Religion, Geschlecht und Ethnizität
Khantaishir Ariundelger (WiSe 2024/25)
Einleitung
Rassismus ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine gegenwärtige, tief in gesellschaftlichen Strukturen und Denkweisen verankerte Realität. Dabei tritt Rassismus heute oftmals in subtileren Formen auf, die nicht mehr vorrangig auf biologischen Differenzsetzungen beruhen, sondern auf kulturellen, religiösen und sozialen Zuschreibungen. Ein besonders wirkmächtiges Beispiel hierfür ist der antimuslimische Rassismus, der sich gegen Menschen richtet, die als Muslim:innen wahrgenommen oder markiert werden – unabhängig von ihrer tatsächlichen Religionszugehörigkeit oder individuellen Selbstverortung.
Gerade im Kontext westlicher Migrationsgesellschaften wie Deutschland wird die Wahrnehmung von Muslim:innen zunehmend durch rassifizierende Mechanismen geprägt, in denen Religion, ethnische Herkunft und Geschlecht miteinander verwoben sind. Diese Mehrdimensionalität lässt sich nicht durch eine einseitige Analyse fassen, sondern bedarf einer intersektionalen Perspektive, die berücksichtigt, wie verschiedene Diskriminierungskategorien sich überlagern und verstärken.
In öffentlichen Diskursen wird häufig auf die vermeintliche Inkompatibilität „westlicher Werte“ mit „dem Islam“ verwiesen – eine Argumentationsweise, die Shooman als Ausdruck eines modernen, kulturellen Rassismus analysiert.[1] Dabei fungieren insbesondere Geschlechterbilder als Projektionsflächen, um eine Differenz zwischen „uns“ und „den Anderen“ zu konstruieren. Die Muslimin wird wahlweise als unterdrücktes Opfer oder als gebärfreudige Bedrohung inszeniert – beide Bilder dienen der Reproduktion rassistischer Narrative, die tief in kolonialen Denktraditionen verwurzelt sind.
Diese Arbeit geht der Frage nach, wie sich antimuslimischer Rassismus in Deutschland unter Berücksichtigung intersektionaler Verschränkungen von Religion, Geschlecht und Ethnizität manifestiert. Sie untersucht, wie sich religiöse, ethnische und geschlechtliche Zuschreibungen überschneiden, und wie daraus spezifische Exklusionsmechanismen entstehen. Dabei werden sowohl theoretische Perspektiven als auch gesellschaftliche Beispiele beleuchtet. Im Zentrum steht die Analyse von Zuschreibungsprozessen und deren Funktion für die Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen.
1. Begriffsklärung und theoretische Grundlagen
1.1 Was ist Rassismus?
Der Begriff „Rassismus“ wurde historisch stark mit biologischen Konzepten von „Rassen“ verknüpft. Diese biologisierende Perspektive ging davon aus, dass es naturgegebene, unveränderliche Unterschiede zwischen Menschengruppen gebe, die deren Verhalten und Fähigkeiten bestimmen. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist diese Sichtweise wissenschaftlich diskreditiert. Dennoch verschwanden rassistische Denkmuster keineswegs. Sie wandelten sich – hin zu subtileren, aber nicht weniger wirkungsvollen Formen.
Die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt unterscheidet in ihrer Definition mehrere Dimensionen von Rassismus, darunter den klassischen, biologistischen Rassismus auch den kulturellen Rassismus, bei dem die Abwertung über angeblich „unvereinbare“ Kulturen erfolgt.[2] Zentral ist dabei, dass Rassismus nicht nur auf individueller Ebene (z. B. Vorurteile) stattfindet, sondern als strukturelles Machtverhältnis wirkt: Bestimmte Gruppen werden systematisch benachteiligt – im Zugang zu Arbeit, Wohnraum, Bildung oder gesellschaftlicher Teilhabe.
Der Kulturtheoretiker Stuart Hall versteht Rassismus als ideologischen Diskurs, der dazu dient, soziale Ungleichheiten zu rechtfertigen und zu stabilisieren.[3] Er betont: Rassismus sei flexibel – seine Inhalte und Ausdrucksformen passen sich gesellschaftlichen Bedingungen an.
