Mental Load – feministischer Kampfbegriff oder fruchtbares Konzept, um Geschlechtergerechtigkeit neu zu denken?

Eva Schießl (WiSe 2022/23)

„You should´ve asked!“[1] – sagt der Familienvater zur Familienmutter im gleichnamigen Comic der feministischen Bloggerin und Comicautorin Emma in der englischen Übersetzung des französischen Originals. „I would´ve helped!“[2], schiebt er hinterher. Die Situation ist die folgende: Die Mutter versucht, die beiden Kinder abendessenstechnisch zu versorgen und gleichzeitig für die Gästin des Paars zu kochen – mit allem, was dazu gehört. Dabei passiert es, dass das Essen überkocht. Auf den Ausruf des Mannes, was sie denn nur getan hätte, antwortet sie wütend, dass sie eben alles mache, woraufhin das oben genannte Zitat fällt.

So weit, so vertraut? Vor allem in heterosexuellen Partner:innenschaften mit Kindern tritt dieses Phänomen auf, doch auch von Freund:innen in ebensolchen Beziehungen ohne Nachwuchs haben sicher viele Frauen* voneinander schon den Satz “Sieht der denn einfach nicht, was alles getan werden muss?“ gehört. Einen Namen hat dieses Phänomen auch: Mental Load. Der Begriff beschreibt hauptsächlich die „Last der alltäglichen, unsichtbaren Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie“[3], die Initiative Equal Care Day nimmt aber auch die Gedankenarbeit für die Koordination beruflicher Aufgaben, sowie die Beziehungsarbeit in beiden Lebensbereichen in die Definition mit auf.[4] Diese Last übernehmen meist die Frauen*. Die Diskussion um Mental Load nahm anlässlich von Covid-19, in Verbindung mit dem Diskurs um Care-Arbeit und vermuteter Re-Traditionalisierung der Familie, medial an Fahrt auf. Zum Beispiel in der Studie Parenthood in a Crisis 2.0 erwies sich die subjektiv wahrgenommene, vermehrte Überbelastung von Frauen* in der Pandemie als wesentlich höher als die der Männer, ganz unabhängig davon, ob Kinder mit im Haushalt lebten.[5] Die Autorinnen vermuten als Begründung neben dem auch schon vor der Pandemie bestehenden Gender Care Gap die ungleiche Verteilung des größer gewordenen Mental Loads.

Was ist das nun schon wieder für ein neu ersponnenes Modewort, lediglich erfunden, um Futter für die Feuilletons zu liefern? Ein weiterer feministischer Kampfbegriff, der die angebliche Benachteiligung von Frauen* beweisen soll? Oder ist Mental Load schlicht und einfach ein sehr brauchbares Konzept, um die unsichtbare Mehrbelastung von Frauen* sichtbar zu machen und anhand dessen die Gleichstellung der Geschlechter neu zu denken? So viel lässt sich schon verraten: Neu ist die Idee nicht. Bereits in den 1950ern beschäftigte sich das Müttergenesungswerk damit, nur nicht unter diesem Namen – der entstammt den 70ern, kommt aber erst jetzt im öffentlichen Diskurs vor.[6] Und dass Mental Load für den Feminismus und die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit absolut notwendig ist, statt Kampf- oder Modebegriff zu sein, soll dieser Essay verdeutlichen.

Der Begriff Mental Load lässt sich, wie bereits angeklungen, im größeren Feld der Care-Arbeit verorten. Bekannt ist mittlerweile, dass Sorgearbeit auch Arbeit ist – und zwar unbezahlte. Sehen wir uns nun (leider sehr heteronormativ) die heterosexuellen Beziehungen mit und ohne Kinder an, denn hier wird das Mental-Load-Ungleichgewicht besonders markant deutlich (was nicht heißt, dass es in anderen Beziehungsformen nicht auch auftreten kann und dort ebenfalls untersucht werden muss – Mental Load ist für sich genommen zuerst einmal nicht geschlechtsspezifisch).

