17. November 2019 von Johanna Ridderbeekx
von Franziska Boenisch
Der Beginn
Seit Beginn meines Studiums hatte ich den Plan gehabt, mal ein Auslandssemster zu machen, am besten in den Niederlanden. Denn dort haben die Unis einen guten Ruf, dort wird viel Rad gefahren und Wert auf die Umwelt gelegt. Das waren meine Gedanken. Im letzten Semester meines Masterstudiums war es endlich so weit und ich machte mich im Februar 2019 auf den Weg nach Eindhoven – meine neue Heimat auf Zeit.
Die Begrüßung durch meine diese neue Heimat war nicht so herzlich, wie ich es mir vielleicht gewünscht hätte. Kurz vor Antritt meines Aufenthaltes hatte ich von der Uni spontan eine Absage bekommen für das Studentenwohnheimszimmer, das mir von Anfang an zugesagt worden war. In einer Stadt, in der der Wohnungsmarkt sowieso schon aus allen Nähten platzt, ist es keine Freude, noch in letzter Minute eine Unterkunft auf Zeit zu finden. Schon gar nicht für Ausländer. Alle online Anzeigen für WGs waren ausdrücklich an Niederländer gerichtet. Da ich an der FU Berlin durch die Kurse der Niederlandistik ja schon viel Niederländisch gelernt hatte, dachte ich, ich könnte mich ja einfach trotzdem bewerben, wenn es denn wohl um die Sprache gehen sollte. Die vielen – und teilweise sehr unfreundlichen – Rückmeldungen auf meine in niederländischer Sprache verfassten Bewerbungen überzeugten mich schnell davon, dass ich bei dieser Einschätzung wohl falsch gelegen hätte. Es blieb mir also nur übrig, mir ein Zimmer im Student Hotel Eindhoven zu nehmen, einem Hotel, das gleichzeitig (und für sehr stolze Preise) Langzeit-Zimmer für Studenten anbietet. Die Unterkunft war dafür allerdings auch sehr schön und bot jeglichen Komfort, von einem Lernzimmer bis hin zu einem Fitnessstudio.
Weniger einladend war dann der Campus auf den ersten Blick. Als ich an meinem ersten Tag ankam, um meine Dokumente und meinen Studentenausweis abzuholen, musste ich schnell feststellen, dass die TU Eindhoven zwar sehr modern, wohl aber nicht besser organisiert war, als ich es von zu Hause gewöhnt bin. Durch kalten Wind und Schneeböen kämpfte ich mich von Gebäude zu Gebäude (die alle zwar interessante Namen haben, aber keine wirklichen Adressen auf dem Campus). Dies, und die Tatsache, dass sie teilweise ineinander übergehen, durch über- oder unterirdische Gänge miteinander verbunden sind oder direkt nebeneinander stehen, machte das Finden der richtigen Räume fast unmöglich.
Die Kurse
Ähnlich orientierungslos war ich, was den Beginn der Vorlesungszeit betraf. Dadurch, dass die Universität komplett durch-digitalisiert ist, gibt es keinen Erasmuskoordinator mehr, der einem erklärt, wo man seine Kurse bucht, wo man hin muss, wie das System läuft. Man hat die online Plattform, auf der man sich Kurse, zugehörige Tutorien und alles Sonstige bucht und raussucht und das war es. Glücklicherweise lernte ich durch Zufall ein paar andere Erasmusstudenten an meinem Fachbereich kennen und gemeinsam schafften wir es schon in Woche zwei immer bei den Veranstaltungen zu landen, zu denen wir hin wollten. Dies war auch nötig, denn in Eindhoven gibt es keine Semester, sondern Quartale. Und diese sind dann nur 8 Wochen lang, so geht es in Woche zwei schon sehr heiß her. Neben den anspruchsvollen Vorlesungen waren wöchentliche benotete Programmieraufgaben abzugeben, Paper zu lesen, Übungen zu machen. Das ist zwar bei den Informatikern an der FU Berlin nicht sehr anders, aber doch fühlte ich mich da nie so überfordert. Ich glaube, den größten Unterschied machte es für mich, dass die theoretischen Übungen, die einen für die Klausur vorbereiten, nicht abgegeben werden, sondern nur die praktischen, die man also sozusagen „on-top“ machen muss. Und dabei muss man die Zettel auch nicht nur bestehen, wie bei uns, sondern die Note der Zettel fließt bis zu mehr als die Hälfte in die Endnote des Kurses ein. Der Druck ist daher wirklich hoch. Von den Kursen her konnte ich meinen Aufenthalt in Eindhoven also nicht besonders genießen, sondern bin immer leicht an der Überforderung mit dem Pensum und der Menge der Online-Tools und -Plattformen vorbeigeschrappt.
