Sichtbarkeit queerer Geschichte(n) im Geschichtsunterricht

Schule ist kein geschlechtsneutraler Raum. Durch schulische Curricula, Lernmaterialien bzw. -methoden sowie Interaktionen zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen werden hierarchisch-heteronormative Strukturen und eine binäre Geschlechtervorstellung im Schullalltag stetig reproduziert.

Das queerhistoryLab. – Ein Lehr-Lern-Labor zur Geschlechter- und Sexualitätsgeschichte

Nach unseren demokratischen Grundsätzen haben alle Menschen, unabhängig ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Orientierung oder sexuellen Identität dieselben Rechte. Als zentrale Bildungsinstitution unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sollte die Schule diese Grundsätze fokussieren und zu einem reflektierten Umgang mit Ungleichheiten, geschlechtsspezifischen Zuweisungen und Hierarchisierungen beitragen. Zwar ist bereits im Kontext Schule ein verstärktes Bewusstsein über den Umgang mit Heterogenität vorhanden, dies zeigt sich jedoch lediglich in der individuellen Förderung von Schüler*innen und lässt dabei Ungleichheits- und Machtkonstellationen völlig außer Acht. Mit der Implementierung neuer Forschungserkenntnisse aus den Gender- und Queer Studies kann im Rahmen der Kompetenzorientierung angehender Lehrpersonen die Entwicklung einer gendersensiblen Haltung mit einer intersektionalen Perspektive gefördert werden.

An der Freien Universität sind seit Jahren die Gender- und Diversitykompetenz für Studierende als integraler Bestandteil der Allgemeinen Berufsvorbereitung in den Studienordnungen theoretisch festgelegt. Geschlechtsspezifische Inhalte sollen demnach im Studienangebot mehr Berücksichtigung finden. Auch im Hochschulvertrag für die Jahre 2018-2022 zwischen der Universität und dem Land Berlin wird die Relevanz von Geschlechtergerechtigkeit und Diversity im Kontext Hochschule hervorgehoben. So wurden auf verschiedenen Ebenen der Universität wie Forschung, Lehre und Verwaltung genderzentrierte Aspekte implementiert. Seit Ende 2016 bietet beispielsweise die Internetplattform ‚Toolbox Gender und Diversity in Lehre‚ den Lehrenden Informationen und Methoden für die Gestaltung einer gender- und diversitätssensible Lehrveranstaltung. Trotz dieser positiven Entwicklung fehlen aber gerade bei der Ausbildung von angehenden Lehrpersonen in den Fachdidaktiken die allgemeinen Voraussetzungen zur Entwicklung eines professionellen Umgangs mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Gender in der Geschichtsdidaktik

Unter den Geschichtsfachdidaktiker*innen, die sich aktiv mit Geschlecht im Geschichtsunterricht befassen, besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass Geschlecht eine Strukturkategorie für vergangene und gegenwärtige Gesellschaften ist. Dieser Umstand wird in Diskursen über theoretische Konzeptionen und Modelle aber zumeist unterschwellig behandelt. In konkreten Auseinandersetzungen wird sich wiederum nur auf eine binäre Geschlechterordnung bezogen, die den dichotomen Konstruktionsmodus von Geschlecht und auch die Existenz anderer Geschlechter völlig ausblendet.

Das queerhistoryLab.-Seminar setzt daher den Schwerpunkt auf die Förderung von gendersensiblen Kompetenzen bei Lehramtsstudent*innen im Fach Geschichte. Dabei orientiert sich das Seminar an die Forderungen des Berliner Senats zu den Rahmenplänen für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule und den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zur Sicherung der Chancengleichheit durch geschlechtersensible schulische Bildung und Erziehung. Angehende Lehrpersonen sollen Schüler*innen die Kompetenz vermitteln, eigenständig und reflektiert Geschlechterverhältnisse zu analysieren. Im Geschichtsunterricht soll so die Historizität und historische Alterität von Geschlecht, Geschlechterkonstruktionen und Geschlechteridentitäten für die Schüler*innen erkennbar werden.