In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten wird die Erwerbsarbeit weitgehend noch immer den Männern zugeordnet. Alle Arbeit, die die sogenannte Reproduktion betrifft, wird den Frauen* überlassen.[7] Obwohl die Befürwortung dieses Modells abnahm und -nimmt, stellt es sich in der Realität vielerorts noch ziemlich genau so dar.[8] Selbst, wenn Frauen* ebenfalls einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ändert sich das Verhältnis in der Reproduktionsarbeit nicht.[9] Allein hier müssten schon alle Alarmglocken schrillen. Bereits 1989 veröffentlichte Arlie Hochschild eine Studie, die die schon im Vorhinein vermutete Second Shift der Frauen* nach der Lohnarbeit Zuhause bestätigte.[10] Regina Becker-Schmidt spricht von der doppelten Vergesellschaftung der Frau*, was bedeutet, dass sie sowohl erwerbstechnisch als auch auf Sorgearbeit bezogen ihre Arbeitskraft einsetzen muss.[11] Entscheidend ist, dass es sich hierbei wohl kaum um eine individuelle Problematik handelt. Vielmehr spielt sich das Ganze auf gesellschaftlicher bzw. struktureller Ebene ab.[12]

Nun hat sich in den letzten Jahren sicherlich einiges getan. Die Verteilung der Care-Arbeit wird zumindest zunehmend verhandelt, neue Vaterrollen werden definiert, Männer sind zunehmend bereit, sich zu kümmern. Und trotzdem: Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wenden Frauen* im Schnitt täglich immer noch 52,4 Prozent mehr Zeit für Care-Arbeit auf. Haben sie Kinder, sind es ganze 83,8 Prozent mehr.[13] Durch den Mental Load kommt außerdem die Komponente der Gedankenarbeit dazu, die auch in emanzipierten Haushalten oft nicht mitgedacht wird. In ihrer Studie zu diesem Thema von 2019 stellt Allison Daminger fest, dass immerhin die Höhe der jeweiligen Gesamtarbeitsstunden von Eltern, wenn man Lohn- und Sorgearbeit jeweils aufrechnet, nicht mehr signifikant geschlechtsspezifisch ist.[14] Die Daten ihrer Studie legen aber nahe, dass die Erklärung hierfür ist, dass die kognitive Arbeit, wie sie sie nennt, bisher in Studien nicht miteinbezogen wurde.[15] Das zeigt, wie wichtig es ist, sich nun endlich damit zu beschäftigen.

Bekannt wurde das Phänomen Mental Load durch Comics, wie den oben erwähnten der Autorin Emma, sowie in Deutschland durch das Buch Raus aus der Mental-Load-Falle von Patricia Cammarata.[16] Zusammenfassend kann man Mental Load drei Eigenschaften beziehungsweise Mechanismen zuschreiben: Er ist erstens unsichtbar, weil er innerlich stattfindet und abstrakt ist, zweitens ist er zeitlich und räumlich unbegrenzt, und drittens dauerhaft, da es um das (emotionale) sich Kümmern von nahen Menschen geht.[17] Diese Charakteristika machen es nicht verwunderlich, dass Mental Load auch von den Leittragenden selbst oft nicht erkannt wird. Im Folgenden werden einige Einwände skizziert, die so oder so ähnlich erhoben werden, um der Bedeutung von Mental Load den Wind aus den Segeln zu nehmen oder, um Mental Load in eine Ecke vermeintlich unnötiger feministischer Erfindungen zu stellen. Ich möchte zeigen, wie die Argumente recht schnell entkräftet werden können. So soll auch das Konzept Mental Load noch klarer werden.