1.2 Was ist antimuslimischer Rassismus?
Antimuslimischer Rassismus bezeichnet die Abwertung, Benachteiligung und Feindseligkeit gegenüber Menschen, die als Muslim:innen wahrgenommen werden – unabhängig davon, ob sie den Islam tatsächlich praktizieren oder nicht. Anders als klassische Religionsfeindlichkeit (z. B. Islamkritik) basiert dieser Rassismus auf kollektiven Zuschreibungen, die an kulturelle, religiöse und oft auch körperliche Merkmale gekoppelt sind.
Yasemin Shooman analysiert diesen Rassismus als einen modernen, kulturalisierten Rassismus. Er operiert nicht mehr explizit mit dem Begriff der „Rasse“, sondern ersetzt diesen durch „Kultur“, „Religion“ oder „Herkunft“.[4] Muslim:innen erscheinen hier nicht als individuelle Subjekte, sondern als Teil eines homogenen Kollektivs, dessen Werte und Praktiken als rückständig, frauenfeindlich oder gewaltbereit markiert werden.
Besonders problematisch ist die Rassifizierung religiöser Zugehörigkeit: Menschen werden aufgrund von Namen, Aussehen oder Bekleidung als „muslimisch“ kategorisiert – und dieser Identität werden dann bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Shooman spricht daher von einem „Rassismus ohne Rassen“, der trotzdem dieselben ausgrenzenden Funktionen erfüllt.[5]
1.3 Intersektionalität als Analyseperspektive
Der Begriff „Intersektionalität“ wurde maßgeblich von der Juristin Kimberlé Crenshaw geprägt. Er beschreibt die Überlagerung und Verschränkung verschiedener Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Klassismus oder Homophobie. Dabei geht es nicht nur um die Addition einzelner Diskriminierungen, sondern um ihre Wechselwirkungen.[6] Menschen sind nie nur Muslim:innen, Frauen oder Migrant:innen – sondern immer mehrere Dinge zugleich. Diese Mehrdimensionilität menschlicher Identität wird im öffentlichen Diskurs jedoch häufig vernachlässigt, was zur Vereinfachung und Verzerrung gesellschaftlicher Realitäten führt.
In Bezug auf antimuslimischen Rassismus zeigt sich: Es reicht nicht, Religion allein zu betrachten. Erst durch die intersektionale Perspektive werden die komplexen Ausschlussmechanismen sichtbar, die Menschen aufgrund mehrerer miteinander verwobener Merkmale erfahren. Besonders muslimische Frauen erfahren häufig eine Verschränkung mehrerer Diskriminierungsformen – beispielsweise aufgrund ihrer Religion, ihres Geschlechts und ihrer ethnischen Markierung –, was die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive unterstreicht.
2. Antimuslimischer Rassismus im gesellschaftlichen Kontext
2.1 Historische Entwicklungen und aktuelle Erscheinungsformen
Die Vorstellung eines Gegensatzes zwischen „dem Islam“ und „dem Westen“ hat eine lange ideengeschichtliche Tradition. Schon im Mittelalter wurde der Islam in europäischen Diskursen als feindlich, bedrohlich und minderwertig dargestellt – etwa im Kontext der Kreuzzüge oder der sogenannten „Türkengefahr“.
Edward Said (1978) zeigt mit seinem Konzept des Orientalismus, wie der Westen ein stereotypisiertes Bild des Ostens konstruiert hat, das bis heute Wirkung zeigt.[7] Der „Orient“ erscheint darin irrational, rückständig und patriarchalisch – ein Konstrukt, das dem Selbstbild des aufgeklärten Westens dient.
In modernen Demokratien wurde diese binäre Logik nicht überwunden, sondern aktualisiert. Der antimuslimische Rassismus manifestiert sich heute beispielsweise in Form von
- Pauschalverdächtigungen nach islamistischen Anschlägen
- Diskussionen über Kopftuchverbote
- der Forderung nach einer „Leitkultur“
- einer rassifizierenden Medienberichterstattung
Gerade nach dem 11. September 2001 hat sich das Bild von Muslim:innen in vielen westlichen Gesellschaften gewandelt – von der kulturellen „Andersartigkeit“ hin zur vermeintlichen Bedrohung. Muslim:innen werden zunehmend mit Terrorismus, Gewalt oder fehlender Integrationsbereitschaft assoziiert.