Strukturell entstand das Seminarkonzept im Rahmen der zweiten Förderphase des Verbundprojekts k2teach – know how to teach. In der ersten Förderphase wurden die Lehr-Lern-Labor-Seminare (LLL-S) erfolgreich in den Fachdidaktiken Geschichte und Englisch für Lehramtsstudierende im Bachelor sowie in der Physik im Masterstudiengang als universitäres Seminarformat an der Freien Universität implementiert. Durch die stärkere Verzahnung von Theorie- und Praxiselementen als in üblichen Seminaren der Fachdidaktiken konnte empirisch für die Didaktik der Geschichte belegt werden, dass Teilnehmer*innen das fachdidaktische Wissen im LLL-S als praxisrelevanter wahrnehmen als Studierende aus reinen Theorieseminaren.

Lehre im queerhistoryLab.

Im queerhistoryLab.-Seminar werden in den ersten Sitzungen grundlegende fachdidaktische und genderbezogene Theorien diskutiert. Dabei soll regelmäßig ein Austausch über mögliche unterrichtspraktische Einsätze zur Entwicklung eines Unterrichtsverlaufplans mit eigenen Materialien stattfinden. Der Fokus liegt auf der Förderung des Konstrukts der historischen Genderkompetenz bei Schüler*innen. Durch historisches Erzählen sollen historische und gegenwärtige Geschlechteridentitäten thematisiert werden. Als Orientierungshilfe bei der Entwicklung des Materials dient den Student*innen das vorhandene Geschichtsunterrichtsmaterial der Onlineplattform queerhistory. Um die aktuellen Forschungserkenntnisse aus den Gender und Queer Studies in die Konzeption der Materialien einfließen zu lassen, ist während der ersten Phase immer auch die Bezugnahme auf das Konzept der Intersektionalität entscheidend. Hierbei soll ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Verschränkungen der Kategorie Geschlecht mit anderen Differenz- und Ungleichheitskategorien geschaffen werden. In der zweiten Phase des Seminars erproben die Student*innen in Gruppen an jeweils zwei Laborterminen ihre Unterrichtsentwürfe in einem komplexitätsreduzierten Umfeld. Der Unterricht findet in universitären Räumen mit einer Kleingruppe von Schüler*innen aus der neunten oder zehnten Jahrgangsstufe statt. Während der Labortermine sind die gegenseitigen Beobachtungen und die darauffolgenden Reflexionssitzungen ausschlaggebend für die Zielsetzung eines LLL-S. Das gezielte Feedback sowohl zwischen Student*innen untereinander als auch zwischen Dozent*innen und Student*innen soll zur theoriegeleiteten Vertiefung mit den praktischen Erfahrungen anregen.

Die Student*innen als künftige Lehrpersonen sollen durch die Teilnahme am queerhistoryLab. in ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, sich mit der Kategorie Geschlecht sowie dessen historischer und gegenwärtiger Produktion und Reproduktion von Ungleichheiten und Macht auseinanderzusetzen, gefördert werden.

Literatur

K2teach wird im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ [sic] von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

Seibert, D., et. al. (2019). Theoretisches Wissen gleich träges Wissen? Praxisrelevanz von fachdidaktischem Wissen in Lehr-Lern-Labor-Seminaren, in: die hochschullehre, 5, S. 355-382.

Lücke, Martin (2008): Walk on the wild side. Genderkompetenz, Zeitgeschichte und Historisches Lernen, in: Barricelli, Michele/Hornig, Julia (Hg.): Aufklärung, Bildung, „Histotainment“. Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, S. 223-236.

David Gasparjan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im BMBF-Projekt „k2teach – know how to teach“ am Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte an Freie Universität. Sein Arbeitsschwerpunkt ist Gender in der Lehramtsausbildung im Fach Geschichte.

In seinem Dissertationsprojekt befasst er sich mit jüdischer Geschlechter- und Sportgeschichte im 20. Jahrhundert. Kontakt: d.gasparjan@fu-berlin.de

Dieser Text ist eine leicht geänderte Version eines Beitrags im gerade erschienenen Wissenschaftlerinnen-Rundbriefs Nr. 2/2019 zum Schwerpunkt „Klima und Geschlechterverhältnisse“, der von der Zentralen Frauenbeauftragten der Freien Universität Berlin herausgegeben wird.

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