Teil 6 einer kleinen Serie über Niederländisch und Französisch (und mehr).
Joghurt ist seit Langem schon probiotisch, aber ab sofort ist er auch plurizentrisch. Und wer könnte so ein Produkt besser herstellen, als die Belgier? Die Supermarktkette Delhaize macht der Kundschaft nördlich wie südlich der Sprachgrenze jetzt ein unwiderstehliches Angebot: Frischer Joghurt aus dem eigenen Land. Nun mag man sich fragen, ob es in Flandern wirklich kluges Marketing ist, mit dem Gesamtstaat Belgien Werbung zu machen. Aber wenn man Werbung mit flämischem Joghurt gemacht hätte und dann herauskommt, dass die Milch dafür aus Wallonien kam – das wäre erst recht eine Imagekatastrophe gewesen.
Wie wirbt man für ein Produkt, das abgesehen von der Verpackung eigentlich immer gleich aussieht – und das trotzdem „typisch belgisch“ sein muss? Man könnte besonders belgische Geschmacksrichtungen anbieten. Aber Joghurt mit Schokolade gibt es längst, und Joghurt mit Bier- oder Pommesaroma würde selbst ein eingefleischter Royalist nicht hinunterwürgen. Bleibt das, was man mit dem Mund sonst noch tun kann: Sprache. Also müssen zwei Fernsehspots her, einer auf Niederländisch und einer auf Französisch:
Beide Spots spielen auf charmante Weise mit dem Verhältnis zwischen einem vermeintlich neutralen Standard und den jeweils eigenen belgischen Varianten. Der niederländischen Spot setzt an zwei Stellen an. Einerseits an der Aussprache des zachte g in Belgen, das bei manchen Flamen im Dialekt bis hin zum [h] gehen kann. Und andererseits bei den verschiedenen Formen des Worts Joghurt. Van Dale gibt als Aussprachemöglichkeiten an: /jɔχʏrt, jɔɣərt/, in BE ook /juɣurt/. Daran diskutieren die Stimmen im Off, was die „korrekte“ Variante ist und kommen zu dem Schluss: „Het kan allebei“. Dem variationsbegeisterten Sprachwissenschaftler geht dabei das Herz auf. Der Spot zelebriert die Unterschiede anstatt auf „richtig“ (Standard) und „falsch“ (Belgien-typisch) zu pochen. Das ergibt natürlich Sinn, denn der Werbeeffekt funktioniert nur, wenn das „typisch Belgische“ auch positiv dargestellt werden kann: Belgische Aussprache gut – belgischer Joghurt gut. Dass sich ein Unternehmen bzw. eine Werbeagentur das traut, zeigt ziemlich klar, wie unverkrampft inzwischen das Verhältnis zu Standard und Variation ist. Wer hätte vor ein paar Jahrzehnten schon Werbung mit „falschem Niederländisch“ gemacht?
Der Werbespot für das Publikum in der südlichen Hälfte des Landes funktioniert ganz ähnlich. Auch hier diskutieren die sprachreflektierten Stimmen über die Richtige Bezeichnung für Joghurt: Heißt es yaourt oder yogourt? Antwort: „On peut dire les deux.“ (Man kann beides sagen.) Und die Belgier heißen nicht nur Belges [bɛlʒ] sondern auch [bɛlʃ]. Diese Auslautverhärtung kommt vielen Deutschsprachigen sicher bekannt vor, weil sie beim deutschen Akzent im Französischen auch öfter passiert. Sie ist im belgischen Französisch recht verbreitet und ist nicht unbedingt negativ konnotiert.
Der Clou an den Werbespots liegt darin, dass in beiden Sprachfassungen an exakt derselben Stelle mit Variation gespielt wird. Genau diesen Punkt zu treffen, an dem man auf Französisch und Niederländisch mit Belgien-typischen Varianten spielen kann, ist eine reife Leistung. Den Werbemachern ist etwas gelungen, woran viele in Belgien seit Jahrhunderten scheitern: Völlig symmetrische Gerechtigkeit zwischen Französisch und Niederländisch herzustellen. Sozusagen Waffeleisenpolitik im Joghurtbecher.