allem Angehörige der Bevölkerungsminderheit der Tutsi.[12] Der dem Völkermord zugrunde liegende ethnische Konflikt reicht bis weit in die Kolonialzeit zurück. Ruanda wurde von 1884 bis 1916 von Deutschland kolonialisiert, bis Belgien nach dem Ersten Weltkrieg die unterdrückende Kolonialmacht wurde. Beide Staaten übten eine rassistische Kolonialpolitik aus, welche die Tutsi-Minderheit als herrschende Klasse etablierte. Die Tutsi-Minderheit hatte sich als Krieger*innen und Viehzüchter*innen ausgezeichnet, während die Hutu, welche circa 90% der Bevölkerung ausmachten, von der Landwirtschaft lebten. Die künstliche Hervorhebung der Tutsi erzeugte unüberbrückbare soziale Spannungen.[13] Vor 1884 gab es zwischen beiden Kulturen gemeinsame Traditionen und Verbindungen, die ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugten. Doch die Einführung sogenannter Personalpapiere, welche die Unterscheidung verschriftlichte, zerstörte diese Bindungen nachhaltig.[14] Die bestehenden Machtverhältnisse änderten sich 1959 durch Hutu-Aufstände, in Folge welcher tausende Tutsi aus Angst vor gewaltvollen Konsequenzen flohen. So hatte sich die Situation, als Ruanda 1962 unabhängig wurde, gewendet und eine autoritäre Hutu-Elite beherrschte das Land. Nicht alle Tutsi nahmen diese Machtumkehr stillschweigend hin und so formierte sich im burundischen Ausland ein Widerstand. 1972 kam es dort zu Massakern, bei welchen circa 300.000 Hutu starben. Als Folge davon kam es 1973 zu einem Militärputsch in Ruanda, bei dem Hutu Juvénal Habyarimana an die Macht kam. Dies ließ erst eine Hutu-Rachefeldzug vermuten, welcher entgegen aller Erwartungen jedoch ausblieb. Nach Drängen aus dem Ausland versuchte der neue Machthaber ein Proporzsystem einzuführen. Da die beiden Volksgruppen zu tief verfeindet waren, scheiterte der Versuch.[15]
Der Tutsi-Widerstand organisierte sich fortlaufend im Ausland und im benachbarten Uganda gründete sich die „Front Patriotique Rwandaise“ (FPR). Nach Ruanda kehrten sie 1990 als Kämpfer*innen zurück, um gegen das Regime vorzugehen. Sie eroberten dabei weite Teile des Nordens und stießen bis in die Landeshauptstadt vor. Unter ihnen befanden sich auch oppositionelle Hutu-Kämpfer*innen, was verdeutlicht, wie kompliziert die Situation und wie tief die Gräben zwischen den beiden Völkern waren.[16] „Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Arusha (Tansania) im August 1993 schien der Bürgerkrieg vorerst beendet. Das Abkommen sah unter anderem eine breit angelegte Übergangsregierung unter Einbeziehung der RPF sowie die Einführung eines Mehrparteiensystems vor.”[17] Daraufhin beschloss der Sicherheitsrat der UN die Resolution 872, um bei der Stabilisierung des Landes zu helfen. Diese Resolution erteilte jedoch keine Legitimation für ein militärisches Eingreifen. Radikale Hutu akzeptierten diese Resolution aber nicht, sie radikalisierten sich stattdessen weiter und gründeten Milizen. Der Rassenhass wurde immer weiter angeheizt, insbesondere durch Radiosendungen, in denen die Tutsi-Minderheit diffamiert wurde. Doch auch öffentliche Todeslisten führender Tutsi waren tägliche Praxis der Diskriminierung.[18] Als konkreter Auslöser des Völkermordes wird der Abschuss des Flugzeugs von Machthaber Habyarimana gewertet. Als direkte Konsequenz wurden bereits eine halbe Stunde später moderate Hutu-Politker*innen und zahlreiche Tutsi ermordet. Diese Mordserie nahm in den folgenden hundert Tagen Fahrt auf und die Weltbevölkerung sah zwischen April und Juni 1994 zu, wie fast die gesamte Minderheit der Tutsi und zahlreiche gemäßigte Hutu ermordet wurden.[19] Der Genozid endete, nachdem es der RFP gelang, ganz Ruanda zu erobern. Daraufhin wurde eine Übergangsregierung gegründet, maßgeblich bestehend aus Bizimungu, einem Hutu, als Präsident und Paul Kagame, einem Tutsi und Anführer der RPF, als Vizepräsident. [20]
