Essay zum Thema: Gendergerechte Sprache

Anonym, WiSe 2021-2022

Einleitung

Einer meiner ersten Berührungspunkte mit den Themen um Gender und Diversity war, wenn ich mich richtig erinnere, vor einigen Jahren das Gendern in der Sprache. Meine große Schwester hat sich zu dem Zeitpunkt damit beschäftigt und das Gendern wurde bei uns auch in der Familie diskutiert. Ich selbst habe mich aber nicht wirklich damit auseinandergesetzt und bin erst im und Verlauf meines Studiums und bei meinem Werkstudent*innenjob mehr mit gendergerechter Sprache und generell mit Gender in Verbindung gekommen. Deswegen sehe ich mich selbst auch als Neuling und merke, auch im Rahmen dieses Seminars, dass ich vieles noch nicht weiß und gerade über die komplexen Zusammenhänge von Rassismus, Intersektionalität, Diskriminierung und Gender noch einiges zu lernen habe.

Das Gendern, also bewusst auf eine gendergerechte Sprache zu achten, habe ich dabei recht schnell übernommen. Lange habe ich aber nicht groß darüber nachgedacht oder hinterfragt, warum das vielleicht wichtig ist. Auch ist mir aufgefallen, dass ich im Kontext der Uni und der Arbeit stark darauf achte, aber es im Freundeskreis eher vernachlässige. Ich vermute das liegt daran, dass ich noch zu wenig darüber weiß, beziehungsweise für mich selbst nicht gut begründet habe, warum ich gendergerechte Sprache eigentlich nutzen möchte. Deswegen möchte ich mich in diesem Essay damit auseinandersetzen und herausfinden, was die wesentlichen Argumente im öffentlichen Diskurs für und gegen eine gendergerechte Sprache sind und welche Erkenntnisse es aus der Wissenschaft und Forschung gibt. Zu dem Thema gibt es bereits umfassende Studien, Artikel, Interviews und Meinungen. Das Ziel des Essays soll es nicht sein, dazu einen wissenschaftlichen Mehrwert zu bieten. Ich möchte mir, begründet durch meine Recherche, eine eigene subjektive Meinung bilden. Ich habe mich dazu entschieden, die Formulierung „gendergerechte“ Sprache zu verwenden. Andere Bezeichnungen wären geschlechtergerechte, gendersensible oder genderneutrale Sprache. Für das Gendern selbst werde ich das Gendersternchen * verwenden.  Was der Begriff der gendergerechten Sprache genau bedeutet (und welche Aussage das Gendersternchen in meinem Essay hat), spiegelt für mich die Definition der Uni-Kassel gut wider: „Ziel geschlechter-gerechter Sprache ist es, alle Geschlechter auf respektvolle Art und Weise anzusprechen und sichtbar zu machen. Dabei geht sie über die schlichte Benennung von Männern und Frauen hinaus und spricht Trans*- und Inter- sowie nicht-binär verortete Personen an“.

Argumente im öffentlichen Diskurs

Ich möchte einige Argumente des öffentlichen Diskurses für oder gegen eine gendergerechte Sprache herausarbeiten. Sie sind aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und stellen nur einen kleinen Teil der Gesamtargumentation dar, deren Darstellung den Rahmen des Essays gesprengt hätte. Mein Standpunkt soll in diesem Abschnitt noch keine Rolle spielen und erst zum Ende mit einfließen.

Pro

Sprache beeinflusst unser Denken (und sollte die Realität abbilden)

Das generische Maskulin und dessen Gebrauch in der Sprache führt zu einer engen gedanklichen Verbindung zwischen Genus und natürlichem Geschlecht und ist deswegen nicht neutral, sondern führt dazu, dass Frauen gedanklich ausgeschlossen werden (Irmen & Kaczmarek, 2000; Kania, 2021). Die Sprache hat dabei Symbolcharakter und beeinflusst das Denken, die Wahrnehmung und unsere Wirklichkeit, deswegen kann eine gendergerechte Sprache auch Benachteiligungen entgegenwirken. Sprachdebatten sind deswegen auch politische Debatten, bei denen es um Dominanz und Macht geht (Landeszentrale für politische Bildung, 2022).

Weiterhin sollte die Sprache der Realität entsprechen. Diese sieht so aus, dass es, neben einem nahezu gleichen Verhältnis von Männern und Frauen, auch Trans*- und Inter- sowie nicht-binär verortete Personen gibt, welche ebenso in der Sprache Beachtung finden sollten. Eine gendergerechte Sprache ist deswegen auch eine politische Positionierung für eine neue emanzipative Geschlechterordnung (GEO, 2021).

Sprache verändert sich

Unsere Sprache entwickelt sich ständig weiter. Die Veränderungen (die oft mit anfänglicher Ablehnung einhergehen) gehören sozusagen zur linguistischen Geschichte (GEO, 2021). Dabei empfinden die Menschen den Wandel und das Gehirn die unbekannten Wörter als anstrengend. Je öfter wir diese Wörter aber verwenden, umso mehr neuronale Verknüpfungen entstehen und umso leichter fallen sie uns. Mit der Zeit gewöhnen wir uns also an Veränderungen in unserer alltäglichen Sprache, weswegen Argumente zur Lese- und Redefreundlichkeit sowie Verständlichkeit nicht nachhaltig begründet sind (Landeszentrale für politische Bildung, 2022).

Männliche Dominanz in der Sprache

Durch die Verbindung von grammatischem und natürlichen Geschlecht kommt es zu einer männlichen Dominanz in der Sprache. Das liegt auch daran, dass das Maskulinum sowohl für alle Personen („Studenten“) als auch nur für die männlichen Personen („Studenten“) gelten kann. Die feminine Bezeichnung wird demgegenüber nur bei Frauen verwendet („Studentinnen“) und kann die Männlichen nicht ersetzen, was zu einer Asymmetrie zugunsten des Männlichen führt (Wesian, 2007). Das historisch geprägte generische Maskulin ist dabei keine grammatikalische Notwendigkeit, denn es gibt genug Alternativen, sondern eine Gewohnheit des (historisch männlich geprägten) Sprachgebrauchs.

Contra

Das grammatische Geschlecht (Genus) ist nicht gleich dem biologischen Geschlecht

Ein Bestandteil in der Debatte ist das generische Maskulin. Dabei wird argumentiert, dass es in der deutschen Sprache einen Unterschied zwischen dem biologischen und dem grammatischen Geschlecht gibt. Wörter können maskulin („der Teppich“), feminin („die Gitarre“) oder neutral („das Fenster“) sein, unabhängig davon, wie sie mit dem biologischen Geschlecht in Verbindung stehen. So kommt zum Beispiel „der Lehrer“ von dem Wort „lehren“ und sagt nichts über das Geschlecht der Person aus (Kania, 2021). Genus und Sexus sind also unabhängig. Weiterhin wird in diesem Zuge angebracht, dass durch die Betonung beider Geschlechter nicht erreicht wird, dass diese auch als gleichwertig angesehen werden. Außerdem werden durch den Diskurs Frauen bei einer weiteren Verwendung eines generischen Maskulin gedanklich dann erst recht ausgeschlossen werden (Lorenz, 1991).

Sprache hat nicht zwingend etwas mit Gleichberechtigung zu tun

Dem Argument der gedanklichen Kategorienbildung (z.B. bei „Schauspieler“ wird an einen männlichen Schauspieler gedacht) wird entgegengehalten, dass diese Kategorien mehr durch den Kontext beeinflusst werden. So denkt man bei zum Beispiel bei „Politikern“ vor allem an männliche Politiker*innen, weil man nicht so viele weibliche Personen in diesem Berufsfeld kennt- weniger wegen der Formulierung. Bestimmte Berufe werden dabei sozialgesellschaftlich eher den Männern zugeschrieben. Um dem entgegenzuwirken, sollte also nicht die Sprache verändert werden, weil es zweifelhaft ist, dass diese zu mehr Gleichberechtigung und zu einer gerechteren Welt führt (Klein, 1988; GEO, 2021).  