2.2 Der kulturelle Rassismus: „Rassismus ohne Rassen“
Wie Yasemin Shooman aufzeigt, handelt es sich beim antimuslimischen Rassismus um einen kulturalisierten Rassismus.[8] Anders als bei klassischen rassistischen Argumentationen, die auf biologischen Unterschieden beruhen, wird hier mit kulturellen und religiösen Differenzen operiert. Dabei gelten Kultur und Religion als essenzielle, unveränderliche Merkmale einer Person oder Gruppe.
Diese Form des Rassismus ersetzt also nicht den biologistischen Diskurs, sondern modernisiert ihn. Shooman spricht in diesem Zusammenhang von einer „Modernisierungsstrategie“, bei der der Begriff der „Rasse“ zwar vermieden wird, aber ähnliche Ausschlussmechanismen fortbestehen.
Ein zentraler Aspekt dieser Argumentation ist die Homogenisierung von Muslim:innen: Sie werden als eine geschlossene, kollektive Identität konstruiert. Ihre individuellen Haltungen, biografischen Unterschiede oder sozialen Lagen treten dabei in den Hintergrund. Diese Konstruktion vereinfacht komplexe Realitäten und ermöglicht klare Feindbilder.
2.3 Die Rolle der Medien und der Politik
Antimuslimische Narrative sind in politischen Diskursen ebenso präsent wie in den Medien. Besonders deutlich zeigt sich dies in Debatten um Integration, Leitkultur oder vermeintliche „Parallelgesellschaften“. In der medialen Darstellung erscheinen Muslim:innen oft als Problemgruppe, als integrationsunwillig oder frauenunterdrückend. Die Sozialwissenschaften Naika Foroutan spricht in diesem Zusammenhang von der Instrumentalisierung muslimischer Frauen zur Konstruktion westlicher Überlegenheit. [9]
Ein Beispiel hierfür ist die Debatte um das Kopftuch. Diese wird oft nicht als Ausdruck religiöser Selbstbestimmung betrachtet, sondern als Symbol der Unterdrückung oder gar als Gefahr für die Demokratie. Muslimische Frauen werden dabei entmündigt, indem ihnen keine eigene Stimme zugesprochen wird.
Rechtspopulistische Parteien nutzen diese Narrative gezielt. Begriffe wie „Überfremdung“, „Islamisierung Europas“ oder „Geburten-Dschihad“ zielen auf kollektive Ängste ab und mobilisieren rassistische Ressentiments. In diesem Zusammenhang kommt es zu einer Normalisierung rassistischer Sprache im öffentlichen Raum.
Diese Diskurse wirken auch auf die gesellschaftliche Realität zurück. Studien zeigen, dass Menschen, die als Muslim:innen wahrgenommen werden, häufiger Diskriminierungserfahrungen machen – etwa bei der Wohnungs- oder Jobsuche, bei Polizeikontrollen oder im Bildungssystem.[10] Es handelt sich somit um strukturelle Ausschlüsse, die nicht auf individueller Abneigung basieren, sondern auf gesellschaftlich akzeptierten Ungleichheitslogiken.
3. Intersektionale Verschränkungen von Religion, Ethnizität und Geschlecht
3.1 Rassifizierung und religiöse Markierung
Antimuslimischer Rassismus basiert nicht allein auf religiöser Ablehnung, sondern auf der ethnischen und kulturellen Markierung von Menschen, die als „Muslim:innen“ identifiziert werden. Dabei ist nicht der individuelle Glaube entscheidend, sondern äußere Merkmale wie Name, Hautfarbe, Akzent oder Bekleidung. Diese Merkmale werden zum Zeichen einer vermeintlichen Gruppenzugehörigkeit, die als homogen, rückständig und gefährlich dargestellt wird.
Diese Prozesse lassen sich mit dem Konzept der Rassifizierung beschreiben: Auch Fatima El-Tayeb (2016) beschreibt in „Undeutsch“, wie als muslimisch gelesene Menschen in der postmigrantischen Gesellschaft systematisch als „anders“ markiert werden[11] – insbesondere dann, wenn weitere Faktoren wie Hautfarbe oder Geschlecht hinzukommen. Dabei handelt es sich um die gesellschaftliche Konstruktion von Gruppen über Zuschreibungen, die ihnen eine „Wesensart“ oder kollektive Identität unterstellen. Rassifizierung betrifft nicht nur Herkunft, sondern auch Religion – besonders dann, wenn diese als unveränderbare, kulturell determinierende Kraft verstanden wird.
