Diskriminierung und Selbsthass durch rassistisch geprägte Schönheitsideale

Die Körperpolitik des Colorismus

Kim-Margaux Déniel (WiSe 2023/24)

1. Einleitung

Seit Beginn meiner Pubertät haben mich Themen wie das Schminken, Stylen, und die allgemeine eigene Schönheit fast täglich beschäftigt. Sei es früh morgens vor der Schule, nachmittags, bevor ich meine Freund*innen traf, oder auch abends vor Konzerten gewesen – ein „perfektes” Aussehen war in fast allen Bereichen meines Lebens ein sehr wichtiger Aspekt. Ein Thema, welches mich allerdings nie betroffen hat und mir daher größtenteils unbewusst war, beinhaltet die starke Präsenz von diskriminierenden Schönheitstrends, die von rassistischen Werten geprägt sind. Tatsächlich ist mir der Begriff „Colorism” erst seit einigen Jahren bekannt und ist mir auch seitdem erst als ein fortbestehendes, soziokulturelles Problem aufgefallen.

Im Rahmen meines Studiums und nach der Teilnahme am ABV-Modul „Gender, Diversity, Gender Mainstreaming” habe ich mich unter Anderem tiefer mit Rassismus und rassistischer Diskriminierung auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen auseinandergesetzt. Des Weiteren wurde ich für verschiedene Themenbereiche der Diskriminierung stärker sensibilisiert, was dazu führte, dass ich das Phänomen Colorismus kritisch betrachtet und näher analysiert habe. In dieser Analyse werde ich zunächst auf die Begriffsbedeutung und den historischen Kontext von Colorismus eingehen, bevor moderne Beispiele aus mehreren Berichten Colorismus als ein beständiges, allgegenwärtiges und vielschichtiges Problem verdeutlichen. Mit Hilfe von wissenschaftlicher Literatur, welche die Themen Schönheit und Colorismus aus diversen soziologischen Perspektiven behandelt, wird diese Analyse ermitteln, inwiefern Colorismus als ein komplexes, diskriminierendes und höchst schädigendes System fungiert. In diesem Text werde ich hauptsächlich den eingedeutschten Begriff „Colorismus” (vom Englischen „Colorism”) verwenden, welcher sich klar von dem Farbkonzept „Kolorismus” aus der Malerei abgrenzt.

2. Was ist Colorismus?: Begriffsklärung und historischer Ursprung

Der Begriff wurde 1982 von der afroamerikanischen Schriftstellerin Alice Walker geprägt und bezeichnet die „voreingenommene oder bevorzugte Behandlung von Menschen derselben [rassifizierten Gruppe] basierend allein auf ihrer Hautfarbe” (Igwe, 2023). Die Definition des Merriam-Webster Dictionary betont darüber hinaus, dass Menschen mit hellerer Haut gegenüber denen mit dunklerer Haut bevorzugt werden. Hierbei geht hervor, dass Colorismus sich von Rassismus unterscheidet, da er innerhalb von ethnischen und rassifizierten Gruppen stattfindet und somit nur ein bestimmter Teil dieser Gruppen diskriminiert wird. Hinzu kommt, dass Colorismus von allen ethnischen und rassifizierten Gruppen praktiziert wird und dies insofern problematisch ist, dass dadurch Spaltungen innerhalb von verschiedenen Communities, z.B. der Schwarzen Community, entstehen können (Wolf, 2021).

In einem Artikel des Studierendenmagazin der Hochschule der Medien schreibt Samira Igwe über das Stereotyp „Angry Black Woman”, also „das Narrativ der wütenden Schwarzen Frau” (Igwe, 2023), welches Betroffenen das Recht auf Wut abspricht. Samira berichtet von ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Stereotyp und nimmt Bezug auf Colorismus, wobei sie anmerkt, dass sie selbst als „lightskinned-Schwarze Frau”[1] weniger ausgegrenzt und diskriminiert wird, als die „darkskinned-Schwarze” Perla Londole, Gründerin der Black Community Foundation in Deutschland, welche oftmals als „Angry Black Woman” abgestempelt wird. Dieses Beispiel verdeutlicht: Je heller die Hautfarbe Schwarzer Personen, desto mehr Privilegien haben sie in einer weißen Mehrheitsgesellschaft, während Schwarze Personen mit dunkler Haut schlechter behandelt werden (Igwe).

Seinen Ursprung hat der Colorismus im Kolonialismus. Im US-amerikanischen Kontext basiert er auf der Versklavung von Schwarzen Menschen. Da versklavte Menschen mit hellerem Teint oftmals Familienmitglieder[2] der Sklavenhalter*innen waren, wurden sie meist bevorzugt. Dies zeigte sich vor allem in den verschiedenen Aufgabenbereichen: während Sklav*innen mit hellerer Hautfarbe oft im Haushalt arbeiteten, mussten andere versklavte Menschen mit dunklerer Hautfarbe schwere Arbeiten auf den Feldern verrichten. Folglich wurde eine helle Hautfarbe unter versklavten Menschen als Vermögenswert angesehen (Nittle, 2021). Daraus lässt sich schließen, dass Colorismus einen klaren rassistischen Ursprung hat und in einer Beziehung zu einer Hierarchie der Klassengesellschaft steht, wobei eine dunkle Hautfarbe immer unterhalb der helleren eingestuft wird.                                             

Die historische Beziehung zum Klassismus wird noch deutlicher hinsichtlich des Colorismus in asiatischen Ländern, wo er bereits vor dem Kontakt mit Europäern und eher aus den Unterschieden zwischen der herrschenden und der Bauernklasse entstand. Die gebräunte Haut von Menschen der Bauernklasse wurde zu einem klaren Merkmal eines unterprivilegierten Status, während ein heller Teint mit der Elite assoziiert wurde (Nittle, 2021). Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass der heutige Colorismus im asiatischen Raum auf dieser Vorgeschichte basiert und weiterhin von kulturellen westlichen Einflüssen verstärkt wird.

