Femmephobia in der Gesellschaft und in queeren Communities

Victoria Reichenbacher (WiSe 2023/24)

Vorbemerkung: Analog zu Begriffen wie Queerphobie, Transphobie oder Homophobie wäre die Wortbildung mit „-phobie” im Deutschen irreführend, da es sich bei all diesen Beispielen nicht um klassische Ängste im Sinne einer Phobie handelt, sondern um ablehnende Einstellungen und Haltungen. Daher werde ich im Folgenden ausschließlich den englischen Begriff Femmephobia verwenden.

Femme als Identifikation und Femmephobia

Bevor wir definieren können, was Femmephobia ist und wie ihre Manifestationen in queeren Communities aussehen können, ist es notwendig zu definieren, was „femme“ ist und wo die Unterschiede z.B. zu Feminität liegen. Rhea Hoskin definiert „femme“ als eine Identität, die sowohl Feminität unabhängig von einem als weiblich gelesenen oder definierten Körper umfasst, als auch Feminität, die gesellschaftlich sanktionslos dargestellt werden kann (Blair & Hoskin, 2015, S.232).
Unsanktionierte Feminität soll hier als patriarchale Feminität bezeichnet werden, was bedeutet, dass nur jene Feminität gesellschaftlich akzeptiert ist, die von weißen, able-bodied, heterosexuell verfügbaren cis-Frauen im biologisch-deterministischen Verständnis performativ hergestellt wird (Blair & Hoskin, 2015, S.232). Femme umfasst also nicht nur diese Definition von patriarchaler bzw. essentieller Feminität, sondern auch Abweichungen oder Ablehnungen ebendieser, z.B. durch die Performanz von Feminität durch andere Geschlechtsidentitäten, also z.B. von Trans*-Personen, nicht-binäre oder sich als männlich identifizierende Personen. Ausführliche Definitionen, Abgrenzungen und Diskussionen zu Femme finden sich u.a. in Hoskin (2013) und werden hier aus Platzgründen nicht weiter ausgeführt.

Femmephobia ist demnach die Ablehnung von gesellschaftlich als weiblich oder feminin konnotierten Eigenschaften, Verhaltensweisen, Gesten, Sprachelementen, modischen Vorlieben etc. insbesondere, aber nicht ausschließlich, wenn diese außerhalb der essentiellen Feminität liegen. Es handelt sich also um eine systematische Abwertung und gleichzeitige Regulierung von Femininität (Hoskin et al., 2023, S.193).
Dabei ist es wichtig, Femmephobia von anderen Formen der Unterdrückung wie Misogynie oder Sexismus abzugrenzen, auch wenn sich diese Unterdrückungsmechanismen oft überlagern und gleichzeitig stattfinden. Während sich Misogynie und im Wesentlichen auch Sexismus gegen Personen richten, die als weiblich gelesen werden (unabhängig davon, ob diese Feminität performen), richtet sich Femmephobia gegen performante Feminität, unabhängig von der eigenen oder zugeschriebenen Geschlechtsidentität (Hoskin et al., 2023, S.193).

Ausprägungen von Femmephobia

Rhea Hoskin, die in den letzten Jahren die Femme-Theorie und das Phänomen der Femmephobia maßgeblich erforscht und wissenschaftlich-theoretisch weiterentwickelt hat, definiert verschiedene Erscheinungsformen der Femmephobia: die strukturelle oder verdeckte Femmephobia, die offene Femmephobia, die Femme Mystification und die moralische Femmephobia {Anm. d. Verf.: freie Übersetzung von “pious femmephobia”} (Hoskin, 2013).

Strukturelle oder verdeckte Femmephobia sind Alltagspraktiken in Form von Sprache, Ideologie oder Gendering, z.B. “Du siehst nicht aus wie eine Lesbe”. Offene Femmephobia hingegen ist die explizite Ablehnung von Feminität, z.B. die Formulierung “no fems” auf Grindr-Profilen von MSM (Männer, die Sex mit Männern haben), die klar die Ablehnung von Feminität bei potentiellen Dates zum Ausdruck bringt (Blair & Hoskin, 2015, S.232).
Unter Femme Mystification versteht Hoskin die Herabsetzung oder Objektifizierung von Personen, die femme Charakteristika aufweisen, z.B. wird freizügigere Kleidung damit assoziiert, dass die Person käuflich oder leicht zu haben sei (Blair & Hoskin, 2015, S.232). Moralische Femmephobia schließlich umfasst Ausprägungen wie Slut-Shaming, Victim-Blaming oder Gender Policing, die darauf abzielen, eine “anständige Weiblichkeit” bzw. eine essentielle / patriarchale Feminität durchzusetzen (Blair & Hoskin, 2015, S.232).

In einer weiteren umfassenden Studie konnte Hoskin (2019) neben dem übergeordneten Frame, dass die Performanz von Feminität das Ziel von Femmephobia ist, verschiedene Subframes identifizieren. Femmephobia äußert sich zudem in Form der Regulierung sexueller Identitäten, der Morphologie und des biologischen Determinismus, „masculine right of access“ (auf eine Übersetzung wird verzichtet), feminine joke und Femininität und Passing (Hoskin, 2019, S.691).


Die Regulierung sexueller Identitäten umfasst wiederum Maßnahmen wie Slut-Shaming, Virgin-Shaming oder Victim-Blaming sowie grundsätzlich die Regulierung der heterosexuellen Matrix durch Femmephobia, meist in sprachlicher Form. Ziel ist die Aufrechterhaltung der männlichen Überlegenheit in der Geschlechterhegemonie und die Aufrechterhaltung patriarchaler Feminität.