„Das bisschen Hausarbeit – Müll runterbringen dauert grad mal eine Minute! Und denken muss man da nun wirklich nicht.“ Zuerst also eine ganz klassische Aussage, die eine recht unreflektierte Sicht auf Care-Arbeit allgemein widerspiegelt. In der Summe sind es aber eben viel mehr Dinge als der Müll, kann man direkt erwidern. Und selbst an den muss man denken bzw. bemerken, dass der Mülleimer voll ist und ihn dann auch wirklich leeren. Tatsächlich umfasst Care-Arbeit sehr viel mehr: Kindererziehung und die dazugehörigen Entscheidungen, alle Arbeiten im Haushalt wie Einkaufen, Kochen, Putzen, Aufräumen, Waschen, um nur eine Auswahl zu nennen. Zusätzlich, und genau da kommt Mental Load ins Spiel, geht es um die Gesamtorganisation und darum, den Überblick zu behalten, sowie die Bedürfnisse aller abzudecken und für alle ein offenes Ohr zu haben. Nur ein Beispiel: Bei einem Termin bei dem:r Zahnärzt:in geht es eben nicht nur um die Begleitung des Kindes dorthin, also den eigentlichen Vorgang. Tatsächlich beinhaltet ein solcher Termin das rechtzeitige Vereinbaren des Termins, wenn wieder eine Kontrolle ansteht. Es geht um die Absage des parallel stattfindenden Fußballtrainings, darum, die Krankenkassenkarte mitzunehmen (und zu wissen, wo sie sich befindet) und das Kind und den Partner, der es begleiten soll, daran zu erinnern, dass der Termin morgen stattfindet und vorher die Zähne geputzt werden müssen. Von der emotionalen Begleitung des Kindes, die ein solches Vorhaben erforderlich machen kann, mal ganz zu schweigen.

Daran lässt sich schon erkennen: Dieser eine vermeintlich kleine Vorgang hat ganz schön viele Unteraufgaben und ist mit Sicherheit nicht der einzige, der bedacht werden muss. Die Überbelastung von Frauen*, die diese Arbeiten größtenteils alleine übernehmen, kann gesundheitliche Auswirkungen haben. Physisch können sie Schlafprobleme, Kopf- oder Rückenschmerzen verursachen, psychisch zu Erschöpfung, Depression und Angst führen.[18]

Was der Aussage zum Thema Müll des Weiteren entnehmbar ist: Eine fehlende Wertschätzung für die Aufgaben der Sorgearbeit. Wird hingegen anerkannt, was und wie viel da geleistet wird, steigt das Selbstwertgefühl, wodurch der Mental Load abnimmt.[19] Und um diese Anerkennung zu erreichen, die ihnen eben meist nicht erwiesen wird, verausgaben Mütter sich dann oft noch mehr.[20] Dabei geht es ja nicht nur um individuelle Wertschätzung, sondern vielmehr um die gesellschaftliche Anerkennung der Leistung. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem, was Franziska Schutzbach in Bezug auf die Forschung von Lisbeth Bekkengen unter „Paradoxie der Anerkennung“[21] zusammenfasst: Beteiligen sich Männer an Sorgearbeit, werden sie gelobt, bei Frauen* wird sie vorausgesetzt.[22] All das darf aber natürlich nicht zu der irrigen Annahme führen, dass mit ein bisschen Klatschen alles erledigt wäre.

„Frauen* können das doch auch besser mit dem Kümmern um alle, liegt irgendwie in ihrer Natur.“– darauf lässt sich einfach und klar antworten: Nein. Doing gender wird nun wirklich lang genug diskutiert, sodass ein solches Argument eigentlich nicht mehr existieren dürfte. Statt Genetik geht es um Sozialisation. Den Menschen wird überall und vom ersten Atemzug an vermittelt, wie eine gute Mutter zu sein hat, und durch die ständige Präsenz dieses Bildes wird es Gesellschaft und Individuum eingebrannt.[23] Haben Frauen* einen Job, so stehen sie im Generalverdacht, die Familie zu vernachlässigen, kümmern sie sich nur um die Familie, leisten sie angeblich nicht genug. Außerdem flüstert ihr gesamtes Umfeld ihnen konstant ins Ohr, dass sie emotionaler seien, mehr Empathie hätten – klar, dass man dann denkt, dass man dieser Erwartung entsprechen muss. Auch die Erziehung ist weit davon entfernt, geschlechtsneutral zu sein und sieht für kleine Mädchen* Puppen, um die man sich zu kümmern hat, vor. Aus Sicht der Rollentheorie übernehmen in heterosexuellen Paaren, die Kinder erwarten, Mütter und Väter diejenigen Rollen, die ihnen vorgelebt wurden, mit allen Normen, Werten und Erwartungen.[24] Es gibt wahrlich nicht viele Fälle, in denen diese nicht dem Klischee entsprachen. Und auf die Person, die weniger Lohnarbeit leistet, um mehr Sorgearbeit zu übernehmen, fällt meist auch der Mental Load zurück.[25] Das muss nicht die Frau* sein, ist aber bekanntermaßen in der Regel die Frau*. Und natürlich, wenn Frauen* dann alle diese Aufgaben übernehmen und quasi in sie hineinwachsen, selbstverständlich werden sie dann auch besser darin sein als Menschen, die dies viel weniger tun. Es geht also um Übung und nicht um naturgegebene Fähigkeiten. Und zwar sowohl beim Windeln wechseln oder Kinder ernähren als auch dabei, die Gesamtverantwortung in einer Familie zu übernehmen. In ihrem Beruf können Männer das ja übrigens auch meistens mit dieser Verantwortung.

