14. September 2015 von Philipp Krämer
Man soll nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Aber wie etwas in der Zeitung steht, kann trotzdem interessant sein. Überschriften und Schlagzeilen folgen beispielsweise klaren Regeln, wenn es darum geht, wie man einen Sachverhalt verkürzt darstellen kann. Ausführlichere Forschung dazu gibt es etwa schon beim Meertens Instituut (pdf).
Eine von vielen Strategien, die im Niederländischen eingesetzt wird, ist das Weglassen von Präpositionen:
Museum Engelandvaarders geopend door koning (historiek.net)
Auf Deutsch ist diese Konstruktion nicht möglich:
*Museum Englandfahrer von König eröffnet
Auch im Niederländischen kann man die Präpositionen nicht beliebig weglassen:
*Museum voor Engelandvaarders geopend koning
Verzichtbar sind vor allem Präpositionen wie van, voor oder in. Die ersten beiden Präpositionen zeigen normalerweise simple Verhältnisse der Zugehörigkeit zwischen den beteiligten Elementen an. Deutsche Schlagzeilen bevorzugen dafür Komposita. In der Boulevardpresse nimmt das oft groteske Ausmaße an, wie der „Schlagzeilomat“ eindrucksvoll beweist (ähnlich auch der Correspondent-koppengenerator). Aber auch in ernstzunehmenden Medien würde bei einem Bericht über das Museum eher ein Kompositum stehen:
König eröffnet Englandfahrer-Museum (vielleicht sogar Englandfahrermuseum)
Durch die weggelassenen Präpositionen funktionieren Schlagzeilenkonstruktionen im Niederländischen praktisch wie linksköpfige Komposita. Das Genre der Zeitungsüberschrift hat die Macht, das ansonsten so sture Kopf-Rechts-Prinzip der germanischen Sprachen zu brechen. Und ähnlich wie bei Komposita ist es dem Leser bzw. Hörer überlassen, das genaue semantische Verhältnis zwischen den verbundenen Elementen zu rekonstruieren. Steht das weggelassene van zum Beispiel eher für eine Genitivkonstruktion, oder eher für eine Possessivkonstruktion? Geht es um ein Museum für Englandfahrer oder ein Museum von Englandfahrern? Antworten auf solche Fragen müssen wir in der Regel aus unserem Sprachwissen, aus dem Kontext bzw. aus der möglichen Sinnhaftigkeit der Aussage erschließen. Ebenso wie wir durch Erfahrung wissen, dass Apfelkuchen mit Äpfeln zubereitet wird, Hundekuchen aber nicht mit Hunden.
Manche (Unter-)Überschrift lässt sich beim besten Willen nicht mit grammatischen Regeln erklären. (BenTheWikiMan, CC-BY-SA-3.0)
Das Weglassen einer Präposition wie in ist ein etwas anderer Fall:
Poging moord tijdens schietpartij Maastricht niet bewezen (rechtspraak.nl)
Campings ontruimd na bosbranden Fréjus (nrc.nl)
Bei diesen Schlagzeilen wäre durchaus auch eine Lesart mit van möglich: Die Schießerei von Maastricht oder die Waldbrände von Fréjus – beides klingt ein wenig nach historischem Ereignis. (Übrigens: Tijdens und na können nicht wegfallen. Und selbst bei poging moord scheut das Niederländische noch ein Kompositum wie Mordversuch.) In beiden Fällen ist wohl ein in als Lokalangabe naheliegender. Auch hier ist eine ähnliche Konstruktion im Deutschen untypisch:
*Mordversuch bei Schießerei Maastricht nicht bewiesen
*Campingplätze geräumt nach Waldbränden Fréjus
Besonders bei offensichtlichen geographischen Namen ist das wegfallende in leicht zu rekonstruieren. Aber es kann durchaus auch bei anderen Substantiven fehlen:
Dodental schietpartij school VS loopt op (nu.nl)
Vermutlich würde man hier sogar als vollständige Konstruktion eher op een school in de VS wiederherstellen – aber egal ob in oder op: die Lokalangabe identifiziert die Schule als Ort der Schießerei. Hinzu kommt noch, dass auch die Artikel weggefallen sind. Und damit hat die niederländische Schlagzeilensprache erstaunlich vieles gemein mit den neuesten sprachlichen Entwicklungen in Multiethnolekten wie Kiezdeutsch oder straattaal. Denn auch dort können unter gewissen Umständen bare noun phrases entstehen, also Präpositionen und Artikel wegfallen:
Ich bin Schule. (Nicht: Ich bin in der Schule. Quelle: Wiese 2012,15)
Kun je gelijk HBO inschrijven. (Nicht: Kun je je gelijk op het HBO inschrijven. Quelle: Hier so.)
Diese Konstruktionen entstehen, ebenso wie bei den Schlagzeilen, keineswegs regelfrei. Es können nur bestimmte Präpositionen entfallen, nämlich vereinfacht gesagt diejenigen, die am leichtesten rekonstruierbar sind und den naheliegendsten räumlichen Zusammenhang herstellen. Außerdem sind sich Schlagzeilen und Multiethnolekte noch bei einer weiteren Regel einig. Man kann nicht die Präposition weglassen, den Artikel aber realisieren:
Neu sind Schlagzeilen ohne Präposition nicht, hier z.B. im Algemeen Handelsblatt von 1936. (kranten.kb.nl, PD)
*Ich bin die/der Schule.
*Kun je gelijk het/de HBO inschrijven.
Arbeiten bei den niederländischen Zeitungen nun heimlich jede Menge straattaal-Sprecher? Wohl kaum, aber dieser (zugegeben knappe und etwas vereinfachte) Vergleich zeigt wieder einmal, dass Multiethnolekte nicht einfach kaputtes Deutsch oder Niederländisch sind. Es gibt klare Regeln, und man braucht genaues implizites Sprachwissen um zu erkennen, was geht und was nicht. Journalisten traut man solches Sprachwissen zu, Jugendlichen leider seltener. Bleibt nur eine Frage: Warum können deutschsprachige Journalistinnen und Journalisten keine kiezdeutschen Schlagzeilen machen? Vielleicht fehlt ihnen eine Sprachfertigkeit, die unsere Jugendlichen in Berlin längst haben.