TU-Campus -© F. Boenisch
Von der Ausstattung war die TU aber sehr beeindruckend. Die Gebäude sind alle neu, gut ausgestattet, es gibt riesige Bibliotheken, die Vorlesungssäle sind modern und mit neuster Technik ausgestattet. Die Professoren müssen technische Probleme mit Beamer und Co. nicht mal mehr selber lösen, sondern es gibt Techniker, die sie anrufen können und die dann kommen, falls etwas nicht läuft. Generell gibt es viele zusätzliche Mitarbeiter, die Rezeptionen in jedem Gebäude betreuen, einen Sicherheitsdienst und ein Studienbüro, wo auch der Erasmuskoordinator sitzen würde und man für Fragen einfach hingehen könnte, sollte er denn vor Ort sein. Auch der Campus ist sehr weitläufig und wunderschön gepflegt. Wohl fühlen kann man sich also. Nur eine Mensa habe ich bis zu meinem letzten Tag nie gefunden. Ich beobachtete die anderen Studenten immer, wie sie über ihren Laptop sitzend irgendwelche in Plastik eingeschweißten Sandwiches aßen. In dem Punkt habe ich auf die Anpassung verzichtet und dann lieber an der Uni nichts gegessen, sondern bin in den Freistunden lieber nach Hause geradelt.
Das Leben
Generell hat es mich überrascht, wie anders doch die Esskultur zwischen den Niederlanden und Deutschland sein muss. Fast jede Art von Gemüse und Obst gibt es schon fertig verpackt, geschnitten und verzehrfertig im Supermarkt zu kaufen. Von geriebenen Kartoffeln, geraspelten Möhren, geschnittenem Obst, Fertigmischungen für alle möglichen Teige, belegte Pizzen, Burger usw. gab es eigentlich alles zu kaufen. Für mich sprach das dafür, dass sich viele Leute vielleicht nicht mehr viel Zeit für Essen nehmen. Das passte mit dem Eindruck der Sandwiches zusammen. Und irgendwie passte das auch nicht in mein Bild der umweltfreundlichen Niederländer. Wenn je 200g Karottenraspeln in Plastik eingepackt sind, ist es mit der Umwelt nicht so weit bestellt. Praktisch ist es aber schon, das musste ich nach einiger Zeit zugeben.
Auch die Imbissbuden, die überall in der Stadt verteilt waren, und wo es im Automaten zur Selbstbedienung Frikandeln und andere – für mich nicht ganz zuordenbare frittierte Gerichte – gab, bestärkten diesen Eindruck. Für das Essen aus den Automaten konnte ich mich zwar nie besonders begeistern, die Pommes waren allerdings die besten, die ich je gegessen hatte.
Die Stadt
Karnaval – © F. Boenisch
Die Lebensqualität in Eindhoven habe ich als sehr hoch wahrgenommen, die Stadt war immer schön sauber, den anstehenden Festivitäten entsprechend geschmückt und es wurden viele Feste veranstaltet. Ein ganz großes Highlight war der Karneval, für den die Innenstadt bestimmt 5 Tage still stand, überall Bühnen aufgebaut waren und gefeiert wurde. Genauso passierte es auch zum Königstag. Man konnte immer richtig spüren, wie die Stadt zusammenrückte, alles herausgeputzt wurde und die Menschen gemeinsam auf der Straße Spaß hatten.
Auch im Alltag kommt man gut auf seine Kosten, das Theater der Stadt ist wirklich nett und bietet ein überrauschend abwechslungsreiches Programm an. Zwei Mal die Woche ist Markt, wo man sein Gemüse auch in seiner unverpackten, unverarbeiteten Rohform erwerben kann, es gibt eine hervorragende Fahrradinfrastruktur und gerade um den Campus herum wurde es, als langsam der Frühling kam, sehr grün und schön. Es gibt sogar einen See, den wir Erasumus-Studenten als häufigen Wochenend-Treffpunkt auserkoren hatten.