„Alles, was mir meine Frau* aufträgt, erledige ich zuverlässig! Wir teilen uns das gerecht auf.“ Und genau hier liegt der springende Punkt, warum das hier keine faire Arbeitsteilung ist: Weil nicht beide gleichermaßen die Verantwortung tragen, und der Mann oft nur Aufträge, an die die Frau* denken muss, erfüllt – das heißt der Mental Load bleibt ungeteilt. Frauen* bleiben die Manager:innen, die durch ihre Position dauerhaft mit der inneren To-Do-Liste konfrontiert sind.[26] Aus der Aussage lässt sich herauslesen, dass eine Auftragserteilung erwartet wird, und zu erledigende Vorgänge von selbst gegebenenfalls nicht erkannt oder erledigt werden. Das zementiert die Gesamtverantwortung der Frau* und wenn sie dann, wie Emma in ihrem Comic schreibt und zeichnet, auch noch einen großen Teil der Anforderungen selbst absolvieren soll, übernimmt sie insgesamt ¾ der Arbeit.[27] Problematisch ist außerdem, dass Paare, die sich die Sorgearbeit vermeintlich gerecht aufteilen und auch sehr explizit und überzeugt die Gleichberechtigung verfolgen, auf diese Weise manchmal sogar die kognitive Mehrarbeit der Frauen* verschleiern.[28] Es klingt absurd, und doch ist dieser Punkt sehr einleuchtend: Nur weil man an die Gleichstellung aller Menschen als Ideal glaubt, heißt das nicht, dass man nicht auch in einer Welt sozialisiert wurde, die einem etwas anderes unterjubeln will. Und deshalb ist es zentral, sich konstant zu fragen, ob man die Werte, die man vertritt, auch wirklich so lebt. Dafür muss nicht zuletzt das Selbstbild immer und immer wieder mit der gelebten Praxis abgeglichen werden. Die Faktenlage zeigt, dass das notwendig ist: Partner:innen, die sich beide kümmern und Sorgearbeit übernehmen, teilen sich noch lange nicht den Mental Load.[29] Interessant ist auch, dass Entscheidungen trotzdem fast immer unter der gleichen Beteiligung beider gefällt werden, das liegt laut Studie daran, dass diese mit Geltungsbewusstsein und Ansehen assoziiert werden.[30] Wer aber tendenziell die Vorarbeit für die Entscheidung auf sich nimmt, kann man sich denken.

„Um die Kinder kümmere ich mich wirklich sehr viel. Das ist auch Mental Load nach einem langen Arbeitstag!“ Auch wenn das nicht als Mental Load bezeichnet werden kann, ist das an sich ein guter Anfang. Dennoch erweist sich die Angelegenheit als ähnlich wie oben: Sich um Nachwuchs zu kümmern bedeutet nicht, die Absolution erteilt zu bekommen, sich auch in anderen Care-Arbeits-Bereichen einzubringen. Denn oft verschiebt sich in einer solchen Konstellation die Verantwortlichkeit nur. Über Haushaltsaufgaben, die Frauen* in der Folge der abgegebenen Kinderbetreuung zu einem noch größeren Teil übernehmen, wird nicht mal mehr verhandelt – was wiederum die Belastung der Frauen* abermals unsichtbarer macht.[31] Darüber hinaus kriegen Väter dann meist die Sahnehäubchen der Zeit mit den Kindern ab, wie zum Beispiel Ausflüge.[32]