Besonders deutlich wird dies in der Sprache: Feminität soll (sexuelle) Avancen akzeptieren, aber nicht eigenständig handeln. Wehrt sich eine Femme-Person gegen solche Avancen oder lehnt sie ab, wird sie z.B. als “bitch” oder prüde betitelt. Geht sie hingegen darauf ein oder ergreift sogar die Initiative, um ihre eigenen Interessen oder Wünsche zu verwirklichen, wird sie z.B. als “slut” oder “billig” bezeichnet (Hoskin, 2019, S.691/692). Es wird also deutlich, dass es einen sehr kleinen Bereich gibt, nämlich die essentielle Feminität, der für Femme-Personen als gesellschaftlich akzeptabel angesehen wird. Deviationen in irgendeine Richtung von diesem Bereich werden durch Femmephobia in dieser Ausprägung effektiv stigmatisiert. Wichtig ist hier die zentrale Komponente von Femininität unabhängig von der Geschlechtsidentität: Abstinenz wie Promiskuität sind für maskuline Identitäten nicht stigmatisiert (Hoskin, 2019, S.692) bzw. werden gesellschaftlich sogar als aufwertend wahrgenommen. Noch deutlicher wird diese Ausprägung im Victim Blaming, bei dem z.B. die Kleidungswahl einer femininen Person für sexuelle Übergriffe verantwortlich gemacht wird oder feminine schwule Männer aufgrund ihrer „unmaskulinen” Außendarstellung für Homofeindlichkeit verantwortlich gemacht werden (Hoskin, 2019, S.692).

Der Bereich Morphologie und des biologistischen Determinismus umfasst Assoziationen, die Feminität mit (cis-)weiblicher Geschlechtsidentität und Maskulinität mit (cis-)männlicher Geschlechtsidentität und dem damit verbundenen stereotypen Erscheinungsbild gleichsetzen. Ein stereotyp kräftiger männlicher Körper soll bzw. muss demnach auch Maskulinität ausstrahlen, während ein stereotyp zarter weiblicher Körper Feminität verkörpern soll. Wird von dieser Kombination aus Morphologie und Performanz abgewichen, erfolgt der Sanktionsmechanismus in Form von Femmephobia (Hoskin, 2019, S.693).

Unter dem Frame „masculine rights of access“ lässt sich im Wesentlichen die Annahme zusammenfassen, dass Feminität (gleich welchen Genders) ausschließlich dazu dient, heterosexuellen Männern bzw. dem männlichen Blick (male gaze) zu gefallen und zu entsprechen (Hoskin, 2019, S.694-696). Dies kann verschiedene Formen annehmen, zum Beispiel, dass lesbische Personen als Lustphantasie für Männer dienen (und dafür ganz selbstverständlich zur Verfügung stehen), dass die sexuelle Orientierung aufgrund des Femme-Seins in Frage gestellt wird, dass eine weibliche Femme-Person als „zu schade“ für gleichgeschlechtliche Beziehungen angesehen wird oder dass die eigene Maskulinität durch die Anwesenheit einer Femme-Person in Frage gestellt wird (Hoskin, 2019, S. 695-696).

Feminine Joke (Hoskin, 2019, S.696/697) fasst Formen von Femmephobia zusammen, die Witze oder “humorvolle” Kommentare verwenden und oft als harmlos dargestellt werden und nicht zuletzt immer die Möglichkeit bieten, die Aussage als nicht ernst gemeint zu revidieren oder herunterzuspielen. Verbreitete Themen sind “butch in the streets, femme in the sheets” oder “Mann in Frauenkleidern”, die beide auf die Unterlegenheit von Feminität abzielen und Ansatzpunkte für Lächerlichkeit bieten. Eng damit verbunden sind auch Aspekte von Femininität am Arbeitsplatz oder in der Wissenschaft. Beides sind Bereiche, in denen die offene Darstellung von Femininität nach wie vor häufig mit geringerer Intelligenz, Kompetenz oder Qualifikation assoziiert wird (Hoskin, 2019, S.697).

Der letzte Frame schließlich bezieht sich auf Feminität und Passing. Dies ist besonders häufig in intersektionalen Kontexten anzutreffen, z.B. bei trans*weiblichen Personen, von denen oft eine Hyperfeminität erwartet wird, um als Frau akzeptiert zu werden. Während diese Performanz von Feminität einerseits validierend sein kann (in Form von Akzeptanz), stellt sie gleichzeitig eine starke Einschränkung der eigenen Repräsentation und Identität dar: „zu wenig“ ist nicht  „trans* genug“, „zu viel“ wird als Lächerlichmachen von Trans*-Identitäten wahrgenommen (Hoskin, 2019, S.698). Ähnliches gilt z.B. für cis-lesbische Femmes in queeren Räumen, denen aufgrund ihres femme Erscheinungsbildes abgesprochen wird, queer zu sein. Dies führt zu Ausgrenzungsphänomenen, da sich die Person weder heteronormativen noch queeren Räumen zugehörig fühlt (Hoskin, 2019, S.698/699).

Reaktionen von Betroffenen auf Femmephobia

Wie reagieren nun Betroffene auf diese Formen der Femmephobia? Hoskin et al. (2023) haben dies untersucht und festgestellt, dass die Mehrheit der Betroffenen mit einer zumindest partiellen Unterdrückung der Feminität reagiert, oft selektiv je nach Situation, z.B. am Arbeitsplatz (Hoskin et al., 2023, S.196-199). Eine immer noch relativ großer Anteil reagierte mit Nicht-Änderung. Eine wichtige Erkenntnis dieser Untersuchung war, dass die Nicht-Änderung bewusst und als Agency erfolgt. Es handelt sich also keineswegs um eine mangelnde Wahrnehmung oder von Femmephobia, sondern um die bewusste Entscheidung, sich und die eigene Performanz nicht aufgrund äußerer Einflüsse und Rückmeldungen einschränken zu lassen oder verändern zu wollen (Hoskin et al., 2023, S.199/200). Nur ein verschwindend geringer Teil der Betroffenen reagierte auf die Femmephobia mit verstärkter femininer Performanz. Diese Personen identifizierten sich alle als queer (Hoskin et al., 2023, S.199).

