Intergeschlechtlichkeit in der Psychotherapie

Marla Rohe (WiSe 2024/25)

1. Einleitung

21,7% der inter* Personen haben bereits einen Suizidversuch hinter sich und verspüren weiterhin den (starken) Wunsch zu sterben (Rosenwohl-Mack et al., 2020).

Auch wenn es zahlreiche wissenschaftlich belegte Fakten, Statistiken und Expert:innenbeiträge zum Thema Geschlechterdiversität gibt, halten zeitgleich noch immer Personen an der binären Vorstellung von Geschlecht fest. Dennoch: das wissenschaftliche Interesse an Intergeschlechtlichkeit wächst, so lässt sich dies in den letzten Jahren an der steigenden Anzahl wissenschaftlicher Publikationen ermessen (Hendricks & Testa, 2012). Auch der Psychologie als interdisziplinäres Fach ist diese Entwicklung nicht entgangen. Die mentale Gesundheit von Personen, die sich der LGBTQIA*-Community angehörig fühlen, ist immer häufiger Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Zum Glück, denn: Inter* Personen haben geringe Chancen auf ein gesundes Leben (Kasprowski et al., 2021).

Aus den vorliegenden Studien ließ sich intuitiv folgende Forschungsfrage ableiten:

„Wie muss die psychotherapeutische Begleitung gestaltet sein, um die psychische Gesundheit von inter* Personen zu verbessern?“

2. Intergeschlechtlichkeit – Herausforderungen durch binäres System

Im folgenden Abschnitt sollen zentrale Begriffe der vorliegenden Arbeit genauer definiert werden, so dass alle lesenden Personen über ein fundiertes Verständnis von Intergeschlechtlichkeit verfügen.

2.1 Begriffe, Abgrenzungen und Grundlegendes

Für Intergeschlechtlichkeit gibt es verschiedenste Definitionen, die als Basis für diese Arbeit herangezogen werden können. Um die geschlechtliche Vielfalt möglichst depathologisierend darzustellen, wird die Definition der Trans*Inter*Beratungsstelle (2024) verwendet:

„Inter* […] bezeichnet Menschen, mit angeborenen körperlichen Geschlechtsmerkmalen, die nicht den gängigen gesellschaftlichen und medizinischen Vorstellungen von männlichen oder weiblichen Körpern entsprechen.“

Dies kann sich durch Variationen auf chromosomaler, hormoneller Ebene zeigen oder auch durch vielfältige Ausprägungen der Gonaden (Teil der Geschlechtsorgane) auszeichnen (Antidiskriminierungstelle des Bundes, 2024). Alle Variationen der Geschlechtsmerkmale sind natürlich vorkommende und gesunde Ausprägungen einer geschlechtlichen Vielfalt. Laut Schätzungen des Ethikrates leben etwa 80.000 inter* Personen in Deutschland. Die Zahlen bleiben leider nur grobe Schätzungen, da es zum einen an verlässlicher Dokumentation fehlt und je nach zugrundeliegender Definition manche Personen nicht in ihrer Intergeschlechtlichkeit gesehen werden. Hochrechnungen gehen davon aus, dass circa 1,7% der Weltbevölkerung inter* Personen sind (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2024; Bora, 2012).

Das Wort „Inter“ stellt eine lateinische Vorsilbe dar, die mit dem Begriff „zwischen“ gleichgesetzt werden kann. Häufig als Antonym genutzt, bezeichnet „endo“ bzw. „dyadisch“ Personen, deren körperliche Merkmale, den gesellschaftlichen und medizinischen Normvorstellungen entsprechen. Der Zusatz des Sternchens („*“) wird gewählt, um eine möglichst inklusive Ansprache zu gewährleisten, indem das Sternchen vielfältige Endungen ermöglicht und somit keine Personen aus dem Bedeutungsraum ausschließt (Trans*Inter*Beratungsstelle, 2024). Laut der Trans*Inter*Beratungsstelle (2024) bezeichnet Intergeschlechtlichkeit die Übersetzung des Begriffs „intersex“, welcher insbesondere in der englischen inter* Community genutzt wird. „Sex“ steht im Englischen für die körperliche Ebene von Geschlecht. Im Deutschen könnte der Begriff „Intersex“ allerdings als irreführend wahrgenommen werden, da er Assoziationen zur sexuellen Orientierung einer Person hervorrufen könnte.

Intergeschlechtlichkeit beschreibt die körperliche Dimension von Geschlecht und sagt nicht automatisch etwas über die Genderidentität, die sexuelle Orientierung einer Person oder die Genderrollenübernahme und -darstellung aus. Eine dazu passende Abgrenzung zur Transgeschlechlichkeit soll dies verdeutlichen. Trans* Personen identifizieren sich nicht mit dem körperlichen Geschlecht, welches nach der Geburt auf Grundlage der körperlichen Ausprägungen festgelegt wurde. Transgeschlechtlichkeit bezieht sich somit auf die Ebene der Genderidentität. Die Begriffe sind klar voneinander abzugrenzen. Inter- und Transgeschlechtlichkeit treten unabhängig voneinander auf. Trans* Personen können inter* oder auch endo sein (Trans*Inter*Beratungsstelle, 2024).

Auch wenn dieses Kapitel zum Ziel hat, grundsätzliche Begriffe der Intergeschlechtlichkeit darzustellen, ist es unumgänglich inter* Personen immer nach der eigenen Selbstbezeichnung zu fragen, diese anzuwenden und zu respektieren.

Die vorliegende Definition sowie Begriffsdebatte weist zudem auf einen weiteren wichtigen Aspekt von Intergeschlechtlichkeit hin: die gesellschaftliche und medizinische Perspektive. Die gesellschaftlich gelebte Binarität des Geschlechtersystems führt dazu, dass Personen, die nicht dieser Binarität entsprechen, gewissen Stressoren ausgesetzt sind, welche langfristig zu negativen gesundheitlichen Folgen führen können. Neben einer strukturellen Benachteiligung und Diskriminierung im somatisch-medizinischen Bereich durch unter anderem (Zwangs-)Operationen, unzureichende Forschung und mangelnde Fachpersonalschulung, zählt auch psychischer Stress zu einem negativen Outcome der starren Geschlechterbinarität. Psychischer Stress kann sich langfristig negativ auf die mentale Gesundheit einer Person auswirken, sodass gegebenenfalls psychotherapeutische Behandlungen notwendig sind, um die Lebensqualität wieder herzustellen bzw. zu verbessern. Rosenwohl-Mack et al. (2020) fanden heraus, dass 53,6% der befragten inter* Personen ihre mentale Gesundheit als mittelmäßig bis schlecht bezeichnen. Diese subjektiv eher negative Einschätzung der mentalen Gesundheit von inter* Personen zeigte sich vor allem unter jüngeren Menschen (28,2%). 61,1% der befragten inter* Personen gaben an, mit einer depressiven Störung diagnostiziert worden zu sein. 62,6% leiden unter diagnostizierten Angststörungen. Von Suizidversuchen und dem (starken) Wunsch zu sterben berichteten, wie einleitend dargestellt, 21,7% der befragten inter* Personen (Rosenwohl-Mack et al., 2020).

Der Handlungsbedarf zur Verbesserung der mentalen Gesundheit von inter* Personen ist, gemessen an den oben aufgeführten Studienergebnissen, enorm. Während ein langfristiges gesellschaftliches Umdenken zumindest teilweise bereits im Gange ist, braucht es kurzfristigere und schnell umsetzbare Möglichkeiten zur psychologischen Begleitung von inter* Personen. Hierfür ist es notwendig, sich konkreter mit der Lebensrealität, den Erfahrungen und Herausforderungen von inter* Personen auseinanderzusetzen und diese Stressoren in ihrer Komplexität zu verstehen. Ein Modell, das sich den spezifischen Stressoren von Minderheiten widmet, ist das Minoritäten-Stress-Modell, welches als theoretische Grundlage dieser Arbeit im anschließenden Kapitel genauer beleuchtet werden soll.

2.2 Minoritäten-Stress-Modell

Das Minoritäten-Stress-Modell wurde im Jahr 2003 von I. H. Meyer entwickelt und beschreibt, wie chronischer Stress durch soziale Stigmatisierung und Diskriminierung die psychische Gesundheit von Menschen aus marginalisierten Gruppen negativ beeinflusst. Fokusgruppen bei der Entwicklung durch Meyer (2003) bildeten vorrangig lesbische, schwule und bisexuelle Personen. Da allerdings alle, der LGBTQIA* Community angehörigen Personen, von Ausgrenzungen und Diskriminierungen betroffen sein können (van de Grift et al., 2024), lässt sich dieses Modell auch für die vorliegende Arbeit zum Thema Intergeschlechtlichkeit anwenden.

Abb. 1 Minority Stress Modell (Meyer, 2003)

Das Modell unterscheidet zwischen distalen (aus Abbildung 1: (d)) und proximalen (f) Stressprozessen (Hendricks & Testa, 2012). Distale Stressoren entstehen durch den vorgestellten Minderheitenstatus (b), welcher sich bei inter* Personen durch die „Nicht-Übereinstimmung der angeborenen körperlichen Geschlechtsmerkmale mit den gängigen gesellschaftlichen und medizinischen Vorstellungen von männlichen oder weiblichen Körpern“ ergibt (abgeleitet aus Begriffsdefinition, vgl. Trans*Inter*Beratungsstelle, 2024).

Unter distalen Stressprozessen versteht man insbesondere von außen einwirkende, also externe, Geschehnisse, welcher eine Person ausgesetzt ist. Dazu kann unter anderem Diskriminierung und Ablehnung durch die Gesellschaft, die Stigmatisierung im medizinischen System – auch im psychotherapeutischen Bereich – aber auch Viktimisierung und fehlende Akzeptanz von Geschlechtervielfalt fallen (van de Grift et al., 2024). Auch die fehlende Sichtbarkeit von Intergeschlechtlichkeit in der Gesellschaft wird von inter* Personen als frustrierend empfunden und führt unter anderem zu Gefühlen der Einsamkeit und Isolation (van de Grift et al., 2024). Diese distalen Stressprozesse setzen wiederum proximale Stressprozesse in Gang bzw. verstärken diese zudem (Meyer, 2003).

Die proximalen Stressprozesse stellen internalisierte Überzeugungen (bspw. „sich unnormal fühlen“) dar, die einen großen Einfluss durch die Minderheitenidentität (e) einer Person erfahren sowie deren Selbstbild definieren (Meyer, 2003). So können Personen einer Minderheit Ablehnungen/ Diskriminierungen auch internalisiert haben, obwohl sie selbst dieser Minderheitengruppe angehörig sind. Zudem spielen bei den proximalen Stressprozessen auch negative Erwartungen bei Outing/ romantischen Beziehungen und Verschweigen von Gefühlen/ Erfahrungen und dadurch eine gespielte Anpassung an Binarität eine große Rolle (Hendricks & Testa, 2012; van de Grift et al, 2024). Zu den proximalen Stressoren ergänzen die Autor:innen der Studie von van de Grift et al. (2024) noch die Überinterpretation von körperlichen Vorgängen, die durch das fehlende Vertrauen in den eigenen Körper entstehen kann. Eine weitere Herausforderung für inter* Personen kann das Kommunizieren von körperlichen Grenzen darstellen. Durch zahlreiche, oft übergriffige medizinische Untersuchungen und die dadurch verringerte körperliche Autonomie fühlen sich inter* Personen häufig ungeschützter bzw. gefährdeter in Bezug auf übergriffige körperliche Begegnungen (ebd., 2024). Der interpersonelle Stress, welcher wie oben aufgeführt u.a. durch internalisierte negative Überzeugungen auftritt, äußert sich bei inter* Personen durch konstante negative Verstimmung. Körperliche und emotionale Intimität kann dadurch für inter* Personen ebenfalls eine große Herausforderung und somit Stressor darstellen (ebd., 2024).

Diese Stressoren wirken sich, gemeinsam mit den generellen Lebensstressoren (c) und unter Berücksichtigung der Merkmale der Minorität (g) auf die mentale Gesundheit von Personen aus (Meyer, 2003). Meyer (2003) beschreibt allerdings auch, ins Deutsche übersetzt, „Bewältigungsstrategien und soziale Unterstützung“ (h). Diese können, wenn richtig ausgeprägt, als Gegenpol zum chronischen Stress wirken und somit die mentale und körperliche Gesundheit von inter* Personen stärken. Hierzu zählen unterstützende Netzwerke („Community“), die Entwicklung von Stolz („Pride“), Selbstakzeptanz und positive Identitätsentwicklung, die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen und die positiv unterstützende Gestaltung des unmittelbaren sozialen/ familiären Umfeldes (van de Grift et al., 2024).

3. Intergeschlechtlichkeit in der Psychotherapie

3.1 ICD-11: Wirklich ein Fortschritt?

Das Diagnostikmanual „ICD-11“, welches zum 01. Januar 2022 in Kraft trat und zum Teil auch schon in der psychotherapeutischen Praxis Anwendung findet, hat der Stigmatisierung von trans* Personen entgegengewirkt und somit Transgeschlechtlichkeit im Diagnostikbereich entpathologisiert. Für Intergeschlechtlichkeit jedoch hat das ICD-11 keine solche Verbesserung gebracht. Noch immer wird Intergeschlechtlichkeit als Störung klassifiziert und unter dem Code LD2A als „Fehlbildungen in der Geschlechtsentwicklung“ geführt (oii Germany, 2022; Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2022). Dieser, aus dem älteren DSM übernommene, Diagnosecode trägt weiterhin zur Stigmatisierung und Pathologisierung von Intergeschlechtlichkeit bei (oii Germany, 2022).

3.2 Überlegungen für psychotherapeutische Praxis: Stärkung von Resilienzen

Ein möglicher Ansatz innerhalb der psychotherapeutischen Betreuung von inter* Personen ergibt sich aus den vorherigen Kapiteln zunächst intuitiv: Stressoren senken bzw. diesen entgegenwirken und Resilienzfaktoren fördern bzw. diese aufrechterhalten. Diese Empfehlung vertreten auch die Autor:innen der Studie von van de Grift et al. (2024): Um gesundheitliche Probleme von inter* Personen zu vermeiden bzw. diesen entgegenzuwirken, empfehlen die Autor:innen, dass klinische Expert:innen aktiv nach Minoritäten-Stressoren fragen, um hier mit psychotherapeutischen Programmen anzusetzen.

Ein weiterer wichtiger Anknüpfungspunkt für psychotherapeutische Maßnahmen stellen die Resilienzfaktoren von inter* Personen dar. Van de Grift et al. (2024) haben auch diese noch einmal genauer differenziert und in distale und proximale Resilienzfaktoren unterschieden. Ein distaler Resilienzfaktor, der sich in der Studie der Autor:innen bestätigen ließ, ist das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Community oder auch Selbsthilfegruppe. Auch das Zuwenden zu „role models“ oder die eigene Annahme einer solchen Modellrolle zählen laut den Autor:innen zu den distalen Resilienzfaktoren. Vorbilder, wie bspw. berühmte queere Persönlichkeiten, helfen dabei, Erfahrungen von inter* Personen zu normalisieren oder neue Bewältigungsstrategien und Wissen zu vermitteln. Aktivismus (bspw. in Form von politischem Engagement) wird ebenfalls aufgeführt, da es die wahrgenommene Kontrolle über die eigene Situation steigert. Psychotherapeutische Maßnahmen sollten insbesondere auf die Förderung von hoffnungsstiftenden Aktivitäten (wie oben beschriebener Aktivismus oder der Zuwendung zu „role models“) abzielen. Hoffnung und das Gefühl von Sinnstiftung wurden von van de Grift et al. (2024) als relevante Resilienzfaktoren zum Abbau von Minoritätsstressoren genannt. Zur Erleichterung der Förderung von Aktivismus und/oder der Zuwendung zu „role models“ sollten psychotherapeutische Praxen über Informationsmaterial zu entsprechenden aktivistischen Vereinen/ Institutionen und Selbsthilfegruppen bereithalten. Auch Namen von (berühmten) queeren Vorbildern sowie Kenntnis über deren Social-Media-Kanäle sollten als Orientierungspunkte für inter* Personen zur Verfügung gestellt werden.