3. Colorismus in der heutigen Zeit: ein vielschichtiges „Subsystem”

Mit dem Wissen, dass Colorismus stark mit Rassismus und Klassismus zusammenhängt, ist es nicht verwunderlich, dass dieser sich ebenfalls in vielen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen als präsent und wirkungsvoll erweist. Von medialer Repräsentation, über Einstellungen im Beruf, bis hin zu alltäglichen Dingen wie Seifenspendern und Snapchat Filtern, die dunkle Haut nicht als menschlich identifizieren. Diese Allgegenwärtigkeit deutet auf ein systematisches Machtgefüge hin, dessen Funktionsweise Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma darin sieht, “hierarchisch zu positionieren, zu marginalisieren und auszuschließen” (Auma, 2020).                                                                                                           

Des Weiteren bezeichnet die Professorin Colorismus als ein Subsystem bzw. eine bedeutende Technik der rassistischen Ordnung, welche dazu dient, Rassismus durch Unterschiede der Hautpigmentierung zu begründen. Folglich liegt es für weiße Privilegierte somit in der Natur, und nicht am Menschen, dass Schwarze Menschen rassifiziert werden. Negative Eigenschaften wie  Kriminalität, Faulheit und Emotionalität wurden in weißen Mehrheitsgesellschaften historisch mit Schwarzen Menschen assoziiert, wobei die Hautfarbe „zu einer folgenreichen Unterscheidungskategorie aufgeladen” wurde (Auma, 2020).        

Das bereits erwähnte Stereotyp „Angry Black Woman” ist ein klares Beispiel dafür, wie sich bestimmte Assoziationen mit dunkler Hautfarbe in medialer Repräsentation sowie in zwischenmenschlichen Interaktionen offenbaren und widerspiegeln. Ein wiederkehrendes Motiv in Serien und Filmen ist die lightskinned Frau, welche oftmals als sehr hübsch, freundlich, und wohlerzogen dargestellt wird, wohingegen ihre darkskinned Freundin entgegengesetzte Eigenschaften präsentiert, sprich Boshaftigkeit, Unerzogenheit und Verbitterung.   

In der US-amerikanischen Netflix Serie Dear White People (2017-2021) wird das Stereotyp der „Angry Black Woman” zum Teil von der Figur Joelle Brooks verkörpert, dessen beste Freundin und Hauptfigur Samantha White ein „lightskin privilege” besitzt. Auch durch Coco Conners, eine weitere Freundin von Samantha, wird Colorismus in der Serie deutlich und kritisch behandelt. Während die Aktivistin Samantha versucht, ihr eigenes lightskin und „white privilege”[3] zu überkompensieren (Willer, 2021), indem sie sich besonders stark für die Schwarze Community und das Black Movement an ihrer Universität engagiert, hält Coco sich diesbezüglich zurück. Da sie aus armen Familienverhältnissen kommt und als darkskinned Frau sehr viel unterprivilegierter ist als lightskinned Frauen*, musste sie lernen, sich der weißen Gesellschaft anzupassen. Ein Merkmal, welches dies veranschaulicht, sind Coco’s glatte, unnatürliche Haare, die im Gegensatz zu den natürlichen Haaren von Samantha stehen.

Das Thema Haare wird unter anderem in der Serie thematisiert, als die beiden Freundinnen sich über ihre unterschiedlichen sozialen Privilegien streiten. Diese dargestellte Selbstreflexion führt dazu, dass Samantha ihr lightskin Privileg als solches erkennt und sich bei Coco für ihre frühere Ignoranz entschuldigt.

Es wird demnach deutlich, dass der Colorismus oft über Hautfarbe hinausgeht, und Haarstruktur ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Das vorherrschende rassistische und klassistische europäische Schönheitsideal ist im Colorismus zentral. In den folgenden Sektionen werde ich anhand von persönlichen Berichten und einem viralen Modetrend näher auf die Beziehung zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen von Schönheit und Colorismus eingehen.              

3.1. Je weißer, desto schöner”: Colorismus als Schönheitsmaßstab

In ihrem TEDx Talk „Confessions of a D Girl: Colorism and Global Standards of Beauty” (dt.: „Geständnisse eines D Girls: Colorismus und globale Schönheitsstandards”) aus dem Jahr 2016, spricht Chika Okoro über die schädigenden Auswirkungen von Colorismus auf Selbstliebe und das Selbstwertgefühl von schwarzen Frauen* mit dunklem Hautton. Zunächst berichtet sie von ihrer Entdeckung der überaus problematischen Maßstäbe für bestimmte Rollen in dem Film Straight Outta Compton (2015). Die Kategorien im Casting-Aufruf verdeutlichen ihr, dass sie unter die letzte Kategorie der „D girls” fällt, welche sich auf arme schwarze Frauen bezieht, die in „keiner guten Form” sind und einen dunkleren Hautton besitzen müssen. Konträr dazu setzen die vorherigen Kategorien (A-C) hellere Hauttöne sowie natürliches langes Haar voraus, wobei die Kategorie der “A girls” sich auf die “heißesten Models” bezieht.                                                                        

Chika Okoro beschreibt ein Gefühl des Verrats, welches sie durch die Realisierung überkommt, dass es ihr selbst innerhalb einer rassifizierten Gruppe, die ohnehin schon selten auf der großen Leinwand repräsentiert wird, verwehrt wird, sich schön zu fühlen. Doch dieses Gefühl wird zu einer zwangsläufigen Akzeptanz, da subtiler Colorismus ihr in nahezu allen Lebensbereichen deutlich wird. Weniger subtil sind hingegen Testmethoden wie der Papiertüten-Test, um Hauttöne zu prüfen, der Stifttest, welcher Haarstrukturen prüft, und der Schattentest, um Gesichtsmerkmale abzugrenzen. Diese Methoden werden unter anderem von Elite-Gruppen (bspw. US Schwesternschaften) genutzt, um Personen und vor allem Frauen*, welche zu weit von den äußerlichen europäischen Körpermerkmalen abweichen (d.h. dunklere Hautfarbe, krauses Haar, ‘nicht weiße’ Gesichtszüge), auszugrenzen.

Auch hiermit wird erneut klar, dass Colorismus neben der Hautfarbe alle äußerlichen Merkmale mit einbezieht, welche ein gewisses Schönheitsideal widerspiegeln. Durch die historischen Auswirkungen des Kolonialismus sind Haar-Differenzierungen bis heute bei schwarzen Frauen, wie Schönheitsideale und Weiblichkeit verbunden. Dies reflektiert die Aufrechterhaltung rassistischer Gegensätze, wobei die ‘gerade Haar-Regel’ als Bestandteil kolonialer und rassistischer Ideologien dient (Ellis & Destine, 2023, S.8).