Nachdem wir nun gesehen haben, was Femmephobia ist und wie gesamtgesellschaftlich wirkmächtig sie ist, um patriarchale Feminität zu stützen und davon abweichende Formen zu unterdrücken, wollen wir nun konkreter darauf eingehen, ob und wie Femmephobia in lesbischen und schwulen Communities existiert, sich äußert und wahrgenommen wird.

Femmephobia in lesbischen Communities

Lange Zeit existierte in lesbischen Communities, aber auch in weiten Teilen der feministischen Literatur und Wissenschaft, die Annahme, dass Femme-Identitäten mit internalisierter Homofeindlichkeit, der Reproduktion patriarchaler Feminität (und damit der Unterordnung von Feminität unter Maskulinität) und mangelnder Bereitschaft, sich zu outen, verbunden sind (Gunn et al., 2021, S.2). Zudem wurde femme oft nicht als eigenständige Ausdrucksform akzeptiert, sondern nur als Gegenform zu butch (Gunn et al., 2021, S.2). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Femme-Identifikation sowohl in Teilen der queeren Community als auch in der Gesellschaft im Allgemeinen als unauthentisch wahrgenommen wurde und teilweise wird, wodurch die Betroffenen und ihre Lebensrealitäten ignoriert oder unsichtbar gemacht werden (Gunn et al., 2021, S.2).

Gunn et al. (2021) untersuchen, inwiefern insbesondere die Annahmen der internalisierten Homofeindlichkeit und des geringeren Outings mit der eigenen Performanz von Feminität zusammenhängen, indem sie sich als queer identifizierende Personen, die sich als butch, androgyn oder femme identifizieren, diesbezüglich in SCT-Diagrammen (Sexual Configuration Theory, vgl. van Anders, 2015) einordnen ließen. Es konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Performanz von Feminität und internalisierter Homofeindlichkeit und Outing-Tendenz festgestellt werden (Gunn et al., 2021, S.5-9). Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass sich queere Identitäten heute stärker individuell ausdifferenzieren und nicht mehr gängigen Stereotypen entsprechen, und dass diese Ausprägungen eher mit der individuellen Performanz von Feminität zusammenhängen als mit der Zuordnung zu einer bestimmten sexuellen Identität oder Präferenz (Gunn et al., 2021, S.9-11).

Dennoch ist dieser Wandel ein langsamer Prozess und Femmephobia ist in queeren Communities nach wie vor weit verbreitet. Blair & Hoskin (2015) haben in einer umfassenden Studie (Blair & Hoskin, 2015, S.233/234) die verschiedenen Typen von Femmephobia in queeren Communities untersucht.
Viele Personen beschrieben den Prozess des Coming-out als Femme als belastend und identitätsentwertend. Unsichtbarkeit, die Privilegierung maskuliner oder butch-Identitäten, das Fehlen einer sichtbaren Repräsentation von Femmes und der Druck, vermeintlichen Stereotypen entsprechen zu müssen, sind die häufigsten Manifestationen (Blair & Hoskin, 2015, S.235/236). Nach Blair & Hoskin führt dies häufig zu einem Prozess, den sie als “feminine-butch-femme”-Prozess bezeichnen: Personen zeigen ursprünglich eine starke (oft patriarchale) Performanz von Femininität, versuchen aufgrund der oben genannten Faktoren eine Butch-Identität zu performen, stellen fest, dass diese für sie unauthentisch ist und entwickeln in der Folge eine bewusste Femme-Identität und Performanz (Blair & Hoskin, 2015, S.236/237).

Unsichtbarkeit, strukturelle Femmephobia und die Infragestellung der eigenen Queerness bzw. Authentizität durch Teile der queeren Community, Beziehungspartner und die Gesellschaft im Allgemeinen wurden von den meisten Befragten wahrgenommen (Blair & Hoskin, 2015, S.237-239). Moralische Femmephobia wurde ebenfalls stark wahrgenommen, z.B. in der Zuschreibung von Schwäche, geringerer Kompetenz oder Unterordnung mit Femme-Performanz (Blair & Hoskin, 2015, S.239).

Offene Femmephobia ist, wenn auch rückläufig, immer noch weit verbreitet. Dies kann sich z.B. darin äußern, dass Femme-Personen in queeren Räumen nur in Begleitung von Butch-Personen geduldet werden oder dass sie explizit als Outsider etikettiert und behandelt werden, bzw. als Personen, mit denen man nicht gesehen werden möchte (Blair & Hoskin, 2015, S.239/240). Der Typus der Femme Mystification wurde vergleichsweise wenig wahrgenommen und äußerte sich im Wesentlichen in einer Objektifizierung und einem Tokenism der Femme-Identität, wobei die Betroffenen berichteten, sich als “Häkchen auf einer Liste” von (sexuellen) Eroberungen zu fühlen (Blair & Hoskin, 2015, S.240).

Wir sehen also, dass Femmephobia in lesbischen Communities zwar sehr spezifische Ausprägungen hat, aber in allen Subtypen genauso präsent ist wie in der Gesamtgesellschaft und gleichermaßen darauf abzielt, die Identität und die Performanz von Feminität zu regulieren.

Femmephobia in trans*Communities

Femmephobia hat auch einen starken Einfluss auf trans*männliche Personen, indem Maskulinität als Maßstab und Norm für diese Personen stilisiert wird und das Zeigen von Feminität mit Inauthentizität oder Trendhaftigkeit assoziiert wird (Bellamy-Walker, 2019, S.2/3).


Die Infragestellung der männlichen Identität durch die Gleichsetzung von Maskulinität mit männlicher Identität (trans*männliche Personen müssen sehr maskulin sein, um als “echte” Männer akzeptiert zu werden) ist sehr verbreitet (Bellamy-Walker, 2019, S.5/6). Dies ist laut Bellamy auch im medizinischen Bereich ein wesentlicher Faktor, da trans*männliche Personen gegenüber Fachpersonal und Institutionen konstant zeigen und beweisen müssen, dass sie “wirklich” trans* sind und dieser Nachweis oft in Form von Maskulinität eingefordert wird (Bellamy-Walker, 2019, S.6-8).