Der Großteil der Bevölkerung lehnt das Gendern ab

Allgemein scheint eine gendergerechte Sprache, unabhängig von der Begründung in Deutschland eher auf Ablehnung zu stoßen. Laut verschiedenen Umfragen lehnen z.B. aktuell circa 65% der Bevölkerung das Gendern ab. Dieser Wert lag im vergangenen Jahr noch bei 56%, ist also gestiegen. Und auch in der Politik sind laut Umfragen (je nach Partei) zwischen 47 % (die Grünen) und 83% (die AfD) gegen eine gendergerechte Sprache (FAZ, 2021). Weiterhin halten über 60% der Menschen in Deutschland eine gendergerechte Sprache (zur Gleichstellung der Frau) für „sehr-“ oder „eher unwichtig“ (INSA-Consulere für „Verein Deutsche Sprache“, 2019).

Sprachästhetik und Lesbarkeit

Es wird angebracht, dass gendergerechte Formulierungen Texte unverständlicher und lese- beziehungsweise hörunfreundlicher machen. Viele deutsche Zeitungen und Nachrichtenagenturen gendern angeblich aus diesem Grund nicht. Kritiker sehen eine Verzerrung der Sprache, die von den Inhalten ablenkt.

Wissenschaft und Forschung

Generisches Maskulin und Sexus

Die Professorin für historische Sprachwissenschaft Damaris Nübling erläutert in Ihrem Artikel „und ob das Genus mit dem Sexus“ aus dem Jahr 2018 verschiedene Studien zur Korrelation von generischem Maskulin und Sexus. Zum Beispiel die Untersuchung von Pascal Gygax um den männlichen Genderisierungsgrad maskuliner Personenbezeichnungen: Den Teilnehmenden wurden hier zunächst Sätze gezeigt, welche Formulierungen mit dem generischen Maskulin enthielten („die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof“). Anschließend wurden Bilder gezeigt, einmal mit männlichen und einmal mit weiblichen Akteur*innen, wobei bewertet werden sollte, ob dieses Bild eine „mögliche Fortsetzung“ des Satzes sei. Dabei zeigte sich, dass die Fortsetzungen mit den männlichen Akteuren deutlich spontaner und häufiger akzeptiert wurde – unabhängig davon, ob die Tätigkeit gesellschaftlich als eher männlich (Spione), neutral (Zuschauer) oder eher weiblich (Sozialarbeiter) gilt.  Den Vergleich dazu stellte die englische Untersuchungsgruppe dar, wobei es im Englischen kein nominales Genus gibt. Hier wurde die Assoziation ausschließlich durch die sozialen Zuschreibungen, anders als in der deutschen Gruppe, gesteuert. Die Ergebnisse zum Zusammenhang von generischen Maskulin und Sexus wurden durch zahlreiche andere Studien bestätigt.

Textverständlichkeit

Das Argument, das gendergerechte Sprache die Qualität und die kognitive Verarbeitung von Texten beeinträchtigt, wurde zum Beispiel in einer Studie von Friederike Braun et al. im Jahr 2007 untersucht. Dabei lasen 86 Teilnehmer*innen drei verschiedene Versionen einer fiktiven Packungsbeilage eines Medikaments, die sich hinsichtlich der Form der Personenbezeichnung (generisches Maskulin, Beidnennung mit Neutralisierung und Binnen-I) unterschieden. Anschließend wurde erhoben, wie gut sich die Teilnehmenden an den Text und dessen Inhalte erinnerten – aber auch wie der Text hinsichtlich seiner Qualität (Verständlichkeit, Lesbarkeit, Formulierungen) bewertet wurde. Das Ergebnis war, dass es bei den Frauen hinsichtlich der kognitiven Verarbeitung der Texte aber auch bei der Bewertung der Qualität bei unterschiedlichen Personenbezeichnungsformen keine Unterschiede gab. Die männlichen Teilnehmer zeigten in der Erinnerungsleistung ebenfalls keine (bedeutsamen) Unterschiede, bewerteten die Textqualität aber bei den Texten am höchsten, in denen das generische Maskulin verwendet wurde.

Sprache und kindliche Wahrnehmung von Berufen

In einer Studie der Freien Universität Berlin untersuchten Bettina Hannover und Dries Vervecken 2015, wie Sprache die kindliche Wahrnehmung von Berufen prägt. Hintergrund war, dass Mädchen nach wie vor seltener als Jungen Berufe aus dem MINT-Bereich ergreifen. Als eine Begründung dafür vermutete man stereotypischen Vorstellungen über diese Berufe, da sie nach wie vor als typisch männlich gelten. Im Rahmen der Untersuchungen wurde knapp sechshundert Grundschüler*innen aus Deutschland und Belgien im Alter von sechs bis zwölf Jahren Berufsbezeichnungen vorgelesen – entweder in gendergerechter („Ingenieurinnen und Ingenieure“) oder in männlicher Sprachform („Ingenieure“). Anschließend schätzten die Kinder in einem Fragebogen für jeden Beruf ein, wie viel man verdient, wie wichtig er ist, wie schwer er zu erlernen und auszuführen ist und ob sie sich selbst zutrauen würden, diesen Beruf auszuüben. Es zeigte sich, dass die Kinder, denen die geschlechtergerechten Bezeichnungen präsentiert worden waren, sich viel eher zutrauten die Berufe zu ergreifen, die als typisch männlich gelten. Durch eine geschlechtergerechte Sprache können Kinder also ermutigt werden, mehr Berufe in diesem Bereich zu ergreifen. Auch wurde deutlich, dass die Berufe mit geschlechtergerechter Bezeichnung als weniger wichtig und die Bezahlung als niedriger als bei der männlichen Bezeichnung eingeschätzt wurden.

Audiovisuelle Diversität

Die MaLisa Stiftung hat im Jahr 2016 eine Studie initiiert, bei der, gemeinsam mit den größten deutschen TV-Gruppen, eine umfassende Analyse des deutschen Fernseh- und Kinoprogramms durchgeführt wurde. Ziel war es, herauszufinden, wie Geschlechter in Film und Fernsehen dargestellt werden. Dafür wurden über 3500 Stunden Fernsehprogramm sowie 800 Kinofilme aus den Jahren 2010-2016 ausgewertet. Es zeigte sich, dass Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Der Anteil von Männer zu Frauen liegt demnach bei zwei zu eins. Je älter die Frauen dabei werden, desto geringer ist ihr Anteil. Ab dem 30. Lebensjahr verschwinden die Frauen sukzessive von den Bildschirmen. Die Männer hingegen nehmen häufig die Hauptrollen ein: nur jede*r dritte Hauptakteur*in ist weiblich. Dabei sind besonders die Expert*innen und Moderator*innen fast immer männlich (80%). Die Ergebnisse spiegeln dabei nicht nur das Erwachsenenfernsehen wider- bei den Kindersendungen und -filmen ist der Anteil genauso hoch oder höher.

