Wozu sind die holländische Küste, das IJsselmeer oder die Wattinseln besonders gut? Man kann dort mal so richtig den Kopf frei bekommen. Seit Kurzem ist Kopffreimachen in den Niederlanden auch drinnen Pflicht. Kalauer beiseite – die Tweede Kamer hat nun also auch ein Burkaverbot beschlossen. Die Nachbarn in Belgien kennen das schon seit Jahren. Natürlich nicht aus eigener Anschauung, denn vollverschleierte Frauen sind da wie dort eine absolute Seltenheit. Es hat niemand behauptet, dass es wirklich ein relevantes Problem zu lösen gebe. Symbolpolitik war gefragt.
Der Begriff Burkaverbot bzw. die direkte niederländische Entsprechung boerkaverbod ist sachlich eigentlich nicht ganz richtig. Verboten sind in öffentlichen Gebäuden, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Schulen und Krankenhäusern nämlich alle Kleidungsstücke, die das Gesicht verdecken, also auch Sturmhauben oder Motorradhelme. Trotzdem titelt auch der NRC ganz ungehemmt: Tweede Kamer stemt in met boerkaverbod.
Damit hat die Zeitung nicht ganz Unrecht, denn die Helme und Biwakmützen (wer wusste eigentlich vor dem Verbot, was das ist?) sind eher ein Kollateralschaden der Gesetzgebung. Selbstverständlich geht es um muslimische Frauen, aber ohne Interessensausgleich kein Poldermodell, also muss das Gesetz zumindest nach außen hin diskriminierungsfrei und geschlechterneutral sein. Die Rechtspopulisten feiern ihren Propagandaerfolg, mit dem sie ironischerweise in den europäischen Sprachen wieder ein paar neue Lehnwörter aus dem Sprach- und Kulturkreis bekannt gemacht haben, den sie am meisten verachten.
Die Liste von Begriffen für Kleidungsstücke gläubiger muslimischer Frauen ist stattlich. Der gestandene Rechtspopulist lehnt sie meist unterschiedslos ab und kann sich auch über ein einfaches Kopftuch empören, aber etymologisch wie sprachstrukturell und erst recht kulturell sollte man den Unterschied schon machen. Es stehen neben dem einfachen Ausdruck Koptuch / hoofddoek zur Auswahl, auf Deutsch und Niederländisch:
Die Schreibweisen sind im Deutschen wie im Niederländischen meist variabel. Mal wird eher versucht, die ursprüngliche Aussprache im eigenen Schreibsystem abzubilden, mal wird umgekehrt transliteriert und dann mit der eigenen Aussprache gelesen.
Die Burka bekommt zum Beispiel im Deutschen wie im Niederländischen ein gesprochenes [u], so dass der niederländische Digraph <oe> dafür sorgen muss, dass man nicht [byrka] sagt. Was man im Französischen durchaus tut – da war die zweite Strategie stärker: erst umschreiben, dann vorlesen.
Beim Niqab ist die Sache schwieriger. Das <q> steht für einen arabischen Laut, der im Deutschen wie im Niederländischen unbekannt ist und einfach durch [k] ersetzt wird. Die arabische Aussprache von niqab hört man hier recht gut. Das <q> in der Schreibung deutet zumindest an, dass hier ein anderer Laut hingehören würde, weil der Buchstabe normalerweise sonst nur in der Kombination <qu> vorkommt.
Der Hidschab macht alles noch viel komplizierter. Niederländisch und Deutsch kennen die Affrikate [d͡ʒ] nur in Lehnwörtern wie in Adagio, Dschungel oder Jazz. Die Aussprachevarianten aus Ägypten, die man im Internet findet, haben jedenfalls keine Affrikate. Dafür hört man sie deutlich in den Varianten auf Farsi und Urdu. Haben wir den Hidschab über das Persische aus dem Arabischen entlehnt? Oder liegt es an einem Unterschied zwischen klassischem Arabisch und regionaler Variation? Wer die Geschichte aufklären kann, darf uns gerne einen ausführlichen Kommentar schreiben.
Der Tschador schließlich hat ebenfalls eine Affrikate, die gerade im Anlaut weder im Deutschen noch im Niederländischen besonders gängig ist. Das Wort ist in jedem Fall aus dem Persischen und nicht aus dem Arabischen entlehnt und kommt der dortigen Aussprache auch bei uns recht nah.
In der Pluralbildung sind sich übrigens Deutsch und Niederländisch ungewöhnlich einig: das –s ist bei allen vier Wörtern in beiden Sprachen das Mittel der Wahl. Abgesehen davon wird die Mehrzahl sowieso selten gebraucht. Das ist durchaus symptomatisch: In unseren Gesellschaften diskutiert man eben über die Burka an sich, als kulturelles Phänomen oder als Objekt der Empörung. Um eine bestimmte Burka oder einen bestimmten Hidschab (bzw. zwei davon) im Hier und Jetzt geht es selten. Für die spezielle Kombination aus Hut plus Kopftuch beim königlichen Moscheebesuch wird es vermutlich keinen eigenen Begriff geben, obwohl die beiden Mannequins Beatrix und Elisabeth dafür sehr elegant Modell standen.
Arabisch oder Farsi, uvular oder velar – für einen Herrn Wilders oder eine Frau Le Pen sind das alles Feinheiten, die wenig zur Sache tun. Hauptsache weg mit dem Stück Stoff. Für Freunde von Lexik, Phonologie und Graphematik dagegen ein, pardon the pun: Heidenspaß.