Zum Thema Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG) im Hochschulkontext forscht, arbeitet und berät Heike Pantelmann seit Jahren. In einem persönlichen Erfahrungsbericht kritisiert sie fehlende Ressourcen und Strukturen an der Freien Universität im Umgang mit SBDG. Sie gibt Einblick in die Beratungspraxis, die gekennzeichnet ist von geringer Wertschätzung und hohen Erwartungen.
Die Arbeitsgruppe
Ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit dem Thema sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG) im Hochschulkontext. Es begann, als ich Teil einer Arbeitsgruppe an der Freien Universität wurde, deren Aufgabe es ist, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und Präventionsarbeit zu leisten – die aber dafür keine Ressourcen hat. In einem langwierigen Prozess überarbeiteten wir die bestehende Richtlinie gegen SBDG. Als ich einige Jahre später Richtlinien systematisch beforschte, wurde mir klar, wie unzureichend auch die neue Richtlinie ist. Zudem hat eine Richtlinie wenig Wert an einer Universität, an der es keine Strukturen gibt, um Betroffene vor SBDG zu schützen und Täter zu bestrafen.
Beratung
Die Arbeitsgruppe hatte auch die Idee, eine SBDG-Website für unsere Universität einzurichten. Ich war bereit, auf dieser Website als eine von drei Erstansprechpersonen für von SBDG Betroffene aufgeführt zu werden. Was mir in dieser Funktion auffiel, war erstens, dass die Personen, die sich an mich wandten, nirgendwo an der Universität angemessene Unterstützung fanden. Mir wurde klar, dass ich zweitens ohne Schutzstrukturen und ohne den Willen, die Täter konsequent zu bestrafen, nur eine Alibifunktion wahrnehme.
Ich musste auch lernen, dass Menschen, die sich an mich wandten, sich später manchmal über die Ratschläge ärgerten, die ich gegeben hatte. Sie ärgerten sich eigentlich über die fehlenden Strukturen, ich jedoch wurde Adressatin ihrer Frustration, weil ich ihnen in den Erstberatungen nichts bieten konnte. Unfähig, Konsequenzen für die Täter durchzusetzen, kämpft die Erstansprechperson selbst mit den fehlenden Strukturen und der mangelnden Unterstützung für die von SBDG Betroffenen an ihrer Institution. Meine Rolle als Beraterin ohne wirkliche Struktur war also nur eine Fassade. Ich beschloss, meinen Namen von der Website entfernen zu lassen. Ich wollte nicht Teil dieses institutional polishing sein.
Der Forschungsschwerpunkt
Durch die Kooperation in einem internationalen Forschungsprojekt zu SBDG im Hochschulkontext konnten wir das Thema als Forschungsschwerpunkt am Margherita-von-Brentano-Zentrums für Geschlechterforschung etablieren. Forschung und institutioneller Wandel waren die Ziele des Projekts. In den vier Jahren, in denen wir den Forschungsschwerpunkt eingerichtet haben, habe ich mindestens 11 Einstellungsvorgänge für 5 Personen bearbeitet, die mit mir auf einer Stelle im Forschungsschwerpunkt gearbeitet haben. Vermutlich habe ich also weniger geforscht als Personalvorgänge bearbeitet.
Trotz der personell schwierigen Lage waren wir in der Lage, zu forschen und mehrere Artikel zu veröffentlichen. Wir hielten Seminare zu diesem Thema ab und organisierten Aktivitäten mit Studierenden und Kolleg*innen, um das Bewusstsein für SBDG an der FU zu schärfen. Nachdem wir den Forschungsschwerpunkt unter diesen prekären Bedingungen erfolgreich aufgebaut hatten, wurde die Stelle nicht dauerhaft finanziert, so dass er schließlich geschlossen werden musste. War all diese Arbeit umsonst?
Workshops
Darüber hinaus habe ich Workshops zum Thema SBDG gegeben. Diese Workshops waren insofern lohnend, als die Teilnehmenden sich fast immer gestärkt und sicherer im Umgang mit dem Thema SBDG im Hochschulalltag fühlten. In einem der Workshops an meiner Universität wurden die Teilnehmenden jedoch wütend über die fehlenden Strukturen und die mangelnde Unterstützung des Themas durch die Universitätsleitung. Die Wut richtete sich gegen meine Kollegin und mich als Workshopleiterinnen. Wir mussten deutlich machen, dass auch wir die Strukturen als unzureichend empfanden.