Diskussion und Fazit

Abschließend betrachtet bin ich etwas enttäuscht. Gerade weil die Debatte rund um gendergerechte Sprache so viel und hitzig diskutiert wird, hatte ich erwartet, dass es ein ausgeglicheneres Verhältnis von (nachvollziehbaren) Argumenten gibt. Auf die Begründungen gegen eine gendergerechte Sprache war ich besonders gespannt und diese finde ich insgesamt dünn. Was dabei von verschiedenen Quellen häufig als Erstes angebracht wurde, ist, dass das grammatische Geschlecht nicht dem biologischen Geschlecht entspricht, was mir grundsätzlich verständlich erscheint. Trotzdem kommt es, denke ich, nicht darauf an, was die ursprüngliche grammatikalische Bedeutung ist, sondern vielmehr, was diese dann in der Realität mit uns macht. Und abgesehen davon, dass die Studienlage hier klar ist, finde ich auch das Argument wichtig, dass es logische Alternativen zum generischen Maskulin gibt. Wenn man eine Frau direkt (mit-) ansprechen könnte, aber stattdessen die männliche Form wählt, ist es für mich logisch, dass wir dementsprechend immer eher etwas Männliches damit assoziieren. Die Begründung, dass Sprache nicht zwingend etwas mit Gleichberechtigung zu tun hat und zu einer gerechteren Welt führt, konnte ich nicht verstehen. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass Sprache unsere Wirklichkeit bestimmt und die Aussage so höchstwahrscheinlich falsch ist. Zudem haben einige Quellen es auch so formuliert: „Führt nicht zwingend […]“ Aber selbst, wenn nur die Möglichkeit besteht, dass eine gerechte Sprache zu mehr Gerechtigkeit führt, sollte das Grund genug sein. Was ich tatsächlich auch bei mir selbst beobachtet habe, ist, dass ich aus Bequemlichkeit nicht gegendert habe, weshalb ich mich mit dem Argument des Redeflusses identifizieren konnte. Leider habe ich gemerkt, dass die Gründe dafür zu gut sind, weswegen ich mich von der Begründung vor mir selbst wohl verabschieden muss. Spannend war für mich, dass es bereits so viele Studien gibt, die die Wirkung einer gendergerechten Sprache belegen und damit auch die Bedeutung davon unterstreichen. Ich denke, insgesamt ist die Datenlage schon eindeutig und es fühlt sich ein bisschen so an, als würde hier Tatsachen gegen Bequemlichkeit und Tradition argumentieren. Besonders interessiert hat mich die Studie von Hannover und Vervecken, auch weil sie an der FU durchgeführt wurde. Ich denke, die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig eine gesellschaftliche Entwicklung jetzt sein kann – auch für die Zukunft. Die letzte Studie zu den Medien habe ich mit angeführt, obwohl sie nicht hundertprozentig zu gendergerechter Sprache passt. Ich denke die Studie spiegelt wider, was vermutlich eines der Probleme bei der Umsetzung von gendergerechter Sprache ist: Nämlich, dass bei einem zu großen Teil der Gesellschaft das Denken und die Ansichten hin zu einer männlichen Dominanz und Machtposition noch sehr präsent ist. Deswegen glaube ich auch, das gendergerechte Sprache nur ein kleiner (aber sinnvoller Teil) von einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sein kann. Gleichzeitig zeigt sich, dass sich noch viele Menschen gegen das Gendern aussprechen, dass die Entwicklung noch am Anfang steht und einiges passieren muss. Für besonders wichtig halte ich es deswegen herauszufinden, wie man es schafft die „Lager“, die es nach meinem Empfinden gibt, aufzuweichen und das Thema mehr Menschen zugänglich zu machen. Eine wichtige Rolle spielen in meinen Augen die Medien, welche mit ihrer Berichterstattung viel beeinflussen und gleichzeitig viel bewegen können. Leider scheinen besonders diese häufig gegen eine gendergerechte Sprache zu sein. Auf der Seite tagesschau.de, die ich täglich besuche, wird zum Beispiel nicht gegendert.

Was mich persönlich noch sehr interessieren würde ist, wie die Meinungen vom „Betroffenen“ dazu sind, insbesondere von LGBTQ-Personen. Das liegt auch daran, dass (auch wenn ich die Argumente für eine gendergerechte Sprache gut nachvollziehen kann) es mir schwerfällt, die Perspektive von Betroffenen zu übernehmen, beziehungsweise darüber nachzudenken: Wie würde es mir gehen, wenn ich in der Situation wäre und durch Sprache Ungleichbehandlung erfahren würde? Ein erster Gedanke ist dabei, dass ich mir gar nicht sicher bin, ob es mich stören würde. Damit würde ich es mir aber viel zu einfach machen. Ich weiß nicht, wie sich die Situation anfühlt, was damit verbunden sein kann und auch nicht, wie die persönlichen Hintergründe sein können. Deswegen denke ich, meine eigene Vorstellung ist eher nebensächlich. Genau deshalb würden mich subjektive Meinungen und Erfahrungen dazu interessieren. Im Rahmen der Arbeit zum Essay habe ich leider keine Interviews oder Ähnliches gefunden und bin dahingehend noch auf der Suche.


Literatur- und Quellenverzeichnis

Braun, F., Oelkers, S., Rogalski, K., Bosak, J. & Sczesny, S. (2007). „Aus Gründen der Verständlichkeit…“. Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Psychologische Rundschau, 58 (3), 183-189.

FAZ (2021). Die Bürger wollen keine Gendersprache. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/grosse-mehrheit-laut-umfrage-gegen-gendersprache-17355174.html (11.03.2022)

GEO (2021). Was spricht FÜR und GEGEN das Gendern?                                https://www.geo.de/magazine/geo-magazin/pro–und-contra-liste-was-spricht-fuer-und-gegen-das-gendern–30675936.html (09.03.2022)

INSA-Sprachumfrage (2019/20). Was denkt Deutschland über die deutsche Sprache?  https://deutsche-sprachwelt.de/2020/01/insa-sprachumfrage-2019-20-teil-7-gendersterne-haben-wenige-freunde/ (09.03.2022)

Irmen, L. & Kaczmarek, N. (2000). Beeinflusst das grammatische Geschlecht die Repräsentation von Personen in einem mentalen Modell? Ein Vergleich zwischen einer englischsprachigen und einer deutssprachigen Stichprobe. 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Jena

Kania, T. (2021). Gendern- Eine ehrliche Pro- und Contra-Liste. https://www.blue-satellite.de/gendern-eine-ehrliche-pro-und-contra-liste/ (10.03.2022)

Klein, J. (1988): Benachteiligung der Frau im generischen Maskulin – eine feministische Schimäre oder psycholinguistische Realität?, In: N. Oellers (Hrsg.), Germanistik und Deutschunterricht im Zeitalter der Technologie. Selbstbestimmung und Anpassung. Vorträge des Germanistentages Berlin 1987, Band 1 ( 310–319). Tübingen: Niemeyer.

Landeszentrale für politische Bildung (2022). Gendern- ein Pro und Contra.         https://www.lpb-bw.de/gendern#c76345 (11.03.2022) 

Lorenz, D. (1991). Die neue Frauensprache. Über die sprachliche Apartheid der Geschlechter. Muttersprache – Zeitschrift zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache, 3, 272-277.

Nübling, D. (2018). Und ob das Genus mit dem Sexus: Genus verweist nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf die Geschlechterordnung. Sprachreport Jg. 34 (3), 44-50.

Prommer, E. & Linke, C. (2017). Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland. Institut für Medienforschung-Philosophische Fakultät, Universität Rostock.

Universität Kassel (2021). Gendergerechte Sprache. https://www.uni-kassel.de/hochschulverwaltung/themen/gleichstellung-familie-und-diversity/geschlechtergerechte-sprache#:~:text=Das%20Ziel%20geschlechtergerechter%20Sprache%20ist,nicht%2Dbin%C3%A4r%20verortete%20Personen%20an (03.02.2022)

Vervecken, D., & Hannover, B. (2015). Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. Social Psychology, 46, 76-92.

Wesian, J. (2007). Sprache und Geschlecht: Eine empirische Untersuchung zur „geschlechtergerechten Sprache“. Forschungsarbeit Universität Münster


Quelle: Anonym, Essay zum Thema: Gendergerechte Sprache, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 08.06.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2022/06/08/essay-zum-thema-gendergerechte-sprache/

Zum Mitdenken muss ein Mensch erst mal denken oder inwiefern geschlechtergerechte Sprache einen wichtigen Einfluss auf unser Denken hat

Avital Ginzburg (SoSe 2021)

Immer öfter höre ich Menschen sagen, die deutsche Sprache sei in Gefahr. Anglizismen, Umgangssprache (siehe Jugendwort des Jahres) und natürlich das Gendern seien die Hauptfeinde, die unsere deutsche Sprache in den Abgrund treiben. Für manche Menschen ist geschlechtergerechte Sprache ein unzugängliches Konstrukt, denn sie erfordert ein gezieltes Umstellen des eigenen Sprachgebrauchs und auch der eigenen Wortwahl. Es ist viel Arbeit, die nicht alle bereit sind zu leisten, vor allem, wenn es nicht ersichtlich ist, welche Auswirkungen diese Arbeit auf andere Menschen hat. Genau dieser Frage werde ich in diesem Essay nachgehen: Welche Bedeutung, Wirkung und Relevanz hat geschlechtergerechte Sprache in unserer Gesellschaft und Realität?