Ausschlaggebend bei der Resilienz von distalem Stress sei aber auch die Akzeptanz und der Support von nahestehenden Menschen und Institutionen, wie bspw. Eltern oder Schule (van de Grift et al., 2024). LGBTQIA* Personen treffen sich signifikant häufiger mit Freund:innen, Nachbar:innen oder Bekannten als cis-Personen. Daraus lässt sich schließen, dass die Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen für LGBTQIA* Personen höher ist und aktiver Beziehungsaufbau betrieben wird (Kasprowski et al., 2021). Ableitend für mögliche psychotherapeutische Maßnahmen sollten Eltern, Geschwister oder Freund:innen von inter* Personen stärker in die Therapien miteinbezogen werden, um die (Selbst-)Akzeptanz von Intergeschlechtlichkeit zu fördern und somit soziale Unterstützung zu sichern. Denkbar wäre, zeitgleich zur Individualtherapie workshopähnliche Betreuungen anzubieten, in welchen das enge Umfeld der zu therapierenden Person nähere Informationen und Wissen um Intergeschlechtlichkeit an sich, aber auch der Komplexität von Minoritäten-Stressoren und Resilienzfaktoren erwerben kann. Die „Interdisziplinäre Spezialsprechstunde zu Fragen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter“ von der Charité bietet in der Begleitung von trans* Personen auch die Arbeit mit Eltern im Sinne des „Ambiguous Loss“ an. Dies kann den Prozess des sozialen Supports stark voranbringen, da Eltern hier zunächst Abschied von internalisierten Vorstellungen und Wünschen über ihre Kinder nehmen können, bisherige Geschlechterannahmen reflektieren und sich anschließend für neue Konzepte öffnen bzw. Stolz („Pride“ als Resilienzfaktor) erarbeiten (Charité, 2025). Auch wenn dieses Beratungsangebot sich auf trans* Personen bezieht, sollte diese Form der Elternarbeit auch in die psychologische Begleitung von inter* Personen Einzug finden.

Selbstakzeptanz, positive Erfahrungen mit Offenheit und vor allem das Gefühl von Handlungskompetenz werden von van de Grift et al. (2024) als Resilienzfaktoren gegen proximale, also innerliche Stressoren aufgeführt. Die psychotherapeutische Betreuung von inter* Personen sollte positive Erfahrungen mit subjektiver Offenheit ermöglichen, diese verstärken und so zu mehr Selbstakzeptanz und auch Handlungskompetenz beitragen. Wichtig hierbei könnte eine gendersensible Ansprache und empathische, wertfreie Perspektivenübernahme für die Lebensrealität der inter* Person sein. Handlungskompetenzen könnten beispielsweise durch die Vermittlung von Wissen über individuelle Rechte/ Möglichkeiten im medizinischen System gestärkt werden. Aber auch Skills-Training zur Steigerung der Selbstwirksamkeit und die Beihilfe zur Entwicklung von realistischen Selbstzielen könnten dazu beitragen, dass die inter* Person über mehr Handlungskompetenzen verfügt. Das Training von Kommunikationsstrategien und konkrete Gesprächssimulationen (bspw. Gespräche mit Ärzt:innen), könnten eingesetzt werden, um Grenzen setzendes Verhalten zu fördern.

4. Konklusion

Die vorliegende Arbeit erläutert kompakt die Stressoren und Resilienzen von inter* Personen und leitet daraus erste intuitive Implikationen für die psychotherapeutische Betreuung ab. Auch wenn inter* Personen die Variation in angeborenen Geschlechtsmerkmalen sowie die Erfahrung von Diskriminierungen gemeinsam haben, kann der Leidensdruck von Person zu Person unterschiedlich ausgeprägt sein. Abschließend sei deshalb wichtig zu erwähnen, dass es nicht die eine inter* Lebensrealität gibt. Psychotherapeutische Ansätze müssen die Individualität einer Person einbeziehen und Interventionen an individuelle Belastungs- und Bedürfnissituationen anpassen. Komorbiditäten wie Depressionen oder Angststörungen sollten ebenfalls Bestandteil einer psychotherapeutischen Begleitung von inter* Personen sein. Psychotherapeutische Begleitung von inter* Personen sollte sich zudem nicht allein auf die zu therapierende Person fokussieren, sondern das Umfeld der inter* Person einbeziehen. Sozialer Support und Akzeptanz ist für die mentale Gesundheit von inter* Personen entscheidend (van de Grift et al., 2024) und sollte in direkter Zusammenarbeit mit dem sozialen Umfeld erarbeitet werden.

5. Resümee

Abschließend noch ein paar subjektive Worte. Da ich später eine Karriere als psychologische Psychotherapeutin anstrebe, hat mir das Seminar „Gender & Gesundheit“ und auch die Ausarbeitung der vorliegenden Arbeit viele neue Sichtweisen und Denkanstöße für die spätere Berufspraxis geliefert. Ich konnte detaillierteres Wissen über die Komplexität der Stressoren der LGBTQIA* Community erlernen. In einem möglichen Berufsalltag würde ich mich deshalb stark für mehr Sichtbarkeit von Intergeschlechtlichkeit einsetzen, beispielsweise durch mehr Aufklärung und genderneutrale Dokumente. Zudem hat mich das Seminar zum Überdenken von eigenem heteronormativem Sprachgebrauch angeregt, welcher auch in zukünftiger Berufspraxis eine große Rolle spielen wird. Die Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in macht etwa 30% des Therapieerfolges aus (Lambert & Barley, 2001). So ist mir noch deutlicher bewusst geworden, dass ich beispielsweise bei der Frage nach dem Beziehungsstatus einer Person nicht direkt von heterosexueller Bindung ausgehen sollte, sondern auch hier auf eine genderneutrale Sprache achten muss, um anderen sexuellen Orientierungen Sichtbarkeit zu verschaffen und das Vertrauensverhältnis und die Möglichkeit zur Offenheit von der bzw. dem Klient:in zu sichern.

6. Literaturverzeichnis

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2024). inter*, abgerufen über: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/diskriminierungsmerkmale/geschlecht-und-geschlechtsidentitaet/inter/inter-node.html#:~:text=Laut%20Sch%C3%A4tzung%20des%20Deutschen%20Ethikrats%20leben%2080.000%20intergeschlechtliche%20Personen%20in%20Deutschland.

Bora, A. (2012). Deutscher Ethikrat. Zur Situation intersexueller Menschen. Berlin.

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2022). IDC-11 in Deutsch – Entwurfsfassung, abgerufen über: https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html

Charité Berlin (2025). Interdisziplinäre Spezialsprechstunde für Fragen der Geschlechtsidentitä im Kindes- und Jugendalter, abgerufen über: https://kinder-und-jugendpsychiatrie.charite.de/fuer_patienten_eltern/ambulanzen/interdisziplinaere_spezialsprechstunde_fuer_fragen_der_geschlechtsidentitaet_im_kindes_und_jugendalter

Hendricks, M. L., & Testa, R. J. (2012). A conceptual framework for clinical work with transgender and gender nonconforming clients: An adaptation of the Minority Stress Model. Professional Psychology: Research and Practice, 43(5).

Kasprowski, D., Fischer, M., Chen, X., de Vries, L., Kroh, M., Kühne, S., Richter, D. & Zindel, Z. (2021). Geringere Chancen auf ein gesundes Leben für LGBTQI*-Menschen. DIW Wochenbericht, 88(6).

Lambert, M. J., & Barley, D. E. (2001). Research summary on the therapeutic relationship and psychotherapy outcome. Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training38(4), 357–361.

Meyer, I. H. (2003). Prejudice, social stress, and mental health in lesbian, gay, and bisexual populations: Conceptual issues and research evidence. Psychological Bulletin, 129(5), 674–697.

oii Germany (2022). Stellungsnahme OII Germany zum Eckpunktepapier für ein Selbstbestimmungsgesetz, abgerufen über: https://oiigermany.org/eckpunktepapier-selbstbestimmungsgesetz/

Rosenwohl-Mack, A., Tamar-Mattis, S., Baratz, A. B., Dalke, K. B., Ittelson, A., Zieselman, K., Flatt, J. D., & Useche, S. A. (2020). A national study on the physical and mental health of intersex adults in the U.S. PloS One15(10).

Trans*Inter*Beratungsstelle (2024). Begriffsklärungen, abgerufen über: https://www.trans-inter-beratungsstelle.de/de/begriffserklaerungen.html 

Van de Grift, T. C., Dalke, K. B., Yuodsnukis, B., Davies, A., Papadakis, J. L., & Chen, D. (2024). Minority stress and resilience experiences in adolescents and young adults with intersex variations/differences of sex development. Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity.


Quelle: Marla Rohe, Intergeschlechtlichkeit in der Psychotherapie in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 26.05.2025, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=501

Das Spannungsfeld des Menstruationsdiskurses

Lea Nitsch (WiSe 2024/25)

Einleitung

Jeden Tag menstruieren mehr als 300 Millionen Menschen weltweit (1) und obwohl etwa die Hälfte der Weltbevölkerung diesen biologischen Prozess erlebt, werden damit regelmäßig Scham, Stigmatisierung und Tabus verknüpft. Diese negative Wahrnehmung, die in der Gesellschaft vorherrschend ist, wird als „period shaming“ oder „menstrual shaming“ beschrieben. Übersetzt bedeutet dies „Perioden-Beschämung“ oder „Menstruations-Beschämung“.

„period shaming“ sowie „menstrual shaming“ manifestiert sich in verschiedenen Formen, von Schweigen und kulturellen Tabus bis hin zu offener Diskriminierung, unzureichender Aufklärung und mangelndem Zugang zu Gesundheitsdiensten. Die Auswirkungen sind tiefgreifend und können nicht zuletzt zu gesundheitlichen Komplikationen führen. Menstruierende Menschen sehen sich zum Beispiel gezwungen ihre Periode zu verstecken oder Fakten über ihre Menstruation zu verschleiern, womit negative Auswirkungen auf das körperliche, emotionale und soziale Wohlbefinden verknüpft sind (2).

In dem Diskurs über Menstruation spielt der Aspekt Gender eine wichtige Rolle, da Menstruation traditionell als ein biologisches Merkmal von Frauen wahrgenommen wurde und größtenteils auch weiterhin so wahrgenommen wird. Die Konsequenz ist eine vermeintliche Verknüpfung zwischen dem Konzept von Menstruation und Weiblichkeit (3). Gesellschaftlich wird die Menstruation weitgehend als „weibliches Thema“ angesehen, was oft zur Tabuisierung führt. Allerdings greift diese Perspektive zu kurz, da nicht alle Frauen menstruieren, beispielsweise aufgrund von diversen medizinischen oder hormonellen Faktoren und nicht alle Menschen, die menstruieren, sich als Frauen identifizieren. Menstruierende Menschen können ebenfalls zum Beispiel trans* Männer, nicht-binäre oder genderqueere Personen sein. Das Stigma rund um die Menstruation spiegelt und verstärkt bestehende patriarchale Strukturen, indem es menstruierende Menschen als „unrein“ oder „schwach“ darstellt. Solche Einstellungen tragen zur systematischen Benachteiligung von Frauen und anderen menstruierenden Menschen bei (4).

Die Verknüpfung von Menstruation und Gender zeigt, wie eng biologische Prozesse mit sozialen und kulturellen Strukturen verflochten sind und wie wichtig es ist, diese Verbindungen kritisch zu hinterfragen, um mehr Gleichberechtigung und Inklusion zu schaffen. Besonders deutlich zeigt sich die Verbindung von Menstruation und Gender ebenfalls in der Art und Weise, wie menstruierende Menschen weltweit Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialen Ressourcen erhalten oder daran gehindert werden.

Diese Hausarbeit soll die Verbindung von Geschlechterrollen, Menstruation und Gesundheit genauer beleuchten. Eine geschichtliche Einordnung der Wahrnehmung der Menstruation soll zunächst ein Verständnis für das Spannungsfeld heute geben. Dieses soll daraufhin erörtert werden, indem auf Mythen und das Stigma über Menstruation eingegangen wird. Weiterhin wird Repräsentationsmangel von trans* und non-binären Menschen, die menstruieren eingeordnet. Folglich soll der Einfluss auf die Gesundheit aufgezeigt werden und ein Ausblick auf mögliche Veränderungen dieser gegeben werden. Des Weiteren wird eine persönliche Selbstreflexion zum Thema der Hausarbeit vorgenommen.

Geschichtliche Einordnung

Ein Blick auf die geschichtliche Wahrnehmung der Menstruation zeigt schnell auf, wo sich der Ursprung heutiger Vorurteile befindet. Im alten Ägypten wurde Menstruationsblut in medizinischen Rezepturen verwendet, während bei indigenen Völkern Nordamerikas menstruierende Menschen als spirituell stark galten. In den griechisch-römischen Kulturen fanden jedoch bereits negative Zuschreibungen statt. Aristoteles sah Menstruationsblut als „unreines“ Nebenprodukt des Körpers. In den patriarchalen Weltreligionen wurde dieser Unreinheitsgedanke als Legitimation weiter ausgeführt und stellt die Grundlage dar, um Frauen systematisch zu unterdrücken und auszuschließen, besonders während ihrer Periode (5).

In Europa verstärkte sich im Mittelalter die Pathologisierung der Menstruation, wobei menstruierende Menschen als „krankhaft“ oder gefährlich während dieser galten. Erst mit der Aufklärung begann eine wissenschaftlichere Betrachtung, wobei die Medizin die Menstruation jedoch weiterhin problematisierte und sie in Zusammenhang mit Schwäche gebracht wurde. Im 20. Jahrhundert brachte die industrielle Produktion von Hygieneartikeln (z. B. die Einführung von Tampons in den 1930er-Jahren) eine praktische Erleichterung und eine erste Welle des öffentlichen Diskurses (6). Feministische Bewegungen ab den 1960er-Jahren kämpften für eine Enttabuisierung und körperliche Selbstbestimmung. Dieser Prozess dauert immer noch an.

Mythen über die Menstruation

Die Vorurteile und Mythen, die dazu führen, dass die Menstruation weitestgehend pathologisiert wird und schambehaftet ist, sind vielfältig. Einige Mythen scheinen jedoch besonders herauszustechen, wodurch ihre Entkräftung umso wichtiger ist. Oftmals sind die Übergänge zwischen einzelnen Mythen nicht klar abgrenzbar. Im folgenden Abschnitt werden einige Mythen aufgegriffen, ohne jedoch einem Anspruch an Vollständigkeit zu genügen, da es unzählige Mythen über die Menstruation gibt.

Eines der verbreitetsten Mythen ist jenes der „irrationalen Frau“, welches davon ausgeht, dass (hier ausschließlich und derogativ gemeint) Frauen aufgrund ihrer biologischen Grundvoraussetzung emotionaler sind und folglich eine geringere Kontrolle über ihr selbst haben und weniger Vernunft besitzen (7). Der mögliche Kontrollverlust, der hiermit beschrieben wird, ist Grundlage dafür Frauen z.B. als keine verlässlichen Personen für Führungspositionen einzustufen.