„Die wollen ja auch alles managen und selbst machen, meine Hilfe wird gar nicht angenommen!“ Väter haben also in diesem Argument aufgrund der angeblich gluckenhaften Mutter gar keine Möglichkeit, sich einzubringen, auch wenn sie es wollen. Hier kommt der Begriff maternal gatekeeping ins Spiel, der klassischerweise so viel bedeutet wie die mütterliche Befähigung dazu, die väterliche Beschäftigung mit den Kindern zu beschneiden.[33] Ohne nun genauer auf den Begriff eingehen zu können, da dies den Rahmen hier sprengen würde, klingt er doch recht gegensätzlich zum Konzept von Mental Load. Dass es dieses Phänomen geben mag, dass Mütter die Hilfe von Vätern abweisen, mag sein, aber es kann fälschlicherweise natürlich auch missbraucht werden, indem man so die männliche Nicht-Beteiligung an Care-Arbeit rechtfertigt. Und maternal gatekeeping ignoriert zudem komplett den bereits erwähnten Einfluss von Sozialisation und Erwartung an die Frauen*. Auch Franziska Schutzbach entkräftigt dieses Begründungsmuster recht bündig, indem sie auf Patricia Cammarata verweist: Einerseits, sagt sie, wird nicht erledigte Sorgearbeit auf die Frauen* zurückgeführt – und nicht auf die Männer.[34] Statistisch viel bedeutsamer als das maternal gatekeeping sei aber die geringe Anstrengung von Männern, sich für Haushaltsdinge verantwortlich zu fühlen. [35] Das wiederum hat natürlich auch mit dem Abgeben von jahrtausendealten Privilegien zu tun. Und seine Privilegien abgeben muss man eben wirklich wollen und setzt voraus, sich dieser und der damit verbundenen Machtungleichgewichte schmerzlich bewusst zu werden.

Wie kann das Konzept Mental Load nun weitergedacht werden, in die alltäglichen Überlegungen eingebettet werden und was ist der größere Rahmen, in dem das Thema betrachtet werden muss? Zunächst ist es wichtig, Care-Arbeit und damit auch den Mental Load intersektional zu denken. Strukturelle Diskriminierung spielt hier eine entscheidende Rolle – wird man marginalisiert, wird selbstverständlich auch die emotionale Last höher.[36] Um Care-Arbeit outzusourcen, damit Frauen* eben nicht überlastet sind, werden migrantisierte Frauen* dafür geringfügig entlohnt eingestellt.[37] Care-Ketten wie diese reproduzieren nicht nur transnationale Ungleichheiten, sie verursachen logischerweise ebenfalls einen großen Mental Load für die Betroffenen, die die kognitive Arbeit für eine andere Familie erledigen und sich nicht um ihre gegebenenfalls eigene kümmern können.

Praxistauglich gemacht hat Patricia Cammarata das Thema Mental Load, indem sie konkrete Tipps gibt: Man sollte ganz genau aufdröseln, welche Unterpunkte einzelne Aufgaben beinhalten.[38] Darauf aufbauend können ganzheitliche Aufgabenbereiche verteilt werden, für die komplett nur die jeweilige Person verantwortlich ist, inklusive des Mental Loads.[39] Helfen können dabei die Tests der Initiative Equal Care Day, um herauszufinden, wer bisher wie viel Arbeit übernimmt.[40] Schaut man auf eine größere Ebene, so wird leider auch klar: das Problem ist systemimmanent, denn nur aufgrund von unbezahlter Sorgearbeit kann der Kapitalismus bestehen. Ein Wandel des wirtschaftlichen Systems und eine ganz grundlegende Macht- und Ressourcenumverteilung sind aus aktueller feministischer Perspektive unabdingbar.[41] Dazu möchte ich kurz die konkrete Idee der Soziologin Frigga Haug erwähnen. Sie stellte 2008 ihre Vier-in-eine-Perspektive vor, die die Sinnhaftigkeit der großen Bedeutung, die der Erwerbsarbeit in unserer jetzigen Zeit zukommt, hinterfragt.[42] Sie schlägt vor: Von den 16 Stunden, die Menschen am Tag circa wach sind, sollen je vier für Lohn-, Care-, kulturelle Selbstverwirklichung und politisches Engagement zur Verfügung stehen.[43] Wie diese visionäre Utopie umgesetzt werden könnte, sei dahingestellt, aber eines steht fest: Ein Umdenken in Bezug auf die Lohnarbeit brauchen wir jedenfalls, wenn wir Care-Arbeit mehr Anerkennung verschaffen und gerechter verteilen wollen.