Auch im sprachwissenschaftlichen Raum gibt es einen Diskurs darüber, ob und inwiefern geschlechtergerechte Sprache nötig ist oder ob sie doch nur ein Hirngespinst der „links-grün-versifften Radikalen“ ist. So schreibt Peter Eisenberg in seinem Artikel Das Missbrauchte Geschlecht in der Süddeutschen Zeitung, geschlechtergerechte Sprache wäre nicht nur unmöglich zu lesen und zu sprechen, „[s]ie stelle einen Eingriff in unsere Grammatik dar, in der sie keinen Platz finde[t]“ (Eisenberg, 2017). Dieser Standpunkt ist unter den Sprachwissenschaftler*innen oft vertreten: Gendern wäre ein Beweis des grammatischen nicht-Verstehens: Das Nicht-Verstehen, dass die Sprache ein System ist, welches unveränderbar im Vakuum der Zeit existiert. So fragil sogar, dass zu Substantiven konvertierte Partizipien dieses System komplett zerstören könnten. Eisenberg weist uns in seinem Artikel klar in die Schranken: manch eine*r könnte geschlechtergerechte Sprache benutzen, „[a]llerdings zu dem Preis, dass man […] einen wichtigen, tief verwurzelten Wortbildungsprozess untergräbt und ein jahrhundertealtes Wort diffamiert“ (Eisenberg, 2017). Aus dieser Aussage lässt sich schließen, dass Eisenberg geschlechtergerechte Sprache wortwörtlich als Beleidigung der deutschen Sprache sieht.  Er argumentiert, das generische Maskulinum sei schon der geschlechtsneutrale Weg alle einzuschließen, dass Frauen sogar fast überrepräsentiert in der deutschen Sprache seien: „So ist das im Deutschen. Es gibt hier ein Wort, das ausschließlich Frauen bezeichnet (Bäckerin), aber keins, das ausschließlich Männer bezeichnet. Frauen sind sprachlich zweimal, Männer einmal sichtbar“ (Eisenberg, 2017). Auch Henning Brinkmann ist der Auffassung, das generische Maskulinum sei schon die geschlechtsneutrale Lösung des geschlechtsspezifischen Problems. Es ginge hierbei lediglich um Distanz zu dem Subjekt:

„Wer von den ‚Lesern‘ eines Buches spricht, macht zwischen Männern und Frauen keinen Unterschied; er meint vielmehr Menschen, die das Buch lesen […] Männliches Geschlecht erhalten diese Subjektsbegriffe erst, wenn sie eine weibliche Rolle als Partner erhalten, etwa wenn ein Redner die Zuhörer begrüßt: ‚Meine Hörerinnen und Hörer‘“

Brinkmann, 1971

Somit wäre das Problem gelöst, denn das generische Maskulinum bezieht sich nicht auf die Person, lediglich auf das Subjekt, welches eine Tätigkeit ausübt – klar und deutlich. Peter Eisenberg unterstützt diese These, indem er behauptet, eine Symmetrie in den natürlichen Sprachen würde es nicht geben, und deswegen wäre konsequentes Gendern nicht möglich, vielleicht nur durch eine „Markiertheitsumkehrung mit dem Ziel, das Femininum zur unmarkierten Kategorie zu machen“ (Eisenberg, 2017) – doch leider geht Eisenberg in der Gesamtheit seines fortfolgenden Artikels nicht mehr auf diese Idee ein. Auch Richard Schrodt ist sich in seinem „szientistischem Essay“ sicher: es gibt einfach keine Zeit zum Gendern. Wir leben nunmal in einer komplizierten Welt, in der viele Sachen passieren, die schon seit Jahren so passiert sind und geschlechtergerechte Sprache stellt auf institutioneller Ebene einen zu großen Aufwand dar, denn: „Vorschriften und Regeln müssen möglichst eindeutig und nachvollziehbar sein und darüber hinaus vielleicht auch noch sinnvoll. Dass sie auch sprachliche Verhaltensweisen und Praktiken betreffen, müssen wir alle im Kauf nehmen“ (Schrodt, 2018). Alle drei sprechen ähnliche und doch sehr unterschiedliche Punkte an: Geschlechtergerechte Sprache ist ein Eingriff in die Kultur der Sprache, sie würde Institutionen und Abläufe womöglich daran hindern, sinnvoll zu funktionieren und, vor allem da sind sich alle einig, sie ist unnötig, weil es ja schon das generische Maskulinum gibt. Das Ziel sei, sozusagen nicht die Sprache zu verändern (und in dem Sinne auch gleich zu zerstören) sondern zu verstehen, dass das generische Maskulinum sich auf das Subjekt einer Handlung bezieht und sonst geschlechtsneutral ist. Leider fehlt in allen drei Argumentationen das Verständnis dafür, dass ein Subjekt, welches eine Tätigkeit ausübt, in der Regel einer Person entspricht. Wie genau soll diese Trennung funktionieren, wenn am anderen Ende der Semantik eine Person steht, die sich (im schlimmsten Fall) von dem Gesagten angesprochen fühlen soll?

In ihrem Artikel Yes I Can! Effects of Gender Fair Job Descriptions on Children’s Perceptions of Job Status, Job Difficulty, and Vocational Self-Efficacy aus dem Jahr 2015 berichten Bettina Hannover und Dries Vervecken über eine von ihnen durchgeführte Studie zu kindlicher Wahrnehmung von Berufen. In ihrem Experiment wurden 591 sechs- bis 12-jährigen Kindern aus Deutschland und Belgien 16 Berufe vorgestellt, von denen eine Hälfte männlich (z.B. Feuerwehr) und die andere Hälfte weiblich konnotiert (Kosmetik) waren. Anschließend wurden die Kinder gebeten einen Fragebogen auszufüllen und einzuschätzen wie gut bezahlt und wichtig diese Berufe sind, ob sie schwer zu erlernen sind und ob sie sich selbst zutrauen würden, einen Eignungstest für den jeweiligen Beruf zu bestehen. Dieses Experiment wurde in zwei Gruppen durchgeführt: einer Gruppe wurden die Berufe in ausschließlich generischem Maskulinum vorgestellt, der anderen in geschlechtergerechter Sprache. Das Ergebnis dieser Studie ist in einem Fall sehr eindeutig:

„When job titles had been presented in pair forms, children – regardless of their gender, first language, or age – felt more confident that they could pass a qualification test required to do this job than when the professions had been presented as generic masculine “

Vervecken & Hannover, 2015

Interessanter Weise haben sich die Kinder, unabhängig von Geschlecht, eher als geeignet für Berufe eingeschätzt, welche ihnen in geschlechtergerechter Sprache vorgestellt wurden und waren eher der Meinung einen Eignungstest für stereotypisch Männliche Berufe bestehen zu können. Eine weitere Studie von Andreas Damelang und Ann-Katrin Rückel bestätigt, dass sich Frauen, auch im erwachsenen Alter, eher für Jobs bewerben, deren Stellenangebote geschlechtergerecht formuliert sind (Damelang & Rückel, 2021). Hierbei wurden die Positionsbezeichnungen in fünf Variationen formuliert: „Mitarbeiter“, „Mitarbeiter (m/w)“, „Mitarbeitende“, „Mitarbeiter*innen“ sowie „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Es konnte eine signifikante Tendenz zu geschlechtergerechten Positionsbezeichnungen festgestellt werden.