Ein medizinscher Faktor, der dieses Bild weiterhin prägt ist die Diagnose des prämenstruellen Syndroms (PMS) (8). Sally Kingbeschreibt in ihrem Artikel “Premenstrual Syndrome (PMS) and the Myth of the Irrational Female“ (7), dass die Zuschreibung psychologischer Symptome der Menstruation und medizinische Klassifizierung dieser weit über die Beschreibung der eigentlichen physischen Symptome hinaus geht. Sie zeigt auf, dass die Darstellung der Menstruation und ihre Pathologisierung auf einer sexistischen historischen Blickweise auf die Menstruation basiert. King weist darauf hin, dass nur eine Minderheit der menstruierenden Personen schwere zyklische Symptome erlebt, die medizinische Unterstützung erfordern. Das explizite Anerkennen und Entkräften des Mythos der „irrationalen Frau“ und seines Einflusses auf die klinische Beschreibung und Behandlung von PMS ist laut King ein wichtiger Schritt, um diejenigen besser zu unterstützen, die tatsächlich zyklische Symptome erleben (7). Dabei soll vermieden werden, ungewollt oder gewollt zu suggerieren, dass der Menstruationszyklus selbst eine Form von Krankheit darstellt oder eine „biologische“ Rechtfertigung für Geschlechterungleichheit bietet. Sie erwähnt ebenfalls die Wichtigkeit der richtigen sprachlichen Beschreibung. Dazu gehört für sie Forschungsergebnisse aus neutraler Perspektive zu betrachten und vor allem „Frauen“ oder „menstruierende Personen“ als Beschreibung zu vermeiden, wenn eigentlich „Personen mit PMS“ gemeint sind, damit die Grenze zwischen dem Krankheitsbild PMS und der Menstruation selbst nicht verschwimmt. Damit kann dem Vorurteil und Mythos der „pathologisch emotionalen Frau“ entgegengearbeitet werden.

Der Mythos, dass die Menstruation schädlich und ungesund für das vaginale Mikrobiom sei, ist ebenfalls weit verbreitet und trägt dazu bei unbegründeten Ängsten über den eigenen Körper hervorzurufen. Diese Pathologisierung des natürlichen Zyklus wird als gesellschaftliches Machtinstrument benutzt und führt zu Fehleinschätzungen über den Gesundheitszustand des eigenen Körpers und fördert die Schambehaftung der Menstruation selbst  (9).

Repräsentationsmangel von trans* und non-binären Menschen im Menstruationsdiskurs

Menschen, die menstruieren und nicht in die binäre Kategorie „Frau“ passen, erleben oft eine doppelte Marginalisierung. Sie werden mit den gleichen Tabus konfrontiert wie cis Frauen, aber zusätzlich auch mit der Herausforderung, dass ihre Menstruation nicht in die gesellschaftlichen genderbasierten Erwartungen passen. Dies kann zu einer verstärkten Isolation und einem Gefühl der Unsichtbarkeit führen.

Um einen nicht-pathologisierenden Diskurs über Körper und Erfahrungen von trans* Personen und nicht binären Personen zu fördern, ist es essenziell, Perspektiven dieser Personengruppe im Menstruationsdiskurs einzubeziehen. Die Menstruation ist dabei nicht nur ein körperliches Phänomen, sondern auch eng mit gesellschaftlichen Erwartungen, Normen und Vorstellungen von Weiblichkeit verwoben (3).

Die Vorstellung von Weiblichkeit ist durch sichtbare und unsichtbare Normen geprägt, die den weiblichen Körper und seine Funktionen definieren. Trans* Personen und nicht-binäre Menschen, die menstruieren, stehen vor der Herausforderung, ihre Identität gegen gesellschaftlich geprägte Vorstellungen vom weiblichen Körper zu behaupten. Traditionell wurde die Menstruation ausschließlich als Funktion des von der Gesellschaft als weiblich definierten Körpers verstanden. Für trans* und nicht-binäre Personen kann diese biologische Funktion jedoch zu einem gesellschaftlichen Marker für Geschlechts- oder Geschlechteridentität werden (10). So weisen Comics aus einer Studie von Sarah E. Frank (10) auf das Unwohlsein, welches trans* und nicht binäre Personen, die Menstruieren, im Umgang mit Menstruationsprodukten empfinden können. Das Abwerfen von Menstruationsprodukten etwa in der Männertoilette löst in diesem Beispiel Nervosität aus.

Werbungen für Menstruationsprodukte reproduzieren beispielsweise auch diskriminierende Sichtweisen auf die Menstruation. Eine australische Firma hat 2019 die erste Werbung veröffentlicht, in der das Menstruationsblut auf den Menstruationsprodukten nicht blau oder anderweitig gefärbt ist, sondern in der realer roter Farbe dargestellt wird (6). Dennoch wird hier weiterhin von ausschließlich Frauen und nicht von allen menstruierenden Menschen gesprochen. Damit ist das Ziel einer inklusiveren Sprache in Diskussionen rund um die Menstruation sowie geschlechtsneutrale Periodenprodukte noch lange nicht erreicht (11).

Einfluss auf Gesundheit

„period shaming“ hat einen relevanten Einfluss auf die Gesundheit menstruierender Menschen. Die Menstruation und die damit verbundene Schambehaftung führt dazu, dass Frauen und andere menstruierende Menschen sich zum Beispiel sozial isolieren, auf Sport verzichten und sogar nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen. Dies hat zum Teil tiefgreifende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen (1).

Eine Umfrage von ActionAid zum Welt-Menstruationshygienetag 2023 ergab, dass 39 % der Frauen und anderer menstruierender Menschen im Vereinigten Königreich während ihrer Periode auf Sport oder Bewegung verzichteten oder sie ausließen. In der Altersspanne 18-24 Jahre betrug dieser Anteil sogar 48 % (12).

Der stigmatisierte Status der Menstruation hat also schädliche Folgen für die Gesundheit, insbesondere das Selbstwertgefühl, das Körperbild, die Selbstpräsentation und die sexuelle Gesundheit von Mädchen und Frauen und anderen menstruierenden Personen (4). Die gesellschaftlichen Erwartungen an menstruierende Menschen und die damit verbundenen Tabus können lebensgefährliche Auswirkungen haben (13).

Ohne die nötige Unterstützung, Information und Orientierung kann die Periode, besonders die erste, eine äußerst isolierende und einsame Erfahrung sein – eine, die oft von Stigmatisierung begleitet wird. Menstruation wird als etwas Schmutziges oder Beschämendes betrachtet, das versteckt werden sollte. Dies wird deutlich bei der Betrachtung von Euphemismen, mit denen wir die Periode beschreiben, ohne das Wort „Blut“ zu verwenden, wie etwa zum Beispiel „die Zeit des Monats“ oder auch „die Erdbeerwoche“.

Der stigmatisierte Status der Menstruation hat also schädliche Folgen für die Gesundheit, insbesondere das Selbstwertgefühl, das Körperbild, die Selbstpräsentation und die sexuelle Gesundheit von Mädchen und Frauen und anderen menstruierenden Personen (4). Die gesellschaftlichen Erwartungen an menstruierende Menschen und die damit verbundenen Tabus können lebensgefährliche Auswirkungen haben (13).

Menstrual health – wo wollen wir eigentlich hin?

Menstrual health, also Menstruationsgesundheit ist ein Zustand des vollständigen physischen, mentalen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechlichkeit im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus  (14).

Das umfassende Konzept der Menstruationsgesundheit beinhaltet, dass menstruierende Personen Zugang zu angemessenen Behandlungen für menstruationsbedingte Symptome und Krankheiten sowie zu Hygieneprodukten und angemessener Pflege während der Periode haben sollten. Aufklärung und Information über Menstruation in einem Umfeld, das frei von Gewalt, Stigmatisierung und Diskriminierung ist, vervollständigen die Agenda. (15)

Alle menstruierenden Menschen sollten Zugang zu präzisen, altersgerechten Informationen über den Menstruationszyklus, Menstruation und die damit verbundenen Veränderungen im Leben haben, sowie zu Selbstpflege- und Hygienepraktiken. Sie sollten in der Lage sein, ihre Körper während der Menstruation so zu pflegen, dass ihre Vorlieben, Hygiene, Komfort, Privatsphäre und Sicherheit unterstützt werden. Dies umfasst den Zugang zu effektiven und erschwinglichen Menstruationsmaterialien sowie zu unterstützenden Einrichtungen wie Wasser-, Sanitär- und Hygienediensten. Ebenso sollten sie rechtzeitig eine Diagnose, Behandlung und Pflege bei menstruationsbedingten Beschwerden erhalten, einschließlich Schmerzlinderung und Selbstpflegestrategien. Menschen sollten ein positives, respektvolles Umfeld erleben, das frei von Stigmatisierung und psychischer Belastung ist, und die Ressourcen haben, um ihren Körper selbstbewusst zu pflegen und informierte Entscheidungen zu treffen. Zudem sollte ihnen die Freiheit gegeben sein, während aller Phasen ihres Menstruationszyklus selbst zu entscheiden, ob und wie sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen – ohne Ausgrenzung, Einschränkungen, Diskriminierung, Zwang oder Gewalt  (14).

Historisch entstandene Vorstellungen und Dichotomien, welche auf veralteten biologischen und medizinischen Erkenntnissen basieren, sollten kritisch hinterfragt werden. Um eine inklusive und menschliche Herangehensweise an die Menstruation zu ermöglichen sollte Gesundheit als multidimensionaler Prozess verstanden werden, indem Klassifikationssysteme nicht binär, sondern auf den Menschen bezogen arbeiten (16).

Reflexion

Mit Menstruation verbinde ich zunächst Anstrengung und Schmerzen. Gleichzeitig verbinde ich damit ein sehr vertrautes und friedliches Gefühl. Während meiner Schulzeit hätte ich diesen Satz nicht so formuliert. Dank einer offenen Herangehensweise zuhause war ich zwar gut informiert über verschieden Phasen des Zyklus, Menstruationsprodukte und mögliche Symptome, jedoch fand lange gar kein öffentlicher Diskurs in meinem sozialen Umfeld über das Thema Menstruation statt. Damit war die Menstruation zunächst ein geheimnisvolles und gefährliches Thema. Ab dem Zeitpunkt, ab dem im Sportunterricht Schulschwimmen stattfand, waren einige meiner Mitmenschen vom Unterricht entschuldigt aufgrund der Menstruation. Dies führte bei mir zu der Überzeugung, dass Sport und menstruieren nicht zeitgleich möglich wären. Zunehmend wurde die Menstruation problematisiert. Blut wurde als „eklig“ beschrieben und alle Veränderungen in der Stimmung der menstruierenden Menschen wurden damit in Verbindung gebracht. Außerdem war es kompliziert, Menstruationsprodukte mit sich zu führen ohne, dass sie von anderen bemerkt wurden, um nicht ausgelacht zu werden. Die Vorstellung, dass es an öffentlichen Orten Menstruationsprodukte zur freien Verfügung geben könnte, war zu diesem Zeitpunkt fast absurd. Am schwierigsten war insgesamt jedoch die Konnotation der ersten Menstruation und dem „Frau“ werden. Da ich mich mit dem Begriff „Frau“ ohnehin nicht wohl gefühlt habe, war es für mich sehr schwer verständlich, wieso ich damit zu einer „Frau“ wurde und inwiefern die Menstruation und die damit einhergehende Fruchtbarkeit das Wertvollste und am Frau-Sein bedeutete.

Heute kann ich diese Erfahrungen kritisch betrachten. Mehr Wissen, Austausch und Sensibilisierung auch durch eigene körperliche Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich Menstruation und vermeintliche Weiblichkeit nicht mehr miteinander verknüpfe. Es ist jedoch weiterhin in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten nicht selbstverständlich, offen über das Thema Menstruation reden zu können. Immer wieder begegne ich Situationen, wo ein Informationsdefizit vorliegt, oder mir bestimmte Attribute, wie etwa „zu emotional“ aufgrund meiner Menstruation angerechnet werden. Hierbei versuche ich mit Offenheit und Aufklärung entgegenzuwirken.

Fazit

Das Thema Menstruation ist nach wie vor von gesellschaftlichen Tabus, Stigmatisierung und Missverständnissen geprägt. Diese Haltung beeinflusst nicht nur die Wahrnehmung des eigenen Körpers, sondern führt auch zu erheblichen psychischen und physischen Belastungen für menstruierende Personen. Der Diskurs über die Menstruation sollte vom Status Quo der Pathologisierung und Scham in Richtung einer offenen, inklusiven und respektvollen Auseinandersetzung verändert werden. Die enge Verknüpfung von Menstruation und sozialen, kulturellen und politischen Dynamiken, die von Geschlechterrollen und Ungleichheiten geprägt sind, bringt die Verantwortung den Menstruationsdiskurs inklusiver und offener zu gestalten. Mythen über die Menstruation sind geschichtlich verankert und vielfältig, ihnen entgegenzuwirken ist weiterhin eine Aufgabe, der sich menstruierende Menschen täglich stellen müssen. Um die gesundheitlichen Voraussetzungen für menstruierende Menschen zu verbessern, muss es einen offenen Diskurs und ein Ende des „period shaming“ geben. Eine gendergerechte Herangehensweise trägt dazu bei, Barrieren abzubauen, Stigmata zu reduzieren und allen Menschen ein gesundes und würdevolles Leben zu ermöglichen. „Menstrual health“ ist folglich eine Zielvorstellung, welche gesamtgesellschaftlich erreicht werden sollte.

Literaturverzeichnis

1. Arif N. From shame to solidarity: how we can reverse harmful narratives on period stigma. BMJ. 2024;384:q152.

2. McHugh MC. Menstrual Shame: Exploring the Role of ‘Menstrual Moaning’. In: Bobel C, Winkler IT, Fahs B, Hasson KA, Kissling EA, Roberts T-A, editors. The Palgrave Handbook of Critical Menstruation Studies. Singapore: Springer Singapore; 2020. p. 409-22.

3. Frank SE, Dellaria J. Navigating the Binary: A Visual Narrative of Trans and Genderqueer Menstruation. In: Bobel C, Winkler IT, Fahs B, Hasson KA, Kissling EA, Roberts T-A, editors. The Palgrave Handbook of Critical Menstruation Studies. Singapore: Springer Singapore; 2020. p. 69-76.

4.  Johnston-Robledo I, Chrisler JC. The Menstrual Mark: Menstruation as Social Stigma. In: Bobel C, Winkler IT, Fahs B, Hasson KA, Kissling EA, Roberts T-A, editors. The Palgrave Handbook of Critical Menstruation Studies. Singapore: Springer Singapore; 2020. p. 181-99.

5.  Germerott I. Blut und Scham: Wie die Menstruation zum Tabuthema wurde: National Geographic; 2023 [Available from: https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/03/blut-und-scham-wie-die-menstruation-zum-tabuthema-wurde-religion-patriarchat-wissenschaft-medizin.

6. Deutschlandfunk. Der Rest ist Geschichte [Internet]; 2024 25.07.2024. Podcast. Available from: https://www.deutschlandfunk.de/menstruation-geschichte-periode-hysterie-102.html

7.  King S. Premenstrual Syndrome (PMS) and the Myth of the Irrational Female. In: Bobel C, Winkler IT, Fahs B, Hasson KA, Kissling EA, Roberts T-A, editors. The Palgrave Handbook of Critical Menstruation Studies. Singapore: Springer Singapore; 2020. p. 287-302.

8. Manual M. Prämenstruelles Syndrom (PMS): MSD Manual;  [Available from: https://www.msdmanuals.com/de/profi/gynäkologie-und-geburtshilfe/menstruationsstörungen/prämenstruelles-syndrom-pms?query=prämenstruelles%20syndrom%20(pms)#Symptome-und-Beschwerden_v1062694_de.

9. Sommer M, Chrisler JC, Yong PJ, Carneiro MM, Koistinen IS, Brown N. Menstruation myths. Nature Human Behaviour. 2024;8(11):2086-9.