Diese genauere Betrachtung von Mental Load hat gezeigt, dass er kein sinnfreies Konzept sein kann, um die Gleichstellung der Geschlechter in Sachen Care-Arbeit zu fokussieren – im Gegenteil: Durch seine Unsichtbarkeit ist das Phänomen zwar schwer erkennbar, spiegelt aber sehr klar unsere Sozialisation wider, nach der Frauen* sich wie Projektleiterinnen um Kinder, Haushalt und Emotionen zu kümmern haben. Das muss sich ändern, indem wir versuchen, den Mental Load sichtbar zu machen, ihn produktiv zu nutzen und so Frauen* zu entlasten. Es lohnt sich anhand des Begriffs für eine wirklich faire Aufteilung von Sorgearbeit zu kämpfen, um so auch unseren eigenen Kindern ein anderes Modell vorzuleben und dabei aufzuhören, uns selbst auszubeuten. Das wäre zumindest ein kleiner Schritt in Richtung der Abschaffung des Patriarchats. Doch die abschließende Beobachtung, dass gefühlt circa 99% der Literatur über Mental Load von Frauen* geschrieben wurde (als natürlich nicht repräsentativer, kleiner Anhaltspunkt kann zumindest das Literaturverzeichnis dieses Essays gelten), zeigt das unbändige (wissenschaftliche) Interesse der männlichen Seite, die Dinge wirklich anzugehen. Eines steht fest: Es bleibt noch viel zu tun.

Literatur

Becker-Schmidt, Regina: Doppelte Vergesellschaftung von Frauen: Divergenzen und Brückenschläge zwischen Privat- und Erwerbsleben. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.) (2010): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3. erw. und durchges. Aufl., Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwissenschaften, 65-74.

Bücker, Teresa: Ist es radikal, sich die Gedankenarbeit zu teilen? In: Süddeutsche Zeitung Magazin vom 08.12.2020. Online verfügbar unter: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/freie-radikale/mental-load-teilen-teresa-buecker-89594, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.

Daminger, Allison: The Cognitive Dimension of Household Labor. In: American Sociological Reciew (2019), Vol. 84(4). Los Angeles, USA: Sage Publications, 609-633.

Dean,Liz/Churchill, Brendan/Rupanner, Leah: The mental Load. Building a deeper theoretical understanding on how cognitive and emotional labor overload women and mothers. In: , Vol. 25, (2022), online verfügbar unter: https://www.tandfonline.com/doi/epdf/10.1080/13668803.2021.2002813, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

Emma (2018): The mental Load. A feminist comic. New York/Oakland/London: Seven Stories Press. Online verfügbar unter: https://english.emmaclit.com/2017/05/20/you-shouldve-asked/, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

https://www.equalcareday.de/mental-load/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.

https://www.gender-mediathek.de/de/care-arbeit, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.

Land, Louise: „Mental Load ist unsichtbar, kann aber krank machen“. Interview mit Simone Frohwein und Elke Hüttenrauch. In Süddeutsche Zeitung Magazin vom 31.01.2023. Online verfügbar unter: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/mental-load-stress-belastung-burn-out-muetter-frauen-92354, zuletzt aufgerufen am 09.03.2023.