Ein Beispiel dafür ist die Wahrnehmung von muslimischen Männern als potenziell gewalttätig oder frauenverachtend – eine Sichtweise, die sich tief in gesellschaftliche Diskurse eingeschrieben hat. Diese Bilder reproduzieren ethnisierte Männlichkeitsbilder, die weniger über tatsächliches Verhalten als über stereotype Projektionen funktionieren.
3.2 Geschlecht als Differenzmarker im antimuslimischen Diskurs
Ein besonders wirkungsvoller Aspekt antimuslimischer Rhetoriken ist die geschlechtliche Differenzierung. Muslimische Frauen stehen häufig im Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen – jedoch nicht als handelnde Subjekte, sondern als Projektionsflächen für fremde und eigene Ängste. Ihre Sichtbarkeit, insbesondere durch das Tragen des Kopftuchs, wird politisiert und mit Unterdrückung, Passivität und Rückständigkeit assoziiert.
In diesem Zusammenhang spricht die Soziologin Naika Foroutan von der „Instrumentalisierung muslimischer Frauen zur Konstruktion westlicher Überlegenheit“. Die vermeintlich unterdrückte Muslimin dient als Kontrastfigur zur emanzipierten westlichen Frau – ein Gegensatz, der gesellschaftliche Selbstbilder stabilisiert und von eigenen Ungleichheiten ablenkt.
Darüber hinaus wird Fruchtbarkeit im Diskurs um „Islamisierung“ oft als Bedrohung dargestellt: Die hohe Geburtenrate muslimischer Frauen wird in rechtspopulistischen Kreisen als „demografische Gefahr“ konstruiert.[12] Die Figur der „gebärenden Muslimin“ vereint so die Bilder von Fremdheit, Unemanzipiertheit und Bedrohung. Diese Darstellung entzieht muslimischen Frauen die Deutungshoheit über ihre eigene Identität. Dabei gibt es zahlreiche Stimmen und Initiativen muslimischer Feministinnen, die sich aktiv gegen patriarchale Strukturen einsetzen – sowohl innerhalb der muslimischen Community als auch in der Mehrheitsgesellschaft.
3.3 Intersektionale Diskriminierung in Alltag und Struktur
Menschen, die gleichzeitig als migrantisch, muslimisch und weiblich gelesen werden, erleben eine spezifische Form der Diskriminierung, die sich nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen lässt. Diese Intersektionen erzeugen komplexe Ausschlussmechanismen – im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, bei Behörden oder im Gesundheitswesen.
So zeigen empirische Studien, dass muslimische Frauen mit Kopftuch deutlich geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, selbst bei vergleichbarer Qualifikation. Die Ablehnung richtet sich nicht nur gegen ihre religiöse Praxis, sondern ist oft mit ethnischen und geschlechtlichen Vorannahmen verwoben.
Die Erziehungswissenschaftlerin Maisha-Maureen Auma betont in diesem Kontext, dass eine antirassistische Bildungsarbeit nur wirksam sein kann, wenn sie intersektional angelegt ist.[13]
Nur so lassen sich die vielfältigen Ebenen von Ausschluss und Macht kritisch analysieren und bearbeiten.
3.4 Strukturelle Dimensionen intersektionaler Diskriminierung
Die gesellschaftlichen Diskussionen über Muslim:innen kreisen oft um einzelne „Problemfälle“ – um vermeintliche Integrationsverweigerer, um Ehrenmorde, um religiöse Konflikte. Diese Einzelphänomene werden aus ihrem sozialen Kontext herausgelöst und zur Erklärung ganzer Gruppen herangezogen. Die intersektionale Perspektive hingegen fordert, gesellschaftliche Strukturen in den Blick zu nehmen – also das Zusammenspiel von Machtverhältnissen, Repräsentationen und Institutionen.
So wird etwa im Schulkontext häufig die Religion muslimischer Schüler:innen thematisiert – ihre sozialen Lebensbedingungen, rassistischen Erfahrungen oder familiären Belastungen hingegen weniger. Auch hier zeigt sich: Es braucht eine ganzheitliche Perspektive, die verschiedene Dimensionen von Ungleichheit zusammendenkt.