Das Land war zerrüttet und die Aufarbeitung des Völkermordes dauert bis heute an. Da besonders Frauen von Gewalttaten betroffen waren, gründeten sich unterstützende Netzwerke. Die Frauen bekommen dort Unterstützung bei der Gesundheitsvorsorge, der Traumaverarbeitung und bei der Erfahrung aktueller sowie vergangener Gewalt.[21]
Geschlechtliche Gewalt während des Völkermords
Der Völkermord versetzte ein ganzes Land in Angst und Schrecken, die Einwohner*innen wurden Zeug*innen eines unvergleichlichen Blutbades. Während ehemals Verbündete zu Feind*innen wurden, fürchteten Tutsi um ihr Leben. Doch gerade in den ersten Tagen der Gewalteskalation wähnten sich viele Tutsi-Frauen in Sicherheit, da bei vergangenen Pogromen meist ausschließlich Tutsi-Männer angegriffen wurden. Diese falsche Einschätzung hatte verheerende Folgen, denn die Frauen entschieden sich sehr spät, ihre Häuser zu verlassen.[22] Auf ihrer Flucht werden viele Tutsi-Frauen nach Ausweisdokumenten gefragt, deren Herausgabe sie meist kollektiv verweigern. Die dem zugrunde liegende Hoffnung, nicht als Tutsi identifiziert werden zu können, wird zuhauf durch eine stereotype Zuordnung aufgrund physiognomischer Merkmale zunichte gemacht.
So müssen tausende Frauen schwere Vergewaltigungen ertragen, bei denen die Penetration oftmals auch durch Gegenstände wie abgeschlagene Flaschen erfolgt. Die Täter[23] lassen die Frauen schwer verletzt zurück, nicht selten werden Genitalien verstümmelt und Brüste oder Nasen abgeschnitten.[24]
Abgesehen von den direkten, schweren Verletzungen müssen die circa 500.000 Opfer der Vergewaltigungen noch viele langfristige Schäden erleiden. Viele von ihnen sind schwer traumatisiert, der Zugang zu psychologischer Hilfe wird ihnen jedoch auch nach 1994 oft verwehrt. Außerdem infizieren sich viele Frauen mit HIV. Die vielen Kinder, die aus den Vergewaltigungen hervorgingen, werden als „vergessene Opfer” des Völkermordes bezeichnet. Sie müssen sich nicht nur der Stigmatisierung der Gesellschaft aussetzen, sondern haben oftmals ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihren Müttern. Da sie in den meisten Fällen nach 1994 geboren sind, wird ihnen die staatliche Unterstützung zur Verarbeitung des Völkermordes nicht zuteil.[25]
Frauen als Täter*innen
Während Tutsi-Frauen Opfer unvorstellbarer Verbrechen wurden, beteiligten sich auch tausende Frauen als Täterinnen am Völkermord. Zwar gibt es keine Zahlen dafür, wie viele Frauen Gewaltverbrechen ausübten, doch der Anteil der weiblich Inhaftierten belief sich auf circa 6%. Die Dunkelziffer an Frauen, die nicht nur direkte körperliche Gewalt ausübten, sondern auch Verstecke verrieten oder zum Morden aufhetzten, ist vermutlich deutlich höher.
Auch wenn die Anzahl der Täterinnen in verschiedenen Berichten stark variiert, wird meist deutlich: Der Großteil aller Täterinnen nahm eine führende oder Machtposition innerhalb der ruandischen Gesellschaft ein.