Vergleichbares Verhalten ist auch innerhalb der Trans*Community zu beobachten, wo häufig eine Wertung durch andere in der Community stattfindet, ob die Person trans* (und in diesem Fall maskulin) genug ist, um akzeptiert zu werden (Bellamy-Walker, 2019, S.8-10).

Femmephobia in schwulen Communities

Ähnliche Ausprägungen von Femmephobia finden sich auch in cis-schwulen Communities oder popkulturären Repräsentationen von schwulen cis-Männern. Davies (2023) untersuchte ausführlich die Darstellung und Konnotation von Feminität und die daraus resultierende Femmephobia im Spielfilm “Love, Simon”, dessen Hauptfigur eine “maskulin”-schwule Person ist und die einem femme-schwulen Charakter gegenübergestellt wird.
Obwohl die Femme-Figur Ethan bewusst und mit eigener Agency handelt und ihre Femme-Identität performativ auslebt, wird sie dennoch als Abweichung von der „Norm“ charakterisiert und im Vergleich zu Simon als „too much“ datgestellt, wobei die offene Performanz gleichzeitig als Entschuldigung dafür dient, Ethans persönliche Lebensrealität und seine Probleme unsichtbar zu machen (z.B. Davies, 2023, S.8). Die Analyse zeigt, dass selbst explizit progressive Produktionen (die die Hauptfiguren als eindeutig homosexuell ausweisen) häufig Femmephobia und entsprechende Stereotype reproduzieren (Davies, 2023, S.11-13).

Die Intersektionalität von Femmephobia mit anderen Diskriminierungen wird von Patrón & Harper (2024) in ihrer Studie über Femmephobia unter schwulen Latinos hervorgehoben. Sie zeigen u.a. die Verwobenheit von Maskulinität mit Machismo und Heterosexismus in Latino-Communities und die damit verbundenen Manifestationen von Femmephobia (Patrón & Harper, 2024, S.3/4).


Es konnte gezeigt werden, dass die Bagatellisierung oder Unterdrückung von Feminität weit verbreitet ist. Dies kann unter anderem aus Gründen der Zugehörigkeit oder der Sicherheit geschehen (Patrón & Harper, 2024, S.10). Dies wird auch mit Ethnizität oder Race in Zusammenhang gesetzt, indem deutlich wird, dass viele Gay-Spaces von und für Weiße gemacht sind und dass unter Latinos ein Druck besteht, durch Hypermaskulinität Akzeptanz und Zugehörigkeit in diesen weißen Spaces zu schaffen (Patrón & Harper, 2024, S.10/11).


Ähnlich wie in den vorangegangenen Beispielen wird auch in Gay Communities Feminität häufig mit Schwäche und Vulnerabilität für (sexuelle) Gewalt gleichgesetzt (Patrón & Harper, 2024, S.12). Deutlich wird auch die Privilegierung und Bevorzugung maskuliner Identitäten in der Gay-Community (Patrón & Harper, 2024, S.13/14), nicht zuletzt in dem Spannungsfeld, dass Maskulinität einerseits eine bessere Unsichtbarkeit innerhalb der heterosexuellen Matrix schafft und andererseits betont, dass “man als schwuler Mensch wirklich auf andere (richtige) Männer steht” (interpretiert nach Patrón & Harper, 2024, S.14/15).


Einige Teilnehmende vermuteten, dass hinter der verbreiteten Femmephobia in Gay-Communities oft Misogynie stecke, die sich aber mangels Frauen* in diesen Communities an den anwesenden Femmes ausdrücke (Patrón & Harper, 2024, S.15/16). Schließlich konnte noch festgestellt werden, dass Femmephobia oft hinter persönlichen Präferenzen für Interesse oder Desinteresse an feminin performenden Personen zu verstecken versucht wird (Patrón & Harper, 2024, S.16/17).

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass Femmephobia ein weit verbreitetes Problem in der Gesamtgesellschaft, aber insbesondere auch in queeren Räumen ist. Dennoch wird es in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen bisher vergleichsweise wenig thematisiert oder fälschlicherweise anderen Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Misogynie zugeordnet, obwohl Femmephobia im Gegensatz zu diesen unabhängig von der Geschlechtsidentität auftritt und keinesfalls auf cis-weibliche Identitäten beschränkt ist. Femme als Identität und Femmephobia als spezifische Form der Unterdrückung wahrzunehmen, ist daher ein zentraler Baustein, um Diskriminierung und Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts bzw. der Performanz von Geschlechtsidentität zu untersuchen und zu beseitigen.

Quellenverzeichnis:

Bellamy-Walker, T. (2019). Not Manly Enough: Femmephobia’s Stinging Impact on the Transmasculine Community. CUNY Academic Works. https://academicworks.cuny.edu/gj_etds/411

Blair, K. L., & Hoskin, R. A. (2015). Experiences of femme identity: coming out, invisibility and femmephobia. Psychology and Sexuality, 6(3), 229–244. https://doi.org/10.1080/19419899.2014.921860

Davies, A. W. (2023). Love, Simon and failure: Challenging normative discourses and femmephobia in gay youth representations. Sexualities, 0(0), 1-15. https://doi.org/10.1177/13634607231199409

Gunn, A., Hoskin, R. A., & Blair, K. L. (2021). The new lesbian aesthetic? Exploring gender style among femme, butch and androgynous sexual minority women. Women’s Studies International Forum, 88, Article 102504. https://doi.org/10.1016/j.wsif.2021.102504

Hoskin, R. A. (2013). Femme theory: Femininity’s challenge to western feminist pedagogies (Master’s thesis). QSpace at Queen’s University, Kingston, Ontario, Canada. http://hdl.handle.net/1974/8271

