Frauenbeauftragte gegen sexualisierte Gewalt

Die Frauenbeauftragten fungieren seit Jahrzehnten als Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG). Das Thema spielte auch in der Einführung des Amtes eine wichtige Rolle. Das Engagement gegen SBDG an der Freien Universität schloss früh Forschung ein, aus der Vorschläge für Maßnahmen resultierten. Welche sind heute realisiert?

Frauenbeauftragte als Anlaufstelle für sexuelle Belästigung

An der Freien Universität gab es Frauenbeauftragte in den Fachbereichen, noch bevor das novellierte Berliner Hochschulgesetz ab November 1986 ein solches Amt an Hochschulen vorsah. Die Einführung dieser Position an der FU hing mit der Verstetigung der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung (ZE) zusammen. Der Akademische Senat erklärte in einem Beschluss im Februar 1985, die Mitglieder des Beirats der Zentraleinrichtung als „Frauenbeauftragte“ anzusehen. Da nicht alle Fachbereiche im Beirat vertreten waren, empfahl er, „zur Vertretung frauenspezifischer Interessen in den Bereichen“ Kontaktpersonen zu benennen. Im weiteren Verlauf waren es dann eben jene „Kontaktpersonen“ in den Bereichen, die die ZE als Frauenbeauftragte bezeichnete. Deren Aufgabe sollte insbesondere sein, „der Diskriminierung von Frauen innerhalb der Wissenschaft und Forschung, der Lehre sowie am Arbeitsplatz entgegenzuwirken“. Zu diesem Zweck sollte eine regelmäßige Sprechstunde als „Anlauf- und Beratungsstelle für alle Fälle von Diskriminierung und Sexismus“ eingerichtet werden.

Zuvor hatten sich auf die Anfrage der ZE nach „Kontaktpersonen“ in einzelnen Bereichen auch männliche Wissenschaftler gemeldet. Hier versprach der Begriff der Frauenbeauftragten offensichtlich mehr Klarheit: Aufgrund ihrer Aufgabe als „Anlaufstelle für sexuelle Belästigung“, so argumentierte die ZE, sollten ausschließlich Frauen diese Funktion übernehmen. Am 24. Juni 1986 hielt die ZE in ihren Regelungen für die Frauenbeauftragten an den Fachbereichen und Zentralinstituten fest: „Die Frauenbeauftragte berät und unterstützt Frauen bei Beschwerden, insbesondere bei Diskriminierungen und sexuellen Belästigungen.“ Zu dieser Zeit tagte bereits regelmäßig eine „AG sexuelle Belästigung“ in der ZE, die u.a. eine Definition möglicher Belästigungen erarbeitete.

Auch in einer hochschulübergreifenden Arbeitsgruppe, die ab 1987 Vorschläge zur Regelung einer hauptamtlichen Frauenbeauftragten an Berliner Hochschulen erarbeitete, bestand Einigkeit: Für Beschwerden bei sexueller Belästigung sollte die Frauenbeauftragte erste Anlaufstelle sein. Diese Zuständigkeit fand sich in der „Einstweiligen Regelung zur Beauftragten für Frauenfragen“ der FU 1989 wieder. Sie sah vor, dass die Frauenbeauftragten auf Bereichsebene als „Anlauf- und Beratungsstelle auch in Fällen von sexueller Belästigung“ fungieren (§5 (1)). Mit Inkrafttreten der Frauenförderrichtlinien der FU 1993 wurde festgelegt, dass ein kostenloses Beratungsangebot durch die zentrale Frauenbeauftragte in Fällen sexueller Belästigung sicherzustellen sei (§ 28). Ab 1991 sah auch das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), 1993 umbenannt in LGG, für den öffentlichen Dienst eine „Frauenvertreterin“ vor, die Beschwerden über sexuelle Belästigungen entgegennehmen und Betroffene beraten sollte (§ 17).

Erste Bestandsaufnahme an einer Hochschule

Über Ausmaß und Erscheinungsformen sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen war Anfang der 1990er Jahre wenig bekannt. Daher stand eine Bestandsaufnahme der Situation an der FU weit oben auf der Agenda, nachdem Christine Färber 1991 als erste hauptamtliche Frauenbeauftragte gewählt worden war.

Dokumentation der zentralen Frauenbeauftragten, 1992

1992 führten Käthe Schmid, Psychologin, und Marita Ripke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Frauenbeauftragten, dazu eine Befragung von Studentinnen und Mitarbeiterinnen durch. Die Ergebnisse sind gemeinsam mit einer Vortragsreihe der Frauenbeauftragten in der Veröffentlichung „Sexuelle Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen an der Hochschule“ dokumentiert.

Wie Färber in ihrem Vorwort anmerkte, hatte es bis dato noch keine Befragungen von Studentinnen zu dem Thema gegeben. Ihre Intention war, mithilfe der Untersuchung deutlich zu machen, dass „sexuelle Diskriminierung im unmittelbaren Arbeits- und Studienumfeld eines jeden Mitglieds der Freien Universität täglich stattfindet“. Die Ergebnisse der Befragung belegten dies eindrücklich: Nahezu die Hälfte der Befragten gab an, einmal oder mehrmals an der FU sexuell diskriminiert worden zu sein.