Die von den Frauen verübten Taten stehen im Widerspruch zu gängigen feministischen Theorien, die Frauen eine gewaltfreie Neigung zuschreiben. Es wurde also versucht, verschiedene Handlungsmotivationen der Frauen auszumachen. Die Antworten scheinen alle eindimensional und nicht alle Faktoren beachtend. So wird einigen Täterinnen ihr Frau-Sein abgesprochen, während andere Erklärungen die Täterinnen als Ungeheuer bezeichnen. Dabei wird sich darauf berufen, dass Frauen, die gegen Stereotype verstießen, keine richtigen Frauen sein könnten, weshalb sie Ungeheuer sein müssten. Außerdem ist oft die Sprache von männlicher Einflussnahme, welche die Frauen zu Täterinnen mache.[26] Es kann also keine alleinige Handlungsmotivation festgestellt werden. “Sowohl der Versuch, [das] Verhalten [der Frauen] zu entschuldigen, als auch, es als Bruch der üblichen Geschlechterrollen zu verurteilen, führt zu einem stereotypen Frauenbild und wird der Vielschichtigkeit, in der Frauen Gewalt erfahren und ausüben, nicht gerecht.”[27]
Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung
UN Sicherheitsresolution 1325
Der Völkermord in Ruanda hinterließ viele Frauen mit schweren Traumata, deren Folgen weitreichend sind. Dennoch gibt es in der feministischen Forschung immer wieder Stimmen, welche die zeitlich folgenden progressiven Entwicklungen direkt mit dem Völkermord verbinden. Denn erstmals erkannte die Weltbevölkerung geschlechtsspezifische Gewalt als ein Kernelement der Kriegsführung gegenüber der Zivilgesellschaft an. So wurden auf der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking Frauen in bewaffneten Konflikten zum zentralen Thema gemacht. Anschließend forderte der UN-Botschafter Anwarul Chowdhury aus Bangladesch, dass sich auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Thema auseinandersetzen müsse. Eine Resolution des Sicherheitsrats ist vor allem deswegen entscheidend, da sie völkerrechtlich bindend ist. Auf den Vorschlag Chowdhurrys hin formulierten mehrere NGOs und Kanada einen Gesetzesentwurf, der nach intensiver Lobbyarbeit schließlich abgestimmt wurde. Seit dem 31. Oktober 2000 sind somit die Rechte von Frauen explizit niedergeschrieben und rechtlich bindend.[28]
„Wesentliche Elemente der Resolution 1325 sind der besondere Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten sowie die Stärkung der Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen und Institutionen bei der Bewältigung und Verhütung von Konflikten.”[29] Dabei wird anerkannt, dass Frauen in Konflikten nicht nur Opfer sind, sondern sie auch einen aktiven Beitrag in friedensschaffenden Prozessen leisten.[30]
Frauenrechte in Ruanda heute
Zwei Jahrzehnte nach dem Völkermord wurde Ruanda häufig als sehr fortschrittliches Land hinsichtlich der Gleichberechtigung bezeichnet und verdiente sich Beinamen wie “Paradies für Frauen”. Das lag vor allem an der 2005 gesetzlich eingeführten Quotenregelung, die Frauen mehr Führungspositionen ermöglichen sollte. Diese erwies sich als erfolgreich und so waren 2019 61,3% des Parlaments weiblich besetzt. Insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure (vor allem Menschenrechtsorganisationen) kritisierten jedoch die vermeintliche Progressivität des Landes und taten sie als reine Symbolpolitik ab.[31] Der größte Kritikpunkt ist dabei die Diskrepanz zwischen öffentlicher und privater Rolle der Frau. Während Frauen in öffentlichen Positionen nicht nur repräsentative Macht haben, sind im häuslichen Umfeld patriarchale Strukturen fest verankert. Es wird als gegeben vorausgesetzt, dass Frauen die Care-Arbeit erledigen, während Männer als unbestrittenes Familienoberhaupt angesehen werden.[32] Im jüngsten Global Gender Gap Report (2023) zeigt sich zudem, dass das Land auf dem Weg zur Parität Rückschritte macht. Während Ruanda im Vorjahr noch Platz 6 der 146 bewerteten Länder belegte, liegt es 2023 nur noch auf Platz 12. Begründet ist dieser Rückschritt vor allem in der Covid-Pandemie und ihren wirtschaftlichen sowie sozialen Auswirkungen.[33] Der Sustainable Development Report postuliert bei SDG 5[34], dass bei diesem Ziel weiterhin signifikante Herausforderungen bestünden, der Wert verbessere sich jedoch.[35]
Fazit
Frauen werden zu Frauen[36] gemacht, auch und gerade in Konflikt- und Kriegssituationen. Diese stellen Frauen vor besondere Herausforderungen. Abgesehen von im Krieg üblichen Gefahren, sind Frauen starker Diskriminierung ausgesetzt. Meist haben Frauen auch abseits von Krisensituationen eine niedrige soziale Stellung, weshalb sie die Auswirkungen von Kriegen in besonderer Härte erleben müssen. Bereits gängige und veraltete Rollenbilder werden verstärkt gelebt und Frauen müssen sich diesen unterordnen. Die größte Gefahr für Frauen stellt geschlechtliche Gewalt dar. Frauen erfahren nicht nur massive körperliche Verletzungen, sondern werden auch psychisch erniedrigt. Der Einsatz geschlechtlicher Gewalt erfolgt oft systematisch und die betroffenen Frauen haben kaum Widerstandsmöglichkeiten.[37]