Tatsächlich wurde auch von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine offizielle Studie zu einem ähnlichen Thema durchgeführt, und zwar zu geschlechterspezifischen Attributen, welche in Stellenausschreibungen benutzt werden. So stellt die 2018 verfasste Studie fest, dass rund 21,2% von 5.667 von ihr ausgewerteten Stellenausschreibungen ein sogenanntes Diskriminierungsrisiko darstellen, d.h. wenn „eine Formulierung, Anforderung oder ein Bild in der Stellenanzeige“ (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2018) gezielt eine bestimmte Personengruppe anspricht und somit eine andere ausschließt. Solch ein Diskriminierungsrisiko stelle z.B. ein Bild einer männlich gelesenen Person in einer Stellenausschreibung für einen stereotypisch männlichen Beruf mit der Unterschrift „Wir suchen Dich!“ dar. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2016 untersucht, ob geschlechtsspezifische Stellenbeschreibungen eine Auswirkung auf die Anzahl der sich bewerbenden Frauen haben. Hierbei konnte festgestellt werden, dass geschlechtsspezifische Stellenbeschreibungen, welche klar geschlechtlich konnotierte Anforderungen (wie analytisches Denken, Entscheidungsvermögen, Durchsetzungsvermögen und Verhandlungsgeschick) stellten, durchaus einen signifikant negativen Einfluss auf die Reaktion, der sich bewerbenden Frauen hatten (Göddertz et al., 2016).

Aber was bedeutet das? Was kann ein*e Leser*in aus diesen Studien schlussfolgern? Zum einen, stellen die Ergebnisse offensichtlich fest, dass Sprache unser Verständnis lenken und beeinflussen kann. Berufsbeschreibungen, die geschlechtergerecht formuliert sind, ziehen nach sich, dass sich bestimmte Personengruppen angesprochen fühlen und, in vielen Fällen, überhaupt erst verstehen, dass sie unmittelbar für diesen Beruf in Frage kommen. Aus Hannover und Verveckens Studie ist klar ersichtlich, dass schon Kinder vom sozialen Konstrukt „Geschlecht“ beeinflusst werden und sensibel auf Sprache reagieren. Auch ZDF hat eine Dokumentationsreihe veröffentlicht, die diesen Punkt bestätigt: hier wurde Kindern die Frage gestellt: Wer repariert Sachen und wer kümmert sich um die Kinder? 100% der Befragten haben bei der ersten Frage den Mann und bei der zweiten Frage die Frau angekreuzt. Erschreckenderweise stammt diese Dokumentation aus dem Jahr 2018, d.h. die Kinder, welche hier befragt wurden, machen heutzutage die Jugendlichen unserer Gesellschaft aus. Es macht leider deutlich, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und Männer noch heute einen großen Einfluss auf viele unserer Lebensbereiche haben. Und Sprache ist ein großer Teil dessen, was diesen Einfluss verstärkt. Auf der Suche nach Literatur und Belegen für dieses Essay bin ich auf unzählige Studien zum Thema geschlechtergerechte Sprache und Verständnis der Welt gestoßen, alle aus verschiedenen Jahren. Jede dieser Studien belegt in der ein oder anderen Art und Weise dieselbe Tatsache: das generische Maskulinum ist keine Abstraktion, keine neutrale Beschreibung für ein tätigkeitsausübendes Subjekt, und vor allem, nicht schon die genderneutrale Lösung, nach der wir alle so lange gesucht haben. Es ist vielmehr eine Art und Weise immer wieder eine bestimmte Personengruppe anzusprechen und zu fördern, während andere außen vor bleiben und sich mitgedacht, mitgemeint oder mitgeschleppt fühlen sollen.

Tatsächlich aber, ist auch in feministischen Kreisen die Nachsilbe -in umstritten. Bis ins 20. Jahrhundert wurde diese nämlich nur auf „allgemeine Funktionsbezeichnungen (wie „Ehebrecherin“ oder „Einwohnerin“) oder Bezeichnungen für die Frau eines männlichen Funktionsträgers (wie „Bürgermeisterin“ in der Bedeutung „Frau eines Bürgermeisters“) beschränkt“ (Stefanowitsch, 2020). Erst, als Frauen auch der Zugang in die Berufswelt gestattet wurde, fand diese Nachsilbe den Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch, dennoch nur als klare Funktionsbezeichnung. Mit der zweiten Welle des Feminismus kam die Kritik an dieser Sprachpraxis auf. Die meisten Berufsfelder seien durch die Sprache männlich konnotiert und demnach wäre die Vorstellung von Frauen in diesen Bereichen erschwert (Stefanowitsch, 2020). Folglich setzte sich der Gebrauch der Nachsilbe -in in den meisten Bereichen durch, bis 1980 ein Aufsatz von Luise Pusch erschien, welcher genau diese Tendenz kritisierte: „Wenn man den Gebrauch der Endung „-in“ weiter ausweite, würde damit die Kategorie Geschlecht gerade dort ständig betont, wo sie nun endlich keine gesellschaftliche Rolle mehr spielen solle“ (Stefanowitsch, 2020). Das ist verständlich, und bedeutet, dass die Nachsilbe -in nicht nur eine große gesellschaftliche Bedeutung trägt, sondern auch die Sichtbarkeit der Frauen im Allgemeinen. Dennoch lässt sich vermuten, dass auch hier Berufe, welche auf die Nachsilbe -in enden und auf eine weibliche Person schließen lassen, weniger ernst genommen oder gar belächelt werden.

Dennoch denkt Pusch eine wichtige Personengruppe nicht mit: nicht-binäre Personen beziehungsweise Personen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen und sich deswegen weder in der Nachsilbe -in noch im generischen Maskulinum wiederfinden. Diese Personengruppe war bis dato in der deutschen Sprache gar nicht repräsentiert, bis die Nutzung des sogenannten „Gendersternchens*“ den Einzug in manche deutschen Haushalte und zum geringen Teil in die Öffentlichkeit gefunden hat. Mit dem „Gendersternchen*“ werden nicht-binäre Personen nämlich angesprochen und sichtbar gemacht. Denn, wie Stefanowitsch in seinem Artikel im Tagesspiegel schreibt, ist vor allem für diese Personengruppe „Sichtbarkeit die Voraussetzung, um überhaupt am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen“ (Stefanowitsch, 2020). Aus dieser Aussage lässt sich schließen, dass Sprache nicht nur bedeutungstragend, sondern auch identitätsbestätigend sein kann. Sprache kann natürlich „nur“ als Teil der Gesamtlösung gedacht werden, sie allein kann Sichtbarkeit aber verstärken, und auch daran erinnern, dass das binäre System ein gesellschaftliches Konstrukt ist.

Was lässt sich über die Rolle, die Sprache in unserem Weltverständnis spielt sagen? In einem Interview mit EDITION F sagt Anatol Stefanowitsch, die Aussage, Sprache sei realitätsschaffend, sei zu vereinfacht. Dennoch bestätigt er: „Nicht jedes Mal, wenn das generische Maskulinum verwendet wird, wird automatisch das Patriarchat zementiert. Wenn das aber den ganzen Tag, regelmäßig passiert, dann verfestigt es eine bestimmte Denkweise, bei der Frauen im besten Fall mitgedacht sind“ (Parbey, 2019). Ob Sprache geschlechtergerecht oder nicht geschlechtergerecht benutzt wird, ist demnach bedeutungstragend. Durch zahlreiche Studien wurde mal für mal bestätigt, dass durch Sprache Machtrelationen etabliert werden (Hornscheidt, 2008) und genau aus diesem Grund können durch sie Hierarchien aufrechterhalten oder eben abgebaut werden.