10. Frank SE. Queering Menstruation: Trans and Non-Binary Identity and Body Politics. Sociological Inquiry. 2020;90(2):371-404.

11. Neve M. War on period shaming goes mainstream. Eureka street. 2019;29(17):25-7.

12. Pycroft H. Cost of living: UK period poverty has risen from 12% to 21% in a year: Actionaid; 2023 [Available from: https://www.actionaid.org.uk/blog/2023/05/26/cost-living-uk-period-poverty-risen.

13. Gottlieb A. Menstrual Taboos: Moving Beyond the Curse. In: Bobel C, Winkler IT, Fahs B, Hasson KA, Kissling EA, Roberts TA, editors. The Palgrave Handbook of Critical Menstruation Studies. Singapore2020. p. 143-62.

14. Hennegan J, Winkler IT, Bobel C, Keiser D, Hampton J, Larsson G, et al. Menstrual health: a definition for policy, practice, and research. Sex Reprod Health Matters. 2021;29(1):1911618.

15. Carneiro MM. The hidden tales menstruation may tell: time to break the silent spell. Women & Health. 2022;62(4):273-5.

16. Sharon G. Lifting the Curse of Menstruation : A Feminist Appraisal of the Influence of Menstruation on Women’s Lives. New York: Routledge; 2015.


Quelle: Lea Nitsch, Das Spannungsfeld des Menstruationsdiskurses in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 26.05.2025, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=494

Gender und sexuelle Dysfunktion

Zusammenhang und Auswirkung

Anonym (WiSe 2024/25)

Einleitung

Viele Menschen leiden unter einer sogenannten „sexuellen Dysfunktion“. Dabei wird aufgrund von körperlichen oder psychischen Ursachen das Ausleben der eigenen Sexualität erschwert oder verhindert und es entsteht bei den Betroffenen Leidensdruck. [1]

In der Forschung gibt es bereits einiges an Wissen über sexuelle Dysfunktionen bei Cis-Männern und auch bei Cis-Frauen wurden bereits große Fortschritte erzielt.[2] Bei marginalisierten Gruppen wie Transgender Personen und Non-Binären, sowie Genderqueeren Personen sind leider noch deutliche Lücken in der Forschung zu bemängeln. [3] [4]

Die eigene Sexualität gesund ausleben zu können ist dabei nachgewiesen eine Voraussetzung für viele Menschen, ein gesundes und glückliches Leben führen zu können. Wenig überraschend ist folglich, dass Depressionen eine mögliche Folge von unbehandelten sexuellen Funktionsstörungen sein können.[5]

Sexuelle Dysfunktion kann je nach körperlichen und psychischen Voraussetzungen unterschiedlich bei den Geschlechtern auftreten.[6] [7] In diesem Essay soll auf den Zusammenhang zwischen sexueller Dysfunktion und Gender eingegangen werden. Die binäre Aufteilung in Mann und Frau wird dabei nicht allen Betroffenen von sexuellen Dysfunktionen gerecht. Marginalisierten Gruppen, wie Transpersonen oder on-Binären und Genderqueeren Personen, werden von dieser binären Aufteilung außenvor gelassen.

In vielen der verwendeten Quellen ist von „Mann“ und „Frau“ die Rede und es wird meist nicht genauer definiert, wer gemeint und wer nicht mit einbezogen wird. In den entsprechenden Teilen des Essays werde ich von daher diese Formulierung übernehmen, da es schwierig ist, mit Sicherheit zu sagen, dass beispielsweise ausschließlich Cis-Männer und Cis-Frauen gemeint sind, wenn dies nicht deutlich ausgedrückt wurde. In den Teilen des Essays in denen ich meine Meinung wiedergebe werde ich versuchen, möglichst präzise und angemessene inklusive Sprache zu verwenden.

Im Fazit werde ich meine eigene Meinung wiedergeben und in der Reflexion meinen eigenen Arbeits- und Lernprozess reflektieren. Dementsprechend werde ich teilweise aus der Ich-Perspektive schreiben. Ich habe mich dazu entschieden dem Fazit auch einen Reflexionsteil anzufügen, da ich es interessant fand, wie sich meine eigene Sichtweise beim Schreiben des Essays verändert hat.

Was ist eine sexuelle Funktionsstörung bzw. eine sexuelle Dysfunktion?

Bei einer sexuellen Dysfunktion wird das Ausleben einer sexuellen Beziehung bei der betroffenen Person erschwert oder verhindert.[8] 43% der Frauen und 30% der Männer leider unter sexuellen Problemen. Bei 12% von ihnen werden die diagnostischen Kriterien erfüllt, um eine Störung zu diagnostizieren.[9]

Die ICD-11 unterscheidet bei der sexuellen Dysfunktion zwischen vier Sub-Kategorien. Die Dysfunktion verminderten sexuellen Verlangens, die Dysfunktion der sexuellen Erregung, die Dysfunktionen des Orgasmus, sowie die Dysfunktionen der Ejakulation. Diese Sub-Kategorien haben weitere Sub-Kategorien in welchen teilweise zwischen Männern und Frauen unterschieden wird.[10]

Während in der ICD-10 noch zwischen organischer und nicht-organischer sexueller Dysfunktion unterschieden wurde, wird in der ICD-11 beides in einem Kapitel zusammengeführt.[11]

Physische und psychische Umstände können eine sexuelle Funktionsstörung verursachen. Aus dieser können weitere psychische Probleme wie Depressionen folgen. Allgemein kann das psychische Wohlbefinden die sexuelle Funktion eines Menschen beeinflussen. Depressionen, Ängste, Wut, Schuldgefühle und Trauma sind einige der psychischen Faktoren, welche einen negativen Einfluss auf das sexuelle Wohlbefinden einer Person haben können.[12] 

Depression und sexuelle Dysfunktion

Depressionen und sexuelle Dysfunktion kommen häufig Hand in Hand und zeichnen sich durch ihre relativ häufige Verbreitung aus. Eine sexuelle Dysfunktion kann unter anderem Symptom und Ursache einer Depression sein. Die Zusammenhänge zwischen den beiden Erkrankungen sind durch viele Studien untersucht und belegt.[13]

Während ungefähr ein Drittel der nicht medikamentös behandelten depressiven Patienten von einer negativen Auswirkung ihrer Depression auf ihre Sexualität sprechen, sind es bei der Gesamtzahl der depressiven Patienten über die Hälfte bis hin zu 90% der Betroffenen, welche über eine Beeinträchtigung ihrer Sexualität berichten. Bedingt wird dies unter anderem durch die oftmals medikamentöse Behandlung von Depressionen. Diese Antidepressiva haben vielfach Nebenwirkungen, welche die sexuelle Gesundheit der Patienten beeinflusst. Schwindendes Interesse an sexueller Aktivität ist dabei die häufigste Nebenwirkung. Bei als männlich eingeordneten Personen sind Depressionen einer der größten möglichen Ursachen für Erektionsstörungen.[14]

Folglich ist es wichtig bei einem betroffenen Patienten nicht nur die Depression zu behandeln, sondern wenn vorhanden auch die sexuelle Dysfunktion. Um die Lebensqualität von Individuen mit Depressionen oder sexuellen Dysfunktionen zu verbessern ist es zudem sinnvoll, regelmäßig zu überprüfen, ob sich eine sexuelle Dysfunktion oder eine Depression, wenn das jeweils andere vorhanden ist, bildet, um dann zeitnah eingreifen zu können.[15]

Anzumerken ist allerdings, dass eine Depression nicht unbedingt lustmindernd wirken muss. Bei einigen depressiven, als männlich eingeordneten Personen, kommt es zu erhöhter sexueller Aktivität. Dies könnte eine Art Copingstrategie sein, um mit der Depression umzugehen. In vielen Fällen lassen die sexuellen Probleme nach dem Rückgang der Depression nach.[16]

Sexuelle Dysfunktion bei Männern

Sexuelle Dysfunktionen treten bei Männern häufig auf. Es ist allerdings schwierig genau zu bestimmen wie verbreitet sie auftreten, da unterschiedliche Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Bei einer Auswahl von Studien über die erektile Funktion bei Männer nach einer Prostataentfernung, konnten über 20 unterschiedliche Definitionen für eine erektile Dysfunktion festgestellt werden. Als Folge lag der Anteil von adäquater erektiler Funktion bei den Beteiligten zwischen 25 und 78%.[17]

Die wohl verbreiteteste sexuelle Dysfunktion bei Männern ist die frühzeitige Ejakulation. Dabei haben die Betroffenen wenig bis keine Kontrolle über den Zeitpunkt ihrer Ejakulation und kommen aus eigener Sicht zu früh zum Höhepunkt. Ungefähr 30% der Männer leider darunter. Es ist schwierig die frühzeitige Ejakulation genau zu definieren, da es unmöglich ist genau festzulegen ab wann eine frühzeitige Ejakulation zeitlich vorliegt.[18]

Mangelnde sexuelle Lust, Unfähigkeit zur Ejakulation und die Unfähigkeit einen Orgasmus zu erreichen sind weitere mögliche sexuelle Funktionsstörungen bei Männern.[19]

Sexuelle Dysfunktion bei Frauen

Es konnte in den letzten Jahrzehnten deutlich mehr Wissen über sexuelle Dysfunktionen bei Frauen erlangt werden. Bei Frauen fallen unter anderem Libidostörung, Erregungs- und Orgasmusstörungen, Lubrikationsstörungen, sowie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr unter die Kategorie der sexuellen Dysfunktion. Der „National Health and Social Life Survey“ zufolge haben 43% der Frauen in der Altersgruppe der 18–59-Jährigen mit einer sexuellen Dysfunktion zu kämpfen. Insgesamt schätzt man mit einer Verbreitung von zwischen 22 und 49%.[20]

Bestimmte sexuelle Funktionsstörungen nehmen im Alter zu. So ist die sexuelle Appetenz Störung in Europa bei Frauen im Alter deutlich verbreiteter. Bei dieser fehlt es den betroffenen unter anderem an sexuellem Interesse. Voraussetzung um den Mangel an sexuellem Interesse als Störung einzuordnen ist, dass die Person dadurch einen Leidensdruck verspürt. Zudem lässt sich die Diagnose in unterschiedliche Kriterien unterteilen. Dabei wird eingeordnet, ob die Störung dauerhaft vorhanden oder erworben ist, ob sie generalisiert oder situationsabhängig auftritt und ob es eine organische oder psychische Ursache gibt.[21]

Die möglichen Ursachen für die entstehen einer sexuellen Funktionsstörung bei Frauen sind vielfältig. Hormone spielen im menschlichen Körper eine vielfältige Rolle und beeinflussen unter anderem die Sexualität. Die Menopause kann bei betroffenen zum Beispiel durch den veränderten Hormonhaushalt die Entstehung einer sexuellen Funktionsstörung begünstigen.[22]

Gesundheitliche und psychosoziale Faktoren können auch verantwortlich für das Entstehen einer sexuellen Dysfunktion sein. Chronische Erkrankungen und Medikamente können zum Beispiel die sexuelle Gesundheit verschlechtern. Frauen, die zum Beispiel eine negative Wahrnehmung ihrer Sexualität internalisiert haben, haben ein hohes Risiko eine sexuelle Funktionsstörung zu entwickeln. Ängste sind ein weiterer Faktor. Während sich bei Männern eher Ängste bezüglich der sexuellen Performance bestehen, haben Frauen oft eher Ängste im Bereich der Selbstwahrnehmung ihrer körperlichen sexuellen Attraktivität.[23]

Transgender Personen

Individuen mit einer Geschlechtsdysphorie identifizieren sich nicht mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht und empfinden folglich einen Leidensdruck. Umgangssprachlich ist hierbei oft von Transgeschlechtlichkeit oder Transidentität die Rede.[24] 

Die Geschlechtsdysphorie macht es für Trans Personen oft schwierig ihre Sexualität auszuleben. Ein hohes Risiko sexuelle Gewalt zu erleben, sowie teilweise internalisierte Transphobie stellen weitere Hürden für Trans Personen dar, ihre sexuelle Gesundheit zu verbessern.[25]

Während in der Vergangenheit die Sexualität von Transmenschen wenig Beachtung in der Forschung gefunden hat, gab es in letzter Zeit diesbezüglich einen Wandel. Mit steigendem Bewusstsein für die Wichtigkeit eines gesunden Sexuallebens für die Gesundheit von vielen Individuen, ist auch das Bewusstsein für die Wichtigkeit eines gesunden Sexuallebens bei Transmenschen gewachsen.[26]

Studien über die sexuelle Funktion bei Trans Personen haben sich bisher häufig auf die sexuelle Funktion nach der geschlechtsangleichenden Operation und Hormontherapie bezogen. Eine systematische Auswertung von 28 Studien kam zu dem Ergebnis, dass 63%% der Transfrauen nach einer Hormontherapie und einer Geschlechtsangleichenden Operation eine deutliche Verbesserung ihrer sexuellen Funktionsfähigkeit wahrnehmen. Folge Studien verweisen zudem auf höhere sexuelle Aktivität, höhere Zufriedenheit mit dem Orgasmus und geringere Schmerzen nach der geschlechtsangleichenden Operation bei Transfrauen. Es kam allerdings auch zu einer Verringerung des sexuellen Verlangens bei vielen der Betroffenen, wobei die Häufigkeit von einer Störung des sexuellen Verlangens bei Transfrauen etwa der von Cisgender Frauen entsprach.[27]

Der Forschungsstand bei Transmännern ist diesbezüglich noch schwächer als bei den Transfrauen. Hormontherapie und eine Geschlechtsangleichende Operation führten aber auch bei Transmännern zu verbesserter sexueller Gesundheit. Die Behandlung führte hier in vielen Fällen zu verbesserten sexuellen Gesundheit und einem Anstieg in sexuellen Bedürfnissen, sowie vermehrter sexueller Aktivität.[28]

Auch wenn die Hormontherapie und die geschlechtsangleichende Operation als Mittel die sexuelle Gesundheit vieler Trans Personen verbessert, gibt es in einigen Fällen auch nach diesen Eingriffen bei einigen der Betroffenen weiterhin sexuelle Dysfunktionen. In Bezug auf sexuelle Dysfunktionen nach der Behandlung fehlt es an groß angelegten Studien, um aufzuzeigen wie verbreitet diese sind.[29]

So bleibt es für viele Transpersonen weiterhin schwierig eine sexuelle Beziehung einzugehen und sexuellen Kontakt zu suchen.[30]

Non-Binäre und Genderqueere Personen

Während es bei Transpersonen oft um die Einordnung in männlich und weiblich geht, gibt es auch Personen, die sich weder dem männlichen oder weiblichen Spektrum zuordnen. Während ein Teil dieser Personen sich auf dem Spektrum von männlich und weiblich zwischen diesen einordnen, gibt es andere, die sich als völlig außerhalb dieses Spektrums liegend sehen. Diese Menschen bezeichnen sich meist als Non-Binär und/oder Genderqueer.[31]

Eine niederländische Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass 4,6% der Personen die nach ihrer Geburt als männlich eingestuft wurden und 3,2% der Personen die nach ihrer Geburt als weiblich eingestuft wurden, Unsicherheiten bezüglich ihres Geschlechts verspüren.[32]

Trotz der Einordnung der WHO von sexueller Gesundheit als wichtigen Teilaspekt für die Lebensqualität eines Individuums, gibt es einen deutlichen Mangel an quantitativen Studien bezüglich der sexuellen Gesundheit bei Non-Binären und Genderqueeren Personen.[33]

Eine Online-Umfrage aus dem Jahr 2020 versucht die sexuelle Gesundheit von Non-Binären und Genderqueeren Personen mit denen von binären Transpersonen und Cisgender Personen zu vergleichen.[34] In vielen Hinsichten überschneiden sich die Probleme der Non-Binären und Genderqueeren Personen mit denen der binären Transgender Personen.[35] Sexuelles Selbstbewusstsein in Bezug auf den eigenen Körper wurde in binären Transpersonen und Non-Binären und Genderqueeren Personen niedriger gemessen als bei Cisgender Personen. Dies deckt sich auf mit den Ergebnissen anderer Forschung.  In Bezug auf die transspezifischen Körperwahrnehmung schnitt die Gruppe der von Non-Binären und Genderqueeren Personen schlechter ab als die binäre Transpersonen Gruppe.[36]

Fazit

Es wird deutlich, dass sexuelle Dysfunktionen für alle Gender ein Problem darstellen. Während es beispielsweise zwischen Cis-Frauen und Cis-Männern entsprechend ihrer körperlichen Voraussetzungen und gesellschaftlicher Normen teilweise unterschiedliche sexuelle Dysfunktionen auftreten, gibt es doch auch deutliche Überschneidungen. Depressionen als verbreitete Folge und Ursache sexueller Dysfunktion bei allen betroffenen Gruppen zeigt deutlich die Wichtigkeit für alle Gruppen das Thema mit Ernsthaftigkeit anzugehen.