In dem Buch Projekt Körper: Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt (2009) spricht Waltraud Posch von der Entstehung von Körperklassen im Neoliberalismus, welche bestimmte Körperideale bevorzugen und andere durch Selektionsmechanismen ausgrenzen. Das dadurch gebildete System der Attraktivität beeinflusst die soziale Hierarchie, in welcher Schönheit sich als eigene Klasse etabliert hat (Posch, 2009, S.64-65). Daraus lässt sich schließen, dass vorherrschende Schönheitsideale direkt mit einer Einstufung in gesellschaftliche Klassen einhergehen, wobei unerwünschte Körper abgewertet und ausgeschlossen werden. Des Weiteren sorgen möglichst unerreichbare Normen dafür, dass diejenigen, die sie erreichen, als „besonders gut, toll, fit, [und] erfolgreich” gelten (Posch, S.65). Je weniger Menschen sich also dem Idealkörper nähern können, desto erfolgreicher sind die körperlich Erfolgreichen.      

In den Fällen von Chika Okoro und dem fiktiven Charakter Coco Conners wird diese Einstufung, wie sich zeigt, neben dem Rassismus sehr stark vom Colorismus bestimmt. Beide Beispiele werfen ein Licht darauf, wie tief coloristische Wertvorstellungen in der Gesellschaft verankert sind und dass diese sich vehement auf das Selbstwertgefühl von jenen auswirken, die aus der ‘Schönheitsnorm’ fallen. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist, dass Körperlichkeit, im Sinne von Mode oder grundlegender Körperdimensionen, eine entscheidende Rolle bei der Schaffung und Darstellung von Identität spielt. Sei es die Wahl der Kleidung, die Nähe zu Schönheitsstandards, oder die Inszenierung der Persönlichkeit durch Mode und Körperlichkeit – all das trägt zur Identitätsbildung bei (Posch, 2009, S.37). Daher ist es nicht verwunderlich, wenn auch problematisch, dass viele Menschen mithilfe von kostspieligen und/oder sogar gesundheitsschädlichen Mitteln versuchen, dem idealen Aussehen so nahe wie möglich zu kommen.

3.2. Obsession Weiß-sein”: Auswirkungen auf persönliches Handeln

Wie bereits erwähnt, ist Colorismus ein globales Phänomen, welches People of Color aus unterschiedlichen Regionen und Kulturen betrifft. Neben Chika Okoro’s US-bezogenen TEDx Talk gibt es noch viele weitere Berichte über Colorismus von Menschen und Frauen* unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Beispielsweise berichtet Bianca Punzalan von Colorismus in den Philippinen, und Waseka Nahar spricht über ihre Erfahrungen als “brown girl” in Südasien. Beide Sprecherinnen thematisieren die großflächige Vermarktung und Begünstigung von weißer Haut durch hautaufhellende Cremes und Mittel. Auch die exzessive Verwendung von Sonnencreme soll in den Philippinen nicht bloß gesundheitsbedingt sein, sondern hängt laut Punzalan sehr stark mit dem Schönheitsideal heller oder weißer Haut zusammen.                                                                                                          

In Punzalan’s Bericht (2021) wird deutlich, wie sehr sich das Verinnerlichen und Bewerben dieses Ideals von der eigenen Familie auf junge Menschen auswirken kann. Da braune Haut in den Philippinen als “dreckig, hässlich, und arm” betrachtet wird und oft Sprüche fallen wie „Du bist hübsch, für eine dunkle Person”, hat Punzalan zwangsläufig versucht, sich dem Schönheitsideal trotz schmerzhafter Methoden immer weiter zu nähern. Auch die beiden Schweizerinnen Dhiviyaa Satkunanathan und Claire Bengue erzählen in der Reportage „Hau(p)tsache hell – Das Geschäft mit dunkler Haut” (2021) von ihren zwanghaften, familiär geförderten Versuchen, einen helleren Hautton durch Bleichcremes und Seifen zu erreichen. Dies verursachte bei Bengue einmal eine Hautverbrennung. Ein permanentes negatives Feedback zur „zu dunklen” Hautfarbe führt demnach häufig dazu, dass Betroffene trotz eigener Gesundheitsgefährdung mit Hilfe von entsprechenden (und weit verbreiteten) Produkten und Methoden alles versuchen, um ihre Haut aufzuhellen.

Daraus lässt sich also folgern, dass rassifizierte Schönheit eine Kommodifizierung heller Haut mit sich bringt, was die Hautaufhellungsindustrie zu einem Millionen-Dollar-Geschäft macht. Zudem fördern coloristische Ideale und deren Vermarktung die Selbstabwertung betroffener Menschen sowie das weiße Überlegenheitsdenken als Begleiter des europäischen Kolonialismus (Ellis & Destine, 2023, S.7). Im asiatischen Raum steht helle Haut für Modernität und soziale Mobilität, weshalb weißes Bleipulver von asiatischen Frauen* der Oberschicht historisch oft verwendet wurde (Ellis & Destine, S.9). Demzufolge kann Colorismus als ein Subsystem des Rassismus betrachtet werden, welches sich auf die komplexen Strukturen des Klassismus, Sexismus, und Kapitalismus stützt, und somit durch mehrere zusammenhängende Faktoren weitergeführt wird.

Waltraud Posch betont, dass Körpermanipulationen als Mittel zweier gegensätzlicher Verhaltensweisen dienen: zum einen der Unterwerfung und zum anderen der Selbstbestimmung. Somit können sie gleichzeitig für Unterdrückung sowie für Freiheit stehen (Posch, 2009, S.166). Des Weiteren muss klargestellt werden, dass Schönheitshandeln kein privates Handeln ist, denn es „verlangt nach dem Blick der anderen und ist ein Akt der Kommunikation” (Posch, S. 166). Ebenso wenig stellt Schönheitshandeln reinen Spaß, reine ‘Frauensache’, oder bloß ein Oberflächenphänomen dar; denn tatsächlich ist es ein identitätsstiftender Akt (Posch, S. 166).