Das Argument, die deutsche Sprache sei unter Beschuss, weil ein Diskurs stattfindet, der sich um marginalisierte Gruppen dreht und durch den sich manche Wortendungen verändern, wirkt mit jedem Jahr lächerlicher. Gleichzeitig verstehe ich, dass ich mich in einem Umfeld bewege, welches einen großen Wert auf Inklusion und Anti-Diskriminierung legt. Denn, sobald ich mich außerhalb dieses Umfelds bewege, bemerke ich sofort, dass bei weitem nicht alle die Problematik, welche dieses Essay dargelegt hat, ernst- oder überhaupt wahrnehmen. Und sogar dort, wo besonders betont wird, dass Wert auf Gleichstellung und Gerechtigkeit gelegt wird, lassen sich Fehler und Enttäuschungen auffinden. Denn erst heute fand ich auf der Webseite der Freien Universität Berlin Stellenausschreibungen für „Studentinnen und Studenten“. Denn sogar Statistiken der eigenen Dozierenden belegen, dass sich die Anzahl der Frauen an der Freien Universität Berlin von anfänglichen 61% während des Studiums bis zu der Lebenszeitprofessur auf 36% halbiert (Runge, 2020). In meinem zweiten Studiengang an der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin wird in keinem einzigen Fach geschlechtergerechte Sprache benutzt, weder auf den Folien noch in gesprochener Sprache. Und ich frage mich oftmals, ob nicht gerade die Universitäten der Hauptstadt den Weg frei räumen sollten, über den die geschlechtergerechte Sprache irgendwann, hoffentlich, in der Mitte der Gesellschaft ankommen wird.  Sprache ist „in allen […] Realisierungsformen immer eine Handlung“ (Hornscheidt, 2008). Und zu sagen, bestimmte Personengruppen seien bei 90% aller Aussagen mitgedacht, ist demnach zu kurz gedacht. Denn, wenn Sprechen eine Handlung ist, dann bedeutet nicht Sprechen nicht-Handeln. Und während manche gar nicht-Handeln wollen, und lieber wo anders hinsehen, gibt es andere, die versuchen in wissenschaftlichen Schriften oder öffentlich zugänglichen Artikeln, Sprache von dieser wichtigen Bedeutungsebene zu trennen – und das ist, meiner Meinung nach, Wahrheitsverleugnend.


Bibliografie

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Brinkmann, H. (1971). In Die deutsche Sprache. gestalt und leistung (pp. 18–19). essay, Paedagogischer Verlag Schwann.

Damelang, A., & Rückel, A.-K. (2021, March 15). Was Hält Frauen von Beruflichen Positionen fern? Ein faktorieller Survey zum Einfluss der Gestaltung einer Stellenausschreibung auf deren Attraktivitätseinschätzungg. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Retrieved October 23, 2021, from https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs11577-021-00729-z.

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Runge, A. (2020, February 27). Unconscious Bias und wissenschaftliche Qualität. Schreiben und Publizieren in der Geschlechterforschung. Berlin; Freie Universität Berlin.

Schrodt, R. (2018). Genus, Sexus, Sprache und Schreibung: Gendern – kommunikativ notwendiges Ärgernis oder ärgerliches Kommunikationshindernis? Zeitschrift Für Literatur- Und Theatersoziologie , 15, 20–39. https://doi.org/ 10.25364/07.11:2018.15.3

Stefanowitsch, A. (2020, September 3). Der professor, die professor, Das professor. Der Tagesspiegel. Retrieved October 22, 2021, from https://www.tagesspiegel.de/wissen/warum-sprachwandel-notwendig-ist-der-professor-die-professor-das-professor/26155414.html.

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ZDF. (2018, June 5). No More Boys and Girls. zdf.de. episode. Retrieved October 23, 2021, from https://www.zdf.de/dokumentation/no-more-boys-and-girls/sendung-eins-100.html.


Quelle: Avital Ginzburg, Zum Mitdenken muss ein Mensch erst mal denken oder inwiefern geschlechtergerechte Sprache einen wichtigen Einfluss auf unser Denken hat, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 31.01.2022, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/2022/01/31/zum-mitdenken-muss-ein-mensch-erst-mal-denken-oder-inwiefern-geschlechtergerechte-sprache-einen-wichtigen-einfluss-auf-unser-denken-hat/

Gendern ist Weltsicht: Ein Plädoyer für gendergerechte Sprache

Paula Kleuters (SoSe 2021)

Ein Plädoyer fürs Gendern

Jedes Mal, wenn ich aus Berlin in die Heimat fahre, ist es dasselbe. Ich komme an, treffe meine Schulfreund*innengruppe, wir trinken ein paar Bier und unterhalten uns. Meistens über die Vergangenheit, viel über ehemalige Stufen­kamerad*innen, manchmal über Zukunftspläne und selten über wirklich interessante Dinge. Egal worum es geht, letztendlich gelangen wir immer an den Punkt, an dem die neue Reglung zum Semesterticket „behindert“ ist, oder die Musik auf der letzten Party – vor Corona selbstverständlich – „voll schwul“ war. Das Thema „politisch korrekte Sprache“ ist also, zumindest implizit, immer schnell auf dem Tisch. Spätestens, wenn dann einem oder einer meiner Freund*innen auffällt, dass ich versuche, mich mehr oder weniger konsequent gendergerecht auszudrücken, zu gendern also, ist ein Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt und eine große Debatte losgeht. Meist nur halb ernsthaft, weil alle schon zwei Bier getrunken haben, aber doch ernst genug, um zu merken, dass ich und die meisten meiner Freund*innen hier grundlegend unterschiedlicher Auffassungen sind. „Das ist doch nicht so gemeint!“, „Ach komm, jetzt entspann dich mal!“ oder „Ich hab aber nen Freund, der ist schwul und den stört das nicht, wenn ich das so sage…“ und ganz besonders „Das mit dem Gendern ist ja so albern, Paula!“. Immer sind es die gleichen Sprüche, denen ich versuche, entgegenzuhalten.

„Die Heimat“ ist übrigens eine kleine Großstadt tief im Westen. Immer wieder denke ich, so langsam müssten die sprachlichen Veränderungen, die hier in Berlin mittlerweile zu meinem Alltag gehören, doch auch dort angekommen sein. Und immer wieder stelle ich fest, dass dem nicht so ist und dass das, was ich hier in meiner ‚Bubble‘ als so alltäglich erlebe, dort noch längst nicht zum Standardrepertoire gehört. Ganz besonders das Gendern nicht. Und immer wieder merke ich komischerweise gerade in diesen Situationen der Uneinigkeit, wie sehr mir das Thema am Herzen liegt und wie wichtig und sinnvoll ich diskriminierungsfreie Sprache finde. Exemplarisch werde ich mich hier besonders auf gendergerechte Sprache als eine Form der diskriminierungsfreien Sprache konzentrieren. Für alle, die immer noch nicht verstanden haben, warum gendergerechte Sprache eine gute Idee ist, (oder auch für die, die sich in ihrer Meinung bestärkt fühlen wollen), ist das hier ein Plädoyer fürs Gendern.

Haben wir wichtigere Probleme oder formt Sprache unsere Welt?

Von vielen Kritiker*innen des Genderns wird häufig angeprangert, dass man sich in Nichtigkeiten verrenne; es gäbe doch viel größere Probleme und sprachliche Veränderungen seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Man solle sich doch lieber auf die „richtigen“ Probleme konzentrieren. Ich will überhaupt nicht abstreiten, dass es „größere“ Probleme gibt, als unseren Sprachgebrauch. Frauen werden überall auf der Welt systematisch diskriminiert, benachteiligt, belästigt, vergewaltigt, getötet; die Liste ist leider lang. Und diese Dinge sind schrecklich und müssen sich ohne Frage verändern. Nun scheiden sich aber genau hier, an der Frage der Herangehensweise, die Geister: Kritiker*innen des Genderns würden sagen, man muss die großen Probleme direkt angehen, alles andere würde diese verkennen und sei somit überflüssig, ja fast schon unverschämt; sie vertreten quasi einen „Top-down“-Ansatz: Wir schaffen die übergeordneten Probleme aus der Welt, vielleicht ändern sich deren Grundlagen ja dann von allein. Ich glaube nicht, dass das so funktioniert. Ich glaube, dass es mehr Sinn ergibt, an kleinen, leicht handhabbaren Stellschrauben, also beispielsweise unserem alltäglichen Sprachgebrauch, zu drehen. Diese vielen kleinen Veränderungen auf ganz grundlegender Ebene mögen banal scheinen, können aber in der Summe auch auf übergeordneter Ebene von unten nach oben Veränderungen herbeiführen, “Bottom-up“also.