Lange, Bianca/Ohlbrecht, Heike: Parenthood in a crisis 2.0. Motherhood in the Tension Between Homeschooling and Home Office. A Comparison After 1 Year of Pandemic. In: International Dialogues on Education Journal, 8(1/2), 36–50 (2022). Online verfügbar unter: https://doi.org/10.53308/ide.v8i1/2.252, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022.

Lutz, Helma/Benazha, Aranka Vanessa: Transnationale soziale Ungleichheiten. Migrantische Care- und Haushaltsarbeit. In: Biele Mefebue, Astrid/Bührmann, Andrea D./ Grenz, Sabine (Hrsg.) (2022): Handbuch Intersektionalitätsforschung, Wiesbaden: Springer VS, 289-302.

Notz, Gisela: Arbeit. Hausarbeit, Ehrenamt, Erwerbsarbeit. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.) (2010): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3. erw. und durchges. Aufl., Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwissenschaften, 480-488.

Puhlman, Daniel J./Pasley, Kay: Rethinking Maternal Gatekeeping. In: Journal of family theory & review (2013), Vol.5 (3). Hoboken, USA: Wiley, 176-193.

Schrammel, Barbara: Mental-Load. Ein psychodramatischer Blick auf die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit. In Psychodrama Soziom (2022) 21, 369-379.

Schutzbach, Franziska (2021): Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. München: Droemer, 239-267.


[1] Emma 2018, https://english.emmaclit.com/2017/05/20/you-shouldve-asked.

[2] Ebd.

[3] https://equalcareday.de/mental-load/.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Lange/Ohlbrecht 2022, 45.

[6] Vgl. Frohwein in Land 2023, https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/mental-load-stress-belastung-burn-out-muetter-frauen-92354.

[7] Vgl. Notz 2010, 480-481.

[8] Vgl. ebd., 481.

[9] Vgl. ebd.

[10] Vgl. Schutzbach 2021, 245.

[11] Vgl. Becker-Schmidt 2010, 66.

[12] Vgl. ebd.

[13] Vgl. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294.

[14] Vgl. Daminger 2019, 628.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. Hüttenrauch in Land 2023.

[17] Vgl. Dean/Churchill/Rupanner 2022, 20-22.

[18] Vgl. Frohwein/Hüttenrauch in Land 2023.

[19] Vgl. Frohwein in Land 2023.

[20] Vgl. Bücker 2020, https://sz-magazin.sueddeutsche.de/freie-radikale/mental-load-teilen-teresa-buecker-89594

[21] Schutzbach 2021, 249.

[22] Vgl. ebd.

[23] Vgl. Hüttenreich in Land 2023.

[24] Vgl. Schrammel 2022, 372-373.

[25] Vgl. ebd., 373.

[26] Vgl. Schutzbach 2021, 246.

[27] Emma 2018.

[28] Vgl. Schutzbach 2021, 250-252.

[29] Vgl. Daminger 2019, 609.

[30] Vgl. ebd.

[31]  Vgl. Schutzbach 2021, 249-250.

[32] Vgl. Schutzbach 2021, 250.

[33] Vgl. Puhlman/Parsle 2013, 176. Die Autor:innen weiten in ihrem Artikel den Begriff allerdings aus und wollen ihn neu konzeptualisieren, das würde hier aber zu weit vom Thema wegführen.

[34] Vgl. Schutzbach 2021, 252-253.

[35] Vgl. ebd., 253.

[36] Vgl. https://www.gender-mediathek.de/de/care-arbeit.

[37] Vgl. Lutz 2022, 293-294.

[38] Vgl. Schutzbach 2022, 253-254.

[39] Vgl. Hüttenrauch in Land 2023.

[40] Vgl. https://equalcareday.de/mental-load/.

[41] Vgl. Schutzbach 2021, 259.

[42] Vgl. ebd., 261.

[43] Vgl. ebd.


Quelle: Eva Schießl, Mental Load – feministischer Kampfbegriff oder fruchtbares Konzept, um Geschlechtergerechtigkeit neu zu denken? in: Blog ABV Gender- und Diversitykompetenz FU Berlin, 16.05.2023, https://blogs.fu-berlin.de/abv-gender-diversity/mental-load-feministischer-kampfbegrif

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