4. Persönliche Reflexion: Wahrnehmungen und Herausforderungen im Umgang mit antimuslimischem Rassismus
Antimuslimischer Rassismus ist nicht nur ein abstraktes gesellschaftliches Phänomen, sondern eine konkrete Erfahrung für viele Menschen – in öffentlichen Räumen, im Bildungssystem, im Beruf oder im persönlichen Miteinander. Auch ich bin in meinem Alltag wiederholt mit Momenten konfrontiert worden, in denen kulturelle oder religiöse Differenzierungen vorgenommen wurden, die in rassistische Zuschreibungen mündeten – sei es in Gesprächen, medialen Darstellungen oder institutionellen Kontexten.
Besonders aufgefallen ist mir, wie oft Religion als scheinbar neutraler Begriff verwendet wird, um kulturelle Stereotype zu legitimieren. Aussagen wie „Die sind halt so aufgewachsen“ oder „Das passt nicht zu unseren Werten“ begegnen mir in verschiedenen Kontexten – sei es in der Universität, im Bekanntenkreis oder in Medienberichten. Dabei fällt auf, wie schnell Religion zur Projektionsfläche wird, um komplexe soziale Phänomene zu erklären. Hinter diesen Aussagen verbergen sich häufig nicht-reflektierte Bilder vom „Anderen“, die gesellschaftliche Machtverhältnisse ausblenden.
Im Rahmen des Seminars habe ich gelernt, solche Strukturen besser zu erkennen und einzuordnen. Besonders die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Intersektionalität hat meinen Blick geschärft: Es reicht nicht aus, Rassismus isoliert zu betrachten – entscheidend ist das Zusammenspiel mit anderen Differenzlinien wie Geschlecht oder sozialer Herkunft. Die Idee, dass eine muslimische Frau aufgrund ihrer Religion, ihres Namens, ihres Äußeren und ihres Geschlechts mehrfach markiert und diskriminiert wird, hat mir neue Perspektiven eröffnet – auch im Hinblick auf eigene Privilegien.
Ich habe zudem erkannt, wie wichtig es ist, sich selbst in diesen Diskursen zu verorten: Welche Bilder habe ich von „anderen“ Gruppen verinnerlicht? Wie reproduziere ich ungewollt Ausschlüsse, auch wenn ich mich für Gleichheit einsetze? Der Diskurs über antimuslimischen Rassismus zwingt dazu, sich mit der eigenen Haltung und Position im gesellschaftlichen Machtgefüge auseinanderzusetzen.
Diese Reflexion bestärkt mich darin, mich in meinem zukünftigen beruflichen und persönlichen Umfeld aktiv gegen diskriminierende Narrative zu stellen und Diversity-Kompetenz nicht nur als theoretisches Konzept, sondern als praktische Haltung zu verstehen. Als Student der Betriebswirtschaftslehre sehe ich zudem die Relevanz dieser Themen für wirtschaftliche Organisationen. Intersektionale Diskriminierung kann sich auch in betrieblichen Strukturen und Entscheidungsmustern widerspiegeln – sei es im Recruiting, in Führungskulturen oder in der Kundenansprache. Eine reflektierte Diversity-Kompetenz ist daher nicht nur ethisch notwendig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.
Fazit
Antimuslimischer Rassismus ist ein komplexes gesellschaftliches Phänomen, das weit über individuelle Vorurteile hinausgeht. Er ist tief in sozialen, politischen und medialen Strukturen verankert und wirkt über kulturelle, religiöse und ethnische Zuschreibungen. Die Analyse dieser Arbeit hat gezeigt, dass insbesondere eine intersektionale Perspektive notwendig ist, um die Mehrdimensionalität der Diskriminierung zu erfassen, der als muslimisch markierte Personen ausgesetzt sind. Die Verschränkung von Religion, Ethnizität und Geschlecht erzeugt spezifische Formen der Ausgrenzung, die sich in verschiedenen Lebensbereichen manifestieren – von medialen Diskursen über Bildung bis hin zu Arbeitsmarkt und Politik.
Zudem wurde deutlich, wie Geschlechterbilder instrumentalisiert werden, um Rassismus zu legitimieren, und wie muslimische Frauen als Projektionsflächen westlicher Selbstbilder dienen. Diese Mechanismen sind Ausdruck einer postkolonial geprägten Struktur, in der gesellschaftliche Machtverhältnisse aufrechterhalten werden.