Schon Wilhelm von Humboldt stellte im 19. Jahrhundert fest, „so liegt in jeder Sprache eine eigenthümliche [sic!] Weltansicht.“ (1836, S. 58). Damals von von Humboldt eher auf Nationalsprachen bezogen, lässt sich das Konzept auch auf die vorliegende Thematik anwenden: Eine Sprache, in der alle Geschlechter außer dem explizit männlichen, nicht vorkommen, beeinflusst natürlich, wie wir die Welt wahrnehmen und formen und untermauert so patriarchalische Strukturen.  Auch die Autorin und Rednerin Kübra Gümüşay untermalt fast 200 Jahre später in ihrem Buch Sprache und Sein (2020) mit eindrucksvollen Beispielen, wie sehr sprachliche Feinheiten unsere Wahrnehmung der Welt prägen. Gümüşay beschreibt, wie sie plötzlich ganz banale Dinge anders wahrnimmt oder diese ihr zum ersten Mal auffallen, weil sie die Phänomene plötzlich benennen kann:

„Weil ich das Wort kenne, nehme ich wahr, was es benennt […] So beschreibt das japanische Wort komorebi das Sonnenlicht, das durch die Blätter von Bäumen schimmert. Gurfa, ein arabisches Wort, steht für die Menge an Wasser, die sich in einer Hand schöpfen lässt. Das griechische Wort meraki beschreibt die hingebungsvolle Leidenschaft, Liebe und Energie, mit der sich jemand einer Tätigkeit widmet“

Gümüşay, 2020, S. 11f

Genauso sei unsere Vorstellung von Mengen, von Farben, von Zeit und Raum, unsere ganze Weltsicht also, davon beeinflusst, wie diese in unserer Sprache repräsentiert sind (Gümüşay, 2020). Besonders spannend im Kontext von genderfairer Sprache sind auch ihre Ausführungen zum grammatikalischen Geschlecht von  Dingen: „Im Deutschen werden Brücken eher als ‚schön, elegant, fragil, friedlich, hübsch und schlank‘ beschrieben, im Italienischen eher als ‚groß, gefährlich, lang, stark, stabil und gewaltig“ (Gümüşay, 2020, S. 16). Für die grammatikalisch feminine Brücke im Deutschen werden also stereotyp weibliche Attribute gefunden, während das Gegenteil für das italienische grammatikalisch maskuline il ponte der Fall ist. Wenn Sprache also sogar unsere Vorstellung von Dingen so massiv beeinflusst, kann man sich gut vorstellen, dass das beispielsweise bei Personenbezeichnungen oder Anreden erst recht der Fall ist.

Die Forderung nach gendergerechter Sprache ist also kein konstruiertes oder nichtiges Problem; ganz im Gegenteil: Sprache beeinflusst ganz entscheidend, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen. Und eine Sprache, die mehr als die Hälfte der Menschen systematisch unsichtbar macht, sorgt dafür, dass diese Menschen auch abseits der Sprache nicht mitgedacht, übersehen und unsichtbar gemacht werden.

Warum die deutsche Sprache nicht „gerettet“ werden muss

Als der Duden Anfang dieses Jahres ankündigte, alle eingetragenen Personenbeschreibungen geschlechtergerecht anpassen zu wollen, hagelte es Kritik, ja Empörung von allen Seiten. Wahlweise ist von „Gendergaga“, „Verhunzung der deutschen Sprache“, oder „Genderwahn“ die Rede (Bednarz, 2020). Der Verein Deutsche Sprache rief sogar eine Petition ins Leben, um die „deutsche Sprache vor dem Duden [zu retten]“ (Verein Deutsche Sprache e.V., 2021). Wie absurd, wenn man sich vor Augen führt, dass es Sprachwandel schon immer gab und immer geben wird. So erklärt auch der Duden diesen Schritt damit, dass Sprache dynamisch ist und sich ganz selbstverständlich verändert – gemeinsam mit unserer Lebensrealität (Deutsche Welle, 2021). So scheint es doch nur logisch, dass in einer Gesellschaft, in der geschlechtliche Vielfalt immer sichtbarer wird, diese Diversität auch in der Sprache repräsentiert ist – einfach, weil wir sprachlich so unsere Realität akkurater beschreiben können: Gendern sei „schlicht und ergreifend genauer, weil es alle aufzählt, die eigentlich gemeint sind“, schreibt Sophie Passmann (2021), Kolumnistin fürs ZEITmagazin.

Weiterhin pochen der Verein Deutsche Sprache und konservative Sprachwissenschaftler*innen in der oben genannten Petition auf die Verwendung des generischen Maskulinums; es wird sogar davor gewarnt, es nicht mehr standardmäßig zu verwenden. Die Erweiterung der Einträge im Duden führe zu einer „problematischen Zwangs-Sexualisierung“ (Verein Deutsche Sprache e.V., 2021). Wie genau eine geschlechtersensible Sprache diese sogenannte „Zwangs-Sexualisierung“ herbeiführen soll, wird nicht richtig klar. Warum, ganz im Gegenteil, geschlechtergerechte Personenbeschreibungen eine gute und vor allem notwendige Veränderung darstellen, zeigt sich, sobald man wissenschaftliche Studien zu dem Thema betrachtet.

So wurde beispielsweise in einer Studie der Freien Universität Berlin untersucht, inwieweit die sprachliche Präsentation von stereotyp männlichen Berufen deren Wahrnehmung bei Kindern beeinflusst (Vervecken & Hannover, 2015). Es wurden Berufsbeschreibungen von stereotyp männlichen Berufen, z.B. Erfinder*in, entweder in der generisch maskulinen Form, also „Erfinder“, präsentiert, oder in Paarform, also „Erfinder und Erfinderinnen“, genau wie der Duden es eingeführt hat. Weitere als typisch männlich gelistete Berufe waren z.B. Astronaut*in, Bürger-meister*in oder Geschäftsmann/-frau. Gemessen wurde dann, wie die jeweilige sprachliche Präsentation sich darauf auswirkte, wie Kindern im Alter von 7-12 Jahren die Zugänglichkeit der präsentierten Berufe sowie die eigene berufliche Selbstwirksamkeit einschätzten. „Zugänglichkeit“ wurde anhand des wahrge-nommenen Status sowie der wahrgenommenen Schwierigkeit der Betätigung operationalisiert. „Selbstwirksamkeit” ist ein Konstrukt, das von Albert Bandura (1995, S. 2) als „the belief in one’s capabilities to organize and execute the courses of action required to manage prospective situations” definiert wurde. Die individuelle berufliche Selbstwirksamkeit zeigt also an, wie zuversichtlich die Kinder waren, die Qualifikationen für die jeweiligen Berufe erreichen zu können. Wie erwartet, und wie in anderen wissenschaftlichen Studien bestätigt, ergab sich aus der sprachlichen Intervention, dass sowohl Jungen als auch Mädchen (dass es weitere Geschlechter gibt, wurde hier außer Acht gelassen) sich als selbstwirksamer bezüglich der Berufswahl erfuhren und die stereotyp männlichen Berufe als zugänglicher angesehen wurden, wenn die Bezeichnungen paarweise präsentiert wurden (Vervecken & Hannover, 2015). Solche Ergebnisse führen deutlich vor Augen, warum die Änderung im Duden sinnvoll und dringend nötig ist: Auch wenn das generische Maskulinum auf dem Papier alle Menschen gleichermaßen inkludieren soll, heißt das nicht, dass sich auch wirklich alle inkludiert fühlen. Geschlechtergerechte Sprache löst mitnichten eine „Zwangs-Sexualisierung“ aus; stattdessen sorgt geschlechterUNgerechte Sprache dafür, dass der patriarchale Status Quo untermauert wird, indem schon Grundschulkindern sprachlich suggeriert wird, welche Berufe für sie erreichbar sind und welche nicht. Auch hier zeigt sich, wie oben schon erläutert, wie mächtig Sprache ist und wie massiv sie unsere Realität beeinflussen kann.