Hoskin, R. A. (2019). Femmephobia: The Role of Anti-Femininity and Gender Policing in LGBTQ+ People’s Experiences of Discrimination. Sex Roles, 81(11–12), 686–703. https://doi.org/10.1007/s11199-019-01021-3

Hoskin, R. A., Serafini, T., & Gillespie, J. G. (2023). Femmephobia versus gender norms: Examining women’s responses to competing and contradictory gender messages. The Canadian Journal of Human Sexuality, 32(2), 191–207. https://doi.org/10.3138/cjhs.2023-0017

Patrón, O. E., & Harper, S. R. (2024). Understanding Femmephobia Within Queer Communities: Insights From Gay Latino College Men. The Journal of Higher Education, 1–24. https://doi.org/10.1080/00221546.2024.2329227

van Anders, S. M. (2015). Beyond Sexual Orientation: Integrating Gender/Sex and Diverse Sexualities via Sexual Configurations Theory. Archives of Sexual Behavior, 44(5), 1177–1213. https://doi.org/10.1007/s10508-015-0490-8


Quelle: Viktoria Reichenberger, Femmephobia in der Gesellschaft und in queeren Communities, in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 08.07.2024, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=454

Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit von trans* Personen

Elise Ferdoun Kedik (SoSe 2023)

1. Einleitung

In den letzten Jahren rücken die Themen Geschlechtsidentität und -vielfalt verstärkt in das öffentliche Bewusstsein. In diesem Zusammenhang hat die Trans*-Community, bestehend aus Menschen, die nicht das Geschlecht sind, dem sie bei der Geburt zugewiesen wurden (Queer-Lexikon, 2023), zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Trotz dieser wachsenden Sichtbarkeit, viel Engagement und Aufklärungsarbeit sehen sich trans* Menschen oder Menschen, die als trans* wahrgenommen werden, immer noch mit Trans*feindlichkeit konfrontiert. Diese manifestiert sich in vielfältigen Formen, sei es in der medialen Berichtserstattung, in gesetzgeberischen Entscheidungen oder im Alltag der Individuen. Die Rechte und das Wohlbefinden von trans*-Personen sind grundlegende Menschenrechtsfragen. Trans*feindlichkeit widerspricht den Prinzipien der Gleichheit und Nichtdiskriminierung, die in vielen nationalen und internationalen Gesetzen verankert sind.

Im Rahmen der Ausarbeitung des Referatsthemas „Trans*feindlichkeit und die Realität der vielfältigen Diskriminierung“ im Seminar „Gender, Diversity, Gender Mainstreaming“ bin ich auf die verheerenden Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von trans* Menschen gestoßen. Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität, Stigmatisierung und Ablehnung scheinen zu einer relevanten psychischen Belastung beizutragen (OttRegli, Znoj, 2017).

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Trans*feindlichkeit und die Auswirkungen dieser auf die mentale Gesundheit von trans* Menschen. Die Begriffserklärungen und das Minority Stress Modell liefern hierbei den theoretischen Rahmen, um die Ursachen und die Mechanismen hinter diesen Auswirkungen zu verstehen. Durch die Analyse von ausgewählten Studien und Forschungsarbeiten wird versucht die negativen Folgen auf die psychische Gesundheit zu beleuchten und notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung aufzuzeigen. Schließlich werden mögliche Ansätze zur Bewältigung, Prävention und zur Verbesserung der psychischen Gesundheit von trans* Personen diskutiert.

2. Theoretischer Hintergrund

Um einen besseren Einblick in die Hausarbeit zu erlangen, werden im theoretischen Hintergrund die für das Verständnis relevanten Begriffe Geschlechtsidentität, trans* und Trans*feindlichkeit erklärt. Im weiteren Verlauf wird eine Einführung in das Minority Stress Modell gegeben und seine Relevanz für das Verständnis der psychischen Gesundheit von trans* Personen dargestellt.

2.1 Begriffserklärungen

Die Geschlechtsidentität beschreibt die innere Überzeugung, einem Geschlecht anzugehören (Lexikon der Psychologie, 2023). Man bekommt bei der Geburt ein Geschlecht zugeschrieben. Bis 2013 wurde im Geburten-Register anhand körperlicher Anzeichen zwischen „männlich“ oder „weiblich“ entschieden. Danach wurde vor allem für Neugeborene, die beide Merkmale der Geschlechter tragen, also „zwischen-geschlechtliche“ Menschen, die Bezeichnung „keine Angabe“ eingeführt. Viele Menschen fanden die neu eingeführte Bezeichnung nicht passend und klagten deshalb. Das Verfassungs-Gericht beschloss daraufhin eine Änderung. Seit 2018 sind die zur Auswahl stehenden Geschlechter in Deutschland ,,weiblich‘‘, ,,männlich‘‘ und „divers“ (Personenstandsgesetz, 2023). ,,Divers“ beinhaltet mehrere Geschlechtsbezeichnungen.

Laut Scheithauer & Niebank (2022) werden im Kleinkindalter bedeutsame Erfahrungen gesammelt, die zu einer Unterscheidung zwischen ,,männlich“ und ,,weiblich“ führen. Des Weiteren beschreiben sie, dass man bei unter Zweijährigen schon eine Geschlechtssterotype-Aneignung beobachten kann. Damit ist gemeint, dass sie sozial geteilte Vorstellungen darüber haben, welche Eigenschaften typisch ,,männliche“ und ,,weibliche“ Personen haben. Das kann sich äußern durch geschlechtstypisierte Kleidung, Spielzeuge oder Verhaltensweisen. Ungefähr im Alter von zweieinhalb Jahren formt sich daraufhin die Geschlechtsidentität. Man kann sich ab diesem Alter einem Geschlecht zuschreiben, dass bei einem Großteil von Personen lebenslang erhalten bleibt (ebd., 2022).

