14. Oktober 2015 von Philipp Krämer
Wer höflich sein will, muss leiden. Im kommunikativen Umgang ist es eine Sache des guten Tons, dass man sich beim Sprechen ein wenig Mühe gibt, wenn man dem Gegenüber Wertschätzung vermitteln möchte. Deshalb sind Höflichkeitsfloskeln oft relativ lang und umständlich. Ein Paradebeispiel ist die Grußformel, mit der man im Französischen einen geschäftlichen Brief abschließt: „Veuillez agréer à l’expression de mes sentiments les meilleurs“ (oder eine der zahlreichen Abwandlungen) – Sinngemäß: „Würden Sie bitte den Ausdruck meiner allergrößten Hochachtung entgegennehmen.“
Auf der anderen Seite hat man nun wirklich nicht ständig die Zeit und Muße, solche Satzmonstren zu äußern. Erst recht nicht in der gesprochenen Sprache. Das erkennt man sehr schön an den verschiedensten Möglichkeiten, “bitte” zu sagen. Viele Sprachen nutzen dazu eines von zwei Hauptmustern. Die erste Möglichkeit ist eine Formulierung mit der Aussage, dass man selbst der Bittsteller ist, etwa mit Ableitungen von „ich bitte“:
bitte (Deutsch)
prego (Italienisch)
proszę (Polnisch)
palun (Estnisch)
kérem (Ungarisch)
Das Subjekt ist hier längst verschwunden, erst recht in pro-drop-Sprachen wie Italienisch oder Estnisch, in denen es sowieso bei eindeutig konjugierten Verben ganz wegfallen kann.
Als zweite Möglichkeit äußern andere Sprachen die Hoffnung, der Angesprochene möge Großzügigkeit walten lassen und der Bitte stattgeben, zum Beispiel:
please (Englisch, von „if you please“: „wenn es dir/Ihnen beliebt“)
s’il te / vous plaît (Französisch, ebenso)
vær så god (Norwegisch: „Sei so gut“)
ole / olkaa hyvää (Finnisch, ebenso)
faz / faça favor (Portugiesisch: „tu mir / tun Sie mir den Gefallen“, oder wie Spanisch „por favor“)
Oft gibt es mehrere Formen, abhängig davon, ob eine oder mehrere Personan angesprochen werden und gesiezt oder geduzt wird. Bei den Sprachen, die mit der ersten Person Singular (”ich bitte”) arbeiten, ist das nicht notwendig.
Zusätzlich muss man unterscheiden zwischen dem ”bitte”, wenn man selbst jemandem etwas gibt, und dem ”bitte”, wenn man etwas haben möchte. Das Muster mit den ”sei so gut”-Phrasen ist in manchen Sprachen nur im zweiten Fall möglich. Die skandinavischen Sprachen und Finnisch kennen das „sei so nett“ aber auch dann, wenn man jemandem etwas anbietet oder überreicht.
Diesem Muster folgt, bis heute relativ transparent, natürlich auch das Niederländische alsjeblieft / alstublieft (“wenn es dir/Ihnen beliebt”) und mit wann ech gelift auch das Luxemburgische – bei dieser enorm auffälligen Ähnlichkeit möglicherweise gar als Lehnübersetzung aus dem Niederländischen oder zumindest aus dem Französischen.
Von als het je belieft zu alsjeblieft ist eine große Portion Lautmaterial verloren gegangen. Das ist wenig überraschend bei einer Formel, die man täglich Dutzende Male verwendet. Und die Sprachgemeinschaft geht inzwischen schon deutlich weiter. In jüngster Zeit hört man häufig sowohl die geduzte Form asje [aʃə] als auch die höfliche Form alstu [asty]. Diese beiden Varianten spiegeln sich sozusagen in den längst bestehenden Aussagen dank je und dank u.
„Asje-asje-alsjeblieft“ könnte auch der Bettler von Theo van Doesburg sagen. (geheugenvannederland.nl, PD)
Man kann davon ausgehen, dass die Kurzformen asje und astu kontextgebunden sind. Ein Kellner in Holland nutzte sie beispielsweise an einem größeren Tisch beim Austeilen der Getränke als lockeres “bitteschön” bei jedem einzelnen Glas, das er hinstellte. Überreicht man jemandem ein großzügiges Geburtstagsgeschenk, würde ein hingeworfenes asje wohl unpassend wirken.
Die Kurzform dient zusätzlich auch der Verstärkung wenn man eine Bitte ganz dringlich wiederholt: asje-asje-asjeblieft (siehe Twitter; Deutsch wohl ungefähr: bittebittebitte). Die ausführliche Form am Schluss noch einmal zu realisieren, scheint aber auch schon optional zu sein, wie eine andere Twitter-Userin mit asje asje asje demonstriert. Die Häufigkeit der Wiederholung ist dabei potenziell unendlich. Ein User bringt es auf fünfmal asje plus einmal alsjeblieft.
Intuitiv könnte man vermuten, dass ein einzelnes asje nur möglich ist, wenn man jemandem etwas gibt und nicht, wenn man etwas haben will. Es wäre naheliegend, dass man sich mehr Sprechaufwand macht, um etwas zu erreichen als wenn man nur formelhaft einen Dank erwidert. Aber auch hierfür gibt es schon Gegenbeispiele auf Twitter:
Volg me asje ik ben fan van je, en je muziek!
Ob so eine Äußerung im mündlichen Umgang auch möglich ist, müssen diejenigen beantworten, die häufiger mit progressiven Sprechern in Kontakt sind. Twitter fördert schließlich schon durch die begrenzte Anzahl von Zeichen solche Verkürzungen. An sich scheint aber eine ungezwungene Äußerung wie “Wil je asje het raam dichtdoen?” nicht unmöglich.
Der Clou bei asje und alstu liegt vor allem darin, wie genau die Formel verkürzt wird. Bei bitte fällt beispielsweise das Subjektpronomen ich weg, vielleicht auch andere Satzteile wie dich darum. Ähnlich sind if und you beim Englischen if you please verzichtbar. Auch das niederländische dank u hat die Hauptaussage bewahrt und nur das ik getilgt. Übrig bleibt immer das wichtigste bedeutungstragende Element, hier also eine Verbform. Das Niederländische macht es bei asje und astu genau umgekehrt und streicht das Verb. Übrig bleibt wenn du oder wenn es Ihnen. Deutlicher könnte man kaum machen, dass es nur noch um eine pragmatische Konvention geht. Denn ob es den Angesprochenen beliebt, ist den Sprechern bei den allermeisten Bitten im täglichen Leben völlig schnuppe.