Der Fakt, dass die ICD-11 lediglich zwischen Mann und Frau unterscheidet, macht ein weiteres Mal deutlich, dass Transpersonen und Non-Binäre, sowie Genderqueere Personen nicht ausreichend inkludiert werden. Das organische und nicht organische Ursachen für sexuelle Dysfunktionen zusammengelegt werden, ist grundsätzlich eine positive Entwicklung, da das Thema nun ganzheitlicher betrachtet werden kann.

Es ist davon auszugehen, dass wenn in der ICD-11 oder anderen Quellen zwischen Mann und Frau unterschieden wird, von Cis-Männern und Cis-Frauen die Rede ist. Diese Unterteilung bleibt unzureichend, da sie nicht ausreichend für Menschen aufkommt, welche sich nicht mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Da es für diese Menschen umso schwieriger sein kann ihre Sexualität auszuleben, können sexuelle Dysfunktionen ein umso größeres Problem darstellen.

Deutlich wurde mir auch, dass sich die sexuelle Gesundheit in vielen Fällen verbessern lässt und nicht immer von Dauer sein muss. Die Verbesserung der sexuellen Gesundheit bei Transpersonen durch geschlechtsangleichende Operationen und eine Hormontherapie unterstreicht wie viel Auswirkung medizinische Unterstützung für diese Gruppen haben kann. Leider gibt es noch zu viele Lücken in der Forschung, obwohl ja ein durchaus nennenswerter Teil der Gesellschaft Unsicherheiten bezüglich des eigenen Geschlechts verspürt. Unabhängig davon hat jede dieser Personen das Recht auf ein gesundes Sexualleben und wir als Gesellschaft sollten unser Bestes geben, um jeder Person ein solches zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, benötigt es einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Inklusion und verstärkte Bemühungen auch zugunsten kleinerer Gruppen zu forschen.

Reflexion

Beim Schreiben dieses Essays kam ich zum Nachdenken über einige Themen, mit denen ich sonst wenig konfrontiert werde. Die Bedeutung eines gesunden Sexuallebens war mir zwar bereits teilweise bewusst, allerdings wurde mir verdeutlicht, wie sehr dieses Thema nahezu alle Gruppen betrifft, unabhängig von Geschlecht oder hohem Alter.

Zudem hat sich mir verdeutlicht, dass neben den organischen Ursachen für sexuelle Dysfunktionen, die psychischen Ursachen eine enorme Rolle spielen können und das gesellschaftliche Umfeld, dass wir schaffen, einen großen Einfluss auf das psychische Empfinden von allen Menschen unserer Gesellschaft hat.

Besonders hinterfragt habe ich beim Schreiben des Essays die oft verwendete Trennung zwischen „Mann“ und „Frau“. Auch eine Non-Binäre Person, menstruiert unter Umständen, aber identifiziert sich vielleicht nicht als Frau. Diese Person ist dann trotzdem von den hormonellen Folgen der Menstruation betroffen und möglicherweise auf Hilfe angewiesen. Sucht sie nun beispielsweise Online nach Hilfe, wird sie wahrscheinlich der Unterteilung von Mann und Frau begegnen und sich nicht inkludiert fühlen. Auch wenn einige für einen Teil der Gesellschaft an der Einteilung von Mann und Frau festhalten wollen, sollte es zumindest neben den Kategorien Mann und Frau auch Kategorien für beispielsweise Transpersonen, Non- Binäre Personen und Genderqueere Personen geben. Eine Anpassung des Kapitels der sexuellen Dysfunktion in der ICD-11um diese Gruppen zu inkludieren könnte ein Anfang darstellen diese Situation zu verbessern.

Quellen:

Berner, M., Psychopharmakaassoziierte sexuelle Funktionsstörungen und ihre Behandlung, in: Nervenarzt, Col. 88, 2017-05. S. 459-465.

Briken, Peer; Matthiesen, Silja; Pietras, Laura; et al., Prävalenzschätzungen sexueller Dysfunktion anhand der neuen ICD-11-Leitlinien, in: Deutsches Ärzteblatt, 39/2020, https://www.aerzteblatt.de/archiv/215853/, Stand: 06.02.2025.

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung, https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html, Stand: 06.02.2025.

Conn, Allison; Hodges, Kelly R., Sexualfunktion und sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen, in: MSD Manual Ausgabe für Patienten, 2023, https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-frauen/sexuelle-funktion-und-funktionsst%C3%B6rung-bei-frauen/%C3%BCberblick-%C3%BCber-die-sexualfunktion-und-sexuelle-funktionsst%C3%B6rungen-bei-frauen?ruleredirectid=740autoredirectid=23359, Stand: 08.02.2025.

Hartmann, Uwe, Depressionen und sexuelle Funktionsstörungen: Aspekte eines vielschichtigen Zusammenhangs, in: Psychiatrische Praxis, Vol.34, 2007-09, S. 314-317.

Jimbo, Masaya, Überblick über die Sexualfunktion und sexuelle Funktionsstörungen bei Männern, in: MSD Manual Ausgabe für Patienten, 2024, https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-m%C3%A4nnern/sexualfunktion-und-sexuelle-funktionsst%C3%B6rungen-bei-m%C3%A4nnern/%C3%BCberblick-%C3%BCber-die-sexualfunktion-und-sexuelle-funktionsst%C3%B6rungen-bei-m%C3%A4nnern, Stand: 05.02.2025.

Kennis, Mathilde; Duecker, Felix; T’Sjoen, Guy, et al., Mental and sexual well-being in non.binary and genderqueer individuals, in: International Journal of transgender health, Vol.23, 2022, S.442-457.

Kerckhof, Mauro E.; Kreukels, Baudewijntje P.C.; Nieder, Timo O.; et al., Prevalence of Sexual Dysfunctions in Transgender Persons: Results from the ENIGI Follow-Up Study, in: Journal of sexual medicine, Vol 16, 2019-12, S. 2018-2029.

Korda, J. B., Weibliche sexuelle Dysfunktion, in: Gynäkologe Berlin, Vol. 41, 2008-12, S.1005-1019.

Minhas, Suks; Mulhall, John P., Male sexual dysfunction: a clinical guide, Oxford 2017.


[1] Jimbo, Masaya, Überblick über die Sexualfunktion und sexuelle Funktionsstörungen bei Männern, in: MSD Manual Ausgabe für Patienten, 2024, https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-m%C3%A4nnern/sexualfunktion-und-sexuelle-funktionsst%C3%B6rungen-bei-m%C3%A4nnern/%C3%BCberblick-%C3%BCber-die-sexualfunktion-und-sexuelle-funktionsst%C3%B6rungen-bei-m%C3%A4nnern, Stand: 05.02.2025.

[2] Korda, J. B., Weibliche sexuelle Dysfunktion, in: Gynäkologe Berlin, Vol. 41, 2008-12, S.1006.

[3] Kerckhof, Mauro E.; Kreukels, Baudewijntje P.C.; Nieder, Timo O.; et al., Prevalence of Sexual Dysfunctions in Transgender Persons: Results from the ENIGI Follow-Up Study, in: Journal of sexual medicine, Vol 16, 2019-12, S. 2019.

[4] Kennis, Mathilde; Duecker, Felix; T’Sjoen, Guy, et al., Mental and sexual well-being in non.binary and genderqueer individuals, in: International Journal of transgender health, Vol.23, 2022, S.442f.

[5] Hartmann, Uwe, Depressionen und sexuelle Funktionsstörungen: Aspekte eines vielschichtigen Zusammenhangs, in: Psychiatrische Praxis, Vol.34, 2007-09, S. 314.

[6] Jimbo 2024.

[7] Conn, Allison; Hodges, Kelly R., Sexualfunktion und sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen, in: MSD Manual Ausgabe für Patienten, 2023, https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-frauen/sexuelle-funktion-und-funktionsst%C3%B6rung-bei-frauen/%C3%BCberblick-%C3%BCber-die-sexualfunktion-und-sexuelle-funktionsst%C3%B6rungen-bei-frauen?ruleredirectid=740autoredirectid=23359, Stand: 08.02.2025.

[8] Jimbo 2024.

[9] Berner, M., Psychopharmakaassoziierte sexuelle Funktionsstörungen und ihre Behandlung, in: Nervenarzt, Col. 88, 2017-05. S. 459.

[10] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung, https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html, Stand:06.02.2025.

[11] Briken, Peer; Matthiesen, Silja; Pietras, Laura; et al., Prävalenzschätzungen sexueller Dysfunktion anhand der neuen ICD-11-Leitlinien, in: Deutsches Ärzteblatt, 39/2020, https://www.aerzteblatt.de/archiv/215853/, Stand: 06.02.2025.

[12] Jimbo 2024.

[13] Hartmann 2007, S.314.

[14] Hartmann 2007, S.314f.

[15] Hartmann 2007, S.316.

[16] Hartmann 2007, S.316.

[17] Minhas, Suks; Mulhall, John P., Male sexual dysfunction: a clinical guide, Oxford 2017, S. 1.

[18] Minhas, Mulhall, 2017, S.2f.

[19] Jimbo 2024.

[20] Korda 2008, S. 1006.

[21] Korda 2008, S. 1007.

[22] Korda 2008, S. 1008f.

[23] Korda 2008, S. 1009f.

[24] Kerckhof, Kreukels, Nieder, et al. 2019, S. 2018.

[25] Kerckhof, Kreukels, Nieder, et al. 2019, S. 2019.

[26] Kerckhof, Kreukels, Nieder, et al. 2019, S. 2019.

[27] Kerckhof, Kreukels, Nieder, et al. 2019, S. 2019.

[28] Kerckhof, Kreukels, Nieder, et al. 2019, S. 2019.

[29] Kerckhof, Kreukels, Nieder, et al. 2019, S. 2019.

[30] Kerckhof, Kreukels, Nieder, et al. 2019, S. 2029.

[31] Kennis, Duecker, T’Sjoen, et al., S.442.

[32] Kennis, Duecker, T’Sjoen, et al. 2022, S. 442f.

[33] Kennis, Duecker, T’Sjoen, et al. 2022, S. 443.

[34] Kennis, Duecker, T’Sjoen, et al. 2022, S. 444.

[35] Kennis, Duecker, T’Sjoen, et al. 2022, S. 454.

[36] Kennis, Duecker, T’Sjoen, et al. 2022, S. 452.


Quelle: Anonym, Gender und sexuelle Dysfunktion: Zusammenhang und Auswirkung in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 26.05.2025, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=486

Femmephobia in der Gesellschaft und in queeren Communities

Victoria Reichenbacher (WiSe 2023/24)

Vorbemerkung: Analog zu Begriffen wie Queerphobie, Transphobie oder Homophobie wäre die Wortbildung mit „-phobie” im Deutschen irreführend, da es sich bei all diesen Beispielen nicht um klassische Ängste im Sinne einer Phobie handelt, sondern um ablehnende Einstellungen und Haltungen. Daher werde ich im Folgenden ausschließlich den englischen Begriff Femmephobia verwenden.

Femme als Identifikation und Femmephobia

Bevor wir definieren können, was Femmephobia ist und wie ihre Manifestationen in queeren Communities aussehen können, ist es notwendig zu definieren, was „femme“ ist und wo die Unterschiede z.B. zu Feminität liegen. Rhea Hoskin definiert „femme“ als eine Identität, die sowohl Feminität unabhängig von einem als weiblich gelesenen oder definierten Körper umfasst, als auch Feminität, die gesellschaftlich sanktionslos dargestellt werden kann (Blair & Hoskin, 2015, S.232).
Unsanktionierte Feminität soll hier als patriarchale Feminität bezeichnet werden, was bedeutet, dass nur jene Feminität gesellschaftlich akzeptiert ist, die von weißen, able-bodied, heterosexuell verfügbaren cis-Frauen im biologisch-deterministischen Verständnis performativ hergestellt wird (Blair & Hoskin, 2015, S.232). Femme umfasst also nicht nur diese Definition von patriarchaler bzw. essentieller Feminität, sondern auch Abweichungen oder Ablehnungen ebendieser, z.B. durch die Performanz von Feminität durch andere Geschlechtsidentitäten, also z.B. von Trans*-Personen, nicht-binäre oder sich als männlich identifizierende Personen. Ausführliche Definitionen, Abgrenzungen und Diskussionen zu Femme finden sich u.a. in Hoskin (2013) und werden hier aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt.

Femmephobia ist demnach die Ablehnung von gesellschaftlich als weiblich oder feminin konnotierten Eigenschaften, Verhaltensweisen, Gesten, Sprachelementen, modischen Vorlieben etc. insbesondere, aber nicht ausschließlich, wenn diese außerhalb der essentiellen Feminität liegen. Es handelt sich also um eine systematische Abwertung und gleichzeitige Regulierung von Femininität (Hoskin et al., 2023, S.193).
Dabei ist es wichtig, Femmephobia von anderen Formen der Unterdrückung wie Misogynie oder Sexismus abzugrenzen, auch wenn sich diese Unterdrückungsmechanismen oft überlagern und gleichzeitig stattfinden. Während sich Misogynie und im Wesentlichen auch Sexismus gegen Personen richten, die als weiblich gelesen werden (unabhängig davon, ob diese Feminität performen), richtet sich Femmephobia gegen performante Feminität, unabhängig von der eigenen oder zugeschriebenen Geschlechtsidentität (Hoskin et al., 2023, S.193).

Ausprägungen von Femmephobia

Rhea Hoskin, die in den letzten Jahren die Femme-Theorie und das Phänomen der Femmephobia maßgeblich erforscht und wissenschaftlich-theoretisch weiterentwickelt hat, definiert verschiedene Erscheinungsformen der Femmephobia: die strukturelle oder verdeckte Femmephobia, die offene Femmephobia, die Femme Mystification und die moralische Femmephobia {Anm. d. Verf.: freie Übersetzung von “pious femmephobia”} (Hoskin, 2013).