Die vorgestellten Fälle dienen dafür als klare Beispiele. Colorismus ist zwar häufig ein geschlechtsspezifisches Phänomen, welches Frauen* überproportional betrifft (Ellis & Destine, 2023, S.2), jedoch kann er ebenso von Menschen aller Geschlechtszugehörigkeiten erfahren werden. Der Zusammenhang von sozialem Geschlecht und dunkler Hautfarbe kann hier, wie auch in einigen Formen des Rassismus, auf gesellschaftliche Vorstellungen von Schönheit und Weiblichkeit zurückgeführt werden. In diesem Kontext können Methoden der Hautaufhellung eine Unterdrückung im Sinne der Konformität (Weiß-sein = „schön” sein) widerspiegeln, was jedoch für einige gewisse Freiheiten mit sich bringt. Wenn hellere Haut soziale Inklusion und bessere Behandlung bedeutet, wird sie als ein Kapital gesehen, welches eindeutig mehr Chancen und Privilegien bietet als dunklere Haut. Ob dies echte Freiheit darstellt, gilt definitiv zu hinterfragen. Vielmehr mögen die positiven Effekte derartiger Körpermanipulationen eine Freiheit vortäuschen, die auf höchst problematischen sozialen Dynamiken und Werten basiert, und das auf Kosten des Selbstwertgefühls und der körperlichen Akzeptanz.

4. Fazit: Social-Media Einfluss: Was ist vor allem heute wichtig?

Das heutige Zeitalter der „Social Media Generation” bietet eine riesige Fläche für die regelmäßige Verbreitung bestimmter Bilder und Einflüsse, weshalb das Internet als relevantes und integrales Kulturobjekt gilt. Von User*innen und prominenten Personen, die gewisse Körper, Standards, und Ästhetiken präsentieren, bis hin zu Fotobearbeitungstools, durch welche Selfies schnell und einfach „verschönert” oder gar verfremdet werden können – ein Entkommen der modernen Schönheitsideale ist nahezu unmöglich. Auch im Kontext des Colorismus stellen scheinbar harmlose, hautaufhellende Gesichtsfilter, oder Trends wie der „Clean Girl Look”[4] eine gefährliche Kontinuität der bereits bestehenden (selbst)abwertenden Ansichten und Praktiken dar. Umso wichtiger ist es, öffentliche Inhalte und Plattformen einerseits kritisch zu betrachten und andererseits als Tool für mehr Aufklärung, Sichtbarkeit, und Diversity-Förderung wahrzunehmen.

Literaturverzeichnis / Referenzen

Auma, M.-M. (2020, July 27). Maisha-Maureen Auma: “Rassismus Hat übrigens nichts mit der Hautfarbe zu tun.” ZEIT Campus. https://www.zeit.de/campus/2020-07/maureenmaisha-auma-erziehungswissenschaftlerin-colorism-schwarze-community-rassismus. 

Ellis, N. P., & Destine, S. (2023). Color capital: Examining the racialized nature of beauty via colorism and skin bleaching. Sociology Compass, 17(8), e13049.

Igwe, S. (2023, December 7). Wer hat Angst vor der Schwarzen Frau?. edit. Magazin. https://www.edit-magazin.de/wer-hat-angst-vor-der-schwarzen-frau.html.

Nahar, W. (2019, May 1). Finding Self Love in a World of Colorism | Waseka Nahar | TEDxEMWS. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=iNFX26_5NIY.

Nittle, N. K. (2021, February 28). The Roots of Colorism, or Skin Tone Discrimination. ThoughtCo. https://www.thoughtco.com/what-is-colorism-2834952

Okoro, C. (2016, May 23). Confessions of a D girl: Colorism and Global Standards of Beauty | Chika Okoro | tedxstanford. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=fvoWoMIwr-g&t=192s.

Posch, W. (2009). Projekt Körper: Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt. Campus. 

Punzalan, B. (2021, June 2). Colorism in the Philippines | Bianca Punzalan | TEDxMoreauCatholicHS. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=dbK4yyUTie0&t=73s.

Urbančik, J. (2024, April 5). Gründe, warum du den Clean Girl Look nicht nachstylen solltest. wmn. https://www.wmn.de/beauty/fashion/clean-girl-look-problematisch-a-did421334

Willer, M. (2020, June 17). The Women in “Dear White People.” FemCinema. https://femcinema.home.blog/2020/06/17/the-women-in-dear-white-people/

Wolf, F. (2021, February 19). Colorism: Ein Gefährliches Überbleibsel des Kolonialismus. wmn. https://www.wmn.de/buzz/colorism-bedeutung-id34489

Yogarasa, S. (2021, May 25). Hau(p)tsache Hell – Das Geschäft mit dunkler haut. colorism. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=DY8HyjJpwr8&t=1s.


[1] „lightskinned” beschreibt eine Schwarze Person mit vergleichsweise hellem Hautton, während „darkskinned” sich auf Schwarze Personen mit dunklerem Hautton bezieht. Die Begriffe werden auch im deutschen Diskurs verwendet, u.a. von der Erziehungs- und Genderwissenschaftlerin Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma. Sie betont, dass solange die deutsche Sprache noch nicht genug für die anerkennende Beziehung zwischen Schwarzen Menschen und ihren Körpern hergibt, englische Begriffe benutzt werden müssen (zeit).

[2] Kinder von versklavten Menschen und Sklavenhalter*innen waren meist das Ergebnis von sexuellen Übergriffen, bei dem die versklavten Menschen zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden.

[3] Samantha White ist die Tochter einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters, und somit “biracial”.

[4]„Clean Girl Look”: eine Stil-Ästhetik, die minimales und ‘sauberes’ Make-Up sowie Kleidungs- und Lebensstil darstellen soll. Er wurde mehrfach dafür kritisiert, dass er ausgrenzend, und ausschließlich auf ‘hübsche’, dünne, und weiße Frauen* ausgerichtet sei. Vor allem das schlichte Make-Up wurde von Schwarzen Creator*innen als spezifisch für weiße Menschen bezeichnet (Urbancik, 2024).