Zu kompliziert, zu hässlich, oder einfach nur nervig

Wenn, wie oben beschrieben, von der Verschandelung der deutschen Sprache geredet wird, springen auch ganz schnell Phonetiker*innen (oder wahlweise auch Freund*innen aus der Heimat, denen Phonetik zum ersten Mal in ihrem Leben wichtig ist), auf den Zug auf und bemängeln, das Gendern störe ihren natürlichen Redefluss. Welch fadenscheiniges Argument: So schwer kann es nicht sein, zwischen Lehrer- und *innen diese minimal kurze Pause – unter Phonetiker*innen auch Glottisschlag genannt – zu machen. Das kriegen wir alle bei beliebigen anderen Wörtern auch hin. Außerdem: so schlecht ist es vielleicht auch nicht, wenn der kleine Moment Pause ein wenig unbequem ist. Jedes Mal, wenn jemand stutzt, sei es Sprecher*in oder Hörer*in, wird Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass in unserem status quo sowohl sprachlich als auch darüber hinaus nicht alle Menschen gleich sichtbar sind. Passmann (2021) vertritt hier eine ähnliche Meinung und meint, es sei „raffiniert […], dass […] ein im Grunde niedliches Satzzeichen daran erinnern soll, dass bis vor ein paar Jahrzehnten diese ganze Welt von Männern geleitet wurde.“

Geht es um geschriebenes Gendern wird kritisiert, so etwas sei „unlesbar“. Margarete Stokowski (2021) merkt hierzu an, dieser Einwand würde „gerne vorgebracht von Menschen, die diverse Fremdsprachen sprechen und auch sonst intellektuell eigentlich gut mitkommen.“. Noch eine sehr fadenscheinige Argumentation also, denn natürlich können diese Menschen gegenderte Texte lesen, sie wollen nur nicht. Alternativ wird mit Vorliebe das Ästhetik-Argument angeführt: Gegenderte Sprache sehe hässlich aus, höre sich hässlich an und sei ein einziges „Gendergaga“. Dabei ist es doch laut Stokowski (2021) so: „Wer ,Gendergaga‘ sagt, hat sich in sprachästhetischer Hinsicht doch eh völlig aufgegeben.“

Egal wie die Einwände lauten, in den meisten Fällen zeigt sich, so auch Stokowski (2021), dass die meisten – überwiegend tatsächlich männlichen – Verfechter*innen der ungegenderten Sprache krampfhaft Argumente suchen, um zu verdecken, worum es eigentlich geht: Nämlich, dass es sie nervt und dass sie keine Lust haben, den Aufwand zu betreiben, ihre Sprache umzustellen. Als immer explizit inkludierter Mann ist das natürlich leicht gesagt.

Gewaltvolles generisches Maskulinum

Letztendlich geht die Thematik in meinen Augen über ästhetische oder praktische Fragen, ja vielleicht sogar über Weltansicht hinaus. Ist es nicht irgendwie auch eine Form von Gewalt, mehr als der Hälfte aller Menschen eine explizite sprachliche Repräsentation zu verweigern? Von verschiedenen Theoretiker*innen wird im Kontext der Sprechakttheorie erläutert, inwieweit Sprache gewaltvoll sein kann. Hierzu beschreibt Sybille Krämer, Professorin im Ruhestand für theoretische Philosophie an der Freien Universität Berlin,

„dass Worte immer auch Taten sind: indem wir sprechen, handeln wir. John Searles Sprechakttheorie und Jürgen Habermas’ Kommunikationstheorie haben uns – im Anschluss an Austin – aufgeklärt darüber, dass das, was das Sprechen handelnd hervorbringt, ›soziale Fakten‹ sind, Gegebenheiten also, deren Sein auf ihrem Anerkanntsein beruht. Wir reden nicht nur über die Welt, sondern konstituieren unsere Welt als eine soziale Welt auch durch unser Reden: zu sprechen heißt, eine Beziehung zu den Angesprochenen aufzunehmen und einzugehen.“

Krämer, 2015, S. 32

In Bezug auf Gewalt müsse zwar nach wie vor zwischen verbaler und physischer Gewalt unterschieden werden, dennoch solle zugestanden werden, dass auch sprachliche Äußerungen gewaltvoll sein können (Krämer, 2015). Judith Butler (1997) geht noch weiter, indem sie alle Menschen als sprachliche Wesen beschreibt, die erst durch Sprache, genauer sprachliche Benennung und Ansprache, beginnen zu sein. Weiterhin schlussfolgert sie, dass gerade darin die gewaltvolle Macht der Sprache liegt, die Existenz Einzelner auch wieder zu zerstören: „If language can sustain the body, it can also threaten its existence.“ (Butler, 1997, S. 5).

Und nichts anderes passiert doch, wenn auf dem generischen Maskulinum bestanden wird: All denjenigen Menschen, die sich von diesem nicht repräsentiert fühlen, wird die von Butler beschriebene, essentielle Ansprache verwehrt. Und damit wird ihnen nicht bloß, wie zu Beginn des Abschnitts formuliert, sprachliche Repräsentation verweigert, sondern sogar ihre komplette Existenz. Und das, finde ich, kann durchaus als Akt der Gewalt bezeichnet werden.

Und nun?

Was erzähle ich also jetzt meinen Freund*innen, wenn der nächste feuchtfröhliche Abend ansteht und wir uns wieder auf kontroversem Terrain bewegen?

Nun, ich werde mit Gewissheit sagen können, dass Sprache ganz entscheidend unsere Weltsicht formt. Ganz besonders die Art und Weise, wie wir andere Menschen bezeichnen und anreden, hat reale Auswirkungen und die Macht, patriarchalische Strukturen entweder zu stützen oder sie im Kleinen zu dekonstruieren. Natürlich wird sich durch eine gerechtere Sprache das Patriarchat nicht einfach in Luft auflösen, da mache ich mir keine Illusion. Weder alltäglicher noch struktureller Sexismus lassen sich allein durch sprachliche Veränderungen beseitigen; und trotzdem glaube ich, dass eine fairere Sprache ein Anfang sein kann, bottom-up gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen.

Weiterhin kann ich allen erklären, warum die deutsche Sprache nicht gerettet werden muss (zumindest nicht vor dem Duden, vor konservativen Sprach-wissenschaftler*innen vielleicht schon eher). Durch differenzierte Personen-bezeichnungen entsteht mitnichten die befürchtete Zwangssexualisierung; stattdessen könnten sie helfen, geschlechterspezifische Berufsstereotype aufzuweichen und Kindern mehr Selbstvertrauen in ihrer Berufswahl zu geben.

Für mindestens genauso wichtig halte ich den Ansatz der Sprachakttheorie, nach dem das Beharren auf dem generischen Maskulinum in dem Sinne gewaltvoll ist, dass es den nicht explizit Genannten ganz simpel ihre Existenz abspricht.            

Ich kann verstehen, dass es anstrengend oder aufwändig erscheint, die eigene Sprache so grundlegend umzustellen. Ich kann auch verstehen, dass es nervig ist. Aber erstens verlangt dabei niemand Perfektion, ich schaffe es häufig auch nicht, mich komplett konsequent „politisch korrekt“ auszudrücken; und zweitens fände ich es schön, wenn sich Gender-Kritiker*innen wenigstens auf die Thematik einlassen und sich ihr nicht von vorneherein verweigern würden. Vielleicht kann ich mit meinem Plädoyer ja das nächste Mal zumindest meine Freund*innen davon überzeugen, dass gendergerecht Sprache gar nicht so eine schlechte Idee ist.


Literaturverzeichnis

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Vervecken, D., & Hannover, B. (2015). Yes I Can! Effects of Gender Fair Job Descriptions on Children’s Perceptions of Job Status, Job Difficulty, and Vocational Self-Efficacy. Social Psychology, 46(2), 76–92. https://doi.org/10.1027/1864-9335/a000229

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Quelle: Paula Kleuters, Gendern ist Weltsicht – Ein Plädoyer für gendergerechte Sprache, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 30.08.2021, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=120