Wie bringt man neu angekommene Menschen dazu, die Landessprache zu lernen? Die flämische Regierung hat sich da etwas Neues einfallen lassen. Wer eine Sozialwohnung bekommen will, muss Niederländisch können. Eine ähnliche Regelung gab es schon länger, bislang musste aber nur der Wille zum Erwerb des Niederländischen bestätigt werden. Jetzt soll ein Nachweis der Kenntnisse verlangt werden. Wer diesen Nachweis nach einem Jahr nicht erbringen kann, muss mit Strafen rechnen. Damit soll sichergestellt werden, sagt die zuständige Ministerin Liesbeth Homans von der nationalchauvinistischen N-VA, dass „jeder Mieter auch tatsächlich Niederländisch spricht“.
Was Sprachkenntnisse mit Wohnungspolitik zu tun haben, bleibt das Geheimnis der flämischen Regierung. In Belgien ist natürlich jedes Politikfeld immer auch irgendwie Sprachpolitik, aber die logische Verbindung an dieser Stelle ist völlig willkürlich. Es soll einfach nur signalisiert werden: Wer etwas von uns möchte, z.B. geförderten Wohnraum, der soll auch im Gegenzug etwas tun.
Der Trend ist klar, und er ist nicht auf Flandern begrenzt. Die Regierungen europäischer Länder greifen zu immer drastischeren Maßnahmen, um das Erlernen der Landessprachen zu – ja, was eigentlich? Fördern? Erzwingen?
In Deutschland entbrannte vor einiger Zeit eine Debatte und ein juristischer Streit um Sprachkenntnisse von Menschen, die zu ihren Ehemännern oder –frauen nach Deutschland ziehen, wenn diese dort schon leben. Es sollte verlangt werden, dass bereits vor der Ankunft Deutschkenntnisse vorliegen, ansonsten würde der Nachzug verweigert.
Ob es am Herkunftsort überhaupt möglich ist, Deutsch zu lernen (nicht jedes Dorf hat ein Goethe-Institut) und ob die Betroffenen es sich leisten können (Deutschkurse sind in aller Regel kostenpflichtig), das war den Politikern erst einmal egal. Es ging um eine harte Forderung, nicht um eine realistische Einschätzung der Realität. Dass man eine Sprache schneller und besser lernt, wenn man im Zielland lebt, ist zwar eine Binsenweisheit, spielte aber in der Diskussion kaum eine Rolle.
Dass Sprachkenntnisse notwendig sind, steht außer Frage. Deshalb ist in diesem Bereich die Empörung auch bei völlig überzogenen Forderungen gering: Es kann ja keiner etwas dagegen haben, wenn man Sprachkenntnisse einfordert. Es scheint die Vorstellung zu herrschen, man dürfe selbst mit krassen Einschnitten in grundlegende Rechte von Menschen das Sprachenlernen erzwingen. Selbst das Recht auf eine Wohnung oder auf ein gemeinsames Familienleben sind nicht tabu. Dahinter steckt eine unverschämte Unterstellung: „Die wollen eigentlich gar kein Deutsch bzw. Niederländisch lernen.“
Das ist natürlich Unsinn. Es kommt viel häufiger vor, dass Menschen die Sprache lernen wollen aber nicht können, als umgekehrt. Fehlende Sprachkurse, zu teure Teilnahmegebühren oder Lernmaterialien, Zeitnot durch anstrengende Arbeit etwa im Schichtdienst, all diese Gründe sind viel verbreiteter als ein hartnäckiger Unwille zum Lernen. Hinzu kommt, dass die Lehrkräfte skandalös schlecht bezahlt werden und mit prekären Vertragsbedingungen leben müssen. So signalisiert der Staat, dass es ihn wenig kümmert, wie Sprachkenntnisse erworben werden. Das Ergebnis muss stimmen, für den Weg dahin möchte man keine Verantwortung übernehmen. Dabei behindern Maßnahmen wie die in Flandern den Spracherwerb sogar.
Man muss kein Erziehungswissenschaftler sein um zu wissen, dass Zwang dem Lernerfolg schadet. Wer Angst hat, seine Wohnung zu verlieren oder bangen muss, jahrelang den Ehepartner nicht wiedersehen zu dürfen, wird sich zwar sicher bemühen, die Sprache schnell zu lernen. Eine lernfreundliche Motivation und eine positive Einstellung zur Sprache kommt dabei aber nicht auf. Eine Sprache zu lernen ist Aufwand und braucht Zeit – abhängig vom Einzelnen mehr oder weniger, so dass schon die starre Festlegung auf ein Jahr in Flandern absurd ist. Zumindest sollten wir den Lernenden vermitteln, dass wir ihre Bemühungen zu schätzen wissen anstatt ihnen Faulheit, Unwillen oder Realitätsverweigerung zu unterstellen und eine angsteinflößende Drohkulisse aufzubauen.
Wie bringt man also Menschen dazu, die Landessprache zu lernen? Schon die Frage ist falsch. Man muss sie gar nicht dazu bringen. Man muss sie lassen.