Strukturelle oder verdeckte Femmephobia sind Alltagspraktiken in Form von Sprache, Ideologie oder Gendering, z.B. “Du siehst nicht aus wie eine Lesbe”. Offene Femmephobia hingegen ist die explizite Ablehnung von Feminität, z.B. die Formulierung “no fems” auf Grindr-Profilen von MSM (Männer, die Sex mit Männern haben), die klar die Ablehnung von Feminität bei potentiellen Dates zum Ausdruck bringt (Blair & Hoskin, 2015, S.232).
Unter Femme Mystification versteht Hoskin die Herabsetzung oder Objektifizierung von Personen, die femme Charakteristika aufweisen, z.B. wird freizügigere Kleidung damit assoziiert, dass die Person käuflich oder leicht zu haben sei (Blair & Hoskin, 2015, S.232). Moralische Femmephobia schließlich umfasst Ausprägungen wie Slut-Shaming, Victim-Blaming oder Gender Policing, die darauf abzielen, eine “anständige Weiblichkeit” bzw. eine essentielle / patriarchale Feminität durchzusetzen (Blair & Hoskin, 2015, S.232).

In einer weiteren umfassenden Studie konnte Hoskin (2019) neben dem übergeordneten Frame, dass die Performanz von Feminität das Ziel von Femmephobia ist, verschiedene Subframes identifizieren. Femmephobia äußert sich zudem in Form der Regulierung sexueller Identitäten, der Morphologie und des biologischen Determinismus, „masculine right of access“ (auf eine Übersetzung wird verzichtet), feminine joke und Femininität und Passing (Hoskin, 2019, S.691).


Die Regulierung sexueller Identitäten umfasst wiederum Maßnahmen wie Slut-Shaming, Virgin-Shaming oder Victim-Blaming sowie grundsätzlich die Regulierung der heterosexuellen Matrix durch Femmephobia, meist in sprachlicher Form. Ziel ist die Aufrechterhaltung der männlichen Überlegenheit in der Geschlechterhegemonie und die Aufrechterhaltung patriarchaler Feminität.


Besonders deutlich wird dies in der Sprache: Feminität soll (sexuelle) Avancen akzeptieren, aber nicht eigenständig handeln. Wehrt sich eine Femme-Person gegen solche Avancen oder lehnt sie ab, wird sie z.B. als “bitch” oder prüde betitelt. Geht sie hingegen darauf ein oder ergreift sogar die Initiative, um ihre eigenen Interessen oder Wünsche zu verwirklichen, wird sie z.B. als “slut” oder “billig” bezeichnet (Hoskin, 2019, S.691/692). Es wird also deutlich, dass es einen sehr kleinen Bereich gibt, nämlich die essentielle Feminität, der für Femme-Personen als gesellschaftlich akzeptabel angesehen wird. Deviationen in irgendeine Richtung von diesem Bereich werden durch Femmephobia in dieser Ausprägung effektiv stigmatisiert. Wichtig ist hier die zentrale Komponente von Femininität unabhängig von der Geschlechtsidentität: Abstinenz wie Promiskuität sind für maskuline Identitäten nicht stigmatisiert (Hoskin, 2019, S.692) bzw. werden gesellschaftlich sogar als aufwertend wahrgenommen. Noch deutlicher wird diese Ausprägung im Victim Blaming, bei dem z.B. die Kleidungswahl einer femininen Person für sexuelle Übergriffe verantwortlich gemacht wird oder feminine schwule Männer aufgrund ihrer „unmaskulinen” Außendarstellung für Homofeindlichkeit verantwortlich gemacht werden (Hoskin, 2019, S.692).

Der Bereich Morphologie und des biologistischen Determinismus umfasst Assoziationen, die Feminität mit (cis-)weiblicher Geschlechtsidentität und Maskulinität mit (cis-)männlicher Geschlechtsidentität und dem damit verbundenen stereotypen Erscheinungsbild gleichsetzen. Ein stereotyp kräftiger männlicher Körper soll bzw. muss demnach auch Maskulinität ausstrahlen, während ein stereotyp zarter weiblicher Körper Feminität verkörpern soll. Wird von dieser Kombination aus Morphologie und Performanz abgewichen, erfolgt der Sanktionsmechanismus in Form von Femmephobia (Hoskin, 2019, S.693).

Unter dem Frame „masculine rights of access“ lässt sich im Wesentlichen die Annahme zusammenfassen, dass Feminität (gleich welchen Genders) ausschließlich dazu dient, heterosexuellen Männern bzw. dem männlichen Blick (male gaze) zu gefallen und zu entsprechen (Hoskin, 2019, S.694-696). Dies kann verschiedene Formen annehmen, zum Beispiel, dass lesbische Personen als Lustphantasie für Männer dienen (und dafür ganz selbstverständlich zur Verfügung stehen), dass die sexuelle Orientierung aufgrund des Femme-Seins in Frage gestellt wird, dass eine weibliche Femme-Person als „zu schade“ für gleichgeschlechtliche Beziehungen angesehen wird oder dass die eigene Maskulinität durch die Anwesenheit einer Femme-Person in Frage gestellt wird (Hoskin, 2019, S. 695-696).

Feminine Joke (Hoskin, 2019, S.696/697) fasst Formen von Femmephobia zusammen, die Witze oder “humorvolle” Kommentare verwenden und oft als harmlos dargestellt werden und nicht zuletzt immer die Möglichkeit bieten, die Aussage als nicht ernst gemeint zu revidieren oder herunterzuspielen. Verbreitete Themen sind “butch in the streets, femme in the sheets” oder “Mann in Frauenkleidern”, die beide auf die Unterlegenheit von Feminität abzielen und Ansatzpunkte für Lächerlichkeit bieten. Eng damit verbunden sind auch Aspekte von Femininität am Arbeitsplatz oder in der Wissenschaft. Beides sind Bereiche, in denen die offene Darstellung von Femininität nach wie vor häufig mit geringerer Intelligenz, Kompetenz oder Qualifikation assoziiert wird (Hoskin, 2019, S.697).

Der letzte Frame schließlich bezieht sich auf Feminität und Passing. Dies ist besonders häufig in intersektionalen Kontexten anzutreffen, z.B. bei trans*weiblichen Personen, von denen oft eine Hyperfeminität erwartet wird, um als Frau akzeptiert zu werden. Während diese Performanz von Feminität einerseits validierend sein kann (in Form von Akzeptanz), stellt sie gleichzeitig eine starke Einschränkung der eigenen Repräsentation und Identität dar: „zu wenig“ ist nicht  „trans* genug“, „zu viel“ wird als Lächerlichmachen von Trans*-Identitäten wahrgenommen (Hoskin, 2019, S.698). Ähnliches gilt z.B. für cis-lesbische Femmes in queeren Räumen, denen aufgrund ihres femme Erscheinungsbildes abgesprochen wird, queer zu sein. Dies führt zu Ausgrenzungsphänomenen, da sich die Person weder heteronormativen noch queeren Räumen zugehörig fühlt (Hoskin, 2019, S.698/699).

Reaktionen von Betroffenen auf Femmephobia

Wie reagieren nun Betroffene auf diese Formen der Femmephobia? Hoskin et al. (2023) haben dies untersucht und festgestellt, dass die Mehrheit der Betroffenen mit einer zumindest partiellen Unterdrückung der Feminität reagiert, oft selektiv je nach Situation, z.B. am Arbeitsplatz (Hoskin et al., 2023, S.196-199). Eine immer noch relativ großer Anteil reagierte mit Nicht-Änderung. Eine wichtige Erkenntnis dieser Untersuchung war, dass die Nicht-Änderung bewusst und als Agency erfolgt. Es handelt sich also keineswegs um eine mangelnde Wahrnehmung oder von Femmephobia, sondern um die bewusste Entscheidung, sich und die eigene Performanz nicht aufgrund äußerer Einflüsse und Rückmeldungen einschränken zu lassen oder verändern zu wollen (Hoskin et al., 2023, S.199/200). Nur ein verschwindend geringer Teil der Betroffenen reagierte auf die Femmephobia mit verstärkter femininer Performanz. Diese Personen identifizierten sich alle als queer (Hoskin et al., 2023, S.199).

Nachdem wir nun gesehen haben, was Femmephobia ist und wie gesamtgesellschaftlich wirkmächtig sie ist, um patriarchale Feminität zu stützen und davon abweichende Formen zu unterdrücken, wollen wir nun konkreter darauf eingehen, ob und wie Femmephobia in lesbischen und schwulen Communities existiert, sich äußert und wahrgenommen wird.

Femmephobia in lesbischen Communities

Lange Zeit existierte in lesbischen Communities, aber auch in weiten Teilen der feministischen Literatur und Wissenschaft, die Annahme, dass Femme-Identitäten mit internalisierter Homofeindlichkeit, der Reproduktion patriarchaler Feminität (und damit der Unterordnung von Feminität unter Maskulinität) und mangelnder Bereitschaft, sich zu outen, verbunden sind (Gunn et al., 2021, S.2). Zudem wurde femme oft nicht als eigenständige Ausdrucksform akzeptiert, sondern nur als Gegenform zu butch (Gunn et al., 2021, S.2). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Femme-Identifikation sowohl in Teilen der queeren Community als auch in der Gesellschaft im Allgemeinen als unauthentisch wahrgenommen wurde und teilweise wird, wodurch die Betroffenen und ihre Lebensrealitäten ignoriert oder unsichtbar gemacht werden (Gunn et al., 2021, S.2).

Gunn et al. (2021) untersuchen, inwiefern insbesondere die Annahmen der internalisierten Homofeindlichkeit und des geringeren Outings mit der eigenen Performanz von Feminität zusammenhängen, indem sie sich als queer identifizierende Personen, die sich als butch, androgyn oder femme identifizieren, diesbezüglich in SCT-Diagrammen (Sexual Configuration Theory, vgl. van Anders, 2015) einordnen ließen. Es konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Performanz von Feminität und internalisierter Homofeindlichkeit und Outing-Tendenz festgestellt werden (Gunn et al., 2021, S.5-9). Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass sich queere Identitäten heute stärker individuell ausdifferenzieren und nicht mehr gängigen Stereotypen entsprechen, und dass diese Ausprägungen eher mit der individuellen Performanz von Feminität zusammenhängen als mit der Zuordnung zu einer bestimmten sexuellen Identität oder Präferenz (Gunn et al., 2021, S.9-11).

Dennoch ist dieser Wandel ein langsamer Prozess und Femmephobia ist in queeren Communities nach wie vor weit verbreitet. Blair & Hoskin (2015) haben in einer umfassenden Studie (Blair & Hoskin, 2015, S.233/234) die verschiedenen Typen von Femmephobia in queeren Communities untersucht.
Viele Personen beschrieben den Prozess des Coming-out als Femme als belastend und identitätsentwertend. Unsichtbarkeit, die Privilegierung maskuliner oder butch-Identitäten, das Fehlen einer sichtbaren Repräsentation von Femmes und der Druck, vermeintlichen Stereotypen entsprechen zu müssen, sind die häufigsten Manifestationen (Blair & Hoskin, 2015, S.235/236). Nach Blair & Hoskin führt dies häufig zu einem Prozess, den sie als “feminine-butch-femme”-Prozess bezeichnen: Personen zeigen ursprünglich eine starke (oft patriarchale) Performanz von Femininität, versuchen aufgrund der oben genannten Faktoren eine Butch-Identität zu performen, stellen fest, dass diese für sie unauthentisch ist und entwickeln in der Folge eine bewusste Femme-Identität und Performanz (Blair & Hoskin, 2015, S.236/237).

Unsichtbarkeit, strukturelle Femmephobia und die Infragestellung der eigenen Queerness bzw. Authentizität durch Teile der queeren Community, Beziehungspartner und die Gesellschaft im Allgemeinen wurden von den meisten Befragten wahrgenommen (Blair & Hoskin, 2015, S.237-239). Moralische Femmephobia wurde ebenfalls stark wahrgenommen, z.B. in der Zuschreibung von Schwäche, geringerer Kompetenz oder Unterordnung mit Femme-Performanz (Blair & Hoskin, 2015, S.239).

Offene Femmephobia ist, wenn auch rückläufig, immer noch weit verbreitet. Dies kann sich z.B. darin äußern, dass Femme-Personen in queeren Räumen nur in Begleitung von Butch-Personen geduldet werden oder dass sie explizit als Outsider etikettiert und behandelt werden, bzw. als Personen, mit denen man nicht gesehen werden möchte (Blair & Hoskin, 2015, S.239/240). Der Typus der Femme Mystification wurde vergleichsweise wenig wahrgenommen und äußerte sich im Wesentlichen in einer Objektifizierung und einem Tokenism der Femme-Identität, wobei die Betroffenen berichteten, sich als “Häkchen auf einer Liste” von (sexuellen) Eroberungen zu fühlen (Blair & Hoskin, 2015, S.240).

Wir sehen also, dass Femmephobia in lesbischen Communities zwar sehr spezifische Ausprägungen hat, aber in allen Subtypen genauso präsent ist wie in der Gesamtgesellschaft und gleichermaßen darauf abzielt, die Identität und die Performanz von Feminität zu regulieren.

Femmephobia in trans*Communities

Femmephobia hat auch einen starken Einfluss auf trans*männliche Personen, indem Maskulinität als Maßstab und Norm für diese Personen stilisiert wird und das Zeigen von Feminität mit Inauthentizität oder Trendhaftigkeit assoziiert wird (Bellamy-Walker, 2019, S.2/3).


Die Infragestellung der männlichen Identität durch die Gleichsetzung von Maskulinität mit männlicher Identität (trans*männliche Personen müssen sehr maskulin sein, um als “echte” Männer akzeptiert zu werden) ist sehr verbreitet (Bellamy-Walker, 2019, S.5/6). Dies ist laut Bellamy auch im medizinischen Bereich ein wesentlicher Faktor, da trans*männliche Personen gegenüber Fachpersonal und Institutionen konstant zeigen und beweisen müssen, dass sie “wirklich” trans* sind und dieser Nachweis oft in Form von Maskulinität eingefordert wird (Bellamy-Walker, 2019, S.6-8).


Vergleichbares Verhalten ist auch innerhalb der Trans*Community zu beobachten, wo häufig eine Wertung durch andere in der Community stattfindet, ob die Person trans* (und in diesem Fall maskulin) genug ist, um akzeptiert zu werden (Bellamy-Walker, 2019, S.8-10).

Femmephobia in schwulen Communities

Ähnliche Ausprägungen von Femmephobia finden sich auch in cis-schwulen Communities oder popkulturären Repräsentationen von schwulen cis-Männern. Davies (2023) untersuchte ausführlich die Darstellung und Konnotation von Feminität und die daraus resultierende Femmephobia im Spielfilm “Love, Simon”, dessen Hauptfigur eine “maskulin”-schwule Person ist und die einem femme-schwulen Charakter gegenübergestellt wird.
Obwohl die Femme-Figur Ethan bewusst und mit eigener Agency handelt und ihre Femme-Identität performativ auslebt, wird sie dennoch als Abweichung von der „Norm“ charakterisiert und im Vergleich zu Simon als „too much“ datgestellt, wobei die offene Performanz gleichzeitig als Entschuldigung dafür dient, Ethans persönliche Lebensrealität und seine Probleme unsichtbar zu machen (z.B. Davies, 2023, S.8). Die Analyse zeigt, dass selbst explizit progressive Produktionen (die die Hauptfiguren als eindeutig homosexuell ausweisen) häufig Femmephobia und entsprechende Stereotype reproduzieren (Davies, 2023, S.11-13).

Die Intersektionalität von Femmephobia mit anderen Diskriminierungen wird von Patrón & Harper (2024) in ihrer Studie über Femmephobia unter schwulen Latinos hervorgehoben. Sie zeigen u.a. die Verwobenheit von Maskulinität mit Machismo und Heterosexismus in Latino-Communities und die damit verbundenen Manifestationen von Femmephobia (Patrón & Harper, 2024, S.3/4).