Einige Menschen erleben eine Diskrepanz zwischen ihrem bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht und ihrer eigenenGeschlechtsidentität. In der vorliegenden Hausarbeit liegt der Fokus auf trans* Menschen. Dabei ist zu erwähnen, dass trans* nicht nur auf die binären Geschlechter beschränkt ist, sondern auch das nichtbinäre Geschlecht beinhaltet (Queer-Lexikon, 2023).

Transgeschlechtliche Menschen erleben durch das geschlechterbinäre Denkmuster vermehrt Diskriminierung (Vanagas & Vanagas, 2023). Früher wurde dafür der Begriff Transphobie eingeführt. Allerdings definiert eine Phobie eine Angststörung, weshalb sich der Begriff ,,Trans*feindlichkeit‘‘ bewährte, der den diskriminierenden Charakter hervorhebt (ebd., 2023). Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit werden im Folgenden herausgearbeitet.

Das Ziel einer Einführung in das Minority Stress Modell besteht darin, die Bedeutung dieses Modells für das Verständnis der psychischen Gesundheit von Menschen mit einer geschlechtlichen Vielfalt zu verdeutlichen.

2.2 Minority Stress Modell

Das Minority Stress Modell (Meyer, 2003) bietet einen theoretischen Rahmen für das Verständnis von Auswirkungen auf die mentale Gesundheit im Sinne von Minderheitenstress. Es wurde im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit von homosexuellen und bisexuellen Menschen entwickelt. Minderheitenstress bezeichnet das erhebliche Ausmaß an Stress, dem Mitglieder*innen stigmatisierter Minderheitengruppen (b) ausgesetzt sind. Es erklärt, dass Stigmatisierung, Vorurteile und Diskriminierung ein feindliches und stressiges soziales Umfeld schaffen, das psychische Gesundheitsprobleme verursacht.

Abbildung 1

Stress durch Minderheiten ist in die Umweltbedingungen (a) eingebettet, zu denen Vorteile und Nachteile im Zusammenhang mit Faktoren wie dem sozioökonomischen Status gehören können. Kästchen (a) und Kästchen (b) sind überschneidend dargestellt, um deren enge Wechselwirkung aufzuzeigen. Der Minderheitenstatus führt zu einer persönlichen Identifikation mit dem eigenen Minderheitenstatus (e). Im dargestellten Stressprozess spielen auch die Merkmale der Minderheitenidentität (h) eine unterschiedliche Rolle. Sie können verstärkend oder abschwächend auf die psychische Gesundheit auswirken, z.B. je nach individueller Valenz. Das Modell beleuchtet verschiedene Stressprozesse, einschließlich der Erfahrung von Vorurteilen, der Erwartung von Ablehnung, das Verbergen der eigenen Identität, die internalisierte Diskriminierung und Bewältigungsmechanismen auf sozialer und individueller Ebene (h) (ebd., 2003).

Das Modell teilt separate, aber miteinander verknüpfte Aspekte von Erfahrungen in allgemeine Stressoren (c), wie Arbeitsplatzverlust oder Tod eines nahestehenden Menschen, in distalen Stress (d) und in proximalen Stress (f) ein. Distaler Stress ist externer Stress, der sich aus Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt ergibt, wie Trans*feindlichkeit. Proximaler Stress ist interner Stress, der mit selbstkritischen Überzeugungen zusammenhängt, die sich auf die psychische Gesundheit auswirken (i) können. Auch diese Kästchen sind anliegend dargestellt, um ihre Abhängigkeit dazustellen (ebd., 2003).

Trans* Menschen erleben diese vorher aufgezählten Punkte und sind Teil einer marginalisierten Gruppe, wodurch das Modell für die Beschreibung der Auswirkungen auf die mentale Gesundheit genutzt werden kann.

Im Folgenden wird darauf eingegangen welche möglichen Ursachen existieren, die zur Entstehung von Trans*feindlichkeit beitragen.

3. Ursachen von Trans*feindlichkeit

46 Prozent von 20.271 befragten Lesben, Schwulen, Bi* und Trans* Menschen (LSBT) in Deutschland geben Diskriminierungserfahrungen an (FRA – European Union Agency for Fundamental Rights, 2013). Dabei findet die Ausgrenzung in der Öffentlichkeit, der Freizeit und am Arbeitsplatz statt. (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2016)

Politische Einstellungen können eine Ursache hierfür sein: linkseingestellt Menschen stehen LSBT-Menschen eher positiv gegenüber als Menschen, die sich politisch eher mittig oder recht einordnen (Klocke, 2017). Ebenfalls scheint die religiöse beziehungsweise kulturelle Herkunft eine Rolle für das Auftreten feindlicher Einstellungen zu sein (ebd., 2017). Menschen mit Migrationshintergrund scheinen negativer eingestellt zu sein als Menschen ohne Migrationshintergrund, wobei zu erwähnen ist, dass in vielen Studien unterschiedliche Herkunftsländer zusammengefasst wurden. Vor allem zeigen Menschen mit Hintergrund aus islamischen Ländern und teilweise aus ehemalige UdSSR- Staaten diese negativen Einstellungen. (ebd., 2017)

Menschen neigen dazu, zu kategorisieren, wodurch Stereotypen entstehen und suggeriert werden (Vanagas & Vanagas, 2023). ,,[…] Die vorgegebenen gesellschaftlich anerkannten Kategorien – im Falle des Geschlechts die Kategorien männlich/weiblich – [sind] an gesellschaftliche Erwartungen gebunden wurden, die bei Erfüllung Anerkennung und Inklusion bedeuteten und bei Nicht-Erfüllung in der Regel zu Missachtung und Exklusion führten […]‘‘ (ebd., 2023, S.318). Auch stehen in diesem Zusammenhang Unsicherheiten, da durch trans* Identitäten die soziale Rollenvorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit hinterfragt wird (Friedrich, 2023). Somit sind soziale Privilegien und Rechte nicht am biologischen Geschlecht festzumachen (ebd., 2023).

