Im Gespräch mit Anneliese Niehoff, einer der Autor*innen der Handreichung zum Thema diskriminierende Angriffe im Hochschulkontext, möchten wir erkunden, wie verbreitet diskriminierende Angriffe an Hochschulen sind, worin Betroffene Unterstützung finden und welche Handlungsempfehlungen vorgeschlagen werden.
Das Interview führte Angelina Uhl
Antifeministische, sexistische, rassistische und antisemitische Angriffe im Hochschulkontext, sei es in der Lehre, im Forschungszusammenhang, auf Tagungen, über Social Media oder in der Kaffeepause sind keine punktuellen Erscheinungen, sondern werden oftmals geradezu strategisch eingesetzt um wissenschaftliche Positionen, Forschungsfelder und -ergebnisse der Adressat*innen zu missbilligen. Dabei können Forschungsschwerpunkte und soziale Positionierungen zusammenwirken, indem Wissenschaftler*innen ihre Wissenschaftlichkeit aufgrund scheinbar subjektiver, gefühlsbezogener und interessensgeleiteter Involviertheit abgesprochen wird oder indem die Erfahrung von nicht vorhandenem Schutz, fehlender Fürsorge und Solidarität im Hochschulsystem dazu führt, dass sich Forscher*innen aus marginalisierten Gruppen schneller verunsichert fühlen. Wie können betroffene Wissenschaftler*innen mit Beleidigungen, Diffamierungen, Anfeindungen und persönlichen Angriffen dieser Art umgehen? Wo und wie finden sie Solidarität?
Im Oktober 2021 hat die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen e.V. (bukof) gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen (afg) eine Handreichung zum Thema diskriminierende Angriffe im Hochschulkontext veröffentlicht.
Toolbox: Frau Niehoff, Sie sind bundesweit mit Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sowie Vertreter*innen der Geschlechterforschung vernetzt. Wie präsent ist das Thema diskriminierende Angriffe an Hochschulen? Um welche Art von Angriffen handelt es sich hierbei in der Regel und wer sind die Betroffenen?
Anneliese Niehoff: Das Thema diskriminierende Angriffe auf Geschlechterforscher*innen (sowie Forscher*innen aus den Bereichen Queer Studies, Postcolonial Studies, z.T. auch Klimaforschung) ist in den scientific communities nach meiner Einschätzung sehr präsent. Mit Blick auf die Genderforscher*innen besonders bei denjenigen, die zu Themen wie Geschlechtervielfalt, Dekonstruktion von Geschlecht oder geschlechtergerechter Sprache arbeiten und besonders bei denjenigen, die über ihre fachwissenschaftlichen Zusammenhänge hinaus auch als Expert*innen und Aktivist*innen für die Themen angefragt sind.
Das Spektrum der Aggressionen und Angriffe ist breit. So wird in Landesparlamenten und im Bundestag, in Parteiprogrammen, auf Veranstaltungen, in Gremien und nicht zuletzt auf Social‐Media‐Kanälen die Legitimität von Geschlechterforschung, aber auch den Queer Studies sowie den Postcolonial Studies als solches in Frage gestellt. Dabei kommt das ganze Spektrum rechter Diskursstrategien zum Einsatz – von der Missachtung eines gesamten Forschungsfeldes über die Verdrehung und Vereinfachung von wissenschaftlichen Erkenntnissen bis hin zu Forderungen, die entsprechenden Forschungsschwerpunkte in Gänze abzuschaffen.
Welche Anregungen gibt die von Ihnen und der afg herausgegebene Handreichung „Diskriminierende Angriffe im Hochschulkontext – Handlungsempfehlungen für Wissenschaftler*innen und ihr Umfeld“?
Wir regen die betroffenen Wissenschaftler*innen dazu an, die erlebten Angriffe sowie die eigene Befindlichkeit und Wahrnehmung während und nach den erfolgten Angriffen ernst zu nehmen. Wir empfehlen verschiedene Herangehensweisen, die sich sinnvoll ergänzen und deren Reihenfolge von der jeweiligen Situation abhängt. Dazu gehört zuvorderst, die Hochschulleitung zu informieren, damit diese ihrer Fürsorgepflicht nachkommen kann. Das lässt sich auch erweitern auf die jeweilige Leitung des Fachbereichs oder der Fakultät, in der die betroffene Person forscht und lehrt. Bedeutsame Akteur*innen für einen professionellen und fürsorglichen Umgang mit den angegriffenen Wissenschaftler*innen sind auch Presse- und Rechtsstellen, daran denken Forscher*innen häufig nicht, da sie stärker dezentral verortet sind. Presse- und Rechtsstellen können – im besten Fall – dazu beitragen, die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zu klären, Rechtsschutz zu gewährleisten und eine kluge Kommunikationsstrategie mit Hochschulleitung und der*dem Wissenschaftler*in zu entwickeln.