Insbesondere nach Kriseneskalationen muss das Augenmerk in friedensfördernden Prozessen auch auf der Geschlechtergerechtigkeit liegen. Ruanda kann hier als Positivbeispiel dienen: Trotz der unvergleichbaren Gewalt, der Frauen ausgesetzt waren, nahm das Land eine Vorreiterrolle hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit ein und konnte schnell enorme Fortschritte verzeichnen. Auch Jahrzehnte nach dem Völkermord gibt es politische Programme, die dem Erreichen der Geschlechtergerechtigkeit dienen. Dennoch muss an dieser Stelle auch betont werden, dass in Ruanda allen positiven Entwicklungen zum Trotz auch Jahre nach dem Völkermord noch ungerechte Gesellschaftsverhältnisse herrschen, in denen geschlechtliche Diskriminierung Gang und Gäbe ist. Menschenrechtsorganisationen berichten regelmäßig von Menschenrechtsverletzungen. So lässt sich zwar sagen, dass Frauenquoten und weibliche politische Teilhabe das politische Geschehen maßgeblich ändern – doch um Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich zu erreichen, müssen auch gesellschaftliche Strukturen gewandelt und Stereotype aufgebrochen werden.
Frauen werden in Kriegen zu Frauen gemacht. Neben besonderen Gefahren bedeutet das auch, dass Frauen friedensfördernde Prozesse anstoßen und insbesondere nach Krisensituationen zur Erstellung rechtlicher Leitlinien beitragen.
Literaturverzeichnis
Internetquellen
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[1] vgl. Hrsg.: World Economic Forum, Global Gender Gap Report. 2023, S. 5 https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2023.pdf (02.08.2023)
[2] Arne Wiechman: gender. In: Lexikon der Entwicklungspolitik, o.A. https://www.bmz.de/de/service/lexikon/gender-14414 (28.07.2023)
[3] vgl. Arn Sauer, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Geschlecht, biologisches, 2018 Geschlecht, biologisches | Geschlechtliche Vielfalt – trans* | bpb.de (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[4] vgl. Dagmar Richter: Gender in Bildungsthemen, 19.03.2015 https://www.bpb.de/lernen/politische-bildung/193100/gender/ (letzter Zugriff: 28.07.2023)
[5] vgl. o.A.: gender and health, in: Overview, o.A. Gender (who.int) (letzter Zugriff: 28.07.2023)
[6] vgl.Anne-Sophie Friedel: Editorial, Moderne Kriegführung, in: ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG. 35–36/2016. S. 3 https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/232975/moderne-kriegfuehrung/ (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[7] vgl. Robin Faißt (CARE Deutschland), Marieke Fröhlich (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit), Dr. Ines Kappert (Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-BöllStiftung: Annäherung an eine feministische Außenpolitik Deutschlands. 2022 https://www.frauenrat.de/wp-content/uploads/2022/08/E-Paper-Feministische-Aussenpolitik-FINAL-Netzwerk-1325.pdf (02.08.2023)
[8] vgl.Hrsg.: UN Women and CARE International: RAPID GENDER ANALYSIS OF UKRAINE. o.A., 2022, S.7
[9] Victoria Scheyer und Simone Wisotzki: Feministische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung. 2022 Feministische Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung – PRIF BLOG (02.08.2023)
[10] vgl. Hrsg.: Amnesty International: GEWALT GEGEN FRAUEN IN UND NACH BEWAFFNETEN KONFLIKTEN. o.A Frauenrechte: Gewalt gegen Frauen in und nach bewaffneten Konflikten — amnesty.ch (02.08.2023)
[11] Hrsg.: Amnesty International: GEWALT GEGEN FRAUEN IN UND NACH BEWAFFNETEN KONFLIKTEN. o.A. https://www.amnesty.ch/de/themen/frauenrechte/gewalt-gegen-frauen-im-krieg/gewalt-gegen-frauen-nach-dem-krieg (02.08.2023)
[12] vgl. Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)
[13] vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[14] vgl. Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)
[15] vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[16] vgl. vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[17] Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)
[18]vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[19]vgl.Hrsg.: Deutscher Bundestag: Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Nicht-Intervention. 2007 wd-2-029-07-pdf-data.pdf (bundestag.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[20] vgl. Thorsten Schilling, Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung: Gedenken an den Völkermord in Ruanda. 2020 Gedenken an den Völkermord in Ruanda | Hintergrund aktuell | bpb.de (02.08.2023)
[21] vgl. Dörte Hinrichs: Der lange Weg zur Versöhnung. 2020 Ruanda nach dem Völkermord – Der lange Weg zur Versöhnung (deutschlandfunk.de) (letzter Zugriff: 03.08.2023)
[22] Hier muss betont werden, dass diese Fehleinschätzung keine Korrelation zur Verantwortung für alle folgenden Taten hat. Was den Tutsi-Frauen angetan wurde, ist unabhängig ihrer Handlungen zu bewerten und zu betrachten.