Die Ursachen für trans*feindliche Einstellungen sind vielfältig und das Thema rückt zunehmend in den Fokus, weshalb die Forschung in diese Richtung weiterhin voranschreitet. Im Folgenden sind die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit dargestellt.

4. Auswirkungen von Transfeindlichkeit auf die psychische Gesundheit

Im Minority Stress Modell spielen die verschiedenen Arten von Stress eine entscheidende Rolle, um die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit gegenüber marginalisierten Gruppen zu verstehen. Im Folgendem wird anhand von Ergebnissen und Erkenntnissen aus verschiedenen Studien und Forschungsarbeiten dargestellt, inwiefern Trans*feindlichkeit negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hat.

Trans*feindlichkeit lässt sich nicht klar einordnen. Klassisch könnte man sagen, dass es sich um eine Diskriminierungsform handelt und somit als distaler Stress beschrieben wird. Dieser hat jedoch auch Einfluss auf proximalen Stress.

In der Studie von Timmins, Rimes & Rahman (2017) wurden direkte und indirekte Zusammenhänge zwischen Stressoren der Minderheit und psychischer Belastung an einer großen und geographisch vielfältigen Stichprobe (N= 1207) untersucht. Die Erwartung der Ablehnung, die Selbststigmatisierung und die Vorurteilserlebnisse waren alle mit psychischer Belastung verbunden. Die Beziehungen wurden teilweise durch das Grübeln erklärt und zeigte 54,5 Prozent der Varianz der psychischen Belastung und 29,3 Prozent des Grübelns. Die Ergebnisse verdeutlichen die starke Beziehung zwischen den Minderheitsstressoren und psychischen Belastungen von trans* Menschen.

Eine weitere Untersuchung zum Wohlbefinden von trans* Menschen (N= 90) in der Schweiz veranschaulicht Befragungen zu erlebter Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität, internalisierter Trans*feindlichkeit, Lebenszufriedenheit und psychischer Belastung (Ott, Regli & Znoj, 2017). Die Auswertung zeigt eine hohe Prävalenz an psychischer Belastung und eine starke negative Korrelation zwischen Minderheitenstress und Wohlbefinden. Internalisierte Trans*feindlichkeit vermittelt einen Zusammenhang zwischen Nicht-Akzeptanz der Geschlechtsidentität und dem Wohlbefinden. Diese Ergebnisse stützen das Minority Stress Modell.

Eine andere Studie zum Thema Genderidentität und sexuelle Orientierung untersucht Opfer in einer Stichprobe von 641 Menschen, die Gewaltverbrechen erlebt haben und eine medizinische Notfallbehandlung in einem öffentlichen Krankenhaus in Anspruch nehmen mussten (Cramer, McNiel, Holley, Shumway & Boccellari, 2012). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass lesbische, schwule, bi* und trans* (LSBT) Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit Opfer sexueller Übergriffe wurden. Außerdem leiden LSBT-Menschen signifikant mehr unter akutem Stress und allgemeinen Ängsten (ebd., 2012). Außerdem machen die Forschenden (2012) die Beobachtung, dass die Genderidentität der Opfer den Zusammenhang zwischen Art der Gewalt und dem Auftreten von Paniksymptomen und den Zusammenhang zwischen Traumageschichte und allgemeinen Angstsymptomen moderiert.

Eine weitere Studie (Jefferson, Neilands & Sevelius, 2013) aus diesem Bereich stellt dar, inwieweit der Zusammenhang besteht zwischen trans* Frauen of Colour, die von vielfältiger Diskriminierung betroffen sind, und Depressionen. In dem einfachen logistischen Regressionsmodell mit Exposition gegenüber trans*feindlichen Ereignissen an ein Depressionssymptom-Ergebnis angepasst, bedeutet jede Einheit Anstieg der Exposition trans*feindlichen Ereignissen eine um 3 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit Depressionssymptome zu erleben.

Zu einem signifikanten Ergebnis kommt auch die Online-Umfrage von 2003 mit einer Stichprobe von 1093 trans* Teilnehmenden. Eine hohe Prävalenz von klinischen Depressionen (44,1 %), Angstzuständen (33,2 %) und Somatisierung (27,5 %) werden dokumentiert. Des Weiteren zeigt sich, dass soziale Stigmatisierung in einem positiven Zusammenhang mit psychischer Belastung steht (ebd., 2003).

Ein Erklärungsmodell von Plöderl (2016) legt viele Studien dar, die ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von psychischen Erkrankungen im Zusammenhang mit lesbischen, schwulen, bi*, trans* und inter* Menschen sehen. Dabei arbeitet er heraus, dass die Datenlage für die Gruppe der trans* Menschen noch nicht ausreichend ist. Die Ergebnisse lassen jedoch auf ein erhöhtes Risiko schließen.

Aufbauend auf diesen Informationen gibt es Präventions- und Interventionsstrategien, die vor allem den negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit abschwächen oder verhindern können. Diese werden im Folgenden dargestellt.

5. Präventions- und Interventionsstrategien

Eine Strategie ist es, die Sichtbarkeit von trans* Menschen grundlegend zu erhöhen (Klocke, 2017). Der sogenannte Mere exposure-Effekt, den man auch aus dem Bereich der Werbung kennt, kann dazu führen, dass sich Einstellungen ändern. Es wird positiver auf vertraute Personen reagiert. Aufbau von Vertrautheit durch das Kennenlernen von trans* Persönlichkeiten kann deshalb ein wichtiger Schritt sein (ebd., 2017). Umsetzen kann man das durch Aufklärungsprojekte, Aufklärungsarbeit und Kontaktinterventionen, die vor allem von Autoritäten oder Institutionen gestützt werden (Allport, Clark & Pettigrew, 1954).

Um trans*feindliche Angriffe von vornherein abzuwenden, können geschützte Räume erschaffen und genutzt werden, in denen die Identität selbstverständlich akzeptiert wird (Franzen, 2011). Auch die Einführung von einem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transphobie am 17. Mai 2009 führt zu mehr Sichtbarkeit. Und auch Demonstrationen wie der transgeniale CSD in Berlin sind Wege, um Unsicherheit und Unsichtbarkeit abzubauen.