Quelle: Kim-Margaux Déniel, Diskriminierung und Selbsthass durch rassistisch geprägte Schönheitsideale: Die Körperpolitik des Colorismus in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 08.07.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=459

Black Beauty, White Standards – An Essay on the Appropriation of Black Cultures

Kesho-Tabitha Imadonmwinyi (SoSe 2020)

Primitiv, tribal, spirituell und doch majestätisch – eine Reise zum Anfang der Zeit und der Essenz primitiver Wesensart. So beschrieb das Modelabel Valentino im Jahre 2015 seine Afrika-inspirierte Frühling/Sommer 2016 Kollektion. Als Modenshow umgesetzt sah dies so stereotypisierend aus, wie es klingt: überwiegend weiße Models in Kikuyustoffen, Bast, Knochenketten, Federn und Fransen sowie Gürteln aus afrikanischen Perlen. Die Haare der Models wurden zu Cornrows und Dreadlocks frisiert. Um diese modische Afrika-Darbietung noch ein wenig zu untermalen, durfte die passende Musik natürlich nicht fehlen. Was eignete sich dafür besser als der Sound afrikanischer Bongo-Trommeln (vgl. Stansfield 2015)? Et voilà, fertig war die Kreation eines authentischen Afrika-Erlebnisses für die Sinne, eine Hommage an einen ganzen Kontinent.

Nachahmung ist für bekanntlich die höchste Form von Anerkennung. Wieso also sollte es problematisch sein, dass fünf Jahre nach der Valentino-Modenshow, im Jahre 2020, immer noch weiße Models großer Modelabels wie Marc Jacobs und Comme des Garcons mit traditionell Schwarzen Frisuren über die Laufstege schreiten? Wieso sollte es problematisch sein, dass nicht-Schwarze Personen, allem voran Celebrities und Influencer*innen, diese Frisuren tragen und mit plastisch vergrößerten Lippen, Gesäßen und Oberweiten auf Instagram posieren? Oder Hautbräunungsmittel und Make-Up verwenden, welches so viele Nuancen dunkler ist als ihr natürlicher Teint, dass nur schwer zu erkennen ist, ob es sich um eine weiße, eine Schwarze oder eine Person of Color handelt? Wieso sollte es problematisch sein, wenn weiße Menschen traditionell-afrikanische Kleidungsstücke tragen und sich wohlmöglich noch eines Blackccents bedienen – der Authentizität halber.

In den vergangenen Jahren wurden die oben beschriebenen Praktiken immer wieder hitzig diskutiert – unter dem Schlagwort der kulturellen Aneignung. Auch gegenwärtig tritt die gesellschaftliche Debatte um kulturelle Aneignung immer wieder in den Vordergrund, vor allem in den sozialen Medien. Könnte es also sein, dass Nachahmung doch nicht die höchste Form von Anerkennung ist? Wo verläuft die Grenze zwischen kulturellem Austausch begründet auf kultureller Würdigung und kultureller Aneignung? Ziel meines Essays ist es, die Problematik kultureller Aneignung und die hegemonialen Machtverhältnisse, die mit dieser Praxis einhergehen, genauer darzulegen. Dies werde ich anhand der gängigsten Argumente und Fehlannahmen in der Debatte rund um kulturelle Aneignung aufzeigen. Aufgrund meiner eigenen Positionierung als Schwarze, afro-deutsche Frau möchte ich meinen Essay spezifisch im Kontext der Aneignung Schwarzer beziehungsweise afro-diasporischer Kulturartefakte situieren, mit einem besonderen Augenmerk auf historisch Schwarze Haarfrisuren. Doch zunächst einmal: Was genau ist unter kultureller Aneignung überhaupt zu verstehen?

Im Zuge kultureller Aneignung werden Artefakte marginalisierter Kulturen durch Mitglieder der dominanten, meist weiß-privilegierten Mehrheitsgesellschaft übernommen. Dabei werden die Herkunftskulturen dieser Artefakte nicht, wie es im Sinne wertschätzenden kulturellen Austauschs geschehen würde, gewürdigt. Stattdessen werden ohnehin marginalisierte gesellschaftliche Minderheitsgruppen und ihre Kulturgüter exotisiert, zu trendigen Fashionstatements reduziert und das Angeeignete oft sogar als das Eigene dargestellt. Der Geschichte und kulturellen Bedeutung dieser Kulturgüter wird von der dominanten Gruppe meist wenig bis gar keine Beachtung beigemessen. Vielmehr werden kulturelle Artefakte, nicht selten aus wirtschaftlich-kapitalistischen Interessen, willkürlich dekontextualisiert. Was für Minderheitsgruppen tief verwurzelte kulturelle Bedeutung hat, dient der dominanten Gruppe zur Unterhaltung oder als modisches Accessoire (vgl. Volkening 2020).

Besonders offensichtlich wird dies in Bezug auf die Valentino Modenshow. Ein häufiges Argument in der Debatte um kulturelle Aneignung ist, dass Film, Musik, Mode und andere Bereiche immer Inspiration aus anderen Kulturen schöpfen. Kultureller Austausch ist nichts Neues, es ist etwas, das seit Jahrhunderten stattfindet. Doch dieser muss immer auf Augenhöhe und respektvolle Art und Weise vollzogen werden. Im Falle der Valentino-Show ist kulturelle Aneignung äquivalent mit der Stereotypisierung Schwarzer Menschen und Menschen afrikanischer Herkunft. Die Herrichtung der Models und die Auswahl der Laufstegmusik spielt offensichtlich mit Stereotypen um etwas zu kreieren, das von der weißen Mehrheitsgesellschaft als afrikanische Ästhetik wahrgenommen wird. Wie so häufig in westlich-weißen Diskursen wird ein ganzer, kulturell höchst diverser Kontinent als ein großes Ganzes porträtiert und mit rassistischer Wortwahl als primitiv umschrieben. Es fällt also schwer, hier von wertschätzendem kulturellen Austausch zu sprechen, wenn Schwarze Kulturen stereotypisiert und rassistisch dargestellt und gleichzeitig zu „warenförmigen Fetisch-Objekten“ (Volkening 2020) weißen Kapitalismus reduziert werden. Wie auch bei der evident rassistischen Praxis des Blackfacings und dem Tragen von Afroperücken an Karneval entsteht durch die Valentino-Modenshow der Eindruck, es sei in Ordnung, Kulturen marginalisierter Communities als Kostüm zu tragen und daraus zusätzlich noch Profit zu schlagen. Bezeichnend dafür, dass hier wenig Würdigung der Kulturen, derer man sich bedient, stattfindet, ist ebenfalls in der Wahl der Models zu sehen: nur acht der 87 Looks der Valentino Modenshow wurden von Schwarzen Models präsentiert (vgl. Stansfield 2015).