Ebenso wichtig ist es, das eigene dienstliche Netzwerk zu aktivieren und die gemachten Erfahrungen zu teilen mit Kolleg*innen, Personalrat, Studierendenvertretungen, Gleichstellungsbeauftragten, Beratungsstellen zu Antidiskriminierung und Konflikt- oder Beschwerdestellen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Auch überregionale Netzwerke könnten die Wissenschaftler*innen begleiten, die Opfer von diskriminierenden Angriffen geworden sind. In unseren Handlungsempfehlungen haben wir beispielhaft einige aufgeführt.
Für jede Form der Beschwerdeführung ist es bedeutsam, die Vorgänge möglichst konkret zu protokollieren und dokumentieren – je präziser desto besser. Dazu gehört auch eine Sammlung aller Beweise wie Screenshots, ein Ausdruck von Mails oder Fotos von Schmierereien. Tipps zur Erstellung formal verwendbarer Screenshots finden sich zum Beispiel beim Helpdesk der Neuen Medienmacher.
Wir weisen auch darauf hin, sich möglicherweise anwaltlich oder psychologisch beraten zu lassen sowie eine Anzeige bei der Polizei für sich zu überprüfen. Weitere Informationen zu juristischem Beistand und Finanzierungsmöglichkeiten bietet beispielsweise HateAid und das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V.
Aus welcher Motivation heraus entstand diese Handreichung?
Wer Zielscheibe von Hassbotschaften wird, fühlt sich oft ohnmächtig und allein. Betroffene Wissenschaftler*innen können Unterstützung und Solidarität erfahren, wenn sie selbst den Angriff ernstnehmen und ihre Erfahrung teilen. Hierauf wollen wir aufmerksam machen und dafür motivieren. Unser Anliegen ist, die Handlungsfähigkeit der betroffenen Wissenschaftler*innen zu stärken, ihre Netzwerke zu aktivieren und ihre Rechte gegenüber ihrem Arbeitgeber einzufordern.
Welchen Eindruck haben Sie von der Atmosphäre in den letzten Jahren? Hat sich die Wirkmächtigkeit von beleidigenden, diffamierenden und anfeindenden Äußerungen verändert?
Einerseits vermuten das viele, aufgrund der Intensität, der Reichweite, des Tempos und der Distanz zum Opfer, mit dem insbesondere über Social Media Angriffe orchestriert werden und zum Sturm heranwachsen. Andererseits haben viele Wissenschaftler*innen, die angefeindet und beleidigt wurden, gesagt, dass sie die Attacken (häufig über social media) hart fanden, aber letztlich emotional viel stärker davon angegriffen waren, dass sich ihre jeweiligen Vorgesetzten, die Hochschulleitung, die Fachgesellschaft oder Kolleg*innen nicht professionell und solidarisch verhalten haben.
Möglicherweise trägt ein solches Relativieren, Verharmlosen, Entpolitisieren oder einfach Wegducken zu einer Atmosphäre bei, die unbeabsichtigt einlädt, solch aggressiven Strategien zu verfolgen. Ob das als solches neu ist? Vielleicht ist auch die Kommunikation darüber heute nur ausgeprägter.
Existieren Ihrer Meinung nach bestimmte Umstände oder Strukturen an Hochschulen, die diskriminierende Angriffe befördern oder handelt es sich um eine Spiegelung dessen, was in der Gesellschaft passiert?