Eine andere Möglichkeit ist, sich über einen respektvollen zwischenmenschlichen Umgang mit trans*Personen zu informieren (Kailey, 2013). Man kann verschiedenste Literatur nutzen, die für unpassende Fragen sensibilisiert und Unwissende darauf hinweist, welche Bedürfnisse die trans* Community hat. Bespiele hierfür sind, nicht nach Operationen, Geschlecht oder Erfahrungen über Ausgrenzung zu fragen, Personen nicht ungewollt zu outen und die korrekten Pronomen und Namen zu verwenden (ebd.,2013).

Auch institutionell ist es wichtig für trans* Menschen eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, wobei eine Reform zum Transsexuellengesetz (TSG) auf den Weg gebrachten werden soll. 2011 wurde vom Bundesverfassungsgericht beschlossen, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Aktuell stehen diese Reform und neue Gesetzesentwürfe in Diskussion.

Ebenfalls von großer Bedeutung sind pädagogische Einrichtungen, wie Schulen, um aufzuklären, die Lebenswirklichkeit von trans* Menschen in Schulbüchern darzustellen und das Thema Genderidentität im Allgemeinen einen Raum zu geben, um Vorurteile frühzeitig abzubauen, aber auch positive Erfahrungen zu schaffen (Krell, 2019).

Die vorangegangenen Strategien zur Prävention und Intervention zielen vor allem auf den Abbau von Vorurteilen ab und auf den Schutz vor Trans*feindlichkeit. Haben Menschen diese feindlichen Erlebnisse in ihrem Leben durchgemacht, ist es wichtig, auch hier Schutz und Hilfe anzubieten, um die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit einzudämmen. Allerdings haben viele trans* Menschen Vorbehalte gegen eine psychotherapeutische Behandlung, da sie auch immer noch von der Krankenkasse in Deutschland gefordert wird, um eine geschlechtsangleichende Behandlung zu übernehmen. Auch wird in Therapien eher geprüft und versucht umzustimmen, da früher das Trans*-Sein als psychische Störung eingeordnet wurde. Dabei sollte die Entscheidung zu einer psychotherapeutischen Behandlung individuell getroffen werden und nicht als Grundlage für die Auslebung einer eigenen Identität genutzt werden.

Die trans* Community stellt ebenso eine große Ressource für die mentale Gesundheit da, worauf in der Hausarbeit aufgrund von Limitationen nicht weiter eingegangen wird.

6. Zusammenfassung/Diskussion

Zusammenfassend kann bezüglich der in der Hausarbeit gewonnenen Erkenntnisse gesagt werden, dass obwohl ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen bei trans* Personen zum Teil auf Geschlechtsdysphorie zurückzuführen sein kann (Leiden, das aus der Inkongruenz zwischen dem zugewiesenen und dem erlebten Geschlecht), trans* Personen einem sozialen Umfeld mit Vorurteilen gegen trans* und soziale Stigmatisierung, bekannt als Trans*feindlichkeit, ausgeliefert sind (Norton & Herek, 2013).

Das Wohlbefinden spielt eine entscheidende Rolle bei der psychischen Gesundheit jedes Individuums. Trans* Menschen haben mit einer Vielzahl von Belastungen zu kämpfen, die das Wohlbefinden beeinträchtigen und somit auch ihre mentale Gesundheit. Dazu gehören soziale Stigmatisierung, Diskriminierung, Vorurteile, Gewalt und Trans*feindlichkeit, die diese Probleme erheblich verschärfen. Die permanente Angst vor Diskriminierung und Gewalt, die viele trans* Personen begleitet, belastet ihre psychische Gesundheit. Depressionen, Angstzustände, Suizidalität, posttraumatische Belastungsstörungen und Selbstverletzung sind einige der Auswirkungen.

Das in der Literatur gefundene Minority Stress Modell ließ sich anhand der vorgestellten Studien belegen und stellt eine wichtige Grundlage da, um zu verstehen, wie es durch täglich erlebten Stress zu psychischen Belastungen bei trans* Menschen kommen kann.

Es ist unerlässlich, trans* Menschen auf unterschiedlichen Ebenen zu unterstützen, Trans*feindlichkeit zu bekämpfen und für betroffene Menschen einzustehen.

7. Resümee

In meiner zukünftigen Arbeit als Psychotherapeutin möchte ich besonders auf die Bedürfnisse von trans* Menschen achten. Es ist besorgniserregend, was Menschen erleben müssen, die sich nicht ihrem zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. Ich denke, dass es eine sehr wichtige Aufgabe ist, die Psychotherapie hier weiter auszubauen und auf das Individuum anzupassen. Das sehe ich auch in meiner aktuellen Beschäftigung speziell mit suchterkrankten Menschen. Sie erleben soziale Stigmatisierung durch ihre Erkrankung und bei einer anderen Geschlechtsidentität zusätzliche Diskriminierung, was zum Teil ihre Grunderkrankung beeinflussen kann. In diesem Bereich ist die Forschung noch ganz am Anfang und ich denke, dass vor allem Mehrfachdiskriminierung zunehmend einen Bereich in der psychologischen Forschung einnehmen wird.

Des Weiteren braucht es mehr Strategien, um Trans*feindlichkeit zu verhindern.

Auch habe ich in meiner Literaturrecherche gesehen, dass die Forschung im Bereich der Genderidentität weiter ausgebaut werden sollte, auch da das Thema zunehmend an Relevanz gewinnt und mehr Menschen zu ihrer Geschlechteridentität stehen.

Literaturverzeichnis

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Quelle: Elise Ferdoun Kedik, Die Auswirkungen von Trans*feindlichkeit auf die psychische Gesundheit von trans* Personen, , in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 05.12.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?p=413