Ein weiteres Argument derer, die der kulturellen Aneignung beschuldigt werden, ist, dass sie bestimmte Kulturelemente übernehmen, weil sie diese schön finden und so ihre Wertschätzung für andere Kulturen ausdrücken möchten. Zu ihrer Verteidigung beteuern sie zudem häufig, dass sie von einer Person der jeweiligen Kultur darin bestärkt worden seien, ein Kulturartefakt als Fashionstatement zu tragen. Hier gilt zu sagen: eine einzige Person kann nicht für alle Mitglieder einer Community sprechen. Und um etwas wahrhaftig wertzuschätzen, muss man Respekt und Verständnis haben. Valentino beispielsweise hat in seiner Show Perlen verwendet, die in afrikanischen und afro-diasporischen Kontexten tiefe spirituelle Bedeutung haben. Valentino hat diese Perlen benutzt, um ein Produkt zu verkaufen und dabei die ursprüngliche kulturelle Bedeutung missachtet. Kulturartefakte nach Belieben völlig willkürlich zu benutzen, wie es einem gerade gefällt, hat wenig mit Respekt zu tun.

Einer meiner persönlichen Favoriten in der Debatte um kulturelle Aneignung ist definitiv der Vorwurf der umgekehrten kulturellen Aneignung. Ein prominentes Beispiel bietet Designer Marc Jacobs, welcher 2020 ebenfalls überwiegend nicht-Schwarze Models mit Cornrow-Perücken für seine Modenshow nutzte. Auf den Vorwurf der kulturellen Aneignung reagierte dieser wie folgt:

“All who cry “cultural appropriation” or whatever nonsense about any race or skin color wearing their hair in any manner- funny how you don’t criticize women of color for straightening their hair. I respect and am inspired by people and how they look. I don’t see color or race- I see people. I’m sorry to read that so many people are so narrow minded… Love is the answer. Appreciation of all and inspiration from anywhere is a beautiful thing. Think about it.”

Marc Jacobs zitiert in Alese, 2018

Die Tatsache, dass es, anders als Jacobs glaubt, auch Schwarze Menschen gibt, die von Natur aus glattes Haar haben, soll hier einmal außen vorgelassen werden. Bei dem Argument der vermeintlich umgekehrten kulturellen Aneignung ist die Annahme zentral, dass Schwarze Menschen ebenfalls kulturelle Aneignung betreiben, wenn sie Erzeugnisse westlicher Kulturen übernehmen. Um kulturelle Aneignung zu verstehen, ist ein Verständnis von alltäglichem, strukturellem und institutionellem Rassismus in weißen Mehrheitsgesellschaften Voraussetzung. Denn so würde bewusst werden, dass umgekehrte kulturelle Aneignung genau so wenig existiert, wie umgekehrter Rassismus. Von kultureller Aneignung kann nur gesprochen werden, wenn ungleiche Machtverhältnisse zwischen Kulturen bestehen. Kulturelle Aneignung impliziert, dass eine privilegierte Gruppe sich an Artefakten marginalisierter Gruppen bedient. Wir leben in einer Welt, in der weiße Menschen und weiße Institutionen mehr Privilegien und Macht innehaben als Schwarze Menschen und Menschen of Color. Das kulturelle Erbe von ethnischen Minderheiten erfährt in weißen Mehrheitsgesellschaften oft eine Abwertung, was dazu führt, dass diese Minderheiten ihr Erbe verstecken oder sich so verändern, dass sie von der dominanten Gruppe akzeptiert werden. Wenn marginalisierte Menschen sich an einen Standard anpassen, der von der dominanten, westlichen Kultur gesetzt wird, ist dies häufig eine Überlebensstrategie. Man spricht hierbei also nicht von Aneignung, sondern Assimilation.

In der Auseinandersetzung mit kultureller Aneignung ist das Betrachten, Verstehen und Hinterfragen von Machtdynamiken also unabdingbar. Wenn man dies tut, dann werden die wohl beliebtesten Argumente, mit welchen kultureller Aneignung begegnet wird, sehr schnell entkräftet: Das sind doch nur Klamotten. Das ist doch nur Make-Up. Das sind doch nur Haare. Es ist eben nicht nur xyz, wenn Minderheitsgruppen für das Ausleben ihrer eigenen Kultur Opfer rassistischer Diskriminierung werden. Wenn dieselbe Gruppe, die Minderheitsgruppen abwertet, stigmatisiert, unterdrückt und marginalisiert nun deren kulturelle Praktiken übernimmt und dafür gefeiert wird.

Schwarze Menschen und People of Color sind seit Jahrhunderten einem eurozentrischen Schönheitsstandard ausgesetzt, der für sie nur schwer oder gar unmöglich zu erreichen ist. Denn innerhalb dieses Standards ist Schönheit in Übereinstimmung mit Weißsein konstruiert: helle Haut, dünne Lippen, schmale Nase und glattes Haar gelten als Ideal. Dieses Bild von Schönheit, errichtet auf dem Fundament der Versklavung, Kolonialisierung und Unterdrückung Schwarzer Menschen, ist eines, das bis heute vorherrscht. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich auf die koloniale Geschichte von Afrohaar Bezug nehmen. Haare und das Frisieren dieser hat in vielen afrikanischen sowie afrodiasporischen Kontexten seit Jahrhunderten eine besondere kulturelle und soziale Bedeutung. Während des transatlantischen Sklavenhandels war es üblich für Sklavenhalter, Schwarzen Männern und Frauen die Haare abzurasieren und sie so zu objektifizieren. Gesetze verboten es Schwarzen Menschen, ihr Haar öffentlich zu zeigen (vgl. Neil und Mbilishaka 2019: 160). Weltweit verbieten die Kodexe verschiedener Unternehmen und Institutionen auch heute noch Schwarzen Menschen, ihr Haar im natürlichen Zustand, als Afro, in Braids, Cornrows oder Dreadlocks zu tragen.