Es konnte gezeigt werden, dass die Bagatellisierung oder Unterdrückung von Feminität weit verbreitet ist. Dies kann unter anderem aus Gründen der Zugehörigkeit oder der Sicherheit geschehen (Patrón & Harper, 2024, S.10). Dies wird auch mit Ethnizität oder Race in Zusammenhang gesetzt, indem deutlich wird, dass viele Gay-Spaces von und für Weiße gemacht sind und dass unter Latinos ein Druck besteht, durch Hypermaskulinität Akzeptanz und Zugehörigkeit in diesen weißen Spaces zu schaffen (Patrón & Harper, 2024, S.10/11).


Ähnlich wie in den vorangegangenen Beispielen wird auch in Gay Communities Feminität häufig mit Schwäche und Vulnerabilität für (sexuelle) Gewalt gleichgesetzt (Patrón & Harper, 2024, S.12). Deutlich wird auch die Privilegierung und Bevorzugung maskuliner Identitäten in der Gay-Community (Patrón & Harper, 2024, S.13/14), nicht zuletzt in dem Spannungsfeld, dass Maskulinität einerseits eine bessere Unsichtbarkeit innerhalb der heterosexuellen Matrix schafft und andererseits betont, dass “man als schwuler Mensch wirklich auf andere (richtige) Männer steht” (interpretiert nach Patrón & Harper, 2024, S.14/15).


Einige Teilnehmende vermuteten, dass hinter der verbreiteten Femmephobia in Gay-Communities oft Misogynie stecke, die sich aber mangels Frauen* in diesen Communities an den anwesenden Femmes ausdrücke (Patrón & Harper, 2024, S.15/16). Schließlich konnte noch festgestellt werden, dass Femmephobia oft hinter persönlichen Präferenzen für Interesse oder Desinteresse an feminin performenden Personen zu verstecken versucht wird (Patrón & Harper, 2024, S.16/17).

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass Femmephobia ein weit verbreitetes Problem in der Gesamtgesellschaft, aber insbesondere auch in queeren Räumen ist. Dennoch wird es in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen bisher vergleichsweise wenig thematisiert oder fälschlicherweise anderen Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Misogynie zugeordnet, obwohl Femmephobia im Gegensatz zu diesen unabhängig von der Geschlechtsidentität auftritt und keinesfalls auf cis-weibliche Identitäten beschränkt ist. Femme als Identität und Femmephobia als spezifische Form der Unterdrückung wahrzunehmen, ist daher ein zentraler Baustein, um Diskriminierung und Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts bzw. der Performanz von Geschlechtsidentität zu untersuchen und zu beseitigen.

Quellenverzeichnis:

Bellamy-Walker, T. (2019). Not Manly Enough: Femmephobia’s Stinging Impact on the Transmasculine Community. CUNY Academic Works. https://academicworks.cuny.edu/gj_etds/411

Blair, K. L., & Hoskin, R. A. (2015). Experiences of femme identity: coming out, invisibility and femmephobia. Psychology and Sexuality, 6(3), 229–244. https://doi.org/10.1080/19419899.2014.921860

Davies, A. W. (2023). Love, Simon and failure: Challenging normative discourses and femmephobia in gay youth representations. Sexualities, 0(0), 1-15. https://doi.org/10.1177/13634607231199409

Gunn, A., Hoskin, R. A., & Blair, K. L. (2021). The new lesbian aesthetic? Exploring gender style among femme, butch and androgynous sexual minority women. Women’s Studies International Forum, 88, Article 102504. https://doi.org/10.1016/j.wsif.2021.102504

Hoskin, R. A. (2013). Femme theory: Femininity’s challenge to western feminist pedagogies (Master’s thesis). QSpace at Queen’s University, Kingston, Ontario, Canada. http://hdl.handle.net/1974/8271

Hoskin, R. A. (2019). Femmephobia: The Role of Anti-Femininity and Gender Policing in LGBTQ+ People’s Experiences of Discrimination. Sex Roles, 81(11–12), 686–703. https://doi.org/10.1007/s11199-019-01021-3

Hoskin, R. A., Serafini, T., & Gillespie, J. G. (2023). Femmephobia versus gender norms: Examining women’s responses to competing and contradictory gender messages. The Canadian Journal of Human Sexuality, 32(2), 191–207. https://doi.org/10.3138/cjhs.2023-0017

Patrón, O. E., & Harper, S. R. (2024). Understanding Femmephobia Within Queer Communities: Insights From Gay Latino College Men. The Journal of Higher Education, 1–24. https://doi.org/10.1080/00221546.2024.2329227

van Anders, S. M. (2015). Beyond Sexual Orientation: Integrating Gender/Sex and Diverse Sexualities via Sexual Configurations Theory. Archives of Sexual Behavior, 44(5), 1177–1213. https://doi.org/10.1007/s10508-015-0490-8


Quelle: Viktoria Reichenberger, Femmephobia in der Gesellschaft und in queeren Communities, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 08.07.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=454

Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit von trans* Personen

Elise Ferdoun Kedik (SoSe 2023)

1. Einleitung

In den letzten Jahren rücken die Themen Geschlechtsidentität und -vielfalt verstärkt in das öffentliche Bewusstsein. In diesem Zusammenhang hat die Trans*-Community, bestehend aus Menschen, die nicht das Geschlecht sind, dem sie bei der Geburt zugewiesen wurden (Queer-Lexikon, 2023), zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Trotz dieser wachsenden Sichtbarkeit, viel Engagement und Aufklärungsarbeit sehen sich trans* Menschen oder Menschen, die als trans* wahrgenommen werden, immer noch mit Trans*feindlichkeit konfrontiert. Diese manifestiert sich in vielfältigen Formen, sei es in der medialen Berichtserstattung, in gesetzgeberischen Entscheidungen oder im Alltag der Individuen. Die Rechte und das Wohlbefinden von trans*-Personen sind grundlegende Menschenrechtsfragen. Trans*feindlichkeit widerspricht den Prinzipien der Gleichheit und Nichtdiskriminierung, die in vielen nationalen und internationalen Gesetzen verankert sind.

Im Rahmen der Ausarbeitung des Referatsthemas „Trans*feindlichkeit und die Realität der vielfältigen Diskriminierung“ im Seminar „Gender, Diversity, Gender Mainstreaming“ bin ich auf die verheerenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von trans* Menschen gestoßen. Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität, Stigmatisierung und Ablehnung scheinen zu einer relevanten psychischen Belastung beizutragen (OttRegli, Znoj, 2017).

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Trans*feindlichkeit und die Auswirkungen dieser auf die mentale Gesundheit von trans* Menschen. Die Begriffserklärungen und das Minority Stress Modell liefern hierbei den theoretischen Rahmen, um die Ursachen und die Mechanismen hinter diesen Auswirkungen zu verstehen. Durch die Analyse von ausgewählten Studien und Forschungsarbeiten wird versucht die negativen Folgen auf die psychische Gesundheit zu beleuchten und notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung aufzuzeigen. Schließlich werden mögliche Ansätze zur Bewältigung, Prävention und zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von trans* Personen diskutiert.

2. Theoretischer Hintergrund

Um einen besseren Einblick in die Hausarbeit zu erlangen, werden im theoretischen Hintergrund die für das Verständnis relevanten Begriffe Geschlechtsidentität, trans* und Trans*feindlichkeit erklärt. Im weiteren Verlauf wird eine Einführung in das Minority Stress Modell gegeben und seine Relevanz für das Verständnis der psychischen Gesundheit von trans* Personen dargestellt.

2.1 Begriffserklärungen

Die Geschlechtsidentität beschreibt die innere Überzeugung, einem Geschlecht anzugehören (Lexikon der Psychologie, 2023). Man bekommt bei der Geburt ein Geschlecht zugeschrieben. Bis 2013 wurde im Geburten-Register anhand körperlicher Anzeichen zwischen „männlich“ oder „weiblich“ entschieden. Danach wurde vor allem für Neugeborene, die beide Merkmale der Geschlechter tragen, also „zwischen-geschlechtliche“ Menschen, die Bezeichnung „keine Angabe“ eingeführt. Viele Menschen fanden die neu eingeführte Bezeichnung nicht passend und klagten deshalb. Das Verfassungs-Gericht beschloss daraufhin eine Änderung. Seit 2018 sind die zur Auswahl stehenden Geschlechter in Deutschland ,,weiblich‘‘, ,,männlich‘‘ und „divers“ (Personenstandsgesetz, 2023). ,,Divers“ beinhaltet mehrere Geschlechtsbezeichnungen.

Laut Scheithauer & Niebank (2022) werden im Kleinkindalter bedeutsame Erfahrungen gesammelt, die zu einer Unterscheidung zwischen ,,männlich“ und ,,weiblich“ führen. Des Weiteren beschreiben sie, dass man bei unter Zweijährigen schon eine Geschlechtssterotype-Aneignung beobachten kann. Damit ist gemeint, dass sie sozial geteilte Vorstellungen darüber haben, welche Eigenschaften typisch ,,männliche“ und ,,weibliche“ Personen haben. Das kann sich äußern durch geschlechtstypisierte Kleidung, Spielzeuge oder Verhaltensweisen. Ungefähr im Alter von zweieinhalb Jahren formt sich daraufhin die Geschlechtsidentität. Man kann sich ab diesem Alter einem Geschlecht zuschreiben, dass bei einem Großteil von Personen lebenslang erhalten bleibt (ebd., 2022).

Einige Menschen erleben eine Diskrepanz zwischen ihrem bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht und ihrer eigenenGeschlechtsidentität. In der vorliegenden Hausarbeit liegt der Fokus auf trans* Menschen. Dabei ist zu erwähnen, dass trans* nicht nur auf die binären Geschlechter beschränkt ist, sondern auch das nichtbinäre Geschlecht beinhaltet (Queer-Lexikon, 2023).

Transgeschlechtliche Menschen erleben durch das geschlechterbinäre Denkmuster vermehrt Diskriminierung (Vanagas & Vanagas, 2023). Früher wurde dafür der Begriff Transphobie eingeführt. Allerdings definiert eine Phobie eine Angststörung, weshalb sich der Begriff ,,Trans*feindlichkeit‘‘ bewährte, der den diskriminierenden Charakter hervorhebt (ebd., 2023). Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit werden im Folgenden herausgearbeitet.

Das Ziel einer Einführung in das Minority Stress Modell besteht darin, die Bedeutung dieses Modells für das Verständnis der psychischen Gesundheit von Menschen mit einer geschlechtlichen Vielfalt zu verdeutlichen.

2.2 Minority Stress Modell

Das Minority Stress Modell (Meyer, 2003) bietet einen theoretischen Rahmen für das Verständnis von Auswirkungen auf die mentale Gesundheit im Sinne von Minderheitenstress. Es wurde im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit von homosexuellen und bisexuellen Menschen entwickelt. Minderheitenstress bezeichnet das erhebliche Ausmaß an Stress, dem Mitglieder*innen stigmatisierter Minderheitengruppen (b) ausgesetzt sind. Es erklärt, dass Stigmatisierung, Vorurteile und Diskriminierung ein feindliches und stressiges soziales Umfeld schaffen, das psychische Gesundheitsprobleme verursacht.

Abbildung 1

Stress durch Minderheiten ist in die Umweltbedingungen (a) eingebettet, zu denen Vorteile und Nachteile im Zusammenhang mit Faktoren wie dem sozioökonomischen Status gehören können. Kästchen (a) und Kästchen (b) sind überschneidend dargestellt, um deren enge Wechselwirkung aufzuzeigen. Der Minderheitenstatus führt zu einer persönlichen Identifikation mit dem eigenen Minderheitenstatus (e). Im dargestellten Stressprozess spielen auch die Merkmale der Minderheitenidentität (h) eine unterschiedliche Rolle. Sie können verstärkend oder abschwächend auf die psychische Gesundheit auswirken, z.B. je nach individueller Valenz. Das Modell beleuchtet verschiedene Stressprozesse, einschließlich der Erfahrung von Vorurteilen, der Erwartung von Ablehnung, das Verbergen der eigenen Identität, die internalisierte Diskriminierung und Bewältigungsmechanismen auf sozialer und individueller Ebene (h) (ebd., 2003).

Das Modell teilt separate, aber miteinander verknüpfte Aspekte von Erfahrungen in allgemeine Stressoren (c), wie Arbeitsplatzverlust oder Tod eines nahestehenden Menschen, in distalen Stress (d) und in proximalen Stress (f) ein. Distaler Stress ist externer Stress, der sich aus Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt ergibt, wie Trans*feindlichkeit. Proximaler Stress ist interner Stress, der mit selbstkritischen Überzeugungen zusammenhängt, die sich auf die psychische Gesundheit auswirken (i) können. Auch diese Kästchen sind anliegend dargestellt, um ihre Abhängigkeit dazustellen (ebd., 2003).

Trans* Menschen erleben diese vorher aufgezählten Punkte und sind Teil einer marginalisierten Gruppe, wodurch das Modell für die Beschreibung der Auswirkungen auf die mentale Gesundheit genutzt werden kann.

Im Folgenden wird darauf eingegangen welche möglichen Ursachen existieren, die zur Entstehung von Trans*feindlichkeit beitragen.

3. Ursachen von Trans*feindlichkeit

46 Prozent von 20.271 befragten Lesben, Schwulen, Bi* und Trans* Menschen (LSBT) in Deutschland geben Diskriminierungserfahrungen an (FRA – European Union Agency for Fundamental Rights, 2013). Dabei findet die Ausgrenzung in der Öffentlichkeit, der Freizeit und am Arbeitsplatz statt. (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2016)

Politische Einstellungen können eine Ursache hierfür sein: linkseingestellt Menschen stehen LSBT-Menschen eher positiv gegenüber als Menschen, die sich politisch eher mittig oder recht einordnen (Klocke, 2017). Ebenfalls scheint die religiöse beziehungsweise kulturelle Herkunft eine Rolle für das Auftreten feindlicher Einstellungen zu sein (ebd., 2017). Menschen mit Migrationshintergrund scheinen negativer eingestellt zu sein als Menschen ohne Migrationshintergrund, wobei zu erwähnen ist, dass in vielen Studien unterschiedliche Herkunftsländer zusammengefasst wurden. Vor allem zeigen Menschen mit Hintergrund aus islamischen Ländern und teilweise aus ehemalige UdSSR- Staaten diese negativen Einstellungen. (ebd., 2017)

Menschen neigen dazu, zu kategorisieren, wodurch Stereotypen entstehen und suggeriert werden (Vanagas & Vanagas, 2023). ,,[…] Die vorgegebenen gesellschaftlich anerkannten Kategorien – im Falle des Geschlechts die Kategorien männlich/weiblich – [sind] an gesellschaftliche Erwartungen gebunden wurden, die bei Erfüllung Anerkennung und Inklusion bedeuteten und bei Nicht-Erfüllung in der Regel zu Missachtung und Exklusion führten […]‘‘ (ebd., 2023, S.318). Auch stehen in diesem Zusammenhang Unsicherheiten, da durch trans* Identitäten die soziale Rollenvorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit hinterfragt wird (Friedrich, 2023). Somit sind soziale Privilegien und Rechte nicht am biologischen Geschlecht festzumachen (ebd., 2023).

Die Ursachen für trans*feindliche Einstellungen sind vielfältig und das Thema rückt zunehmend in den Fokus, weshalb die Forschung in diese Richtung weiterhin voranschreitet. Im Folgenden sind die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit dargestellt.

4. Auswirkungen von Transfeindlichkeit auf die psychische Gesundheit

Im Minority Stress Modell spielen die verschiedenen Arten von Stress eine entscheidende Rolle, um die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit gegenüber marginalisierten Gruppen zu verstehen. Im Folgendem wird anhand von Ergebnissen und Erkenntnissen aus verschiedenen Studien und Forschungsarbeiten dargestellt, inwiefern Trans*feindlichkeit negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hat.

