Was die Youtube-Welt immer sehr fasziniert, sind Prominente, die überraschenderweise eine Fremdsprache sprechen. Dazu gehört z.B. das Deutsch von Sandra Bullock, das Niederländisch von Nick Clegg (der ehemalige Vize-Premierminister Großbritanniens stellt mit seinen umfassenden Sprachkenntnissen die meisten seiner Landsleute in den Schatten), das Afrikaans von Charlize Theron (nicht so überraschend wenn man weiß, dass sie aus Südafrika kommt). Und dazu gehört auch das Niederländisch von Audrey Hepburn.
Die legendäre Schauspielerin ist in Brüssel geboren und hat einige eher düstere Jahre durch den Zweiten Weltkrieg hindurch in den Niederlanden gewohnt. Aber lassen wir sie doch zunächst selbst erzählen:
Wenn man genau hinhört, fällt einem das wunderschöne uvulare R auf. Manchmal verschwindet das R nach Vokalen, aber meistens ist es an allen Stellen klar und deutlich hörbar, und immer mit dem Zäpfchen gebildet. Das ist 1959, zum Zeitpunkt des Interviews, nicht unbedingt selbstverständlich. Damals war das Zungenspitzen-R in den Niederlanden noch deutlich verbreiteter als heute, und in Flandern bleibt es das bis heute. Das gilt auch für den belgischen Interviewer, der zwar gelegentlich ein kleines bisschen flämisch klingt, sich aber ansonsten um möglichst unmarkierte, allgemein-niederländische Aussprache bemüht.
Woher hat Audrey Hepburn ihr uvulares R? Dafür kann es verschiedene Erklärungen geben, und wahrscheinlich ist es eine Kombination all dieser Faktoren: Audreys Mutter entstammte der relativ einflussreichen Adelsfamilie van Heemstra, Audreys Großvater war beispielsweise Bürgermeister von Arnheim und später Gouverneur von Surinam. Ihre ebenfalls wohlhabende Tante verkaufte das Anwesen Haus Doorn an den deutschen Kaiser Wilhelm II., der ab 1918 keiner mehr war und sich in den Niederlanden ins Exil zurückzog. In diesen Kreisen hatte sich das Zäpfchen-R inspiriert vom Französischen schon viel früher durchgesetzt als bei anderen Sprechergruppen. In Arnheim verbrachte die junge Audrey einige Jahre, aber dort war damals in den Dialekten der allgemeinen Bevölkerung wohl noch das gerollte R mit der Zungenspitze üblich. Für eine junge Frau aus gutem Hause hat das Zäpfchen-R aber eine Symbolik, mit der man sich ein Stück weit von den gewöhnlichen Leuten unterscheiden konnte.
Französisch sprach Audrey Hepburn übrigens auch sehr gut, wie man in einem anderen Interview hören kann:
Dass sie das uvulare R direkt aus dem Französischen übernommen hat, ist eher unwahrscheinlich. Das Interview verrät nämlich, dass das Niederländische gegenüber dem Französischen offenbar die deutlich dominantere Sprache in ihrem Repertoire war, und nicht umgekehrt. Sie sagt zum Beispiel (00:48 sec) „Je suis commencée mon carrière“ statt „J’ai commencé ma carrière“ und übersetzt damit fast wörtlich „Ik ben mijn carrière begonnen“.
Einige Zeit später, in einem Interview von 1988, spürt man ein wenig, wie das Niederländische langsam weniger selbstverständlich wird:
Die Pausen bei der Suche nach Wörtern sind etwas länger geworden. Aber bei der Aussprache bleibt sie sich treu. Im Wort lied [li:t] ist die Auslautverhärtung nicht durch das Englische verwischt, und auch das uvulare R ist dasselbe wie eh und je. Ihr Interviewer, hörbar Niederländer, spricht auch mit Zäpfchen-R, nimmt aber als Rundfunkmensch schon das Gooise R hinzu. Heutzutage wäre die junge Audrey Hepburn genau dafür die perfekte Kandidatin: jung, weiblich, erfolgreich. Sie würde wahrscheinlich glasklares Poldernederlands sprechen. Doch davon keine Spur. Die Diphthonge bleiben bei ihr so geschlossen wie früher. Sie sagt fijn mit [ɛi] und nicht mit [a:i]. Professor Higgins wäre begeistert.
Audrey Hepburn ist eben nicht nur eine Ausnahmefigur der Filmgeschichte mit ihrem unnachahmlichen Unschuldiges-Mädchen-Blick. Sie ist ganz nebenbei auch noch eine charmante Informantin für unschuldige Blicke in die niederländische Sprachgeschichte.