Viele nicht-Schwarze Menschen verharren bezüglich verschiedener Schwarzer Haarstyles in Stereotypen und Vorurteilen, die Schwarze Menschen navigieren müssen. Dazu zählt die Stigmatisierung von Afros als wild, rau und ungepflegt oder die Assoziation von Cornrows und Dreadlocks mit Drogenkonsum und Kriminalität oder Braids und anderen natürlichen Haarstyles als unprofessionell. Viele Schwarze Menschen sind sich nicht nur dieser Vorurteile, sondern auch des weißen Blickes bewusst, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind und welcher sie in einem Prozess des Otherings als fremd und nicht zugehörig markiert. Das Navigieren des weißen Blickes greift W.E.B. Du Bois in seiner Theorie des „double- consciousness“ (Du Bois 2007: 8) auf. Diese beschreibt den inneren Konflikt marginalisierter Minderheitsgruppen in einer repressiven Gesellschaft und die psychologische Herausforderung Schwarzer Menschen und People of Color, sich selbst immer durch die Augen einer rassistischen, weißen Gesellschaft wahrzunehmen (vgl. ebd.: 8). Dies beeinflusst auch, wie Schwarze Menschen ihre Haare in bestimmten Räumen tragen, vor allem, wenn sie vermeiden möchten, negative Stereotype in ihrem weißen Gegenüber hervorzurufen. Die Assimilation marginalisierter Gruppen an westliche Ideale ist in vielen Fällen ein gewaltvolles Anpassen an den weißen, eurozentrischen Standard. So greifen zum Beispiel viele Schwarze Personen auf den sogenannten Relaxer zurück, eine chemische Haarglättungscreme. Die toxischen Inhaltsstoffe in Relaxern stehen mit einer Vielzahl schwerwiegender Gesundheitsprobleme in Verbindung, darunter Reproduktionsstörungen, Geburtsdefekte, Asthma und Krebs (vgl. Murray 2015: 66).  Dennoch setzen sich viele Personen diesem Risiko bewusst aus, um Stereotypisierungen, Vorurteilen und dem Policing (Stichwort racial profiling) ihrer Körper zu entgehen und Zugang zu überwiegend weißen Räumen zu haben.

Und was hat all das mit kultureller Aneignung zu tun? 2019 erscheint die Novemberausgabe des Magazins ELLE unter dem Titel Back to Black. Damit ist aber nicht nur Mode gemeint. Auf einer Doppelseite mit der Überschrift Black is Back sind sechs Schwarze Models (davon eines mit falschem Namen, dem ihrer Kollegin), abgebildet (vgl. Hein 2019). Dies spiegelt das wieder, womit sich viele Schwarze Menschen und Menschen of Color momentan konfrontiert sehen: dass Diversity gerade in ist und Schwarzsein beziehungsweise Schwarze Kulturen als Trend behandelt werden. Celebrities und Influencer*innen wie die Kardashians und Jenners betreiben immer wieder massiv kulturelle Aneignung. Sie verwenden Hautbräunungsmittel, lassen sich Lippen und Gesäß vergrößern und ahmen so Schwarze Körperformen nach. Sie tragen regelmäßig kulturell Schwarze Frisuren wie Cornrows oder Braids, die medial als Kardashian-Zöpfe vermarktet werden. Anstelle schädlicher Vorurteile treten Beschreibungen wie egdy, cool und stylisch. Während Schwarze Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Haare, großer, voller Lippen und vor allem Schwarze Frauen mit kurvigen Körpern in der Historie immer Diskriminierung erfahren haben und es auch gegenwärtig tun, werden weiße, privilegierte Personen für dieselben Styles gefeiert. Wenn diese Körpermerkmale also von weißen Frauen in einem kolonialistischen Stil enteignet werden, ist es wieder ein Trend und gilt als zu erreichendes Schönheitsideal.

Dies bringt uns zurück zur Realität ungleicher Machtverhältnisse. Eine weiße Person, die sich Teile Schwarzer Kulturen aneignet, wird aufgrund ihrer Privilegien nicht mit denselben Stereotypen behaftet wie eine Schwarze Person. Es ist weißen Personen somit möglich, zu imitieren, kopieren und Schwarze Kultur zum Teil ihrer Marktstrategie zu machen, ohne die Bürde rassistischer Diskriminierung tragen zu müssen. Nicht-Schwarze Menschen haben die Möglichkeit, das Nachgeahmte wie ein Kostüm an- und abzulegen, wann immer es ihnen recht ist. Diese Freiheit haben Schwarze Menschen nicht. Viele Menschen verstehen sich auch als Allies, wenn sie Schwarze Kultur promoten. Die Tatsache, dass diese promotet werden muss, ist in sich wieder ein Beweis dafür, dass diese in einem kolonialrassistischen, neokapitalistischen System als weniger wert eingestuft worden ist. Auch, dass weiße Menschen erst etwas imitieren müssen, damit es normalisiert wird, verdeutlicht die gesellschaftliche Schieflage. Schwarze Menschen und People of Color haben nicht weiße Validierung zum Ziel, sondern Gleichberechtigung. Die Intention, die weiße Menschen bei der Übernahme kultureller Elemente im Sinn haben, ist meist hinreichend. Denn Allyship im Sinne eines ich bin mit euch, ich gehöre zu euch macht die Privilegien, die eine weiße Person innehat, nicht wett. Vielmehr werden so die Erfahrungen, die Schwarze Personen bezüglich dieser Elemente machen, außer Acht gelassen.

Bei der Frage kultureller Aneignung geht es nicht darum, nicht-Schwarzen Menschen zu verbieten, einen historisch und kulturell Schwarzen Haarstyle zu tragen. Vielmehr geht es darum, diesen auch als solchen zu würdigen. Auch eine weiße Person kann Kleidung afrikanischen Ursprungs tragen, wenn Anlass und Setting angemessen sind. Nimmt sie beispielsweise an der Hochzeit einer Schwarzen Person teil und wird eingeladen, an dieser Kultur teilzuhaben, kann das Tragen traditioneller Kleidung von Respekt und Wertschätzung zeugen. Es geht also nicht darum, Menschen vorzuschreiben, nicht weiter an den Erzeugnissen anderer Kulturen teilzuhaben. Kulturelle Teilhabe kann vielseitig aussehen: das Lesen von Büchern, Besuchen von Museen, Hören von Musik, Belegen von Kochkursen oder Reisen. Kultur kann auf verschiedenste, respektvolle Weisen kennengelernt und genossen werden, ganz ohne davon willkürlich Teile zu übernehmen. Im Falle der Modenshows von Valentino und Marc Jacobs hätte Wertschätzung bedeuten können, die für die Mode verwendeten Stoffe direkt von Menschen der Kultur zu kaufen, von der sie inspiriert waren. Wertschätzung hätte auch bedeuten können, Schwarzen Models Sichtbarkeit zu verschaffen, indem sie in die Show integriert werden. Und vor allem bedeutet dies für die Mode- sowie viele weitere Branchen, künftig die vergütete Expertise von Diversity-Berater*innen in Anspruch zu nehmen, wenn es ihnen nicht möglich ist, Schwarze Menschen und Kulturen angemessen und ohne Stereotypisierungen zu adressieren.