[23] Das generische Maskulinum wird hier bewusst verwendet.
[24] vgl. Karen Krüger: Die Vergewaltigung von Tutsi-Frauen im rwandischen Genozid 1994. In: Feministische Studien, Band 22, 2004, S. 282
[25] vgl. Eva de Vries: Ruandas “vergessene Opfer”. 2011 Ruandas „vergessene Opfer“ – DW – 10.08.2017 (02.08.2023)
[26] vgl. Nicole Hog: Frauen im Völkermord in Ruanda: Mütter oder Monster?. 2011 Frauen im Völkermord in Ruanda: Mütter oder Monster? | Heinrich-Böll-Stiftung (boell.org) (02.08.2023)
[27] ebd.
[28] vgl. Bettina Metz, Hrsg.: UN Women: Die Resolution 1325 mit der Agenda „Frauen, Frieden Und Sicherheit“,
2021 Die Resolution 1325 mit der Agenda „Frauen, Frieden Und Sicherheit“ – !UN Women Deutschland (02.08.2023)
[29] ebd
[30]vgl. ebd.
[31] vgl. Antonio Cascais: Ruanda: Ein Paradies für Frauen?. in: Deutsche Welle Politik, 2019. Ruanda: Ein Paradies für Frauen? – DW – 07.03.2019
[32] vgl. Marlene Eichhorn: RUANDA ALS VORBILD? WIE FREI IST DIE FRAU WIRKLICH?. In Zeitgeist.de, 2022. Ruanda als Vorbild? Wie frei ist die Frau wirklilch? – Zeitgeister – Internationale Perspektiven aus Kultur und Gesellschaft – Goethe-Institut (letzter Zugriff: 02.08.2023)
[33] vgl. Hrsg.: World Economic Forum, Global Gender Gap Report, 2023, S. 11 https://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2023.pdf (letzter Zugriff: 02.08.2023)
[34] Die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) sind Teil der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Diese Agenda bildet den Rahmen für Umwelt- und Entwicklungspolitik weltweit. Ziel 5 der Agenda ist das Erreichen der Geschlechtergerechtigkeit. (vgl. Jens Martens und Wolfgang Obenland: Globale Zukunftsziele für nachhaltige Entwicklung. 2017, S. 7)
[35] vgl. Jeffrey D. Sachs, Guillaume Lafortune, Grayson Fuller and Eamon Drumm: SUSTAINABLE DEVELOPMENT REPORT 2023 Implementing the SDG Stimulus Includes the SDG Index and Dashboards: 2023, S. 4 Sustainable Development Report 2023 (sdgindex.org)
[36] Auch in Kriegen sind Frauen keine homogene Gruppe. Die der Aussage zugrunde liegende These geht davon aus, dass Frauen anders an und in Kriegen leiden als Männer. (vgl. Jana Arloth und Frauke Lisa Seidensticker, Hrsg.: Deutsches Institut für Menschenrechte: Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen. Berlin, 2011, S.10)
[37] vgl. Jana Arloth Frauke und Lisa Seidensticker, Hrsg.: Deutsches Institut für Menschenrechte: Frauen als Akteurinnen in Friedensprozessen. Berlin, 2011, S.10
Quelle: Paula Härtge, Frauen in Konflikt- und Kriegssituationen: Beiträge, Herausforderungen und Potentiale, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 23.01.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=430