Früher war ein Gutmensch jemand, der sich zu viel gefallen lässt. Jemand, der sich selbst bei Unrecht oder Gewalt nicht wehrt. Inzwischen ist der Gutmensch ein Kampfbegriff der Nationalempörten und der „besorgten Bürger“. Längst ist aus dem Vorwurf der übertriebenen Friedfertigkeit ein Vorwurf der vorsätzlichen Schädigung geworden: Der Gutmensch wehrt sich nicht nur unzureichend gegen die vermeintliche Islamisierung, sondern er befördert sie sogar, sei es aus Fahrlässigkeit oder gar aus Absicht.
In den letzten Monaten und Jahren hat die deutsche Sprache im rechtskonservativen bis rechtsextremen Milieu die eine oder andere Wortschöpfung hervorgebracht, die in Nachbarsprachen eingegangen ist. Ein besonders sichtbares Beispiel dafür war Pegida. Der Erfolg dieses Akronyms hatte zwei wichtige Faktoren: Der gerade sehr starke Trend zu Abwehrreflexen gegen „Fremde“ und die eingängige Lautstruktur. Gutmensch ist keine völlig neue Wortschöpfung dieses Milieus, wurde von diesem aber gewissermaßen okkupiert. Und mit derselben neuen Konnotation wieder an andere Sprachen abgegeben.
Im Niederländischen führt dieses Wort nun ein Doppelleben. Es wird bisweilen in seiner deutschen Form benutzt, oder aber übersetzt. Die Volkskrant ging vor ein paar Jahren der Bedeutung dieser Entlehnung nach und nutzte den ursprünglichen deutschen Begriff. Eine ähnliche Diskussion lässt sich auch auf Dänisch finden. Auf Norwegisch kann man einen Beleg auftreiben, in dem Gutmensch genutzt wird, ohne dass es erklärt werden muss.
Treffer auf niederländischen Seiten sind bei Google aber deutlich häufiger (und zwar vor allem auf Seiten aus den Niederlanden, deutlich seltener in Belgien). Was ein Gutmensch ist, wissen Niederländischsprachige schon mit größerer Selbstverständlichkeit als Skandinavier. Mindestens ebenso interessant ist die angepasste Form goedmens, anzutreffen etwa auf Twitter:
Probeer je eens in te denken dat dit op het strand van Scheveningen of Zandvoort gebeurt wat is dan je reactie goedmens #Sousse (Quelle)
gematigde moslims zijn een goedmens sprookje (Quelle)
Sucht man auf Twitter nach dem Schlagwort goedmens, zeichnet sich sehr deutlich ein klares ideologisches Feindbild ab. Bemerkenswert ist aber auch die Wortstruktur von goedmens. Das Niederländische vermeidet anders als das Deutsche Komposita aus Adjektiv und Substantiv (etwa vreemde taal vs. Fremdsprache). Die Alternative goede mens würde sich vermutlich wegen der sehr allgemeinen Bedeutung von goed nicht besonders zur festen Lexikalisierung eignen. Der direkt übersetzte goedmens behält nicht nur etymologisch sondern auch strukturell seinen deutschen Beigeschmack.
Dieser Entlehnungserfolg ist besorgniserregend: Das Deutsche exportiert rechtslastige Begriffe mit einer Leichtigkeit, die sogar morphologische Barrieren zu überwinden weiß. Glücklicherweise importiert es aber mit ähnlicher Leichtigkeit Begriffe, die Offenheit und Respekt vor Andersartigkeit zeigen. Die Ehe für alle (frz. mariage pour tous) ist ein Beispiel dafür und macht der Bezeichnung Homo-Ehe Konkurrenz (ndl. ebenso gängig: homo-huwelijk). Das Niederländische hat angesichts der Gesetzeslage in Belgien und den Niederlanden einen Wortimport wie huwelijk voor iedereen sowieso nicht mehr nötig.