Die Tatsache, dass es, anders als Jacobs glaubt, auch Schwarze Menschen gibt, die von Natur aus glattes Haar haben, soll hier einmal außen vorgelassen werden. Bei dem Argument der vermeintlich umgekehrten kulturellen Aneignung ist die Annahme zentral, dass Schwarze Menschen ebenfalls kulturelle Aneignung betreiben, wenn sie Erzeugnisse westlicher Kulturen übernehmen. Um kulturelle Aneignung zu verstehen, ist ein Verständnis von alltäglichem, strukturellem und institutionellem Rassismus in weißen Mehrheitsgesellschaften Voraussetzung. Denn so würde bewusst werden, dass umgekehrte kulturelle Aneignung genau so wenig existiert, wie umgekehrter Rassismus. Von kultureller Aneignung kann nur gesprochen werden, wenn ungleiche Machtverhältnisse zwischen Kulturen bestehen. Kulturelle Aneignung impliziert, dass eine privilegierte Gruppe sich an Artefakten marginalisierter Gruppen bedient. Wir leben in einer Welt, in der weiße Menschen und weiße Institutionen mehr Privilegien und Macht innehaben als Schwarze Menschen und Menschen of Color. Das kulturelle Erbe von ethnischen Minderheiten erfährt in weißen Mehrheitsgesellschaften oft eine Abwertung, was dazu führt, dass diese Minderheiten ihr Erbe verstecken oder sich so verändern, dass sie von der dominanten Gruppe akzeptiert werden. Wenn marginalisierte Menschen sich an einen Standard anpassen, der von der dominanten, westlichen Kultur gesetzt wird, ist dies häufig eine Überlebensstrategie. Man spricht hierbei also nicht von Aneignung, sondern Assimilation.

Es braucht ein sich Bewusstwerden und -sein über die eigenen Privilegien sowie das Hinterfragen dieser, bevor vom Zelebrieren kulturellen Austausches gesprochen werden kann. Ohne diese kritische Reflektion besteht die Gefahr der Fortführung des kolonialrassistischen Ausbeutungssystems, in denen weiße Menschen von Schwarzen Kulturen profitieren, während Schwarze Menschen gesellschaftliche Benachteiligung für das Ausleben ihrer eigenen Kulturen erfahren. Schwarzsein ist kein Trend im Sinne von Black is Back. Schwarze Menschen waren und sind immer da. Schwarzsein ist kein Kostüm, das man trägt, wenn es gerade angesagt ist. Es ist die Lebensrealität Schwarzer Menschen. Es ist an der Zeit, zu verstehen, dass Kulturartefakte marginalisierter Gruppen nie bloß ein Style, sondern oft mit realen gesellschaftlichen Kämpfen und Leiden verbunden sind. Durch die willkürliche Übernahme und dem Dekontextualisieren von Kulturgütern werden diese Kämpfe trivialisiert. Wem als nicht-Schwarzer Person daran gelegen ist, die systematische Diskriminierung Schwarzer Menschen zu beenden, muss kulturelle Aneignung als Teil dieses unterdrückerischen Systems anerkennen. Wer Schwierigkeiten hat, die Grenze zwischen Aneignung und respektvollem Austausch auszumachen, kann sich für den Anfang folgende Fragen stellen: würdige ich die ursprüngliche Herkunft der Elemente, derer ich mich bediene? Billige ich den Kampf Schwarzer Communities, wenn ich Teile Schwarzer Kulturen übernehme? Reduziere ich Kulturgüter zu einem bloßen Fashionstatement? Inwiefern profitieren die Menschen, deren Kultur ich mit aneigne? Ist das Setting, in dem ich mich bewege, ein angemessenes, um dieses Kulturartefakt für mich zu nutzen? Kämpfe ich gegen (Anti-Schwarzen) Rassismus oder ruhe ich mich auf meinen weißen Privilegien aus? Schätze ich Schwarze Leben oder nur Schwarze Kulturen?


Literaturverzeichnis:

Alese, Whitney 2018: What Marc Jacobs’ constant cultural appropriation really means, online: https://medium.com/@TheReclaimed/what-marc-jacobs-constant-cultural-appropriation-really-means-ed9cbf766ffb (17.09.2020).

Du Bois, W.E.B.; Edwards, B. 2007: The Souls of Black  Folk. Oxford England; New York:  Oxford University Press.

Hein, Theresa 2019: Kritik an „Elle“-Novemberausgabe „Wir sind kein Trend“ – Empörung über „Back to Black“-Ausgabe von „Elle“. Süddeutschte Zeitung, online: https://www.sueddeutsche.de/medien/elle-germany-back-to-black-diskriminierung-1.4662483 (19.09.2020).

Mbilishaka, A.; Neil, L. 2019: “Hey Curlfriends!”: Hair Care and Self-Care Messaging on YouTube by Black Women Natural Hair Vloggers. Journal of Black Studies 50(2): 156-177.

Murray, C. 2015: Altered Beauty – African-Caribbean women decolonizing       racialized aesthetics in Toronto, Canada. Your Review, online: https://yourreview.journals.yorku.ca/index.php/yourreview/article/view/40352/36553 (19.09.2020).

Stansfield, Ted 2015: Valentino Show inspired by ‘wild Africa’ sparks controversy, online: https://www.dazeddigital.com/fashion/article/26895/1/valentino-show-inspired-by-wild-africa-sparks-controversy (17.09.2020).

Volkening, Heide 2020: Kulturelle Aneignung – Das Begehren des Anderen, online: https://www.zeit.de/kultur/2020-05/kulturelle-aneignung-popkultur-stereotyp-imitation-postkolonialismus (19.09.2020).


Quelle: Kesho-Tabitha Imadonmwinyi, Black Beauty, White Standards – An Essay on the Appropriation of Black Cultures, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 06.07.2021, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2021/07/06/black-beauty-white-standards-an-essay-on-the-appropriation-of-black-cultures/