Wie bekommt man im Internet auf einfache Weise Feedback? Ein Rezept dafür: die Leserinnen und Leser über etwas abstimmen lassen. Gerne über Sprache, denn dazu hat jede/r eine Meinung. Wir diskutieren leidenschaftlich über das Wort des Jahres oder das woord van het jaar, wählen Jugendwörter oder Unwörter und durften nun wieder ein Wort der niederländischen Sprache „abwählen“.
Mit der Aktion weg met dat woord! sammelt das Instituut voor Nederlandse Lexicologie Vorschläge für Wörter, die man aus der niederländischen Sprache verbannen sollte, weil es überflüssig ist. Nun kann man aus sprachwissenschaftlicher Sicht die Frage einwerfen: Was soll eigentlich ein „überflüssiges“ Wort sein? Und wie kommt ausgerechnet das Institut für Lexikologie auf die absurde Idee, zum Abschaffen von Wörtern aufzurufen? Mit Sprachwissenschaft halten sich solche Aktionen selten auf. Für die Teilnehmer dürfte dahinter meistens eine Art sprachpflegerische Motivation stecken: Hier bekommen wir die Chance, das sprachliche Unkraut zu rupfen und die Sprache endlich wieder glänzend und schön zu machen.
Seltsamerweise beklagt sich die sprachpflegerische Klientel gerne über den Verlust von Vielfalt im Ausdruck und Stil in der „modernen Welt“ oder bei „der Jugend“ – findet aber nichts dabei, trotzdem unliebsame Wörter auszulöschen.
Schauen wir uns die Vorschläge etwas genauer an. Man könnte erwarten, dass darunter Ausdrücke sind, die inzwischen obsolet geworden sind, weil sie in der aktuellen Lebensrealität nicht mehr vorkommen. Gute Kandidaten wären telex oder mattenklopper / tapijtenklopper, die beide noch im Van Dale stehen. Andere würden sich vielleicht von Begriffen verabschieden, die wegen ihrer Konnotationen nicht mehr zeitgemäß oder irgendwie beleidigend sind, so wie gegenseitige Beschimpfungen als moffen oder Käsköpfe, oder etwa der neger. (Gerade dient das Wort in der neu erschienenen und wirklich großartigen uitleenwoordenbank als unschuldige Formulierung zur Erläuterung von Pidgins und Kreolsprachen. Dabei liegen die Argumente für einen Verzicht längst auf dem Tisch, beim taaltelefoon ebenso wie beim Nationaal instituut Nederlands slavernijverleden en erfenis).
Nun – das alles sind für die Aktion weg met dat woord! keine Kriterien. Auf der Liste stehen nur Vorschläge von relativ neuen Begriffen der Gegenwartssprache, die als lästig oder einfach falsch erachtet werden, etwa participatiesamenleving, selfie oder zeg maar. Wie ein natürlich entstandenes Wort „ärgerlich“ oder „sinnlos“ sein kann, auch das bleibt dabei offen. Die Motivationen für die Vorschläge sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich, dabei ist die Ablehnung von Anglizismen ein wichtiger Faktor. Ob zum Beispiel statt selfie ein niederländischer Neologismus zelfje genauso abgelehnt würde? Es geht jedenfalls nicht um ein Gebrauchsurteil, sondern um ein Geschmacksurteil. Ob man über Geschmack abstimmen kann oder sollte, wäre wieder eine andere Diskussion.
Besonders auffällig ist, dass in diesem Jahr gleich zwei Begriffe genannt werden, die eine Art von Verdopplung aufweisen, nämlich dagdagelijks (schon in den vergangenen beiden Jahren dabei) und mensenmens. Reduplikation und ähnliche Konstruktionen sind im Niederländischen und auch im Deutschen relativ selten. Das dürfte dazu führen, dass vielen diese Begriffe „überflüssig“ vorkommen. Dass aber zum Beispiel ein Kompositum gebildet wird, indem ein Substantiv quasi durch sich selbst determiniert wird, wie beim mensenmens, ist gar nicht so sinnlos: Dieser Mensch bestimmt sich über seinen Kontakt zu anderen Menschen, ist also gerne in guter Gesellschaft. Forschung zu solchen „Selbstkomposita“ gibt es etwa im Deutschen schon lange. Experimente haben gezeigt, dass die meisten Sprecherinnen und Sprecher auch bei solchen Wortbildungen eine neue Bedeutung erkennen, die dem einzelnen Substantiv etwas hinzufügt. Eine Frauenfrau könnte eine weibliche Person sein, die mit Frauen besser zurecht kommt als mit Männern – quasi die erwachsene Variante von einem meisje-meisje. Ein baasbaas wäre vielleicht ein Vorgesetzter, der sich besonders autoritär verhält.
Der Einwand auf der INL-Aktionsseite zum mensenmens lautet: Wie is dat nou niet? Introvertierte oder schüchterne Menschen scheinen dem Einsender dieses Vorschlags selten zu begegnen. Niet elke mens is een mensenmens. Ein englisches Pendant hat dieses Wort auch, nämlich people person. Dass mit mensenmens ein Anglizismus vermieden wird und es dennoch unerwünscht ist, gehört wieder zu den Absurditäten der Aktion.
Der Begriff dagdagelijks kennt eine Entsprechung im Deutschen, von dem es abgeleitet ist, nämlich das weithin akzeptierte tagtäglich. Lapidar heißt es zu dem Vorschlag: Er bestaat gewoon een woord voor: dagelijks. Weit gefehlt! Dagdagelijks oder tagtäglich ist etwas völlig Anderes als dagelijks oder elke dag, und auch etwas Anderes als täglich und jeden Tag. Was dagelijks stattfindet, kennt einfach nur eine chronologische Regelmäßigkeit. Was dagdagelijks stattfindet, ist nicht nur regelmäßig, sondern darüber hinaus auch routiniert, eingeübt, vielleicht auch langweilig. Van Dale erklärt es darum unter anderem mit allergewoonst. Ein verzichtbares Wort? Jedenfalls kein Synonym von täglich und dagelijks.
Ob man diesen Begriff mit seiner doch besonderen Bedeutung tatsächlich aus dem niederländischen Wortschatz streichen sollte (wie auch immer das funktionieren soll), darüber konnte man bis zum heutigen Montag auf der Website des INL mitentscheiden. So wird das Internet immer mehr zu einem Instrument der participatiesamenleving.