Festival auf dem Campus – © F. Boenisch
Besonders die TU trägt auch zu einem ausgefüllten Leben in der Stadt da. Als sich der Sommer näherte, war eigentlich jedes Wochenende ein großes Event auf dem Campus. Einmal gab es klassische Musik mit Orchestern, die teilweise sogar aus anderen Städten und Ländern angereist waren. Mein Highlight dabei war wohl die Aufführung von Peter und der Wolf auf Niederländisch, da es eine der wenigen Gelegenheiten bot, auf dem Campus Niederländisch zu hören. Aber auch die Festivals, Partys und Konzerte, die auf dem Campus organisiert wurden, standen kommerziellen Veranstaltungen in nichts nach. Es war immer für genügend Bier gesorgt, es waren gute Bands da und dabei fand ich es ganz erheiternd zu sehen, wie die Studenten sich auf dem Campus gehen ließen, in einer Form, wie ich es zu Hause an der Uni noch nie erlebt hatte. Die Verbindung zwischen Uni und Freizeit scheint dort also perfekt zu klappen, auch wenn ich das vielleicht manchmal etwas befremdlich fand. Insbesondere die enormen Mengen an Bier, die stets zu den Events gehörten.
Die Studienvereinigung
Königstag – © F. Boenisch
Schnell merkte ich, dass sich unter den anderen Erasmusstudenten vorher niemand die Mühe gemacht hatte, Niederländisch zu lernen. Generell war die Hauptsprache zwischen Studierenden und Dozierenden an der TU immer nur Englisch. Auch die ausländischen Studenten, die länger dort waren – teils für ihr ganzes Studium – sprachen kein Wort Niederländisch. Und da sie zu größten Teilen die Tutorien betreuten, war für mich weder im privaten noch im universitären Kontext die Möglichkeit vorhanden, Niederländisch zu sprechen, was ich sehr schade fand. Als ich kurz vor dem Aufgeben war, was meine Träume, doch noch Niederländisch zu sprechen, betraf, lernte ich GEWIS kennen.
An der TU gibt es verschiedenen „Studie Associaties“, also Studienvereinigungen. Das ist ähnlich einer Studentenvereinigung, allerdings mit Fachbezug zum Studium und an den Fachbereichen angesiedelt. Die GEWIS ist die Vereinigung für Informatik und Mathematik in Eindhoven. Ich bin auf sie aufmerksam geworden, da sie (anders als die offiziellen Stellen der Uni) eine kleine Einführung für uns Erasmusstudenten organisiert hat, bei der wir etwas über die Niederlande erfahren haben. Ich bin dann Mitglied geworden, um niederländische Freunde zu finden und das war die beste Entscheidung meines Aufenthaltes. Für 15€ Halbjahresbeitrag kann man ab dann an allen Veranstalungen der GEWIS teilnehmen. Diese sind ganz verschiedener Natur: Wandern, Spiele spielen, gemeinsam Backen, Vorlesungen zu Themen und Kompetenzworkshops. Weiterhin wird jeden Donnerstag in den Räumen der GEWIS auf dem Campus der sog. „Borrel“ organisiert. Dann wird für 75ct Bier verkauft, alle stehen zusammen, es ist irgendwie wie in einer Kneipe. Die Studenten dort waren unglaublich nett zu mir, haben mit mir Niederländisch gesprochen, mir viel über die Studienvereinigungskultur, die Uni, die Niederlande usw. erzählt. Das war sehr bereichernd, teilweise, wenn es um die Aufnahmeriten in irgendwelche Teams der Vereinigung ging, die alle das schnelle und viele trinken von Bier beinhalteten, vielleicht auch ein bisschen befremdlich.
Wieder zu Hause
Mein Fahrradweg zur Uni – © F. Boenisch
Jetzt, wieder zu Hause, fehlen mir die schönen Radwege der Niederlande. Es fehlen mir auch die Studienvereinigung und all meine Freunde. Der Uni allgemein in Deutschland fehlt vielleicht auch die Studienvereinigung, denn den meisten Studenten hier, könnte ein bisschen Zusammenhalt am Fachbereich, ein paar gemeinsame Aktivitäten und fachbezogene Unterstützung nicht schaden. Es fehlen mir die Pommes, es fehlt mir die niederländische Sprache. Was aber bleibt sind viele schöne Erinnerungen an eine Stadt, die viel spannender ist, als alle immer behaupten, und die Erfahrung, wie anders Studium im Ausland sein kann, auch wenn man im direkten Nachbarland bleibt.