Hochschulen sind definitiv ein Teil von Gesellschaft, insoweit spiegelt sich dort auch das, was gesamtgesellschaftlich passiert, wie die Strukturen sind, was Gegenstand von rechter Hetze ist oder wie sich rechte Diskurse in den Alltag einschleichen (Gendergaga, „man wird doch noch mal sagen dürfen“). Gleichzeitig ist Hochschule ein besonderer Ort. Hochschulen haben einen Bildungsauftrag, sie sind Orte, an denen mit Steuergeldern zu gesellschaftlich relevanten Fragestellungen geforscht wird. Sie nehmen häufig eine Vorreiterin- und Vorbildfunktion in einer Stadtgesellschaft oder einem Bundesland ein. Dies gilt ebenso für einzelne prominente Wissenschaftler*innen. Das (möglicherweise unbewusste) Selbstverständnis von Hochschulen ist: „Wir sind reflektiert, klug, aufgeklärt und offen. Bei uns passiert so etwas nicht.“ Dieses Selbstbild behindert eine kritische Reflexion über diskriminierende Angriffe. Auch das grundgesetzlich verankerte Recht der Freiheit von Lehre und Forschung wird gern als Rundumschlag-Argument gegen Aktivitäten zum Schutz vor diskriminierenden Angriffen ins Feld geführt. Die spezifischen Strukturen von zentraler Hochschulleitung und dezentralen Fachbereichen/Fakultäten kann zudem ein Verantwortungsvakuum begünstigen.
Inwieweit müsste sich was an Hochschulen verändern, damit sie als Forschungsinstitutionen präventiv dem Alltag von diskriminierenden Angriffen entgegenwirken können?
Den Hochschulen steht bereits ein Instrumentarium für den Umgang mit diskriminierenden Angriffen zur Verfügung. Zur Unterstützung ihrer Angehörigen und Gäste sollten das Beschwerde‐ und Konfliktmanagement, der Arbeitsschutz, das Hausrecht sowie weitere angrenzende Verfahren im Hinblick auf die Eignung für den Umgang mit solchen Angriffen überprüft und bei Bedarf entsprechend angepasst werden. Zudem sollten professionelle Schutzkonzepte für Forscher*innen in besonders häufig rechten Angriffen ausgesetzten Forschungsfeldern erarbeitet werden.
Für einen nachhaltigen Ansatz gilt es, die zuständigen Stellen innerhalb der Hochschule zu vernetzen und Angebote zum Kompetenzerwerb beim Umgang mit diskriminierenden Anfeindungen zur Verfügung zu stellen (Öffentlichkeitsarbeit, Rechtsstelle, Lehrende, Gleichstellungsakteur*innen, Diversity-Manager*innen u.v.m.).
Und zur Kulturveränderung können auch immer wieder öffentliche Veranstaltungen, Kampagnen, Interviews mit Forscher*innen aus den besonders angefeindeten Bereichen oder andere kreative Formate der Sensibilisierung beitragen.
Anneliese Niehoff leitet seit vielen Jahren das Referat Chancengleichheit/Antidiskriminierung, fachlich ist sie dort für die Geschlechterpolitik zuständig. Die Politikwissenschaftlerin und Organisationsberaterin vertritt die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) als Vorständin.
In der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen e.V. (bukof) vernetzen sich Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen, Mitarbeiter*innen in Gleichstellungsbüros und Funktionsträger*innen in den Bereichen der Gleichstellung. Sie tauschen sich auf Landes-, Bundes- und Hochschulebene aus und setzen sich zum Ziel geschlechtergerechte Strukturen und Kulturen an Hochschulen in Deutschland gemeinsam zu fördern.
In der Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen (afg) geht es darum, vorhandene Potenziale und dezentrale Strukturen an Berliner Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen zu koordinieren und zu stärken. Die Zusammenarbeit von Frauen- und Geschlechterforscher*innen, Theoretiker*innen und Praktiker*innen zielt auf eine intensive und nachhaltige Förderung von Geschlechterforschung an Berliner Hochschulen.
- Die Ausgabe des Wissenschaftlerinnen-Rundbriefs des Teams Zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität aus dem Jahr 2020 beschäftigt sich mit antifeministischen Stimmungen, unter anderem im Kontext von Hochschulen.
- Der jährlich stattfindene Wissenschaftstag #4GenderStudies , an dem sich auch das Margherita-von-Brentano-Zentrum (MvBZ) für Geschlechterforschung der Freien Universität Berlin beteiligt, zeigt die inhaltliche Vielfalt und Forschungsstärke der Geschlechterforschung und wirkt damit Angriffen auf die Geschlechterforschung und Geschlechterforscher*innen entgegen.
- Die Transnational Feminist Dialogues des MvBZ und die Veranstaltungsreihe Populismus kritisieren des MvBZ in Kooperation mit dem Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien reagieren auf Angriffe, indem sie die internationale Vernetzung und Solidarität innerhalb der Gender Studies stärken.