An die quantitative schloss sich 1994 eine qualitative Studie mit zehn betroffenen Studentinnen an, gefördert aus Mitteln des Hochschulsonderprogramms. Die Untersuchung „Sexuell belästigt: Studentinnen berichten über ihre Erfahrungen mit Dozenten“ von Kristine Dreyer und Claudia Toelle verdeutlicht die massiven Auswirkungen auf den weiteren Studien- und Berufsverlauf der Betroffenen.

Gegenmaßnahmen damals und heute

Die qualitative Studie von 1994 leitete aus den Erfahrungen der Betroffenen mögliche Maßnahmen und Strategien der Hochschule ab. Dazu zählen Prävention, Öffentlichkeitsarbeit, vielfältige, unabhängige Ansprechpersonen für Betroffene innerhalb der Hochschule sowie Sanktionen gegen Belästiger – bis in die Gegenwart wichtige Punkte, wie der Vergleich mit der aktuellen Richtlinie zum Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt der FU zeigt. Weiter ausgearbeitet haben die Forscherinnen das Konzept einer eigenen Anlaufstelle für SBDG. Hintergrund ihrer Überlegungen war, dass nebenberufliche Frauenbeauftragte, die nur teilweise für diese Tätigkeit freigestellt sind, weiter in Fachbereichshierarchien eingebunden sind und womöglich nicht unabhängig von ihren sonstigen Arbeitsverhältnissen agieren können. „Ideal wäre die Einrichtung von speziellen Anlaufstellen für sexuell belästigte/diskriminierte Frauen, die eigenständig arbeiten“, so Dreyer und Toelle 1994 in einem Artikel. Die Beratenden sollten zudem „auf dieses spezielle Problem hin sensibilisiert, geschult und ausgebildet werden“.

Welche dieser Maßnahmen sind inzwischen, bald dreißig Jahre später, an der FU realisiert?

Regelmäßige Workshop-Angebote zu Beratung und Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt bieten eine Qualifizierung im Rahmen des Weiterbildungsprogramms FUTURA, veranstaltet vom Team Zentrale Frauenbeauftragte in Kooperation mit dem Weiterbildungszentrum. Das Margherita-von-Brentano-Zentrum, Nachfolgeeinrichtung der ZE, hat einen eigenen Forschungsschwerpunkt „Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext“; für Forschungszwecke werden in diesem Rahmen über eine Online-Plattform Erfahrungsberichte Betroffener gesammelt.

Mit der AG SBDG wurde 2016 eine universitätsweite Struktur geschaffen, die sich der Aufklärung über und Prävention von sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt widmet. Die Geschäftsführung der AG SBDG hat mit Wendy Stollberg eine Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte inne, die über Fachwissen sowie professionelle Beratungskompetenz verfügt und Beratung für Betroffene anbietet. Zudem gibt es weitere Anlaufstellen an der FU, die neben anderen Ratsuchenden auch Betroffene sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt beraten. Über die AG SBDG sind die Berater*innen an der FU zu diesem Themenfeld vernetzt. 2019 und 2020 fand jeweils am 25. November anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen ein universitätsweiter Beratungstag statt.

Signaturbild zum Beratungstag 2020, Gestaltung: CeDiS

Das Spektrum vorhandener Maßnahmen und Angebote ist einerseits eine beachtliche Bilanz, beruht andererseits auf einer institutionell nur bedingt abgesicherten Struktur, die nicht zuletzt erheblich von den Ressourcen der zentralen Frauenbeauftragten abhängig ist.

Zukünftige Beratungs- und Beschwerdestelle

Eine Neustrukturierung des Beratungsangebots an der FU ist aufgrund der Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) vom September 2021 erforderlich. Unter dem neuen Paragraphen Hochschule der Vielfalt (§5b) sieht das Gesetz vor, dass jede Hochschule „für die Anliegen der diskriminierungsfreien Hochschule eine Beratungs- und Beschwerdestelle“ einrichtet. Gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§3 (4)) und dem Landesantidiskriminierungsgesetz von Berlin (§ 4 (4)) gilt auch sexuelle Belästigung als eine Form der Benachteiligung, d.h. ist als eine Form der Diskriminierung einzubeziehen. In welcher Form eine zukünftige Beratungs- und Beschwerdestelle gemäß BerlHG die bestehenden Strukturen, insbesondere die vorhandenen Beratungsangebote zu SBDG integriert, ist bislang offen.

Der Blick auf andere Hochschulen zeigt unterschiedliche Wege der Institutionalisierung. Die Universität Bremen etwa verfügt über eine Arbeitsstelle gegen Diskriminierung und Gewalt, die alle Hochschulangehörigen bei unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen berät, darunter auch ganz ausdrücklich im Falle sexualisierter Übergriffe und Belästigungen. Die Universität Hamburg hingegen hat neben einer Vertrauensperson für Beschäftigte als Ansprechperson eine eigene Kontakt- und Beratungsstelle bei Sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt für Studierende. Angesichts der umfangreichen Beratungserfahrung zu SBDG wäre für die Freie Universität zu wünschen, dass eine Struktur gefunden wird, die die vorhandene Expertise einbezieht und strukturell absichert.

Dr. Corinna Tomberger, Referentin im Team Zentrale Frauenbeauftragte


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