Trans*feindlichkeit lässt sich nicht klar einordnen. Klassisch könnte man sagen, dass es sich um eine Diskriminierungsform handelt und somit als distaler Stress beschrieben wird. Dieser hat jedoch auch Einfluss auf proximalen Stress.

In der Studie von Timmins, Rimes & Rahman (2017) wurden direkte und indirekte Zusammenhänge zwischen Stressoren der Minderheit und psychischer Belastung an einer großen und geographisch vielfältigen Stichprobe (N= 1207) untersucht. Die Erwartung der Ablehnung, die Selbststigmatisierung und die Vorurteilserlebnisse waren alle mit psychischer Belastung verbunden. Die Beziehungen wurden teilweise durch das Grübeln erklärt und zeigte 54,5 Prozent der Varianz der psychischen Belastung und 29,3 Prozent des Grübelns. Die Ergebnisse verdeutlichen die starke Beziehung zwischen den Minderheitsstressoren und psychischen Belastungen von trans* Menschen.

Eine weitere Untersuchung zum Wohlbefinden von trans* Menschen (N= 90) in der Schweiz veranschaulicht Befragungen zu erlebter Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität, internalisierter Trans*feindlichkeit, Lebenszufriedenheit und psychischer Belastung (Ott, Regli & Znoj, 2017). Die Auswertung zeigt eine hohe Prävalenz an psychischer Belastung und eine starke negative Korrelation zwischen Minderheitenstress und Wohlbefinden. Internalisierte Trans*feindlichkeit vermittelt einen Zusammenhang zwischen Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität und dem Wohlbefinden. Diese Ergebnisse stützen das Minority Stress Modell.

Eine andere Studie zum Thema Genderidentität und sexuelle Orientierung untersucht Opfer in einer Stichprobe von 641 Menschen, die Gewaltverbrechen erlebt haben und eine medizinische Notfallbehandlung in einem öffentlichen Krankenhaus in Anspruch nehmen mussten (Cramer, McNiel, Holley, Shumway & Boccellari, 2012). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass lesbische, schwule, bi* und trans* (LSBT) Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit Opfer sexueller Übergriffe wurden. Außerdem leiden LSBT-Menschen signifikant mehr unter akutem Stress und allgemeinen Ängsten (ebd., 2012). Außerdem machen die Forschenden (2012) die Beobachtung, dass die Genderidentität der Opfer den Zusammenhang zwischen Art der Gewalt und dem Auftreten von Paniksymptomen und den Zusammenhang zwischen Traumageschichte und allgemeinen Angstsymptomen moderiert.

Eine weitere Studie (Jefferson, Neilands & Sevelius, 2013) aus diesem Bereich stellt dar, inwieweit der Zusammenhang besteht zwischen trans* Frauen of Colour, die von vielfältiger Diskriminierung betroffen sind, und Depressionen. In dem einfachen logistischen Regressionsmodell mit Exposition gegenüber trans*feindlichen Ereignissen an ein Depressionssymptom-Ergebnis angepasst, bedeutet jede Einheit Anstieg der Exposition trans*feindlichen Ereignissen eine um 3 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit Depressionssymptome zu erleben.

Zu einem signifikanten Ergebnis kommt auch die Online-Umfrage von 2003 mit einer Stichprobe von 1093 trans* Teilnehmenden. Eine hohe Prävalenz von klinischen Depressionen (44,1 %), Angstzuständen (33,2 %) und Somatisierung (27,5 %) werden dokumentiert. Des Weiteren zeigt sich, dass soziale Stigmatisierung in einem positiven Zusammenhang mit psychischer Belastung steht (ebd., 2003).

Ein Erklärungsmodell von Plöderl (2016) legt viele Studien dar, die ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von psychischen Erkrankungen im Zusammenhang mit lesbischen, schwulen, bi*, trans* und inter* Menschen sehen. Dabei arbeitet er heraus, dass die Datenlage für die Gruppe der trans* Menschen noch nicht ausreichend ist. Die Ergebnisse lassen jedoch auf ein erhöhtes Risiko schließen.

Aufbauend auf diesen Informationen gibt es Präventions- und Interventionsstrategien, die vor allem den negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit abschwächen oder verhindern können. Diese werden im Folgenden dargestellt.

5. Präventions- und Interventionsstrategien

Eine Strategie ist es, die Sichtbarkeit von trans* Menschen grundlegend zu erhöhen (Klocke, 2017). Der sogenannte Mere exposure-Effekt, den man auch aus dem Bereich der Werbung kennt, kann dazu führen, dass sich Einstellungen ändern. Es wird positiver auf vertraute Personen reagiert. Aufbau von Vertrautheit durch das Kennenlernen von trans* Persönlichkeiten kann deshalb ein wichtiger Schritt sein (ebd., 2017). Umsetzen kann man das durch Aufklärungsprojekte, Aufklärungsarbeit und Kontaktinterventionen, die vor allem von Autoritäten oder Institutionen gestützt werden (Allport, Clark & Pettigrew, 1954).

Um trans*feindliche Angriffe von vornherein abzuwenden, können geschützte Räume erschaffen und genutzt werden, in denen die Identität selbstverständlich akzeptiert wird (Franzen, 2011). Auch die Einführung von einem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie am 17. Mai 2009 führt zu mehr Sichtbarkeit. Und auch Demonstrationen wie der transgeniale CSD in Berlin sind Wege, um Unsicherheit und Unsichtbarkeit abzubauen.

Eine andere Möglichkeit ist, sich über einen respektvollen zwischenmenschlichen Umgang mit trans*Personen zu informieren (Kailey, 2013). Man kann verschiedenste Literatur nutzen, die für unpassende Fragen sensibilisiert und Unwissende darauf hinweist, welche Bedürfnisse die trans* Community hat. Bespiele hierfür sind, nicht nach Operationen, Geschlecht oder Erfahrungen über Ausgrenzung zu fragen, Personen nicht ungewollt zu outen und die korrekten Pronomen und Namen zu verwenden (ebd.,2013).

Auch institutionell ist es wichtig für trans* Menschen eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, wobei eine Reform zum Transsexuellengesetz (TSG) auf den Weg gebrachten werden soll. 2011 wurde vom Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Aktuell stehen diese Reform und neue Gesetzesentwürfe in Diskussion.

Ebenfalls von großer Bedeutung sind pädagogische Einrichtungen, wie Schulen, um aufzuklären, die Lebenswirklichkeit von trans* Menschen in Schulbüchern darzustellen und das Thema Genderidentität im Allgemeinen einen Raum zu geben, um Vorurteile frühzeitig abzubauen, aber auch positive Erfahrungen zu schaffen (Krell, 2019).

Die vorangegangenen Strategien zur Prävention und Intervention zielen vor allem auf den Abbau von Vorurteilen ab und auf den Schutz vor Trans*feindlichkeit. Haben Menschen diese feindlichen Erlebnisse in ihrem Leben durchgemacht, ist es wichtig, auch hier Schutz und Hilfe anzubieten, um die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit einzudämmen. Allerdings haben viele trans* Menschen Vorbehalte gegen eine psychotherapeutische Behandlung, da sie auch immer noch von der Krankenkasse in Deutschland gefordert wird, um eine geschlechtsangleichende Behandlung zu übernehmen. Auch wird in Therapien eher geprüft und versucht umzustimmen, da früher das Trans*-Sein als psychische Störung eingeordnet wurde. Dabei sollte die Entscheidung zu einer psychotherapeutischen Behandlung individuell getroffen werden und nicht als Grundlage für die Auslebung einer eigenen Identität genutzt werden.

Die trans* Community stellt ebenso eine große Ressource für die mentale Gesundheit da, worauf in der Hausarbeit aufgrund von Limitationen nicht weiter eingegangen wird.

6. Zusammenfassung/Diskussion

Zusammenfassend kann bezüglich der in der Hausarbeit gewonnenen Erkenntnisse gesagt werden, dass obwohl ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen bei trans* Personen zum Teil auf Geschlechtsdysphorie zurückzuführen sein kann (Leiden, das aus der Inkongruenz zwischen dem zugewiesenen und dem erlebten Geschlecht), trans* Personen einem sozialen Umfeld mit Vorurteilen gegen trans* und soziale Stigmatisierung, bekannt als Trans*feindlichkeit, ausgeliefert sind (Norton & Herek, 2013).

Das Wohlbefinden spielt eine entscheidende Rolle bei der psychischen Gesundheit jedes Individuums. Trans* Menschen haben mit einer Vielzahl von Belastungen zu kämpfen, die das Wohlbefinden beeinträchtigen und somit auch ihre mentale Gesundheit. Dazu gehören soziale Stigmatisierung, Diskriminierung, Vorurteile, Gewalt und Trans*feindlichkeit, die diese Probleme erheblich verschärfen. Die permanente Angst vor Diskriminierung und Gewalt, die viele trans* Personen begleitet, belastet ihre psychische Gesundheit. Depressionen, Angstzustände, Suizidalität, posttraumatische Belastungsstörungen und Selbstverletzung sind einige der Auswirkungen.

Das in der Literatur gefundene Minority Stress Modell ließ sich anhand der vorgestellten Studien belegen und stellt eine wichtige Grundlage da, um zu verstehen, wie es durch täglich erlebten Stress zu psychischen Belastungen bei trans* Menschen kommen kann.

Es ist unerlässlich, trans* Menschen auf unterschiedlichen Ebenen zu unterstützen, Trans*feindlichkeit zu bekämpfen und für betroffene Menschen einzustehen.

7. Resümee

In meiner zukünftigen Arbeit als Psychotherapeutin möchte ich besonders auf die Bedürfnisse von trans* Menschen achten. Es ist besorgniserregend, was Menschen erleben müssen, die sich nicht ihrem zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. Ich denke, dass es eine sehr wichtige Aufgabe ist, die Psychotherapie hier weiter auszubauen und auf das Individuum anzupassen. Das sehe ich auch in meiner aktuellen Beschäftigung speziell mit suchterkrankten Menschen. Sie erleben soziale Stigmatisierung durch ihre Erkrankung und bei einer anderen Geschlechtsidentität zusätzliche Diskriminierung, was zum Teil ihre Grunderkrankung beeinflussen kann. In diesem Bereich ist die Forschung noch ganz am Anfang und ich denke, dass vor allem Mehrfachdiskriminierung zunehmend einen Bereich in der psychologischen Forschung einnehmen wird.

Des Weiteren braucht es mehr Strategien, um Trans*feindlichkeit zu verhindern.

Auch habe ich in meiner Literaturrecherche gesehen, dass die Forschung im Bereich der Genderidentität weiter ausgebaut werden sollte, auch da das Thema zunehmend an Relevanz gewinnt und mehr Menschen zu ihrer Geschlechteridentität stehen.

Literaturverzeichnis

Allport, G. W., Clark, K., & Pettigr ew, T. (1954). The nature of prejudice.

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2016): Diskriminierungserfahrungen in Deutschland: Erste Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung und einer Betroffenenbefragung. Berlin.

Bockting, W. O., Miner, M. H., Swinburne Romine, R. E., Hamilton, A., & Coleman, E. (2013). Stigma, mental health, and resilience in an online sample of the US transgender population. American journal of public health103(5), 943-951.

Cramer, R. J., McNiel, D. E., Holley, S. R., Shumway, M., & Boccellari, A. (2012). Mental health in violent crime victims: Does sexual orientation matter? Law and Human Behavior, 36(2), 87–95. https://doi.org/10.1037/h0093954

Claudia Krell: „Schule ist nochmal eine ganz andere Sache“. In: Gender – Wissen – Vermittlung: Geschlechterwissen im Kontext von Bildungsinstitutionen und sozialen Bewegungen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 22019, ISBN978-3-658-27700-0, S. 169–192, doi:10.1007/978-3-658-27700-0_10

FRA – European Union Agency for Fundamental Rights (2013): European Union lesbian, gay, bisexual and transgender survey: Results at a glance. (978-92-9239-173-7). Luxembourg: Publications Office of the European Union. Verfügbar unter https://fra.europa.eu/sites/default/files/eu-lgbt-survey-results-at-a-glance_en.pdf. Abgerufen am 15.09.2023

Florian Friedrich (2023). Trans*Phobie / Trans*Negativität – Gewalt gegen trans*Menschen. Abgerufen am 15.09.2023 von https://www.psychotherapie-salzburg.de/transphobie-trans-negativitaet-und-gewalt-gegen-trans-menschen-teil-1

https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/geschlechtsidentitaet/5801 Abgerufen am 13.09.2023 Stichwort: Geschlechtsidentität

Jannik Franzen (2011). Transphobie in LSBTI-Kontexten. In: LesMigraS – Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin e. V. (Hrsg.): Empowerment in Bezug auf Rassismus und Transphobie in LSBTI-Kontexten: Verbindungen sprechen. 

Jefferson, K., B. Neilands, T. and Sevelius, J. (2013), „Transgender women of color: discrimination and depression symptoms“, Ethnicity and Inequalities in Health and Social Care, Vol. 6 No. 4, pp. 121-136. https://doi.org/10.1108/EIHSC-08-2013-0013

Klocke, U. (2017). Homo-und Transfeindlichkeit in Deutschland: Erscheinungsformen, Ursachen und Interventionsmöglichkeiten. Wer will die hier schon haben, 291-308.

 Matt Kailey: Ten Things Not to Say to a Trans Person. (Memento vom 29. März 2013 im Internet Archive) In: Tranifesto.  (englisch).

Matt Kailey: Trans Etiquette for Non-Trans People. (Memento vom 16. März 2013 im Internet Archive) In: Tranifesto. (englisch).

Meyer, I. H. (2003). Prejudice, social stress, and mental health in lesbian, gay, and bisexual populations: Conceptual issues and research evidence. Psychological Bulletin, 129(5), 674–697. https://doi.org/10.1037/0033-2909.129.5.674 

Norton, A. T., & Herek, G. M. (2013). Heterosexuals’ attitudes toward transgender people: Findings from a national probability sample of US adults. Sex roles68, 738-753.

Ott, A., Regli, D., & Znoj, H. (2017). Minoritätenstress und soziale Unterstützung: Eine Online-Untersuchung zum Wohlbefinden von Trans* Personen in der Schweiz. Zeitschrift für Sexualforschung30(02), 138-160.

Personenstandsgesetz, Bundesgesetz, Bundesrepublik Deutschland, Inkrafttreten der letzten Änderung: 21.07.2023

Plöderl, M. (2016). LSBTI und psychische Gesundheit: Fakten und Erklärungsmodelle. Psychotherapie-Wissenschaft6(2), 140–151. Abgerufen am 13.09.2023 von https://psychotherapie-wissenschaft.info/article/view/257

Queer-lexikon.net Abgerufen am 15.09.2023 Stichwort: trans*

Scheithauer, H., & Niebank, K. (Hrsg.). (2022) Entwicklungspsychologie. Entwicklungswissenschaft des Kindes-und Jugendalters. Neuropsychologische, genetische und psychosoziale Aspekte der Entwicklung. In Entwicklung von Persönlichkeit, Selbst und Identität Pearson. Kap.8

Timmins, L., Rimes, K. A., & Rahman, Q. (2017). Minority stressors and psychological distress in transgender individuals. Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity, 4(3), 328–340. https://doi.org/10.1037/sd0000237

Transsexuellengesetz – TSG) vom 10. September 1980 (BGBl. I S. 1654) 

Vanagas, Annette and Vanagas, Waldemar. Das Selbstbestimmungsgesetz: Über die Diskurse um Transgeschlechtlichkeit und Identitätspolitik, Bielefeld: transcript Verlag, 2023., Transnegativität und Transfeindlichkeit im Kontext der Diskurse, Kap.4.5 https://doi.org/10.1515/9783839467190 


Quelle: Elise Ferdoun Kedik, Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit von trans* Personen, , in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 05.12.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=413