Die Erwartung war – und das ist sehr verbreitet –, dass diejenigen, die sich mit dem Thema SBDG befassen, die Ressourcen und das Mandat haben, die auftretenden Fälle zu lösen. Das jedoch ist fast nie der Fall. Diejenigen, die sich mit dem Thema befassen, tun dies, weil sie glauben, dass die Strukturen in ihren Institutionen unzureichend sind, das Thema jedoch wichtig ist, oder weil sie Gleichstellungsbeauftragte oder Beraterinnen sind und das Thema somit „irgendwie“ in ihren Zuständigkeitsbereich fällt – in der Regel, weil es sonst niemanden gibt, der sich darum kümmert.
Das Buch
Anfang 2021 schlug eine Kollegin vor, gemeinsam ein Buch über SBDG im deutschen Hochschulkontext herauszugeben. Ein Vorhaben, dem ich sofort begeistert zustimmte, da ein solches Buch bislang nicht existierte. Das Buch sollte all jene adressieren, die sich mit SBDG im deutschen Hochschulkontext beschäftigen und damit konfrontiert sind. Es hat viel Freude bereitet, mit den Autor*innen zusammenzuarbeiten und unser Konzept zu verwirklichen.
Als das Buch im Juni 2023 veröffentlicht wurde, nutzte ich Twitter, um das Buch vorzustellen. Sehr bald nach meinem ersten Tweet erhielt ich eine Antwort von einer Person, deren „Fall“ in einem Absatz in einem der siebzehn Artikel kurz erwähnt wurde. Wir mailten und ich verwies sie an die Autor*innen des Artikels, die ihn inhaltlich verantworten. Dann eskalierten die Dinge schnell – zumindest kam es mir so vor. Plötzlich sah ich mich auf Twitter unzähligen Anschuldigungen ausgesetzt, Teil des Problems zu sein, mich falsch verhalten zu haben, weil ich nicht sofort verstand, was zu tun war (den Artikel zu entfernen) und wie schnell es getan werden musste (sofort), und so weiter – Dinge, die die unerfahrene Twitter-Nutzerin und Herausgeberin, die ich bin, schockierten.
Als Mitherausgeberin fühlte ich mich von der ganzen Wut und Verzweiflung einer Betroffenen überrollt. Sie traf mich und nicht den Täter, nicht die Universität, die nichts getan hatte, um die Betroffene zu schützen, nicht die Autorinnen des Artikels, nicht (auch) meine Mitherausgeberin, sondern mich, die ich über das Buch getwittert hatte und damit zur Projektionsfläche für all die Frustrationen wurde, die die Betroffene erlitten hatte. Ich war überrascht davon, wie viel Wut mit einem ungelösten SBDG-Fall verbunden sein konnte. Rechtlich gesehen war im Artikel nichts falsch, aber moralisch ist eine Betroffene immer im Recht.
Ich war auf die Emotionen, die mit dem Thema in Verbindung stehen, nicht vorbereitet. Ohne Frage schadet SBDG in erster Linie den Betroffenen. SBDG schadet aber auch denjenigen, die sich mit dem Thema befassen und die versuchen, die schädlichen Strukturen ihrer Institutionen zu ändern. Wir erhalten keine Wertschätzung für unsere Arbeit, weil wir immer wieder auf die Probleme hinweisen, die viele Personen an Hochschulen entweder nicht wahrnehmen wollen oder lieber vertuschen möchten. Auch die Ratsuchenden schätzen uns oft nicht, denn für sie sind wir Teil der Institution, die sie weder schützt noch ihnen hilft.
Menschen wie ich setzen sich gegen SBDG im Hochschulkontext ein, versuchen Verbesserungen zu erreichen, forschen, halten Vorträge, geben Workshops und engagieren sich, um die Institutionen zu verändern – eine Sisyphosarbeit, die also nicht nur geringgeschätzt, sondern sogar häufig untergraben wird. Wir sind diejenigen, die gegen das System arbeiten, und damit leider aber auch diejenigen, die es letztendlich stützen. Aber ist es eine Option, nicht gegen SBDG im Hochschulkontext zu arbeiten?
Dr. Heike Pantelmann ist Geschäftsführerin des Margherita-von-Brentano-Zentrums für Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin. Sie ist promovierte Betriebswirtin. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Themenbereichen: Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext; Geschlechterordnung/Geschlechterverhältnisse, Macht und Kontrolle in Organisationen. Weitere Arbeitsfelder sind Gender und Diversity in der Lehre und die Internationalisierung der Geschlechterforschung.
Heike Pantelmann und Sabine Blackmore (Hrsg.) (2023): Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext. Herausforderungen, Umgangsweisen und Prävention. Springer Gabler, Wiesbaden.