Die Beschäftigung mit dem Thema hat nicht nur mein theoretisches Verständnis vertieft, sondern auch meine persönliche Haltung geschärft. Antirassismus erfordert eine kritische Reflexion eigener Positionierungen und eine aktive Haltung gegen stereotype Denkmuster. Gender- und Diversity-Kompetenz bedeuten in diesem Kontext, differenziert hinzuschauen, zuzuhören und strukturelle Ungleichheiten sichtbar zu machen – und ihnen im Alltag entgegenzuwirken. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, braucht es nicht nur Bewusstseinsbildung, sondern auch konkrete strukturelle Veränderungen – etwa durch diskriminierungskritische Schulungen, inklusive Medienarbeit und verbindliche Diversitätsstrategien in Institutionen und Unternehmen. Ein intersektionaler Ansatz sollte zukünftig auch stärker in der politischen Bildung, im Journalismus und in institutionellen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden – um langfristig strukturelle Ungleichheiten abzubauen.
Literaturverzeichnis
- Arndt, Susan (2011): Rassismus. In: Göttler, F./Schäfer, I. (Hg.): Was ist Rassismus?, transcript Verlag, Bielefeld, S. 13–28.
- Attia, Iman (Hrsg.) (2007): Orient- und Islam-Bilder: Interdisziplinäre Beiträge zu Konstruktionen des Anderen. Münster: Unrast. (gesamter Sammelband, 240 Seiten).
- Auma, Maisha-Maureen (2021): Intersektionalität und postkoloniale Perspektiven in der Bildungsarbeit. In: Institut für den Situationsansatz (Hrsg.): Rassismuskritik und Bildung, Berlin, S. 34–49.
- Crenshaw, Kimberlé (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex. In: University of Chicago Legal Forum, Vol. 1989, Issue 1, S. 139–167.
- El-Tayeb, Fatima (2016): Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag, 296 Seiten.
- Foroutan, Naika (2012): Muslime in Deutschland. Herausforderungen und Chancen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 96 Seiten.
- Hall, Stuart (2000): Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus, Argument Verlag, Hamburg, S. 7–16.
- Said, Edward W. (1978): Orientalism. New York: Pantheon Books, 368 Seiten.
- Shooman, Yasemin (2012): Das Zusammenspiel von Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 16–17/2012, S. 53–57.
- Toprak, Ahmet (2015): Muslimische Männer in Deutschland: Wer sie sind und was sie wollen. Freiburg: Herder, 160 Seiten.
- Zick, Andreas; Küpper, Beate; Hövermann, Andreas (2011): Die Abwertung der Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 1–92.
[1] Yasemin Shooman: Das Zusammenspiel von Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 16–17/2012, S. 53–57, hier: S. 54.
[2] Susan Arndt: Rassismus, in: Göttler, F./Schäfer, I. (Hg.): Was ist Rassismus?, Bielefeld 2011, S. 13–28, hier: S. 14.
[3] Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, in: Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus, Hamburg 2000, S. 7–16, hier: S. 8.
[4] Shooman, ebd., S. 54.
[5] Ebd., S. 55.
[6] Kimberlé Crenshaw: Demarginalizing the Intersection of Race and Sex, in: University of Chicago Legal Forum, 1989, Vol. 1989, Issue 1, S. 139–167, hier: S. 145.
[7] Edward Said: Orientalism, New York 1978, S. 12–13. ⁸ Shooman, ebd., S. 55.
[8] Shooman, ebd., S. 55.
[9] Naika Foroutan: Muslime in Deutschland. Herausforderungen und Chancen, Bonn 2012, S. 34.
[10] Andreas Zick/Beate Küpper/Andreas Hövermann: Die Abwertung der Anderen, Berlin 2011, S. 36.
[11] Fatima El-Tayeb: Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft, Bielefeld 2016, S. 85.
[12] Ahmet Toprak: Muslimische Männer in Deutschland. Wer sie sind und was sie wollen, Freiburg 2015, S. 59.
[13] Maisha-Maureen Auma: Intersektionalität und postkoloniale Perspektiven in der Bildungsarbeit, in: Institut für den Situationsansatz (Hrsg.): Rassismuskritik und Bildung, Berlin 2021, S. 34–49, hier: S. 38.
Quelle: Khantaishir Ariundelger, Intersektionale Perspektiven auf antimuslimischen Rassismus: Religion, Geschlecht und Ethnizität in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 02.07.2025, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/?page_id=513